„Israel – Vom Opfer zum Täter zum Opfer – ein Hin und Her seit 80 Jahren“ – Eine Broschüre von Peter Hänseler und René Zittlau. Rezension

Der Krieg Israels in Gaza nach dem Überfall der Hamas auf das Land am 7. Oktober 2023 mit inzwischen ca. 30.000 getöteten palästinensischen Menschen (davon ca. 12.000 Kindern!), einem nahezu komplett zerstörten Gazastreifen, 1,7 Millionen Vertriebenen, nach Jahrzehnten der Apartheid , hinterlässt eine von Hungersnot bedrohte Bevölkerung. Die seitens israelischer Politiker offen geäußerte genozidalen Absichten der rechtsextremen Regierung in Tel Aviv sind ein erbärmliches Schreckenszeugnis.

Seit über 128 Tagen wird Gaza zerbombt. 50% aller Häuser sind zerstört, darunter Krankenhäuser, Schulen, Kindergärten, Bäckereien usw. Der Zugang zu Wasser, Nahrungsmittel und Strom ist unterbrochen. Hunderte Ärzte, Medizinpersonal, Krankenwagen und Apotheken können ihre Arbeit
nicht mehr fortsetzen.

Fast 70.000 Menschen sind verwundet, mehrere tausend Körper liegen unter Trümmern und können nicht bestattet werden. Menschen die schon mehrmals in den letzten 75 Jahren aus ihren Dörfern oder Flüchtlingslagern vertrieben wurden, sind wieder auf der Flucht. Es wurde viel Leid, Zerstörung, Angst und Hass gesät. Bis jetzt sind mehr als 17.000 Kinder zu Waisenkindern geworden.

Massenmord in Gaza

Wie anders soll man das bezeichnen, was da in Gaza stattfindet – als Massenmord? Zudem kommt noch ein rigoroses Plattmachen der dortigen Infrastruktur. Auch vor Moscheen und Kirchen wird kein Halt gemacht. Die noch am Leben gebliebenen Palästinenser werden Richtung Rafah vertrieben. Aber auch dort sind sie keinesfalls sicher. Es fehlt allenthalben am Nötigsten zum Leben. Eine zweite Vertreibung der Palästinenser. Ist es da falsch von einer weiteren Nakba (Katastrophe) sprechen, die im Gange ist?

Israel will sich offenbar der Palästinenser endgültig entledigen. Will man sie in die Wüste, nach Ägypten treiben? Dies wird Kairo aus verständlichen Gründen nicht hinnehmen. Auch würde ja Israel diese Vertriebenen nie wieder in deren Heimat zurücklassen.

Die ethnische Säuberung Palästinas“

Von Ilan Pappe stammt das Buch „Die ethnische Säuberung Palästinas“, welches zu lesen ich unbedingt empfehle. Ilan Pappe ist der Sohn deutscher Juden, die als Folge der Machtergreifung Adolf Hitlers nach Palästina gekommen waren.

„Ihre Lebensgeschichte“ schreibt er im Vorwort zur aktuellen deutschen Ausgabe seines Buches, seine Eltern betreffend, „und das, was mit ihren Familienangehörigen geschah, ist einer der Hauptgründe für die tiefgehende Verpflichtung, die ich empfinde, die Geschichte der Nakba auch deutschen Lesern zu vermitteln.“

Und weiter «Aber auch jenseits meiner persönlichen Geschichte fühle ich, dass die Geschichte der Nakba auf Deutsch eine besondere Bedeutung hat. Wie schon der palästinensische Intellektuelle Edward Said sagte, sind die Palästinenser „die Opfer der Opfer“. Deshalb gibt es eine besondere deutsche Verantwortung für das, was die zionistische Bewegung und später der Staat Israel den Palästinensern angetan haben.«

Es sei seine Absicht gewesen, so Pappe, „zu verdeutlichen, dass die ethnischen Säuberungen von 1948 und vergleichbare israelische Aktionen bis heute das Ergebnis der siedlerkolonialistischen Ideologie ist, die in der indigenen Bevölkerung keine gleichwertigen Menschen sieht“. Und: „Die Dehumanisierung der Palästinenser ist ein wichtiger Bestandteil der zionistischen Ideologie (nicht von Anfang an, sondern erst ab dem Augenblick, an dem die zionistischen Führer Anfang des Zwanzigsten Jahrhunderts beschlossen, dass der einzige Weg sich des europäischen Antisemitismus zu erwehren, die Kolonisation Palästinas sei). Der einzige Weg, die Kolonialisierung zu vollenden, so wie es in Nordamerika geschah, in Australien und Süd-Afrika, war, sich der ursprünglichen Bevölkerung zu entledigen.“

Israel – Vom Opfer zum Täter zum Opfer – ein Hin und Her seit 80 Jahren“

Ähnlich sehen es auch die Autoren Peter Hänseler und René Zittlau – fußend auf ihren akribischen Recherchen – in der soeben im pad-Verlag erschienen Broschüre „Israel – Vom Opfer zum Täter zum Opfer – ein Hin und Her seit 80 Jahren“.

Zu dieser Broschüre lesen wir:

«Die Menschen in Palästina sind im übertragenen Sinn Opfer der jüdischen Opfer des verbrecherischen NS-Regimes. Das Versprechen einer Zwei-Staaten-Lösung wird von Israel und seinen Verbündeten sabotiert. Der Krieg in Gaza ist nicht ein Krieg zwischen zwei Staaten, sondern zwischen Besatzern und Besetzten. Die Blockade jeglicher Zufuhr von Energie, Wasser, Nahrungsmitteln und Medikamenten nach Gaza, die Zerstörung humanitärer und lebensnotwendiger Infrastruktur wie Krankenhäuser und Schulen nimmt bewusst die Zivilbevölkerung ins Visier und verantwortet deren totale Ausrottung. Der Krieg gegen Gaza ist ein Genozid. Die Gleichsetzung von Jüdinnen und Juden mit Israel, die Enthistorisierung eines langen schwelenden Konfliktes wird durch das undemokratische Konstrukt von „Staatsraison“ und „bedingungsloser Solidarität“ zur Teilhabe an Kriegsverbrechen.

Deutschland macht sich in doppelter Weise mitschuldig am Verbrechen des Völkermordes: durch den geschichtlichen Holocaust an den Jüdinnen und Juden, sowie beim gegenwärtigen Genozid an den Palästinenserinnen und Palästinensern und deren Vertreibung aus ihrer angestammten Heimat.«

Und weil sich Deutschland in doppelter Weise mitschuldig am Völkermord in Gaza macht, stellte Jürgen Todenhöfer kürzlich Strafanzeige gegen die Bundesregierung:

„Ich habe heute Strafanzeige gegen Mitglieder der Bundesregierung wegen Beihilfe zu Kriegsverbrechen nach §8 und §11 Völkerstrafgesetzbuch erstattet. Die Regierung Netanyahu begeht in Gaza schwerste Kriegsverbrechen. Die Ampel leistet hierzu politisch und militärisch Beihilfe. Unter anderem durch eine Verzehnfachung ihrer Rüstungsexporte an Israel seit Kriegsbeginn. Diese Beihilfe zu Kriegsverbrechen ist strafbar. An der Strafanzeige beteiligt sich ein aus Gaza stammender Deutscher, der bei einem der Angriffe Israels auf Gaza einen Großteil seiner Familie verloren hat. Vertreten werden wir bei unserer Strafanzeige durch die Berliner Strafrechtskanzlei Buse, Herz und Grunst. Als langjähriger Bundestagsabgeordneter, als ehemaliger, kurzzeitiger Strafrichter in einem Terrorismus-Prozess und als deutscher Staatsbürger erwarte ich eine Grundsatz-Entscheidung der deutschen Gerichte zu dieser zentralen juristischen und moralischen Frage der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik. Das Grundgesetz verlangt von allen Deutschen, „dem Frieden der Welt zu dienen“. Und nicht den Kriegen westlicher oder pro-westlicher Staaten, die erkennbar mit Selbstverteidigung nichts zu tun haben. Der Generalbundesanwalt steht vor einer schwierigen juristischen und auch politischen Aufgabe. Er darf dem zu erwartenden Druck der Bundesregierung nicht nachgeben. Auch er hat „dem Frieden der Welt zu dienen.“ Zusammen mit dem Bundesverfassungsgericht ist er unsere wichtigste Hoffnung bei der Verteidigung unseres ausdrücklich friedliebenden Grundgesetzes und unserer rechtsstaatlichen Demokratie. Die einschlägigen Bestimmungen des Völkerstrafgesetzbuchs haben folgenden Wortlaut. Ihre Klarheit lässt keine Zweifel an der Rechtswidrigkeit der israelischen Kriegsführung aufkommen: „§ 11: Kriegsverbrechen des Einsatzes verbotener Methoden der Kriegsführung (1) Wer im Zusammenhang mit einem internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt 1. mit militärischen Mitteln einen Angriff gegen die Zivilbevölkerung als solche oder gegen einzelne Zivilpersonen richtet, die an den Feindseligkeiten nicht unmittelbar teilnehmen, 2. mit militärischen Mitteln einen Angriff gegen zivile Objekte richtet, solange sie durch das humanitäre Völkerrecht als solche geschützt sind, namentlich Gebäude, die dem Gottesdienst, der Erziehung, der Kunst, der Wissenschaft oder der Wohltätigkeit gewidmet sind, geschichtliche Denkmäler, Krankenhäuser und Sammelplätze für Kranke und Verwundete, unverteidigte Städte, Dörfer, Wohnstätten oder Gebäude oder entmilitarisierte Zonen sowie Anlagen und Einrichtungen, die gefährliche Kräfte enthalten, 3. mit militärischen Mitteln einen Angriff durchführt und dabei als sicher erwartet, dass der Angriff die Tötung oder Verletzung von Zivilpersonen oder die Beschädigung ziviler Objekte in einem Ausmaß verursachen wird, das außer Verhältnis zu dem insgesamt erwarteten konkreten und unmittelbaren militärischen Vorteil steht, [Grundsatz der Verhältnismäßigkeit]… wird mit Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren bestraft.“ Soweit der Wortlaut des Völkerstrafgesetzbuches. Klarer kann man nicht formulieren. Und klarer als die Regierung Israels und Deutschlands kann man nicht gegen das Völkerstrafgesetzbuch verstoßen.“ Quelle: Jürgen Todenhöfer auf X

