Aus die Maus. Der Blick von unten auf die da oben. Von Żaklin Nastić – Rezension

Wer will fleißige Handwerker seh’n, … so heißt ein bekanntes Kinderlied. Ist Politik eigentlich auch ein Handwerk? Klaus von Dohnanyi diente als Minister unter den Kanzlern Brandt und Schmidt und war lange Jahre Erster Bürgermeister der Hansestadt Hamburg. Sein Credo: „Politik ist ein Handwerk“

Stümper und verkappte Lobbyisten im Bundestag

Politiker wären demnach (auch) Handwerker? Na, mal schön langsam mit den jungen Pferden! Schauen wir doch nur einmal in den Deutschen Bundestag. Da ist es schwer wirkliche politische Handwerker auszumachen. Was übrigens für nicht wenige dort vertretenen Bundestagsabgeordneten aus fast allen Parteien zutrifft. Stattdessen fallen uns dort inzwischen einige Stümper und Pfuscher auf, die dank eines Mandats in die oberste demokratische Vertretung gelangen konnten. Etliche dieser dort sitzenden Menschen sind als Volksvertreter verkappte Lobbyisten, die entsprechende Interessen vertreten. Die der Wählerinnen und Wähler? Da kommen hier und da Zweifel auf.

Und zwar nicht erst seit Außenministerin Baerbock in puncto Ukraine-Unterstützung auf einer Konferenz in Prag sagte: […]„Wir stehen so lange an eurer Seite, wie Ihr uns braucht’, dann möchte ich auch liefern, egal was meine deutschen Wähler denken, aber ich möchte für die ukrainische Bevölkerung liefern.“ […]

Nun, die Wählerinnen und Wähler müssten inzwischen (eigentlich) durchgeholt haben, dass sie sich betreffs Politikern und Abgeordneten kaum auf deren Versprechungen verlassen können. Franz Müntefering (SPD) sagte einmal unverblümt:

„Es ist unfair, Politiker an ihren Wahlversprechen zu messen.“ Doch das Wahlvolk ist bekanntlich vergesslich.

Anbei:

Schadet es Politikern, Wahlversprechen zu brechen?

[…] Aber wenn Politiker regelmäßig Wahl- und sonstige Versprechen brechen: Schadet ihnen dies? Könnte dies ihre Macht gefährden? Der Schriftsteller, Diplomat und politische Philosoph Niccolò Machiavelli (1469-1527) meint in seinem berühmten Werk „Der Fürst“, dies sei kein Problem:

Denn die Menschen sind so einfältig und gehorchen so sehr dem Eindruck des Augenblicks, dass der, welcher sie hintergeht, stets solche findet, die sich betrügen lassen.“

Als Beispiel führt Machiavelli Papst Alexander VI. an:

Alexander VI. tat nichts anderes als zu betrügen, sann auf nichts anderes und fand immer solche, die sich betrügen ließen. Nie besaß ein Mensch eine größere Fertigkeit, etwas zu beteuern und mit großen Schwüren zu versichern, und es weniger zu halten. Trotzdem gelangen ihm alle seine Betrügereien nach Wunsch, weil er die Welt von dieser Seite gut kannte“ (Beide Zitate aus „Der Fürst“, Kapitel XVIII, „Inwiefern die Fürsten ihr Wort halten sollen“).[…] Quelle: Aus einem Beitrag der NachDenkSeiten von Udo Brandes.

Żaklin Nastić ist für die Partei DIE LINKE im Bundestag. Eine engagierte Politikerin, wie sie nicht oft anzutreffen ist

Darüber dass Żaklin Nastić für Partei DIE LINKE in den Bundestag gewählt worden ist sollten wir indes froh sein. Erst recht darüber, dass sie überhaupt in die Politik gegangen ist.

Sie gehört nicht zur in den letzten Jahrzehnten verstärkt im Bundestag vertreten Generation von Akademikern etc. mit einer sogenannten „Drei-Saal-Karriere“: „Kreißsaal – Hörsaal – Plenarsaal. Ohne Kenntnis des Lebens da draußen. Diesen Abgeordneten fehlt in der Regel das Gefühl die wirklichen gesellschaftlichen Probleme wahrzunehmen. Erst recht abgeschnitten werden sie von diesem wenn sie unter der gläsernen Kuppel des Reichstagsgebäudes zu Stuhle gekommen sind.

Der aus geerdeten Verhältnissen – aus der Dortmunder Nordstadt, die immer wieder als sozialer Brennpunkt benannt wird – stammende ehemalige Bundestagsabgeordnete Marco Bülow empfand diese Entwicklung bedenklich. Als er erstmalig in den Bundestag gekommen war, sei das noch nicht so extrem gewesen. Bülow erklärte vor einiger Zeit auf einer Veranstaltung, woher das Nichtwahrnehmen sozialer Probleme vieler Abgeordneten rühre: „84 Prozent der Bundestagsabgeordneten sind Akademiker, 16 Prozent Nichtakademiker.“ (aus meinem damaligen Bericht)

Bülows Credo: „Die Bevölkerung ist mein Chef.“

Letzteres dürfte auch Żaklin Nastić so sehen.

Was Links-sein bedeutet

Żaklin Nastić versteht sich noch als eine wirklich Linke. Warum schreibe ich das? Weil offenbar viele sich als links bezeichnende Menschen – eingeschlossen gewisse Abgeordnete und Funktionsträger der Partei DIE LINKE – inzwischen gar nicht mehr wissen, was Links-sein überhaupt bedeutet. Es bedeutet, sagt etwa Sahra Wagenknecht, sich in der Politik für die Menschen zu engagieren, die es schwer haben. Für die, die nicht mit dem goldenen Löffel im Mund geboren wurden, die sich täglich bewähren und hart kämpfen müssen. Sowie sich für eine friedliche Außenpolitik – schlicht: den Weltfrieden einzusetzen.

Armut ist ŻaklinNastić bekannt

Żaklin Nastić ist 1980 in einem Dorf bei Gdansk in Polen geboren, hat polnische, deutsche, kaschubische und jüdische Wurzeln sowie die deutsche und die polnische Staatsbürgerschaft. Sie kam 1990 nach Hamburg, lebte auf Flüchtlingsschiffen im Hafen und wuchs in einem sogenannten sozialen Brennpunkt am Rande Hamburgs bei ihrer alleinerziehenden Mutter auf. Armut ist ihr sehr wohl bekannt.

Über sich und ihre politische Arbeit hat sie nun ein Buch geschrieben: „Aus die Maus. Der Blick von unten auf die da oben“.

Gleich im ersten Satz der Vorbemerkung schreibt Nastić nicht um den heißen Brei herum: „Die Welt ist im Eimer. Wir wissen nicht mehr weiter. Es fehlen starke Persönlichkeiten, die sich gegen alle Widerstände durchsetzen. Es mangelt an Führern. (In Deutschland ist der Begriff belastet, darum spricht man lieber von Leader.) Keine Visionen, nur Verwaltung. Es regiert der Sachzwang: Krisen, Kriege, Konflikte, Klimakatastrophe …“

Engagement ist anstrengend. Viele Menschen sagen: Es ändert sich ja sowieso nichts. Żaklin Nastić schreibt, sie verstehe die Ermüdung. „Auch die Verbitterung. Mir geht es bisweilen ebenso. Ich möchte dann allem den Rücken kehren und wütend erklären: Macht euren Mist doch allein, ich muss mir das nicht antun! Aber das ist unmöglich. Wir Menschen sind gemeinschaftliche Wesen, keine Einzelgänger. Wir brauchen uns. Wir sind auf die Stärke der Gemeinschaft angewiesen. Das ist in erster Linie eine Klassenfrage. «Wer im Stich lässt seinesgleichen lässt ja nur sich selbst im Stich«, dichtete Bert Brecht im «Solidaritätslied«.

«Seinesgleichen« – die Meinung vertritt Żaklin Nastić „nicht nur Klassenbruder und Klassenschwester. Wie eben auch die Menschenrechte für alle gelten – sie sind unteilbar“. (S.11)

Żaklin Nastić wendet sich gegen dieDiffamierungvon Kämpfernfürden Frieden

Gegen die Diffamierung des „Manifests für Frieden“ – veröffentlicht im Februar 2023 von ihrer Fraktionskollegin Sahra Wagenknecht und der Publizistin Alice Schwarzer – als rechtsoffen, aus der vermeintlicher linken Ecke sowie durch Presseartikel stellt Żaklin Nastić Worte des vormaligen Vorsitzenden der SPD und später der LINKEN. Lafontaine habe nämlich erklärt im Friedenskampf gebe es keine Gesinnungsprüfung. Niemand werde gefragt: «Welches Parteibuch hast du?» oder «Wen hast du gewählt«?

Und sie zitiert den unlängst verstorbenen Hans Modrow, der sich auf seinen zur See fahrenden Bruder berief: Wenn wir einen Schiffbrüchigen aus dem Meer retten, interessiert uns nicht, ob er weiß, schwarz oder gelb ist – es ist ein Mensch!

Schluss mit dem Ukrainekrieg!

Zum Krieg in der Ukraine hat die Bundestagsabgeordnete eine klare Meinung: „Damit muss Schluss sein! Es ist ohne Bedeutung, wer und warum einer oder eine Frieden fordert. Wichtig ist, dass die Waffen zum Schweigen gebracht werden!

Żaklin Nastić erinnert an Willy Brandts Worte: «Frieden ist nicht alles – aber ohne Frieden ist alles nichts!«

Und auch die Worte des 1914 ermordeten französischen Sozialisten Jean Jaurés ruft sie auf, welcher „den Kriegshetzern vor dem Weltkrieg den richtigen Satz“ entgegen geschmettert hatte: «Der Kapitalismus trägt den Krieg ins sich wie die Wolke den Regen.«

Żaklin Nastić über ihre Arbeit und ihren Anspruch daran

In ihrem Buch behandelt Żaklin Nastić ihre politischen Tätigkeitsfelder. Sie stellt darüber hinaus auch nichts weniger an als Überlegungen, „wie wir in der derzeitigen Phase den Übergang von dem System, das keineswegs schon hinüber ist, in das andere System, dessen Konturen noch nicht erkennbar sind, meistern können“. (S.20)

Obwohl, gibt sie zu bedenken, die kapitalistische Ausplünderung der globalen Ressourcen zu Karl Marx Zeiten noch in weiter Ferne lag, habe dieser schon zu seinen Zeiten die «gesellschaftliche Menschheit« beschworen, die Welt nicht nur zu erkennen und zu interpretieren. «Es kömmt darauf an, sie zu verändern«, habe Marx seinerzeit beschieden.

Żaklin Nastić gibt sich entschlossen und zuversichtlich:

„Wir alle sind Teil der gesellschaftlichen Menschheit. Und wir stehen in der Pflicht, die Welt zu verändern – wir können es auch.

Und das beginnt nicht erst vor unserer Haustür, sondern bereits in unseren vier Wänden.

Dort darf die Veränderung nicht enden.“

„Wir sollten nie vergessen, woher wir kommen“, fordert Nastić

Żaklin Nastić schreibt im Kapitel „Wir sollten nie vergessen, woher wir kommen“ u.a. über die Ankunft mit ihrer Mutter in Deutschland. Erst landeten sie auf einigen Flüchtlingsschiffen in Hamburg, dann in einer Hochhaussiedlung. Dort sei geschlagen, geschossen und gedealt worden. Selbst innerhalb der Wohnungen war Gewalt keine Seltenheit. Die Kriminalitätsrate sei hoch und der Schufa-Score niedrig gewesen. „Wer beim Versandhändler bestellte, konnte nicht sicher sein, dass die Ware auch geliefert wurde. Die Postleitzahl war verräterisch.“

Das prägt.

Solche Siedlungen werden in der Regel „soziale Brennpunkt“ oder „Problemviertel“ genannt. Die Autorin: „Das sind freundlichere Bezeichnungen als etwa «Ghetto«. Dieses Wort ist in der deutschen Sprache belastet.“ Wir wissen warum.

Der Jugoslawien-Krieg

Auch der Krieg in Jugoslawien politisierte Żaklin Nastić. Sie protestierte gegen die militärischen Auseinandersetzungen in dem zerfallenden Bundesstaat und gegen die Einmischung der NATO.

Als sie 1998 erstmals in Jugoslawien war schockierte sie die Not, „die die vom Westen verhängten Sanktionen insbesondere in Serbien angerichtet hatten“. (S.28)

Nachdem der völkerrechtswidrige Krieg mit den NATO-Bombardements in Serbien vom Zaun gebrochen worden war, weilte sie wieder dort: „Ich sah die zerstörten Häuser, die gesprengten Brücken und ausgebrannten Wohnungen: Kriegsbilder, die dich als Achtzehnjährige bislang nur aus Geschichtsbüchern und Filmen kannte“, erinnert sich Żaklin Nastić.

Dies alles habe sie politisiert.

Ihr wurde klar, dass es in der kapitalistischen Gesellschaft Klassen gibt. Was weder in der Schule gelehrt worden sei noch in der Zeitung zu lesen gewesen war.

Nastić erinnert daran, wie sich „ein ungedienter Steinewerfer aus Frankfurt am Main in seiner Funktion als Außenminister und williger Zögling von US-Madeleine Albright – formally known as Jana Korbelová – das deutsche Volk ans Gewehr gerufen [hatte]“ (S.37)

„Wortgewaltig hatte der grüne Joschka Fischer mit der Losung «Nie wieder Krieg und nie wieder Auschwitz« eine deutsche Beteiligung am NATO-Krieg gegen Jugoslawien durchgesetzt.“

Zehn Jahre nach Ende des Kalten Kriegs habe die BRD ihre „unkriegerische Unschuld“ verloren, so die Politikerin.

Damit es nicht der Vergessenheit anheimfällt merkt sie an, dass die Jugoslawien am 29. April 1999 beim Internationalen Gerichtshof in Den Haag Klage gegen die BRD und neun weitere NATO-Staaten eingereicht hatte. „Wegen Völkermords, wegen des Verstoßes gegen das Interventionsverbot und wegen Missachtung des Souveränitätsgegebots (die gleichen Gründe übrigens, weshalb der Westen Russland mit Sanktionen überzogen hat).

Allerdings lief die Klage ins Leere, weil Jugoslawien auf Betreiben des Westens aus der UNO ausgeschlossen worden war. Das Verfahren wurde ohne Entscheidung in der Sache wegen Nichtzuständigkeit des Gerichtes in Den Haag wieder eingestellt.

Wer sich noch erinnert, wird wissen, dass damals auch einige Strafanzeigen in Deutschland beim Generalbundesanwalt eingereicht worden waren. Da war nämlich die Vorbereitung eines Angriffskrieges noch gemäß § 80 StGB strafbar. Ermittlungen unterblieben, weil die jugoslawische Staatsführung das friedliche Zusammenleben der Völker auf dem Balkan gestört habe. 2017 war dann der dieser Paragraph aus dem Strafgesetzbuch gestrichen worden.

Serbien der alleinige Täter?

Alle wichtigen deutschen Medien hätten seinerzeit Serbien allein als Täter in diesem Krieg benannte. Aber das war einseitig. Żaklin Nastić schreibt über die wohl einzige Ausnahme in der medialen Befassung mit diesem Krieg: „Die ARD beispielsweise zeigte in einer Dokumentation («Es begann mit einer Lüge« WDR 2001), dass die deutsche Öffentlichkeit massiv belogen worden war, um die dritte Bombardierung Belgrads in einer Jahrhundert zu rechtfertigen.“ Der Film und dessen Macher seien dann aber angegriffen und diffamiert worden.

Żaklin Nastić: 1999 war die Zeitenwende.

Żaklin Nastić hat sich mit diesem Krieg schon befasst bevor sie 2017 in denn Bundestag einzog. Weil der Vater ihrer beiden Kinder Serbe ist. Darüber hinaus hat sie Slawistik studiert, was die Region Südosteuropa einschloss und ihr so viele Erkenntnisse brachte.

Interessant, dass die Autorin ab Seite 42 die Geschichte bis in die Gegenwart der immer umkämpften Region (einschließlich der des Kosovos (u.a. „Die Schlacht auf dem Amselfeld 1389) beleuchtet, was auch heutige Zusammenhänge besser einzuordnen hilft und verstehen lässt.

Dokumentation parlamentarischer Arbeit

Das Buch ist Seite für Seite äußerst informativ für die Leserinnen und Leser. Wichtige Interviews mit der Autorin, Reden in Parlamentsdebatten und kleine Anfragen ihrerseits sind im Buch enthalten. Was uns Lesern einen Überblick über den enormen Arbeitsumfang und die Tätigkeit einer Bundestagsabgeordneten verschafft, die ihr Mandat im Auftrag ihrer Wählerinnen und Wähler im Rahmen und im Namen der Demokratie hoch engagiert ernst nimmt.

Ich denke, nicht zu hoch zu greifen, wenn sich mir der Eindruck vermittelt: Politik ist ein Handwerk, wie weiland das politische Urgestein Klaus von Dohnanyi bekannte und nach wie vor lebt. Und Żaklin Nastić versteht dieses (ihr) Handwerk. Wer will fleißige (politische) Handwerker finden, der muss beispielsweise hochachtungsvoll auf Żaklin Nastić sehen.

Nicht weniger interessant ist das Kapitel „Irak, Iran und Naher Osten sowie weitere Krisenherde“ (ab S.63)

Ebenso „Menschenrecht, geteilt“ (S.105)

Darin schreibt die Autorin über die „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“, die der Bundestag 2017 feierte, weil sie siebzig Jahre zuvor in die Welt gesetzt worden war.

Die Einschätzung von Żaklin Nastić: „Die dreißig Artikel klingen gut, aber haben einen Makel: Sie sind rechtlich nicht bindend – nicht justiziabel, also nicht einklagbar.“

Völkerrecht und Ukrainekrieg

Und auch das wohl uns alle auf den Nägeln brennende Thema kommt in „Das Völkerrecht und der Ukrainekrieg“ bringt die Politikerin ausführlich und sachlich aufs Tapet. (S.127)

Unter anderem dokumentiert sie eine Kleine Anfrage, welche sie Anfang Februar 2023 gemeinsam mit ihren Fraktionskollegen Sevim Dagdelen und Andrej Hunko betreffend den Sachverhalt an die Bundesregierung gerichtet hatte.

„Schüsse ins Blaue bringen nichts“, erklärt Żaklin Nastić dazu. „Man muss immer viele Pfeile im Köcher haben.“

Aus diesem Grund fragten die genannten Abgeordneten Bundesregierung „welche Kenntnisse sie über die Verletzung der Menschenrechte durch ukrainische Institutionen habe. Es sind zweiundzwanzig Fragen an der Zahl. Gewiss interessant für die Leser. Weil sie derlei nicht in den Medien finden werden.

Quo vadis, Linke

Das hoch informative Buch schließt mit einem Kapitel, dass nicht nur Żaklin Nastić brennend interessiert: „Quo vadis, Linke“ (S.161)

Die Autorin zeichnet die Geschichte der Partei nach. Dann geht sie hart mit ihr ins Gericht. Wir erinnern uns: Eingangs des Buches stellte ich die Frage was eigentlich Links-sein bedeute.

Nastić wird diesbezüglich deutlich: „Doch statt sich mit vereinten Kräften gegen die asoziale Politik der Regierungsparteien zu stellen und um andere Mehrheiten in der Gesellschaft zu kämpfen, statt unser Profil als Antikriegs- und Menschenrechtspartei zu schärfen, ziehen es einige vor, sich dem politischen Mainstream anzupassen.“ (S.165)

Und die Linkenpolitikerin urteilt ohne Rücksicht auf Verluste: „Ich beobachte eine Mischung aus egoistischer Profilierungssucht, aus Opportunismus und Lust am eigenen Untergang. Wofür steht eigentlich diese Partei, fragen sich darum viele Wählerinnen und Wähler und wenden sich ab oder anderen Parteien zu. Eine Partei ist kein Selbstzweck.“

Man kann nur hoffen, dass sich auch Politikerinnen und Politiker der Partei DIE LINKE dieses Kapitel im Buch von Żaklin Nastić zu Gemüte führen.

Gegen Ende ihres Buches schreibt Żaklin Nastić der Linkspartei mahnende Worte ins Stammbuch: „Wenn die Linke ernst genommen werden will, braucht sie mehr Souveränität und weniger Servilität. Beim Katzbuckeln macht sie sich kleiner, als sie ist.“

Und auch hier ist ihr unbedingt zuzustimmen: „Wenn sie sich ihrer Sache allerdings nicht mehr sicher ist, sollte sie gehen, bevor die Wählerinnen und Wähler sie dorthin schicken, wo der Pfeffer wächst. Wenn die Linkspartei ihrer gesellschaftlichen Aufgabe nicht gerecht werden sollte, wird es heißen: Aus die Maus!“

Żaklin Nastić zeigt sich allerdings überzeugt, dass in dieser kapitalistischen Ausbeutergesellschaft mehr denn je eine konsequente linke politische Kraft mit Rückgrat und Kopf gebraucht wird, die für Frieden, soziale Sicherheit und eine streitbare Demokratie kämpft.“

Nun ist die Partei am Zug. Sonst richten es die Wähler.

Eine starke Stimme aus der Opposition!
»Zu sagen was ist, bleibt die revolutionärste Tat« Rosa Luxemburg

Żaklin Nastić ist unzufrieden mit dem Zustand der Gesellschaft, der Welt und ihrer Partei. Als Menschenrechtspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion hat sie ebenfalls tausende Gründe zur Klage. Doch Jammern und Barmen helfen nicht weiter, sagt sie, Tränen trüben nur den Blick. In einer sachlichen Bestandsaufnahme setzt sie sich polemisch mit der Gegenwart auseinander, insbesondere damit, wie hierzulande mit moralischen Kategorien Außenpolitik gemacht wird. Sie spricht über die rot-grüne Regierungspolitik, die opportunistischen Verrenkungen ihrer Partei, die Heuchelei von Christdemokraten und Liberalen. Sie tut dies kritisch. Aber nicht defätistisch und resignativ, sondern – trotz berechtigter Empörung – immer in der Überzeugung, dass Veränderung möglich ist. Dazu braucht es aber Mehrheiten, für die sie streitet. Auf der Straße wie im Parlament.


Zaklin Nastic

Żaklin Nastić, 1980 in einem Dorf bei Gdansk in Polen geboren, hat polnische, deutsche, kaschubische und jüdische Wurzeln sowie die deutsche und die polnische Staatsbürgerschaft. Sie kam 1990 nach Hamburg, lebte auf Flüchtlingsschiffen im Hafen und wuchs in einem sogenannten sozialen Brennpunkt am Rande Hamburgs bei ihrer alleinerziehenden Mutter auf. Armut ist ihr sehr wohl bekannt. 2000 machte sie das Abitur und studierte anschließend Slawistik. Sie hat zwei Kinder. Seit 2008 politisch engagiert bei den Linken, war sie seit 2011 Kommunalpolitikerin und seit 2017 Abgeordnete der Hamburgischen Bürgerschaft, bis sie 2017 in den Deutschen Bundestag gewählt wurde. Dort ist sie Menschenrechtspolitische Sprecherin der Fraktion und vertritt die Fraktion als Obfrau im Verteidigungsausschuss.

Zaklin Nastic

Aus die Maus

Der Blick von unten auf die da oben

192 Seiten, 12,5 x 21 cm, broschiert

sofort lieferbar

Buch 16,– €

ISBN 978-3-360-02756-6

eBook 12,99 €

ISBN 978-3-360-50193-6

Fünf Schwierigkeiten beim Schreiben der Wahrheit

Von Bertolt Brecht 

Wer heute die Lüge und Unwissenheit bekämpfen und die Wahrheit schreiben will, hat zumindest fünf Schwierigkeiten zu überwinden. Er muss den Mut haben, die Wahrheit zu schreiben, obwohl sie allenthalben unterdrückt wird; die Klugheit, sie zu erkennen, obwohl sie allenthalben verhüllt wird; die Kunst, sie handhabbar zu machen als eine Waffe; das Urteil, jene auszuwählen, in deren Händen sie wirksam wird; die List sie unter diesen zu verbreiten. Diese Schwierigkeiten sind groß für die unter dem Faschismus Schreibenden, sie bestehen aber auch für die, welche verjagt wurden oder geflohen sind, ja sogar für solche, die in den Ländern der bürgerlichen Freiheit schreiben.

1. Der Mut, die Wahrheit zu schreiben

Es erscheint selbstverständlich, daß der Schreibende die Wahrheit schreiben soll in dem Sinn, daß er sie nicht unterdrücken oder verschweigen und daß er nichts Unwahres schreiben soll. Er soll sich nicht den Mächtigen beugen, er soll die Schwachen nicht betrügen. Natürlich ist es sehr schwer, sich den Mächtigen nicht zu beugen und sehr vorteilhaft, die Schwachen zu betrügen. Den Besitzenden mißfallen, heißt dem Besitz entsagen. Auf die Bezahlung für geleistete Arbeit verzichten, heißt unter Umständen, auf das Arbeiten verzichten und den Ruhm bei den Mächtigen ausschlagen, heißt oft, überhaupt Ruhm ausschlagen. Dazu ist Mut nötig. Die Zeiten der äußersten Unterdrückung sind meist Zeiten, wo viel von großen und hohen Dingen die Rede ist.

