Pressemitteilung: Immer noch kein DT-Sozialticket in Sicht

Ab dem 1. Mai 2023 wird es mit dem „Deutschlandticket“ (DT) ein bundesweit einheitliches Nahverkehrs­angebot für monatlich 49 Euro geben. Der Preis kann durch Unternehmen zudem als Jobticket auf 34,30 Euro reduziert werden. Schleswig-Holstein bietet seinen Landes­beschäftigten sogar ein ebenfalls deutsch­landweit geltendes Ticket für nur 16,55 € an. Was aber fehlt, ist die gleichzeitige Einführung einer preislich abgesenkten Variante für Menschen, die von Transferleistungen oder einer schmalen Rente leben müssen. Zur Erinnerung: Laut Paritätischem Armuts­bericht 2022 hat die Armut in NRW mit einer Armutsquote von 19,2 Prozent einen neuen Höchststand erreicht. Auch die Einführung des Bürgergeldes hat an der Tatsache, dass die Regelsätze viel zu knapp bemessen sind, nichts geändert. Hier ein Beispiel: Der für „fremde Verkehrsdienstleistungen“ vorgesehene Anteil im Regel­satz bei Sozialleistungen ist bundesweit gleich und beträgt bei alleinlebenden Erwachsenen nur 40,58 Euro. In allen anderen Bedarfsstufen sogar nur anteilig, also noch weniger. Hinzu kommen Menschen, denen noch nicht einmal diese staatlichen Leistungen zugestanden werden. Nach wie vor bekommen Asylbewerbern*innen kein Bürgergeld. Leider wurde beim Deutschlandticket versäumt, eine entsprechende soziale Komponente einzubauen. Daher muss nun in jedem Bundesland eine abgestufte Ticketvariante für Einkommensschwache und Sozial­leistungsbeziehende eingeführt werden. Herr Minister Oliver Krischer hat uns in einem Brief vom 23.3.2023 versichert, dass es ihm „ein persönliches Anliegen ist, weiterhin ein sozial verträgliches Ticket anzubieten“. Die Prüfung für ein Sozialticket durch das Ministerium und die beteiligten Verkehrsverbünde dauere noch an. Es ist leider zu befürchten, dass darüber noch einige Monate ins Land gehen werden. Bis dahin kostet das Sozialticket als Monatsticket im größten Verkehrsverbund VRR weiterhin 41,20 € pro Monat und ist nur kreis- bzw. stadtweit gültig. Wir halten es für skandalös, dass Menschen mit geringem Ein­kommen für ihr minderwertiges Ticket mehr zahlen müssen als normal oder gutverdienende Bürger und Bürgerinnen, die in die Gunst eines Jobtickets kommen können. Wir haben am Mittwoch (26. April) die Fraktionen des Landtages NRW per Brief aufgefordert, sich dafür einzusetzen, dass möglichst schnell eine akzeptable Lösung für die Einführung eines bundesweit geltenden Sozialtickets gefunden wird. Nach unseren Vorstellungen sollte es nicht mehr als 29 Euro kosten und eine Mit­nahmemöglichkeit aller eigenen Kinder einschließen. Weitere Informationen finden Sie auf der Webseite des Bündnisses (s.u.). Bis zur abschließenden Klärung bitten wir die Fraktionen zudem, sich für eine Übergangslösung einzusetzen, bei der die bislang von den Verkehrsverbünden angebotenen Sozialtickets zumindest landesweit gültig werden.

Wesel/Dortmund, 28. April 2023 Ansprechpartner (für Rückfragen): Klaus Kubernus-Perscheid, Pastor Wolf Str. 12, 46487 Wesel, klaus.kubernus@t-online.de, Tel.: 02803 8303 Heiko Holtgrave, Huckarder Str 12, 44147 Dortmund, info@akoplan.de, Tel. 0231 580 34 250 https://www.buendnis-sozialticket-nrw.de

Foto: Claus Stille

Reiner Brauns interessanter Vortrag „Wie ist Frieden in der Ukraine möglich?“ in der Dortmunder Pauluskirche

Reiner Brauns Arbeit ist seit Jahrzehnten intensiv in der Friedensbewegung aktiv. Nicht zuletzt versteht er sich als Brückenbauer, um auch widerstreitende Positionen in der Sache zusammenzuführen. Willy Brandts Worte sind ihm Verpflichtung: «Der Frieden ist nicht alles, aber alles ist ohne den Frieden nichts.« Braun hat seinerzeit den „Krefelder Appell“ wesentlich mit initiiert.

Diese Woche hielt Braun, der einst in Dortmund studierte, am 25. April in der Dortmunder Pauluskirche einen sachlichen, in der Sache des Friedens aber entschlossen zum Handeln in Sachen Frieden auffordernden Vortrag unter dem Titel „Wie ist Frieden in der Ukraine möglich?“. Er traf damit im Wesentlichen auf Zustimmung im Publikum. Jedoch erfuhr Braun auch Widerspruch und ideologisch-fragwürdige Kritik seitens eines Besuchers während der Diskussion nach dem Vortrag.

Alles in allem ein interessanter Abend, an welchem im Wesentlichen respektvoll miteinander umgegangen wurde welcher nachdenklich machte und zum Mittun in Sachen Frieden aufrüttelte.

Wer heute für Frieden eintritt hat es dieser Tage nicht leicht

Wer sich heutzutage betreffs des Ukraine-Kriegs für den Frieden einsetzt hat es dieser Tage schwer. Als „Friedensschwurbler“, „Putinknecht“ oder „Lumpenpazifist“ mussten sich schon so einige friedensengagierte Menschen beschimpfen lassen. Dagegen sorgen herrschende Politik (vornweg Mitglieder der gewesenen Friedenspartei Die Grünen, welche heutzutage die größten Kriegstreiber sind) und in diesem Sinn gleichtönende Mainstream-Medien dafür, dass der Krieg durch immer mehr Waffenlieferungen an Kiew mehr und mehr befördert wird. Einen Krieg in welchen unser Land droht immer weiter hineingezogen zu werden.

Fragwürdige Haltung der Kirche

Selbst die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Annette Kurschus, befürwortete westliche Waffenlieferungen. Sie hoffe, dass diese Waffen „die Not wenden können“, sagte Kurschus vor einiger Zeit in einem Deutschlandfuk-Interview.

Der Einsatz von Waffen müsse aber „zum Ziel haben, die Waffen zum Schweigen zu bringen“. Welch Logik! Ist das christlich? Loderndes Feuer mit Öl löschen?

Das gefällt auch Pfarrer Friedrich Laker, dem Hausherrn der evangelischen Dortmunder Pauluskirche nicht, der die einführende Worte zur Veranstaltung und zum Referenten sprach.

Der Vortrag von Reiner Braun sorgte im Vorfeld für Aufregung

Pfarrer Laker ist es zu verdanken, dass der Vortrag von Reiner Braun zustande kam. Der Vortrag, so Pfarrer Laker, habe schon im Vorfeld für Aufregung gesorgt. Die Idee zu dieser Veranstaltung habe von der Partei dieBasis gestammt. Die Einstellung Reiner Brauns, betonte Laker, habe er verantworten können. Zumal er in der Evangelischen Kirche eine Vielfalt der Diskussion zum Thema Ukraine-Krieg sowie pazifistische Positionen vermisse. Ihn habe es sehr erschrocken, das Thomas de Maizière, der frühere Innenminister und diesjährige Präsident des Evangelischen Kirchentages in Nürnberg, gesagt habe, Freiheit gehe immer vor Frieden. Eine „sehr steile Aussage“, nannte Pfarrer Laker (Foto) diese Äußerung de Maizières. Noch dazu in dessen exponierter Stelle. Was Laker „bedenklich“ nannte.

Sich der großen Friedenskundgebung 1981 im Bonner Hofgarten erinnernd, meinte Pfarrer Laker: „Wir bräuchten eigentlich eine solche Friedensbewegung heute wieder“

Friedrich Laker erinnerte sich, dass er 1981 mit seiner Frau als Theologiestudent an der legendären großen Kundgebung im Bonner Hofgarten gegen die atomare Bedrohung teilgenommen hatte. Damals habe es eine ganz große Friedensbewegung, die sich eingemischt habe, gegeben. Sie habe wesentlich dazu beigetragen, dass der NATO-Doppelbeschluss kippte. Laker: „Wir bräuchten eigentlich eine solche Friedensbewegung heute wieder.“

Er findet es bedenklich, „dass die militarisierte, aufgeheizte Stimmung weitergeht, die sich in immer mehr Waffen äußert“.

Reiner Braun hat kein Patentrezept für den Frieden in der Ukraine, jedoch analysierte er, wie Friedensprozesse möglich seien

Reiner Braun sagte später, auf einem Schlachtfeld könne es letztlich keine Sieger geben.

Zehntausend weitere Tote könnte der Krieg – wird er nicht gestoppt – fordern.

Trotzdem solle diese menschliche Katastrophe offenbar weiter befeuert werden.

Die Vorgeschichte des Ukraine-Kriegs bedenken!

Reiner Braun, sagte, von ihm könne keiner erwarten zu sagen, wie der Frieden in der Ukraine herzustellen sei. Jedoch wolle er analysieren, wie Friedensprozesse möglich seien. Braun bemühte sich um eine analytische und geopolitische Einordnung.

Diesbezüglich kam Braun auf die Vorgeschichte des Ukraine-Kriegs zu sprechen. Wichtig, um zu verstehen, zumal heute Politik und Medien leider nichts (mehr) darüber verlauten lassen.

Zur Vorgeschichte des heutigen Krieges gehöre die Charta von Paris (November 1990), wo man sich auf ein gemeinsames Sicherheitssystem in Europa verständigt habe. Die Tinte unter diesem Dokument sei noch nicht trocken gewesen, als bereits im Frühjahr 1991 die Pläne der NATO-Osterweiterung auf der Agenda standen und betreffs der Umsetzung an Fahrt gewannen. Weiter gehöre dazu, dass man die Ukraine mit viel Druck versuchte hat in das westliche System zu ziehen. Im Zuge dessen hatte es den Maidan-Putsch gegen die gewählte Regierung in Kiew gegeben. Proteste gegen Vorhaben der Putschregierung im Donbass wurden von der ukrainischen Armee gewaltsam bekämpft.

Überdies sei der Minsk-Vertrag (I und II), der zu Frieden in der Ukraine führen sollte, nie wirklich mit Leben erfüllt worden. Und wie wir heute durch Äußerungen des damaligen Präsidenten Hollande und der seinerzeitigen Bundeskanzlerin Merkel – die diesen Vertrag maßgeblich mit ausgehandelt hatten – sowie des einstigen ukrainischen Präsidenten Poroschenko wissen, habe man diesen Vertrag vorsätzlich zur gemacht, damit die Ukraine Zeit bekam, um aufzurüsten. Minsk 2 sei vom UN-Sicherheitsrat als völkerrechtliches Dokument anerkannt worden, so Braun: „Damit ist das Verhalten von Frau Merkel völkerrechtswidrig – Völkerrechtsbruch.“ Braun bezeichnet Merkels Tun als „verwerflich“

Ebenso sei der Einmarsch Russlands in die Ukraine völkerrechtswidrig. Braun: „Trotzdem geht es nicht um Rechtfertigung. Es geht um Verstehen und Begreifen der Zusammenhänge.“

Die geostrategischen und die tektonischen internationalen Kräfteverschiebungen bedenken

Man müsse, betonte Reiner Braun, sich ebenfalls mit den geostrategischen Verschiebungen dieser Welt beschäftigen.

Eigentlich habe man es mit drei Kriegen zu tun: „Das ist ein Krieg Ukraine-Russland, ein Bürgerkrieg zwischen zwei Teilen der Ukraine und es ist ein Stellvertreterkrieg zwischen NATO und Russland.“

Der Krieg habe nicht zuletzt mit den tektonischen internationalen Kräfteverschiebungen zu tun. „Der stärker werdenden und der schwächer werdenden Mächte und Machtblöcke.“

Braun: „Der große Verlierer diesen Krieges ist Europa.“

Europa habe seine minimalen Ansätze, seine gewisse Selbstständigkeit vollständig aufgegeben zu Gunsten der Unterordnung unter die USA.

Verlierer sei aber gewissermaßen auch die USA, weil deren Einfluss international deutlich zurückgehe. Vor fünf Jahren machten die USA beim Welthandel noch neunzehn Prozent aus, heute seien es nur noch zwölf Prozent.

China dagegen erlebe einen Aufstieg. Wie auch immer man zum chinesischen System stehe, müsse anerkannt und gewürdigt werden, dass es dort in den letzten dreißig Jahren gelungen sei 800 Millionen Menschen aus der Armut zu holen. Demgegenüber sei die Armut in der gleichen Zeit in Afrika und in anderen Teilen Erde eher gestiegen. (Anbei empfehle ich zur Entwicklung der Volksrepublik China diesen Beitrag von mir.)

China sei im Grunde dabei, seine einstige Handelsmacht und Stellung in der Welt wieder zurückzugewinnen, die es durch Kolonialisierung einst verloren hatte.

Gleichzeitig sei „der Einfluss des alten weißen Mannes mit seinen Kolonialsystemen im Hintergrund deutlich zurückgegangen“. Die Verschiebungen der Kräftekonzentrationen führe auch zu neuen Machtzentren auf der Welt. Als Beispiel nannten Reiner Braun die BRICS-Staaten mit einer eigenen Bank, die die De-Dollarisierung eines Handelsvertragssystems weltweit massiv vorantreiben. Die Welt sei im Wandel begriffen.

Ex-Militärs: Ein Siegfrieden im Ukraine-Krieg ist unrealistisch

Geleakte Dokumente sowie Analysen von Militärs in den USA, des Thinktanks RAND-Corporation und hierzulande Einschätzungen von Ex-Militärs wie Harald Kujat und Erich Vad deuteten darauf hin, dass ein Siegfrieden im Ukraine-Krieg unrealistisch sei. Noch sei jedoch die Bereitschaft zum Stoppen des Kriegs und zu Frieden nicht zu erkennen.

Wie in der Kuba-Krise ist bei der Zuspitzung des Konflikts in der Ukraine die Gefahr eines Atomkriegs reell. Die „Weltuntergangsuhr“ steht auf 90 Sekunden vor Mitternacht.

Braun erinnerte an die Kuba-Krise und die damals aufgekommene Angst vor einem Atomkrieg und dem Ausbruch eines dritten Weltkriegs.

Auch jetzt wieder sei eine solche Gefahr durchaus reell.

Reiner Braun erinnerte daran, dass „Bulletin of the Atomic Scientists“ (besetzt von Nobelpreisträgern) u.a. wegen des Ukraine-Kriegs und der Zuspitzung des Konflikts mit Russland die Zeiger der „Weltuntergangsuhr“ auf 90 Sekunden vor Mitternacht vorgerückt habe.

Wir müssten überlegen wie wir aus dieser Eskalationssituation herauskommen, mahnte Braun.

Die Notwendigkeit sei deshalb zu sagen: „Die Waffen müssen schweigen.“

Das heiße: „Waffenstillstand.“

Der Vorwurf, wenn man Verhandlungen fordere, laute immer: Mit Putin könne man nicht verhandeln. Dabei würde doch bereits mit Putin verhandelt. Etwa das Getreideabkommen sei ausgehandelt und verlängert worden. Gefangenenaustausche seien verhandelt worden.

Außerdem habe es ein fast fertiges Friedensabkommen („Vertrag von Istanbul“) zwischen der Ukraine und Russland gegeben. Der Vertrag sei nie unterzeichnet worden. Der damalige Premierminister Boris Johnson und US-Verteidigungsminister Austen haben es in Kiew verhindert.

Nebenbei bemerkt vergaß Reiner Braun zu erwähnen, dass der ukrainische Präsident Selenskij per Dekret verboten hat, mit Russland zu verhandeln.

Erst könnte es noch viel mehr Opfer geben, dann sich aber ein Window of Opportunity öffnen

Die Friedensbewegung müsse nun Verhandlungen und einen Vertrag in den Mittelpunkt ihres Bemühens stellen.

Positiv und als hoffnungsvoll bewertete Reiner Braun Friedensinitiativen, des globalen Südens (Brasilien, Mexiko), des Vatikan sowie Chinas.

Braun schätzte ein, dass das Massenschlachten in der Ukraine in den Frühjahrsoffensiven nicht zu verhindern sei. „Das wird wahrscheinlich ausgehen – böse gesagt – wie das Hornberger Schießen. Keine Seite wird groß gewinnen. Außer viele Opfer haben. Danach könnte sich allerdings ein Window of Opportunity öffnen für Verhandlungen.“ So zynisch das vielleicht auch klinge.

Auch in den USA, schätzte Braun ein, gebe es durchaus auf Grund sozialer Verwerfungen und bestimmten Interessen Bewegung, Druck, um diesen Krieg zu beenden.

Friedensbemühungen mit Kompromissen

Die Ukraine sollte als ein souveräner neutraler Staat nicht in die NATO aufgenommen werden, völkerrechtliche Sicherheitsgarantien erhalten, durchaus aber eingebunden werden, in beide Wirtschaftsvereinigungen, der EU und der Eurasischen Union. Des Weiteren solle ein Rückzug der russischen Truppen erfolgen. Bezüglich der Krim müsse man sich auf längerfristigen Lösung vertagen. Der Jetzt-Zustand solle akzeptiert und später eine erneute Volksabstimmung der Krimbewohner erfolgen. Eine Übergangslösung solle es auch für die Oblaste Donezk und Lugansk geben – vergleichbar etwa mit dem damaligen Vorgehens betreffs des Saarlands.

Die Stationierung von Blauhelmsoldaten aus neutralen Staaten solle angestrebt werden. Selbstverständlich müsse es Sicherheitsgarantien für Russland geben, sowie keine weitere NATO-Osterweiterung.

Außerdem werde eine neue Sicherheitsgarantie in Europa auf der Basis der gemeinsamen Sicherheit gebraucht, so Braun.

Was der Friedensbewegung zukommt zu tun

Die Friedensbewegung müsse massiv dazu beitragen, dass die Bundesregierung gezwungen werde, diplomatische Initiativen mit zu ergreifen bzw. zumindest zu unterstützen.

Frankreich und Deutschland könnten in der EU eine positive Rolle einnehmen, um dazu beitragen, dass „den kriegstreiberischen Fanatikern aus Polen und den baltischen Ländern endlich“ etwas entgegengesetzt wird.

Im Sinne von Verhandlungen.