Was unbedingt zu bedenken ist, wenn wer auch immer sich zum Nahostkonflikt äußert, lesen wir in der Einleitung der Autoren zu ihrer Broschüre

«Es ist erstaunlich, mit welcher Geschwindigkeit sich Medien und Exponenten, welche sich gerne als Experten sehen, in ein unsägliches moralisch-emotionales Bad begaben, nur um in Kürze von Fakten überholt zu werden, welche dieselben Exponenten dann zu einer Kehrtwende zwingen. Teilweise ist dies bereits geschehen.

Wir nahmen uns die Zeit, umfassend zu recherchieren und nachzudenken, bevor wir zur Feder griffen; ein Privileg, das News-Medien nicht haben.

Wir sehen unsere Aufgabe nicht darin, Partei zu ergreifen und Exponenten zu verurteilen, sondern Fakten zu ordnen, zu analysieren und so eine Basis für eine Diskussion zu erarbeiten, welche einen Ausweg aufzeigen könnte, auch wenn er nicht – wie so oft – beschritten wird.

Analysen, welche die historischen Fakten, die zur gegenwärtigen Situation führten, ausser Acht lassen, greifen zu kurz.

Die Uniformität der in den westlichen Medien und auf den Bühnen der westlichen Politik vertretenen Standpunkte findet ihren Ursprung nicht nur in politischem Kalkül oder verkrusteten Wertvorstelllungen, sie sind vielmehr ein klarer Hinweis auf das fehlende Verständnis für die Komplexität der Materie.

Dessen sind wir uns bewusst und daher haben sich René Zittlau und ich dafür entschieden, den in dieser Broschüre veröffentlichten Text als gemeinsame Artikel gemeinsam zu schreiben – zu viele Fakten mussten untersucht werden, um innert nützlicher Frist unseren Lesern einen Überblick zu verschaffen. Die einzelnen Teile eröffnen wir regelmässig mit der geschichtlichen Aufarbeitung. Und so beginnen unsere Betrachtungen mit dem Ersten Weltkrieg, da bis 1917 zwischen den Arabern und Juden Frieden herrschte. Es wird keinen unserer Leser verwundern, dass es des Auftauchens des damaligen Imperiums bedurfte, um Zwietracht zwischen Völkern zu säen.«

Welche Absichten hatte der israelische Staat bereits von Anfang an?

Im Kapitel „Grossisrael – keine Verschwörungstheorie“ (S.32)“ lesen wir: «Grossisrael reicht vom Euphrat bis zum Mittelmeer und umfasst aus heutiger Sicht folgende Staaten: Israel inklusive sämtliche Palästinensergebiete, der südliche Teil Libanons, Syrien, Jordanien und Teile Ägyptens, inklusive Alexandria und Port Said.

Laut Wikipedia ist der Wunsch und die Absicht Israels, Grossisrael zu schaffen, eine Forderung von wenigen Extremisten und wird als Verschwörungstheorie abgetan.

«Die Eretz-Israel-HaSchlema-Ideologie hat zu verschiedenen Verschwörungstheorien geführt, die besagen, ein Streben nach einem Grossisrael vom Euphrat bis zum Nil sei das Ziel des Zionismus und israelische Staatsdoktrin.« (Quelle: Wikipedia)

Aussagen des Staatsgründers David Ben Gurion

Interessant sind die Aussagen des Staatsgründers Ben Gurion. Etwa diese in deutscher Übersetzung (Originalquelle: Quelle: David Ben-Gurion, 21. Mai 1948, an den Generalstab. Aus Ben-

Gurion, A Biography, von Michael Ben-Zohar, Delacorte, New York 1978, S. 130.)

«Verschwörungstheorien werden nicht von Staatsoberhäuptern verkündet.»

«Die Archillesferse der arabischen Koalition ist der Libanon. Die muslimische Vorherrschaft in diesem Land ist künstlich und kann leicht gestürzt werden. Ein christlicher Staat sollte dort errichtet werden, mit seiner südlichen Grenze am Fluss Litani. Wir würden einen Bündnisvertrag mit diesem Staat unterzeichnen. Dann, wenn wir die Stärke der Arabischen Liga gebrochen und Amman bombardiert haben, könnten wir Transjordanien auslöschen; danach würde Syrien fallen. Und wenn Ägypten es immer noch wagen sollte, gegen uns Krieg zu führen, würden wir Port Said, Alexandria und Kairo bombardieren. Damit würden wir den Krieg beenden und die Rechnung mit Ägypten, Assyrien und Chaldäa im Namen unserer Vorfahren begleichen.»

Auch dieses Zitat ist über die Maßen unmissverständlich in seiner Aussage.

Die Autoren der Broschüre schreiben (S.34): „Ein weiterer interessanter Hinweis auf die wahren Absichten Israels findet sich in einem Tagebucheintrag Ben Gurions vom 18. Juli 1948 wie folgt:

«Wir müssen alles tun, um sicher zu gehen, dass sie [die Palästinenser] niemals zurückkommen. … Die Alten werden sterben, die Jungen werden vergessen»

QUELLE: DAVID BEN-GURION, IN SEINEM TAGEBUCH, 18 JULI 1948, ZITIERT IN

NAKBA – DIE OFFENE WUNDE. DIE VERTREIBUNG DER PALÄSTINENSER 1948

UND IHR FOLGEN. VON MARLÈNE SCHNIEPER, ISBN 978-3-85869-444-7

„Die als Verschwörungstheorie abgetane Aussage, es sei die Absicht Israels, ein Grossisrael zu schaffen, ist somit widerlegt. Verschwörungstheorien werden nicht von Staatsoberhäuptern verkündet.“

Es folgt im weiteren Verlauf der Broschüre ein wichtiger, unverzichtbarer geschichtlicher Abriss von Ereignissen und Taten, der gekannt werden muss, will man sich zum heutigen Konflikt äußern.

Zunächst gilt es zu wissen: „Palästina, das die heutigen Staaten Israel und Jordanien sowie den Gaza-Streifen und das Westjordanland umfasste, kam durch den Zerfall des Osmanischen Reiches 1920 unter britische Verwaltung, so wie im Geheimabkommen Sykes-Picot von 1916 geplant.

Ab 1917 kam es in der Zeit des britischen Mandats zu einer starken jüdischen Zuwanderung nach Palästina, die durch die Judenverfolgung ab 1933 beschleunigt wurde.

Das Siedlungsverhalten der Juden war nicht selten von Rücksichtslosigkeit und Gewalt gegenüber der palästinensischen Bevölkerung gekennzeichnet, was von der britischen Verwaltung geduldet wurde.

Auf Grund dessen und der schieren Masse an jüdischen Zuwanderern kam es wiederholt zu bewaffneten Unruhen und Aufständen. Nach dem 2. Weltkrieg wurde durch die UNO eine Zweistaatenlösung herbeigeführt, da die entstandenen Probleme anders nicht mehr beherrschbar erschienen. Im Ergebnis erhielt die jüdische Minderheit 56,47% des Mandatsgebiets (ohne Transjordanien) zugesprochen.

Dieses Gebiet entsprach im Wesentlichen den Territorien, die sich die jüdischen Siedler im Laufe der Zuwanderung angeeignet hatten. Bis zur Teilung gab es dort jedoch keine jüdische Bevölkerungsmehrheit.

David Ben Gurion scherte sich jedoch nicht um UNO-Resolution 181 und nahm das Ende des britischen Mandats am 14. Mai 1948 zum Anlass, am darauffolgenden Tag Israel als Staat auszurufen. Dies im Widerspruch zur von der UNO auferlegten Zweistaatenlösung. Der Staat Israel betrat die Weltbühne und gleichzeitig hörte das historische Palästina auf zu existieren.“ (S.20)

Die Autoren schätzen ein:

„Die Gründung des Staates Israel widersprach dem Ansinnen der Weltbevölkerung, welche sich in der UNO Resolution 181 widerspiegelte und unmissverständlich eine Zweistaatenlösung forderte.

Damit legte der neue Staat den Grundstein für das heute seit bald 80 Jahren dauernde Chaos mit der palästinensischen Bevölkerung, die mit allem Recht für einen eigenen Staat kämpft.