Es ist Mut nötig, zu solchen Zeiten von so niedrigen und kleinen Dingen wie dem Essen und Wohnen der Arbeitenden zu sprechen, mitten in einem gewaltigen Geschrei, daß Opfersinn die Hauptsache sei. Wenn die Bauern mit Ehrungen überschüttet werden, ist es mutig, von Maschinen und billigen Futtermitteln zu sprechen, die ihre geehrte Arbeit erleichtern würden. Wenn über alle Sender geschrieen wird, daß der Mann ohne Wissen und Bildung besser sei als der Wissende, dann ist es mutig, zu fragen: für wen besser? Wenn von vollkommenen und unvollkommenen Rassen die Rede ist, ist es mutig zu fragen, ob nicht der Hunger und die Unwissenheit und der Krieg schlimme Mißbildungen hervorbringen. Ebenso ist Mut. nötig, um die Wahrheit über sich selber zu sagen, über sich, den Besiegten. Viele, die verfolgt werden, verlieren die Fähigkeit, ihre Fehler zu erkennen. Die Verfolgung scheint ihnen das größte Unrecht. Die Verfolger sind, da sie ja verfolgen, die Bösartigen,, sie, die Verfolgten, werden ihrer Güte wegen verfolgt. Aber diese Güte ist geschlagen worden, besiegt und verhindert worden und war also eine schwache Güte, eine schlechte, unhaltbare, unzuverlässige Güte; denn es geht nicht an, der Güte die Schwäche zuzubilligen, wie dem Regen seine Nässe.

Zu sagen, daß die Guten nicht besiegt wurden, weil sie gut, sondern weil sie schwach waren, dazu ist Mut nötig

Natürlich muß die Wahrheit im Kampf mit der Unwahrheit geschrieben werden und sie darf nicht etwas Allgemeines, Hohes, Vieldeutiges sein. Von dieser allgemeinen, hohen, vieldeutigen Art ist ja gerade die Unwahrheit. Wenn von einem gesagt wird, er hat die Wahrheit gesagt, so haben zunächst einige oder viele oder einer etwas anderes gesagt, eine Lüge oder etwas Allgemeines, aber er hat die Wahrheit gesagt, etwas Praktisches, Tatsächliches, Unleugbares, das um was es sich handelte…

Wenig Mut ist dazu nötig, über die Schlechtigkeit der Welt und den Triumph der Roheit im allgemeinen zu klagen und mit dem Triumph des Geistes zu drohen, in einem Teil der Welt, wo dies noch erlaubt ist. Da treten viele auf, als seien Kanonen auf sie gerichtet, während nur Operngläser auf sie gerichtet sind. Sie schreien ihre allgemeinen Forderungen in eine Welt von Freunden harmloser Leute. Sie verlangen eine allgemeine Gerechtigkeit, für die sie niemals etwas getan haben, und eine allgemeine Freiheit, einen Teil von der Beute zu bekommen, die lange mit ihnen geteilt wurde. Sie halten für Wahrheit nur, was schön klingt. Ist die Wahrheit etwas Zahlenmäßiges, Trockenes, Faktisches, etwas, was zu finden Mühe macht und Studium verlangt, dann ist es keine Wahrheit für sie, nichts was sie in Rausch versetzt. Sie haben nur das äußere Gehaben derer, die die Wahrheit sagen. Das Elend mit ihnen ist: sie wissen die Wahrheit nicht.

  2. Die Klugheit, die Wahrheit zu erkennen

Da es schwierig ist, die Wahrheit zu schreiben, weil sie allenthalben unterdrückt wird, scheint es den meisten eine Gesinnungsfrage, ob die Wahrheit geschrieben wird oder nicht. Sie glauben, dazu ist nur Mut nötig Sie vergessen die zweite Schwierigkeit, die der Wahrheitsfindung. Keine Rede kann davon sein, daß es leicht sei, die Wahrheit zu finden.

Zunächst einmal ist es schon nicht leicht, ausfindig zu machen, welche Wahrheit zu sagen sich lohnt. So versinkt z.B. jetzt, sichtbar vor aller Welt, einer der großen zivilisierten Staaten nach dem andern in die äußerste Barbarei. Zudem weiß jeder, daß der innere Krieg, der mit den furchtbarsten Mitteln geführt wird, sich jeden Tag in den äußeren verwandeln kann, der unsern Weltteil vielleicht als einen Trümmerhaufen hinterlassen wird. Das ist zweifellos eine Wahrheit, aber es gibt natürlich noch mehr Wahrheiten. So ist es z. B. nicht unwahr, dass Stühle Sitzflächen haben und der Regen von oben nach unten fällt. Viele Dichter schreiben Wahrheiten dieser Art. Sie gleichen Malern, die die Wände untergehender Schiffe mit Stilleben bedecken.

Unsere erste Schwierigkeit besteht nicht für sie, und doch haben sie ein gutes Gewissen. Unbeirrbar durch die Mächtigen, aber auch durch die Schreie der Vergewaltigten nicht beirrt, pinseln sie ihre Bilder. Das Unsinnige ihrer Handlungsweise erzeugt in ihnen selber einen „tiefen“ Pessimismus, den sie zu guten Preisen verkaufen und der eigentlich eher für andere angesichts dieser Meister und dieser Verkäufe berechtigt wäre. Dabei ist es nicht einmal leicht zu erkennen, daß ihre Wahrheiten solche über Stühle oder den Regen sind, sie klingen für gewöhnlich ganz anders, so wie Wahrheiten über wichtige Dinge. Denn die künstlerische Gestaltung besteht ja gerade darin, einer Sache Wichtigkeit zu verleihen.

Erst bei genauem Hinsehen erkennt man, daß sie nur sagen ein Stuhl ist ein Stuhl und niemand kann etwas dagegen „machen“ daß der Regen nach unten fällt.

Diese Leute finden nicht die Wahrheit, die zu schreiben sich lohnt. Andere wieder beschäftigen sich wirklich mit den dringendsten Aufgaben, fürchten die Machthaber und die Armut nicht, können aber dennoch die Wahrheit nicht finden. Ihnen fehlt es an Kenntnissen. Sie sind voll von altem Aberglauben, von berühmten und in alter Zeit oft schön geformten Vorurteilen. Die Welt ist zu verwickelt für sie, sie kennen nicht die Fakten und sehen nicht die Zusammenhänge. Außer der Gesinnung sind erwerbbare Kenntnisse nötig und erlernbare Methoden. Nötig ist für alle Schreibenden in dieser Zeit der Verwicklungen und der großen Veränderungen eine Kenntnis der  materialistischen Dialektik, der Ökonomie und der Geschichte. Sie ist aus Büchern und durch praktische Anleitung erwerbbar, wenn der nötige Fleiß vorhanden ist.

Man kann viele Wahrheiten aufdecken auf einfachere Weise, Teile der Wahrheit oder Sachbestände, die zum Finden der Wahrheit führen. Wenn man suchen will, ist eine Methode gut, aber man kann auch finden ohne Methode, ja sogar ohne zu suchen. Aber man erreicht, auf so zufällige Art, kaum eine solche Darstellung der Wahrheit, daß die Menschen auf Grund dieser Darstellung wissen, wie sie handeln sollten. Leute, die nur kleine Fakten niederschreiben, sind nicht imstande, die Dinge dieser Welt handhabbar zu machen. Aber die Wahrheit hat nur diesen Zweck, keinen andern. Diese Leute sind der Forderung, die Wahrheit zu schreiben, nicht gewachsen.

Wenn jemand bereit ist die Wahrheit zu schreiben und fähig, sie zu erkennen, bleiben noch drei Schwierigkeiten übrig. 3. Die Kunst, die Wahrheit handhabbar zu machen als eine Waffe

3. Die Kunst, die Wahrheit handhabbar zu machen als eine Waffe

Die Wahrheit muß der Folgerungen wegen gesagt werden, die sich aus ihr für das Verhalten ergeben. Als Beispiel für eine Wahrheit, aus der keine Folgerungen oder falsche Folgerungen gezogen werden können, soll uns die weitverbreitete Auffassung dienen, daß in einigen Ländern schlimme Zustände herrschen, die von der Barbarei herrühren. Nach dieser Auffassung ist der Faschismus eine Welle von Barbarei, die mit Naturgewalt über einige Länder hereingebrochen ist.

Nach dieser Auffassung ist der Faschismus eine neue dritte Macht neben (und über) Kapitalismus und Sozialismus; nicht nur die sozialistische Bewegung, sondern auch der Kapitalismus hätte nach ihr ohne den Faschismus weiter bestehen können usw. Das ist natürlich eine faschistische Behauptung, eine Kapitulation vor dem Faschismus. Der Faschismus ist eine historische Phase, in die der Kapitalismus eingetreten ist, insofern etwas neues und zugleich altes. Der Kapitalismus existiert in den faschistischen Ländern nur noch als Faschismus und der Faschismus kann nur bekämpft werden als Kapitalismus, als nacktester, frechster, erdrückendster und betrügerischster Kapitalismus.

Wie will nun jemand die Wahrheit über den Faschismus sagen, gegen den er ist, wenn er nichts gegen den Kapitalismus sagen will, der ihn hervorbringt? Wie soll da seine Wahrheit praktikabel ausfallen?

Die gegen den Faschismus sind, ohne gegen den Kapitalismus zu sein, die über die Barbarei jammern, die von der Barbarei kommt, gleichen Leuten, die ihren Anteil vom Kalb essen wollen, aber das Kalb soll nicht geschlachtet werden. Sie wollen das Kalb essen, aber das Blut nicht sehen. Sie sind zufriedenzustellen, wenn der Metzger die Hände wäscht, bevor er das Fleisch aufträgt. Sie sind nicht gegen die Besitzverhältnisse, welche die Barbarei erzeugen, nur gegen die Barbarei. Sie erheben ihre Stimme gegen die Barbarei und sie tun das in Ländern, in denen die gleichen Besitzverhältnisse herrschen, wo aber die Metzger noch die Hände waschen, bevor sie das Fleisch auftragen.

Laute Beschuldigungen gegen barbarische Maßnahmen mögen eine kurze Zeit wirken, solange die Zuhörer glauben, in ihren Ländern kämen solche Maßnahmen nicht in Frage. Gewisse Länder sind imstande, ihre Eigentumsverhältnisse noch mit weniger gewalttätig wirkenden Mitteln aufrecht zu erhalten, als andere. Ihnen leistet die Demokratie noch die Dienste, zu welchen andere die Gewalt heranziehen müssen, nämlich die Garantie des Eigentums an Produktionsmitteln. Das Monopol auf die Fabriken, Gruben, Ländereien schafft überall barbarische Zustände; jedoch sind diese weniger sichtbar. Die Barbarei wird sichtbar, sobald das Monopol nur noch durch offene Gewalt geschützt werden kann.

Einige Länder, die es noch nicht nötig haben, der barbarischen Monopole wegen auch noch auf die formellen Garantien des Rechtsstaates, sowie solche Annehmlichkeiten wie Kunst, Philosophie, Literatur zu verzichten, hören besonders gern die Gäste, welche ihre Heimat wegen des Verzichtes auf solche Annehmlichkeiten beschuldigen, da sie davon Vorteile haben in den Kriegen, die erwartet werden. Soll man da sagen, diejenigen hätten die Wahrheit erkannt, die da z.B. laut den unerbittlichen Kampf gegen Deutschland verlangen, „denn dieses ist die wahre Heimat des Bösen in dieser Zeit, die Filiale der Hölle, der Aufenthalt des Antichrist“? Man soll lieber sagen, es sind törichte, hilflose und schädliche Leute. Denn die Folgerung aus diesem Geschwätz ist, daß dieses Land ausgerottet werden soll. Das ganze Land mit allen seinen Menschen, denn das Giftgas sucht nicht die Schuldigen heraus, wenn es tötet.

Der leichtfertige Mensch, der die Wahrheit nicht weiß, drückt sich allgemein, hoch und ungenau aus. Es faselt von „den“ Deutschen, er jammert über „das“ Böse, und der Hörer weiß im besten Fall nicht was tun. Soll er beschließen, kein Deutscher zu sein? Wird die Hölle verschwinden, wenn er gut ist? Auch das Gerede von der Barbarei, die von der Barbarei kommt, ist von dieser Art. Danach kommt die Barbarei von der Barbarei und hört auf durch die Gesittung, die von der Bildung kommt. Das ist alles ganz allgemein ausgedrückt, nicht der Folgerungen für das Handeln wegen und im Grunde niemandem gesagt.

Solche Darstellungen zeigen nur wenige Glieder der Ursachenreihe und stellen bestimmte bewegende Kräfte als unbeherrschbare Kräfte, hin. Solche Darstellungen enthalten viel Dunkel, das die Kräfte verbirgt, welche die Katastrophen bereiten. Etwas Licht, und es treten Menschen in Erscheinung als Verursacher der Katastrophen. Denn wir leben in einer Zeit, wo des Menschen Schicksal der Mensch ist.

Der Faschismus ist keine Naturkatastrophe, welche eben aus der „Natur“ des Menschen begriffen werden kann. Aber selbst bei Naturkatastrophen gibt es Darstellungsweisen, die des Menschen würdig sind, weil sie an all seine Kampfkraft appellieren.

In vielen amerikanischen Zeitschriften könnte man nach einem großen Erdbeben, das Yokohama zerstörte, Photographien sehen, welche ein Trümmerfeld zeigten. Darunter stand „steel stood“ (Stahl blieb stehen) und wirklich, wer auf den ersten Blick nur Ruinen gesehen hatte, bemerkte nun, durch die Unterschrift darauf aufmerksam gemacht, daß einige hohe Gebäude stehen geblieben waren. Unter den Darstellungen, die man von einem Erdbeben geben kann, sind von unvergleichlicher Wichtigkeit diejenigen der Bauingenieure, welche die Verschiebungen des Bodens, die Kraft der Stöße, die sich entwickelnde Hitze usw. berücksichtigen und zu Konstruktionen führen, die dem Beben widerstehen. Wer den Faschismus und den Krieg, die großen Katastrophen, welche keine Naturkatastrophen sind, beschreiben will, muß eine praktikable Wahrheit herstellen. Er muß zeigen, daß dies Katastrophen sind, die den riesigen Menschenmassen der ohne eigene Produktionsmittel Arbeitenden von den Besitzern dieser Mittel bereitet werden.

Wenn man erfolgreich die Wahrheit über schlimme Zustände schreiben will, muß man sie so schreiben, daß ihre vermeidbaren Ursachen erkannt werden können. Wenn die vermeidbaren Ursachen erkannt werden, können die schlimmen Zustände bekämpft werden.

4. Das Urteil, jene auszuwählen, in deren Händen die Wahrheit wirksam wird

Durch die Jahrhunderte langen Gepflogenheiten des Handels mit Geschriebenem auf dem Markt der Meinungen und Schilderungen, dadurch, daß dem Schreibenden die Sorge um das Geschriebene abgenommen wurde, bekam der Schreibende den Eindruck, sein Kunde oder Besteller, der Mittelsmann gebe das Geschriebene an alle weiter. Er dachte: ich spreche, und die hören wollen, hören mich. In Wirklichkeit sprach er; und die zahlen konnten, hörten ihn. Sein Sprechen wurde nicht von allen gehört, und die es hörten, wollten nicht alles hören. Darüber ist viel, wenn auch noch zu wenig gesagt worden; ich will hier nur hervorheben, daß aus dem „Jemandem schreiben“ ein „schreiben“ geworden ist. Die Wahrheit aber kann man nicht eben schreiben; man muß sie durchaus jemandem schreiben, der damit etwas anfangen kann. Die Erkenntnis der Wahrheit ist ein den Schreibern und Lesern gemeinsamer Vorgang. Um Gutes zu sagen, muß man gut hören können und Gutes hören. Die Wahrheit muß mit Berechnung gesagt und mit Berechnung gehört werden. Und es ist für uns Schreibende wichtig, wem wir sie sagen und wer sie uns sagt.

Wir müssen die Wahrheit über die schlimmen Zustände denen sagen, für die die Zustände am schlimmsten sind, und wir müssen sie von ihnen erfahren. Nicht nur die Leute einer bestimmten Gesinnung muß man ansprechen, sondern die Leute, denen diese Gesinnung und Grund ihrer Lage anstünde. Und eure Hörer verwandeln sich fortwährend! Sogar die Henker sind ansprechbar, wenn die Bezahlung für das Hängen nicht mehr einläuft oder die Gefahr zu groß wird. Die bayrischen Bauern waren gegen jeden Umsturz, aber als der Krieg lange genug gedauert hatte und die Söhne nach Hause kamen und keinen Platz mehr auf den Höfen fanden, waren sie für den Umsturz zu gewinnen.

Für die Schreibenden wichtig ist, daß sie den Ton der Wahrheit treffen. Für gewöhnlich hört man da einen sehr sanften, wehleidigen Ton, den von Leuten, die keiner Fliege weh tun können. Wer diesen Ton hört und im Elend ist, wird elender. So sprechen Leute, die vielleicht keine Feinde sind, aber bestimmt keine Mitkämpfer. Die Wahrheit ist etwas Kriegerisches, sie bekämpft nicht nur die Unwahrheit, sondern bestimmte Menschen, die sie verbreiten.

5. Die List, die Wahrheit unter vielen zu verbreiten

Viele, stolz darauf, daß sie den Mut zur Wahrheit haben, glücklich, sie gefunden zu haben, müde vielleicht von der Arbeit, die es kostet, sie in eine handhabbare Form zu bringen, ungeduldig wartend auf das Zugreifen derer, deren Interessen sie verteidigen, halten es nicht für nötig, nun auch noch besondere List bei der Verbreitung der Wahrheit anzuwenden. So kommen sie oft um die ganze Wirkung ihrer Arbeit. Zu allen Zeiten wurde zur Verbreitung der Wahrheit, wenn sie unterdrückt und verhüllt wurde, List angewandt. KONFUTSE fälschte einen alten patriotischen Geschichtskalender. Er veränderte nur gewisse Wörter. Wenn es hieß „Der Herrscher von Kun ließ den Philosophen Wan töten, weil er das und das gesagt hatte“ setzte KONFUTSE statt töten „ermorden“. Hieß es, der Tyrann so und so sei durch ein Attentat umgekommen, setzte er „hingerichtet worden“. Dadurch brach KONFUTSE einer neuen Beurteilung der Geschichte Bahn.

Wer in unserer Zeit statt Volk Bevölkerung und statt Boden Landbesitz sagt unterstützt schon viele Lügen nicht. Er nimmt den Wörtern ihre faule Mystik. Das Wort Volk besagt eine gewisse Einheitlichkeit und deutet auf gemeinsame Interessen hin, sollte also nur benutzt werden, wenn von mehreren Völkern die Rede ist, da höchstens dann eine Gemeinsamkeit der Interessen vorstellbar ist. Die Bevölkerung eines Landstriches hat verschiedene, auch einander entgegengesetzte Interessen, und dies ist eine Wahrheit, die unterdrückt wird. So unterstützt auch, der Boden sagt und die Äcker den Nasen und Augen schildert, indem er von ihrem Erdgeruch und von ihrer Farbe spricht, die Lügen der Herrschenden; denn nicht auf die Fruchtbarkeit des Bodens kommt es an, noch auf die Liebe des Menschen zu ihm, noch auf den Fleiß, sondern hauptsächlich auf den Getreidepreis und den Preis der Arbeit.

Diejenigen, welche die Gewinne aus dem Boden ziehen, sind nicht jene, die aus ihm Getreide ziehen und der Schollengeruch des Bodens ist den Börsen unbekannt. Sie riechen nach anderem. Dagegen ist Landbesitz das richtige Wort; damit kann man weniger betrügen. Für das Wort Disziplin sollte man, wo Unterdrückung herrscht, das Wort Gehorsam wählen, weil Disziplin auch ohne Herrscher möglich ist und dadurch etwas Edleres an sich hat als Gehorsam. Und besser als das Wort Ehre ist das Wort Menschenwürde. Dabei verschwindet der einzelne nicht so leicht aus dem Gesichtsfeld. Weiß man doch, was für ein Gesindel sich heran drängt, die Ehre eines Volkes verteidigen zu dürfen! Und wie verschwenderisch verteilen die Satten Ehre an die welche sie sättigen, selber hungernd. Die List des KONFUTSE ist auch heute noch verwendbar. KONFUTSE ersetzte ungerechtfertige Beurteilungen nationaler, Vorgänge durch gerechtfertigte. Der Engländer THOMAS MORUS beschrieb in einer Utopie ein Land, in dem gerechte Zustände herrschten – es war ein sehr anderes Land, als das Land, in dem er lebte, aber es glich ihm sehr, bis auf die Zustände!

LENIN, von der Polizei des Zaren bedroht, wollte die Ausbeutung und Unterdrückung der Insel Sachalin durch die russische Bourgeoisie schildern. Er setzte Japan statt Russland und Korea statt Sachalin. Die Methoden der japanischen Bourgeoisie erinnerten alle Leser an die der russischen in Sachalin, aber die Schrift wurde nicht verboten, da Japan mit Russland verfeindet war. Vieles was in Deutschland über Deutschland nicht gesagt werden darf, darf über Oesterreich gesagt werden.

Es gibt vielerlei Listen, durch die man den argwöhnischen Staat täuschen kann.

VOLTAIRE bekämpfte den Wunderglauben der Kirche, indem er ein galantes Gedicht über die Jungfrau von Orleans schrieb. Er beschrieb die Wunder, die zweifellos geschehen sein mußten, damit JOHANNA in einer Armee und an einem Hof und unter Mönchen eine Jungfrau blieb.

Durch die Eleganz seines Stils und indem er erotische Abenteuer schilderte, die aus dem üppigen Leben der Herrschenden stammen, verlockte er diese, eine Religion preiszugeben, die ihnen die Mittel für dieses lockere Leben verschaffte. Ja, er schuf so die Möglichkeit, daß seine Arbeiten auf ungesetzlichen Wegen an die gelangten, für die sie bestimmt waren. Die Mächtigen seiner Leser förderten oder duldeten die Verbreitung. Sie gaben so die Polizei preis, die ihnen ihre Vergnügungen verteidigte. Und der große LUKREZ betont ausdrücklich, daß er sich für die Verbreitung des epikuräischen Atheismus viel von der Schönheit seiner Verse verspreche.

Tatsächlich kann ein hohes literarisches Niveau einer Aussage als Schutz dienen. Oft allerdings erweckt es auch Verdacht. Dann kann es sich darum handeln, daß man es absichtlich herabschraubt. Das geschieht z.B., wenn man in der verachteten Form des Kriminalromans an unauffälligen Stellen Schilderungen übler Zustände einschmuggelt. Solche Schilderungen würden einen Kriminalroman durchaus rechtfertigen.

Der große SHAKESPEARE hat aus viel geringeren Erwägungen heraus das Niveau gesenkt, als er die Rede der Mutter KORIOLANs, mit der sie dem gegen die Vaterstadt ziehenden Sohn gegenübertritt, absichtlich kraftlos gestaltete er wollte, daß KORIOLAN nicht durch wirkliche Gründe oder durch eine tiefe Bewegung von seinem Plan abgehalten werden sollte, sondern durch eine gewisse Trägheit, mit der er sich einer alten Gewohnheit hingab. Bei SHAKESPEARE finden wir auch ein Muster listig verbreiteter Wahrheit in der Rede des ANTONIUS an der Leiche des CÄSAR. Unaufhörlich betont er, das CÄSARs Mörder BRUTUS ein ehrenwerter Mann sei, aber er schildert auch seine Tat und die Schilderung dieser Tat ist eindrucksvoller als die ihres Urhebers; der Redner läßt sich so durch die Tatsachen selber besiegen; er verleiht ihnen eine größere Beredtsamkeit selber. JONATHAN SWIFT schlug in einer Broschüre vor, man sollte, damit das Land zu Wohlstand gelange, die Kinder der Armen einpökeln und als Fleisch verkaufen. Er stellte genaue Berechnungen auf, die bewiesen, daß man viel einsparen kann, wenn man vor nichts zurückschreckt.

SWIFT stellte sich dumm. Er verteidigte eine bestimmte, ihm verhaßte Denkungsart mit vielem Feuer und vieler Gründlichkeit in einer Frage, wo ihre ganze Gemeinheit jedermann erkennbar zu Tage trat. Jedermann konnte klüger sein als SWIFT oder wenigstens humaner, besonders der, welcher bisher gewisse Anschauungen nicht auf die Folgerungen untersucht hatte, die sich aus ihnen ergaben.

Die Propaganda für das Denken, auf welchem Gebiet immer sie erfolgt, ist der Sache der Unterdrückten nützlich. Eine solche Propaganda ist sehr nötig. Das Denken gilt unter Regierungen, die der Ausbeutung dienen, als niedrig.

Als niedrig gilt, was für die Niedergehaltenen nützlich ist. Niedrig gilt die ständige Sorge um das Sattwerden; das Verschmähen der Ehren, welche den Verteidigern des Landes, in dem sie hungern, in Aussicht gestellt werden; der Zweifel am Führer, wenn er ins Unglück führt; der Widerwille gegen die Arbeit, die ihren Mann nicht nährt; das Aufbegehren gegen den Zwang zu sinnlosem Verhalten; die Gleichgültigkeit gegen die Familie, der das Interesse nichts mehr nützte. Die Hungernden werden beschimpft als Verfressene, die nichts zu verteidigen haben als Feiglinge, die an ihrem Unterdrücker zweifeln, als solche, die an ihrer eigenen Kraft zweifeln, die Lohn für ihre Arbeit haben wollen, als  Faulpelze  usw. Unter solchen Regierungen gilt das Denken ganz allgemein als niedrig und kommt in Verruf. Es wird nirgends mehr gelehrt und, wo es auftritt, verfolgt.

Dennoch gibt es immer Gebiete, wo man ungestraft auf die Erfolge des Denkens hinweisen kann; das sind diejenigen Gebiete, auf denen die Diktaturen das Denken benötigen. So kann man zum Beispiel die Erfolge des Denkens auf dem Gebiet der Kriegswissenschaft und Technik nachweisen. Auch das Strecken der Wollvorräte durch Organisation und Erfindungen von Ersatzstoffen erfordert Denken. Die Verschlechterung der Nahrungsmittel, die Ausbildung der Jugendlichen für den Krieg, all das erfordert Denken: es kann beschrieben werden. Das Lob des Krieges, des unbedachten Zweckes dieses Denkens, kann listig vermieden werden; so kann das Denken, das aus der Frage kommt, wie man am besten einen Krieg führt, zu der Frage führen, ob dieser Krieg sinnvoll ist und bei der Frage verwendet werden, wie man einen sinnlosen Krieg am besten vermeidet.