Dies zu fordern und befördern sei die Aufgabe der Friedensbewegung. Mit entsprechenden Partnern müsse man zusammen und auch auf der Straße sich zusammen engagieren.

Er, Braun, wisse sehr wohl um die Schwierigkeiten das zu bewirken und die Kontroversen in den eigenen Reihen. Diese Kontroversen müsse und könne man ein bisschen zurückstellen.

Es gehe nicht nur um diesen schrecklichen Krieg, sondern um kollektiv anzugehende Herangehenslösungen zu erreichen, damit die globale Herausforderungen der Menschheit gemeistert würden. Wir müssen Verhandlungen für Abrüstung und für Frieden auf die Tagesordnung setzen, so Braun.

Dafür sei die Friedensbewegung unabdingbar nötig.

Reiner Braun schloss seinen Vortrag so: „Ich möchte euch hier und heute ermuntern dazu, mit allen zusammen einen Beitrag zu leisten.“

Diskussion

Im Anschluss des sehr interessanten Vortrags fand eine nicht weniger interessante Fragerunde statt. Ein Zuhörer bekannte sich dazu in puncto Vertrauensbildung keinerlei Vertrauen in die USA zu haben. Schließlich habe man seinerzeit Moskau versprochen mit der NATO keinen Inch nach Osten zu rücken. Das Gegenteil sei gemacht worden. Darüber hinaus hätten die USA alle Abrüstungs- und Kontrollverträge einseitig gekündigt. Reiner Braun gab darauf zu bedenken, dass es in den USA viele gesellschaftliche Gruppen gebe, die für Frieden engagiert seien. Auch sei es weltpolitisch heute so, dass nicht wenige Länder auf der Erde längst nicht mehr auf der Linie der USA sind.

Dazu sollte nicht vergessen werden, dass die USA alle die vom Frager erwähnten Kriege letztlich verloren habe. Zuletzt geschehen in Afghanistan.

Ein anderer Herr mochte in die auch von Reiner Braun genannten Umfragewerte, betreffs der Menschen, die jetzt für Frieden einträten. Er sehe nämlich, dass die Kriegspropaganda hierzulande das alles niedertrampele. Am Zustand der Friedensbewegung – im Vergleich zur Friedensbewegung in den 1980er Jahren verzweifele er heute.

Braun sagte, man müsse in der Tat realisieren, dass die Friedensbewegung derzeit so schwach ist wie lange nicht. Er leide wohl am Allermeisten darunter. Trotzdem gebe es immer noch viele Menschen, die sich für Frieden engagieren. „Mit denen muss ich versuchen das Beste zu machen“, so Braun. „Am Liebsten, so der Friedensaktivist weiter, „würde ich morgen gleich den Bonner Hofgarten mieten und das Brandenburger Tor mit. Aber wir müssen es vorbereiten, sonst wird es nichts.“

Die Frage eines anderen Herrn nach der Einschätzung der Initiative des Querdenken-Gründers Michael Ballweg, der angab, mit der Letzten Generation zusammenzuarbeiten zu wollen, beantwortete Braun vorsichtig und ausweichend. Die Aktionen der Letzten Generation wolle er nicht kriminalisieren. Er sieht sie aber nicht in der Lage Mehrheiten in der Bevölkerung zu gewinnen und Vorurteile abzubauen. Er sei wohl eher das Gegenteil der Fall.

Eine Dame kritisierte Situationen an Universitäten, wo aufklärende Lehrende fast nicht mehr da seien. Man müsse fast von „Säuberungen“ sprechen. Eine von ihr aufgehängte Karte pro Ostermarsch sei vom ASTA wieder abgehängt worden.

Leider, so Braun darauf, gebe es bei jungen Menschen Defizite in friedenspolitischem Engagement. Dennoch gebe es auch junge Leute, die sich der Friedensarbeit widmeten.

Eine frühere von ihm Behauptung, wie hätten pluralistische linke Hegemonie an den Unis, sei allerdings heute „hops“.

Ein jüngerer Herr (im Gespräch mit dem Autor nach der Veranstaltung verortete jemand aus dem Publikum den Mann in der links-grünen Szene bzw. der sogenannten Antifa, auch „Transatlantifa“ genannt; C.S.) trat dann mit harter Kritik an den Ausführungen von Reiner Braun, aber auch zur bisherigen Diskussion auf. An Brauns Vortrag fehlte es ihm „Ausgwogenheit“ Sehr einseitig sei das alles gewesen. „Nicht ein Wort zu Putin, nicht ein Wort zu Lawrow, nicht ein Wort zu Kadyrow und den Söldnertruppen und deren Tätigkeit. Für mich steht Putin in einer Reihe mit Hitler …“ Es würde von Braun alles als Schuld der Amerikaner dargestellt. „Die Schuld der Deutschen als Kriegstreiber. Alle Verbrechen Putins seien mit keinem Wort erwähnt worden. Tatsachen hätte der Referent weggelassen. Murren im Publikum.

Für Reiner Braun war die Antwort auf den kritischen Einwurf nicht einfach. Er fand jedoch, dass es gut wäre, wenn sich auch der Diskutant für Waffenstillstand und Verhandlungen einsetzen würde.

Dann könne man über Vieles diskutieren.

Braun (Foto am Pult) fand, das, was ihm vorgeworfen wurde, sei „ein bisschen einfach“ gewesen. Hart wies er den Vergleich zwischen Putin und Hitler zurück. Was auf Beifall traf. Dieser Vergleich X und Y mit Hitler, zöge sich durch den letzten dreißig Jahre. „Der erste Vergleich mit Hitler war Milosevic, dann war es Saddam Hussein, dann Gaddafi und dann war es Assad. Das sei eine Politform, die meines Erachtens nicht geht.“

Freilich aber müsse über russische Politik, russische Opposition, über russische Deserteure gesprochen werden usw.

Braun wies daraufhin, dass vergangenen November noch einmal in Moskau gewesen sei und vielen ganz unterschiedlichen Leuten gesprochen habe. (Lesen Sie gerne Reiner Brauns Bericht zu seiner Reise auf den NachDenkSeiten.)

Braun stellte klar, dass die Friedensbewegung weder auf der Seite der Ukraine noch der Russlands stehe. Wir sind auf der Seite des Friedens.

Übrigens, so Braun, sei der Putin von heute nicht mehr der Putin, der 2001 im Deutschen Bundestag sprach und stehende Ovationen für seine in Deutsch gehaltene Rede bekam.

Letztlich enttäuschte ihn der Westen betreffs seiner ausgestreckten Hände. Stichwort: NATO-Osterweiterung Raketenstationierung an der Ostgrenze. Daraus eine Konfrontation erwachsen. „Das hat zu dem Putin des Jahres 2022 und 2023 geführt“, merkte Braun an.

Rundum fand Reiner Brauns Vortrag durchaus viel Zustimmung im Publikum. Durch die Fragen aus dem Publikum wurden Brauns Ausführungen in bestimmten Punkten über dessen Antworten darauf noch zusätzlich ergänzt und gewiss so mancher Denkprozess ausgelöst.

Eine interessante Anmerkung von Reiner Braun sei noch: „Wir müssen uns daran gewöhnen, dass die gesamte politische Entwicklung immer eine Entwicklung von Widersprüchen ist. Es gibt keine monokausale Entwicklung. In den politischen Entwicklungen sind immer Widersprüche. Das gilt für die deutsche Politik. Das gilt für die russische Politik. Und auch für die ukrainische Politik. Wenn wir nicht erkennen, dass immer ganz unterschiedliche Tendenzen sich in der politischen Gesamtlage finden, dogmatisieren wir Politik. Und das ist der falscheste Weg, Lösungen zu finden.“

Wir müssten auch wieder mehr nach Gemeinsamkeiten zwischen den Menschen und Ländern suchen. Braun: „Seid offen im Zugehen auf Menschen, die nicht unbedingt ihrer, unserer, auch meiner Meinung sind. Offen dafür, die Diskussion mit ihnen zu suchen. Vielleicht ein bisschen genauer zuzuhören. Und zu überlegen, können nicht an seinen Überlegungen auch etwas dran sein, dass ich noch nicht berücksichtigt habe. So könne man zu einer besseren zu einer gemeinsamen Lösung, die uns insgesamt bestärkt.

Ausstellung „Krieg&Kinder“

In der Kirche war eine eindrucksvolle, von Mark Brill und einer Freundin gemeinsam auf privater Basis zusammengestellte organisierte Ausstellung zu sehen.

Die Ausstellung bot eine unterstützende Kulisse für den Vortrag von Reiner Braun. Mehr Informationen über die Ausstellung

erfahren Sie auf dem Telegram-Kanal Krieg&Kinder.

Zu Reiner Braun

Braun hat jahrzehntelange Erfahrung in der Friedensbewegung. Seit 1982 ist er bei den „Naturwissenschaftlern für den Frieden“ aktiv, im Zeitraum von 1987 bis 2001 auch als Geschäftsführer. Außerdem ist er Co-Präsident des International Peace Bureau (IPB) Er ist Autor und Herausgeber verschiedener Bücher über Frieden und Nachhaltigkeit.

Die Veranstalter waren

Zu dem Abend mit Reiner Braun hatten das Friedensforumattac und IPPNW, Vereinigung der Ärztinnen und Ärzte gegen den Atomkrieg eingeladen. Alle drei Organisationen sind Mitglieder des Klimabündnisses Dortmund.

Fotos: Claus Stille

Video: Mark Brill

Anbei:

Reiner Braun referiert morgen in der Pauluskirche in Dortmund zum Thema: „Wie ist Frieden in der Ukraine möglich?“

Reiner Brauns Arbeit ist seit Jahrzehnten intensiv mit der Friedensarbeit und der Friedensbewegung verbunden. Es ist gewiss nicht falsch ihn als eines der Urgesteine der Friedensbewegung zu bezeichnen. Nicht zuletzt versteht er sich – und handelt demzufolge – nicht zuletzt als Brückenbauer, um auch widerstreitende Positionen innerhalb der Friedensbewegung in der Sache zusammenzuführen.

Am morgigen Dienstag wird der Friedensaktivist in der Dortmunder Pauluskirche in der Schützenstraße sprechen.

Reiner Brauns Referat am 25.4.23, 19:00 trägt den Titel: „Wie ist Frieden in der Ukraine möglich?“

In der Einladung heißt es:

Der Krieg in der Ukraine ist mittlerweile ein brutale Abnutzungskrieg beider Kriegsparteien? Was bedeutet dieser Krieg in Europa? Wie verschieben sich die Machtverhältnisse der Staaten, Mächte und Bündnisse? Sind ein Waffenstillstand, Verhandlungen und auf mittlere und lange Frist Frieden zwischen der Ukraine und Russland möglich? Ist Pazifismus eine Vision, die sich dauerhaft erledigt hat?

Diese Fragen und mehr beantwortet der Historiker, Journalist und Friedensaktivist wie Friedensforscher Reiner Braun in einem Vortrag und anschließendem Gespräch mit den Teilnehmenden in der Pauluskirche. Braun hat jahrzehntelange Erfahrung in der Friedensbewegung. Seit 1982 ist er bei den „Naturwissenschaftlern für den Frieden“ aktiv, im Zeitraum von 1987 bis 2001 auch als Geschäftsführer. Außerdem ist er Co-Präsident des International Peace Bureau (IPB) Er ist Autor und Herausgeber verschiedener Bücher über Frieden und Nachhaltigkeit.

Zu dem Abend mit ihm in der Pauluskirche lädt auch das Friedensforumattac und der IPPNW, Vereinigung der Ärztinnen und Ärzte gegen den Atomkrieg ein. Alle drei Organisationen sind Mitglieder des Klimabündnisses Dortmund.

Quelle: pauluskirche dortmund

Anfang April war Reiner Braun zum Friedenskongress der «Handwerker für den Frieden« in Dessau gekommen

Kürzlich nahm Reiner Braun am Friedenskongress der „Handwerker für den Frieden“ in Dessau teil. Dazu sagte Braun : „Die «Handwerker für den Frieden« sind eine ganz große Errungenschaft der Friedensbewegung.“

Eine nicht von der Hand zu weisende Feststellung: Der Frieden liegt im Interesse von Handwerkerinnen und Handwerkern, der Krieg nicht.

Zum Kongress im Technikmuseum „Hugo Junkers“ im sachsen-anhaltinischen Dessau hatte die Initiative „Handwerker für den Frieden“ eingeladen. Deren Initiator ist Karl Krökel, der Kreishandwerksmeister Anhalt Dessau-Roßlau. Im Juni 2022 hatte er gemeinsam mit anderen Handwerker mit einem Brandbrief (dazu mehr hier) gegen die antirussische Sanktionspolitik für Aufsehen gesorgt – ebenso für viel Zustimmung, wie sich auch an diesem am 2. April 2023 in Dessau zeigte. Deutlich mehr als die erwarteten etwa 150 Menschen waren gekommen, nicht nur wegen des angekündigten Vortrages von Gabriele Krone-Schmalz, einer prominente Unterstützerin der Handwerker-Friedensinitiative.

Reiner Braun war einer von mehr als 200 Teilnehmern des ersten „Handwerker-Friedenskongresses“. Es handele sich um einen neuen Impuls, der Braun mit seiner jahrzehntelangen Erfahrung in der Friedensbewegung positiv überraschte: „Wer erwartet eigentlich schon von den Handwerkern, dass sie sich gegen den gesellschaftlichen Mainstream für den Frieden engagieren?

Das Handwerk kann wie jede andere Arbeit nur im Frieden gedeihen

Diese Haltung haben mehr als 200 „Handwerker für den Frieden“ auf ihrem Kongress am 2. April im Technikmuseum „Hugo Junkers“ in Dessau erneut entschlossen zum Ausdruck gebracht.

Bemerkenswert waren die Ausführungen von Reiner Braun in der abschließenden Podiumsdiskussion. Ein leidenschaftlicher Aufruf, sich basisdemokratisch einzumischen in die Politik, wobei er die Gewerkschaften besonders hervorhob. „Diplomatie von unten“ – war ein solcher Gedanke. Gemeinsam auf die Straße gehen, der „Ausgrenzeritis“ den Kampf ansagen, einen „Minimalkonsens“ finden. Es sei kein Zufall, so Braun, dass die „Handwerker für den Frieden“, die eine große Errungenschaft seien, aus dem Osten kommen – „der Osten ist einfach rebellischer“. Der Grundpfeiler der Friedensbewegung müsse die Solidarität sein.

Und wie schaut es im Westen, tief im Westen aus?

Anbei gegeben: Antje Vollmers Vermächtnis einer Pazifistin in: Berliner Zeitung v. 23.2.2022

„Wer sich machtpolitisch behauptet, wer seine Existenz mit blutigen Opfern und Waffen verteidigt, gilt als Bollwerk für die europäischen Ideale der Freiheit,
  koste es, was es wolle. Wer aber den Weg des Konsenses, der Kooperation, der Verständigung und der Versöhnung sucht, gilt als schwach und deswegen als
  irrelevant, ja als verachtenswert. […] Was hat die heutigen Grünen verführt, all das aufzugeben für das bloße Ziel, mitzuspielen beim großen geopolitischen
  Machtpoker, und dabei ihre wertvollsten Wurzeln als lautstarke Antipazifisten verächtlich zu machen?“

„Handwerker für den Frieden“ in Dessau:

Dr. Daniele Ganser mit Vortrag zum Ukraine-Krieg in Dortmund: „Wir müssen alle Kriege ablehnen“

Ein gut aufgelegter Dr. Daniele Ganser war gestern in der ausverkauften Westfalenhalle 2 in Dortmund zu erleben. Sein Vortrag: „Warum ist in der Ukraine ein Krieg ausgebrochen?“ konnte stattfinden. Das war juristisch festgestellt worden. Von zwei Gerichten. Es hatte sich gelohnt das Vortragsverbot der Stadt Dortmund nicht einfach hinzunehmen. Der Vortrag war ein voller Erfolg. Das Publikum spendete Dr. Daniele Ganser bei seinem Auftritt tosenden Applaus. Stehende Ovationen!

Nachdem das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen erstinstanzlich für Recht befunden hatte, dem Vortrag von Dr. Ganser stünde nichts entgegen, meinte der Dortmunder Oberbürgermeister Thomas Westphal (SPD) – der offenbar keinen Respekt vor Demokratie und grundgesetzlich garantierter Meinungsfreiheit zu zeigen bereit war und mit dem Kopf unbedingt durch die Wand wollte – Beschwerde beim nächst höheren Gericht einlegen zu müssen. Doch auch das Oberverwaltungsgericht Münster – die höchste verwaltungsgerichtliche Instanz in Nordrhein-Westfalen – sprach, der Vortrag dürfe stattfinden und der Vertrag mit der Westfalenhallen GmbH müsse erfüllt werden. Zwei saftige Klatschen für den Dortmunder OB! Während Westphal gewiss seine brummenden und kribbelnden Wangen noch immer kühlen musste, dürften ihm gestern Abend zusätzlich noch die Ohren geklingelt haben. Das Publikum der mit 2000 Menschen ausverkauften Westfalenhalle 2 tat deutlich seinen Unmut gegenüber dem OB und der Entscheidung des Rates der Stadt (nur die AfD-Fraktion hatte gegen die Vortragsabsage gestimmt) kund.

Dr. Daniele Ganser heute auf seinem Facebook-Account:

„Wichtig ist, dass man mutig und friedlich seinen Weg geht. Auch wenn es Widerstand von der Politik gibt, oder wenn man durch einige Medienmarken diffamiert wird. Das haben viele schon erlebt. Schön wars gestern in Dortmund! Die Westfalenhalle mit 2000 Plätzen war ausverkauft. Danke für die tolle Stimmung! Heute spreche ich in Aachen.“

Vor Picassos Friedenstaube betritt Dr. Daniele Ganser die Bühne

Auf der Projektionswand wird Picassos Friedenstaube mit dem Ölzweig im Schnabel sichtbar. Dr. Daniele Ganser betritt die Bühne. Der Schweizer Historiker und Friedensforscher zeichnet die historischen Ereignisse, welche zum Ukraine-Krieg geführt haben unaufgeregt aber lückenlos, chronologisch, basierend auf seinen gründlichen Recherchen, nach. Im Gegensatz zu den Mainstream-Medien und den herrschenden Politikern mit ihren Wichtiges ausblendenden Narrativen. Für die ist der Ukraine-Krieg am 22. Februar 2022 ausgebrochen. Ganser erinnert daran, dass der Krieg bereits seit nunmehr neun Jahren im Gange ist.