Die Suez-Krise zeigte, dass sich Israel zuerst von Grossbritannien – später von den USA – durchaus einspannen lässt, falls es einen geopolitischen Vorteil für sich erkennt.“ (S.30)

Liest man diese interessante Broschüre, wird von Seite zu Seite immer deutlicher, was der israelische Historiker Moshe Zuckermann einmal in einem Gespräch auf dem You Tube-Kanal International ausführte: «Zuckermann bezeichnet die Besatzung der den Palästinensern zustehenden Gebiete durch Israel als die eigentliche Ursache für den Konflikt. Er kritisiert, dass diese Frage sowohl in Israel aber auch in der internationalen Debatte weitgehend tabuisiert ist: „Israel wollte nie Frieden, die israelischen Eliten bevorzugten seit vielen Jahrzehnten eine Politik der Besatzung und der Apartheid.“«

Die Aufzeichnungen der Autoren „beruhen ausschliesslich auf Fakten, nicht auf Thesen und Theorien“

Die Autoren der vorliegenden Broschüre bekräftigen: «Unsere Aufzeichnungen beruhen ausschliesslich auf Fakten, nicht auf

Thesen und Theorien. Wir analysierten die Ereignisse, lasen und

hörten, was die Mächtigen Israels tatsächlich sagten oder ihrem Tagebuch anvertrauten. Diese Quellen erachten wir als zuverlässig. Es gibt keine faktenbasierten Argumente, welche das Ziel Israels widerlegen, ein Grossisrael zu schaffen und sich dabei der indigenen Bevölkerung dieses Landes zu entledigen und Nachbarn zu berauben. Dies tat und tut Israel ohne jede Rechtsgrundlage. Religiöse Schriften sind keine Rechtsgrundlage und auch keine Basis für seriöse geopolitische Analysen. Darüber hinaus zeigt die Geschichte: Religiös fundiertes politisches Handeln führt zwangsläufig zu Unrecht.« (…) „Ein Krieg folgt dem Drehbuch Ben Gurions.“

Ein menschenwürdiges Leben für die nichtjüdische Bevölkerung ist in den besetzten Gebieten nicht möglich

Mit der nichtjüdischen Bevölkerung geht Israel nicht selten schlimmer als nach Gutsherrenart um: „Israel sperrt den Zugang zu den besetzten Gebieten nach Belieben, von Freizügigkeit kann keine Rede sein. Israel bestimmt, was dort erlaubt ist oder nicht, egal ob es sich um medizinische Versorgung, um Grundversorgung mit Nahrungsmitteln, oder um Wasserrechte handelt. Ein menschenwürdiges Leben für die nichtjüdische Bevölkerung ist in den besetzten Gebieten nicht möglich. Die UNO beschreibt laut einem

Bericht der FAZ bereits am 12. Juli 2017 den Gazastreifen als unbewohnbar.“

„In israelischen Gefängnissen sitzen Tausende nichtjüdische Einwohner der besetzten Gebiete, darunter viele Kinder. Ohne Anklage, ohne Gerichtsurteil“, erfahren wir aus der Broschüre.

Es genügt die sogenannte Administrativhaft über sie zu verhängen: „Das israelische Militär kann Administrativhaftbefehle von bis zu sechs Monaten ausstellen, um Palästinenser*innen in Gewahrsam zu nehmen, wenn es «vernünftige Gründe» dafür gäbe, dass eine Person eine Gefahr für die «Sicherheit des Gebiets» oder die «öffentliche Sicherheit» darstelle.“ (Quelle:Amnesty International )

Bezüglich der Alleinverantwortlichkeit Israels“ (S.66) informieren die beiden Autoren: „Ein Staat, der über staatsfremdes Gebiet die absolute Kontrolle ausübt, ist infolge dieser Macht für alles verantwortlich, was in diesen staatsfremden und besetzten Gebieten geschieht. Der Besatzer kann sich nicht freisprechen von irgendeiner Gewalt, die er gegen andere ausübt oder die gegen ihn ausgeübt wird. Es spielt dabei auch keine Rolle, welcher Nation oder Religion die unterdrückte Bevölkerung angehört. Denn der Besatzer herrscht per se illegal auf fremdem Gebiet. Somit sind sämtliche seiner erlassenen Regeln ebenfalls illegal, da ohne Rechtsgrund.

Es ist weltweit ein natürliches Recht der Besetzten, sich als Unterdrückte gegen fremde Gewalt auf eigenem Grund und Boden zu wehren.

Eine Besatzungsmacht hingegen hat kein Recht auf Selbstverteidigung gegen die Besetzten, wie das Israel aktuell massiv für sich in Anspruch nimmt und vom politischen Westen und den Mainstreammedien unhinterfragt und uneingeschränkt unterstützt wird und zwar mit höchst unappetitlichen Mitteln, wie wir in «ARD – Glossar rechtfertigt Genozid – Dr. Goebbels wäre stolz»* ausgeführt haben.“ *Verweis in Broschüre auf einen Beitrag auf Voice from Russia.

Wobei hier – um Missverständnisse auszuschließen – allerdings angemerkt sei, dass die Autoren an keiner Stelle und in keinem Fall den Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 rechtfertigen.

Wenn die Broschüre ab dem Kapitel Der 7. Oktober 2023 – ein Land versinkt in den Abgründen seiner Geschichte

Israel – ein Land politisch gefangen zwischen dem Gründungsmythos seiner Unabhängigkeitserklärung, der zionistischen Agenda und Realitäten, die nicht auszuräumen sind“ (ab S.66) auf deren Ende zuläuft, ist beim Leser noch einmal höchste Konzentration erforderlich.

Ich pflichte den beiden Autoren unbedingt bei: „Ohne Kenntnis der Geschichte sind die Ereignisse um Gaza und das Westjordanland nicht zu verstehen.“ Sie beleuchten und erörtern die Ursachen des Konfliktes zwischen Israel und den Palästinensern über einen Zeitraum von mehr als 100 Jahren. Sie machen noch einmal unmissverständlich deutlich: „Nur Fakten können unseres Erachtens die Grundlage dafür sein, der Wahrheit näher zu kommen.“

Was die Berichterstattung der Medien angeht, sind sie zu folgender Ansicht und Meinung gekommen, die aufmerksame Zeitgenossen durchaus teilen werden:

„Die öffentlich-rechtlichen Medien und die grossen privaten Medienunternehmen im Westen sind einer Meinungsoligarchie verpflichtet. Eine neutrale Berichterstattung zum Thema Israel wird dadurch unmöglich. Auf diese Problematik verwiesen wir im Artikel „ARD–Glossar rechtfertigt Genozid – Dr. Goebbels wäre stolz“, der anhand eines ARD-internen Glossars speziell zur Nahost-Berichterstattung die Mechanismen offenlegt, mit Hilfe derer eine ausgewogene Information – wie laut Rundfunkstaatsvertrag verpflichtend vorgegeben – gezielt verunmöglicht wird.

Das interne Glossar enthält eine Liste von Experten, die von den Exponenten der betroffenen Fernsehstationen heranzuziehen sind – das sind keine Vorschläge. Die Adressaten des Glossars sind verpflichtet ausschliesslich diese Experten heranzuziehen.“

Nebenbei bemerkt haben sich auch die NachDenkSeiten mit dem Glossar beschäftigt: Hier.

Zum Ablauf des 7. Oktober 2023

Besondere Aufmerksamkeit ist in der Broschüre dem Ablauf des 7. Oktober 2023 gewidmet. Zum Einen wird die israelisch-westliche Darstellung in den Fokus genommen. (S.70):

«Bevor der Sachverhalt von unabhängigen Quellen erörtert werden konnte, gaben die Israelis der Welt vor, was sich abspielte und wie diese „Fakten“ zu bewerten seien. Dem folgten die westlichen Medien in pflichtwidriger Vernachlässigung ihrer Sorgfaltspflicht und die westlichen Regierungen in Verfolgung ihrer politischen Agenden.

Bis heute hat sich folgende Geschichte im Bewusstsein der westlichen Öffentlichkeit eingebrannt:

Am 7. Oktober 2023 überfielen ein paar tausend Hamas-Terroristen das friedliche Israel, ermordeten Zivilisten, vergewaltigten Frauen und köpften zahllose Babys, zerstörten brandschatzend israelische Siedlungen und nahmen Geiseln – und dies an einem hohen jüdischen Feiertag, dem Simchat Tora.

Diese Darstellung hält einer faktenbasierten Prüfung nicht stand. «

In ihrer Analyse verwendeten die Autoren „soweit möglich israelische und amerikanische Quellen.«

Unabhängige amerikanische Medien und die israelische Zeitung Haaretz hätten jedoch ein anderes Bild gezeichnet. Als einer der ersten habe der amerikanische Journalist Max Blumenthal auf seinem Blog „The Grayzone“ über die Abläufe und Aktionen berichtet.

Westliche Horrorgeschichten seien letztlich widerlegt worden.

Unfassbarer Höhepunkt dessen sei „die Mär von den 40 enthaupteten israelischen Babys“ gewesen. Wir lesen: „Selbst Präsident Biden hielt es für nötig zu behaupten, Fotodokumente dazu gesehen zu haben. Eine Geschichte, die inzwischen unter dem Faktendruck des tatsächlichen Geschehens stillschweigend kassiert wurde. Fehlen durften auch nicht die inzwischen zum westlichen journalistischen Standard-Repertoire gehörenden „Informationen“ über Massenvergewaltigungen.“

Dieser Nahostkonflikt könnte sich im schlimmsten Falle zu einer Katastrophe entwickeln, die die ganz Region erfasst. Israels Reputation in der Welt hat aufgrund dieses in Gaza verübten Massenmords schon jetzt beträchtlich gelitten. Man kann durchaus einschätzen, dass sich Israel längst mehr schadet, als seine es Feinde tun. Leider erkennt Israel diese Gefahr offenbar selbst nicht.

