Kürzlich informierte ich an dieser Stelle (hier) über den Stand der humanitären Hilfeleistungen seitens des Vereins AK ZukunftDonbass e.V. mit Sitz in Ruhla, Thüringen, für die Menschen in Lugansk in der Ostukraine. Die stellvertretende Vorsitzende des Vereins Iwana Steinigk hatte sich vom 14. Juni bis 21. Juni vor Ort ein Bild. Sie besuchte die Orte und Einrichtungen wo die Spenden aus Deutschland zum Einsatz gekommen sind. Inzwischen hat Frau Steinigk auch den ersten Teil ihres Berichts über ihre Informationsreise „Lugansk mit eigenen Augen“ auf Deutschlands größter Spendenplattform „betterplace.org“ veröffentlicht (hier).

Was der Verein leistet ist nicht nur rührig, sondern auch über die Maßen beachtlich. Zumal der Verein lediglich aus fünf Mitgliedern besteht.
In einem Telefongespräch, das ich diese Woche mit Iwana Steinigk geführt habe, erzählte sie mir wie alles anfing.
Erste Hilfsgüter gingen 2016 auf die Reise in die Lugansker Volksrepublik
Im Mai und Juni 2016 sammelte man erstmalig Hilfsgüter. Zunächst habe man auch die Donezker Volksrepublik (DNR) als Ziel ins Auge gefasst, sich aber dann auf das Gebiet der Lugansker Volksrepublik (LNR) verlegt und den Verein gegründet. Im Donezker Gebiet seien ohnehin bereits mehrere internationale Hilfsorganisationen aktiv.
Man habe als 2016 dann jeweils 24-Tonner-LKW mit Kindernahrung und medizinische Ausstattung (Geräte und Krankenhausmöbel. Fotos: ZukunftDonbass e.V.) sowie medizinische Verbrauchsmaterialien und Einwegspritzen etc. in das kriegsgebeutelte über die Russische Föderation ins Land gebracht. Dazu kamen Privatspenden, Kinderspielzeug und auch Bekleidung.

Pro Jahr gehen vier LKWs nach Lugansk
Pro Jahr, so Frau Steinigk, gingen vier in die LNR. Angeheuert würden die LKW immer von einer Spedition aus Weißrussland. Die Laster kommen dann nach 1000 Kilometer Fahrt nach Deutschland. Dann gehen sie über 3000 Kilometer Straße nach Lugansk. Pro Fahrt schlägt das mit 3000 Euro Kosten zu Buche.
Im Jahre 2020 (wegen Covid-19) gab es keine Fahrten. Sieht man einmal vom „Weihnachts-LKW“ im Dezember 2020 ab. Erst im April 2021, erzählte Iwana Steinigk, war es möglich wieder Fracht – ordnungsgemäß deklariert als „humanitäre Lieferung“ – in die LNR zu schicken. Und nun, im Juni dieses Jahres, sei sie auch selbst wieder „runter geflogen“.
Wenn die stellvertretende Vereinsvorsitzende nach Lugansk kommt, geht es nicht allein um die Überprüfung wo und wie die Spenden eingesetzt werden. Steinigk: „Man muss einfach auch viel mit den Leuten reden. Verstehen, wo die Probleme liegen.“
Wie ist die Lage vor Ort?
Befragt über die aktuelle Lage in der LNR, berichtete Steinigk, dass entlang der Demarkationslinie sowohl der die DNR als auch die LNR betreffe, werde nach wie vor sporadisch geschossen. Überwiegend kämen die Schüsse aus der Ukrainischen Republik. Drei Kilometer vor den ukrainischen Stellungen hat sie selbst „Donnergrollen“ gehört. Das bedeute: Raktenbeschuss. Wie es um das Minsker Abkommen steht, wollte ich wissen. Vonseiten der LNR habe, hörte ich, bis April ein Rückschussverbot bestanden. Lugansk habe die Minsker Verhandlungen nicht torpedieren wollen, so die offizielle Erklärung.