Es begann mit dem Massaker auf dem Kiewer Maidan

Begonnen hat der Krieg mit dem Massaker auf dem Kiewer Maidan am 20. Februar 2014. Es kam zum Putsch. Unterstützt durch und finanziert von den USA. Man erinnert sich an die darin dick involvierten Unterstaatsekretärin Victoria Nuland („Fuck the EU“). Nuland arbeitete eng mit der CIA zusammen. Planung und Leitung des Putschs lagen maßgeblich in ihren Händen. Ein abgehörtes Gespräch zwischen der von Obama als Staatssekretärin eingesetzten Victoria Nuland und dem US-Botschafter in Kiew Geoffrey Pyatt kurz vor dem Putsch deuten darauf hin. Joseph Biden, damals Obamas Vize, erhalten Rote Karten von Dr. Ganser. Barack Obama, stellt er fest, hat den Friedensnobelpreis nicht verdient. Applaus in der Halle.

Scharfschützen erschossen seinerzeit in einer False-Flag-Aktion auf dem Maidan mehr als 40 Polizisten und Demonstranten. Wechselweise Polizisten und Demonstranten. Der demokratisch gewählte ukrainische Präsident Wiktor Janukowytsch wurde gestürzt und floh nach Russland. Der Putsch brachte Premier Arsenij Jazenjuk und Präsident Petro Poroschenko an die Macht.

In den vergangenen neun Jahren wurden 14.000 Menschen in der Ostukraine ermordet

Infolge des Putsches wurde die russischsprachige Minderheit in der Ukraine – mehrheitlich im Donbass zu verorten – vielfach benachteiligt. Die Menschen in Lugansk und Donezk wollten sich das nicht gefallen lassen. Unter dieser Regierung, die ihnen zunächst auch ihre Muttersprache Russisch zu verbieten gedachte, wollten sie nicht mehr leben. Das führte dazu, dass Poroschenko die Menschen dort durch die eigene Armee unter Beteiligung faschistischer Bataillione beschießen ließ. Er nannte das zynisch „Antiterroraktion“. Renten in den Separatistengebieten wurden nicht mehr ausgezahlt. Alte Leute mussten beschwerliche Wege auf sich nehmen, um sich ihre Rente jenseits der Oblaste Lugansk und Donezk, die sich zum Volksrepubliken erklärt hatten, auf von der Ukraine kontrolliertem Gebiet auszahlen zu lassen. Das Wasser wurde den Leuten abgestellt. 14.000 Menschen – darunter auch Kinder – starben in den vergangenen neun Jahren in der Ostukraine. Ukrainer wurden von Ukrainern getötet. Tagtäglich fallen Schüsse und gehen Granaten in den Wohnvierteln nieder. Noch heute.

Präsident Wladimir Putin erkannte die Gefahr

Es war aus Sicht Russlands nicht hinnehmbar, dass sich USA und NATO auf der Krim breit machen, wo sich seit dem 18. Jahrhundert der Hauptstützpunkt der russischen Schwarzmeerflotte befindet. Auf der Krim wurde ein Referendum durchgeführt. Was zum Ergebnis hatte, dass die Krimbewohner mit hoher Zustimmung zum Ausdruck brachten zur Russischen Föderation gehören zu wollten. So kam es zu einer Sezession. Am 16. März 2014 stimmten 97 Prozent der überwiegend russisch sprechenden Bevölkerung für einen Anschluss an Russland, was Moskau umgehend annahm.

Der Westen nennt das Annektion und erließ Sanktionen gegenüber Russland.

Gorbatschow war zugesichert worden, die NATO werde ohne Zustimmung des Kreml um keinen Zoll in den Osten vordringen

Ganser macht mit Hilfe einer Karte klar, wie die NATO dennoch über die Jahre weiter gen Osten ausgedehnt wurde und so immer näher an Russland herangerückt worden sei. Dabei hatten westliche Politiker Gorbatschow zugesagt, dass dies nicht geschehen würde. Die NATO werde sich ohne Zustimmung des Kreml keinen Zoll in den Osten ausdehnen Leider nicht auf Papier fixiert. Michail Gorbatschow wurde über den Tisch gezogen. Das hat ihn, der uns die Einheit Deutschlands geschenkt hat, sehr gekränkt. Zu Recht.

US-Botschafter Bill Burns warnte bereits 2008 davor die Ukraine in die NATO aufzunehmen

Der US-Botschafter Bill Burns warnte bereits am 1. Februar 2008, eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine würde bei den Russen „einen rohen Nerv berühren“ und könne „sogar zu Bürgerkrieg führen“. George W. Bush interessierte das nicht die Bohne. Ganser zeigt auch ihm eine Rote Karte für seinen „Krieg mit Ansage“.

Der Fall Ukraine erinnert an die Kuba-Krise 1962

Als sich nun immer, schlagender werdend, das Vorhaben der USA abzeichnete, die Ukraine in die NATO aufzunehmen, sei das Maß für Putin offenbar übervoll gewesen. Immerhin war zu befürchten, dass in der Ukraine auch Atomraketen dort stationieren könnte, die Russland unmittelbar bedrohten würden.

Dr. Ganser erinnerte in diesem Zusammenhang an die Kuba-Krise im Jahre 1962. Schon damals war der Dritte Weltkrieg äußerst nah. Für Putin war nun offenbar Gefahr im Verzug: Er ließ die russische Armee am 22. Februar 2022 in die Ukraine einmarschieren. Dr. Ganser stellt fest: Das war eindeutig völkerrechtswidrig. Putin kassiert von Ganser eine Rote Karte.

Dr. Ganser: Der Ukraine-Krieg ist ein Stellvertreterkrieg USA-Russland

Für Daniele Ganser steht aber auch fest: Der Ukraine-Krieg ist ein Stellvertreterkrieg USA – Russland. Und die Ukraine sei dessen Schauplatz, auf welchem die Ukrainer verheizt werden.

Eine Rote Karte auch für Wolodymyr Selenskyi

Wolodymyr Selenskyi – vormals Schauspieler (in der beliebten Fernsehserie „Diener des Volkes“ spielte er zuvor den ukrainischen Präsidentenen) – hatte vor seiner Wahl zum richtigen Präsidenten versprochen, den Krieg im Land zu beenden. Allerdings ließ er 2020 auf die eigenen Bürger schießen. Drei Menschen starben. Dafür bekommt Selenskyj ebenfalls eine Rote Karte.

Ganser: Wer vom betreuten Denken abweicht, wird diffamiert

Die Mehrheit der Deutschen, so Ganser, wolle keinen Krieg. Es herrsche jedoch in vielerlei Beziehung ein betreutes Denken. Wer davon abweiche, werde diffamiert. Ganser erinnert an einschneidende und als verletzend empfundene – noch weiter nachwirkende – Erlebnisse aus den letzten drei Jahren, als das Einstehen für eigene Überzeugungen abgestraft und geächtet wurde. Beifall!

Es ist genug Angst für alle da“

Nichts Neues sei, dass stets mit Ängsten gearbeitet würde. Die Mächtigen im Verein mit der Presse bedienten sich immer neuer Ängste. Er nennt Beispiele: 9/11 und andere Anschläge (die Angst vor Terror), die Angst vor einem Virus und nun die Angst vor Russland und Putin. Eine Angst jagt die andere. Die Menschen kämen gar nicht zur Ruhe. Das Foto eines Geschäfts wird eingeblendet. Die Aufschrift auf der Scheibe: „Es ist genug Angst für alle da“

Ganser erklärt warum diese Ängste fruchten: Weil sie ständig wiederholt würden.

Es habe mit dem Ding zu tun, was unter unseren Haaren und er Kopfhaut liegt: Dem menschlichen Gehirn. Es ist das komplizierteste Organ, das die Natur je hervorgebracht hat: 100 Milliarden Nervenzellen (Neuronen) und ein Vielfaches davon an Kontaktpunkten verleihen ihm Fähigkeiten, an die kein Supercomputer bis heute heranreicht. Eine der wichtigsten Eigenschaften ist seine Lernfähigkeit.

Je öfter etwas nachgebetet und nicht zuletzt von den Medien repetiert wird, desto fester werden die Synapsen verschaltet. Die Neuronen kommunizieren über ihre Kontaktstellen.

Daniele Ganser: „Glauben Sie nicht alles, was Sie denken. Es ist genug Angst für alle da, man kann auch mal eine auslassen. Kommunikation ist Nahrung; treffen Sie sich mit Menschen, die ohne Abwertung kommunizieren.“

Bundeskanzler Olaf Scholz hat uns in den Krieg mit Russland geführt, meint Dr. Ganser. Rote Karte!

Am Stellvertreterkrieg USA-Russland, befindet Dr. Ganser, sei auch Deutschland beteiligt, das seit dem 26. Februar 2022 (!) Waffen aus dem Bestand der Bundeswehr an die Ukraine liefert. Ukrainische Soldaten würden von den USA im bayerischen Grafenwöhr an NATO-Waffen ausbildet. Somit sei Deutschland seines Erachtens im völkerrechtlichen Sinn im Krieg. Mögen andere das anders sehen, Ganser vertritt die Meinung, Bundeskanzler Olaf Scholz hat uns in den Krieg mit Russland gezogen. Auch ihm zeigt er die Rote Karte.

Die Grünen sind olivgrün

Die Regierungspartei die Grünen, welche im letzten Bundestagswahlkampf noch mit Sonnenblume und Taube als Friedenssymbole auf den Plakaten geworben hätten, betrieben Wählertäuschung. Inzwischen träten sie offen für die militärische Unterstützung der Ukraine ein. Weshalb sie als Olivgrüne bezeichnet werden müssten, so Daniele Ganser.

Sollen die Kriegsbefürworter selbst an die Front gehen. Der Krieg wäre sofort vorbei

Die Konzernmedien ließen Kritik an Waffenlieferungen schmerzlich vermissen. Im Gegenteil: sie betätigten sich tagtäglich als Kriegstreiber.

„Wir brauchen Deeskalation, kein Wettrüsten“, bekräftigt Ganser frühere Äußerungen: „Sollen die Kriegsbefürworter aus der Politik und Rüstungshersteller eine Uniform anziehen und selbst an die Front gehen. Der Krieg wäre sofort vorbei.“ Zustimmender Applaus brandet im Publikum auf.

Hart geht Dr. Ganser mit einem Sager von Annette Kurschus, Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) ins Gericht: „Aber ich erkenne die jetzt beschlossenen Waffenlieferungen als Mittel an, die Ukraine bei ihrem Überlebenskampf zu unterstützen.“

Dem entgegen hält Ganser die Worte Sahra Wagenknechts: „Waffen schaffen keinen Frieden.“

Ein Übel: Die Doppelmoral des Westens

Die Doppelmoral des Westens samt moralischer Keule, geschwungen von Politik und Konzernmedien bekommt ordentlich ihr Fett ab. Die Welt werde heuchlerisch in Gut und Böse geteilt. Wer gut und wer böse ist, entscheide der Westen. Wenn die NATO gegen das Völkerrecht verstoßend bombardiere (Ganser nannte den Krieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien) und die USA völkerrechtswidrig den Irak zerstöre, jucke das den Westen nicht. Täten das die anderen, die zu Bösen abgestempelten, klage man das an.

Alle Krieg ablehnen

Daniele Ganser gab sich gegen Ende des grandiosen Abends sicher, auch in Zukunft Rote Karten vergeben zu wollen: „Wir müssen alle Kriege ablehnen.“

Zum zweiten Male erscheint auf der Leinwand das Foto eines Wasserfalls. In all seinen Vorträgen rät Ganser zu Aufenthalten in der Natur und zu reduzierter Mediennutzung. Bildschirme wie die von Laptops, Fernsehern, Smartphones etc. beeinflussten mit der Flut des dort gezeigten Nervenzellen über die Maßen stark, ohne das der Mensch dies zu verarbeiten könne, geschweige denn es zu verdauen. Habe sich zu viel Chaos im Kopf angesammelt könne etwa im Wald nach Ordnung und Beruhigung gesucht werden. Was die Neuronen neu vernetze.

Bedrängte Spaltungen den Menschen und erfolgte diverse Abwertung von Meinungen, könne man jederzeit dazu auf Abstand gehen, einen Schritt zurücktreten – hinter den Wasserfall und dann seine eigenen Gedanken und Gefühle beobachten.

Ein aufmerksames Publikum spendete einen begeisterten Schlussapplaus

Viel Zwischenapplaus gab es vom aufmerksamen Publikum und ein begeisterter Schlussapplaus verabschiedete den Gast aus der Schweiz. In der Pause und am Schluss konnten Dr. Gansers Bücher erworben und von ihm signiert werden.

Kundgebungen pro und contra Daniele Ganser

Vor der Halle hatte es vor Beginn des Vortrags zwei Kundgebungen gegeben. Ein pro Meinungsfreiheit und Frieden und eine offenbar von Ukrainerinnen und Ukrainern und Ukraine-Freundinnen und Freunden gegen den Auftritt von Dr. Daniele Ganser. Von der Polizei fein säuberlich getrennt. Heute las ich auf Facebook folgenden einschätzenden Kommentar: „Heute Abend versammelten sich an den Westfalenhallen 33 Personen (+1 Kind, + 1 Hund), um gegen den ausverkauften Vortrag des Schweizer Historikers Daniele Ganser zu demonstrieren.

In der Halle: 2000 interessierte Menschen und ein gut gelaunter Daniele Ganser wie ich aus seriösen Quellen vernehmen konnte.“

Videos passend zum Thema:

https://nuoflix.de/das-ende-der-cancel-culture

Via RTV Aktuell
Dr. Ganser spricht Florian von Witzleben

Alle Fotos: Claus Stille

Dr. Daniele Ganser darf am 27. März nun doch in den Westfalenhallen Dortmund auftreten. Das entschied das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen. Die Stadt Dortmund hat allerdings Beschwerde gegen das Urteil eingelegt

Der Schweizer Historiker und Friedensforscher Dr. Daniele Ganser darf am 27. März nun doch seinen Vortrag „Warum ist der Ukraine-Krieg ausgebrochen“ in den Westfalenhallen Dortmund (Halle 2) halten. Das entschied nun das Verwaltungsgericht in Gelsenkirchen.

Verwaltungsgericht: Dr. Daniele Ganser darf in den Westfalenhallen Dortmund auftreten

Die Westfalenhallen waren nach einigem Zögern der Kritik von den üblichen Verdächtigen in diesem Land, die derzeit ein regelrechtes Kesseltreiben gegen Ganser veranstalten, und dem Druck seitens der Dortmunder Politik – außer der AfD waren alle Stadtratsfraktionen für die Absage gewesen – und hatten den Vertrag mit Ganser gekündigt. Der Grund: Ganser gehöre einer „verschwörungsideologischen Szene“ an, er soll sich zudem antisemitisch geäußert haben. Lesen Sie dazu meine folgenden Beitrag: „Dortmund: Unappetitliches politisch-mediales Kesseltreiben gegen Dr. Daniele Ganser“.

Im Fokus stehen zwei Aussagen Gansers, die immer wieder heißt diskutiert werden. Wurde das WTC 7, ein kleineres Gebäude im New Yorker Word-Trade-Center-Komplex, am 11. September 2001 bewusst gesprengt? Und: Kann man die Spaltung zwischen Geimpften und Ungeimpften in der Corona-Pandemie mit dem „Dritten Reich“ vergleichen, in dem die Nazis den Holocaust an den Juden begingen? Vermutlich wurden diese in Wirklichkeit unhaltbaren Vorwürfe u.a. aus der fragwürdigen Wikipedia bezogen. Außerdem darf vermutet werden, dass keiner derjenigen, diese Entscheidung mitgetragen hat, keinen der Vorträge Gansers (auf You Tube zu finden), rezipiert, resp. Dessen Bücher gelesen hat. Anbei: „Gewerkschafterin kennt Daniele Ganser nicht und hört ihn nicht an, findet aber eine Absage von dessen Vortrag in Dortmund richtig, weil sie der Presse glaubt“

Westfalenhallen sagten Daniele Ganser wegen angeblich antisemitischer Aussagen ab

Die Westfalenhallen beriefen sich in ihrer Absage an Daniele Ganser auf einen Dortmunder Ratsbeschluss vom 15. November 2018, mit dem der Rat der Stadt eine Resolution zur weltoffenen, vielfältigen, toleranten und internationalen Stadt, in der kein Platz für menschenverachtendes Gedankengut und Fremdenfeindlichkeit und damit auch nicht für Antisemitismus sei, verabschiedet hat.

Die WAZ schreibt: „Das Gericht in Gelsenkirchen erläutert seine Entscheidung wie folgt: Die Veranstaltung bewege sich „im Rahmen des Widmungszwecks der Westfalenhalle. Diesen auf ,Veranstaltungen aller Art’ gerichteten Zweck hat die Stadt nicht wirksam eingeschränkt“.

Und weiter findet das Verwaltungsgericht: Die Stadt habe zudem die Halle über die Westfalenhalle GmbH bereits im November 2021 für eine Veranstaltung mit Herrn Ganser zur Verfügung gestellt und am 17. November 2022 erneut einen Vertrag darüber geschlossen. „Soll eine Nutzung im Rahmen der Widmung erfolgen, kann diese nur verweigert werden, wenn sie nicht im Rahmen des geltenden Rechts einschließlich des Strafrechts erfolgen würde.“ Und das ist für das Gericht nicht gegeben.

Das Verwaltungsgericht schreibt weiter: Die Westfalenhalle GmbH werfe Ganser vor, einer verschwörungsideologischen Szene anzugehören und sich antisemitisch zu äußern. Dies habe die Veranstalterin verschwiegen. Die Stadt Dortmund sah es genau so und berief sich unter anderem auf einen Ratsbeschluss aus dem November 2018: Der Rat hatte 2018 eine Resolution zur weltoffenen, vielfältigen, toleranten und internationalen Stadt, in der kein Platz für menschenverachtendes Gedankengut und Fremdenfeindlichkeit und damit auch nicht für Antisemitismus sei, verabschiedet.

Am 9. Februar 2023 hat der Rat die Absage der ausverkauften Veranstaltung mit Daniele Ganser gebilligt. Der Eilantrag gegen die Absage hatte nun Erfolg. Wegen der Beschwerde der Stadt Dortmund dagegen muss sich jetzt das Oberverwaltungsgericht in Münster der Sache annehmen.

Nutzer auf Facebook freuen sich. Eine Dame schreibt aufatmend: „Die kriegsgeilen Hetzer haben nicht gewonnen.“

Man hofft, dass das Oberverwaltungsgericht Münster das vorinstanzliche Urteil bestätigt und Gansers Vortrag tatsächlich stattfinden kann.