Es wäre an der Zeit, dass die Weltgemeinschaft dem Leid ein Ende setzt. Dafür trägt die EU eine besondere Verantwortung. Wie Deutschland sich verhält ist eine Schande. Berlin muss seine Stimme erheben und Israel in den Arm fallen, wenn es sich nicht ein weiteres Mal schuldig machen will. Erst recht, wenn es ein Freund Israels sein will. Deutschland muss sich unmissverständlich für die Rechte der Palästinenser einsetzen.

Die Menschen in Palästina und Israel, vor allem Kinder und Neugeborenen haben ein besseres Leben verdient. Leben in Frieden und Gerechtigkeit muss möglich
sein.

Ich finde diese Broschüre ist für all die Menschen, die sich ernsthaft für die behandelte Thematik interessieren, unverzichtbar. Meine Hoffnung: Wer die mit großer Sorgfalt aufgrund von tief gehenden Recherchen verfassten Texte gelesen und verstanden hat, wird sich künftig nicht mehr in unbedachter Weise über diesen Konflikt äußern. Die Broschüre ist auch insofern höchst empfehlenswert, weil sie auf 80 Seiten über alle wichtigen Geschehnisse innerhalb eines geschichtlichen Zeitraums von 100 Jahren informiert. Noch dazu ist zu einem Preis zu erwerben, der für viele Menschen erschwinglich sein dürfte.

Der Philosoph Slavoj Žižek hat auf Freitag.de einen eindringlichen Videokommentar veröffentlicht.

In Gaza zeige sich gerade die zerstörerische Kraft des Fortschritts, und die Kehrseite der europäischen Aufklärung. Der slowenische Philosoph, Psychoanalytiker und Kulturkritiker Slavoj Žižek kommt zum Schluss: Europa muss stärkeren Druck auf Israel ausüben sich auf humanitäre Werte zurückzubesinnen. Im Interesse der Palästinenser, Europas und zuletzt der Sicherheit jüdischen Lebens selbst. Er sagt: „Ich bin ein Pessimist. Ich denke Europa ist zu Ende.“ Seine Hoffnung sei ein Wunder.

Zu den Autoren

Peter Hänseler

betreibt den dreisprachigen (deutsch, englisch, russisch) geopolitischen und geo-ökonomischen Blog voicefromRussia.com.

Er ist Schweizer und lebt in Moskau. Er studierte Jura in Zürich (lic. Iur. 1989), (Dr. iur. 1991) und Washington, D.C. (LL.M., Georgetown University 1994) und arbeitete als Rechtsanwalt (Patent 1993) in Zürich

(Bär & Karrer 1994-1997) und New York (Townley & Updike 1994) bevor er in die Geschäftsleitung der Marc Rich Gruppe eintrat, wo er unter anderem für Russland verantwortlich war (1997-2001). Danach leitete er Immobilienfonds in Russland (PHI Group 2001-2012).

Schon seit Jahren beschäftigt sich Peter Hänseler mit Geopolitik und Geoökonomie und publizierte ab 2008 vor allem in der Weltwoche. 2022 gründete er VoicefromRussia.com. Peter Hänseler publiziert weiter in der Weltwoche, auf ZeroHedge.com, im BloomDoom&Gloom Report des

Schweizer Investment-Guru Dr. Marc Faber und in weiteren geopolitischen Blogs. Er hat sich aus allen geschäftlichen Aktivitäten zurückgezogen, um sich auf seine Arbeit als Publizist zu konzentrieren.

René-Burkhard Zittlau

lebt in Deutschland. Er studierte in den 1980-er Jahren Sprachen

(Russisch und Tschechisch) an der Universität Leipzig mit dem

Abschluss Diplom-Sprachmittler.

Anfang der 1990-er Jahre wechselte er vom Staatsdienst in die private Wirtschaft. Für deutsche mittelständische Unternehmen sehr verschiedener Branchen baute er Tochterunternehmungen in Mittel- und Osteuropa auf und leitete sie teilweise.

Mit Geschichte und Geopolitik beschäftigt er sich bereits seit seinen Studienzeiten. Schreibt u.a. in GlobalBridge und infosperber und vor allem in voicefromRussia.com.

Was ist die Stimme aus Russland?

In diesem dreisprachigen Blog berichtet Peter Hänseler, ein Schweizer der in Moskau lebt, über geopolitische und geoökonomische Themen. Peter Hänseler unterscheidet sich von Mainstream-Journalisten dadurch, dass er Themen aus westlicher und östlicher Sicht betrachtet und bewertet – und somit auch über Themen schreibt, über welche im Westen schwerpunktmässig nicht berichtet wird. Da er in diesem Blog Journalist, Redaktor undHerausgeber in einer Person ist, sieht er sich zudem keinem Einfluss einer Redaktion oder eines Verlags ausgesetzt.

Peter Hänseler ist politisch und journalistisch unabhängig, geht in Russland keiner kommerziellen Tätigkeit nach und bezieht keinerlei Mittel vom Staat oder anderen Organisationen. Der Blog ist für die Leser kostenlos. Spenden sind willkommen.

Seit drei Jahren wohnt er aus privaten und kulturellen Gründen wieder in Moskau. Zuvor lebte er in der Schweiz, den USA, Spanien und Thailand.

Was möchte ich mit diesem Blog?

Die derzeitige Gesprächskultur lässt Gegenmeinungen immer weniger zu – seien sie noch so rational und begründet. Dies betrifft nicht nur politische,

sondern immer mehr auch wirtschaftliche Themen.

Die veröffentlichte Meinung gilt heute oftmals als einzige Wahrheit. Andere Meinungen werden zunehmend angefeindet oder ausgeschlossen. Diese Entwicklung hemmt meines Erachtens die freie Meinungsäusserung und den Diskurs in Gesellschaft, Medien und Politik. Darunter leidet die im Westen von Politik und Medien zu Recht hochgehaltene individuelle Freiheit und eine liberale Weiterentwicklung der Gesellschaft. Derzeit verbannen selbst die privaten weltumspannenden sozialen Medien durch Einsetzung von Zensoren mit woken Begründungen und ohne gesetzliche Grundlage User und Quellen; als ob das Publikum nicht fähig wäre, sich eine eigene Meinung zu bilden.

Anbei empfohlen:

Homepage: https://voicefromrussia.ch/

Via International/YouTube

Zur Broschüre

INHALT: Die Nahost-Problematik versteht man nur, wenn man

die Geschichte und die gegenwärtige geopolitische Lage kennt –

Emotionen helfen nicht / In Feuer geboren – von der Ausrufung

des Staates Israel bis zur Suez-Krise. Die Basis zum Verständnis

der heutigen Situation / Die westliche Beurteilung der

Politik Israels sind Ansichten, welche mit der Realität nichts gemein haben – wir präsentieren die Fakten / Von Camp David bis

Libanon 1982 – Apartheid und Kolonialismus in Israel / Wie der

Vertrag von Oslo zu Hamas und Hisbollah führen musste / Der

7. Oktober 2023 – ein Land versinkt in den Abgründen seiner

Geschichte

Israel – Vom Opfer zum Täter

zum Opfer – ein Hin und Her

seit 80 Jahren

Peter Hänseler / René Zittlau

80 Seiten, mit zahlreichen farbigen Karten,
8.-€*

* Staffelpreis bei Direktbestellung ab 5 Expl.: 7 .– €/St.

pad-verlag – Am Schlehdorn 6 – 59192 Bergkamen – E-Mail: pad-verlag@gmx.net

Schriftenreihe des Forum Gesellschaft & Politik e.V.

Redaktion: Peter Rath-Sangkhakorn

unsere Seite im Netz: http://www.pad-verlag.de

E-Mail: pad-verlag@gmx.net

Die in dieser Broschüre zusammengefassten Beiträge wurden in

einer Israel-Reihe über mehrere Monate auf

https://voicefromrussia.ch

erstveröffentlicht. In den einzelnen Artikeln wurden alle externen

Dokumente, auf die in der Broschüre verwiesen wird, verlinkt.

Es lohnt schon aus diesem Grund ein Besuch. Ebenso finden die

Leser dort alle Artikel, die in der Broschüre an verschiedenen

Stellen als eigene Quellen benannt werden.

Hinweis: Wenn Sie, lieber Leserinnen und Leser, in Wörtern in der von den Autoren der von mir zitierten Sätzen statt eines „ß“ die Schreibweise „ss“ finden, so ist das Schreibweise in der Schweiz geschuldet.

Anbei empfohlen:

Thomas Stimmel spricht mit Iris Hefets.
Thomas Stimmel spricht mit Abed Hassan.

Update am 13.4.2024: İnteressantes neues Video von Dr. Michael Lüders:

Dr. Michael Lüders

Petition: Schutz von Kunst und Kultur als Grundrecht im Grundgesetz verankern

Ohne Kunst und Kultur sähe unsere Gesellschaft anders aus. Nichtsdestotrotz mag es viele Menschen hierzulande geben, den Kunst und Kultur am Allerwertesten vorbeigehen. Womöglich meinen sie sogar Kunst und Kultur wären ganz und gar überflüssig. Dass sie dabei schwer irren, ahnen sie nicht. Sogar Politiker*innen entpuppen sich zuweilen als Kunstbanausen. Zumindest wenn sie ohne Sinn und Verstand mit dem Rotstift regieren. Allenfalls geben sich die selben Kunstbanausen als große Kunst- und Kulturfreund*innen, wenn sie sich im Abglanz großer Kulturveranstaltungen im Abendkleid und Smoking vor den auf sie gerichteten Kameras sonnen können.