Diese Frage kann natürlich schwerlich öffentlich gestellt werden. Kann also das Denken, das man propagiert hat, nicht verwertet, daß heißt eingreifend gestaltet werden? Es kann.

Damit in einer Zeit wie der unsrigen die Unterdrückung, die der Ausbeutung des einen (größeren) Teils der Bevölkerung durch den (kleineren) anderen Teil dient, möglich bleibt, bedarf es einer ganz bestimmten Grundhaltung der Bevölkerung, die sich auf alle Gebiete erstrecken muß. Eine Entdeckung auf dem Gebiet der Zoologie, wie die des Engländers DARWIN konnte der Ausbeutung plötzlich gefährlich werden; dennoch kümmerte sich eine Zeitlang nur die Kirche um sie, während die Polizei noch nichts merkte. Die Forschungen der Physiker haben in den letzten Jahren zu Folgerungen auf dem Gebiet der Logik geführt, die immerhin eine Reihe von Glaubenssätzen die der Unterdrückung dienen, gefährlich werden konnten.

Der preußische Staatsphilosoph HEGEL beschäftigt mit schwierigen Untersuchungen auf dem Gebiete der Logik, lieferte MARX und LENIN, den Klassikern der proletarischen Revolution, Methoden von unschätzbarem Wert. Die Entwicklung der Wissenschaften erfolgt im Zusammenhang aber ungleichmäßig und der Staat ist außerstande, alles im Auge zu behalten. Die Vorkämpfer der Wahrheit können sich Kampfplätze auswählen, die verhältnismäßig unbeobachtet sind. Alles kommt darauf an, daß ein richtiges Denken gelehrt wird, ein Denken, das alle Dinge und Vorgänge nach ihrer vergänglichen und veränderbaren Seite fragt. Die Herrschenden haben eine große Abneigung gegen starke Veränderungen. Sie möchten, daß alles so bleibt, am liebsten tausend Jahre.
Am besten der Mond bleibe stehen und die Sonne liefe nicht weiter! Dann bekäme keiner mehr Hunger und wollte zu Abend essen. Wenn sie geschossen haben, soll der Gegner nicht mehr schießen dürfen, ihr Schuß soll der letzte gewesen sein. Eine Betrachtungsweise, die das Vergängliche besonders hervorhebt, ist ein gutes Mittel, die Unterdrückten zu ermutigen… eh, daß in jedem Ding und in jedem Zustand ein Widerspruch sich meldet und wächst, ist etwas was den Siegern entgegengehalten werden muß. Eine solche Betrachtungsweise (wie der Dialektik, der Lehre vom Fluß der Dinge) kann bei der Untersuchung von Gegenständen eingeübt werden, welche den Herrschenden eine Zeitlang entgehen. Man kann sie in der Biologie oder Chemie anwenden. Aber auch bei der Schilderung der Schicksale einer Familie kann sie eingeübt werden, ohne allzuviel Aufsehen zu erwecken. Die Abhängigkeit jeden Dings von vielen andern; sich ständig ändern, ist ein den Diktaturen gefährlicher Gedanke, und er kann in vielerlei Arten auftreten, ohne der Polizei eine Handhabe zu bieten.

Eine vollständige Schilderung aller Umstände und Prozesse, von denen ein Mann betroffen wird, der einen Tabakladen aufmacht, kann ein harter Schlag gegen die Diktatur sein. Jeder, der ein wenig nachdenkt, wird finden warum. Die Regierungen, welche die Menschenmassen ins Elend führen, müssen vermeiden, daß im Elend an die Regierung gedacht wird. Sie reden viel vom Schicksal. Dieses, nicht sie, ist am Mangel schuld. Wer nach der Ursache des Mangels forscht, wird verhaftet, bevor er auf die Regierung stößt. Aber es ist möglich, im allgemeinen dem Gerede vom Schicksal entgegenzutreten; man kann zeigen, daß dem Menschen sein Schicksal von Menschen bereitet wird.

Dies kann wieder auf vielfache Art geschehen. Es kann zum Beispiel die Geschichte eines Bauernhofes erzählt werden, etwa eines isländischen Bauernhofes. Das ganze Dorf spricht davon, daß auf diesem Hof ein Fluch liegt. Eine Bäuerin hat sich in den Brunnen gestürzt, ein Bauer hat sich aufgehängt. Eines Tages findet eine Heirat statt, der Sohn des Bauern verheiratet sich mit einem Mädchen, das einige Äcker mit in die Ehe bringt. Der Fluch weicht vom Hof. Das Dorf ist sich in der Beurteilung dieser glücklichen Wendung nicht einig. Die einen schreiben sie der sonnigen Natur des jungen Bauern zu, die andern den Äckern, die die junge Bäuerin mitgebracht hat und die den Hof erst lebensfähig machen. Aber selbst in einem Gedicht, das eine Landschaft schildert, kann etwas erreicht werden, nämlich wenn der Natur die von Menschen geschaffenen Dinge einverleibt werden.

Es ist List nötig, damit die Wahrheit verbreitet wird.

Zusammenfassung

Die große Wahrheit unseres Zeitalters (mit deren Erkenntnis noch nicht gedient ist, ohne deren Erkenntnis aber keine andere Wahrheit von Belang gefunden werden kann) ist es, daß unser Erdteil in Barbarei versinkt, weil die Eigentumsverhältnisse an den Produktionsmitteln mit Gewalt festgehalten werden. Was nützt es da, etwas Mutiges zu schreiben, aus dem hervorgeht, daß der Zustand, in den wir versinken, ein barbarischer ist (was wahr ist), wenn nicht klar ist, warum wir in diesen Zustand geraten? Wir müssen sagen, daß gefoltert wird, weil die Eigentumsverhältnisse bleiben sollen. Freilich, wenn wir dies sagen, verlieren wir viele Freunde, die gegen das Foltern sind, weil sie glauben, die Eigentumsverhältnisse könnten auch ohne Foltern aufrechterhalten bleiben (was unwahr ist).

Wir müssen die Wahrheit über die barbarischen Zustände in unserem Land sagen, daß das getan werden kann, was sie zum Verschwinden bringt, nämlich das, wodurch die Eigentumsverhältnisse geändert werden.

Wir müssen es ferner denen sagen, die unter den Eigentumsverhältnissen am meisten leiden, an ihrer Abänderung das meiste Interesse haben, den Arbeitern und denen, die wir ihnen als Bundesgenossen zuführen können, weil sie eigentlich auch kein Eigentum an Produktionsmitteln besitzen, wenn sie auch an den Gewinnen beteiligt sind.

Und wir müssen, fünftens, mit List vorgehen.

Und alle diese fünf Schwierigkeiten müssen wir zu ein- und derselben Zeit lösen, denn wir können die Wahrheit über barbarische Zustände nicht erforschen, ohne an die zu denken, welche darunter leiden und während wir, immerfort jede Anwandlung von Feigheit abschüttelnd, die wahren Zusammenhänge im Hinblick auf die suchen, die bereit sind, ihre Kenntnis zu benützen, müssen wir auch noch daran denken, ihnen die Wahrheit so zu reichen, daß sie eine Waffe in ihren Händen sein kann und zugleich so listig, daß diese Überreichung nicht vom Feind entdeckt und verhindert werden kann.

Soviel wird verlangt, wenn verlangt wird, der Schriftsteller soll die Wahrheit schreiben.

Quelle: Bertolt Brecht, Fünf Schwierigkeiten beim Schreiben der Wahrheit, Paris 1938
Bild: flickr.de cco - via Gewerkschaftsforum.de

Rudolph Bauer: The Great Reset – Der grosse Rückfall. Hygienegemeinschaft – Softtotalitarismus – Überwachungskapitalismus. Rezension

Seit gut anderthalb Jahren plagt uns die Corona-Krise. Gibt ein Heraus? Tut mir leid: es sieht nicht damach aus. Österreich verschärfte die Einschränkungen wieder und will im Februar gar die Impflicht einführen. Und schon quäkt ein deutscher Grünen-Politiker sowie Ministerpräsidenten Kretschmer und Kretschmann: Impflicht wäre auch für die BRD gut. Und die Presse – der deutsche Journalismus war ohnehin auch schon vor Corona schwer auf den Hund gekommen – macht eifrig Stimmung gegen Ungeimpfte und Propaganda für die Impflicht.

Ungeimpfte werden immer mehr unter Druck gesetzt, beschimpft und ausgegrenzt

Doch wird auch Kontra gegeben. Der stellvertretende FDP-Vorsitzende Wolfgang Kubicki nannte Weltärztepräsident Montgomery im Brast den „Saddam Hussein der Ärzteschaft“, weil dieser von einer „Tyrannei der Ungeimpften“ gesprochen hatte. Kubicki entschuldigte sich inzwischen bei dem Radiologen. In Wien gingen am 21. November ca. 100 000 Menschen auf die Straße, um gegen die erneuten Corona-Maßnahmenverschärfungen der österreichischen Bundesregierung sowie die für Februar angekündigte Impflicht zu protestieren.

Als alles mit Corona losging …

Moment, ich muss erst noch den unsichtbaren Gesslerhut grüßen: An Corona können Menschen leichter, durchaus jedoch auch schwer erkranken und ebenfalls daran sterben.

Als es mit Corona begann, schoss mir in den Kopf, was der Finanzexperte und Autor Ernst Wolff – fußend auf seinen Beobachtungen und Recherchen – öfters schon prophezeit hatte: Uns drohe nach der letzten Finanzkrise 2018 abermals eine, dann aber noch verheerendere Finanzkrise – gar ein Finanzcrash, der sich gewaschen habe. Und zwar aufgrund dessen, dass nicht wirklich etwas dafür getan worden sei, künftig so etwas zu verunmöglichen. Dieser Finanzcrash, so befand Wolff, wäre aber dann kaum wieder so abzufangen, wie 2018 durch das Einspringen der Staaten geschehen, weil allein schon die Menschen das nicht noch einmal mitmachen würden.

Die Krise hinterm „Paravant Corona“

So konnte man nach weiteren Recherchen durchaus auf den Gedanken kommen, dass es den Finanzjongleuren und Profiteuren des Finanzkapitalismus (vor den davon ausgehenden Gefahren hatte schon Stepháne Hessel („Empört euch!“) explizit gewarnt) – bereits auf der heißen Herdplatte sitzend – die dank einer Änderung der Definition in 2019 der Ausbruch des Corona-Virus zu einer Pandemie erklärt werden konnte, sehr zu passe kam.

So konnte, meine bescheidene Theorie seinerzeit, sozusagen hinter dem Paravant „Corona“ von der dräuenden Krise abgelenkt und die durch die Maßnahmen hervorgerufenen Verwerfungen auf das Virus geschoben werden.

Als im pad-Verlag eine Broschüre unter dem Titel „Vernunft in Quarantäne. Der Lockdown als Zivilisationsbruch und Politikversagen“ (hier meine Rezension) von Rudolph Bauer erschien, schrieb ich von einer „Publikation, die zur rechten Zeit erscheint“ (…) „gerade recht, um klarer zu sehen“.

Der pad-Verlag seinerzeit dazu:

„Wenn Regierungen und Medien unter Berufung auf virologische Fachidioten Panik schüren, wenn Lockdowns, Maskenpflicht, Testzwang und Impfkampagnen autoritär verordnet werden, wenn ein anmaßender Medizin-Fundamentalismus herrscht, dann werden auf diese Weise zum einen das Politikversagen sowie die Folgen der Privatisierung und Ökonomisierung des Gesundheitswesens überblendet und unsichtbar gemacht. Zum anderen wird vor allem davon abgelenkt, dass das System der als neoliberal kaschierten Profitmaximierung weltweit und in vielen Branchen vor dem Zusammenbruch steht.“

 

Ein Titel, der es in sich hat: „The Great Reset – Der große Rückfall“

Nun hat sich Rudolph Bauer abermals mit einem – wie ich finde – bemerkens- und unbedingt bedenkenswerten Text, wieder vom pad-Verlag herausgebracht, zu Wort gemeldet. Der Titel lautet: „THE GREAT RESET – DER GROSSE RÜCKFALL. Hygienegemeinschaft. Softtotalitarismus und Überwachungskapitalismus“

Der Titel macht sofort neugierig. Und lässt die Synapsen schnalzen. Imaginiert „Reset“ ja zunächst einmal irgendeinen roten Knopf, den man etwa am eigenen Computer betätigt. Das fehlerbehaftetes Gerät wird heruntergefahren und neugestartet – und läuft dann wieder korrekt. Aber da werden wir von den Autoren von „The Great Reset“ hinter die Fichte geführt!

Von Rudoph Bauer werden wir dagegen nicht getäuscht. Er präsentiert uns nämlich eine die Augen öffnende Ent-täuschung! Nämlich mittels des zweiten Teils des Titels der Broschüre ausgelösten Denkanstoßes: „Der große Rückfall“.

Kam das Corona-Virus gerade recht?

Gemeinhin steckt hinter dem „Neustart“, auch „Umbruch“ genannt, ein im Grunde schon Jahrzehnte im Gange befindlicher Rollback (Neoliberalismus etc.), um das alte, dem Kollaps zulaufende System umzutünchen und uns sozusagen ein vermeintlich kommendes Paradies schmackhaft zu machen und nun in Bälde „umzurubeln“. Das nun in die Tat umzusetzen, dafür schien das Auftreten des Corona-Virus wohl offenbar günstig.

Schöne neue Welt“ und Transhumanismus

Manche vermeinen in der dann wohl als schöne neue Welt erscheinen sollenden Gesellschaft (dabei muss man unwillkürlich an Aldous Huxleys Roman „Schöne neue Welt“ denken) gar einen Weltsozialismus erkennen, welcher uns der „Umbruch“ schenkt. Immerhin ist Schwab ja ganz dicke mit der VR China. Ein kommendes System mit toller Vierter Industrieller Revolution. Bis hin zum Gedanken eines in die Tat umgesetzten Transhumanismus (übrigens hat der Halbruder Aldous Huxleys, der Zoologe Julian Huxley, den Begriff „Transhumanismus“ 1957 als erste benutzt). Wo Mensch und Maschine sozusagen verschmelzen. In einem kurzen Abriss der familiären Hintergründe Klaus Schwabs (S.11) erfahren wir u.a., dass er laut Wikipedia als „Befürworter des Transhumanismus“ gilt.

Rückfall in alte Herrschaftsmuster in zeitgemäßer Verpackung

Rudolph Bauer konkretisiert: „Getarnt als digitale, biowissenschaftliche und klimaneutrale Zukunftskulisse bedeutet die damit verbundene transhumanistische Perspektive einen Rückfall in alte Herrschaftsmuster. Ihre zeitgemäße Verpackung verbirgt die alten Eugenik- und Weltherrschaftspläne.“

Wir Leser können vermittels des vorliegenden Textes an eigene Gedanken sowie an die hier erwähnte vorherigen Broschüre Bauers fast übergangslos anknüpfen.

„Im Vordergrund des Nachdenkens“, heißt es in der Einleitung, „über die heutigen Verhältnisse steht seit dem Frühjahr des Jahres 2020 die sogenannte Corona-Krise. Der auf das Virus fixierte Tunnelblick ist einerseits verständlich, andererseits lenkt die Einengung der Sicht auf das Virus und auf die dadurch ausgelöste Erkrankung namens Covid-19 von den viel entscheidenderen und ein für die Zukunft bestimmenden Krisen der Gegenwart ab: von der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise, den gesellschaftlichen Verwerfungen in den meisten Ländern und von der Eskalation der inner- und zwischenstaatlichen Krisen politischer und militärischer Art.“

Geht es nur Gesundheitsschutz?

Dem Gesundheitsschutz, die angeblich zu dessen Behufe erlassenen Beschränkungen und Verbote, liest man, erzählte man uns ja, sollten dem Anliegen dienen, das Gesundheitswesen nicht zu überlasten und Triagen vermeiden helfen.

Bauer: „Das Virus sei deshalb ‚einzudämmen‘, zu ‚bekämpfen‘, ‚auszurotten‘. [Man beachte den militärischen Duktus des als menschenfreundlich angepriesenen Vorhabens.]“

Wir erinnern uns: der französische Präsident Macron sprach sogar von einem Krieg gegen das Virus!

Hiermit kommt Rudolph Bauer meinen frühen Gedanken im vergangenen Jahren nahe (Fettung vom Autor der Broschüre):

In Wahrheit, so meine These, dienen der Hinweis auf die Gefährlichkeit des Virus und die beschlossenen Notstandsmaßnahmen zum freiheitsbeschränkten Verhalten der Bevölkerung nur vordergründig dem Gesundheitsschutz. All dieses lenkt ab von den Megakrisen des aktuellen periodischen Zeitraums.“ (S.7/8)

Dazu passt ein von Rudolph Bauer verwendetes Zitat von Bertolt Brecht, welches dieser 1935 notierte (S.26):

„Die Geschäfte des Kapitalismus sind nun in verschiedenen Ländern (ihre Zahl wächst) ohne Rohheit nicht mehr zu machen. Manche glauben noch, es ginge doch; aber ein Blick in ihre Kontobücher wird sie früher oder später vom Gegenteil überzeugen. Das ist nur eine Zeitfrage.“

Wer in diesen Tagen historische Parallelen zieht wird sogleich schwer beschimpft

Man muss sich nur in den sogenannten sozialen Netzwerken umschauen. Auf Seite 8 der Broschüre lesen wir: „Das Tabu und die Leugnung historischer Parallelen, etwa in Gestalt des „Großen Rückfalls“ in den kaiserlichen Obrigkeitsstaat oder die Nazi-Diktatur, sind hierzulande in ganz besonderer Weise ausgeprägt. Die kategorische Ablehnung von Vergleichen mit der Geschichte ist nicht zuletzt dem nachkriegsdeutschen Erinnerungskult in der Deutschen Demokratischen Republik und der Bundesrepublik geschuldet.“

Und weiter: „Alles, was an die ‚dunkle Vergangenheit‘ erinnert, wird ausgeblendet und entsorgt. Es wird entweder museal und in Gendenkstätten ausgelagert, oder in der Erscheinungsform von Retro-Nazis und rückwärtsgewandten Rechtsextremisten inszeniert und vordergründig ‚bekämpft‘. (Siehe Theaterdonner-‚Sturm auf den Reichstag‘ am 29. August 2020; siehe die Undercover-Rolle von V-Leuten des Verfassungsschutzes, die als Hindernis für ein Parteienverbot durch das Bundesverfassungsgericht gelten.)“

Der Autor kritisiert die einseitige Sichtweise der Geschichtswissenschaft. Die habe Entstehung und Verlauf der Nazi-Herrschaft einseitig am „Führer“ und seiner Entourage und einzelnen NS-Organisationen festgemacht. (S.9)

„Gänzlich unterbelichtet ist der Zusammenhang zwischen den krisenhaften Entwicklungen des politischen, sozialen und wirtschaftlichen Niedergangs und dem Aufstieg der NS-Herrschaft.“

Interessant auch das zur Reaktion auf die Maßnahmen der Regierungen (Fettung vom Autor der Broschüre)

Die gegenwärtigen politischen Herrschaftsmethoden sind – verglichen mit denen des NS-Regimes – zwar weichgespült und sofftotalitär abgeschwächt. Deshalb sind sie sich einer ebenso breiten wie blinden und willigen Zustimmung sicher. Der Regierung gelingt es, Zweifler als ‚egoistisch‘ abzustempeln. Unter Zugriff auf eine vormals politische Kampfparole der Arbeiterbewegung, welche sich der (Klassen-)Solidarität verschrieben hatte, werden Forderungen nach Freiheit und für das Recht auf Selbstbestimmung als ‚unsolidarisch‘ abgewiesen.“ (S.55)

Auf der Rückseite der Broschüre: „Alle reden von Corona, Covid-19, neuen Corona-Varianten und weiteren Corona-Wellen. Indessen nehmen die alten Machthabermethoden auf täuschende Weise neue Gestalt an: der wirtschaftspolitische Korporatismus der Nazi-Ära heißt neudeutsch Governance und ist gleichbedeutend mit dem digitalen Überwachungskapitalismus, die faschistische Volksgemeinschaft kehrt wieder als medizinisch-pharmazeutische Hygienegemeinschaft; der NS-Terror maskiert sich überwiegend als mundnasenvermummter Softtotalitarismus.“

Dazu passt eine Passage unter „Die Pandemie und die Krisen“ (S.8):

„Ein Vergleich mit den krisenbedingten Enwicklungen in den 1920er und -30er Jahren (verbunden mit den Namen des ‚Duce‘ der des ‚Führers‘ oder mit den Diktaturen in Spanien unter Franco, Portugal unter Salazar und Griechenland unter der Militärjunta liegt auf der Hand. Diese historischen Parallelen lösen bei der politisch vielfach desinteressierten oder einseitig informierten Bevölkerung eine kognitive und emotionale Abwehrhaltung aus. Sie erinnert an den Romantitel von Sinclair Lewis (1935/1984): ‚It Can’t Happen Here‘ (‚Das ist bei uns nicht möglich)‘.“

Mag das auch unter Teilen der Leserschaft Widerspruch auslösen – Rudolph Bauer schiebt Folgendes, was er klarsichtig erkannt hat, nicht beiseite:

„Unter der Hand entwickelt sich ein neues Eugenik-Programm, das die ‚Volkskörper‘-Mehrheit der ‚geimpften‘ Hygienegemeinschaft verfassungswidrig privilegiert und einer kritischen oder skeptischen Minderheit die demokratischen Menschen- und Freiheitsrechte verweigert. Unter ‚transhumanistischen‘ Vorzeichen entsteht eine ‚moderne‘ Variante der Bio- und Bevölkerungspolitik, die – aus verständlichen Gründen – ihren faschistischen Ursprung leugnet. (…) Die Leugnung der Gefahren einer neuen Eugenik ist möglich geworden, weil große Teile der Bevölkerung im Sinne kognitiver Dissonanz und gutgläubig nach wie vor von zwei Grundüberzeugungen ausgehen: ‚Das würden uns doch all die Regierungen nicht antun. Wenn doch, würde die Presse es aufdecken.'“

Bauer weist daraufhin, dass Klaus Schwab, Gründer und Vorstandsvorsitzender des World Economic Forum (WEF) und dessen Co-Autor Thierry Malleret in ihrem Buch „The Great Reset“ – zu Deutsch: „Der große Neustart“ oder „Der große Umbruch“ sich gleich im Vorwort auf das Corona-Virus beziehen.

„Es habe, schreiben sie, ‚die bisherige Regierungsführung der Länder, unser Zusammenleben und die Weltwirtschaft als Ganzes gehörig durcheinander gebracht’“.

Keine Branche, kein Wirtschaftszweig würde von den Auswirkungen verschont.

Die Menschen würden spüren, dass die Zeit für einen Paradigmenwechsel gekommen sei.

‚Eine neue Welt wird entstehen‘, zitiert sie Bauer, ‚deren Umrisse wir ersinnen und skizzieren müssen.‘ (S.11)

Rudolph Bauer entschleiert Schwab

Aha, horchen wir als Leserinnen und Leser auf! Schwab wie Malleret (…) „halten das Virus für einen Auslöser der Krisen. Sie verschleiern“, entschleiert Rudolph Bauer uns, „mit ihrer Behauptung die Tatsache, dass die von ihnen erwähnten Krisen nicht dem Virus geschuldet, sondern Folgen eines Systems sind, für dessen Fortsetzung sie sich – allerdings unter den Vorzeichen eines angeblichen Paradigmenwechsels – aussprechen.“

Das Virus (wäre es nicht ausgebrochen, hätte man es m.E. direkt erfinden müssen!) wird also benutzt, um quasi den Kapitalismus, der an seine vielleicht vorläufig äußerste Grenzen gebracht worden ist, zu retten. Aus der Geschichte wissen wir, dass der Kapitalismus sich immer neu erfand. Wobei es diesmal offenbar ernster ist.

Auf der Rückseite der Broschüre: „Für die einen dienen letzterer (die Corona-Notstandsmaßnahmen) der Volksgesundheit. Für die Planer des „Großen Umbruchs“ bilden sie den propagandistischen Flankenschutz für den „Großen Rückfall“: Es werden alte Herrschaftsmuster wieder belebt, damit die imperialistische Globalherrschaft des Kapitals nicht an den elementaren Systemkrisen zerbricht.“

So schreibt dann Rudolph Bauer auch (Fettung vom Autor der Broschüre):

Sie propagieren einen ‚Umbruch‘, der sich sowohl politisch als auch sozial zum Nachteil großer Teile der Weltbevölkerung auswirken wird. Bezeichnender Weise versagen die WEF-Autoren bei der Benennung von Konzepten zur Lösung der gesellschaftlichen und politischen Probleme und Aufgaben. Ihr ausschließliches Ziel ist der Fortbestand der kapitalistischen Strukturen und die weitreichende Privilegierung der herrschaftsprivilegierten Klassen.“ (S.12)

Und weiter (Fettung wiederum von Autor der Broschüre):

In letzter Konsequenz geht es dem World Economic Forum und den beiden Autoren – auch andere „Stakeholdern“ werden von ihnen angesprochen – um eine Art der Krisenbewältigung, die den Kapitalismus als imperiales ökonomisches System strukturell ‚modernisieren‘ und herrschaftspersonell für ewige Zeiten erhalten soll. Gesellschaftlich und politisch sind die WEF-Vorschläge gleichbedeutend mit einem Rückschritt in totalitäre und faschistisch anmutende Verhältnisse. Letztere begannen ‚coronabedingt‘ bereits 2020 länderübergreifend Fuß zu fassen und sich auszubreiten.“ (S.13)

Ein Weg, schwurbeln die WEF-Autoren geradezu, würde uns an diesem Scheideweg in ein integrativere, bessere, gerechtere und umweltfreundlichere Welt führen. So werden sie zitiert: „Der andere würde uns in eine Welt führen, die der Welt ähnelt, die wir gerade verlassen haben – nur schlimmer und ständig von bösen Überraschungen geplagt.“

Bauer: „[Man achte bei der Lektüre auf die rhetorisch beabsichtigte Eingemeindung der so Angesprochenen, wenn von ‚Wir‘ und ‚Uns‘ die Rede ist! Man erliege nicht der simplen Entweder-Oder-Dichotomie der zwei Wege. Als ob nicht auch andere Entwicklungspfade vorstellbar und vor auch wünschenswert sind!]“

Nichts besitzen und glücklich sein

In einem Slogan der Agenda 2030 in Schwabs/Mallerets „Great Reset“ (nicht in der Broschüre erwähnt) heißt es prophetisch: „Im Jahr 2030 werden Sie nichts besitzen und glücklich sein“. Aha! „Sie“? Also „wir“? Und die Reichen und Mächtigen, die sich alljährlich in Davos treffen – werden auch die nichts mehr besitzen? Darüber schweigt des „Sängers“ Höflichkeit.