Als Dortmunder sei mir folgender Einwurf erlaubt: Dass die Stadt Dortmund und der Rat der Stadt (außer der AfD) diese Absage des Vortrags überhaupt in Werk gesetzt und die Westfalenhallen GmbH unter Druck gesetzt hat, sie umzusetzen ist an und für sich schon ein Skandal in einer Demokratie. Dass man nun aber, nachdem man vor dem Verwaltungsgericht eine saftige Klatsche kassiert hat – was nur zu begrüßen und verdient ist – nun aber sich nicht entblödet gegen dieses Urteil Einspruch einzulegen ist mehr als empörend. Wenn man sich dazu aufgerufen sieht, Meinungen unterdrücken bzw. verhindern zu müssen, die nicht gegen Recht und Gesetz verstoßen, dann ist das abscheulich zu nennen. Außerdem schadet es der Demokratie. Es sei an den Artikel 5 des Grundgesetzes erinnert:

Artikel 5. (1) GG Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Bild, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quelle ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.

Die Verantwortlichen für die skandalöse Absage, bis hinauf zu Oberbürgermeister Thomas Westphal, sollten sich vielleicht auch einmal vor Augen führen, dass die 2000 Menschen, die Karten für den Vortrag erworben haben, Wähler sind.

Prof. Dr. Wolfram Elsner mit interessantem Vortrag in Dortmund: China, die neue Nummer eins ist anders

Beinahe drohte sich am vergangenen Montag die Freude über den erste wieder als Präsenzveranstaltung (zusätzlich per Videostream andernorts zu verfolgen) stattfindenden Nachdenktreff (getragen von Attac Dortmund und DGB Dortmund und Umgebung) einzutrüben. Der Referent Prof. Dr. Wolfram Elsner ( Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Bremen) war zunächst sozusagen mitten der Prärie auf der Schienenstrecke geblieben bleiben. Geschlagene 45 Minuten! Der große Saal im dritten Stock der Auslandsgesellschaft in Dortmund war voll. Die Veranstaltungsleitung hatte telefonisch mit dem heiß erwarteten Referenten Kontakt aufgenommen. Immerhin funktionierte in diesem unserem immer m.E. mehr zu verfaulen drohendem Lande die Telefonverbindung! Bald schon machte folgende Nachricht die Runde im Raum: „Elsner hat einen Stellwerksschaden.“ Einige lachten auf.

Ich musste unwillkürlich an das Buch von Arno Luik „Schaden in der Oberleitung“ (Westend Verlag) denken, das ich vor einiger Zeit rezensiert hatte. Und der Gedanke ging mir durch den Kopf: In China wäre ihm das gewiss nicht passiert.

Bald darauf, Punkt akademisches Viertel (19 Uhr 15!) erscholl von draußen im Vorraum ein erleichtertes „Ahhh!“ – Der Referent war erschienen. Wie im Fluge waren Laptop wie die weitere nötige Technik startklar gemacht – und ein Wunder: Alles funktionierte auf Anhieb!

Wolfram Elsner ging vom Zug kommend sofort in medias res

Und schon legte Wolfram Elsner mit seinem hochinteressantem Vortrag los. Er hatte ihn flugs aufgrund der knapp bemessenen Zeit (schon 21 Uhr 25 ging nämlich der einzige – letzte – Zug an diesem Abend zurück nach Bremen, auf die wichtigsten Punkte beschränkt. Ohnehin ist klar, dass die Zeit einer Abendveranstaltung nur für einen kleinen Ausschnitt aus Elsner breiten Einblicken ausreicht, die er im Laufe der Jahre über und in China erworben hat. Mehrfach bot er an diesem Abend an, gerne – bei entsprechender Einladung – zu weiteren Vorträge nach Dortmund zu kommen, um die zahlreiche weiteren Punkte zu referieren.

Am Schluss des Abends gab Elsner – auf eine freundliche Bitte aus dem Publikum hin – sozusagen kurz vor Toresschluss – sogar noch einen Einblick in ein weiteres Thema im Schnelldurchgang.

Ein wahren Parforceritt legte der Referent da hin. Ein Thema interessanter als das andere. Betreffend einer staunenswerten Entwicklung der Volksrepublik China mit Rückblicken auf eine vielfach alles andere als einfache Vergangenheit dieses Landes.

Gegenbild zum allgemeinen China-Bashing

Es zu bedauern, dass großen Teilen unserer Gesellschaft dieses Bild auf China nicht vermittelt wird. Im Gegenteil! Unsere Medien (leider auch die öffentlich-rechtlichen, die wir jährlich immerhin mit über 8 Milliarden Euro finanzieren müssen), die hauptsächlich nur noch Propaganda statt Journalismus machen, vermitteln im Grunde ein fast durchweg nur negatives Bild von China. Das einer Diktatur, das eines Landes, das die Menschenrechte mit Füßen tritt, etc. Und das, obwohl – wie Elsner auch im Referat ausführte – Deutschland der Volksrepublik nicht unwesentlich zu verdanken hat, in acht Jahren zum Exportweltmeister geworden zu sein.

Die verkürzte und von Propaganda durchtränkte Berichterstattung unserer Medien verfängt aber oftmals doch hierzulande.

Ein Zuhörer der Veranstaltung – der bekannte, selbst schon dreimal als Tourist in China gewesen zu sein – befand dann auch im kurzen Frageteil des Abends, dass ihm Professor Elsners Vortrag doch ein wenig zu positiv gefärbt erscheine.

Elsner antwortete, er wolle durchaus mit seinen Arbeiten auch ein wenig provozieren. So schafft er gewissermaßen ein Gegenbild zum allgemeinen China-Bashing, dass gleichzeitig ein ergänzendes Bild chinesischer Wirklichkeit sein will. Wobei seine Bücher immer Quellen enthalten, welche glaubhaft belegten, was er schreibe. Er mache sich den Spaß reputable westliche Quellen zu nutzen und anzugeben. So wäre ihm nicht vorzuwerfen, chinesische Propaganda zu verbreiten. Und Elsner liefert wie eingangs des Vortrags versprochen Fakten, die durch besagte Quellen auch via Google zu finden sind. Elsner: „Das jeder Journalist, jeden Tageszeitung leicht könnte.“

Der Grund für das China-Bashing

Das China-Bashing des Westens, besonders seitens der USA, hat vor allem damit zu tun, wie es zum Vortrag hieß:

„China hat sich in den letzten Jahrzehnten sehr dynamisch entwickelt und ist inzwischen zu einer Weltmacht aufgestiegen, die voraussichtlich in den nächsten Jahren die USA vom ersten Platz ihrer weltweiten Vormachtstellung verdrängen wird. Werden die USA diesen Führungswechsel kampflos hinnehmen oder werden sie den Status von Taiwan als Hebel nutzen, um China in einen Krieg hineinzuziehen? Die möglichen Folgen mag man sich gar nicht ausmalen. Die gewaltige Militärpräsenz der USA und ihrer Verbündeten in der unmittelbaren Nähe Chinas ist jedenfalls hoch gefährlich. Derzeit wird systematisch am Feindbild China gewerkelt. Dazu gehört eine Propaganda, die auch die inneren Angelegenheiten Chinas nutzt, um Stimmung zu machen. Dabei wird ausgenutzt, dass viele Menschen wenig über die Kultur, die Denkweise und die Traditionen der dortigen Bevölkerung wissen. Stattdessen wird eine Sichtweise angewandt, die sich an «westlichen Werten« orientiert. Diese werden gerne als universelles Vorbild propagiert und zum Maßstab der Betrachtung fremder Länder gemacht. Eines der Themen, die bei vielen Menschen Fragen aufwerfen, ist die inzwischen weit fortgeschrittene Digitalisierung. Aus westlicher Sichtweise steht hier die Frage der Überwachung und der Menschenrechte im Vordergrund, die keineswegs nur an der Digitalisierung festgemacht wird. Sehr einseitig ist auch die weit verbreitete Annahme, China gehöre zu den weltweit übelsten Umweltverschmutzern.“

NASA: China ist grünstes Land der Erde

Dabei ist die Luft China spürbar besser geworden. Sauberkeit werde groß geschrieben. Nicht zu vergessen „lebenswerte Megacitys … neue Hochhäuser und das ‚Netzwerk der 300 grünen Städte“. Wüsten werden erfolgreich zurückgedrängt. Neue Wälder gepflanzt „Ökorevolution an allen Fronten, Bäume, Bäume, Bäume …“. Unterdessen seien schon 1,5 Milliarden Bäume gepflanzt worden. Die NASA sage: China sei aus dem Weltraum betrachtet das grünste Land der Erde. Jede Chinese jede Chinesin soll ab dem Alter von 11 Jahren jedes Jahr drei Bäume pflanzen. Das Wachsen des eigenen Baumes könne dann via Drohne gefilmt auf dem Smartphone verfolgt werden.

China möchte ein wohlhabendes, blühendes sozialistisches Land mit einer „spiritueller Zivilisation“ werden

Seit 2015/2016 sei China die Nummer eins beim Sozialprodukt. China sagt selbst, es möchte ein „bescheidenes wohlhabendes Land“ werden. Letztlich „ein wohlhabendes, blühendes sozialistisches Land“. Man wolle kein Modell des exzessiven Konsums. China spreche auch von „spiritueller Zivilisation“. Elsner erinnert das an frühere Parteiprogramme der Grünen. Fast jeder Chinese sage ihm: „Wir wollen hin zu einer ökologischen Zivilisation.

Warum der Aufstieg Chinas den Westen nervös macht

Damit räumte Wolfram Elsner im Dezember vergangenen Jahres in einem längeren und faktenreichen Artikel in junge Welt gründlich mit Vorurteilen bezüglich Chinas auf. Für Wolfram Elsner ist China aufgrund seiner zahlreichen Aufenthalte und seiner Forschungen kein fremdes Land. Er war oft in der Volksrepublik und lehrte dort an Universitäten. Ehemalige Doktoranden von ihm sind heute selbst u.a. Professoren in China. Der Aufstieg Chinas mache halt, so Wolfram Elsner, den Westen und besonders die USA nervös. Was da passiere sei nichts anderes als das, was auf einem Markt geschehe. Der Westen versuche aber, statt zu analysieren was bei einem selbst schief laufe und nachzudenken wie man es besser machen kann, China auf die eine oder andere Weise zu behindern. Man habe es hier mit einem Systemwettbewerb, den man auch als Markt bezeichnen könnte, zu tun. „Wir konkurrieren um die Köpfe und Herzen der Menschen in der Welt. Das sei nichts anderes als eine neue, alte historischen jahrtausendealte Normalität.“ Bei Henry Kissinger könne man nachlesen, das China noch 1820, bevor die Engländer eingefallen und die anderen Europäer die Chinesen ausgebeutet und drogenabhängig gemacht haben, habe China noch um 30 Prozent des Weltsozialprodukts gehabt. Heute habe es 19 Prozent. „Genauso viel wie sein Bevölkerungsanteil. Wo ist die Dramatik?“, fragt Elsner.

Einschub meinerseits: Dass besonders am Feindbild China gewerkelt wird, wie es in der Einladung zum Vortrag lautete, ist vor allem damit zu erklären, dass das Imperium USA längst auf tönernen Füßen steht. Den USA geht es niemals um Menschenrechte und Demokratie. Die USA werden des ersten Platzes ihrer weltweiten Vormachtstellung mit ziemlicher Sicherheit verlustig gehen. Daher weht der Wind! Das werden sie nicht einfach akzeptieren. Nicht umsonst haben die USA weltweit über 800 Militärstützpunkte. Dass das friedlich abgeht ist vermutlich lediglich eine vage Hoffnung. Kürzlich ließ nämlich folgende Meldung aufhorchen: „Ein Vier-Sterne-General der Luftwaffe hat in einem internen Rundbrief an seine Top-Kommandeure die Ansicht geäußert, dass es zwischen den Vereinigten Staaten und China in zwei Jahren zum Krieg kommen werde.

„Ich hoffe, ich täusche mich. Aber mein Bauchgefühl sagt mir, dass wir 2025 kämpfen werden”, heißt es wörtlich in dem Schreiben von Mike Minihan, dessen Echtheit das Pentagon bestätigt hat.“ (hier der Link)

Schon 1997 veröffentlichte John Updike seinen lesenswerten Roman „Gegen Ende der Zeit“. In der Beschreibung lesen wir auf Perlentaucher: (…) „Einiges ist auch anders als gewohnt. Das Jahr ist 2020, es gibt keine Währung „Dollar“ mehr und Federal Express hat die Rolle der Polizei übernommen. Die Vereinigten Staaten haben den Krieg gegen China verloren … Und gibt es nicht auch andere Wirklichkeiten? Ben Turnbull als Grabräuber im alten Ägypten? Als Schüler des hl. Paulus? Als irischer Mönch?“

Als ich seinerzeit den Roman las und einem Kollegen von dem Roman erzählte, zeigte er mir – der ich die damals einen Krieg der USA gegen China durchaus befürchtet und für möglich hatte – einen Vogel …

Warum China als künftige Nummer eins so erfolgreich ist beschrieb Wolfram Elsner bereits in seinem empfehlenswerten Buch „Das chinesische Jahrhundert. Die neue Nummer eins ist anders“. Hier meine Rezension dazu.

Mit China geht es auf vielen Gebieten aufwärts

China, Elsner sein inzwischen unter den den Top 3 beim Glücksempfinden der Menschen. Es finde ein Umverteilen von oben nach unten statt. Gegen Korruption und Unternehmens-, Finanz- und der allgemeinen Kriminalität werde vorgegangen. Wer sich hat sich etwas zu schulden hat kommen lassen, kann mit Flugverbot bzw. einem Ausschluss von der Nutzung der ersten Klasse in Zügen sanktioniert werden.

Auch das rowdyhafte Verhalten vieler chinesischen Autofahrer im Straßenverkehr habe man mittels des Sozialkreditpunktesystems (chinesisch übersetzt „Vertrauenssysteme“ in den Griff bekommen. Übrigens gibt es diese Systeme nur punktuell in China – nicht im gesamten Land. Chinesen haben die Auflage ihre alten Eltern (60+) mindestens einmal im Jahr zu besuchen.

Das allgemeine Vertrauen und dass Vertrauen in den Staat, in die Kommunistische Partei sowie das Vertrauen in die Gewerkschaften und in die Firmen, sagte Elsner, sei sehr stark gewachsen. Etwa dem Gegenüber sollen nach US-Umfragen zufolge 80 Prozent (u.a Edelman-Trust-Barometer) der Menschen vertrauen. Tendenz steigend. In den USA: 33 Prozent – Tendenz fallend. In Deutschland seien es 40 Prozent, absteigend.

Selbst eine neue Tierethik gibt es. Hunde zu töten, das gehe gar nicht. Es heiße: „Hunde sind Partner des Menschen.“

Auch gebe es Kampagnen um den Essensabfall zu verringern.

Chinas Experimentismus

Und, wie Elsner etwa von Ingenieuren von Siemens gesagt bekam, käme man in China zuweilen mit eigenen typisch deutschen Plänen an, die dann vor Ort nicht funktionierten. Dann kämen selbst Arbeiter und böten Möglichkeiten an, anders zu verfahren – und plötzlich liefe alles. Die Chinesen stoppten halt Verfahren, die nicht funktionieren und dächte sich etwas anderes aus. Eine Kultur, die vor Veränderungen nicht zurückscheuten. Es gebe sozusagen einen Experimentismus. Alles stehe halt ständig auf den Prüfstand.

Der Westen scheitert immer mehr mit seiner Überheblichkeit

Wolfram Elsner befand, dass der Westen immer mehr mit seiner Überheblichkeit scheitere, wenn er meine (besonders ja auch in der BRD verbreitet): Unsere Werte sind die richtigen. „Wir“ sind die Richtigen, denke man. Und in diesem Sinne haue man anderen Staaten – der Welt – diese längst fragwürdig gewordenen Werte auf die Rübe. Elsner: „Nur die Welt will es nicht mehr.“

Die besten Innovationen kommen zunehmend aus China

Zum Schluss des pickepacke komprimiert hoch interessante Informationen vermittelt habenden – keine Sekunde langweiligen – Referats beantwortete Professor Elsner noch einige Fragen aus dem Publikum. Elsner unterstrich noch einmal: die besten Innovationen kämen mittlerweile hauptsächlich aus China. Peking werde – sei eine Antwort auf eine Frage – auch bald nicht mehr von der Chipproduktion in Taiwan abhängen, meinte Elsner. Auch fänden bald Wahlen in Taiwan statt. Eine chinafreundliche Partei könne gewinnen, wenn nicht die USA – die momentan zunächst verbal in der Taiwan-Frage aufrüsteten – dies vereitelten. Elsner meinte, eine Mehrheit der taiwanesischen Bevölkerung sei durchaus mit dem Status quo zufrieden.

Nach der Beantwortung der Frage packte der Referent flugs seine sieben Sachen zu packen, zum Glück nahen Hauptbahnhof zu streben, dann noch den letzten Zug Richtung Bremen zu erwischen.

Fazit: China, die neue Nummer eins ist anders

Die Zuhörerinnen und Zuhörer erfuhren viel Wissenswertes über die Volksrepublik China. Wissenswertes, dass uns die journalistisch heruntergekommenen Medien unseres immer mehr herunterkommenden Landes zumeist verschweigen und durch eine immer gleiche Propaganda ersetzen, damit möglichst ein Negativbild Chinas in unseren Köpfen erhalten bleibt bzw. abermals neue Nahrung erhält.

Was das Publikum mitnahm: China, die neue Nummer eins ist anders – wie es bereits in Elsners Buch „Das chinesische Jahrhundert“ im zweitem Teil des Titels heißt. Westliche Maßstäbe an China anzusetzen, das läuft zunehmend ins Leere.

Einem Zuhörer war das von Elsner gezeichnete China-Bild zu positiv. Wobei er den Vortrag jedoch gut fand.

Viele Fragen mussten zwangsläufig offen bleiben. Antworten kann man seinen letzten Buchveröffentlichungen in den Verlagen Westend und Papy Rossa entnehmen.