Vor etlichen Jahren warnte der Schauspieler Armin Rohde auf einer Protestveranstaltung, die sich gegen eine von der Stadt geplante Theaterschließung (Rohde selbst war einst an dieser Bühne engagiert gewesen) richtete: Gehe der Kahlschlag gegen Kunst und Kultur so weiter und die Schließung von anderen gesellschaftsrelevanten Einrichtungen, würden die Menschen wohl alsbald mit Knüppeln wütend durch die Straßen rennen und sich gegenseitig die Köpfe einschlagen (dazu etwas in meinem Beitrag). Was Rohde meinte: Kultur und Kunst sind für eine zivilisierte Form der Gesellschaft unabdingbar. Im weitesten Sinne auch dazu passend ist dieser Beitrag von mir.

Schauspieler Armin Rohde bei einem Protest gegen eine Theaterschließung in Wuppertal. Foto: Claus Stille

In einem Artikel der NachDenkSeiten von heute schreibt Frank Blenz:

„Brotlose Kunst. Dieser Begriff ist immer schon – auch vor Zeiten der Pandemie – als ironisch, sarkastisch gemeintes Mittel der Geringschätzung gegenüber Kultur- und Kunstschaffenden verwendet worden. In der Pandemie wird der Freud’sche Versprecher täglich schmerzhaft spürbar, denn als systemrelevant gelten Menschen der Muse eher nicht. Doch die Künstler sind wichtig, sagen sie, sie begehren auf und machen auf sich aufmerksam – wie zum Beispiel der Sänger Dirk Zöllner“

Hingewiesen wird auf die Petition „Kultur ins Grundgesetz“. Sie steht noch weniger als 15 Tage im Raum, es bedarf weiterer Stimmen, damit dieser Antrag überhaupt in der Politik thematisiert wird, findet der Künstler Dirk Zöllner (Sänger, Musiker, Komponist, Buchautor).

Zöllner auf seiner Internetseite:

„Ich bitte Euch darum, das Anliegen als meine Freunde und kulturvolle Menschen zu unterstützen und zu verbreiten.“

Die NachDenkSeiten weiter:

„Der Berliner Künstler Dirk Zöllner schreibt das auf seinen Internetseiten und wirbt um Unterschriften, damit die Kunst nicht als brotlos für alle Zeit belächelt werden kann. Er tut es nicht allein, viele seiner Kollegen sind im Boot. Dirk Zöllner ist Sänger, Musiker, Komponist, Buchautor, ein Lebensfreudiger, Hungriger, Zweifelnder, der in diesen Monaten (es wird nebenbei im Februar ein Jahr mit Corona und der Katastrophe drumherum) kraftvoll und öffentlich seinen Fans die Hoch und Tiefs seines Seelenzustandes offenbart. Gerade kämpfen Zöllner und viele seine Kollegen trotz allem noch mehr als sonst. Allein – ihr Engagement, ihre Wortmeldungen finden wenig Platz im Mainstream.“

DIRK ZÖLLNER | Ein Aufruf an die Entscheidungsträger

Dirk Zöllner über die aktuelle Situation der Soloselbständigen in der Kultur- und Veranstaltungsbranche.

„Der deutsche Otto-Normal-Musiker lebt ausschließlich von den engen schwitzenden Konzertbegegnungen. Leider geht die Heimat mit ihren freien Künstlern stiefmütterlich um. Eine Reflexion in den öffentlich-rechtlichen Sendern würde schon genügen, den alternativen Künsten ein subventionsfreies Überleben in Krisenzeiten zu ermöglichen.“

Aus der Petition

Die Freiheit der Kunst wird unter Artikel 5 Abs. 3 des Grundgesetzes geschützt und stellt damit ein Grundrecht dar. Doch Kunst und Kultur können nur frei sein und ihre gesellschaftliche Aufgabe erfüllen, wenn ihnen die dafür notwendige Achtung und Akzeptanz auf bundespolitischer Ebene entgegengebracht wird. Bislang wird die Kulturförderung in weiten Teilen als freiwillige Aufgabe der Länder und Kommunen betrachtet. Wir sind jedoch der Überzeugung, dass der Stellenwert von Kunst und Kultur als ein kollektives gesellschaftliches Interesse grundrechtlich geschützt werden muss. Dies beinhaltet nicht nur den Schutz unseres kulturellen Erbes, sondern auch die Förderung der kulturellen Landschaft in ihrer ganzen Vielfalt.

Kunst und Kultur existieren nicht um ihrer selbst willen, sondern brauchen und suchen den Dialog mit der Bevölkerung, dem Publikum. Jeder Mensch – ungeachtet seiner Lebenssituation oder seiner finanziellen Bedingungen – hat einen Anspruch auf kulturelle Teilhabe. Und obwohl dieses Menschenrecht in der UN-Charta verbrieft ist – zu deren Unterzeichnern die Bundesrepublik Deutschland gehört – sind wir von der Schaffung der dafür notwendigen Chancengleichheit noch sehr weit entfernt.
 

Wir fordern:

  • Den Schutz von Kunst und Kultur als Grundrecht im Grundgesetz zu verankern.
  • Das Recht auf unbeschränkte Teilhabe aller Bürgerinnen und Bürger am kulturellen Leben und an kultureller Bildung als Grundrecht im Grundgesetz zu verankern.
  • Langfristige stabile Sicherungsinstrumente für Kunst- und Kulturschaffende zu etablieren sowie ein auf sie zugeschnittenes gesetzliches Regelwerk zu schaffen, das sie vor unverschuldeten Verdienstausfällen schützt.

Alle drei Forderungen sind aus unserer Sicht Obliegenheiten des Staates sowie der gesellschaftlichen Kräfte

Von der darstellenden Kunst über Musik, Literatur, bildende und performative Kunst, Film- und Medienkunst bis hin zur Soziokultur produzieren ALLE Kunstformen mehr als bloßes Vergnügen. Kultur leistet seit dem Beginn der Menschheitsgeschichte in all ihren Ausprägungen einen elementaren Beitrag zur gesellschaftspolitischen Bildung. Sie vermag Gemeinsinn zu stiften und einen Zusammenhalt zu erzeugen. Sie verbindet Menschen, unabhängig ihres Alters, Geschlechts oder ethnischer und sozialer Herkunft und trägt damit wesentlich zum Erhalt sowie der Entwicklung unserer pluralistischen und friedlichen Gesellschaft bei. Sie liefert vielfältige Impulse und Denkanstöße zur Willens- und Persönlichkeitsbildung, sie transportiert Wissen und sie fungiert gleichermaßen als Bewahrerin ideeller Güter wie auch als visionäre Gestalterin.

All dies leistet Kultur mit einem Verständnis, das aus ihr selbst erwächst. Ihr Wert lässt sich durch nichts ersetzen und sie ist zweifellos ein Grundpfeiler unserer Gesellschaft.

Sie verdient daher einen langfristigen und nachhaltigen Schutz. Gleiches gilt für den uneingeschränkten Zugang der Bevölkerung zu Kunst und Kultur.

Zur Petition.

Empfehlung: Bitte, liebe Leser*innen, unterstützen sie diese Petition.

Beitragsbild: via Theater Dortmund/Oper; Twitter

„Die Revolution ist fällig. Aber sie ist verboten“ von Albrecht Müller – Rezension

Wer schon ein paar Jahrzehnte auf dem Buckel hat – bei mir sind es nun über sechs – müsste gemerkt haben, dass in unserem Land etwas schief läuft. Die Gesellschaft ist ungerechter geworden und wird es weiter. Quasi ist etwa was soziale Gerechtigkeit angeht, ein Rückwärtsgang eingelegt worden. Die Schere zwischen Arm und Reich hat sich immer weiter geöffnet. Das allerdings ist freilich keinem Naturereignis geschuldet, sondern von Menschen befeuert und ins Werk gesetzt worden. Und zwar von der herrschenden Politik, die einflussreichen Einflüsterern auf den Leim gegangen ist. Als am schlimmsten sicher und als besonders einschneidend zu charakterisierend ist da Beschreitung eines neoliberalen: besser marktradikalen Weges – von dem längst sichtbar geworden ist, dass dieser ein Holzweg ist, da er unsere Gesellschaft immer ungleicher und ungerechter macht und letztlich ziemlich sicher zerstört – zu nennen.

Ein großes Menetekel, das davon kündete, dass wir auf diesem Wege eigentlich besser nicht weiter gehen sollten, stellte die letzte Finanzkrise dar. Aber sind wir umgekehrt, haben wir aus den gemachten Fehler gelernt? Wie man inzwischen erkennen kann: nein!

Nicht einmal das kleine, millionenfach verkaufte Manifest „Empört euch!“ von Stéphane Hessel konnte – abgesehen von einem kurzem Aufmerken und Aufbegehren, ähnlich wie bei der Occupy-Bewegung – auf lange Sicht keinen entscheidenden, Umschwung herbeiführen. Und den Aufbau einer wieder sozialer gerechten Gesellschaft maßgeblich befeuern.