Alternative Entwicklungswege fehlen nicht

In der Broschüre werden die Leserinnen und Leser erfahren, worum es sich bei Krisen im Allgemeinen und Besonderen handelt. Gedacht für Leser, „die am wissenschaftshistorischen und philosophischen Kontext interessiert sind“, erklärt Bauer.

Des Weiteren sind die Megakrisen in den Bereichen Wirtschaft, Gesellschaft und Politik beschrieben. Andererseits werden „die jeweils eingeschlagenen Lösungswege behandelt.“

Kommt es also, wie es der Autor beschreibt:

„Es zeichnet sich ab, dass ein scheinbar weicher Totalitarismus auf der Massenbasis des Hygienefaschismus in Richtung eines Governance-Systems steuert, welches – unter staatlicher Duldung und Förderung – ökonomisch beherrscht wird von Big Pharma, Big Data und Big Money.“

Keine Bange, lieber Leserinnen und Leser, all das, wie auch die von Klaus Schwab ausgerufene „Vierte industrielle Revolution“ ist, wenn wir es mit Rudolph Bauers Augen betrachten, durchaus korrigierbar sein, bzw. auf andere alternative Geleise umlenkbar sein. Im Schlussabschnitt bekommen wir „zielführende Perspektiven aufgezeigt, die in der Lage zu sein vermögen, aus den gegenwärtigen Krisen, auf anderen Wegen herauszufinden als auf den von Schwab und dem WEF vorgeschlagenen.“

Ein Aufbruch statt des Umbruchs!

Rudolph Bauer lässt seine Broschüre so auslaufen: „Der ‚Great Reset‘ und die ‚Vierte Industrielle Revolution‘ bergen auf eine im Rahmen der Notstands- und Ermächtigungsmaßnahmen sichtbare Weise die Gefahr einer Entwicklung, die wir überwunden zu haben glaubten. Hygienegemeinschaft, Softtotalitarismus und Überwachungskapitalismus konservieren den imperialistischen Kapitalismus, der erneut Krisen hervortreiben wird. Zu fordern und zu gestalten sind deshalb im Interesse einer glücklichen Zukunft der Menschheit: Ein Aufbruch statt des Umbruchs! Demokratische Revolution statt Industrielle Restauration!“ (Fettung vom Autor der Broschüre)

Das erinnert ein wenig an das, was Rainer Mausfeld in „Angst und Macht“ (meine Rezension hier) geschrieben hat:

„Ein wirksames zivilisatorisches Gegenmittel kann nur von unten kommen und muss von unserer Entschlossenheit und unserer unbeirrbaren Überzeugung geleitet sein, dass es keine Form gesellschaftlicher Macht geben darf, die nicht demokratisch legitimiert ist.

Ein Projekt, das die „mit dem Neoliberalismus zum Extrem getriebene soziale Fragmentierung und Atomisierung“ überwinde, müsse „auf der Grundlage eines egalitären Humanismus – also einer Anerkennung aller Menschen als Freie und Gleiche ungeachtet ihrer faktischen Differenzen – Solidarität und Gemeinschaftssinn als Fundamente gesellschaftlichen Handelns zurückzugewinnen.“

„Die kanadische Universitätsprofessorin für Ethik Julie Ponesse wurde fristlos entlassen, weil sie die Ethik medizinischer Zwangsmaßnahmen erläuterte und den Impfstoff ablehnte. Eine Lektion in Mut und Integrität von Professor Dr. Julie Ponesse, Huron College, Western University, Ontario, Kanada.“ (Hier ein Beitrag von tkp)

Kürzlich hielt sie eine Rede. Darin machte sie Mut: Schon 10 Prozent einer Bevölkerung könnte fundamentale Veränderungen einer Gesellschaft herbeiführen. Zehn Prozent sei der Tipping -Point (Wendepunkt). Siehe Video (Englisch) unten.

Also, haben wir etwas Hoffnung, verehrte Leserinnen und Leser.

Fazit

Wieder ein äußerst wichtiger Text von Rudolph Bauer. Darin wird nicht geschwurbelt, wie heute gern gesagt wird, um Kritik zu diffamieren, sondern gesagt was ist. Auch, was sein könnte. Unbedingt zu empfehlen, mit der Bitte die Broschüre weiterzuempfehlen.

Es könnte nicht schaden, wenn auch Politiker zu dieser Broschüre greifen würden. Und Journalisten!!!

Nicht zuletzt ist es der Partei DIE LINKE anzuraten diesen hervorragenden Text – worin kein Blatt vor den Mund genommen wird – zu rezipieren. Schließlich geht es darin um Themen, die einst originär der Linken zum Beackern oblagen. Oder sind die Linken inzwischen schon zu weit auf der woken Welle fortgeschwommen, dass sie finden sich mit dergleichen nicht befassen zu müssen.

Oder ist DIE LINKE, wie eine Vielzahl von Bevölkerungsgruppen, zu tief gefangen in ihrer kognitiven Dissonanz den hier beschriebenen Problemen gegenüber bzw. leiden unter einem Stockholm-Syndrom?

 

Rudolph Bauer: The Great Reset – Der grosse Rückfall. Hygienegemeinschaft – Softtotalitarismus – Überwachungskapitalismus

Erscheinungstermin: Anfang November 2021, ca. 80 Seiten, 6 Euro, Staffelpreis bei Direktbestellung (bei pad-verlag, Am Schlehdorn 6, 59192 Bergkamen, pad-verlag@gmx.net) ab 5 Explaren: 5 Euro pro Expl.

Inhalt

Einleitung: Tunnelblick, Krisen und deutsche Singularität
Krisen aus historischer und wissenschaftlicher Sicht
Die Wirtschafts- und Finanzkrisen
Die Rolle des Corona-Virus
Governance im Überwachungskapitalismus
Gesellschaftliche Verwerfungen
Wen betrifft Covid-19
Die Hygienegemeinschaft als Massenbasis
Politik und Demokratie im Krisenmodus
Das Virus als Ausweg
Das softtotalitäre Corona-Regime
Postskriptum: Großer Aufbruch statt Großer Umbruch
Literaturverzeichnis
Über den Autor

Über den Autor:

Rudolph Bauer ist Politikwissenschaftler, Schriftsteller und Künstler. Er war Professor für Wohlfahrtspolitik und Soziale Dienstleistungen an der Universität Bremen. Geboren 1939 in Amberg/Oberpfalz, studierte er nach dem Abitur u. a. die Fächer Politologie, Soziologie und Philosophie an den Universitäten in München, Erlangen, Frankfurt am Main und Konstanz. Berufliche Erfahrungen sammelte er u. a. als freier Mitarbeiter und Journalist bei Tageszeitungen und Zeitschriften, bei „konkret“ und der Frankfurter Studentenzeitung „Diskus“; als freiberuflicher Sozialforscher in Offenbach/Main; als Forschungsassistent und Vertretungsprofessor an der Universität Gießen; als Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Arbeitsgruppe für das Chinesisch-Deutsche Lexikon am Fremdspracheninstitut Nr. 1 der Universität in Beijing in der VR China; als Fellow in Philanthropy am Institute for Policy Studies der Johns Hopkins University in Baltimore/Mass. in den USA. Bauer ist Autor bzw. Herausgeber einer Vielzahl von wissenschaftlichen Publikationen.

Rudolph Bauer. Foto via Weltnetz.TV
Dr. Julie Ponesse

Empfehlenswerte Dokumentation: 70 Zeitzeugen zu den missachteten Folgen der Corona-Politik

Unsere Gesellschaft war schon vorher gespalten. In Arm und Reich. Oben und Unten. Covid-19 verschärfte die Spaltung noch einmal mehr. Mehrere Jahrzehnte Neoliberalismus haben in der Gesellschaft arge Schäden angerichtet. Bereits vor Corona dräute eine Rezension. Vielleicht gar eine weitere, viele schwerere Finanzkrise als die von 2007/2008, befürchteten Finanzexperten wie Ernst Wolff („Weltmacht IWF“) lange bevor Covid-19 akut wurde. Warum? Weil keine Lehren aus der letzten Finanzkrise gezogen worden sind. Drohte, droht nun bald der absolute Crash des Weltfinanzsystems? Die Corona-Krise dürfte letztlich als ganz willkommene Schuldige für die kommende Wirtschaftskrise mit tausenden Pleiten, hoher Arbeitslosigkeit und einer für einige Zeit in Armut versinkende Gesellschaft hergenommen zu werden. Während das eine Prozent in noch mehr Reichtum schwimmen. Die Neunundneunzig Prozent sind einmal mehr die Verlierer.

Warren Buffet sagte es voraus:

„Es herrscht Klassenkrieg, richtig, aber es ist meine Klasse, die Klasse der Reichen, die Krieg führt, und wir gewinnen“ Quelle: Berühmte Zitate.

Die Corona-Krise wird sozusagen als Deckblatt verwendet werden. Die dahinter verborgene, lange zuvor vorangeschrittene Krise nahm und nimmt das gemeine Volk wohl nicht sofort wahr. Und welche Journalisten werden wirklich recherchieren und danach fragen?

Dann kam das Corona-Virus. Sicher ein nicht ungefährliches, im schlimmsten Falle auch tödliches Virus. Lockdowns folgten, um die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen, um das Gesundheitssystem nicht an seine Grenzen zu bringen. Wobei der Ehrlichkeit halber gesagt werden muss, dass besagtes Gesundheitssystem von der herrschenden Politik schon vorher seinen Grenzen (vor allem betreffs ausreichendes Personal) nahegebracht wurde. Es wurde zusammengespart. Krankenhäuser privatisiert.

Über die gegen das Corona-Virus in Anschlag gebrachten Maßnahmen des der Bundesregierung und der Landesregierungen lässt sich trefflich streiten. Nicht nur darüber wie sie im einzelnen und ob sie dagegen wirkten muss diskutiert werden. Sondern auch über das Hüh und Hott der Landesfürsten (vornweg preschend ein Markus Söder aus Bayern) betreffs der Umsetzung und der Härte sowie der Dauer und Umsetzung der jeweils angeordneten Maßnahmen. Noch dazu ohne die jeweiligen Parlamente, die sich quasi selbst entmachteten.

Inzwischen muss auch darüber diskutiert werden – ohne die jeweiligen Opfer gegeneinander aufzurechnen – ob nicht die Maßnahmen gegen Corona nicht irgendwann mehr Schaden (vor allem wirtschaftlichen und persönlichen durch per Zwang geschlossene Betriebe und bei Selbstständigen, denen die Lebensgrundlage genommen worden ist) anrichten als das Virus selbst. Aber darüber wird kaum oder viel zu wenig geredet. Kollateralschäden?

Meinem Dafürhalten nach haben sich viele Menschen in der Corona-Krise sehr zu ihrem Nachteil verändert. Daran ist nicht nur das Corona-Virus selbst, sondern m.E. die von den Medien fast rund um die Uhr verbreitete Angst und Panik. Der Journalismus in diesen Corona-Tagen versagt schwer: papageienartig wird fast nur Regierungspolitik nachgebetet. Kritische Stimmen betreffs der gegen Corona ergriffenen Maßnahmen kommen – wenn überhaupt – nur vereinzelt oder gar nicht zu Wort.

You Tube – Kanäle, wo das geschieht, werden blockiert oder ganz entfernt. Journalistenverbände schweigen dazu.

Die Stimmung nicht nur in den sogenannten sozialen Medien – aber zuweilen auch die in Geschäften, öffentlichen Verkehrsmitteln und auf der Straße ist vielerorts gereizt. Das erlebe ich selbst nicht nur etwa auf Facebook. Gut, dem könnte man aus dem Wege gehen. Neulich erlebte ich auf einem Stück Straße – wo die Maskenpflicht nicht galt; weshalb ich dort den Mund-Nasen-Schutz absetzte -, dass mich jemand äußerst aggressiv anschnauzte: „Maske auf!“ Als ich mich über die Art und Weise beschwerte drohte der Mann: „Pass mal auf, du findest dich gleich in der Kieferabteilung wieder, du Penner!“

Wie geht es aber nun den Menschen, die hart unter den Corona-Maßnahmen leiden (müssen, denn es ist ihnen ja verordnet; sie haben es de facto mit einem Berufsverbot zu tun)?

Den NachDenkSeiten ist es zu verdanken, dass wir darüber teilweise Erschütterndes in einem Buch erfahren dürfen. Der Herausgeber der NachDenkSeiten, Albrecht Müller, hat auch die Herausgeberschaft dieses Buches mit der zugesandten Leserpost übernommen. Der Titel: „Die im Dunkeln sieht man nicht“. Versammelt sind darin die Stimmen von „70 Zeitzeugen zu den missachteten Folgen der Corona-Politik“. Stimmen, die womöglich andernfalls untergegangen wären. Der Titel der Dokumentation ist Bertold Brechts „Dreigroschenoper“ entlehnt:

„Denn die einen sind im Dunkeln Und die anderen sind im Licht. Und man sieht nur die im Lichte Die im Dunkeln sieht man nicht.“ (Quelle: Berühmte Zitate.)

Ich kann diese in meinen Augen sehr wichtige Dokumentation nur empfehlen. Depressiven Menschen möchte ich aber davon abraten. Sie könnten in ein noch tieferes Loch fallen. Ansonsten rate ich zur Lektüre. Denn Sie, liebe Leser*innen werden Ungeheuerliches erfahren. Persönlich hätte ich nie zuvor gedacht, dass so etwas in unserer Gesellschaft möglich ist. Zumindest vor vielen, vielen Jahren. Vielleicht hätte ich es jedoch mindestens ahnen können. Schließlich wächst in einem mit zunehmendem Alter die – zugegebenermaßen – bittere Erkenntnis, dass das Leben neben vielen schönen Erlebnissen eben auch zuweilen große Ent-täuschungen parat zu halten imstande ist.

Frei heraus: Während der Lektüre der Dokumentation schwankte ich stets zwischen zwei Gefühlen, die große Beherrschung verlangten. Entweder wollte ich in Tränen ausbrechen, oder ihn mir stieg eine sich bis fast zum Äußersten steigernden Wut auf. Am liebste hätte ich dann geschrien: „Mistforken, wir müssen zu den Mistforken greifen!“ Und immer wieder brach die Frage aus mir heraus: Wie können Menschen nur so mit Mitmenschen umgehen? Noch dazu mit den Ältesten in der Gesellschaft, die der Staat vorgibt schützen zu wollen. Und mit den Jüngsten, von denen aus dieser Corona-Zeit Traumata zurückbleiben könnten.

Die Journalistin Susan Bonath sieht gar einen „Weltkrieg ohne scharfe Waffen“, in den wir alle geraten sind (via Facebook):

Eine Pandemie ist das perfekte Unterdrückungsinstrument. Unsichtbare Gefahren wachsen durch ständige Propaganda in den Köpfen zu riesigen Monstern heran. Sind die Monster erst einmal da, spielt es keine Rolle mehr, wie die Propaganda-Zahlen zustande kommen, auf welcher Grundlage sie basieren, ob sie stimmen oder nicht. Die Reaktion der Massen? Ein sich durch sich selbst verstärkendes gesellschaftliches Stockholm-Syndrom. Massenhafte Unterwerfung unter die Knute der Täter, der langjährigen Täter, der Kriegstreiber, Unterdrücker, Despoten, Mörder. Massenpsychologie ist schließlich kein nagelneu entdecktes Lehrfach…

Das Schlimmste ist: Die meisten merken gar nicht, dass das hier nicht nur die Verbreitung eines Virus ist, sondern Krieg. Ein Weltkrieg ohne scharfe Waffen. Aber es ist nichts anderes. Es geht, wie in jedem Krieg, um massenhafte Kapitalvernichtung, um einen Markteroberungszug der neuen Herrschaftsklasse.

Ich spreche von einer NEUEN Herrschaftsklasse, weil die auf Ausbeutung von Lohnarbeit basierende bürgerliche Herrschaft nicht mehr funktioniert. Die technologische Entwicklung ist so weit fortgeschritten, dass sie einen Großteil von uns als Lohnarbeiter gar nicht mehr brauchen. Die unterste Schicht der vollkommen verarmten Arbeitslosen wächst weltweit rasant.

Ihr „Durchfüttern“ kostet aus kapitalistischer Sicht immer immensere Summen.

Die Konkurrenz unter den Kapitalisten geht auch nicht mehr auf. Denn Kapital ist in den letzten Jahrzehnten immer unrentabler geworden.

Ich bin sicher, das ist das Ende der bürgerlichen Herrschaft, und damit auch das Ende ihres gegenwärtig überwiegend praktizierten politischen Überbaus, der parlamentarischen „Demokratie“. Der Ösi würde sagen: Das geht sich schlicht nicht mehr aus.

So es keine Revolution von unten gibt – und die ist aktuell nicht wirklich in Sicht – sind solche von Produktionsbedingungen abhängigen Umstürze immer krass scheiße für die absolute Mehrheit – auch für den Teil der ehemals herrschenden Klasse, der sich nicht rechtzeitig aufmacht, um sich in die Industrien der Zukunft einzukaufen. Wir erinnern uns an einige verarmte Adelsfamilien. Am schlimmsten ist es aber immer für die Ärmsten.

Vor Jahren habe ich mal hier eine Dystopie formuliert: Konzerne der Zukunftsindustrien vereinigen sich zu einem die Weltwirtschaft beherrschenden Monopol. Zu einem Monopol mit vielen Tochterfirmen, die territoriale Manager werden, die Rolle der bisherigen Staatsapparate übernehmen. Die uns digital rundum überwachen, uns Wohlverhaltenspunkte zuteilen und so in lebenswert und lebensunwert unterteilen.

Wie wir gerade erleben, werden dabei dann die meisten mitmachen. Weil die meisten eben „gute Menschen“ sein wollen, die sich wohl verhalten und Rücksicht nehmen. Aus Rücksicht dürften dann vielleicht nicht mehr alle leben, aber nun ja, Gutsein verlangt auch Opfer.

Kurzum: Ich denke, der Kapitalismus ist am Abkacken und wir baden es ganz aktuell mit einem Weltkrieg aus, den die meisten, dank Virusangst, nicht einmal als solchen erkennen.“

Anmerkung Claus Stille: Hart. Aber eine bedenkenswerte Einschätzung, die zum NachDenken anregt.

Einführung und Inhaltsübersicht von „Die im Dunkeln sieht man nicht“

Zur besseren Information über die NachDenkSeiten-Dokumentation geben wir hier sowohl die Inhaltsübersicht als auch die Einführung zu diesem neu erschienenen Buch wieder. Das Buch enthält außer der Einführung 70 Berichte von Zeitzeugen und vier einschlägige Beiträge aus den NachDenkSeiten. Wir haben von Anfang an dazu geraten, bei der politischen Entscheidungsfindung auch die menschlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Folgen der Corona-Entscheidungen zu beachten. Wenn man dies fordert, wird einem oft unterstellt, es gehe nur um Wirtschaft und Profit. Das ist eine böse Fehleinschätzung. Das belegen die Berichte der 70 NachDenkSeiten-Leserinnen und -Leser. Albrecht Müller.

Es folgen Inhaltsübersicht und Einführung. Beides gibt es auch als PDF.

Vorweg noch: Sie bekommen das Buch im Buchhandel oder direkt hier.

Inhalt

I.Einführung7
II.70 Zeitzeugen zu den missachteten Folgen der Corona-Politik12
III.Vier Beiträge aus den NachDenkSeiten, die von Beginn an dazu rieten, die Folgen zu bedenken162
IV.Schlusswort: Die im Dunkeln sollte man endlich auch sehen – und was tun
191

Einführung

Dieses Buch gehört auf den Tisch der über Corona-Maßnahmen entscheidenden Politikerinnen und Politiker und der einschlägigen Wissenschaft. Sie haben im März, im Oktober und November 2020 wenig umsichtig, geradezu engstirnig entschieden. Diese Dokumentation soll deshalb ans Licht holen, was bisher von den Offiziellen der Corona-Politik höchst selten erwähnt und schon gar nicht beachtet wird: Die Corona-Maßnahmen haben für viele Menschen böse, bisweilen sogar tödliche Folgen – nicht nur wirtschaftlich, sondern auch menschlich, seelisch und gesellschaftlich.

In der öffentlichen Debatte um das neue Virus wird vor allem diskutiert, welche gesundheitlichen Gefahren von ihm ausgehen und was die Politik dagegen tun sollte. Als sogenannte Experten werden Fachleute aus dem Bereich der Medizin und der Gesundheitspolitik herangezogen. Ihre Gesichtspunkte, ihr Wissen und ihre Gedanken gehen dann in die politischen Entscheidungen ein.

Weil die Folgen, die Risiken und Nebenwirkungen der Corona-Politik von Anfang an viel zu wenig beachtet wurden, hat die Redaktion der NachDenkSeiten am 22. Oktober 2020 ihre Leserinnen und Leser in einem Aufruf darum gebeten, von ihren Erfahrungen mit der Corona-Politik zu berichten.

Darin hieß es, man müsse die Folgen dieser Politik bei »einflusslosen Kreisen« dokumentieren. Diese Formulierung war bewusst gewählt und sie ist berechtigt. Was die Corona-Maßnahmen bei Menschen anrichten, die nicht im Scheinwerferlicht des öffentlichen Lebens stehen, ist so bemerkenswert wie bedrückend. Besonders betroffen und meist nicht beachtet sind zum Beispiel (in zufälliger Reihenfolge):

  • Kleinkinder, Kinder, Jugendliche: Die Langzeitwirkung der Einschränkungen, die man den jungen Menschen zumutet, wird von den politisch Verantwortlichen weder erkundet noch berücksichtigt.
  • Pflegebedürftige und Menschen in Altenheimen 
  • Psychisch Belastete und Kranke 
  • Künstler, Musiker, Kabarettisten 
  • Einsame Menschen 
  • Inhaber von Kinos und Theatern 
  • Schauspieler 
  • Chorleiter und -sänger 
  • Honorarkräfte in der Erwachsenenbildung 
  • Psychosoziale Fachkräfte 
  • Menschen, die in der Gastronomie arbeiten 
  • Gastwirte, Inhaber von Kneipen und Clubs 
  • Leiter und Teilnehmer von Tanzkursen und Tanzveranstaltungen  
  • Menschen, die sich in ihrer Freizeit kreativ betätigen 
  • Veranstaltungsschaffende 
  • Menschen ohne finanzielle Reserven 
  • Alleinerziehende 
  • Geschiedene ohne Sorgerecht 
  • Menschen, deren Lebensqualität von Nebeneinkommen abhängt 
  • Familien, die in engen Wohnungen hausen müssen 
  • Unternehmen ohne finanzielles Polster 
  • Menschen, die keine Maske tragen dürfen (COPD = chronisch obstruktive pulmonale Dyspnoe, Asthmatiker etc.)
  • Autistische Kinder und deren Eltern 
  • Menschen mit Schulden 
  • Gehörlose und andere Menschen, die kommunikativ auf Mimik und Lippenlesen angewiesen sind 
  • Flüchtlinge und Menschen, die sich um diese kümmern 
  • Angestellte in der Tourismusbranche 
  • Studienanfänger, Azubis, Praktikanten, Abiturienten: Die Berufsfindung wird jungen Leuten aktuell massiv erschwert! Hat das irgendjemand in Berlin im Blick?
  • Usw.

Diese Liste ist lang und dennoch vermutlich nicht einmal annähernd vollständig. Wir begegnen heute überall viel Leid, Traurigkeit und Ausweglosigkeit. Die zu befürchtenden Langzeitfolgen sind noch nicht einmal einbezogen, weil das nur schwer möglich ist. Aber eine ordentliche, eine gute Politik müsste sich auch darüber Gedanken machen.

Unsere Dokumentation soll wenigstens helfen, bei neuen Entscheidungen etwas umsichtiger vorzugehen.

Die NachDenkSeiten hatten die Antworten ihrer Leserinnen und Leser in zwei Dokumentationen – am 26. Oktober und am 12. November – ins Netz gestellt. Da werden spannende und bedrückende Geschichten erzählt.

Ein Leser schlug vor, die Dokumentation der Stimmen jener, die im Dunkeln leben, sollte auch als kleines Buch veröffentlicht werden, damit diese bewegenden Erkenntnisse auch von Menschen gelesen werden können, die den üblichen Zugang zum Netz nicht haben.

Wir haben diesen Vorschlag aufgegriffen. Hier ist die Dokumentation.

Sie enthält in Kapitel II. 70 Berichte und zusätzlich ein Interview des NachDenkSeiten-Redakteurs Jens Berger mit dem DJ Benny Ruess. Im Kapitel III. sind vier Artikel aus den NachDenkSeiten wiedergegeben. Drei davon stammen vom April 2020, einer vom Juni. Schon am 1. April, also eine Woche nach dem Beschluss unserer Regierungen zum Lockdown, hatten wir eindringlich und im Einzelnen auf die ­Folgen der am 22. März beschlossenen Corona-Maßnahmen aufmerksam gemacht. Die politisch entscheidenden Personen in Berlin und in den Landeshauptstädten hätten damals schon wissen können und wissen müssen, dass es nicht nur die medizinischen Belange, sondern auch die gesellschaftlichen und persönlichen Folgen der Corona-Politik gibt.