Zur Person

Wolfram Elsner: Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Bremen; 2012-2014 und 2014-2016 Präsident European Association for Evolutionary Political Economy – EAEPE ; Lehr- und Forschungsaufenthalte in Europa, USA, Australien, Südafrika, Russland, Mexiko, China; assoziierter Professor der Univ. of Missouri―Kansas City (UMKC), USA, und der Jilin Uni, Changchun, China; Editor-in-Chief des Review of Evolutionary Political Economy – REPE

Fotos: Claus Stille

Dortmund: Unappetitliches politisch-mediales Kesseltreiben gegen Dr. Daniele Ganser

Kommentierender Bericht
Wir leben in irren Zeiten. In wahrlich düsteren Zeiten. Haben wir nichts aus der Vergangenheit gelernt? Sicherlich, der Einmarsch Russlands in die Ukraine, der vom Zaun gebrochene Krieg, ist völkerrechtswidrig. Wer aber nun fordert, sich für Verhandlungen einzusetzen, wird als „Lumpenpazifist“ und noch schlimmeres beschimpft. Dagegen fordern Politiker der Ampel das Liefern von immer mehr und immer schwereren Waffen in die Ukraine. Die Medien stehen da rund um die Uhr nicht zurück – im Gegenteil. Haben je schon immer mehr Waffen in einem Krieg zum Frieden geführt? Auch in diesem Krieg wird das nicht der Fall sein. Verlierer wird es jedoch auf beiden Seiten, der der ukrainischen wie auch der russischen, geben. Sind wir Deutschen nicht längst schon Kriegspartei? Die Linksparteipolitikerin Sevim Dagdelen fragte sich kürzlich, ob wir uns vielleicht nicht schon im dritten Weltkrieg befinden. So manches erinnert aber auch an 1914. An die Ur-Katastrophe Erster Weltkrieg. Ich empfehle dringend Stefan Zweigs „Die Welt von gestern“ zu lesen.
Weder Medien – ich bin ja ohnehin der Meinung, dass der deutsche Journalismus als vierte Gewalt längst auf den Hund gekommen ist – noch die Politik verliert ein Wort darüber, dass der jetzige Krieg eine Vorgeschichte hat. Sie begann mindestens am von dem von den USA mit fünf Milliarden Dollar finanzierten und mit Hilfe von Handlangern 2014 ins Werk gesetzten Maidan-Putsch in Kiew.
Derzeit ist der Schweizer Historiker und Friedensforscher Dr. Daniele Ganser mit seinem Vortrag „Warum ist der Ukraine-Krieg ausgebrochen?“ unterwegs. Für den 27. März dieses Jahres ist sein Auftritt in Dortmund vorgesehen. Dagegen erhebt sich nun Protest. Ein regelrechtes medial-politisches Kesseltreiben hat eingesetzt. Betrieben von den üblichen Verdächtigen. Nicht zuletzt von der ehemaligen Friedenspartei DIE GRÜNEN, die mittlerweile – wie nicht nur Jürgen Todenhöfer sagt – die gefährlichste Partei, weil Kriegspartei, im Deutschen Bundestag ist. Solche Leute und ihre gleich tickenden Apologeten, die den gleichen Stallgeruch qua Herkunft haben wie die Grünen, in den Zeitungsredaktionen, die sich einem fragwürdigen Haltungsjournalismus (oder sollten man besser schreiben: Gesinnungsjournalismus) verschrieben haben, setzen die Bezeichnung „Friedensforscher“ vor Gansers Namen in Anführungszeichen. Während sie selbst als Kriegstreiber auftreten! Verkehrte Welt! Die Nase läuft, die Füße riechen …
Mit reichlich Schaum vor dem Mund werden nun alle möglichen Hebel in Bewegung gesetzt, Gansers Vortrag zu canceln. Überhaupt eine Unsitte heutzutage, unliebsame, kritische Personen mundtot zu machen. Wohin driftet unsere Gesellschaft? Warum geht man Diskussionen aus dem Weg? Warum traut man mündigen Bürgern in unserer Demokratie nicht mehr zu selbst zu beurteilen, was jemand sagt? Um darüber zu diskutieren und sich eine eigene Meinung zu bilden. Es werden nämlich immer mehr Leute, die begriffen haben, dass uns Politik und Medien immer weiter hinter die Fichte – und wenn es schlecht läuft in den Krieg – führen. Also informieren sie sich vermehrt anderweitig. Eben auch über die Vorträge von Dr. Daniele Ganser. Was daran ist verwerflich? Warum muss das verhindert werden? Weil sich dort angeblich Leute versammeln, die Rechte sind und Querdenker – gar Antisemiten? Das ist doch abenteuerlich. Und äußerst durchsichtig!
Zuerst fand ich einen Beitrag auf Nordstadtblogger.de (NSB) zur Causa. Die Einleitung: zum Artikel: „Aktuell tourt der „Friedensforscher“ und zuweilen auch als Verschwörungstheoretiker oder -ideologe bezeichnete Daniele Ganser durch die Schweiz, Österreich und Deutschland. Unterdessen beschert ihm das Schlagzeilen. Am 27. März 2023 will er in der Westfalenhalle 2 in Dortmund auftreten. Doch wer ist dieser Gast? Autor Michael Klarmann hat das für das Portal „Endstation rechts.“ beleuchtet. Seinen Beitrag übernehmen wir mit freundlicher Genehmigung.“
Ein zweiter Beitrag auf NSB schloss sich bald mit folgender Überschrift an:

Der „Friedensforscher“ gilt seit Jahren als Verschwörungsideologe

Scharfe Kritik an den Westfalenhallen – Forderung nach einer Absage des Ganser-Auftritts“

Andere Medien plappern und schießen nach. Mit dabei auch das abstoßende Portal T-Online. Das Übliche.
Dr. Daniele Ganser ist dieses Kesseltreiben gegen ihn nun auch schon aufgefallen. Auf seinem Facebook-Account schreibt er:

„Am 27. März halte ich in Dortmund einen Vortrag. Schon jetzt schreiben einige Medien gegen mich. Warum eigentlich? Ich bin gegen ein Wettrüsten in der Ukraine und für Friedensgespräche. Von dieser Position werde ich nicht abweichen. Und ja, über WTC7 wurden wir nie ehrlich informiert.“

Allerdings verfängt die Hetze gegen Dr. Daniele Ganser vorläufig nicht. Auf Anfrage von Nordstadtblogger.de lassen die Westfalenhalle GmbH wissen:
Statement der Westfalenhalle GmbH zur Veranstaltung am 27. März 2023:

„Eine Veranstaltung mit Dr. Daniele Ganser hat zuletzt in 2021 in den Westfalenhallen stattgefunden und verlief ohne Zwischenfälle. Veranstalter des Termins “Warum ist der Ukraine-Krieg ausgebrochen?” am 27.03.2023 mit Dr. Daniele Ganser ist die NEMA Entertainment GmbH. Diese ist für die inhaltliche Ausrichtung verantwortlich.

Die Westfalenhalle GmbH, die mit ihren Räumlichkeiten als Veranstaltungsort fungiert, hat die Terminanfrage der üblichen gründlichen Überprüfung unterzogen. Der Vertrag wurde anschließend mit dem Veranstalter geschlossen, welcher das Stattfinden des Termins für März 2023 planungsgemäß vorsieht. Dennoch werden wir die Veranstaltung intensiv beobachten wie auch zuletzt vor zwei Jahren. Sollten hierbei Auffälligkeiten registriert werden, behält sich die Westfalenhalle GmbH vor, künftig entsprechend darauf zu reagieren.“

Zur Veranstaltung (plus Kartenkauf):

Ort: Westfalenhalle, Halle 2, Rheinlanddamm 200, 44139 Dortmund

Foto: Der Komplex der Westfalenhallen mit der großen Westfalenhalle im Vordergrund; Aufnahme: Dieter Schütz via Pixelio.de

  • Datum: 27.03.2023
  • Uhrzeit: 20:00 Uhr
  • Dauer: 90 min

Lebenslauf Dr. Daniele Ganser: hier
Dr. Gansers Arbeit fand einst hohe Anerkennungüber seine 2005 veröffentlichte Dissertation über NATO-Geheimarmeen in Europa. Hier eine Veröffentlichung des Westend Verlags.
Als Ganser später kritische Fragen stellte zu den bis heute nicht anständig aufgearbeiteten Anschlägen von 9/11 wurde wird er vielfach diffamiert. Selbst der US-Botschafter in der Schweiz intervenierte seinerzeit an Gansers Uni gegen ihn. Der Historiker blieb indes fest und schwor nicht ab. Was das Ende von Gansers Universitätskarriere zur Folge hatte.
Wie bei anderen kritischen und somit unbequemen Geister dient das fragwürdige Onlinelexikon Wikipedia auch bei Dr. Daniele Ganser dazu, diesen zu diffamieren. Markus Fiedler hat das vor einigen Jahren am Fall von Daniele Ganser in dem viel beachteten Film „Die dunkle Seite der Wikipedia“ gezeigt.
Indes wollen die journalistischen und politischen Kesseltreiber in Dortmund (schämen die sich eigentlich nicht?) nicht aufgeben. Am 9. Februar will man die Causa auf die Tagesordnung der Ratssitzung bringen. Na, denn …
Ich vermute mal, diese Lokalposse, wird spätestens ein Sturm im Wasserglas gewesen sein, wenn Dr. Daniele Ganser seinen Vortrag am 27. März gehalten haben wird. Der Saal wird bummvoll sein. Alles wird wohl ganz friedlich vonstatten gehen. Wie bereits schon einmal 2021.
Zu vermuten steht allerdings, dass Grüne und sich als Antifaschisten gerierende Tansatlantifas vor der Veranstaltung vor die Westfalenhalle 2 stellen und etwas herummoppern. Nun ja …
Und die Gesinnungsjournalisten werden sich vermutlich bis dahin auch nicht entblöden zuvor noch ein paar Mal mit Schaum vorm Munde sabbernd in die Tasten hauen und weiter herumsudeln gegen Ganser. Sie werden das Haltung nennen.
Wo nur ist unsere Gesellschaft hingekommen?
Nachtrag (Update vom 4. Februar 2023) – Ganser-Auftritt abgesagt!
Am Abend des 3. Februar 2023 kontrollierte ich arglos soziale Medien nach interessanten Neuigkeiten.
Gleich auf Facebook sprang mir ein blaues Kästchen – darin die Schrift
+++Eilmeldung+++ stechend ins Auge. Ich las: „Westfalenhallen sagen Ganser-Auftritt ab“.

14074490522017863636

Die üble Nachricht wirkte wie ein Schlag auf den Kopf. Mein Blutdruck stieg merklich an.
Nun ja, mach mal halblang, versuchte ich mich zu beruhigen, du bist doch nicht naiv! Stimmt. Es war schließlich damit zu rechnen gewesen, dass die offenbar irr geleiteten links-grün-woke ausgerichtete Politiker und deren Pendants (meist aus den gleichen akademischen Elternhäusern stammenden wie diese) in den Medien, die sich m.E. fälschlicherweise Journalisten nennen – denn sie tun die Arbeit, die einem Journalisten normalerweise geziemt, nicht – das Feuer unter dem Kessel noch einmal kräftig anheizen. Solange, bis die Dortmunder Westfallenhallen umfallen. Die Ruhr Nachrichten schreiben auf Facebook:

Nach heftiger Kritik haben die Dortmunder Westfalenhallen einen Auftritt von Daniele Ganser abgesagt. Das bestätigte Westfalenhallen-Sprecher Robin Uhlenbruch auf Anfrage unserer Redaktion am Freitagabend (3.2.).
In den vergangenen Wochen habe es intensive Diskussionen in der Dortmunder Öffentlichkeit um die geplante Veranstaltung mit Dr. Daniele Ganser am 27. März gegeben, teilt Uhlenbruch mit. Diese nehme man sehr ernst.

Nach verschiedenen Gesprächen, auch mit unserer Gesellschafterin der Stadt Dortmund, haben wir beschlossen, den Vertrag mit der Nema Entertainment GmbH zu kündigen“, erklärt der Hallensprecher. Die Nema Entertainment GmbH ist der Veranstalter, der die Halle angemietet hatte.
Dem umstrittenen Publizisten Daniele Ganser wird eine Nähe zu Verschwörungstheorien nachgesagt, auch wird er mit antisemitischen Aussagen in Verbindung gebracht. Auch Oberbürgermeister Thomas Westphal hatte angedeutet, eine Absage mitzutragen.
Am Freitagabend war die Veranstaltung auf der Homepage der Westfalenhallen nicht mehr zu finden (Stand: 19.47 Uhr). Im Angebot des Ticketverkäufers Eventim galt die „Veranstaltung als zur Zeit nicht verfügbar“.
Die Nordstadtblogger zitieren OB Thomas Westphal betreffs der Person Ganser so: „Dieser Herr sollte keine Räume bekommen – das ist der Demokratie nicht zuträglich.“
Seltsame Verdrehung bzw. Verkennung. Ist es nicht gerade der Demokratie nicht zuträglich, wenn solche Veranstaltungen aus fadenscheinigen Gründen verhindert werden?
Eine Schande ist dieses Einknicken, wie ich finde. Man schämt sich für die Tat der Verantwortlichen. Auch für den Dortmunder Oberbürgermeister Thomas Westphal, der die Absage ebenfalls unterstützt.
Wir sind wahrlich in schlimmen Zeiten angekommen! Dem Referenten Dr. Daniele Ganser ist nichts vorzuwerfen, was seine Vorträge justiziabel machen würde. Die im Text der Ruhr Nachrichten aufgeführten Vorwürfe, die man Ganser machte sind abenteuerlich zu nennen. Wahrscheinlich hat man die aus einschlägigen Verleumdungsportalen sowie aus der Wikipedia, der man betreffs politischer Themen, nicht nur den Stempel „umstritten“ aufdrücken, sondern auch die Warnung „Vorsicht Diffamierungsportal!“ verpassen muss. Die Verantwortlichen für dieses schändliche Vorgehen haben sich an der Meinungsfreiheit vergangen und damit auch die Demokratie weiter angekratzt, die – seien wir doch knallhart ehrlich: längst nur mehr eine Fassadendemokratie ist.
Es ist schlimm und was die Garantie von Meinungsfreiheit betrifft sehr bedenklich zu nennen, dass offenbar alle Dortmunder Ratsfraktionen hinter der Absage stehen. „Die Linke+“ hat wohl lange diskutiert, dann aber war Fraktionsvorsitzender Utz Kowalewski brav auf die Linie der anderen Parteien eingeschwenkt: „Wir haben als Fraktion DIE LINKE+ erhebliche Bauchschmerzen mit dem Auftritt von Herrn Ganser in Dortmund.“ […]
Einzig Heiner Garbe, Vorsitzender der AfD-Fraktion Dortmund stellte sich am 27.1. gegen die Absageforderung. Die Nordstadtblogger zitieren Garbe so: „Die Veranstaltung von Dr. Daniele Ganser“ «Warum ist der Krieg in der Ukraine ausgebrochen?“ am 27. März in der Westfallenhalle ist ein in einer pluralistischen Demokratie normales Veranstaltungsangebot. Der Versuch der Fraktionen der Grünen, der CDU und der SPD, der Westfalenhalle die Veranstaltung unter Berufung auf «Experten« diverser Polit-Netzwerke zu verhindern, zeugt von einem eklatanten Mangel an Demokratieverständnis. Es zeugt auch davon, dass die vielen gut bezahlten Vertreter der Altparteien im Aufsichtsrat der Westfallenhalle dort fehl am Platze sind, weil sie auch die ökonomischen Interessen der in einem starken Wettbewerb stehenden Halle nicht vertreten. Die Westfalenhalle wird mit erheblichen Kapitalzuführungen aus dem Stadt-Etat am Leben gehalten. […] Meinungs- und Versammlungsfreiheit sind ein hohes demokratisches Gut, das es gerade hier in Dortmund immer wieder zu verteidigen gilt.“ […]
Die nicht nicht das erste Mal besonders ideologisch gefärbt berichtenden Nordstadtblogger (kommen kritische Kommentare aus der Leserschaft, schließt man gern die Kommentarfunktion) – vornweg deren Redaktionsleiter – berichteten gestern: „Beleuchten wird diese und andere Vermietungen schließlich auch der Rat: Der Ganser-Auftritt steht auf Vorschlag der AfD („Meinungsfreiheit statt Meinungstotalitarismus“) auf der Tagesordnung für die Sitzung am 9. Februar. Nach der Absage wird die Diskussion noch an Fahrt gewinnen – schließlich wollte die AfD nach eigenem Bekunden in Fraktionsstärke daran teilnehmen.“
Alles in allem ein unappetitlicher Vorgang, der auf Dortmund kein gutes Licht wirft
Es bleibt dabei: ein unappetitlicher Vorgang, der auf Dortmund kein gutes Licht wirft.
Allerdings sind auch andere Orte wo Gansers Vortrag angekündigt ist am Kesseltreiben gegen den Historiker und Friedensforscher – solche sind in diesen aufgeheizten Kriegszeiten besonders unter Beschuss – beteiligt. In Innsbruck sorgte Bürgermeister Georg Willi (Grüne) für die Absage des Ganser-Auftritts. Ganser focht es nicht an: er zog kurzerhand in einen zwanzig Kilometer entfernten anderen Ort und in eine dortige Halle um. Es wurde eine großartige Veranstaltung.
Wie Ganser bzw. sein Management sich zu der Absage stellen ist noch unbekannt.
Ich werde Sie informieren, liebe Leserinnen und Leser.
Es bleibt dabei: Wir leben in schlimmen Zeiten. Das darf nicht so bleiben.

Beitragsbild: Christoph Hardt

 Wie Ganser bzw. sein Management sich zu der Absage stellen ist noch unbekannt.
Ich werde Sie informieren, liebe Leserinnen und Leser.
Es bleibt dabei: Wir leben in schlimmen Zeiten. Das darf nicht so bleiben.