Mit der steigenden Ungerechtigkeit und Ungleichheit kam freilich auch Unmut unter Menschen auf. Da konnte einem der Gedanke schon einmal aufkommen: Müsste das nicht irgendwann unweigerlich zu einer Revolution führen? Schließlich geschah dergleichen doch bereits in der Geschichte!

Der iranisch-deutsche Germanist Bahman Nirumand, ein Zeitgenosse Rudi Dutschkes und anderer Köpfe der 1968er Bewegung, wurde einmal in einem Interview gefragt, ob er eine Revolution favorisiere – ob er sie für nötig und machbar hielte.

Nirumand überlegte kurz und antwortete dann, heute zöge er einer Revolution eher eine Evolution vor. Also eine Entwicklung, die man überlegt Schritt für Schritt vollziehen möge. Immerhin, so der Gelehrte, seien ja Revolutionen meist blutig – wie beispielsweise die Französische Revolution – und führten dann zu ganz anderen Ergebnissen wie ursprünglich ins Auge gefasst.

Nicht umsonst heißt es, auf einem Ausspruch Pierre Victurnien Vergniauds fußend: Die Revolution frisst ihre eigenen Kinder.

Albrecht Müller, langjähriger SPD-Politiker und Gründer der NachDenkSeiten, der es erst im Oktober letzten Jahres mit seinem Buch „Glaube wenig, hinterfrage alles, denke selbst“ auf die Spiegel-Bestsellerliste schaffte, stellt allerdings via des in blutrot gedruckten Titels seines jüngst ebenfalls wieder im Westend Verlag erschienenen Buches fest: „Die Revolution ist fällig“, schränkt jedoch mit dem Untertitel sofort wieder ein: „Aber sie ist verboten“

Was denn nun?

Albrecht Müller richtet im Kapitel II. „Das Zeitalter der Restauration. Wo man hinschaut – Rückschritt“ und den dementsprechenden 19 Unterkapiteln den Fokus auf das gesellschaftliche Rollback, das vonstatten ging. Ein Vorgang, wie der Autor deutlich macht, der schon früher betrieben wurde, als wir gemeinhin denken. Und letztlich dazu führte, das die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinanderging und geht. Im Unterkapitel 1 (S.17) gibt Müller zu bedenken: „Ungleichheit gab es immer. Das neue Phänomen ist die Radikalität der Ungleichheit und die Veränderung seit den 1970er- und 80er-Jahren.“

Und er weist daraufhin, dass immer wieder versucht wurde Ungleichheit zu rechtfertigen. Eigentlich eine Frechheit, wenn man’s recht bedenkt!

Aber es wurde gemacht. Und Politiker wurden mit Erklärungen eingeseift, die das bestätigen zu schienen. Sie glaubten das entweder oder es wurde ihnen glaubhaft gemacht.

Müller: „Lange Zeit wurde die Pferdeäpfel-Theorie verbreitet. Diese meint: Wenn man die Großen und Starken ordentlich füttert, dann fällt auch für die Kleinen, für die Spatzen am Wegesrand, etwas ab. In moderner Formulierung heißt das dann: Wir dürfen Anleger nicht abschrecken, unser Land muss für die großen Vermögen attraktiv bleiben.“

Das Ganze wird als „Trickle-down-Effekt“ bezeichnet. Kurz auf einen Nenner gebracht, heißt das, Steuern runter für Spitzenverdiener. Was angeblich „auch der Allgemeinheit und Mehrheit zugute“ käme. Und wer nicht groß nachdenkt – und Pardon: in diesem Land wird von der großen Mehrheit nicht groß nachgedacht – glaubt das ganz und gar. Und die Unverschämtheit geht durch. Noch dazu, wenn es bestimmte Medien auch noch nachplappern.

So fand der Rückschritt zumeist auf leisen Sohlen und in langsamer Gangart statt. Erst um das Jahr 1990 herum ging es sozusagen Schlag auf Schlag. Der Neoliberalismus packte marktradikal zu, wo es herrschende Politik zuließ und ermöglichte, indem es aus gutem Grund einmal eingerichtete Leitplanken – welche bisher das Schlimmste verhindert hatten – nach und nach niederriss.

Stéphane Hessel, der bereits erwähnte Autor von „Empört euch!“, geißelte die Diktatur des Geldes.

Für Deutschland – wie für Europa und die Welt insgesamt – könnte die Empörung über die „unverschämte“ Macht des Geldes und seiner Diener eines der Aufreger und Treibstoff für den Widerstand sein. Ebenso die „Diktatur der Finanzmärkte“ und das damit ursächlich in Verbindung stehende immer weiter voran schreitende Aufklaffen der Schere zwischen Armen und Reichen“, schrieb ich am 12.11. 2011 in meinem Beitrag für den Freitag, bezugnehmend auf Hessels Büchlein. Doch die Aufregung hielt sich leider in Grenzen.

Auch Albrecht Müller greift die übergroße Macht des Geldes auf.

Die Überschrift des Unterkapitels 2 lautet: „Die Staatsgewalt geht vom Großen Geld aus“

Er schreibt:

In Art. 20 unseres Grundgesetzes heißt es, alle Staatsgewalt gehe vom Volke aus“ und stellt nüchtern wie stimmig fest: „Das ist ein wirklich schöner Spruch. Aber mit der Wirklichkeit hatte dieses Versprechen von Anfang an nicht allzu viel zu tun. Die wirtschaftlich Starken hatten de facto immer mehr zu sagen als das normale, nicht vermögende Volk. Aber es gab eine gewisse Kontrolle.“ Das ist – weitgefasst – das, was ich vorhin unter dem Begriff „Leitplanken“ verbucht hatte.

Und die Politik der sozial-liberalen Koalition unter Willy Brandt war sogar imstande soziale Sicherheit auszubauen und Menschen Bildungschancen zu eröffnen, die Menschen aus Familien zugute kamen, finanziell nicht gut ausgestattet waren.

Nebenbei bemerkt: Ein Gerhard Schröder dürfte von einer solchen Politik profitiert haben, indem er studieren konnte. Nur leider hatte er das offenbar vergessen oder wohl eher verdrängt. Als er selbst Bundeskanzler geworden war und zerschlug er mehr oder weniger dergleichen – betrieb Sozialabbau.

Wie auch immer: Albrecht Müller ist hinsichtlich der Überschrift des Unterkapitels 2 zuzustimmen. Im Übrigen kennen wir doch wohl alle das Sprichwort „Geld regiert die Welt“. Oskar Lafontaine griff dies vor ein paar Jahren auf und postulierte treffend: Nie habe dieser Ausspruch so sehr gestimmt wie heute.

Die Finanzmarktdiktatur von der schon Stéphane Hessel sprach führte in die Finanzkrise 2007/2008. Aber die Spekulationen gehen munter weiter. Dazu lesen wir passend etwas in Unterkapitel 7. „Spekulationen gehören ins Casino“ (S.59)

Der Mensch ist vergesslich. Weshalb möglichst vielen Menschen zu empfehlen ist, dieses hier vorliegende Buch zu lesen. Auch wenn sie schon älter sind und in den Zeiten, die beschrieben werden selbst gelebt haben. Schließlich ist darin zu verfolgen wie was und auch durch wen oder was bestimmte Entscheidungen eingestielt worden sind. Man sieht klarer und erlebt womöglich Aha-Effekte. Denn dadurch kommt man nochmals den Sachen auf die Spur, die die Grundlagen für heutige Schlamassel und die Misere der Gegenwart legten.

Erst recht sollten junge Menschen das Buch lesen. Vielfach sind sie uninformiert betreffs dieser Abläufe und Ereignisse. Diese Lücken werden leider in der Regel auch nicht durch die schulische Bildung geschlossen. Es sei denn es gibt hie und da einmal wache, engagierte Lehrer, die sich darum kümmern. Erst recht werden diese Lücken nicht durch die Mainstream-Medien geschloss, die immer mehr eher desinformieren als Licht in bestimmte Geschehnisse zu bringen. In vielerlei Hinsicht weist deren Berichterstattung, die Gegenwart betreffend, sogar immense Lücken auf. Solche Lücken zu lassen ist m.E. manches Mal sogar destruktiver als zu lügen. Da lag Ulrich Teusch ziemlich richtig, indem der den Begriff „Lückenpresse“ verwendete, als es aus Mündern von Pegida-Demonstranten „Lügenpresse, Lügenpresse!“ grölte.

Auch Kriege sind wieder der Ernstfall (S.64). Ein schlimmer Rückfall, weit zurück hinter die verantwortliche Friedens- und Ostpolitik der Regierung Brandt. Die Joschka-Fischer-Grünen machten es zusammen mit der Schröder-SPD möglich, dass die Bundeswehr erstmalig an einem Krieg – dem Krieg gegen Jugoslawien – teilnahm. Mehr als ein Fauxpas!

Dass wir nach wie vor ein untertäniger Vasall der USA sind, bearbeitet Albrecht Müller ab Seite 76. Er weißt auch auf Einflusspersonen, resp. Einflussagenten in deutschen Regierungsämtern und Parteien hin, die im Interesse von Washington sprechen und handeln. Durch die Bank sind sie in Zirkeln wie der Atlantik-Brücke und ähnlichen Organisationen. Was auch auf Journalisten wie Claus Kleber (heute Journal) u.a. zutrifft. Dementsprechend tönt deren Berichterstattung. Ein nicht hinnehmbarer Zustand.