Noch ein paar Anmerkungen zu den Berichten und deren Darstellung: Die Berichtenden sind mit Klarnamen genannt, wenn sie dem zustimmten. Sie sind anonymisiert oder in Initialen genannt, wenn sie das so wollten.

In der Regel wurden die Berichte wortgetreu übernommen. An manchen Stellen trat eine sanfte redaktionelle Hand hinzu, etwa um allzu grobe Rechtschreibfehler zu korrigieren, die Lesbarkeit zu verbessern und um bisweilen persönliche Beleidigungen zu streichen.

Viele derjenigen, die geschrieben haben, sind offensichtlich sehr aufgewühlt, weil die Corona-Maßnahmen ihr persönliches Leben in bedrückender Weise beeinflussen. Deshalb sind emotionale und teilweise hart kritisierende Reaktionen verständlich. Auch hier haben wir nur diejenigen außen vor gelassen, die beleidigend sind.

Manche Einschätzung, die wir nicht teilen, haben wir stehen lassen. Zum Beispiel halten wir Vergleiche zwischen dem Tragen einer Maske und dem Tragen eines Judensterns für unangemessen, haben aber solche Anmerkungen dennoch in die Dokumentation aufgenommen, wenn der Text ansonsten informativ war.

Schließlich bekamen wir auch Texte, welche trotz oder vielleicht auch wegen all der Mühe, die in sie hineingeflossen sind, einfach zu lang waren und den Umfang des Bandes drastisch erhöht hätten. Um ihn für alle erschwinglich zu halten und weil wir unsere Leserschaft nicht zensieren wollen, mussten wir auch hier schweren Herzens Abstriche machen.

Zum Schluss zur Information und zur Erinnerung: Der Titel Die im Dunkeln sieht man nicht ist der Dreigroschenoper von Bert Brecht entnommen. Das passt auch dem Inhalt nach.

Quelle: Albrecht Müller, NachDenkSeiten

Albrecht Müller

Die im Dunkeln sieht man nicht

70 Zeitzeugen zu den missachteten Folgen der Corona-Politik

Herausgegeben von Albrecht Müller

Seitenzahl:192
Ausstattung:Klappenbroschur
Artikelnummer:9783864893230

Albrecht Müller

Albrecht Müller, 1938 in Heidelberg geboren, ist Diplom-Volkswirt, Bestsellerautor und Publizist. Er ist Herausgeber der NachDenkSeiten. Müller leitete Willy Brandts Wahlkampf 1972 und die Planungsabteilung unter Brandt und Schmidt. Von 1987 bis 1994 war er für die SPD Mitglied des Deutschen Bundestages. Zu seinen veröffentlichten Büchern zählen „Mut zur Wende!“, „Die Reformlüge“ sowie „Machtwahn“. Im Westend Verlag erschienen zuletzt die „Glaube wenig, hinterfrage alles, denke selbst“ (2019) und „Die Revolution ist fällig“ (2020).

Unsichtbares Leid

70 Zeitzeugen berichten von den harten Folgen der Corona-Einschränkungen – vom Logistikarbeiter über die Psychotherapeutin und die alleinerziehende Mutter bis zum Gastwirt, von Eltern betroffener Kinder über einsame Alte bis zur Sängerin, Honorarkräfte, Teilzeitarbeitende, Musiker, Theaterleute, psychisch Kranke. In ihren Berichten wird sichtbar, dass der andauernde Ausnahmezustand viel Leid zur Folge hat. Die uns alle umtreibende Politik muss die menschlichen, sozialen und existenziellen Folgen endlich beachten. Der Buchtitel ist Bert Brecht nachempfunden: „Die im Dunkeln sieht man nicht.“ Dieses Buch soll dazu beitragen, sie sichtbar zu machen.

Quelle: Westend Verlag

Bücherverbrennung – Auch in Dortmund verbrannten die Nazis Bücher: Das Beste, Klügste, Humanste, das deutsche Dichter*innen und Wissenschaftler*innen geschaffen hatten, ging 1933 in Flammen auf

Gedenkplatte auf dem Dortmunder Hansaplatz. Fotos (12): C. Stille

In vielen deutschen Universitätsstädten verbrannten die Nazis im Mai 1933 tausende Bücher aus öffentlichen und privaten Bibliotheken auf öffentlichen Plätzen. Dabei Werke bekannter Autoren wie Erich Kästner, Kurt Tucholsky, Carl von Ossietzky oder Heinrich Mann, darunter viele jüdische Schriftsteller. Am 30. Mai 1933 fand auch in Dortmund eine Bücherverbrennung auf Drängen von Dortmunder Lehrern und dem Lehrerverband mit Unterstützung des Polizeipräsidenten auf dem Hansaplatz statt. „Undeutscher Geist ging in Flammen auf!“ titelte der Dortmunder Generalanzeiger. 50.000 Dortmunder*innen sollen begeistert zugeschaut haben. Eine Veranstaltung mit Lesung an der Gedenkplatte zur Bücherverbrennung, an der

Wißstr./Hansaplatz erinnerte am Donnerstag an diese Nazibarbarei.

Das Beste, Klügste, Humanste, das deutsche Dichter*innen und Wissenschaftler*innen geschaffen hatten, ging 1933 in Flammen auf

Das Beste, Klügste, Humanste, das deutsche und und internationale Kunst und Wissenschaft hervorgebracht hat, ging unter dem Gejohle einer aufgepeitschten Menge in Flammen auf. Zumeist unter diesem Ausruf: „Ich übergebe dem Feuer ….“

Nicht nur Ihre Werke verbrannten, auch Dichter*innen und Wissenschaftler*innen selbst wurden auf vielfältige Art bald Opfer der Hitlerbarbarei.

Heinrich Heine hatte bereits in seiner 1823 veröffentlichten Tragödie „Almansor“ geschrieben: „Dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen.“ Dieses Zitat liest man auch, wenn man von der Wißstraße kommend den Hansaplatz betritt, auf einer im Boden eingelassenen Bronzeplatte. Unmittelbar vor den dort gepflanzten kleinen Bäumen die dort sozusagen Spalier stehen. Da versammelten sich am späten Donnerstagnachmittag zirka hundert Menschen zu einer Gedenkveranstaltung.

Ein zusammen mit Dortmunder Schüler*innen in einem Workshop erstelltes „Brandbanner“ wurde zwischen den Bäumen ausgerollt. Die Schüler*innen gestalteten mit es mit den Brandecken. Auf dem Banner haben die Schüler*innen jeweils in ihrer eigenen Schrift Namen von Autoren und Wissenschaftlern aufgebracht, die sie kannten und deren Werke von den Nazis 1933 dem Feuer übergeben worden waren.

Ula Richter: „2020 ist ein alles Leben vernichtender großer Krieg so nah wie nie.“

Schauspielerin Tirzah Haase

Schauspielerin Tirzah Haase las das Gedicht „Das letzte Kapitel“, geschrieben von Erich Kästner im Jahre 1930 (!) Welche Weitsicht! Hier ein Ausschnitt:

„Am zwölften Juli des Jahres 2003
lief folgender Funkspruch rund um die Erde:
daß ein Bombengeschwader der Luftpolizei
die gesamte Menschheit ausrotten werde.

Die Weltregierung, so wurde erklärt, stelle fest,
daß der Plan, endgültig Frieden zu stiften,
sich gar nicht anders verwirklichen läßt,
als alle Beteiligten zu vergiften. (…)“

Ula Richter (BdgR (Bündnis Dortmund gegen Rechts) gab dazu zu bedenken: „Das Jahr 2003, das Jahr der Vernichtung, das Kästner beschreibt, haben

Ula Richter (BdgR (Bündnis Dortmund gegen Rechts).

wir zwar überlebt. Aber 2020 ist ein alles Leben vernichtender großer Krieg so nah wie nie.“ Und Ula Richter weiter mit Bertold Brecht („Gedächtnis der Menschheit“): „Wenn wir den Kriegstreibern nicht die Hände zerschlagen werden.“

Ula Richter: „Wir gemeinsam – nie wieder Faschismus. Nein zum Krieg!“

Richter erinnerte daran, dass sich viele deren Werke damals auf dem Hansaplatz verbrannt wurden auch selbst das Leben nahmen, „weil deren Situation so dramatisch so hoffnungslos war, dass viele daran zerbrachen“.

Ula Richter: „Wenig später brannten die Krematorien, Millionen Menschen fielen dem Völkermord und dem Vernichtungskrieg der Hitlerfaschisten zum Opfer.“

Mit der Veranstaltung wolle man „gleichzeitig die Kultur hochhalten, gegen Tendenzen der Vorrohung des wieder erstarkenden Rassismus, Antisemitismus, Antikommunismus und der Gegenaufklärung“. Richter: „Wir gemeinsam – nie wieder Faschismus. Nein zum Krieg!“

Erinnerung an von den Nazis verfolgte Dortmunder Künstler*innen

Zu Beginn der Lesung wurde stellvertretend für viele andere an einige von Nazis verfolgte, fortschrittliche Dortmunder Künstler*innen erinnert: Hans Tombrock, Maler und Vagabund, Paul Polte, Arbeiterdichter. Bernd Temming, Grafiker sowie Charlotte Temming, Schriftstellerin.

Werke in der Nazizeit verfolgter deutscher Schriftsteller wurden zu Gehör gebracht

Erinnert wurde an den Schriftsteller Ernst Toller, der sich im Exil das Leben nahm. Der Schauspieler Weißert las aus Tollers „Das Schwalbenbuch“.

Ebenso an die Autorin Else Lasker-Schüler. Sie wurde gelesen von Tirzah Haase.

Was Bert Brecht über Oskar Maria Graf, der an die Nazis gerichtet, geschrieben hatte „Verbrennt mich!“ schuf, trug Andreas Weißert vor.

„Und ob sie mich erschlügen. Sich fügen heißt lügen“, bekannte der Erich Mühsam, Dramatiker, Pazifist und Anarchist. Sein Lied vom „Revoluzzer“ wurde vorgetragen von Tirzah Haase.

Andreas Weißert wiederum trug „Aussage eine Nationalsozialisten vor Gericht“ (1930) vor.

Ebenso kam zum Vortrag Gertrud Kolmars („Nachruf“).

Tief berührender Vortrag „Walter Mehring in memoriam Silvester 40/41 von Andreas Weißert: „Der beste Jahrgang deutscher Reben ließ vor der Ernte so sein Leben“

Schauspieler Andreas Weißert.

Der Höhepunkt der Veranstaltung war gleichzeitig deren nachdenklich stimmender, tief traurig stimmender Abschluss: Andreas Weißerts Interpretation „Walter Mehring in memoriam Silvester 40/41“ (darin denkt Walter Mehring an seine toten Freunde). Im Text des Schriftstellers und Satirikers Franz Mehring heißt es: „Der beste Jahrgang deutscher Reben ließ vor der Ernte so sein Leben“, heißt es da.

Ein wohl alle Anwesenden tief berührender, äußerst markant und eindrücklich von Andreas Weißert vorgelesener Text, welcher kurz hörbar auch an dem gestandenen Schauspieler selber nicht spurlos vorbeiging. Ein längerer Beifall folgte.

Ula Richter: „Da haben wir heute Kultur auf die Straße getragen. Kultur, die so wichtig ist, besonders in unserer Zeit, wo vieles hochkommt, wovon wir nicht gedacht hätten, dass es wieder einmal sein Kopf erhebt“

Resümierend brachte Ula Richter auf den Punkt. „Da haben wir heute Kultur auf die Straße getragen. Kultur, die so wichtig ist, besonders in unserer Zeit, wo vieles hochkommt, wovon wir nicht gedacht hätten, dass es wieder einmal sein Kopf erhebt. Kultur an einem Ort, wo vor 86 Jahren diese Schandtat

Bernd Rosenberg (Akkordeon) und David Oriewsky (Geige).

 

passierte. Kultur, die wir lebendig halten wollen.“

Die dem Thema angemessenen musikalischen Parts zwischen den gelesenen Beitragen waren großartig von den einfühlsamen Musikern David Oriewsky (Geige) und Bernd Rosenberg (Akkordeon) ausgeführt worden. Sie waren dankenswerterweise kurzfristig für den verhinderten Peter Sturm eingesprungen. Die Biografien wurden von Doris Borowski gesprochen.

Getragen wurde die Veranstaltung von BDgR, VVN/BdA Dortmund, DKP Dortmund sowie dem Dortmunder Friedensforum.

 

 

Weitere Bilder von der Veranstaltung in Dortmund und ein Video zur Bücherverbrennung in Berlin

David Oriewsky.

Bernd Rosenberg.

Soeben bei Westend erschienen: Krieg nach innen, Krieg nach außen – und die Intellektuellen als „Stützen der Gesellschaft“?

Mit gutgemeinten Wünschen gehen wir nun gemeinsam ins neue Jahr 2020. Werden nun abermals Goldene Zwanziger Jahre anbrechen – wie schon einmal? Wobei wir freilich wissen sollten, dass diese Jahre so golden wiederum – schon gar nicht für alle – waren. Wir werden sehen.

Kein gutes Zeichen m.E. ist die Tatsache, dass 2020 (…) „19 NATO-Mitgliedsländer die Militärübung „Defender 2020“, abgekürzt: DEF 20“ abhalten. „Die Führung dieses Manövers übernehmen die USA, die dazu insgesamt 37.000 Soldaten abstellen wollen. Davon sind 17.000 bereits in Europa stationiert. Der Rest wird zusammen mit zusätzlichen Panzern und anderem Gerät aus Nordamerika eingeflogen und eingeschifft, wie die US-Streitkräfte in Europa gestern bekannt gaben. Mit 20.000 Mann wären das so viele, wie seit einem Vierteljahrhundert nicht mehr für eine einzelne Militärübung über den Atlantik gebracht wurden“, schreibt Peter Mühlbauer auf Telepolis.

Die Welt steht zwei Minuten vor Mitternacht, also kurz vor der Apokalypse

Dass der Adressat dieses Manövers Russland ist und für Moskau mit Sicherheit und verständlicherweise eine Provokation bedeuten muss ist klar. Freilich muss nicht gleich vom Schlimmsten ausgegangen werden. Doch zu bedenken gilt aber – wenn man es uns auch in Geschichts- und anderen Büchern so darlegt: Kriege brechen nicht einfach so aus. Auch schlafwandelt man nicht einfach so in sie hinein, wie es der australische Historiker Christopher Clark in seinem Sachbuch „Die Schlafwandler“ darstellt. Kriege werden in der Regel geplant. Das Schlimme: Wie ein Krieg ausgeht, ist nicht zu planen. Kriege entwickeln bekanntlich eigne Dynamiken. Fakt ist, so sagt es das „Bulletin of the Atomic Scientists“ 2018 aus und die „Doomsday Clock“ (Weltuntergangsuhr) – sie besteht seit 1947 – erneut vorgestellt: „Damit steht die Welt zwei Minuten vor Mitternacht, also kurz vor der Apokalypse.“ Darauf verweist das soeben im Westend Verlag erschienene Buch „Der kritische Wegweise der Psychologie“, herausgeben von Klaus-Jürgen Bruder, Christoph Bialluch und Jürgen Günther.

Der Hintergrund des Buches

Im Vorwort des Buches heißt es zur Erklärung nach dem Warum dieses Buches: „Mit dem Symposium „Trommeln für den Krieg“ 201 und dem Kongress „Krieg um die Köpfe2 2015 hat sich die NGfP (Neue Gesellschaft für Psychologie; C.S.) eingehend mit den institutionellen und psychologischen Vorbereitungen auf Kriege und die Rechtfertigung von Kriegen aus angeblicher Verantwortung heraus, beschäftigt. Wir wollen erneut die von der Mehrheit der Bundestagsabgeordneten angemahnte stärkere Beteiligung Deutschlands ans Kriegseinsätzen, die ausgeweitete deutsche Waffenproduktion und die zunehmenden Feind-Erklärungen nach außen und nach innen thematisieren und in ihren Zusammenhängen, ihren Ursachen und Auswirkungen, verstehen.“

Es gehe doch, heißt es, letztlich um „die Zementierung der bestehenden Macht- und Reichtumsverhältnisse“. Dafür werde „das innenpolitische Klima mit allen Mitteln nach rechts gerückt, soziale Sicherheiten abgebaut, Kontrollen der staatlichen Apparate über Bord geworfen, wird ein Klima des Verdachts und des Misstrauens untereinander geschaffen“.

Hingewiesen wird auf den bedenklichen Zustand unserer Gesellschaft. Darauf, dass die Schere zwischen arm und reich immer weiter auseinandergeht, es an der Teilhabe an Bildung und Arbeit fehlt, die Löhne „weiterhin eingefroren“ und die Arbeitsplätze prekär seien.

Des Weiteren werden Bedenken geäußert, die beileibe nicht aus der Luft gegriffen sind (S.11): „Die neuen Gesetze aus Bayern – sie werden vermutlich in den Bund exportiert -, das Polizeigesetz und das Psychiatriegesetz, muss uns als Psychologen und Psychotherapeuten beschäftigen.“

Schon Bert Brecht fragte nach der Verantwortung der Intellektuellen

Und es geht um „Die Verantwortung der Intellektuellen“, heißt es auf der folgenden Seite, „also unsere Verantwortung?“

Von den Mächtigen werde den Intellektuellen zugemutet, „sie von ihren Verbrechen reinzuwaschen, die diese sich auf Kosten der Bevölkerung geleistet haben oder vorhaben.“

Und weiter: „Wenn die Intellektuellen diese Aufgabe übernehmen, so nicht ohne sie zugleich zu verleugnen, denn sie verletzt ihr Selbstbild des von der Macht unabhängigen nur der Wahrheit verpflichteten Vernunftbürgers.“

Die Herausgeber erinnern an Bert Brecht und dessen Auseinandersetzung mit der Figur des Intellektuellen in zwei seiner Stücke: „Leben des Galilei (1939) und „Turandot oder der Kongress der Weißwäscher (1953/54).

Es wird gefragt: „Müssen wir uns als Psychologen nicht den Vorwurf gefallen lassen, den Subjekten noch bei ihrer Anpassung an im Grunde unmenschliche Zustände zu helfen, sie im Sinn der herrschenden Verhältnisse zu subjektivieren und gegebenenfalls zu pathologisieren?“

Sowie wird daran erinnert: „Die Intervention der NgfP von 2014 in die Kampagne der Bundeswehr und der Bundespsychotherapeutenkammer, deren Ziel es war, die Psychotherapeuten in die Kriegsvorbereitung einzuspannen, hat mit ihrer begrenzten Wirkung gezeigt, wie weit das Bewusstsein dieser Gruppe der Intellektuellen von der Wahrnehmung der Bedrohung entfernt ist.“

Die im Buch versammelten Beiträge von den Teilnehmer*innen des Kongresses sind hochinteressant und geeignet, sich selbst ins Bild zu setzen und mit anderen Menschen darüber zu diskutieren.

Die Leser*innen erwarten in dieser umfangreichen Sammlung gehaltvolle Beiträge von Norman Paech, Susanne Schade und David Lynch, Werner Ruf, Werner Rügemer, Katharina Stalhlmann und vielen anderen.

Stützen der Gesellschaft“

Hochinteressant und kennzeichnend ist bereit der erste Beitrag (ab s.14) im Buch: „Stützen der Gesellschaft“ – Die Position der Intellektuellen im Diskurs mit der Macht.

Da geht Bruder auf die jüngsten Entwicklungen in Venezuela ein, wo „der Putschist als Staatsmann herumgereicht“ worden ist. Bruder verweist auf den Völkerrechtler Norman Paech: „Dem beabsichtigten Völkerrechtsbruch geht die Zerstörung der Demokratie im Inneren voraus. Den ‚Rückfall in die koloniale Praxis‘ kann sich nur eine Kolonialmacht leisten, beziehungsweise eine, die diesen Status anstrebt und auch innenpolitisch vorbereitet.“

Dies Krieg seien nur möglich, so Bruder, „wenn dem Krieg nach außen ein Krieg im Inneren sekundiert. Wenn die Straßen nach Osten Panzerfest gemacht werden, wenn der Transport von Kriegsmaterial Vorfahrt vor dem zivilen bekommt, sind die Verspätungen bei der Bahn, Staus auf den Autobahnen also Kriegstribute auf Kosten Bevölkerung (IMI-Analyse, 1/2019).“ Hier nachzulesen.

„Stützen unserer Gesellschaft – diese Bezeichnung“, erklärt Klaus-Jürgen Bruder auf S.15 unten, „haben wir von einem Bild von George Grosz (1893-1959) übernommen.“

Welches der Autor erklärt. In der Schwarzweißabbildung allerdings etwas schwer zu erkennen. Hier ist es besser zu sehen und ausführlich beschreiben.

Grosz, so Bruder, habe „mit diesem Bild der Weimarer Republik den Spiegel vorgehalten: Die Stützen der Gesellschaft sind die des alten Regimes.“

Unsere wichtigsten Intellektuellen“?

Und wie schaut es heute aus?

Da bildet Bruder „Unsere wichtigsten Intellektuellen“, erschienen zum 1. Mai 2006 in der Zeitschrift „Cicero“ ab.

Zur Abbildung schreibt Bruder: „Die Intellektuellen selbst verstehen sich ja gerne als kritische Mahner ihrer Zeitgenossen, als Gewissen der Gesellschaft:“

Wen sehen wir da als „Unsere wichtigsten Intellektuellen“? Hans-Werner Sinn, Hans-Magnus Enzensberger, Martin Walser, Jürgen Habermas, Peter Handke, Alice Schwarzer, Thilo Sarrazin, Peter Sloterdijk, Stefan Aust und Elfriede Jelinek.

Bei dem einen oder anderen Namen dürften meine Leser*innen mit Kopf schütteln.

Ausgerechnet die Medien!“

Klaus-Jürgen Bruder fragt: „Wie ist diese Liste zustande gekommen?“ Und führt aus: „Die Grundlage bilden die 160 wichtigsten deutschsprachigen Zeitungen und Zeitschriften. Aus diesen wird erhoben, wie häufig auf die einzelnen Personen Bezug genommen wird. Sodann werden in einer Internetrecherche deren Zitate erfasst und Treffer in der wissenschaftlichen Literaturdatenbank ‚Google Scholar‘ gezählt. Schließlich wird ihre Vernetzung anhand von Querverweisen im biografischen Archiv Munzinger festgestellt.“ Aha!

Vielleicht fragt daraufhin Bruder nicht zu unrecht: „Wird damit – mit dieser Methode der Erhebung der ‚wichtigsten Intellektuellen‘ Deutschlands nicht gerade ihre Rolle (Funktion) als Stützen der Gesellschaft bestätigt? Die Intellektuellen als diejenigen, die die Medien uns als solche präsentieren?“

Und wenige Zeilen weiter trifft der Autor den Nagel auf den Kopf: „Ausgerechnet die Medien! – jene „Vierte Gewalt“, deren Gewalt (Macht) darin besteht, dass sie die Ideen der Herrschenden zu herrschenden Ideen macht – und dafür sorgen, dass diese es bleiben.“

Wenn Intellektuelle zu aalglatten Opportunisten werden

Apropos Hans-Magnus Enzensberger. Im Kapitel „Die Medienintellektuellen und der Kreuzzug gegen die Aufklärung und die konkrete Utopie“ merkt Michael Schneider auf Seite 32 – nachdem er an den das Willy Brandt-Wort „Frieden ist nicht alles, aber ohne Frieden ist alles nichts“, welches wiederum auf dem Konsens „Nie wieder Krieg!“ beruhte, erinnert hat, an: „Doch mit dem Zweiten Golfkrieg von 1991 wurde dieser Konsens zu ersten Mal schwer erschüttert. Im Trommelfeuer US-amerikanischer Kriegspropaganda transformierten sich smarte, wortgewandte Intellektuelle, Künstler und Wissenschaftler zu aalglatten Opportunisten und Bellizisten. Allen voran Hans-Magnus Enzensberger, der – getreu der CIA-Sprachregelung – in Saddam Hussein einen ‚Widergänger Hitlers‘ sah, und die deutsche Friedensbewegung der Appeasement-Politik beschuldigte.“ Ins gleiche Horn habe damals Wolf Biermann getutet, schreibt Schneider zu Biermann, den, wie ich finde, der Bildhauer Alfrede Hrdlicka seinerzeit in einem Offenen Brief zurief: „Arschloch!“ – „Verbrecher“ – DU bist ein Arschkriecher – ein Trottel!“

Später habe auch der NATO-Krieg gegen Jugoslawien, den Joschka Fischer damals gerecht nannte, weil der neues Auschwitz verhindere, in Enzensberger einen Befürworter gefunden. Enzensberger hat noch öfters derartige Volten geschlagen, ohne dass es ihm schadete. Schneider nennt auch andere deutsche und französische Intellektuelle wie André Glucksmann, Alain Finkielkraut und Bernard-Henri Lévy, die sich ähnlich bellezistisch äußerten.

Schneider dazu (S.33): „Statt öffentlich darüber zu räsonieren, warum sich Kriege nun mal nicht vermeiden lassen – stünde es Intellektuellen und Wissenschaftlern nicht viel besser an, öffentlich darüber nachzudenken, wie und unter welchen Umständen sich Kriege vielleicht doch vermeiden ließen?“

Das Buch ist in vier Hauptkapitel unterteilt. Jedes für sich kann im Wesentlichen mit Gewinn gelesen werden:

Eine neue reaktionäre Hegemonie“ (S.39). Für mich ragten darin besonders Susanne Schade und David Lynch mit ihrem Beitrag „Blasphemie in Michel Houllebecqs Roman „Unterwerfung“ – Eine linguistische und psychoanalytische Interpretation“ (S. 81) heraus.