Update vom 6. Februar 2023: Stellungnahme von Dr. Daniele Ganser auf Facebook

„Am 27. März 2023 möchte ich einen Vortrag zum Ukrainekrieg in Dortmund halten. Ich bin dagegen, dass Deutschland Panzer liefert. Das Interesse am Vortrag ist gross, was mich freut. Die Westfalenhalle mit 2000 Plätzen ist bereits ausverkauft. Es gibt keine Tickets mehr. Doch lokale Politiker in Dortmund von der Grünen Partei haben mit Unterstützung der SPD und der CDU und einigen Medien Druck auf die Westfalenhalle GmbH ausgeübt. Diese hat am 3. Februar 2023 den gültigen Mietvertrag gekündigt. Das halte ich für unfair. Ich und mein Team werden mit allen juristischen Mitteln gegen die Kündigung unseres Mietvertrages vorgehen und auf vertragsgemässe Durchführung des Vortrages klagen. Alle die ein Ticket gekauft haben bitte ich um Geduld bis die Gerichte den Fall Dortmund geklärt haben. Ich möchte auf jeden Fall nach Dortmund kommen. Ich freu mich auf den Vortrag! Ich lasse mich nicht einschüchtern. Zensur findet nicht statt. So heisst es im Grundgesetzt. Gerade in Kriegszeiten ist das wichtig.“

Update vom 8. Februar 2023 via Daniele Ganser auf Facebook

Wie geht es in Dortmund weiter, wo ich am 27. März meinen Vortrag zum Krieg in der Ukraine halten möchte? Im Vortrag sage ich, Deutschland sollte keine Panzer liefern. Daher versuchen Lokalpolitiker von den Grünen mit Unterstützung der SPD und der CDU meinen Vortrag zu verhindern. Die Lokalpolitiker haben Druck auf die Westfalenhalle GmbH gemacht. Diese konnte dem Druck nicht standhalten und hat am 3. Februar den gültigen Vertrag gekündigt. Morgen am 9. Februar tagt in Dortmund in derselben Westfalenhalle der Stadtrat, das lokale Parlament mit 86 Mitgliedern. Unter Traktandum 10 «Meinungsfreiheit statt Meinungstotalitarismus – Kein Auftrittsverbot für Dr. Daniele Ganser» fordern die Vertreter der AfD im Stadtrat, dass ich meinen Vortrag halten darf. Zudem findet am selben Tag vor der Westfalenhalle eine Demonstration für Frieden und Meinungsfreiheit statt. Ich habe die Demonstration nicht organisiert und werde auch nicht vor Ort sein. Auf dem Flyer für die Demo steht ein Zitat von Karl Jaspers. Dieser sagt richtig: «Frieden ist nur durch Freiheit, Freiheit nur durch Wahrheit möglich.» Ich möchte meinen Vortrag in Dortmund am 27. März unbedingt halten. Ich und mein Team werden juristisch gegen die Kündigung unseres gültigen Mietvertrages vor dem Landgericht in Dortmund klagen. Am Schluss muss vermutlich ein Richter entscheiden, ob Mietverträge in Deutschland noch etwas wert sind und ob die Meinungsfreiheit noch gilt. Alle die ein Ticket gekauft haben bitte ich um Geduld. Wir müssen abwarten, wie sich diese Geschichte entwickelt. Zensur findet nicht statt. So heisst es zumindest im Grundgesetz.

Update vom 10. März 2023

Verwaltungsgericht: Dr. Daniele Ganser darf in den Westfalenhallen Dortmund auftreten

Dortmunder Polizei mit „schwerem Kriegsgerät“ gegen Jugendlichen mit Messer. Der 16-jährige Senegalese verstarb trotz Not-OP

Eine traurige Nachricht erschütterte dieser Tag die Ruhrgebietsmetropole Dortmund. Betreuerinnen einer Sozialeinrichtung hatten die Polizei alarmiert, weil ein Jugendlicher mit einem Messer hantierte. Die Nachricht machte über die Dortmund hinaus reichlich Schlagzeilen. Die mit 11 Beamten angerückte Polizei setzte den 16-jährigen Senegalesen mit 5 (!) MP-Schüssen außer Gefecht. Er verstarb trotz Notoperaration im Krankenhaus.

Elf (!) Beamte sollen nicht in der Lage gewesen sein, den Jugendlichen zu entwaffnen? Nötigenfalls mit einem Schuss ins Bein? Die Bodycams der Polizisten sollen nicht eingeschaltet gewesen sein. Da stellen sich einige ernste Fragen. Denn in Deutschland ist das längst kein Einzelfall.

Maschinenpistolenschüsse auf Kopf und Bauch

„Wiederum nur einen Tag später, am 8. August, erschossen Polizeikräfte in Dortmund einen 16-jährigen Flüchtling aus dem Senegal mit fünf Schüssen aus einer Maschinenpistole vom Typ MP5. Laut Darstellung der Polizei habe der Jugendliche die Beamten mit einem Messer bedroht.

Dem Obduktionsbericht zufolge haben zwei Projektile aus der Maschinenpistole die Schulter getroffen, jeweils ein weiteres den Bauch, das Gesicht in Höhe des Jochbeins sowie ein weiterer Schuss den Unterarm. Der schwerverletzte 16-Jährige starb kurz darauf trotz Notoperation. Vor dem Schusswaffengebrauch habe die Polizei erfolglos Reizgas und ein Elektroschockgerät eingesetzt.

Nach Angaben des zuständigen Oberstaatsanwalts Carsten Domberg sei es zu dem Vorfall nachmittags in einem Innenhof zwischen der Sankt-Antonius-Kirche und einer Jugendhilfeeinrichtung in der Dortmunder Nordstadt gekommen, in der der als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling nach Deutschland eingereiste Senegalese betreut worden war. Ein Anwohner hätte die Polizei gerufen, da er ein Messer bei dem Jugendlichen gesehen habe. Inwieweit der Jugendliche, der laut Staatsanwaltschaft keinerlei Deutsch sprach, mit dem Messer mit einer Klingenlänge von 15 bis 20 Zentimetern den 11 herbeigeeilten Polizisten gedroht habe, müssten die weiteren Ermittlungen ergeben. Warum es überhaupt zu der Eskalation und dem Todesfall kommen konnte, soll laut Staatsanwaltschaft Schwerpunkt der Ermittlungen sein. Mit diesen wurde aus „Neutralitätsgründen“ die Polizei aus dem nahen Recklinghausen betraut. Oberstaatsanwalt Dombert erklärte zudem zur Einordnung der Rechtslage:

“Man darf jede Waffe einsetzen, um sich gegen einen rechtswidrigen Angriff zu erwehren”, aber nur weil jemand ein Messer in der Hand hält, darf niemand auf ihn schießen.”“

Quelle: Aus einem Beitrag von Florian Warweg (NachDenkSeiten)

„Warum“, fragt Paulina Bermudez in ihrem Nordstadtblogger-Beitrag, „neben Pfefferspray und Tasern der Einsatz einer Schusswaffe notwendig war, ist Teil der Ermittlungen. Weshalb die Polizei „mit so schwerem Kriegsgerät“ im Einsatz war, wie Oberstaatsanwalt Carsten Dombert die eingesetzte Maschinenpistole im Gespräch mit Nordstadtblogger nannte, soll ebenfalls geklärt werden. Aktuell ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen den Beamten wegen eines Anfangsverdachts wegen schwerer Körperverletzung mit Todesfolge.“

Proteste gegen Polizeigewalt in Dortmund

Derweil gab es in der Dortmunder Nordstadt wegen des Vorfalls zu Straßenprotesten. Auch vor der Wache, von welcher die bei dem Vorfall eingesetzen Beamten stammen. „Neben einer Schweigeminute prägten in erster Linie Erfahrungsberichte von polizeilichen Übergriffen und alltäglichem Rassismus auf „People of Colour“ (PoC) die Veranstaltung. Mehr als zwanzig Redebeiträge machten eines deutlich: Neben Trauer bestimmen Angst vor und Wut auf die Polizei den Alltag vieler Menschen mit sichtbarem Migrationshintergund.

So berichtet eine Rednerin von einem schockierenden Vorfall. Sie begleite einen Freund, der „PoC“ ist, nach einer körperlichen Auseinandersetzung in die Notaufnahme des Klinikum-Nord. Die behandelnde Ärztin frage ihn umgehend: „Kommen Sie aus der Wache Nord?“ Als der junge Mann verwirrt verneinte, entgegnete sie: „Dann sähen Sie auch ganz anders aus.“

Die Redebeiträge kritisierten immer wieder die Institution Polizei: „Wir brauchen eine unabhängige Kontrollinstanz“, betont ein Redner.“ Quelle: Nordstadtblogger-Beitrag

Beitragsbild: C. Stille, Archiv

Die strafende Stadt – Bestrafen der Armen

Einleitende Worte (Claus Stille)

Der Autor Loïc Wacquant hat den Strafrechtsstaat in den USA einer gründlichen Analyse unterzogen. Damit gewinne man, schreibt er auf Seite 41, „unentbehrliches Material für eine historische Anthropologie der sich derzeit vollziehenden Erfindung des Neoliberalismus, denn seit dem Bruch Mitte der 1970er Jahre war Amerika der theoretische und praktische Motor der Entwicklung und weltweiten Ausbreitung eines politischen Projektes, dessen Ziel es ist, alle menschliche Tätigkeit der Vormundschaft des Marktes zu unterstellen“. Das bedeutet eben auch die Menschen in „Würdige“ und „Unwürdige“ einzuteilen. Will sagen: Nützliche und überflüssige Menschen. Millionen Menschen dümpeln in den USA von prekärem Job zu prekärem Job.

Wieder andere landen wegen der eingeführten „Nulltoleranz“ schon wegen Bagatelldelikten im Gefängnis. Neben dem die Menschen drückenden und unter Kontrolle stellenden und bei Verstössen gegen die Auflagen sanktionierendem System des workfare kommt für einen Teil der Überflüssigen ein anderes in Anwendung, das prisonfare. Der Autor spricht von einer „Gefängnisbulimie“. Seit den 1970er Jahren stieg die Zahl der in den USA Inhaftierten stetig an. Nach der Reform des Sozialstaats in der Amtszeit des Präsidenten Bill Clinton im Jahre 1996 bei der die Ärmsten der Armen noch einmal tiefe Einschnitte hinnehmen mussten, erfolgte überdies eine Verschärfung des Strafrechts. Sicherheitsfirmen hatten Hochkonjunktur. Private Gefängnisse – geradezu ein regelrechter Gefängnisinkomplex entstand – hatten sozusagen Hochkonjunktur.

Wacquant nimmt den Leser mit auf eine Reise des Grauens  in das „US-amerikanische Gefängnis-Archipel“. Gefangene werden zwischen den einzelnen Bundesstaaten hin und her verschoben. Die Anstalten seien, notiert der Autor, nicht selten bist zum Bersten überfüllt. Einmal ist davon die Rede, wie Neuankömmlinge vor Gefängnissen mit Bussen sogar hin- und hergekarrt werden (müssen), bis endlich wieder Plätze im Knast frei werden. Die frischen Gefangenen dürfen dabei die Busse auch bei brütender Hitze nicht verlassen. Nicht selten sind sie gezwungen darin zu urinieren. In ihrer Platznot griff New York sogar auf Gefängnislastkähne zurück. Unmenschliche Zustände, die den Leser tief beeindrucken, ja: im Innersten bedrücken dürften! Diese Zustände bedenkend, dämmert einen an mancher Buchstelle, woher das kommen mag, dass Gefangene der USA in Guantánamo und anderso wie Vieh oder noch schlimmer behandelt werden. Manches mal möchte man ob des Beschriebenen angewidert und wütend das Buch sinken lassen. Doch nur Mut: Wir sollten diese Zustände und die „Denke“ die sich hinter diesem menschenunwürdigen System steht unbedingt zur Kenntnis nehmen. All dies hat auch mit der Geschichte der USA zu tun, wie Wacquant ausführt. Gewiss auch mit der Sklaverei und der Rassentrennung.

Scheinlösungen, der Einfluss der Medien und intellektueller Schwindel

Uns Europäer sollte vor allem schwer zu denken geben, wieso einige unserer Regierungen (und von denen ausgerechnet auch noch sozialistisch, sozialdemokratisch geführte wie die von Lionel Jospin (Frankreich), Tony Blair (Großbritannien) und BRD (Schröder) Anleihen beim US-amerikanischen workfare und prisonfare genommen haben. Gewiss hat dies mit neoliberalen Einflüsterungen seitens Kapital und Großkonzernen zu tun. Wacquant geht besonders auf das Beispiel Frankreich bezogen sehr genau darauf ein. Dabei kommt ihm (und uns) zugute, dass er sowohl in den USA als auch in Frankreich forscht. Hauptsächlich dort, konstatiert er, sei diese US-amerikanische Nulltoleranz-Politik und Wegsperrmentalität stark abgekupfert worden. Auch andere westeuropäische Politiker seien regelmäßig in die USA gepilgert um sich von diesem System überzeugen zu lassen und in der Heimat schließlich als Heilmittel zu preisen. Dabei entbehren diese US-amerikanischen Heilmittel, erfahren wir, hauptsächlich die angeblichen Erfolge auf dem Gebiet der Kriminalitätsbekämpfung meist jeder wissenschaftlichen Untermauerung. (…)

Quelle: Aus meiner Rezension des Buches „Bestrafen der Armen“ von Loïc Wacquant.

Das Buch kam mir dieser Tage wieder in den Sinn als ich den Artikel „Die strafende Stadt“ von Laurenz Lurk (Gewerkschaftsforum.de) zu Gesicht bekam. So schlimm, wie es Wacquant beschrieben hat, ist es hierzulande (noch) nicht.

Wir müssen aber begreifen, dass bestimmte Politiker die Anregungen, wie man mit Menschen verfährt, die quasi für die Gesellschaft nicht von Nutzen sind, weil das neoliberale System sie nicht mehr braucht, aus den USA oder Großbritannien bekommen haben. Bedenkenswert: Daraus resultierende Maßnahmen wurden meist von sozialdemokratischen Regierungen ins Werk gesetzt.

Ein Teil dieser ausgegrenzten, aus einer früheren Normalität herausgeworfenen Menschen stören diejenigen, die noch drin sind und meinen, sie betreffe die Not und die Armut der anderen Menschen nicht. Sie wollen diese Armut und deren Bild in ihrer Stadt deshalb auch nicht sehen.

Da greifen manche Städte quasi zu Vergrämungsmaßnahmen. Vergrämung – der Begriff kam mir erstmals zu Ohren, als es darum ging, dafür zu sorgen, dass Tauben von bestimmten Orten in der Stadt vergrämt – heißt vertrieben – werden sollten. Ist es nicht zynisch, den Begriff „Vergrämungsmaßnahmen“ auf Tauben. Menschen zu beziehen? Ja, freilich! Aber es gibt tatsächlich Städte die zu Maßnahmen greifen, um Menschen, die aus dem System gefallen sind zu vertreiben. Wie störende Tauben. Teils mit perfiden Methoden. Ist das nicht eine Vergrämung? Rücksicht braucht man auf diese Menschen so wieso kaum zu nehmen. Sie sind eh keine Wähler (mehr). Weil sie wissen, für sie tut ohnehin keine Partei etwas – außer vielleicht ein paar wohlklingende Worte fallen zu lassen, die nichts kosten, da sie ohnehin nie in Taten umgestzt werden. Diese Menschen stören. Sie sollen weg und möglichst nicht das Straßenbild verunzieren.

Laurenz Nurk hat aufgeschrieben, wie sich das für ihn in Dortmund darstellt. Apropos Dortmund: Ich hörte vor einigen Jahren einen leitenden Mitarbeiter des Ordnungsamtes bezüglich des Klientiels seiner Mitarbeiter*innen sagen: „Wir haben es hauptsächlich mit Abschaum zu tun“. Das schockte mich. Das sagte ein verantwortlicher Mensch in einer von einem sozialdemokratischen Oberbürgermeister geführten Stadt über Mitmenschen! Der Stadt, die einst „Herzkammer der SPD“ genannt wurde.

Die strafende Stadt

Gastbeitrag Laurenz Nurk (Gewerkschaftsforum.de)

Dortmund war über Jahrzehnte die Hauptstadt der bundesdeutschen Naziszene. In der Stadt gab und gibt es eine gefährliche Meute, die von den Sicherheits- und Verfassungsbehörden systematisch aufgepäppelt wurde und dann im mörderischen NSU-Sumpf mündete. Die Polizei nahm nach dem Mord an Mehmet Kubaşık nicht die Mitglieder der rechten Gruppen in der Stadt ins Visier, sondern ermittelte bei den nach Fahndersprech genannten „Döner-Morden“ vorrangig gegen die Opferfamilie.

Seit dieser Zeit wurden parallel dazu Polizei- und Ordnungskräfte systematisch aus- und aufgerüstet, allerdings für den Einsatz gegen den ärmeren Teil der Bevölkerung in der Stadt.

Eine Stadt, in der in einem Stadtteil 124 Straßen und Plätze von der Polizei als „gefährlich und verrufen“ eingeordnet und die Beamten mit Sonderrechten dort ausgestattet wurden.

Eine Stadt, in der aus dem Kampf gegen Drogen und Armut der Kampf gegen Drogenkonsumenten und Arme wurde und in der die Übergriffe von Polizei- und Ordnungskräfte auf wehrlose Bewohner stetig angestiegen ist.

Eine Stadt, die ein Ort von Sandkastenspielen und Experimentierfeld der aktuellen Polizeigesetze wurde, bei denen die Freiheitsrechte der Einwohner und Besucher massiv mit den Füßen getreten werden.

Eine Stadt, in der im Rahmen der neuen, sogenannten Strategischen Fahndung, mit ihren anlasslosen Kontrollen die Polizei berechtigt ist, wie vormals in der Nordstadt, nun auch in der City „Personen ohne konkreten Verdacht anzuhalten, nach ihrer Identität zu befragen sowie Fahrzeuge und mitgeführte Sachen in Augenschein zu nehmen“ und damit das gelinde gesagt, angespannte Verhältnis zwischen Einwohnern und Polizei- und Ordnungskräften weiter zu verschärfen. Die neuen Polizeigesetze bieten dafür eine Steilvorlage.Die Auswirkungen der „Agenda 2010“ die von der rot-grünen Bundesregierung Anfang des Jahrhunderts auf den Weg gebracht wurde, haben der politischen Kultur und dem sozialen Klima im Land dauerhaft geschadet.

Der Arbeitsmarkt wurde dereguliert, der Sozialstaat demontiert, eine Steuerpolitik betrieben, die den Reichen mehr Reichtum und den Armen mehr Armut gebracht und auch der Mittelschicht deutlich gemacht hat, dass ihr Abstieg jederzeit möglich ist. Damit reagieren die Stärkeren ihre Abstiegsängste, Enttäuschung und ihre Ohnmacht an den Schwächeren ab. Begleitet wird das Ganze von dem Misstrauen gegenüber den Mitmenschen und wenn man sieht, dass der Staat überall ein Sicherheitsproblem entdeckt, das mit martialischen Einsätzen der Sicherheitskräfte entschärft werden muss, dann wird die gefühlte Bedrohung real erlebt und nach dem noch stärkeren Staat gerufen.

Dabei ist es erforderlich, denen, die nichts mehr haben als strafender und disziplinierender Staat entgegen zu treten und den Menschen mit Abstiegsängsten sowie denen mit großen Vermögen einen starken Staat zu demonstrieren.

Dieser Prozess hat sich mittlerweile auch in die Kommunen verlagert.