Ihrer Ansicht nach, meint Frau Steinigk, zeige Kiew kein Interesse, das Minsker Abkommen zu erfüllen. Immer wieder wollte man bestimmte Punkte verändert haben, was die Sache immer wieder verzögere. Kiew stelle sich stur. Und überhaupt, sinnierte meine Gesprächspartnerin: Erhält die Ukraine möglicherweise „Weisungen“ von außen? Nähme Kiew Minsk II ernst, findet Steinigk, dann zögen sie längst – wie im Abkommen verlangt – die schweren Waffen, die 120-mm-Geschosse verschießen, von der Demarkationslinie ab. Die Geschosse landeten ab zu auf Dorfplätzen in Vorgärten in der LNR. Und ja: die OSCE registriere das alles.
Lokale Wahlen, Rückgabe über Außengrenzen, ein gewählte politische Macht in der Region seien kaum in Sicht. Und ein zurück zur Ukraine wohl ebenso realitätsfern. Ein Halbautonomie der Gebiete von Donezk und Lugansk wolle Kiew nicht. Ohnehin: Die Leute in der Ostukraine wählten gewiss nicht kiewtreu. Zu tief sind die aufgerissenen Gräben, zu viele Opfer zu beklagen.
Das Leben dort, rekapitulierte Iwana Steinigk, sei aus unserer Sicht schwer nachvollziehbar. An die Schiessereien im Frontgebiet seien die Menschen gewissermaßen „gewöhnt“. Was bleibt ihnen auch sonst weiter übrig? „Sie haben ja keine Wahl!“ Eine alte Frau habe ihr erzählt, dass, wenn man heutzutage von „vor dem Krieg“ spreche, mittlerweile – nicht wie früher üblich – nicht den Zweiten Weltkrieg meine, sondern den innerukrainischen ab 2014.
Kinder wachsen in schwere Zeit auf
Und wie mögen erst die Kinder leiden? Beim Besuch eines Kindergartens wurde ihr, nachdem ihr die dortigen Erzieherinnen gesagt hätten, sie betreuten dort 38 Kinder im Alter von 2 bis 7 Jahren, schließlich erst im Nachhinein klar: „Die meisten sind ja im Krieg geboren!“. Apropos Kinder: Die wüssten schon genau, was Sache ist und Gefahr bedeutet. Wenn es donnere und kein Regen vom Himmel fällt, wüssten sie, dass sie sich verstecken müssen. Was passieren kann, „erzählen“ die eingebauten neuen Fenster im Kindergarten: Es befinden sich bereits Einschusslöcher in in ihnen.

Lebensmittelversorgung und Wohnen ist befriedigend. Die Preise teilweise so hoch wie in der Russischen Föderation
Und wie leben die Menschen in der LNR? Die Lebensmittelversorgung (zumeist aus Russland) sei gut. Auch die eigene Lebensmittelindustrie arbeite noch. Ebenso versorge die eigene Landwirtschaft in der Volksrepublik die Menschen. Die Preise aber seien so hoch wie in der Russischen Föderation. Ein Liter Milch koste einen Euro. Ein Kaffee im Restaurant 2 Euro. Dagegen beachte man: Ein Lehrerin am Gymnasium verdiene monatlich zwischen 15 und 16000 Rubel, was etwa 160 Euro entspreche. In der LNR gebe es relativ viel Wohneigentum, aber auch die kommunalen Wohnungen zur Miete sind wohl erschwinglich. Die LNR zahle ihren Seniorinnen und Senioren eine gewisse Rente. Allerdings hätten die Leute ja auch in die ukrainische Rentenkasse eingezahlt. Um diese aber zu erhalten, müssten sie auf Forderung Kiews hin auf ukrainisches Territorium kommen und den Status eines Binnenflüchtlings annehmen. In Corona-Zeiten müssten sich die alten Leute auch noch zehn Tage in Quarantäne begeben. Wer kann als alter Mensch solche Strapazen auf sich nehmen?
Die Arbeitslosenrate schätzt Frau Steinigk als hoch ein. Dennoch arbeiteten noch immer Fabriken. Auch solche, die zuvor Oligarchen gehört hatten und verstaatlicht wurden.