In „Intellektuelle als freie Radikale“ (S.119) möchte ich besonders herausheben: Kurt Gritsch: „Gegen Krieg und Propagandasprache – Peter Handkes „Gerechtigkeit für Serbien“ im Kontext seiner Journalismuskritik (S.132).

In „Die Verantwortung von Intellektuellen in der Wissenschaft“ (S.187) war ich besonders gefesselt von Werner Ruf: „Die Domestizierung der Friedensforschung“ – Paradigma für die neoliberale Gleichschaltung der Wissenschaft?“ (S.189).

Interessant aber auch: Ansgar Schneider: „Wissenschaft, Medien und der 11. September“ (S.213)

Das Kapitel „Nicht ohne Umwälzung der Verhältnisse“ (S.255) zog mich besonders in Bann mit Fabian Scheidler „Ausstieg aus der Megamaschine. Warum sozialökologischer Wandel nicht ohne eine Veränderung der Tiefenstrukturen unserer Wirtschaft zu haben ist (S.287).

Auch wäre aus meiner Perspektive zu nennen: Werner Rügemer mit seinem Beitrag „Aus der Defensive gegen das Kapital. Gründung und Vorgehen der Aktion gegen Arbeitsunrecht (S.306)

In „Psychotherapie und Gesellschaft“ weckten beide Unterkapitel Katharina Stahlmann: „Das Gesellschaftliche am individuellen Leiden – Das Politische an Psychotherapie – Die politische Verantwortung von Psychotherapeut*innen“ (S.319) und Falk Sickmann. „Ethik und Psychoanalyse – Normierende Effekte in der psychoanalytischen Kur“ (S.334) näheres Interesse bei mir.

Andere Leser*innen werden sich gewiss an anderen Texten festlesen und diese Beiträge favorisieren.

Ein wichtiges Buch hinsichtlich der Vergewisserung der darin versammelten Autor*innen, der Intellektuellen betreffs deren Verantwortung angesichts der immer mehr ausgeweiteten Kriege und ihrer politischen Rechtfertigung.

Uns Leser mahnt dieses Buch genau hinzuschauen und hinzuhören, was uns nicht nur Politiker, sondern auch bestimmte Intellektuelle – agierend als „Stützen der Gesellschaft“ – beibiegen oder schönreden wollen. Erinnern wir uns der eingangs erwähnten Weltuntergangsuhr, die auf zwei Minuten vor Mitternacht gestellt worden ist. Und der damit einhergehenden Gefahr eines wieder für führbar (mit kleineren, modernisierten, Atombomben) gehaltenen Atomkriegs.

Die Bezeichnung, der Stempel – besonders, wenn von den Medien ausgeteilt – „Intellektuelle“ sollte uns nicht dazu verleiten das von ihnen Verlautbarte unhinterfragt und blindlings zu glauben. Diesbezüglich dürfte auch Albrecht Müllers Buch im Westend Verlag gewordener Hinweis „Glaube wenig, hinterfrage alles, denke selbst“ hilfreich anzuwenden sein.

Der kritische Wegweiser der Psychologie

Die hier versammelten AutorInnen fragen nach der Verantwortung der Intellektuellen angesichts der immer mehr ausgeweiteten Kriege und ihrer politischen Rechtfertigung. Sie thematisieren die zunehmende und stärkere Beteiligung Deutschlands an Kriegseinsätzen, die ausgeweitete deutsche Waffenproduktion und bieten Ansätze, diese in ihren Zusammenhängen, ihren Ursachen und Auswirkungen zu verstehen. Mit Beiträgen von: Norman Paech, Susanne Schade und David Lynch, Werner Ruf, Werner Rügemer, Katharina Stahlmann und vielen anderen.

 

Klaus-Jürgen Bruder, Christoph Bialluch, Jürgen Günther

Krieg nach innen, Krieg nach außen

und die Intellektuellen als „Stützen der Gesellschaft“?

Herausgegeben von Klaus-Jürgen Bruder, Herausgegeben von Christoph Bialluch, Herausgegeben von Jürgen Günther

Erscheinungstermin: 201912
Seitenzahl: 350
Ausstattung: Klappenbroschur
Artikelnummer: 9783864892905

28,00 Euro

Blumen für Stukenbrock: Gedenken für von den Nazis zu Tode gequälte sowjetische Kriegsgefangene. Tief bewegende Rede des Schauspielers Rolf Becker

Auch in diesem Jahr führte der Arbeitskreis „Blumen für Stukenbrock“ eine Gedenkveranstaltung für die 65 000 in Stukenbrock von den Nazis zu Tode gequälten sowjetischen Kriegsgefangenen durch. Der Arbeitskreis möchte damit die Erinnerung an das Kriegsgefangenenlager für sowjetische Kriegsgefangene – Stalag 326 – wachhalten. Und so dazu beitragen, dass der Friede zwischen den Menschen und den Völkern erhalten bleibt. Der Mord an den sowjetischen Kriegsgefangenen war systematisch organisiert worden. Deren einzelnen Grabstätten und die Massengräber des sowjetischen Soldatenfriedhofs zeugen von dem unvorstellbaren Verbrechen, das die Wehrmacht an den Kriegsgefangenen verübte.

Dortmunder Gruppe nahm am Gedenken „Blumen für Stukenbrock“ teil

Auch aus Dortmund, organisiert vom , Förderverein der Gedenkstätte Steinwache-Internationales Rombergpark-Komitee e.V.

nahm abermals eine Gruppe am Gedenken „Blumen für Stuckenbrock“

Die Dortmunder Besuchsgruppe am Obelisken. Fotos: C. Stille

teil.

Zunächst besichtigte die Gruppe die Hinterlassenschaften des Stalag 326. Sie befinden sich auf dem Gelände des Landesamtes für Ausbildung, Fortbildung und Personalangelegenheiten der Polizei (LAFP) in Schloss Holte-Stukenbrock befindende Stalag 326. Dort erhielten sie eine zur Orientierung dienende kurze Führung von der Ehrenamtlichen Hilla Westerhelweg vom Bus aus. Am meisten dürfte den Menschen die „Entlausung“, eine graues barackenartiges Steingebäude ,wohin man die eintreffenden Kriegsgefangenen zunächst brachte, in Erinnerung geblieben sein. Nachdenklich machend auch ein tonnenschwerer Eisenklumpen vor dem Gebäude. Der soll die

65 000 ums leben gekommenen Strafgefangenen symbolisieren. Der Klumpen sinkt jedes Jahr 30 Zentimeter in die Erde und wird eines Tages verschwunden sein. An der Vorderfassade des barackenähnlichen Steingebäudes ist eine überdimensionale Laus angebracht. In einem anderen Gebäude nahm der Lagerarzt der Nazis Versuche an den Strafgefangenen vor.

Trägerschaft der Gedenkstätte Stalag 326 wird neu geordnet und zum Bildungsträger entwickelt

Die Kränze werden zum Obelisken getragen.

Zur Information: Bis 2020 soll die Trägerschaft der Gedenkstätte Stalag 326 neu geordnet sein (sh. Beitrag im Westfalen-Blatt). Die Gedenkstätte soll sich zu einem Bildungsträger entwickeln. Kürzlich zeigten Archäologen Fundstücke, die bei Ausgrabungen zutage gekommen waren (Bericht des WDR hier)

Von Freitag bis Sonntag fand wieder ein Jugendcamp auf dem Gelände der Gedenkstätte statt.

Kranzniederlegung am Obelisken. Anwesend waren der russische Generalkonsul, der NRW-Landtagspräsident und weitere Persönlichkeiten

Bildmitte der russische Generalkonsul Wladimir V. Sedykh, rechts von ihm Landtagspräsident André Kuper und links außen Schauspieler Rolf Becker.

Viele Kränze und Blumen wurden zum Gedenken am Obelisken abgelegt. Persönlich erschienen, um einen Kranz abzulegen waren Vertreter des Generalkonsulats der Russischen Föderation in Bonn unter Leitung von Generalkonsul Wladimir V. Sedykh.

Voran der Kranz des russischen Generalkonsulats. Dahinter Rolf Becker mit einer Rose.

Persönlich zugegen war u.a. auch der Präsident des Landtages André Kuper. Zu Füßen des Obelisken befand sich auch ein Kranz vom Ministerpräsident des Landes NRW.

Des Weiteren waren VertreterInnen von Parteien und Verbänden waren erschienen. Ebenso Annelie Buntenbach, Mitglied des DGB-Bundesvorstandes

U.a. Marion Köster, Bezirksvorsitzende DKP Ruhr-Westfalen.

Zur Gedenkfeier dargebracht wurden einige musikalische Beiträge und Rezitationen von Gedichten.

Ein Grußwort von einem Zeitzeugen wurde verlesen

Professor Wladimir Naumow war im Alter von 11 bis 13 Jahren in der Bleich AG als Zwangsarbeiter interniert und hat im Mai 1945 als 13-Jähriger an der Einweihung des Obelisken teilgenommen. In seinem Grußwort an die diesjährige Veranstaltung schreibt er:

Am Obelisken niedergelegte Kränze.

„Wir begrüßen die Initiative von Bürgern der Region zur Schaffung einer Gedenkstätte von nationaler Bedeutung in Stukenbrock. Damit entstehen neue Chancen, sich mit den Verbrechen an den sowjetischen Kriegsgefangenen und den Verbrechen in der NS-Zeit wie auch den Versäumnissen und der Ignoranz der Nachkriegszeit auseinanderzusetzen.“

Tief beeindruckende Rede des Schauspielers und engagierten Gewerkschafters Rolf Becker

Hauptredner auf der Veranstaltung war der Hamburger Schauspieler und engagierte Gewerkschafter Rolf Becker.

Schauspieler Rolf Becker während seiner engagierten Rede.

Der 84-jährige Becker hielt während eines ausgerechnet kurz nach Beginn seiner Rede einsetzenden Regenschauers (beschirmt von zwei sich abwechselnden

Veranstaltungsteilnehmern) eine hochemotionale, die Anwesenden tief beeindruckende Ansprache am Obelisken.

Becker begann seine Ansprache so:

„Dank Ihnen und Euch, Dank allen im Arbeitskreis „Blumen für Stukenbrock“ für die jahrzehntelange Arbeit zur Entwicklung und zum Erhalt dieser Gedenkstätte, Dank, dass ich hier bei Euch und mit Euch sein darf – in gemeinsamer Teilnahme und Sorge.

Sorge, weil – wie bereits angesprochen – ein weiterer Krieg droht, der die Unermesslichkeit des in den zwei Weltkriegen Erlittenen noch zu übersteigen droht – Folge auch der Tatsache, dass sich die deutschen Nachkriegsregierungen einer konsequenten Aufarbeitung des vermeintlich Vergangenen verweigert haben und bis heute verweigern.“

Christa Wolf:

Das Vergangene ist nicht tot; es ist nicht einmal vergangen. Wir trennen es von uns ab und stellen uns fremd.“

So wie bei diesem Obelisken mit dem Abtrennen und Ersetzen der sowjetischen Fahne durch das orthodoxe Kreuz. Ich habe nichts gegen Kreuze und nichts gegen das orthodoxe. Aber ich habe etwas gegen Verfälschen des Gedenkens, die Missachtung der wenigen, die das Leiden in diesem Todeslager überlebten – die mit diesem Obelisken nicht nur der Vielzahl ihrer umgekommenen Mitgefangenen ein ehrendes Zeichen gegeben haben, sondern zugleich uns, den Nachgeborenen den Auftrag, unser Denken und Handeln so einzurichten, dass sich staatlich verordnete Verbrechen wie in den Jahren faschistischer Herrschaft in Deutschland nicht nochmals ereignen können.

Arno Klönne, der, wie sie wissen, das Lager seit 1941 kannte, als die ersten sowjetischen Kriegsgefangenen hier eintrafen, und durch den ich vor etlichen Jahren erstmals von der Existenz dieses Lagers erfuhr, bestand bis zu seinem Tod darauf, der aus Glas gefertigten Flagge der Sowjetunion

Der Obelisk mit dem othodoxen Kreuz auf der Spitze. Nicht nur Rolf Becker möchte den Originalzustand wieder hergestellt wissen: ursprünglich prangte auf dem Obelisken die Flagge der Sowjetunion.

ihren ursprünglichen Platz zurückerhält:

„Denkmalschutz müsste bedeuten, dass ein Symbol der Erinnerung die Form behält, für die sich jene Menschen entschieden hatten, aus deren Lebensgeschichte es hervorging. Alles andere wäre Verfälschung von Geschichte.“

Ich schließe mich der Forderung von Arno Klönne und allen, die sich seit Jahren um die Wiederherstellung dieses Obelisken in seiner ursprünglichen Form bemühen, ausdrücklich an – verbunden zum einen mit dem Hinweis, das gebe ich zu bedenken – auch denen, die sich dem verweigern – mit dem Hinweis, dass zum einen die sowjetische Fahne seit einem Vierteljahrhundert nur noch Erinnerung ist, aber andererseits mit dem Bekenntnis zu ihrem Rot – mit Pablo Neruda: „Tropfen für Tropfen aus Blut“.

Blut – im zurückliegenden Krieg, an dessen Beginn am 1. September 1939 wir nach 80 Jahren hierzulande friedlich verlaufener Zeit erinnern, haben mehr als 60 Millionen Menschen ihr Leben verloren. Oder waren es 65 Millionen, waren es noch mehr, waren es einige weniger? Wir können sie nicht zählen. Wir wissen es so wenig, wie wir die genaue Zahl der 65 000 sowjetischen Kriegsgefangenen hier kennen, die hier unter der Erde liegen. Ein Teil der geschätzt 3,3 Millionen – geschätzt!, dieses absurde Wort – 3,3 Millionen von 5,7 Millionen sowjetischen Soldaten, die die Gefangenschaft nicht überlebten. Nur wenige, auf Einzelgräbern vermerkt in kyrillischen Lettern: Konstantin, Wasili, Dimitri, Wladimir, Michael, Maksim, Pawel, Pjiotr, Igor und Ivan, Anastasia – Frauen auch, Mädchen, Maria, Nina, Irina, Galina, Vera, Anna und so weiter, oder schlicht nur: unbekannter Soldat.

Eine tief bewegende Rede hielt Rolf Becker.

Heinrich Heine:

Ist das Leben des Individuums nicht vielleicht eben so viel wert wie das des ganzen Geschlechtes? Denn jeder einzelne Mensch ist schon eine Welt, die mit ihm geboren wird und mit ihm stirbt, unter jedem Grabstein liegt eine Weltgeschichte“.

Jede und jeder der Genannten hatte zu Hause im fernen Russland Familie, Eltern Großeltern, Geschwister, vielleicht sogar Kinder: zum Leid der hier Umgekommenen kam das Leiden von Angehörigen Freundinnen und Freunden.

Persönlich: Als am 4. August 1943 mein Vater – kurz zuvor von der West- an die Ostfront versetzt – bei den Panzerschlachten im Kursker Bogen bei Tomarowka fiel, hatte er am Vorabend die Nachricht von der Geburt seines jüngsten Sohnes erhalten – die erste Nachricht von seinem Tod in den folgenden Morgenstunden erreichte unsere Familie in Form eines Briefes, auf dem seine Feldpostnummer durchgestrichen und durch den Vermerk ersetzt war und durch den Vermerk ersetzt war: „An Absender zurück – gefallen für Großdeutschland“.

Ich hoffe, dass dieser Wahn endet.

Aber immerhin war das noch ein Brief, dem folgte die offizielle Todesmeldung – über die Mehrzahl der hier Verscharrten wird es vermutlich nie eine Nachricht an die Hinterbliebenen gegeben haben.

Wenige Monate bevor mein Vater starb, war er zum letzten Mal bei uns auf dem kleinen Bauernhof oben in Schleswig-Holstein. Unvergesslich für mich, sein Eintreten bei uns in die Bauernküche. Nach wenigen Sätzen der Satz zu meiner Mutter: „mein Kind, wir haben den Krieg verloren“, und kurz darauf, von meiner Mutter später vielfach zitiert:

Rolf Becker richtet seinen Blick auf den Generalkonsul Russlands.

Wir könnten nach allem, was von der deutschen Wehrmacht im Osten (Becker wendet sich zum russischen Generalkonsul um; Anmerkung C.S,) – in Ihrem Land- angerichtet worden sei, von Glück sagen, wenn bei der Kriegsniederlage auch nur einer von der Familie überlebte.

Auf unserem Hof da waren damals wie bei den übrigen Bauern im Dorf Kriegsgefangene – Dubois aus Frankreich und aus der Sowjetunion Anton. Die wehrfähigen Männer waren ja überwiegend „im Feld“ – wie es hießt-, an einer der vielen Fronten des 3. Reiches, die anfallenden Arbeiten, auch in der Landwirtschaft, wurden überwiegend von Frauen gemacht, von Frauen auch angeleitet. In den ersten Kriegsjahren hatte es noch an Hilfskräften gemangelt – erst das Scheitern des geplanten „Blitzkrieges“, des Krieges gegen Russland, bewirkte, dass sowjetische Kriegsgefangene, die bis dahin verhungerten in Lagern, erschlagen, umgebracht wurden, „durch Arbeit vernichtet“, nach dem Führerbefehl vom 31. Oktober 1941 notdürftig verpflegt und in Industrie, Landwirtschaft, Verkehrswesen usw. eingesetzt wurden. Als Ersatz für die fehlenden Jugendlichen und Männer – überhaupt Arbeitskräfte in Deutschland.

Bleibende Erinnerung aus dieser Zeit für mich: das Schuldbewusstsein von den Ereignissen, den Erlebnissen in der Sowjetunion, geschockten Vaters, sein Schuldbewusstsein. Das Schuldbewusstsein des hochrangigen deutschen Offiziers einerseits, und andererseits der sowjetische Kriegsgefangene Anton, der fern seiner Heimat für den Gegner seines Landes arbeiten musste.

Noch ein Vorfall aus dem Dorf. Die Kleinigkeiten machen vor allem für die Jugendlichen – ich freue mich, dass so viele hier sind – klarer was war. Nach dem Tod meines Vaters im August 1943 ein Vorfall, der unser Dorf beschäftigt hat bis zum Ableben meiner Mutter 1978: Da hatte meine Mutter hatte zu später Stunde, weil Anton nicht zurückkam auf den Hof, auf der Suche nach ihm – sie vermutete erst eine Verabredung mit anderen Gefangenen im Dorf – da nahm sie wahr, dass Angehörige der NSDAP-Ortsgruppenleitung – ich könnte die Namen hier nennen -, stark angetrunken, in einem abgelegenen Schuppen mehrere sowjetische Kriegsgefangene mit Holzlatten zusammenschlugen. Meine Mutter war dazwischen gegangen.

Folge: sie wurde an einem der nächsten Tage von der Gestapo abgeholt und nach Rendsburg geschafft; kam aber nach drei Tagen zurück. Berichtete, sie sei von einem Offizier verhört worden, der zum einen berücksichtigte, dass ihr Mann – unser Vater – kurz zuvor an der Ostfront gefallen war, zum anderen ihrem Argument nicht widersprechen konnte, dass durch die Misshandlung von Kriegsgefangenen, sowjetischen Kriegsgefangenen vor allem, die Versorgung an den Fronten verschlechtert werde.

Zudem habe sie, wie ihr Mann an der Front, auf die Haager Landkriegsordnung“ – missachtet wurde, auch von der Führung der deutschen Wehrmacht, dass ist Jahrzehnte bestritten worden. Aber es ist die Unwahrheit, wenn es bestritten wird. Sie hatte hingewiesen auf die Haager Landkriegsordnung und die „Genfer Konvention“, nach der „kriegsgefangen“ bedeutet, einen völkerrechtlichen Status, der auch für das Deutschland des 3. Reiches gelte. Sie hatte Glück damals – der Gestapo-Offizier orientierte sich nicht an Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel, der die völkerrechtlichen Vereinbarungen für Soldaten der Roten Armee nicht gelten ließ – wörtlich Keitel damals, immerhin ein Generalfeldmarschall:

Die Bedenken entsprechen den soldatischen Auffassungen vom ritterlichen Krieg! Hier handelt es sich um die Vernichtung einer Weltanschauung!“ Vernichtung einer Weltanschauung!

27 Millionen Tote allein auf russischer Seite. 60 oder 65 europa- und weltweit. Die Äußerungen von Keitel wurden auf Anweisung der für unsere Gegend zuständigen Gestapo – auch im Hinblick der Entwicklung auch an den Fronten – zum Glück nicht mehr umgesetzt. Es gab seitdem keine Vorfälle der geschilderten Art mehr. Anton konnte unversehrt zurückkehren in seine Heimat. Allerdings – auch das wurde vorhin schon erwähnt – verunsichert, weil er befürchtete wegen seiner Arbeit in Deutschland missachtet oder bestraft zu werden. Oder gar kein Zuhause mehr vorzufinden. Sondern stattdessen verbrannte Erde.

Erst viele Jahre nach dem Krieg erfuhren wir, dass die sowjetischen Kriegsgefangenen nach der jüdischen Bevölkerung die zweitgrößte Opfergruppe nationalsozialistischer Vernichtungspolitik darstellen. Ich verdanke – ich habe den Namen schon erwähnt – weiteren Einblick vor allen Dingen Arno Klönne und seinem Paderborner – einige sind hier – Freundeskreis dem Hamburger Historiker Hannes Heer, der mich an der Eröffnung seiner Ausstellung »Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941–1945« beteiligte. Ich denke, seitdem und durch zahlreiche weitere Untersuchungen und Publikationen, durch Gedenkveranstaltungen, wie hier, durch Kundgebungen, Aufrufe, Demonstrationen, auch persönliche Begegnungen, wissen viele von uns – hier wahrscheinlich alle – was wirklich geschah. Aber immer noch zu wenige unter den Schülern und Jugendlichen. Deshalb meine Freude, dass ihr hier seid. Die Jahre des organisierten Vergessens – ich weiß wovon ich spreche, bis ja Kind dieser Jahre – , des organisierten Vergessens in der Nachkriegszeit und in den ersten zwei Jahrzehnten der Bundesrepublik wirken nach bis ins Heute. Heute wissen wir, schon vor Kriegsbeginn im sogenannten „Hungerplan“ – wörtlich zitiert – der Massentod sowjetischer Soldaten und Menschen einkalkuliert waren. Wir wissen, dass unteschieden wurde zwischen den arbeitsfähigen Kriegsgefangenen, die am Leben bleiben, den nicht arbeitsfähigen – vor allem der großen Zahl Verwundeter oder Erkrankter, die getötet wurden.

.

Wir wissen, dass etwa 140.000 sowjetische Kriegsgefangene als „politisch Untragbare“ zur Ermordung an Sicherheitspolizei und SS übergeben wurden, wissen, dass am 2. Mai 1941 eine Besprechung stattfand, an der Vertreter aus Wehrmacht und Wirtschaft teilnahmen und deren Ergebnis lautete:

„Der Krieg ist nur weiter zu führen, wenn die gesamte Wehrmacht im 3. Kriegsjahr aus Russland ernährt wird. Hierbei werden zweifellos zig Millionen Menschen verhungern, wenn von uns das für uns Notwendige aus dem Lande herausgeholt wird.“

Und heute? Mit meinem Anliegen als Konsequenz dessen, was ich seit meiner Kindheit erlebt habe, alles zu tun, um den uns Nachfolgenden Vergleichbares zu ersparen, scheine ich gegenüber meinen Kindern gescheitert zu sein.

Erneut wird gegen Russland und die angeblich aggressive Föderation unter Wladimir Putin seitens Regierung und Medien mobilisiert. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier vor wenigen Tagen bei der Gedenkveranstaltung zum 80. Jahrestag des Beginns des Zweiten Weltkriegs in Warschau:

Wir alle blicken an diesem Jahrestag mit Dankbarkeit auf Amerika. Die Macht seiner Armeen hat – gemeinsam mit den Verbündeten im Westen und im Osten – den Nationalsozialismus niedergerungen. Und die Macht von Amerikas Ideen und Werten, seine Weitsicht, seine Großzügigkeit haben diesem Kontinent eine andere, eine bessere Zukunft eröffnet. Herr Vizepräsident, das ist die Größe Amerikas, die wir Europäer bewundern und der wir verbunden sind.“

Kein Wort über Russland oder die Sowjetunion, zur unumstößlichen Tatsache, dass es die Rote Armee war, deren Opfern wir hier gedenken, die den kriegsentscheidenden Beitrag zur Niederschlagung des deutschen Faschismus geleistet hat. Stattdessen die Bekräftigung der „transatlantischen Freundschaft“, mit einer Nato, die erneut zum Angriff auf Russland und China rüstet, auf alle Länder, die auf ihrer Unabhängigkeit bestehen.

Oder geht es vielleicht der vom Bundespräsidenten gepriesenen US-Regierung zur Sicherung ihrer Wirtschaft um die Ausschaltung eines ihrer beiden größten Konkurrenten, China und Europa? Ein Krieg gegen Russland würde hier bei uns ausgetragen werden. Die möglichen Folgen fürchten nicht nur wir, auch namhafte Vertreter konservativer Politik wie Willy Wimmer, vor Jahren verteidigungspolitischer Sprecher der CDU/CSU.

Der Ausweg – ich weiß ihn so wenig wie Ihr, kann nur einige Überlegungen aufgrund meiner Arbeit im Kreis politisch aktiver KollegInnen in Betrieben und Gewerkschaften beitragen.

  1. Grundlage kapitalistischer Herrschaft: die Konkurrenz der Arbeitenden unter sich. Ohne sie könnten die Herrschenden nicht herrschen.

Diese Konkurrenz untereinander gilt es zu überwinden, wenn wir aus der gegenwärtigen Entwicklung in unseren Ländern einen Ausweg finden wollen.