Da ist es schon erschreckend, mit welcher Selbstverständlichkeit eine einzelne Person, hier der Polizeipräsident Gregor Lange, gelernter Verfassungsschützer mit SPD-Parteibuch, eine „strategische Fahndung anordnet, bei der Personen ohne konkreten Verdacht angehalten, nach ihrer Identität zu befragt sowie Fahrzeuge und mitgeführte Sachen in Augenschein genommen werden können“. Betroffen ist der größte Teil der Innenstadt plus angrenzende Bereiche. Bereits im Sommer 2021 ordnete er in der Zeit von Mitte Juni bis Mitte Juli eine strategische Fahndung in der Dortmunder Nordstadt an. Grund dafür war eine gewaltsame Auseinandersetzung zwischen zwei größeren Personengruppen, bei der Molotowcocktails und „weitere gefährliche Gegenstände eingesetzt“ worden seien.  Durch „den konsequenten Kontrolldruck konnten weitere Auseinandersetzungen verhindert werden. Im Rahmen der 1.723 Personenkontrollen konnten Strukturen von handelnden Personen der Auseinandersetzung aufgehellt werden. Die Polizisten nahmen in der Nordstadt 21 Personen fest und fertigten 187 Strafanzeigen sowie 98 Ordnungswidrigkeitenanzeigen an“. Der Polizeipräsident weiter: „Nach einer langen Zeit der Einschränkungen freuen wir uns alle auf die wieder erlangte Freiheit. Wir werden alles daransetzen, dass diese herbeigesehnte Normalität nicht von Straftätern ausgenutzt wird. Wir werden so ein Verhalten nicht tolerieren. Deshalb habe ich die strategische Fahndung angeordnet, um all denen ein klares Signal zu senden, die hier Straftaten begehen wollen. Mit der Anordnung der strategischen Fahndung nehmen wir unseren Auftrag wahr, alle rechtlichen Maßnahmen auszuschöpfen um alle Bürgerinnen und Bürger bestmöglich zu schützen“.

Die Neufassung des Polizeigesetzes NRW Ende 2018 ermöglicht es der Polizei, neue Wege bei der Verhütung und Bekämpfung der Kriminalität zu gehen. Es erlaubt die strategische Fahndung der Polizei nach § 12a PolG NRW – Polizeiliche Anhalte- und Sichtkontrollen (strategische Fahndung):

„(1) Die Polizei darf im öffentlichen Verkehrsraum

  • zur Verhütung von Straftaten von erheblicher Bedeutung im Sinne des 8 Absatz 3 und zur Verhütung von terroristischen Straftaten nach § 8 Absatz 4,
  • zur Verhütung gewerbs- oder bandenmäßig begangener grenzüberschreitender Kriminalität oder
  • zur Unterbindung des unerlaubten Aufenthalts

Personen anhalten und befragen sowie die zur Feststellung der Identität erforderlichen Maßnahmen nach § 12 Absatz 2 treffen. Fahrzeuge und mitgeführte Sachen dürfen in Augenschein genommen werden. Die Polizei darf verlangen, dass mitgeführte Sachen sowie Fahrzeuge einschließlich an und in ihnen befindlicher Räume und Behältnisse geöffnet werden; im Übrigen ist die Durchsuchung von Personen, mitgeführten Sachen und Fahrzeugen unter den Voraussetzungen der §§ 39 und 40 zulässig.

Die Maßnahme ist nur zulässig, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass in diesem Gebiet Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen werden sollen und die Maßnahme zur Verhütung dieser Straftaten erforderlich und verhältnismäßig im Sinne von § 2 ist.

(2) Die Maßnahme ist schriftlich zu beantragen und bedarf der schriftlichen Anordnung durch die Behördenleitung oder deren Vertretung. Umfasst das festgelegte Gebiet die Zuständigkeit mehrerer Behörden, so trifft die Anordnung das Landesamt für Zentrale Polizeiliche Dienste. Die Anordnung ist zeitlich und örtlich auf den in Absatz 1 genannten Zweck zu beschränken. Sie darf die Dauer von 28 Tagen nicht überschreiten. Eine Verlängerung um jeweils bis zu weiteren 28 Tagen ist zulässig, soweit die Voraussetzungen für eine Anordnung weiterhin vorliegen…“

Verschärfung der Polizeigesetze

In fast allen Bundesländern wurden in den letzten 4 Jahren die Polizeigesetze verschärft. Man muss dies als ein politisches Handlungsziel sehen, dass die präventive Gefahrenabwehr, die in den Polizeigesetzen der Länder geregelt ist, nun auf der Bundesebene einheitlich gestaltet werden soll. Hatte man doch genau diese föderalen Strukturen deshalb aufgebaut, weil im deutschen Faschismus eine ungeheuer große zentralisierte Machtkonzentration geschaffen wurde, was man Ende der 1940er Jahre noch vermeiden wollte.

Heute wird wieder angestrebt, unter dem Deckmantel sich ähnelnder neuer Landespolizeigesetze und so mit einem faktisch bundesweiten Polizeigesetz eine neue Zentralisierung der Staatsmacht zu konstruieren.

Bei der Verschärfung der Polizeigesetze der Länder richtet sich das Hauptaugenmerk gar nicht so sehr auf die vorgebliche Strafverfolgung, die schon einheitlich in der Strafprozessordnung geregelt ist, sondern auf den Bereich der präventiven Gefahrenabwehr, die in neue Polizeigesetze gegossen, dann so etwas hervorbringt:

  • Das präventive Polizeirecht soll eine Gefahr schon dann abwehren, bevor der Schaden eintritt. Das kehrt den bisherigen Grundsatz um, dass ein Eingriff erst dann erfolgen darf, wenn eine konkrete Gefahrenlage vorliegt. Hier wird die Schwierigkeit entstehen, zu entscheiden, bei welchen Szenarien eine Gefahr droht und welche Maßnahmen gerechtfertigt sind.
  • Alle neuen Polizeigesetze haben sich die Vorfeldkategorie der drohenden Gefahr zu eigen gemacht und daran vielfältige Eingriffe wie Telefonüberwachung oder On-line-Durchsuchungen geknüpft. Hier steht die Quellen-Kommunikationsüberwachung (TKU) im Vordergrund, wobei die „Staatstrojaner“ direkt an der Quelle die Geräte beeinflussen. Gemeinsam mit der Online-Durchsuchung wird der Nutzer vollkommen durchleuchtet und man erhält ein allumfassendes Persönlichkeitsprofil.
  • Die Videoüberwachung ist ein weiteres, gemeinsames Element der neuen Gesetze, es sollen dabei nicht nur die bekannten Örtlichkeiten mit erhöhter Zahl an Straftaten überwacht werden, sondern auch solche Orte, bei denen nach der polizeilichen Prognose zukünftig erhöhte Straftatenzahlen erwartet werden können. Das gleiche Prinzip soll auch bei großflächigen, verdachtsunabhängigen Kontrollen angewandt werden, wenn abstrakt eine Erwartung bestimmter Straftaten besteht, dann sind auch ohne konkreten Verdacht Personen zu durchsuchen, eine typische Einfallstür für das Racial Profiling.
  • Die Strafprozessordnung legt fest, dass jemand, der eine Straftat begeht, nach einem Prozess von einem Gericht verurteilt wird. Das Polizeirecht aber fragt nicht nach Beweisen, sondern nach der Gefahrenlage. Die festgehaltene Person muss nicht wie bisher spätestens am Tag nach der Festsetzung den polizeilichen Gewahrsam verlassen, auch hier wird neuerdings das Prinzip der Präventivhaft eingeführt. In den einzelnen Bundesländern ist die Dauer dieser Haft unterschiedlich geregelt werden, benannt werden Haftzeiträume von einem bis zu drei Monaten.
  • Bisher war der Platzverweis die gängige Maßnahme, Menschen von einem bestimmten Ort zu entfernen. Das soll dahingehend umgekehrt werden, dass die Polizei ermächtigt wird, Personen dazu zu verdonnern, sich nicht von einem bestimmten Platz zu entfernen. Die Befugnisse gehen so weit, auch Kontaktverbote zu bestimmten Personen oder Gruppen auszusprechen. Dieser Hausarrest soll die Person von ihrem sozialen und politischen Umfeld isolieren, wenn nötig, auch mit der elektronischen Fußfessel.

Die neuen Polizeigesetze stärken die Befugnisse der Polizei ungemein, sie wird mit einer riesigen Machtfülle ausgestattet. Der einst positiv besetzte Begriff der Prävention bekommt nun eine ganz neue, unheimliche Bedeutung und die Zahl der Menschen, die in eine konfliktträchtige Konfrontation mit der Staatsmacht geraten, wird ansteigen.

Das Verhältnis zwischen Einwohnern und Polizei- und Ordnungskräften ist aber seit Jahren schon gelinde gesagt angespannt. Die Steigerung der Kosten für Personaleinsatz, für Auf- und Ausrüstung geht gleichzeitig mit einer Steigerung der Konfrontationszenen einher.

124 Straßen und Plätze in der Dortmunder Nordstadt gelten laut Polizei als „gefährliche und verrufene Orte“

Aus der Antwort der NRW-Landesregierung auf eine Anfrage aus dem Jahr 2017 geht hervor, dass 124 Straßen und Plätze in der Dortmunder Nordstadt als „gefährliche und verrufene Orte“ gelten. Festgelegt wird diese Kennzeichnung von der jeweiligen örtlichen Polizeibehörde, im Fall Dortmund vom Polizeipräsidenten.

Für die Polizei ergeben sich durch diese Kennzeichnung einige Vorteile, so dürfen Polizisten dort vorbeugend gegen verdächtige Personen vorgehen. Nach Paragraf 12 des Polizeigesetzes NRW dürfen Polizisten auch die Identität von Personen feststellen, die sich an einem Ort aufhalten, von dem Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass

  • dort Personen Straftaten von erheblicher Bedeutung verabreden, vorbereiten oder verüben,
  • sich dort Personen treffen, die gegen aufenthaltsrechtliche Strafvorschriften verstoßen

oder sich dort gesuchte Straftäter verbergen.

Normalerweise braucht die Polizei einen Anlass, um Personen zu kontrollieren, z.B. weil sich diese verdächtig verhalten oder ihre Beschreibung zu einer gesuchten Person passt. Diese Voraussetzung fehlt aber an Orten, die als „gefährlich und verrufen“ gelten, und ein Zusammenhang mit der zu kontrollierenden Person unterstellt wird. Dass dies in der Dortmunder Nordstadt schon seit einem Jahr mit der Einführung des Instruments der „Strategischen Fahndung“ möglich ist, macht die Sache nicht besser, sondern verstärkt die Vorwürfe von Willkürmaßnahmen und „Racial Profiling“ noch weiter.

Für die Polizei ist die Einstufung von Straßen und Plätzen der Dortmunder Nordstadt als „gefährliche und verrufene Orte“ mit den damit erweiterten polizeilichen Möglichkeiten eine willkommene Gelegenheit, bei ihrer permanenten, öffentlichkeitswirksamen Präsentation sinkender Zahlen der Kriminalitätsstatistik in der Nordstadt zu glänzen. Sie meint sogar, schon mit der Identitätsfeststellung sei eine sehr umfangreiche Ermittlungsarbeit verbunden, bei der viele Akteure und Einheiten, beispielsweise die Ermittlungskommission Nordstadt, die Schwerpunktstaatsanwaltschaft und der polizeiliche Schwerpunktdienst Nord, viele Puzzleteile zusammentragen, Strukturen klären und schon im Vorfeld einer möglichen Straftat eingreifen können.

Wie das in der Praxis geschieht, zeigen die Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit.

Einwohner unter Generalverdacht

Es wird immer mal wieder die seit Jahren schon ständige Präsenz der Ordnungskräfte im Alltagsbild der Nordstadt erhöht und zwar so, dass sich die Einwohner der Nordstadt ständig einschränken müssen und sich unter Beobachtung gestellt fühlen:

  • Die Nutzer des Nordmarktes müssen sich gefallen lassen, dass immer wieder Personenkontrollen bei ihnen durchgeführt werden, bei denen Einzelpersonen von bis zu 6 Ordnungskräften umringt sind, Befragungen ausgesetzt werden und Platzverweise bekommen. Als friedliche Nutzer der Sitzbänke, werden sie mal vom südlichen, mal vom westlichen Teil des Platzes verjagt und förmlich weg gehetzt. Ganze Teile des Nordmarktes werden ohne Grund geräumt, die Sitzbänke sind leer, nur so.
  • Demonstratives Befahren des Nordmarktes von Polizei und Ordnungsamt sind Alltag. Die sogenannten Problemgruppen werden auf Trapp gehalten. Der Nordmarkt als letzter Rückzugsraum soll für sie unattraktiv gemacht werden, ihr Unerwünscht sein überhaupt soll demonstriert werden.
  • Das Abriegeln ganzer Quartiere mit Personenkontrollen, keiner kommt rein, keiner geht raus, soll die Tatkraft der Ordnungskräfte unter Beweis stellen. Dazu gehört auch das martialische Auftreten von Polizei und Ordnungskräften und das öffentlichkeitswirksame Zelebrieren von Durchsuchungen mutmaßlicher Dealer. Hier werden elementare Grundrechte der Nordstadtbewohner verletzt.
  • Es gibt immer wieder Schwerpunkteinsätze der Ordnungs- und Polizeikräfte in der Nordstadt mit besonderem Fokus auf dem Nordmarkt und der näheren Umgebung. Als Grund dafür wird genannt, dass nach „überwiegend regelkonformen Verhalten“ der unterschiedlichen Nutzergruppen (Drogenkonsumenten, Alkohol trinkende Menschen, Zuwanderer aus Südosteuropa) sich das „Verhalten zunehmend verschlechtert“ hätte. Bei so viel Bemühen, um eine Verhaltensänderung herbei zu führen und die vollkommene Rückendeckung durch die Politik, schießen die Ordnungskräfte schnell über ihr gesetztes Ziel hinaus.
  • Da schaukeln sich Stresssituationen zwischen Ordnungskräften und alten Menschen hoch zu einem Katz- und Mausspiel, wie das Beispiel der 78 –jährigen Frau zeigt, der förmlich aufgelauert wurde, um ihr immer wieder Ordnungswidrigkeiten vorzuwerfen. Die Vorwürfe lauten: einen Hund verbotswidrig unangeleint ausgeführt zu haben. Geahndet wurde dieses Vergehen mehrfach: z.B. Kassenzeichen 5414301_ _ mit 48,50 Euro und Kassenzeichen 5450317_ _ mit 73,50 Euro. Ihr 16 Jahre alter Hund, alterserlahmt, war jedes Mal ohne Leine hinter der Frau her zu ihrer Stammsitzbank auf dem Spielplatz getrottet. Als sie das Tier einige Zeit später ordnungsgemäß angeleint auf dem Bürgersteig führte, wurde dem Hund vorgeworfen, einen Unfall verursacht zu haben und ihr ein Zwangsgeld in Höhe von 200,00 Euro – Kassenzeichen 2260055_ _- auferlegt. Der Grund: Sie hatte gegen die Ordnungsverfügung verstoßen, „ihren Hund mit mehr als der erlaubten 1,50 m Leinenlänge geführt zu haben, so dass der Hund ca. 3 Meter in Richtung Straße laufen konnte.“ Die Frau muss ihre kleine Altersrente mit der Grundsicherung aufstocken.
  • Um die angeblichen Regelverstöße auf dem Nordmarkt zu unterbinden, kann der Nordstadtbewohner beobachten, wie Ordnungskräfte mit Hinweis-Tafeln auf rumänisch und bulgarisch ausgestattet über den Platz laufen. Falls die Angesprochenen des Lesens nicht mächtig sind, zücken sie Piktogramm-Tafeln. Die Darstellung von sich in der Öffentlichkeit entleerenden Menschen ist entwürdigend.
  • Selbst auf den Bürgersteigen werden Platzverweise ausgesprochen. Die Personenansammlungen auf den Gehwegen der Mallinckrodtstraße wurden durch die Ordnungskräfte aufgelöst. Fußgänger aus den schrittfahrenden Bullis der Ordnungskräfte angesprochen und gemaßregelt und junge Migranten Personenkontrollen unterworfen, denen eine öffentlichkeitswirksame Körperdurchsuchung vorausging. Was hatten die Jugendlichen verbrochen? Sie sind schneller als üblich gegangen – also scheinbar geflüchtet.
  • Nachdem vor einigen Jahren schon die drogenabhängigen Menschen aus der Innenstadt verdrängt wurden und sich nicht mehr im öffentlichen Raum treffen können, da ihr letzter Treffpunkt auf dem Nordmarkt systematisch zerschlagen wurde, sind viele von ihnen völlig aus dem öffentlichen Bild verschwunden. Sie mussten sich dem Verfolgungsdruck beugen. Kommt es zu größeren Ansammlungen, wie manchmal auf dem Nordmarkt, dem Schleswiger Platz oder der Heroldwiese, wird sofort der Verfolgungsdruck wieder erhöht. Die Menschen sind dann den Drogenfahndern und Strafverfolgern mit den immer neuen Grundrechte einschränkenden Fahndungsmethoden, die das Betäubungsmittelgesetz und die Rechtsprechung mehr oder weniger bieten, ausgesetzt.
  • Schon seit einigen Jahren ist man in der Dortmunder Nordstadt nicht mehr im „Kampf den Drogen“, sondern kämpft jetzt angeblich gegen die Dealer und die Drogenkriminalität. Die Polizei will dem Drogenhandel in einem Verbund aus Bürgern, Stadt, Justiz, Staatsanwaltschaft und Polizei den Nährboden entziehen. Bei der Polizei wurden die verschiedenen Kommissariate und Einheiten besser vernetzt. Die Mitarbeiter der Wache Nord, der Schwerpunkteinheit Nordstadt, zivile Einsatztrupps und Beamte des Rauschgiftkommissariats, sowie Stadt und Polizei gehen gemeinsam vor und nutzen repressive Maßnahmen der Polizei parallel zu ordnungsrechtlichen-, baurechtlichen- und gewerberechtlichen Maßnahmen der Stadt.
  • Nach dem die Sperrbezirksverordnung seit Mai 2011 gilt, wurden Hunderte von Anzeigen gegen Prostituierte, die ihren Drogenkonsum so finanzieren müssen, ausgesprochen – einzelne Frauen erhielten mehr als 20 Anzeigen. Im Verbund mit typischen Drogendelikten wurden Frauen zu Haftstrafen von mehreren Monaten bis hin zu vier Jahren verurteilt. Im Durchschnitt sind rund 20 Frauen, die in der Nordstadt als Prostituierte arbeiten, inhaftiert.
  • Die praktische Handhabe des Betäubungsmittelgesetzes bietet den Strafverfolgern mittlerweile eine Vielzahl von erlaubten und nicht erlaubten Mitteln, wie Funkzellen-Auswertungen, elektronische Auswertung von Datenströmen, Trojanereinschleusung, Zugriff auf ausländische Server, Handy-Überwachungen, Bewegungsbilder, Wanzeneinsatz, Positionsbestimmung per GPS, IMSI-Catcher (Geräte zum Auslesen von Handys), Observationen, Innenraum-Überwachungen, heimliche Durchsuchungen, Strukturermittlungsverfahren, Video-Überwachungen, Finanzermittlungen, Verfallsanordnungen von Geld und Wertsachen, Einsatz von V-Leuten, vorgefertigte Sperrerklärungen zur Aktenunterdrückung und vieles mehr. Hierbei sind nicht mehr die Staatsanwälte und Richter die Herren des Verfahrens, sondern der Zoll und die Polizei. Bei ihren konspirativen Aktionen entziehen sie sich weitgehend der Kontrolle. Die „Bekämpfung der Drogenkriminalität“ rechtfertigt für sie all das, was sie machen und wie sie es machen.
  • Schon im Juni 2014 wurde bekannt, dass die Überwachung mit „stiller SMS“ erheblich zugenommen hat. Schon damals war Dortmund Spitzenreiter in NRW: Unglaubliche, knapp 30.000-mal wurde diese umstrittene Methode in Dortmund im Jahr 2013 angewandt – wie viele Handy- Anschlüsse damit erreicht wurden, liegt im Dunkeln. Weder das Innenministerium in Düsseldorf noch der Polizeipräsident in Dortmund äußern sich dazu. Die Partei Piraten in Dortmund geht nach einer großen Anfrage allerdings davon aus, dass vom Polizeipräsidium Dortmund vom 01.01. bis zum 20.03.2014 allein 20.512 „stille SMS“ entsandt wurden.
  • Die Stadtverwaltung ist sehr daran interessiert, dass innerhalb des Walls bzw. rund um die Konsummeile Hellweg Armut nicht sichtbar wird. Auch hier geht es um Vertreibung, damit die Konsumenten ohne schlechtes Gewissen die Kassen der Geschäftsleute klingeln lassen. Damit dies ungestört gewährleistet ist, kommt es immer wieder vor, dass obdachlose Menschen mit einem Bußgeld überzogen werden. So geschehen zuletzt, als ein Mann an einem Kiosk am Wall übernachtete und von Mitarbeitern des Ordnungsamts aufgeweckt wurde. Man verpasste ihm ein Knöllchen wegen „Lagern und Campieren“ in Höhe von 20 Euro, zu überweisen innerhalb von 7 Werktagen. Geht das Geld bei der Stadt nicht ein, droht dem Mann eine Ersatzfreiheitsstrafe. Erst nach massivem öffentlichem Druck wurde diese Praxis eingestellt.
  • An einem Sommerabend gegen 21.00 Uhr taucht in der Münsterstraße in Höhe des „Nordpol“ ein bulliger junger Mann mit Hooligan-Outfit auf, wirft sich unvermittelt auf einen jungen schwarzen Mann und schlägt ihn zu Boden. Drei junge Leute mischen sich ein und wollen dem Überfallenen helfen. Da gibt der Angreifer sich als Zivilpolizist aus und eine junge Frau, die sich ebenfalls als Zivilpolizistin ausgibt, kommt dazu. Der junge Mann am Boden wird weiter geschlagen und dann verhaftet. Die drei jungen Leute, die dem Opfer helfen wollten, fahren zum Polizeipräsidium, um eine Anzeige gegen den Zivilpolizisten zu stellen. Während die Anzeige aufgenommen wird, klingelt das Telefon im Polizeipräsidium. Nach dem Telefonat wird dem jungen Mann vorgeworfen, sich in einen Konflikt zwischen dem schwarzen jungen Mann und den Zivilpolizisten eingemischt und versucht zu haben, den Verhafteten zu befreien. Es wurde Anzeige erstattet. Gegen den jungen Mann, der wegen Gefangenenbefreiung angezeigt war, wurde im November 2014 verhandelt. Er wurde freigesprochen. Der Richter und der Staatsanwalt lobten ihn noch für seine mutige und uneigennützige Hilfe für das Opfer dieser Polizeiaktion. Das Verfahren gegen den prügelnden Zivilpolizisten wurde schon vorher eingestellt!
  • In Anlehnung an das neue NRW-Polizeigesetz hat der Dortmunder Polizeipräsident aktuell auch weitergehende Videobeobachtungen in der Münsterstraße ins Spiel gebracht und dafür viel Beifall erhalten. Dem Polizeipräsidenten reicht das jedoch alles noch nicht, er droht: „Wir wollen weitere Verbesserungen für die Nordstadt erzielen und auf keinen Fall bei dem Erreichten stehen bleiben.“
  • Im Kampf gegen die „Clan-Kriminalität“ werden fragwürdige Durchsuchungen
    durch Polizei im Verbund mit Zoll, Ordnungs- und Gesundheitsbehörde durchgeführt. Kritiker weisen darauf hin, dass die Polizei hier eigentlich nicht tätig werden darf. Bei genau einer solchen Aktion soll ein Beamter eine schwangere Frau geschlagen, gewürgt und bedroht haben. Dieser Übergriff macht deutlich, dass es sich nicht um Einzelfälle handelt, sondern die „Körperverletzung im Amt“ ein strukturelles Problem der Polizei geworden ist, die für den einzelnen Beamten meistens ohne Folgen bleibt, weil die Anzeigebereitschaft gering und Beweisführung bei dem Geschädigten schwerlich ist. Erstmalig konnten die Übergriffe, hier gegen die schwangere Frau, dokumentiert werden, was normalerweise für den Ausgang des Verfahrens ungeheuer wichtig ist. Geholfen hat der Frau das aber nicht, gegen den Schläger in Uniform wurde das Verfahren eingestellt.
Obdachlose Menschen geraten schnell in die Mühlen der Ordnungsbehörden