Etwa 5000 Corona-Fälle bei 1,5 Millionen Einwohnern
Übrigens seien in der LNR derzeit etwa 5000 Corona-Fälle registriert (die jeweilige Anzahl veröffentliche das Außenministerium der LNR auf seinem Telegram-Account. Was, so meinte Iwana Steinigk, für ein Land mit einer Einwohnerzahl von 1,5 Millionen Menschen schon erheblich sei. Zwei Krankenhäuser seien speziell für die Behandlung von Covid-Kranken reserviert.
Begrenzter Jugendaustausch
Ja, sagte Frau Steinigk, junge Leute könnten zum Austausch ins Ausland fahren. Allerdings nur in die GUS-Staaten und nach Russland. Ein reger Jugendaustausch findet mit Kasachstan und der Russischen Föderation statt.
Kultur als wichtiges Lebensmittel
Auch der Kulturbereich arbeite. Theater würde gespielt und auch künstlerische Betätigung sei den Menschen möglich. Beispielsweise im Zentrum für Volkskunst. Begeistert besuchten die Menschen Kunstausstellungen. Kultur ist halt ein Lebensmittel. Die Leute dürsteten verständlicherweise nach Ablenkung vom nicht einfachen Leben, das sie versuchten nach Kräften zu meistern. Iwana Steinigk war von ihren Gastgebern in die Philharmonie der Stadt Lugansk eingeladen worden, um auch selbst ein wenig auf andere Gedanken zu kommen. Das Titel des Programms: „Von Klassik bis Rock“ und es spielte das Sinfonieorchester der LNR. Der Konzertsaal sei bis auf den letzten Platz besetzt gewesen und es habe mehrfach standing ovations für die Musiker gegeben.
Dann besuchte sie noch eine Theateraufführung: Gegeben wurde Moliere.
Die Sicherheit wird sehr ernst genommen. Ausgangssperre von 23 bis 5 Uhr früh
Dennoch sei die Sicherheitslage stets angespannt. Die Sicherheitsorgane seien ständig auf der Hut. Besonders, weil Nato-Manöver im Rahmen von Defender bei Mitwirkung ukrainischen Militärs stattfanden. Und an der Grenze seien erst vor Kurzem 5 LNR-Leute erschossen worden. Es gebe in der LNR eine nächtliche Ausgangssperre von 23 bis 5 Uhr früh. Wer von Polizei oder Militär in dieser Zeit auf der Straße angetroffen wird, muss sich erklären. Iwana Steinigk berichtete, sie habe während ihres Aufenthalts in der LNR allein „dreimal Besuch von den Strukturen”, wie sie sich ausdrückte, bekommen. Besonders genau schauten die Sicherheitsorgane halt verständlicherweise etwas skeptisch auf Ausländer, die aus dem Westen ins Land kommen.
Mit großer Politik haben die Menschen kaum etwas am Hut: “Es geht nie um uns”
Iwana Steinigk gewann den Eindruck, dass die Menschen in der LNR mit den großen, oberen politischen Playern, die sich betreffs der Ukraine-Problematik gegenseitig beharkten, kaum etwas am Hut hätten. Wie auch? Wollen sie doch einfach – wie nicht zuletzt alle Menschen auf diesem Planeten – in Ruhe und Frieden leben. Wenn es in der Presse und auf oberster um die Ukraine gehe, seien meist USA Interessen im Spiele. Moskau würde stets der Schwarze Peter und damit die Schuld zugeschoben. “Es geht nie um uns”, beklage man vor Ort.
Es ist schon erstaunlich was der kleine Verein aus Thüringen auf die Beine stellt! Eine Krankenhausküche aus Rochlitz fand nun Verwendung in zwei Krankenhäusern. 30 Betten ersetzten veraltete in Lugansk. Ein dringend gebrauchtes Ultraschallgerät fand seinen Weg in die LNR.
Nun wird auf den nächsten humanitären Transport hingearbeitet. Spenden sind willkommen. Im kommenden September soll wieder ein LKW in die Lugansker Volksrepublik rollen.