Mit Bertolt Brecht:

Die große Wahrheit unseres Zeitalters (mit deren Erkenntnis noch nicht gedient ist, ohne deren Erkenntnis aber keine an­dere Wahrheit von Belang gefunden werden kann) ist es, dass unser Erdteil in Barbarei versinkt, weil die Eigentumsver­hältnisse an den Produktionsmitteln mit Gewalt festgehalten werden. Was nützt es da, etwas Mutiges zu schreiben, aus dem hervorgeht, dass der Zustand, in den wir versinken, ein bar­barischer ist (was wahr ist), wenn nicht klar ist, warum wir in diesen Zustand geraten? Wir müssen sagen, dass gefoltert wird, weil die Eigentumsverhältnisse bleiben sollen. Freilich, wenn wir dies sagen, verlieren wir viele Freunde, die gegen das Foltern sind, weil sie glauben, die Eigentumsverhältnisse könnten auch ohne Foltern aufrechterhalten bleiben (was un­wahr ist). Wir müssen die Wahrheit über die barbarischen Zustände in unserem Land sagen, dass das getan werden kann, was sie zum Verschwinden bringt, nämlich das, wodurch die Eigen­tumsverhältnisse geändert werden.“

Aus: „Fünf Schwierigkeiten beim Schreiben der Wahrheit“, 19335

  1. Kleinarbeit! Eine Aussage wird nur zur Wahrheit, wenn wir für sie eintreten, uns beteiligen an Konflikten, im Lande oder außerhalb: in der Flüchtlingsfrage (die Toten im Mittelmeer), bei Streiks, beim Wohnungsproblem, sozialer Versorgung, Gesundheitswesen, Umwelt, und, und, und… vor allem am Widerstand gegen fortschreitende Aufrüstung und Rüstungsexporte, jeden Ansatz von Nationalismus, Rassismus und Faschismus –
  2. Mit Erich Fried:

Nur eines weiß ich:
Morgen wird keiner von uns leben bleiben
wenn wir heute wieder nichts tun“

Und Maxim Gorki:

„Die Kinder gehen in die Welt – über die ganze Erde, alle, von überall her, demselben Ziel entgegen.

Sie ziehen aus, um die Lüge zu zertreten, das soziale Leid zu besiegen, das Elend dieser Erde zu beseitigen.

Sie entzünden eine neue Sonne, hat mir einer gesagt, und das werden sie tun.

Die Erde hat sie geboren und das Leben will ihren Sieg. In Wahrheit seid Ihr alle Genossen, alle, denn alle seid Ihr Kinder einer Mutter – der Wahrheit.“

Redaktioneller Hinweis: Meiner Meinung nach ist Rolf Beckers Ansprache von derartiger Wichtigkeit. Aus diesem Grund habe ich dessen Rede hier in voller Länge dokumentiert.

Claus Stille

Jochen Schwabedissen vom Arbeitskreis „Blumen für Stukenbrock“.

Musikaler Beitrag des Camp-Chores.

Im Hintergrund: der russische Generalkonsul legt einen Kranz nieder.

Rolf Becker legt seine Rose am Obelisken ab.

Ekkehard Lieberam: „Am Krankenbett der Linkspartei – Therapie: Mehr Marx als Murks“. Soeben erschienen im pad-Verlag

Ob wir den Werdegang einer Partei (beginnend von 1989) als SED-PDS (Sozialistische Einheitspartei Deutschlands – Partei des Demokratischen Sozialismus) über (1990), in Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) umbenannt und dann im Juli 2005 sich den Namen Die Linkspartei.PDS (Kurzbezeichnung Die Linke.PDS) gegeben habend, sowie ab dem 16. Juni 2007 schließlich im Zuge der Fusion mit der WASG zur Partei Die Linke geworden – mit dem Gedicht „Wahrnehmung“ (1949) von Bertold Brecht in Verbindung setzen können, bin ich mir nicht sicher:

Die Mühen der Berge haben wir hinter uns, vor uns liegen die Mühen der Ebenen“

Die „systemgerecht rundgelutschten“ Grünen machten es vor

Fakt ist: neue Parteien haben es nicht einfach im jahrzehntelang mehr oder weniger gefestigten bundesdeutschen Parteiensystem. Erst recht wenn es sich um eine sich links im Parteienspektrum verortende Partei handelt. Vor der PDS und der späteren Die Linke haben das die Grünen zu spüren bekommen. Was bekamen die Dresche! Und das nicht nur, weil manche von ihnen – als sie es endlich ins Parlament geschafft hatten – Blumentöpfe mit zu ihren Abgeordnetenplätzen brachten oder im Plenum Pullover strickten. Nicht nur schlug ihnen Ablehnung und sogar Hass von den etablierten Parteien entgegen – auch bei den Meinung machenden Medien (obgleich die damals – verglichen mit heute – ziemlich pluralistisch verfasst waren) hatten sie so gute wie keine Schnitte. Erst durch einen Marsch durch die Institutionen (Rudi Dutschke) – den dieser gewiss anders gemeint hatte – kamen sie den Parlamenten an. Rückblickend könnte man heute bitterböse sagen: damit gingen sie dem System – sicher ohne dies zu ahnen – auf den Leim. Später bildeten sie dann zusammen mit der SPD unter Bundeskanzler (Koch) Gerhard Schröder als Kellner die erste rot-grüne Koalition auf Bundesebene (Schröder: „In einer rot-grünen Konstellation muss klar sein: Der Größere ist Koch, der Kleinere ist Kellner.“)

1999 dann führten sie mit „Koch“ Gerhard Schröder einen (wie Schröder heute freimütig zugibt) völkerrechtswidrigen Krieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien. Sie waren also angekommen: Arrivierte im System. Im Sinne der (wirklich) Herrschenden. Das goutierten auch die ihnen einst überwiegend ablehnend gegenübergestanden habenden Medien. Weiterhin verbrachen die Grünen zusammen mit der SPD dann auch noch die Agenda 2010 samt des schlimme Auswirkungen zu Folge habenden Hartz-IV.

Auf der IALANA-Medienkonferenz 2018 in Kassel sprach Dr. Günther Rager (ehemals TU Dortmund) aus diesen und anderen Grünen von den „systemgerecht rundgelutschten Grünen“. Dieses Rundlutschen drohe auch Parteien anderer politischen Färbung. Das sei im System so angelegt. Und es habe noch immer funktioniert.

Nun also auch DIE LINKE?

Droht diese Rundlutschen nun auch der Partei Die Linke? Oder ist es gar schon in vollem Gange? Beide Fragen beantworte ich mit einem Ja.

Ekkehard Lieberam ist schon des Längeren alarmiert („Der Kniefall von Thüringen“, „Was ist denn eigentlich bei der Linkspartei los?“.

Soeben kam seine Veröffentlichung „Am Krankenbett der Linkspartei – Therapie: Mehr Marx als Murks“ im pad-Verlag heraus.

Lieberam: Bislang hat die Linkspartei keinen gesellschaftlichen Aufschwung zustande bringen können

Lieberam findet, dass Die Linke „mit einer zunehmenden rechtspopulistischen und antidemokratischen Bewegung konfrontiert“ ist, „aber auch mit einem im Sinne der Herrschenden funktionierenden parlamentarischen Regierungssystem. Ekkehard Lieberams hartes Urteil: Bislang habe die Partei keinen gesellschaftlichen Aufschwung zustande bringen können.

Der pad-Verlag (Redaktion: Peter Rath-Sangkhakorn) zitiert seinen Autor:

„Konfrontiert über mehr als zehn Jahre hinweg mit der enormen Integrationskraft des parlamentarischen Regierungssystems in der Bundesrepublik ist die Linkspartei mittlerweile auch eine Institution der Vertreterdemokratie mit Gebrauchswert für das Kapital geworden und nur noch begrenzt eine Kampforganisation des Klassenwiderstandes. Als Regierungspartei hat sie direkten Anteil an der Durchsetzung der neoliberalen Politik und verklärt gar geringe Verbesserungen als linke Politikgestaltung. Regierungsbeteiligungen erwiesen sich als Integrationsfallen.“

Wer muss bei diesen Sätzen nicht an die Grünen denken? War deren Entwicklung (deren Rundlutschung durch das System der Herrschenden) nicht Warnung genug? Offenbar nicht.

Ekkehard Lieberams Sorge um die weitere Entwicklung der Linkspartei und der gesellschaftlichen Entdemokratisierung

„Neben politischen Intrigen“, konstatiert der pad-Verlag, „und politischen Scharmützeln ihrer gewerbsmäßigen Parlamentarier dominieren ‚flügelübergreifend‘ Illusionen eines Politikwechsels ohne gesellschaftlichen Systemwechsel.“ Die Veröffentlichung sei „in Sorge um die weitere Entwicklung der Linkspartei und der gesellschaftlichen Entdemokratisierung“ entstanden.

Machtkampf zwischen Parteiführung und Fraktionsvorsitzenden der Linkspartei

Im Kapitel „Mobbing und Orientierungskrise im Glaubenskrieg“ (S. 7) erinnert Lieberam daran, dass seit der Bundestagswahl 2017 „in der Linkspartei auf neue Weise“ rumore: „Katja nervt Sahra und Sahra wehrt sich.“

Der Autor spielt auf den Machtkampf zwischen der Führung der Linkspartei (Katja Kipping, Bernd Riexinger) sowie Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch (Fraktionsvorsitzende der Partei im Bundestag) an. Wobei es u.a. um einen Glaubenskrieg um die Flüchtlingsfrage gehe und die umstrittene Losung „offene Grenzen für alle“.

Was gewiss in keiner Weise ein „Zickenkrieg“ ist. Eher geht um eine als naiv zu bezeichnende Einstellung Kippings und die realistischere Sicht Wagenknechts in dieser Frage.

Der Partei DIE LINKE fehle offenbar Glaubwürdigkeit und Prinzipienfestigkeit, meint Lieberam

Die Frage, warum DIE LINKE selbst bisher keinen gesellschaftlichen Aufbruch zustande gebracht hat, beantwortet Ekkehard Lieberam (S. 15) so: „Offenbar fehlen ihr die politischen Voraussetzungen: Glaubwürdigkeit und Prinzipienfestigkeit. Die Losung ‚mehr Ramelow wagen‘ ist mit Linksblinken und Systemkritik schlecht vereinbar.“

Und, gibt Lieberam seinen LeserInnen zu bedenken: „Mit der Position, der Ruf nach `offenen Grenzen für alle‘ sei die ‚Kernfrage linker Politik‘, isoliert man sich von den sozialen und politischen Proteststimmungen der Prekarisierten.“

Lieberams Einschätzung ist nicht von der Hand zu weisen: „Man kann nicht Regierungspartei (oder Regierungspartei im Wartestand) sein und zugleich erwarten, dass einem geglaubt wird, wenn man bekundet, die Grundlagen der kapitalistischen Produktionsweise beseitigen zu wollen.“

Und sehr richtig: „Als Regierungspartei erweckt eine Partei gegenüber dem werktätigen Volk nun einmal den Eindruck: ‚Es gilt das gebrochene Wort.’“

Interessanter Blick in die deutsche sozialistische Parteiengeschichte

Viele, die Linkspartei beschäftigende Probleme verdeutlicht Lieberam mit einem Blick in die deutsche sozialistische Parteiengeschichte im Kapitel „Kurze Geschichte der Klasse ‚für sich selbst’“ (S. 19), welche ähnliche Vorgänge kenne.

Linkspartei ist auf schlechtem Weg und droht sich zu zerlegen

Lieberams Erkenntnis daraus: „Die Linkspartei ist auf dem schlechten Weg, sich zu zerlegen. Sie ist vor allem auf dem Weg, sich in den im 20. Jahrhundert entstandenen Parteienstaat einzurichten.“ Sie sei dabei „zu einer systemkonformen Parlamentspartei“ zu werden, „die sich in das parlamentarische Regierungssystem einordnet, das nicht zuletzt die Funktion hat, die Klassenkonflikte zu verschleiern und zu befrieden.“

Wobei wir wieder bei Prof. Dr. Rager wären: Die Partei ist dabei, sich mehr und mehr systemkonform rundlutschen zu lassen.

Den Zwängen und Versuchungen des parlamentarischen Systems ausgesetzt

Ekkehard Lieberam begleitet das Wirken von PDS und Linkspartei außerhalb und im Bundestag sehr ausführlich und führt dabei auch viele positive Beispiele ihres politischen Wirkens an. Sehr deutlich wird das Auf und Ab der Partei klar. Auch die gemachten Fehler werden einer gründlichen Analyse unterzogen. Der Autor bescheinigt der Partei (S. 52), dass es in ihr „viele klassenbewusste Linke“ gebe: „Die Crux ist: Da sie (die Linkspartei; C.S) politisch erfolgreicher ist als die PDS, ist sie den Zwängen und Versuchungen des parlamentarischen Regierungssystems auch stärker ausgesetzt.“

Das bemerkten auch die Wähler, die sie einst wählten (S. 53): „Zum einen hat die Linkspartei auf Landesebene mittlerweile den Übergang von der Oppositionspartei zur Regierungspartei vollzogen. Unterschiede zwischen einer Reihe ihrer Landespolitiker ‚in Regierungsverantwortung‘ und den Politikern der anderen Parteien sind kaum noch zu erkennen. Auf Bundesebene verharrt die Linkspartei im Zustand einer Regierungspartei im Wartestand.“

Dabei sei es fraglich, ob sich „auf absehbare Zeit überhaupt eine rechnerische Mehrheit“ für Rot-Rot-Grün“ ergebe „und dann die Linkspartei als Preis für einige Minister tatsächlich Hartz IV und“ Bundeswehreinsätze „in aller Welt akzeptiert, ist ungewiss“.

Lieberam sieht das Beispiel Thüringen keinesfalls als ein „Meilenstein linker Politik“

Noch einmal kommt Ekkehard Lieberam auf den „Kniefall von Thüringen“ zurück (S.55): „Für die Verfechter einer gerechten und differenzierenden Debatte über den ersten Sozialismusanlauf auf deutschem Boden war die Haltung von Bodo Ramelow (Ministerpräsidenten von Thüringen, C.S.) eine Kapitulation, die mit der abgewogenen Bewertung der DDR im Erfurter Programm unvereinbar ist. Im Vorfeld der Thüringer Wahlen von 2019 ist zu fragen: Hat Bodo Ramelow mit dieser Kapitulation den Weg für eine bessere Politik freigemacht?“

Susanne Henning-Wellsow, Landes- und Fraktionsvorsitzende der Linkspartei in Thüringen habe nämlich genau das angekündigt, „dass die Landesregierung ein ‚Meilenstein linker Politik‘ werde“ (S.55).

Lieberam: „Belege dafür in der Bilanz der Landesregierung nach drei Jahren finden sich nicht.“

Begehrlichkeiten und mögliche Abhängigkeiten

Der Autor referiert auch die Entwicklung der Entschädigungen, Aufwandsentschädigungen bzw. Diäten an Abgeordnete (ab S.57). Im Deutschen Reichstag (1906), erfahren wir, hätten die Diäten 3000 Mark pro Jahr ausgemacht, in der Weimarer Nationalversammlung monatlich 1000 Mark. Seit dem 1. Juli 2018 beliefen sich die Diäten für Bundestagsabgeordnete 9780,25 Euro, dazu käme ab 1. Januar 2019 einen Kostenpauschale von 4418,69 Euro.

Die staatlichen Ausgaben auf Bundesebene für Parlamentsarbeit (Bundestag), einschließlich der Verwaltungskosten, belaufen sich jährlich etwa 950 Millionen Euro, dazu käme die jährliche staatliche Parteienfinanzierung auf Bundesebene (vorwiegend für Wahlen) auf maximal 165 Millionen Euro (2017) und die Höhe staatlicher Zuschüsse für die Stiftungen der Parteien auf 581 Millionen Euro.

All das schafft freilich neben Begehrlichkeiten womöglich auf Abhängigkeiten.

Parteien als Sammlungsbewegungen an die Grenze gekommen?

Linke Parteien sind derzeit weit und breit in der Krise. In der EU macht sich ein Rechtstrend breit. Wie also dagegen angehen? Auf Seite 72 zitiert Lieberam Andreas Wehr, der frage, „ob nicht das Modell einer Partei als Sammlungsbewegung ans seine Grenzen angekommen ist und in Ländern wie Belgien, Frankreich und den Niederlanden „in der letzten Zeit sozialistische Richtungsparteien mit eindeutigem Profil beeindruckende Erfolge erzielt (haben)“

Lieberam sieht das auch so: „Diese Parteien haben deutlich gemacht, dass Klassenpolitik dann erfolgreich ist, wenn sie in Distanz zu den Regierenden geht und sich auf wenige Themen konzentriert: Kampf um ein neues Normalarbeitsverhältnis, Reichensteuer, konzentrierte Arbeit im Gesundheitssektor oder in der Wohnungsfrage.“

Sammlungsbewegung Aufstehen als Chance

Als Einstimmung auf das letzte Kapitel „Aufstehen, um Klassenmachtverhältnnisse zu ändern“ (ab S. 73) seiner Veröffentlichung zitiert Ekkehard Lieberam Franz Mehring (aus der „Der neue Reichstag“, 1907): „Die Mobilisierung der Massen ist die einzige Waffe, der auf Dauer keine Macht der Erde widerstehen kann.“

Lieberam reflektiert darin die Sammlungsbewegung Aufstehen, initiiert von Sahra Wagenknecht. Er erwähnt eine Veröffentlichung , die nach deren Start im „neuen deutschland“ erschienen war. Darin habe der nd-Redakteur Uwe Kalbe über der Sammlungsbewegung bescheinigt, sie zeuge von „Kreativität“ und „verdiene Respekt statt Hochmut“. Doch „gleich rechts daneben war eine Bild zu sehen, das eine ganz andere Botschaft übermittelte: Abgebildet war eine knallrote Tassen mit tiefbraunen Inhalt, Kaffee ohne Milch. Auf der Tasse stand ‚Aufgestanden‘, offensichtlich ein Bild, dass die Nähe zum ‚Nationalsozialismus‘ suggerieren wollte.“

Das habe der nd-Leser Michael Zock aus Leipzig „verleumderisch und geschmacklos“ bezeichnet.

Angesichts solcher Niedertracht in der LINKEN fragt sich Lieberam, ob „zwischen beiden Führungsgruppen dennoch ein sachlicher Gedankenaustausch über den Weg dem Kampfes für soziale Gerechtigkeit und eine friedliche Außenpolitik der Bundesrepublik, ein politisches Miteinander noch möglich sind“ sei offen.

„Zuschauer- und Stellvertreterdemokratie“, so Lieberam auf S. 80, der letzten Seite seiner Arbeit, „haben sich als kompatibel mit der Klassenherrschaft erwiesen.“

„Linke Parteien, die ihre politische Energie in Parlamentsarbeit und permanenten Wahlkämpfen erschöpfen und sich im allgemeinen Politikbetrieb einrichten, haben Anteil an dieser Entwicklung“, schätzt der Autor und schreibt ihnen ins Stammbuch: „Sie sind insofern nicht die Lösung, sondern Teil des Problems.“

Geschichtlichen Erfahrungen zufolge, könne die Parteienfrage „von links nicht willkürlich, sondern erst dann neu gestellt werden, wenn Hunderttausende dies fordern und Millionen dies wollen, was eine Debatte schon heute über den Typus einer Partei, wie sie von den Lohnarbeitern im 21. Jahrhundert gebraucht wird, unbedingt einschließt“.

Lieberam findet unbedingt, dass ein Aufbruch für einen politischen Richtungswechsel nach einer neuen außerparlamentarischen Opposition, nach politischer Auseinandersetzung „im Handgemenge“ verlange.

Lieberam realistisch: „Bedenken, was da alles geschehen kann oder schief laufen kann, bringen nichts.“

Die Sammlungsbewegung Aufstehen, so schätzt der Autor ein, „weist in die richtige Richtung“. Und beschließt seine Veröffentlichung so: „Ohne eine kraftvolle spontane Massenbewegung nach dem Vorbild der Gelbwesten in Frankreich wird das allerdings nichts werden.“

DIE LINKE vom Krankbett in den Orkus oder mit mehr Marx als Murx in die Zukunft?

Die Broschüre ist sehr zur Lektüre zu empfehlen. Zumal wir alle vergesslich sind, ist es äußerst Augen öffnend, sozialistische Parteiengeschichte etwas nachzuvollziehen und vor allem: die Entwicklung hin Linkspartei, ausgehend von der SED-PDS, noch einmal Revue passieren zu lassen. Nicht zuletzt ums Schlüsse darauf im Hier und Heute für die Zukunft daraus zu ziehen. Gelingt es also der schon ziemlich rundgelutschten Linkspartei die Mühen der Ebene doch noch zeitnah zu bewältigen, oder geht die Reise vom Krankenbett schnurstracks in den Orkus, wo bereits so viel Versuche, linke Politik für die Massen zu machen, vor sich hin rotten?

Ekkehard Lieberam hat die Linkspartei am Krankenbett besucht, er empfiehlt ihr als Therapie „Mehr Marx als Murks“. Warum, dass hat der Autor aufgeschrieben.

Ekkehard Lieberam

Am Krankenbett der Linkspartei – Therapie: Mehr Marx als Murks

pad-Verlag

Mail: pad-verlag@gmx.net

Preis: 5, 00 Euro

„Warum schweigen die Lämmer?“ Rainer Mausfelds „Vortragsrenner“ nun in Buchform: Ein Leseereignis, dass zur Erweckung aus der Lethargie führen kann

Gewiss können wir uns halbwegs glücklich preisen, dass wir einem Land wie Deutschland leben. Ein Vorteil, der uns durch nichts als puren Zufall quasi in den Schoss gefallen ist. Wo Demokratie und Freiheit groß geschrieben werden. Jedenfalls im Vergleich zu vielen anderen Ländern auf dieser Welt. Groß geschrieben. Oder auch spürbar gelebt wird? Da kommen schon die ersten Zweifel auf. Zu zweifeln ist – zumindest in Maßen – gut. Marx gab seinen Töchtern auf den Weg: An allem ist zu zweifeln. Auch in Bezug auf die Beurteilung unserer Demokratie – der Demokratie überhaupt – ist Zweifel angebracht. Haben wir wirklich eine Demokratie, per definitionem eine Herrschaft (einer Mehrheit) des Volkes? Mitnichten.

Haben wir eine Demokratie?

Oskar Lafontaine etwa urteilte in einem Interview mit Tilo Jung einmal: „“Deutschland ist keine Demokratie, sondern eine Oligarchie“. Beispielsweise sind 73 Prozent der Deutschen gegen einen Militäreinsatz der Bundeswehr in Syrien (Welt-Trend). Dennoch findet er statt. Wie eine aktuelle Umfrage zeigt, befürworten 94 Prozent der Deutschen gute Beziehungen zu Russland, fast 90 Prozent wünschen sich eine von den USA eigenständige Außenpolitik. Wird diesen Meinungen der Deutschen entsprochen? Eher ist doch das Gegenteil der Fall. Das Problem: wir haben eine repräsentative Demokratie. Wir wählen also Parteien und deren (zuvor von den Parteien bestimmte, oft in Hinterzimmern ausgekungelte) Kandidaten, welche uns BürgerInnen dann im Deutschen Bundestag und den Parlamenten der Bundesländer vertreten (sollen). In der Regel geben wir WählerInnen alle vier Jahre unsere Stimme ab (sic!). Sie landet, was der Wahrnehmungs- und Kognitionsforscher Prof. Dr. Rainer Mausfeld als treffend bezeichnet findet, in der Urne.

Der Vortrag „Warum schweigen die Lämmer?“ von Rainer Mausfeld wurde auf Video aufgezeichnet mehrere hunderttausend Mal abgerufen

Rainer Mausfeld erreichte einen exorbitanten Bekanntheitsgrad, nachdem er 2015 einen Vortrag mit dem Titel „Warum schweigen die Lämmer? Psychologie, Demokratie und Empörungsmanagement“ gehalten hatte und dieser aufgezeichnet und veröffentlicht worden war. Auf You Tube ist Mausfelds Vortrag mehrere hunderttausend Mal angeschaut und von ZuhörerInnen auf diversen öffentlichen Veranstaltungen life erlebt worden. Mausfeld selbst hatte damals keinesfalls mit dieser enormen Resonanz auf den nämlichen Vortrag gerechnet.

Der Maidan-Putsch und die politische wie mediale Reaktion auf die Ukraine-Krise führte offenbar zu einem Knacks, in welchen Mausfelds Vortrag stieß

Vielleicht war die Zeit einfach reif. Immerhin war erst im Februar 2014 der Maidan-Putsch gegen die rechtmäßige ukrainische Regierung von westlichen Staaten unterstützt – vornweg den USA – über die Bühne gebracht worden. Die Abteilungsleiterin im US-Außenministerium Victoria Nuland „berichtete nach ihren mehrfachen Auftritten in Kiew stolz, dass die US-Regierung seit 1991 rund fünf Milliarden Dollar für eine ‚wohlhabende und demokratische Ukraine‘ investiert habe“ (hier ein Beitrag dazu von meinem geschätzten Kollegen Hans Springstein im Freitag). Man müsste Nulands Einlassung wohl treffender so übersetzen: „in einen Regime-Change investiert habe“. – Jedenfalls vertraute eine zunehmende Leserschaft sowie viele Nutzerinnen von elektronischen Medien in Deutschland den merkwürdig einseitigen Berichterstattung und fragwürdigen Sichten („Narrative“) bezüglich der Ukraine-Krise seither immer weniger. Es hatte gewissermaßen einen Knacks gegeben. In diesen Knacks war Rainer Mausfeld offenbar eigentlich ungewollt mit seinem Vortrag hineingestoßen.