Das folgende Beispiel zeigt, dass sich am Vorgehen der Stadt Dortmund trotz vielfacher Proteste nichts geändert hat.

Seit Mitte Februar 2021 ist der Stadt Dortmund bekannt, dass obdachlose Menschen ein Lager an der Sporthalle Nord in der Nähe eines Städtischen Kindergartens eingerichtet haben. Da sich der Bereich, in dem das Lager errichtet wurde nicht im öffentlichen Raum befindet, konnte das Ordnungsamt keine weiteren Maßnahmen wie Platzverweise aussprechen oder gar eine Räumung durchsetzen, weil Maßnahmen nur über die Ausübung des Hausrechts (z.B. Hausverbote) durchgesetzt werden können. Weil die Durchsetzung von Hausverboten Polizeisache ist, wurde diese um Amtshilfe gebeten und sie sprach den dort angetroffenen campierenden Leuten Platzverweise aus. Die Entsorgung Dortmund wurde beauftragt die Folien, Matratzen, Decken und teilweise auch Lebensmittel als Müll zu verbringen. Die Maßnahme war jedoch nicht nachhaltig, schon einen Tag später wurden dort 3 Personen schlafend angetroffen. Die Stadt Dortmund forderte die Polizei erneut auf, Platzverweise inklusive Anzeigen auszusprechen und veranlasste, dort eine Absperrung durch Bauzäune anzubringen, um eine weitere Nutzung der Fläche zu verhindern.

Beim Umgang mit den „Problemgruppen“ klebt die Stadt Dortmund seit Jahrzehnten immer an dem gleichen Konzept, das eigentlich gar keins ist, denn mit ihren Ordnungskräften und der Polizei die marginalisierten, kriminalisierten und stigmatisierten Menschen immer nur zu vertreiben und ständig in Bewegung zu halten, jegliches Niederlassen und Ausruhen zu verhindern, ist schlicht nur widerwärtig.

Kontrollen der Einhaltung von Corona-Maßnahmen lassen Situationen eskalieren

Für ausgeschlafene Einwohner in der Stadt Dortmund ist es nichts neues und langjährige reale Praxis, dass obdachlose Menschen mit Ordnungswidrigkeiten drangsaliert werden und saftige Bußgelder zahlen müssen.

Im Rahmen der Kontrollen der Maßnahmen gegen die Verbreitung des Coronavirus wurden obdachlose Menschen systematisch von Polizei und Angestellten des Ordnungsamtes, in fast immer in bis zu 10 Personen umfassenden Einsatztrupps von der Kaufmeile verjagt und mit Bußgeldern überzogen. Auf Ansprache reagieren die Einsatzkräfte äußerst gereizt bis aggressiv und verbieten unrechtmäßig Video- und Fotoaufnahmen von ihrem Handeln.

Widerstand gegen Übergriffe bzw. Rechtsmittel gegen Bußgelder einzulegen ist für die armen Betroffenen keine Lösungsmöglichkeit. Niemand wehrt sich gegen die Bußgelder und der Verwaltungsablauf nimmt schnell Fahrt auf. Die obdachlosen Menschen werden bei Nichtzahlung des Bußgeldes direkt von der Straße für Wochen, manchmal für Monate ins Gefängnis zur Erzwingung gebracht. In der Regel sind bei der Entlassung die Bußgelder noch nicht einmal abgesessen, sondern bestehen weiterhin und oben drauf drohen weitere Vollstreckungen und Gefängnisaufenthalte.

Das Vorgehen der Ordnungskräfte und Behörden im Rahmen der Kontrollen der „Corona- Maßnahmen“ gegen einen obdachlosen Mann, der auf den Rollstuhl angewiesen ist und für das Treffen draußen mit Bekannten in die Mühlen der Ordnungsbehörden geriet, wurde kürzlich endlich einmal in größerer Öffentlichkeit diskutiert. Dies wurde allerdings erst dadurch möglich, dass das Amtsgericht Dortmund ein sensationelles Urteil fällte und die Erzwingungshaft gegen den Mann abgelehnt hatte.

Der Mann hatte im vergangenen Jahr vom Ordnungsamt mehrere Ordnungsgelder wegen Verstößen gegen die Coronaschutzverordnung und wegen Bettelns erhalten. In relativ kurzer Zeit kamen insgesamt 7.325 Euro plus Verfahrenskosten zusammen, aus insgesamt 17 Delikten, von jeweils 25 Euro bis zu 2.200 Euro Bußgeld. Als der Mann nicht zahlte, wollte die Stadt Dortmund ihn ins Gefängnis schicken, um ihn zur Zahlung zu zwingen. Die Behörde stellte Anträge auf Erzwingungshaft.

Die Anträge auf Erzwingungshaft hat das Amtsgericht Dortmund im Dezember 2021 abgelehnt und war in seiner Begründung klar und deutlich: „Sinn und Zweck der Erzwingungshaft ist es, einen Zahlungsunwilligen – nicht Unfähigen – zur Zahlung einer Geldbuße zu zwingen.“ Der Betroffene verfüge „über keinerlei Einkommen“ und „lebt ‚von der Hand in den Mund‘“. Es sei „nicht ersichtlich, inwieweit der Betroffene denn seine Lebensführung bei derart hohen Geldbußen und derart bescheidenen Lebensverhältnissen noch einschränken können soll.“

Das Gericht kritisierte auch die konkrete Vorgehensweise des Ordnungsamtes. Bei der Ahndung der Verstöße „ist das Bußgeld in schematischer Anwendung teilweise enorm erhöht worden, was sogar zur Festsetzung eines einzelnen Bußgeldes in Höhe von 2.200,00 Euro geführt hat. Die offensichtlichen wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen sind dabei nicht berücksichtigt worden.“ Es sei aber „Sache der Bußgeldbehörde schon bei der Ahndung der Ordnungswidrigkeit nur solche Geldbußen festzusetzen, die unter Berücksichtigung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse noch einen angemessenen Sanktionscharakter haben.“ Die Erzwingungshaft soll „ausdrücklich gerade nicht den Zahlungsunfähigen treffen“.

Das Gericht stellte explizit fest, dass eine Erzwingungshaft nicht als Ersatzfreiheitsstrafe missbraucht werden dürfe oder Gerichte das tun dürfen. Deshalb würden sich Rechtsdezernent und Rechtsamt gegenüber Obdachlosen rechtswidrig verhalten.

Kriminelle Personen, Gruppenstrukturen und Zusammenhänge entdecken

In der Kriminalitätsstatistik für die Nordstadt geht die Zahl der Straftaten kontinuierlich Jahr für Jahr zurück, sie haben den niedrigsten Stand seit vier Jahren erreicht. Gleichzeitig werden die ordnungspolitischen Maßnahmen im Stadtteil hochgefahren. Polizei und Ordnungskräfte sehen da einen seltsamen Zusammenhang. Sie meinen im Ernst, dass sie mit der ständigen Präsenz, kontinuierlichem Druckaufbau, Gängelung von „Problemgruppen“ und freiheitseinschränkenden Maßnahmen Straftaten verhindern würden. Die Strategische Fahndung, als vorläufiger Höhepunkt der umstrittenen Polizeiarbeit in der Stadt, so glaubt die Dortmunder Polizei, sei das Mittel überhaupt für das „Sinken der Kriminalitätszahlen und für ein deutlich verbessertes Sicherheitsgefühl der Bürger“.

Strafen im Zusammenhang mit sozialen Ungleichheiten

Anstelle des polizeilichen Eigenlobs sollte jedoch vielmehr das Strafen in Zusammenhang mit sozialen Ungleichheiten gesetzt werden. Dann wird schnell deutlich, dass die Straftatenraten in der Stadt umso höher liegen, je größer die Einkommensunterschiede in der Stadtgesellschaft sind und arme Menschen immer härtere Strafen erfahren als reiche und schon für Bagatelldelikte drakonische Bestrafungen erfahren.

Die Versuche der zunehmend autoritär auftretenden Stadt, mit Polizei und Ordnungskräften die angeblich entstandenen Kontrollverluste mittels verschärften Strafrechts wieder herzustellen, führen in die Sackgasse. Um die Ruhe in der Stadt zu wahren, muss die Dosis immer wieder erhöht, die Überwachung noch umfassender, die Polizeigesetze verschärft und zur Durchsetzung des Gewaltmonopols weiter aufgerüstet werden.

Überlegt werden sollte, ob eine Lösung nicht in etwas Besserem als dem Strafrecht bestehen könnte. Es könnte beispielsweise eine frühe Konfliktlösung im und durch das soziale Umfeld von Schädigern und Geschädigten gesucht werden, die sich an Wiedergutmachung und Entschuldigung orientiert. Bekannt geworden ist das Konzept der „Restorativen Justice“ nach dem insbesondere das Opfer an der Suche nach alternativen Formen der Konfliktlösung beteiligt wird. Das Konzept könnte eine Alternative zu gängigen gerichtlichen Strafverfahren darstellen oder auch gesellschaftliche Initiativen außerhalb des Staatssystems entwickeln. Untersuchungen ergaben, dass dadurch der Rückfall reduziert und die Zufriedenheit der am Konflikt Beteiligten erhöht werden kann.

Bei der Alternative zur strafenden, autoritären Stadt muss es um eine Politik gehen, die auf allen Gebieten gegen den sozialen Ausschluss des einzelnen Menschen gerichtet ist. So eine Politik umzusetzen kommt im realen Neoliberalismus schon der Quadratur des Kreises gleich.

Quellen: Stadt Dortmund, WAZ, Lorenz Böllinger, Martin Lemke, zeit-online, monitor.de, tagesspiegel.de
Bild: 123rf cco

Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich veröffentliche sie aber gerne, um eine vielfältigeres Bild zu geben. Die Leserinnen und Leser dieses Blogs sind auch in der Lage sich selbst ein Bild zu machen.

Literatur-Empfehlung: „Das Bestrafen der Armen“ Von Loïc Wacqant

UZ-Pressefest schon wieder auf der Kippe? DKP entschlossen: „Wir feiern trotzdem!“

Das Pressefest der DKP-Zeitung „Unsere Zeit“ (UZ) gilt als das größte Fest der Linken in Deutschland. Das Fest wurde bereits zweimal wegen der Corona-Pandemie verschoben. Im letzten Jahr hieß es in meinem Bericht: „Das 21. UZ-Pressefest wird im Sommer 2022 stattfinden. Die Pandemiesituation lässt leider keine Aussage zu, ob das Fest wie geplant im August 2021 stattfinden kann.

Das Risiko sei zu hoch, um an der Planung festzuhalten.“ Und nun dräut schon wieder Ungemach?

UZ-Chefredakteurin: Das UZ-Pressefest soll kein drittes Mal weichen. Unter Hochdruck werden nun geeignete Plätze gesucht

In einer Erklärung unter dem Titel „UZ-Pressefest: Wir feiern trotzdem!“ von Wera Richter, stellvertretende Parteivorsitzende der DKP und Chefredakteurin der UZ vom 12. April heißt es:

„Die schlechten Nachrichten reißen nicht ab. Das UZ-Pressefest kann in diesem Jahr nicht im Dortmunder Revierpark Wischlingen stattfinden. Die Baumaßnahmen im Park verzögern sich, aber vor allem werden in der Eissporthalle und auf dem Gelände Geflüchtete aus der Ukraine untergebracht. Die Parkleitung sah sich gezwungen, das Fest kurzfristig abzusagen. Das ist ein herber Schlag für die Organisatoren, für die DKP und alle Friedensfreunde.

Das große Fest des Friedens und der Solidarität der DKP wird gerade heute in Zeiten von Hochrüstung und Kriegshysterie gebraucht. Viele freuen sich darauf – Künstlerinnen und Künstler, Bündnispartner, Besucherinnen und Besucher, Genossinnen und Genossen von DKP und SDAJ und Kommunistischen Parteien vieler anderer Länder.

Das Fest, zweimal wegen der Corona-Pandemie verschoben, soll kein drittes Mal weichen. Es soll wie geplant am Wochenende des 27. und 28. August stattfinden. Unter Hochdruck werden nun geeignete Plätze gesucht. Von ihnen wird es abhängen, wie groß das Fest werden kann, wie viele Bühnen und welche Bestandteile es haben wird. Sicher ist, es wird unter diesem Zeitdruck kleiner werden, ebenso sicher ist aber: Es wird ein starkes Signal für den Frieden sein – weil wir es brauchen.“

Quelle: UZ

Beitragsbild (Claus Stille): Grup Yorum