Diese Einflussagenten springen stets wie Springteufel aus der Kiste hervor, wenn es gilt im Interesse ihrer US-amerikanisch dominierten Gremien zu handeln. Dies sehen wir nun auch wieder in der Nawalny-Affäre und im Falle der politischen Krise in Weißrussland.

Der Autor widmet sich auch der Situation der Jugend. In „Die Verunsicherung der Jugend“ (S.85) arbeitet er heraus, in welche eine unsichere Zukunft die Jugend heute geht. Er setzt das ins Verhältnis zu der Situation in den Jahren, da er selbst studierte und andere eine Lehre begannen und gute Stellungen bekommen konnten, in den sie nahezu unbefristet tätig sein konnten.

Heute hangeln sich viele von Praktikum zu Praktikum – auch noch unbezahlt -, um dann mit viel Glück vielleicht eine Stelle zu bekommen, die – wenn sie Pech haben – prekär bezahlt wird.

All das ein Grund zur Revolution! Ja, aber sie ist ja verboten.

Gewiss will Albrecht Müller kein neues Weimar prognostizieren. Aber als „eine unheilverkündende Warnung, einen ernsten Mahnruf oder ein Vorzeichen drohenden Unheils“ – wie die Definition von Menetekel in Wikipedia lautet – sollten Albrecht Müllers Worte im Unterkapitel 11. „Die Parteien sind am Ende, sie werden ihrer wichtigsten Aufgabe nicht gerecht“ schon gedeutet und auch verstanden werden.

Müller übt an allen deutschen Parteien treffende Kritik. Bezogen auf die Grünen, schreibt er – besonders auf der Agieren im Kosovo-Krieg und später in der Ukraine-Krise (S.90) bezogen:

Es ist erstaunlich still geworden um die Meinungsbildung innerhalb der Grünen-Partei und -Fraktion auf Bundesebene. Wir müssen wohl davon ausgehen, dass die Grüne Partei wie andere Parteien auch über weite Strecken fremdbestimmt und gesteuert ist.“

Freilich nimmt Albrecht Müller bei seiner Parteienkritik seine eigene Partei, die SPD, nicht aus. Er schreibt über „Dramatische Veränderungen bei der SPD – Anpassung“.

Zu recht skandalisiert der Autor das zunehmende Phänomen, dass „Parteien als Karriereleitern, Politik als Berufsersatz“ benutzt würden.

Ähnlich charakterisierte diese bedenklich zu nennende Entwicklung auch der aus der SPD ausgetretene und jetzige partei- und faktionslose Bundestagsabgeordnete Marco Bülow aus Dortmund:

Bülow erklärte, woher das Nichtwahrnehmen sozialer Probleme vieler Abgeordneten rühre: „84 Prozent der Bundestagsabgeordneten sind Akademiker, 16 Prozent Nichtakademiker.

In der Gesellschaft ist es andersrum: Lediglich 20 Prozent der Menschen Akademiker.“

Als Bülow in den Bundestag kam, waren selbst allein in der SPD-Fraktion fast alle Akademiker gewesen. Doch ihre Eltern und Umfeld waren es nicht. Heute sehe es anders aus. Man kenne Probleme von Kindern aus Nichtakademikerfamilien überhaupt nicht, komme ja mit ihnen nicht in Berührung.“ (hier mein Artikel)

Eine sehr interessantes Kapitel! Sie, lieber Leser, werden vieles selbst nachvollziehen können, wenn sie ein bisschen zurück- bzw. nachdenken.

Auf Seite 96 heißt es bei Müller:

Fremdbestimmt und die Ordinate verschoben:

Bei der Arbeit an diesem Kapitel merke ich: Es ist hilfreich, nach so vielen langen Jahren auf die Entwicklung der Parteien zurückzublicken. Dann sieht man, dass die Parteien, die man in der Parteienlandschaft zum linken Spektrum zählt, in den letzten Jahrzehnten nach rechts verschoben worden sind. Überall haben sich innerparteilich jene Kräfte durchgesetzt, die jeweils zum konservativen Flügel zählen. Das gilt für die SPD, für die Grünen und für die Linkspartei – bei letzter ist der Prozess noch nicht abgeschlossen.“

Und weiter:

„Dieser Prozess ist jeweils von außen gefördert, wenn nicht sogar systematisch betrieben worden. Von außen heißt: von den konkurrierenden Parteien, von der Politikwissenschaft und anderen Multiplikatoren und von den Medien.“

Ich muss da immer an einen Professor denken, der auf einer Medientagung vor ein paar Jahren in Kassel im Zusammenhang mit der systematischen Zurichtung, die andere und Medien manchmal auch als „Entzauberung“ zu bezeichnen pflegen, speziell der Grünen davon sprach, diese seien „rundgelutscht“ worden. Systemgerecht, füge ich ketzerisch hinzu. Übrigens der Partei DIE LINKE droht ebenfalls dieses Rundlutschen. Vielmehr: es ist längst im Gange. Kürzlich trat sogar die von Medien stets als „Jobcenterrebellin“ bezeichnete Inge Hannemann aus der Linkspartei aus. Wenn das kein Zeichen ist!

Und es ist alles andere als eine Verschwörungstheorie: Selbstredend werden Parteien auch unterwandert und mit Einflussagenten durchsetzt.

Nicht zuletzt haben alle Parteien des Deutschen Bundestages versagt, wenn es um die eingeführten Corona-Maßnahmen ging. Eine Opposition gab es praktisch nicht. Schweigen im Walde mit brav aufgesetztem Mund-Nase-Schutz – auch DIE LINKE.

Unter Punkt 14. auf Seite 112 beklagt Albrecht Müller: Mieser Umgang der Politik mit den Menschen. Die neue Corona-Erfahrung.“

Ein Übel nach dem anderen wird in diesem Buch aufgespießt und ausreichend analysiert. Und die weitverbreitete Heuchelei hierzulande wird prächtig deutlich im Kapitel 16 „Die Würde des Menschen ist unantastbar – und millionenfach verletzt“

Angespielt wird auf den Artikel 1 unseres Grundgesetz:

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“

Hehre, schöne Worte. Blicken wir aber auf die Realität, kommen einen die Tränen und der Hut geht einen hoch!

Mit der Kapitelüberschrift „Die EU ist kaputt“ (S.121) gehe ich voll d’accord. Wenn ich von mir reden darf: Für mich war die EU gestorben, als sie seinerzeit mit dem in Not befindlichen Griechenland so schmählich verfuhr, dass man sich als fühlender Mensch und EU-Bürger für eine mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnete EU fürchterlich schämen musste.

Albrecht Müller zählt viele Missstände auf: „Lobby Einfluss und Korruption in Europa“ (S.124), „Steueroasen mitten in Europa“ (S.125).

Wichtig auch, dass der Autor auf den Einfluss der USA auf einzelne Länder (S.126) und die Folgen hinweist. Er nennt „die Sonderbeziehungen der USA zu einzelnen Staaten insbesondere Mittel- und Osteuropas, zu Polen, zu den meisten baltischen Staaten, zu Rumänien“

Die USA spielten auch in der Personalpolitik mit. Müller: „Mit Sicherheit haben sie ihren Segen für die Ernennung von Ursula von der Leyen zum wichtigsten Amt der Europäischen Union erteilt.“ (S.127)

Der Autor sieht in dieser „schlechten Entwicklung (…) Zeichen von Rückschritt und auch Zeichen des Abschieds von einer wirklich guten Idee, der Idee der Zusammengehörigkeit und der Eigenständigkeit der europäischen Völker“.

Die etablierten Medien kommen im Buch nicht gut weg. Daran schuld sind sie selbst. Müller zitiert aus Wolf Schneiders Buch „Unsere tägliche Desinformation – Wie die Massenmedien uns in die Irre führen“. 1984 (!) veröffentlicht:

A) Manche Journalisten manipulieren

B) Viele Journalisten werden gegängelt

C) Viele Journalisten sind unkritisch

D) Allen Journalisten sind Zwängen unterworfen

E) Alle Journalisten werden benutzt

Und wie sieht es heute aus? Wenn ich daran denke, steigt mein Blutdruck gefährlich an.

Albrecht Müller schließt das Kapitel so:

„Und dennoch versuchen die Betroffenen heute den Eindruck aufrechtzuerhalten, die Welt der etablierten deutschen Welten sein in Ordnung. Diese verquere Selbstwahrnehmung ist eine Katastrophe.“

Albrecht Müller möchte, dass „wir uns auf einen langen Weg zu einer Neuen Gesellschaft“ (S.149) machen.