Warum schweigen die Lämmer“ nun auch in gedruckter Form

Sicherlich zur Freude vieler Mausfeld-Fans ist nun auch ein Band mit dem Titel „Warum schweigen die Lämmer?“, Untertitel „Wie Elitendemokratie und Neoliberalismus unsere Gesellschaft und unsere Lebensgrundlagen zerstören“, bei Westend erschienen. Die Veröffentlichung dieses Bandes von Beiträgen, schreibt Rainer Mausfeld in dessen Einleitung (S. 22), „war nicht geplant“. Und weiter: „Dass er zustande kam, ist der Initiative und dem Enthusiasmus des Westend Verlags zu verdanken. Dafür und für das große Engagement, mit dem der Westend Verlag alle Phasen der Umsetzung begleitet hat, danke ich ihm sehr. Gisela Bergmann-Mausfeld, meiner Lebensgefährtin, gilt mein besonderer Dank.“

In den Band überführte Informationen liegen nun in Hülle und Fülle auf dessen Seiten vor und können in Ruhe studiert werden

Ich bedanke mich schon einmal mit Verlaub im Namen der hoffentlich vielen LeserInnen dieses Bandes bei allen Beteiligten, die dafür Sorge trugen, dass es uns nun vorliegt. Auch wenn man den Band ausgelesen hat, kann man ihn später bei speziellen Anlässen immer wieder zur Hand nehmen, um betreffs Zitaten, Literaturhinweisen etc. fündig zu werden. Rainer Mausfeld präsentierte in besagtem Vortrag viel Material, viele Anregungen, viele Daten, weiterführenden Anmerkungen viele Zitate, viele Hinweise auf Literatur – der Vortrag enthält ein Bündel von nützlichen Informationen. Musste man nun früher, wenn Sie sich für eine der vielen benutzten Abbildungen und Folien besonders interessierte, das Video anhalten, um diese zu studieren, kann man ausgewählte nun in aller Ruhe auf den jeweiligen Buchseiten zur Kenntnis nehmen.

Demokratie und Freiheit – Versprechen, von denen kaum mehr als Schatten von damit ursprünglich verbundener Hoffnungen blieben

Im Inneren des ganz in schwarz gehaltenen Einbandes bei gelber und weißer Schrift des wahren Leseerlebnisses finden wir zugleich einen zum Verständnis wichtigen Hinweis (zitiert aus Mausfelds Einleitung) „Demokratie und Freiheit. Zwei Worte, die mit unerhörten gesellschaftlichen Versprechen aufgeladen sind und gewaltige Veränderungsenergien zu deren Einlösung freisetzen können. Kaum mehr als ein Schatten ist heute von den mit ihnen ursprünglich verbundenen Hoffnungen geblieben. Was ist passiert? Wohl nie zuvor sind zwei Wörter, an die so leidenschaftliche Hoffnungen geknüpft sind, in gesellschaftlich folgenschwere Weise ihrer ursprünglichen Bedeutung entleert, verfälscht, missbraucht und gegen diejenigen gewandt worden, deren Denken und Handeln sie beseelen.“ (…) Mausfelds Beurteilung ist scharf an der Realität gemessen und fällt dementsprechend drastisch aus: „Demokratie bedeutet heute in Wirklichkeit eine Wahloligarchie ökonomischer und politischer Eliten, bei der zentrale Bereiche der Gesellschaft, insbesondere die Wirtschaft, grundsätzlich jeder demokratischer Kontrolle und Rechenschaftspflicht entzogen sind;“ (…)

Die Demokratie ist stark gefährdet

Treten wir doch ein Stück zurück und besinnen uns einmal: Wer wollte diese Maus’sche Einschätzung bestreiten? Seien wir doch ehrlich zu uns selbst: Noch nie dürfte unsere Demokratie, so unvollkommen sie unbestritten auch ist, und in Teilen wohl auch m. E. eher längst zu ein Schein- (sic!) Demokratie zugerichtet worden ist, dermaßen stark gefährdet sein wie derzeit!

H. Yuren zitiert Mausfeld in seinem Artikel im Freitag so: „nach einschätzung des professors steht die conditio humana auf der kippe. sehr bald werde etwas geschehen, das durch nichts wieder gutzumachen sein werde. mausfeld sagt, es sei bereits wesentlich später als fünf vor zwölf.“ (Kleinschreibung vom Autor)

Demokratie von vornherein so angelegt, dass sie an den bestehenden Verhältnissen nichts zu ändern vermag

Demokratie bedeutet also, dass sich die Interessen der Mehrheit durchsetzen. Ist das bei uns so? War das jemals so? Wahrnehmungs- und Kognitionsforscher Professor Rainer Mausfeld hat sich u.a. ausführlich mit der Demokratie wie wir sie kennengelernt haben beschäftigt. Und festgestellt: Schon im Mutterland der Demokratie, den Vereinigten Staaten von Amerika, war sie von vornherein so angelegt, dass sich durch sie nichts an den Machtverhältnissen ändern konnte. Das Mehrheit des Volkes mochte wählen wie es wollte, die Interessen der (Minderheit) der Reichen, der Oligarchen konnten nicht angetastet werden. Auch heute, auch bei uns, das im Grunde genommen so. Die repräsentative Demokratie hat gravierende Mängel. Das fängt ja schon bei der Auswahl und Aufstellung der KandidatInnen der einzelnen Parteien an. Auf die wir Wähler – und nicht einmal alle Mitglieder einer Partei – keinerlei Einfluss haben.

Lämmer, die perfekte Metapher, weil Opfertiere

Betreffs des Titels von Rainer Mausfelds ( zu im hier und hier mehr) Referat wie auch den nun zu erwerbenden Bandes und der Verwendung der perfeken Metapher „Lämmer“ (für die Masse des Volkes) darin etwas Geniales gelungen ist – er sozusagen damit den Nagel auf den Kopf trifft. Womöglich hat Mausfeld an da das wohl nicht ganz korrekt Brecht zugesprochene Zitat „Nur die dümmsten Kälber wählen ihre Schlächter selber“ gedacht. Wie auch immer: Lämmer – wir kennen das Adjektiv „lammfromm“ – lassen sich gut zur Schlachtbank führen und wehren sich kaum gegen ihr Hinmetzeln. Nicht umsonst, darauf wies Prof. Mausfeld kürzlich in einem Interview mit Ken Jebsen für das Format „KenFM im Gespräch“ hin, benutze man diese Tiere als Opfertiere. Und da kommt einen gleich die Frage: Wer eigentlich ist der Hirte, respektive sind die Hirten? Erst später dürfte dann auch die Frage nach dem/den „Besitzern“ der Herde aufkommen. Der/die bleiben in der Regel unsichtbar. Sollen wohl auch unsichtbar, sprich: unangreifbar sein und bleiben.

Dass wir oft hinter die Fichte geführt werden (können), hat mit der Funktionsweise unseres Gehirns zu tun

Gleich im ersten Kapitel (ab S. 23) „Warum schweigen die Lämmer? Wie sich schwerste Kriegsverbrechen und Verletzungen moralischer Normen für die Bevölkerung unsichtbar machen lassen“, das beschreibt uns der Autor ausführlich an interessanten Beispielen. Dass das geschieht und wir es oft nicht merken (können), wie wir sozusagen hinter die Fichte geführt werden (können), hat mit der Funktionsweise unseres Gehirns zu tun.

Warum also schweigen die Lämmer? „Denn“ , äußert sich Mausfeld auf Seite 58 im Kapitel Die Angst der Machteliten vor dem Volk natürlich kann man Lämmer nicht zum Sprechen bringen. Die Faszination muss also in der Metapher der Herde und es Hirten liegen. Offensichtlich spricht diese Metapher Vorstellungen etwas genauer an, die Aspekte unserer politischen und gesellschaftlichen Situation betreffen.“

Ein vielerlei Hinsichten die Augen weit öffnender Band liegt uns nun aus der Hand von Rainer Mausfeld vor

Das Gelesene mag hier und möglicherweise zu Depressionen Anlass geben. Aber es kann dennoch gleichzeitig zum (eignen) Handeln inspirieren. Schließlich sind all die in den Zeiten von Raubtierkapitalismus ins Werk gesetzten im Neoliberalismus wurzelnden Sauereien von Menschen gemacht. Und Menschen können Änderungen herbeiführen. Nichts ist also alternativlos. Gegen Ende eines seiner Vorträge in Lindau machte Rainer Mausfeld seinem Publikum einmal ausdrücklich auch Mut. Es gelte etwas zu finden „wofür wir kämpfen, nicht wogegen wir kämpfen“. Mausfeld zitierte zu diesem Behufe den weltbekannten Sprachwissenschaftler Noam Chomky:

„Was können wir tun? So ungefähr alles, was wir wollen.

Tatsache ist, dass wir in einer relativ freien Gesellschaft leben. Die ist nicht vom Himmel gefallen.

Die Freiheiten, die wir haben, wurden in harten, schmerzlichen, mutigem Kampf erstritten, aber nun haben wir sie.

Sie sind unser Erbe, das uns die Kämpfe anderer hinterlassen haben.

Es kann viel getan werden, wenn die Menschen sich organisieren, für ihre Rechte kämpfen, wie sie es in der Vergangenheit getan haben, und wir können noch viele Siege erringen.“

Die auf der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte fußenden Rechtsnormen ernst nehmen. Engagement eine jeden Einzelnen gefragt

Gegen Ende seiner Ausführungen im vorliegenden Band geht Rainer Mausfeld auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte ein, in welcher „nicht nur moralische Werte formuliert“ worden seien, „sondern zugleich auch Rechtsansprüche – mit ihr wurden Menschenrechte als fundamentale Rechtsnorm verankert.“ Nur seien wir halt „weit davon entfernt, diese Rechtsnormen auch ernst zu nehmen, weil wir es immer wieder zulassen, dass das Recht des Stärkeren diese Rechtsnormen nach Belieben außer Kraft setzen kann“. Dies Rechtsnormen müssten „auf der Basis eines fortwährenden Engagements eines jeden Einzelnen erfolgen.“

Wir hätten nur eine Chance die vor 70 Jahren deklarierte Menschenrechtserklärung „zu einer Rechtsrealität werden zu lassen, wenn wir bereit sind, nicht wegzuschauen und diese Normen entschlossen gegen die Interessen der Mächtigen zu verteidigen“.

Die Entscheidung liegt bei uns

Wollten wir, gibt Prof. Mausfeld zu bedenken, historische Erfahrungen wiederholen, „wozu der Mensch in seinem destruktiven Potentialen befähigt ist“, so hätten wir „keine andere Alternative, als die Verletzungen historisch mühsam erreichter Fundamentalnormen auch als solche zu benennen und in jedem konkreten Fall auf die Diskrepanz zwischen Anspruch und Realität aufmerksam (zu) machen.“ Rainer Mausfeld abschließend: „Die Entscheidung liegt also bei uns.“ Tönt ja gar nicht mehr so pessimistisch. Nur tun müssen wir es: Packen wir’s an, sonst packt es uns vielleicht in nicht allzu weiter ferne übel.

Erweckungserlebnis möglich

Wie schon angemerkt: Dieser Mausfeld ist ein Leseereignis. Das eine Erweckung aus der Lethargie – so weit vorhanden – bewirken kann. Allerdings wohl nur bei Leuten, die nicht in einem jahrzehntelangen eingeübten Weltbild gefangen sind.

Weitere Beiträge zu Rainer Mausfeld finden Sie hier, hier, hier, hier und hier.

Dazu auch (hinzugefügt am 13. Februar 2019):

Rainer Mausfeld

Warum schweigen die Lämmer?

Cover des Bandes via Westend Verlag.

Wie Elitendemokratie und Neoliberalismus unsere Gesellschaft und unsere Lebensgrundlagen zerstören

 

Erscheinungstermin: 201810
Seitenzahl: 304
Ausstattung: HCmSU mit zahlreiche Abbildungen
Art.-Nr.: 9783864892257

24,00 Euro

Eine Kampfansage an Rechts. Peter Zudeick: Heimat. Volk. Vaterland – Sachlich geschrieben. Sezierung der Begriffe

In diesen Zeiten kann es einen schwummerig werden. In diesem Land macht sich ein Ruck bemerkbar. Aber es ist nicht der Ruck (zu wessen Nutz und Frommen er auch gedacht war), welcher einst vom früheren Bundespräsidenten Roman Herzog gefordert wurde, der durch Deutschland gehen müsse. Es wird schon länger von in der Gesellschaft vorhanden gewesenen und neu geweckten Kräften an einem Ruck gewerkelt. Und zwar an einem Rechts-Ruck. Dieser hier und da 2015 bereits schon wieder leicht im Schwächeln begriffen gewesener Ruck ist erst durch Angela Merkels – sicher humanitär gedacht – geöffneten Arme für tausende in Orbans Ungarn festsitzende Flüchtlinge, welche dann ohne Kontrolle nach Deutschland kamen und ihr trotzig hinterher geschobenes „Wir-schaffen-das!“ wieder befeuert worden. Die AfD hatte endlich ihr zündendes Thema. Und sie zündelte, was das Zeug hielt! Der ins Stocken gekommene Ruck bekam Luft wie ein Feuer, dem es an Sauerstoff gemangelt hatte. Und so wurde die AfD sozusagen in den Deutschen Bundestag gerückt. Alexander Gauland tönte siegesgewiss:

„Da wir ja nun offensichtlich drittstärkste Partei sind, kann sich diese Bundesregierung (…) warm anziehen. Wir werden sie jagen, wir werden Frau Merkel oder wen auch immer jagen – und wir werden uns unser Land und unser Volk zurückholen.“ (Quelle: Bayerischer Rundfunk)

Wer hatte ihnen „ihr“ Land weggenommen? Und woher will Gauland „unser Volk“ zurückholen?

Aufgeheiztes gesellschaftliches Klima, …

In den letzten Wochen verging kaum ein Tag ohne dass der Begriff Flüchtlinge in Presse, Rundfunk, Fernsehen und den neuen Medien nicht vorkam. Da bekommt die ohnehin aufgeheizte Stimmung in der Gesellschaft, die Schwache gegen die noch Schwächeren ausspielt so richtig Nahrung. Kaum stand das Thema Flüchtlinge einmal nicht auf den Tagesordnung, da wurde auch schon eine neue Sau durchs Dorf getrieben: Kindergeldzahlungen an in Deutschland arbeitenden ausländische Eltern, deren Sprösslinge aber in den Heimat, etwa in den EU-Ländern Bulgarien und Rumänien leben. So wird das gesellschaftliche Klima aufgeheizt. Und die Medien tun mit, weil sie nicht genau genug berichten oder zu differenzieren nicht verstehen. Könnte es besser laufen für die AfD? Gauland und Konsorten jagen. Und die Gejagten lassen sich jagen.

Da richtete der damalige Finanzminister Bayerns und jetzige Ministerpräsident dortselbst, Markus Söder, ein „Heimatministerium“ ein. Der jetzige Bundesinnenminister Horst Seehofer, dessen Vorgänger in München, orientierte sich daran und strich das Innenministerium Berlin nun (u.a.) auch zum Heimatministerium an. Nun, wohin das zielt, weiß man. Die Landtagswahlen in Bayern stehen bald vor der Tür. Aber wissen diese im negativen Sinne populistischen Politiker wie Söder in München, der nun auch noch Kreuze aufzuhängen befahl in bayerischen Ämtern, und Seehofer in Berlin nicht, dass die Wähler ihr Kreuz immer beim Original machen?

wo Betrüger, Lügner und Volksverdummer Hochkonjunktur haben

In Zeiten wie diesen haben die „Betrüger, Lügner und Volksverdummer von rechts“ (im Klappentext des Buches „Heimat. Volk. Vaterland) Hochkonjunktur. Peter Zudeick, freier Journalist und Korrespondent für fast alle ARD-Rundfunkanstalten, hat sich in diesem am 1. August 2018 bei Westend erschienenen Buch mit den in dessen Titel vorkommenden drei Worten – welche oft „ideologisch aufgeladen und verkitscht – zu Kampfbegriffen gegen die Idee einer freiheitlichen, humanen, liberalen Gesellschaft“ würden, intensiv auseinandergesetzt. Das Buch trägt den Untertitel „Eine Kampfansage an Rechts“.

Sich von Nazis, die sich bestimmter Begriffen bemächtigt haben, das Sprechen und Denken vorschreiben lassen?

Im Prolog (S. 8) macht Zudeick darauf aufmerksam, dass, wenn es um Begriffe wie „Heimat“ oder „Vaterland“, Traditionen und bestimmte Volkslieder gehe, diese oft eine Neigung hervorriefen, sie „unter Verdacht zu stellen, nur weil die Nazis sich ihrer bemächtigt hatten“. Zudeick: Waren nicht alle alten Volkslieder irgendwie verdächtig, sämtliche Märchen und Mythen, die alten Erzählungen, die Begriffe für Hergebrachtes, die schönen Traditionen? Eben weil die Nazis sie so fabelhaft in ihre Ideologie einbauen konnten und weil sie so merkwürdig gut zu missbrauchen waren?“

Daraufhin gibt der Autor zu bedenken: „Das würde freilich heißen, sich von den Nazis das Sprechen und Denken vorschreiben zu lassen.“ Der Philosoph Ernst Bloch habe als einer der Ersten auf die Gefahr einer solchen Haltung hingewiesen. Und Zudeick zitiert Bloch: „Warum sind die Nazis an die Macht gekommen?“, habe dieser gefragt. Dessen Antwort interpretiert Zudeick, „Aufgrund ihrer erfolgreichen Propaganda. Und die Linken, die Kommunisten zumal, scheiterten im Kampf gegen die Nazis nicht zuletzt wegen ihrer ungeschickten, hölzernen Rhetorik. Das ist Blochs Kernthese.“

Nicht alle Begriffe, derer sich die Nazis bedient hätten, schränkt Zudeick ein, wäre heute so unbenutzbar wie „Blut und Boden“ oder das „Dritte Reich“. Für den Begriff „Führer“ wäre wohl „eine Generationenfrage“ (S. 11). Meint aber: „Für viele ist der Begriff so fest mit der Figur Adolf Hitler verleimt, dass auch da nichts mehr zu machen ist.“

Die AfD sei trotz gewisser historischer Parallelen keine Nazipartei, meint Peter Zudeick

Gewisse Parallelen zur Stimmung in der Vornazizeit was heutiges Geschehen betrifft, nennt Zudeick zwar „offensichtlich“. Es sei aber nicht so, „dass wir es mit einer Wiederkehr der Nazis aus den Dreißigerjahren zu tun hätten“. Möge der Autor da hoffentlich richtig liegen! Sein Beurteilung der AfD: diese sei „insgesamt keine Nazipartei, auch wenn die wenigsten ein Problem damit haben, dass es Nazis in ihren Reihen gibt.“

Verächter der Demokratie“ waren schon immer da. Die Parlamente machen sie kenntlich

Wenn man meine, „dass sich die AfD als dauerhafter Faktor am rechten Rand des politischen Spektrums etablieren wird, dann ist dem nicht zu widersprechen“, stellt Peter Zudeick fest. Man müsse das nicht schrecklich finden: „In gewisser Weise könnte die Bundesrepublik sich damit ehrlich machen. (S. 12) “ Die Verächter der Demokratie seien ja „bislang gerne weggelogen“ worden, „als gehörten sie nicht zu Gesellschaft.“ Zudeick: „Und nun wundert man sich, dass sie immer schon da waren.“ Die Parlamente, könnte man sagen, machen sie kenntlich.

Offenbar vertraut der Buchautor – was die Einhegung der AfD angeht – den Regularien der Parlamente, denen eben auch AfD-Politiker unterworfen wären. So weit so gut. Darauf kann man hoffen. Aber die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Was aber wenn, möchte man da dem Autor zurufen, es der AfD kraft der ihr womöglich einmal zufließenden Macht einmal gelingt die Parlamente stumpf zu machen oder gar abzuschaffen? Ich will da nicht unken.

Peter Zudeick: „Wir können es uns nicht weiter in unserer Schlafwagendemokratie gemütlich machen, sondern müssen ran an den Feind“

Wir müssen aber dennoch konstatieren: Die Demokratie ist ein zartes Pflänzchen, dem schon jetzt die etablierten Parteien allzu wenig Pflege angedeihen ließen und lassen. Im Kapitel „Anhaltendes Bocksgemurmel“ (S. 150) bekennt aber Peter Zudeick immerhin: „Wir können es uns nicht weiter in unserer Schlafwagendemokratie gemütlich machen, sondern müssen ran an den Feind.“

Den Feinden einer humanen Gesellschaft nicht das Begriffs-Arsenal überlassen, mit denen das Volk für dumm verkauft werden soll

Den Prolog zum Buch auf Seite 15 beschließend appelliert Peter Zudeick angesichts der wie auch immer gearteten Feinde einer humanen Gesellschaft und der Demokratie an seine LeserInnen vor allem betreffs der Begriffe Heimat, Volk, Vaterland: „Wir dürfen ihnen nicht das Begriffs-Arsenal überlassen, mit denen das ‚Volk‘ für dumm verkauft werden soll. (S. 15 unten)“

Die penible Erforschung und Durchleuchtung der Begriffe Heimat, Vaterland und Volk

Im weiteren Verlaufe des Buches hat es der Autor in dem Kapiteln „Heimat, süße Heimat ab S. 17)“ und „Süß ist der Name Vaterland“ (ab S. 69) sowie „Das Volk ist nicht völkisch“ (ab s. 91) unternommen die entsprechende Begriffe akribisch zu sezieren, um sie so penibel zu erforschen. Und diese in historisch wie gesellschaftlicher Hinsicht in einzelnen Zeitepochen wie auch in der Literatur einer Durchleuchtung zu unterziehen, um uns damit Erhellung zu verschaffen. All das ist hochinteressant dürfte nicht wenigen LeserInnen Anlass zum Nachdenken geben. Denn wie oft gebraucht man diese beackerten Begriffe ohne genau zu reflektieren, woher sie rühren bzw. hat verstanden, wie sie bewusst von bestimmten Kräften missbräuchlich in Anwendung gebracht worden sind und auch jetzt wieder gebracht werden. Seien wir also künftig aufmerksamer und resistenter, wenn uns aufgeht, dass wir benutzt werden sollen!

Zudeick: Die allerselbstverständlichsten Worte nicht von denen stehlen lassen, die uns missbrauchen wollen

Im Kapitel „Vorläufiger Befund“ (ab S. 139), das den Schweinwerferkegel auch das Gegenwärtige abtasten lässt, tritt Peter Zudeick Mut machend für ein „anderes Signal (S. 143) ein: „Wir lassen uns die allerselbstverständlichsten Worte nicht von denen stehlen, die sie missbrauchen wollen.

Wir führen die Debatte um Worte wie >Heimat<, >Volk< und >Vaterland<, weil es eine um Inhalte ist.“ Sie hätten eine lange Geschichte, „bevor sie nationalistisch aufgeladen wurden“. Die „Nazipropaganda habe diese Aufladung übernommen und verschärft“.

Das Bedienen der Vorstellung wonach das deutsche Volk bedroht ist

Im Kapitel „Anhaltendes Bocksgemurmel“ (S. 155) spielt Peter Zudeick auf den Spiegel-Essay „Anschwellender Bocksgesang“ von 1993 (hier) des Schriftstellers Botho Strauß an. Der damals hohe Wellen schlug. Schon darin wurde, wie Zudeick schreibt, eine Vorstellung bedient, wonach „das >deutsche Volk<, wie auch immer definiert, bedroht sei und sich gegen die Bedrohung behaupten müsse.“

Und merkt Zudeick an: „Von >Blutopfer< (wie bei Botho Strauß; C.S.) wird heute nicht mehr – oder noch nicht wieder – geredet. Aber wenn die Rechtsfront von Volk und Land und Bewahrung redet, dann meint sie genau das.“

Das neue Deutschland hätte auch neue Symbole verdient gehabt, meint Peter Zudeick

Im „Epilog: Wo wir uns finden wohl unter Linden“ macht Peter Zudeick aus seinem Dafürhalten, dass das vereinigte, neue Deutschland nicht nur eine neue Verfassung (wie es der Artikel 146 Grundgesetz vorsah), „sondern auch neue Symbole verdient gehabt“ hätte, keinen Hehl. Zudeick: „Der <<Traditionalismus und sein Beharrungsbedürfnis<< (Theodor Heuss, C.S) haben zum zweiten Mal gesiegt.“ Wieder entschied man sich für die Beibehaltung des Deutschlandlieds als Nationalhymne.

Zudeick „habe damit bis heute große Schwierigkeiten, die meisten meiner Mitbürger offenbar nicht.“, bekennt er (S. 162).

Versöhnlich führt er dennoch aus: „Aber vielleicht könnte man mit Blick auf das Deutschlandlied ein wenig vorsichtiger und differenzierter mit dem Etikett >von den Nazis missbraucht und deshalb unbrauchbar< umgehen.“

Das sachlich argumentierende Buch als Kampfansage lesen und sich dieser anschließen

Das sehr empfehlenswerte und über weite Strecken uns die Augen öffnende Buch, dessen Autor stets sachlich argumentiert, endet mit dem Abdruck von Bertold Brechts Kinderhymne, die auch mal als deutsche Nationalhymne im Gespräch gewesen war, mit allen vier Strophen. Peter Zudeick: „auch wenn – nein, gerade weil! – darin so merkwürdige Wörter wie >Anmut< und >Würde< und >Leidenschaft> und >lieben> und >Völker> im Zusammenhang mit Deutschland vorkommen.“

Man darf davon ausgehen, dass Brechts Kinderhymne für Peter Zudeick die bessere deutsche Nationalhymne gewesen wäre.

Ja, in Zeiten wie diesen kann es einen schon schwummerig werden. Dennoch gilt gerade jetzt: dieses Buch sollte als eine Kampfansage an Rechts gelesen und verstanden werden, der sich recht viele Menschen anschließen sollten.

Peter Zudeick

Heimat. Volk. Vaterland

Eine Kampfansage an Rechts

Erscheinungstermin: 01.08.2018
Seitenzahl: 192
Ausstattung: Klappenbroschur
Art.-Nr.: 9783864891090

18,00 Euro