Und stellt in der ersten Zeile nüchtern fest:

„Die Lage ist in vielerlei Hinsicht verkorkst. Die Rettung des Versprechens des Grundgesetzes, dass alle Macht vom Volke ausgehen soll, verlangt im Kern die Korrektur der einseitigen und ungerechten Vermögensverhältnisse, die Korrektur der publizistischen Macht weniger Medienkonzerne, die Wiederherstellung von Markt und Wettbewerb und die Befreiung aus der Vormundschaft der USA.“

Müller: „Das wäre das Minimum und es käme einer Revolution gleich. Es wäre ein Neuanfang.“

Allerdings stellt der Autor auch fest, dass der notwendige Ansatz für einen solchen Neuanfang nicht einmal am Horizont zu sehen sei:

„Hinzu kommt, dass es – umgangssprachlich ausgedrückt – hierzulande an vielen Ecken stinkt. Einen einzigen Hebel umzulegen bringt nicht das Heil.“

Weiter gibt Müller zu bedenken:

Sosehr als eine wirkliche Revolution, also eine radikale Umverteilung und Umwälzung der Machtverhältnisse fällig wäre, sosehr es nötig wäre, die Uhr auf Start zurückzudrehen, so wenig gibt es aus heutiger Sicht Anhaltspunkte dafür, dass dies erfolgreich möglich wäre. Wir müssen also abwarten, Zeit gewinnen und auf grundlegende Veränderungen hoffen und daran arbeiten. Zugegeben, eine vage Hoffnung. Aber wer bietet mehr? Die einzige Revolution, die man sich ohne Blutvergießen und vielleicht gekrönt von Erfolg vorstellen könnte, wäre eine Reform-Politik, wie sie nach dem Ersten Weltkrieg und dann mit Abstand nach dem Zweiten Weltkrieg mehr oder weniger konsequent betrieben worden ist. Sozial-, Steuer- und Bildungspolitik und ein starker Staat insgesamt sorgten für eine etwas gerechtere Gesellschaft.“

Müller verweist auf den französischen Ökonomen Thomas Piketty, der die damals entstandenen Gesellschaften die „sozialdemokratischen Gesellschaften“ nenne. Allerdings, so Müller, sei der Begriff „sozialdemokratisch“ sehr verbrannt. Ansonsten könnte man diesen wiederbeleben, um sich im Endeffekt eine „revolutionäre Veränderung der jetzigen Gesellschaft durch eine breit gefächerte Reformpolitik vorstellen“ zu können (S.151). Das liefe auf eine Kulturrevolution hinaus.“

Wenn nicht – will ich da einwerfen – auch der Begriff „Reform“ unter dem man früher gemeinhin Verbesserungen verstand, bis ein gewisser Gerhard Schröder mit seiner Politik etwa der Agenda 2010 dafür sorgte, dass der Begriff heute eher negativ konnotiert ist – ebenfalls verbrannt wäre.

Fazit

Tatsächlich ist vieles schwer verkorkst in unserer Gesellschaft. Und die Aussichten, etwas zu ändern, sind nicht gut. Klar gibt es Menschen, die demonstrieren. Müller: Gegen Rassismus, für eine verantwortliche Klimapolitik und andere gegen die Corona-Politik der Bundesregierung und mehr Freiheit. Aber sei darin der große Ansatz der notwendigen geistigen und politischen Umwälzung zu erkennen? Selbst die Friedensbewegung ist kaum sichtbar. Angesichts dessen müsste man – die Frage stellt sich mir nach der Lektüre des sehr empfehlenswerten Buches: Hängt in Wirklichkeit nicht alles mit allem zusammen? Das zu erkennen, könnte einen Wumms hervorbringen! Könnte. Müsste! Albrecht Müller beendet sein Buch so: Es bleibt Hoffnung.“

Was sonst? Schließlich stirbt sie bekanntlich zuletzt …

Der Westend Verlag zum Buch

Revolution nicht vorgesehen

Bestsellerautor Albrecht Müller zeigt, dass und wie sich die Verhältnisse grundlegend verschlechtert haben. Die Revolution ist überfällig! Aber leider im Grundgesetz nicht vorgesehen … Der Idee nach haben wir eine schöne Demokratie, tatsächlich aber verhärtete Verhältnisse: Die Einkommen sind ungerecht verteilt. Große Vermögen in wenigen Händen und Finanzkonzerne beherrschen die Wirtschaft. Die Parteien sind programmatisch entkernt, die Medien konzentriert und meist angepasst. Frieden? Gemeinsame Sicherheit? Stattdessen wird auf Konfrontation und Kriegsvorbereitung gesetzt, fremdbestimmt von den USA. Europa zerbröselt. Die Revolution ist überfällig, resümiert Albrecht Müller, aber es wird sie nicht geben. Sein Rat an Gleichgesinnte: Tut euch zusammen, verhindert das Schlimmste und setzt auf bessere Zeiten!

Albrecht Müller

Die Revolution ist fällig

Aber sie ist verboten

 

Seitenzahl: 192
Ausstattung: Klappenbroschur
Artikelnummer: 9783864893070
  • Buch 16,00 Euro

Rezension: „Tot oder lebendig. Das skandalöse Geschäft mit dem Notruf“ von Lars Winkelsdorf und Thomas Eckert

Sind Sie, liebe Leserin, lieber Leser, da Sie diesen Satz lesen noch gesund? Ja? Na, da hoffe ich von ganzen Herzen, dass sie es auch bis zum Schluss des Textes und darüber hinaus auch onoch recht lange bleiben.

Aber klar: wir alle wissen, dass uns von der einen Minute auf die andere etwas passieren kann. Wir verdrängen es. Wie wir selbstredend meist auch den Tod verdrängen. Das ist menschlich. Aber, was, wenn uns ein Herzinfarkt oder ein Verkehrsunfall – was auch immer ereilt?

Dann sind wir dankbar, wenn uns jemand den Notarzt ruft, der rasch die entsprechenden lebensrettenden Maßnahmen einleitet. Und wenn wir hernach in ein Krankenhaus gebracht werden, dass uns dann weiter hilft und wenn es gut läuft heilt, dass wir bald wieder gesund und bei unseren Lieben sind. Doch das ist heutzutage gar nicht mehr so sicher. Bringt uns die Ambulanz stabilisiert ins Krankenhaus, kann es durchaus sein, dass wir es behindert oder als Tote/r wieder verlassen. In Deutschland wird mit 40.000 Todesopfern durch Krankenhausinfektionen gerechnet. Der Grund: mangelnde Hygiene. Multiresistente Keime.

Aber auch die zunehmende Kommerzialisierung und Ökonomisierung des Gesundheitswesens kann uns ebenfalls schaden oder im aller schlimmsten Fall töten.

Doch selbst bevor wir nach einen Unfall auf den Notarztwagen warten müssen, können wir durch vielerlei Umstände sogar noch am Unfallort versterben ohne das Krankenhaus überhaupt erst sehen zu müssen. Nebenbei bemerkt: Prof. Albrecht Goeschel beschäftigt sich seit Jahren kritisch mit unserem Gesundheitswesen. Sie können es hier nachzulesen. Also: Bleiben Sie bloß gesund, liebe LeserInnen!

Sitzen Sie gut, liebe Leserinnen? Ja? Also dann:

Wehe, du bist krank und brauchst einen Notarzt!“, heißt es in Verbindung mit eben im Westend Verlag herausgekommenen Buch „Tot oder lebendig. Das skandalöse Geschäft mit dem Notruf“ von Lars Winkelsdorf und Thomas Eckert.

Winkelsdorf arbeitet als Journalist u.a. für ZDF Frontal 21, die ARD Tagesthemen, NDR Panorama und als Buchautor. Seit Jahren berichtet er über die politischen Probleme der Notfallrettung und fordert die Verbesserung der Patientensituation und der Arbeitssituation der Retter. Er hat eine Ausbildung zum Rettungssanitäter gemacht.

Eckert studierte Geschichte, Politikwissenschaft und Volkskunde an den Universitäten Regensburg, Hamburg und am Trinity College Dublin. Seit 2006 arbeitet der ausgebildete Rettungssanitäter als Autor und Reporter für die Redaktionen der Abteilung Wirtschaft und Ratgeber im NDR-Fernsehen. Insbesondere für die ARD-Wirtschaftsseindung Plusminus beschäftige er sich mit sozial- und gesundheitspolitischen Themen, gestützt auf jahrelange Erfahrungen als Rettungssanitäter.

Die Buchinformation setzt sich folgendermaßen fort: „Ist man verletzt oder bedrohlich erkrankte, ruft man die 112 und schon kommen die Retter – so sollte es sein.

Doch tatsächlich geht es nicht mehr um den einzelnen Menschen, sondern ums Geld. Falsche gesetzgeberische Vorgaben, Konkurrenz der Hilfsorganisationen, psychische Belastungen des Personals, überfüllte Notaufnahmen, illegal importierte Leichenteile zu Übungszwecken:

Das Rettungswesen steckt in einer schweren Krise und die Politik reagiert nur auf die Symptome, statt die Ursachen in Angriff zu nehmen. Die Folge sind lange Wartezeiten auf Retter, fehlende Materialien oder übermüdete Helfer. Dies führt zum unnötigen Tod tausender Menschen.“ Und der Text endet: „Ein Skandal, der endlich diskutiert werden muss.“

Das walte Hugo!, möchte ich anfügen. Mancher mag vielleicht nun gar nichts mehr wissen von dem Buch. Weil es ihm schon jetzt mulmig geworden ist. Aber – ich finde: das Buch sollte und muss gelesen werden! Letztlich geht es um unsere Gesundheit. Um unser Leben!

Wer die letzten Jahrzehnte nicht im luftleeren Raum gelebt hat, dürfte sich denken können, warum die Situation so schlimm ist. Wie schon zitiert: Es geht ums Geld. Im Gesundheitswesen wird eine Menge Geld bewegt. Das weckt bei bestimmter Klientel Begehrlichkeiten. Und zu die zunehmende Neoliberalisierung unsere Gesellschaft begünstigt bestimmte Interessengruppe durch diesem Klientel auch noch entgegenkommenden Gesetzen, dass sich deren Begehrlichkeiten auf die eine oder andere Art umsetzen lassen. Der Patient hat die schlechtesten Karten. Er hat nämlich keine Lobby. Eigentlich müsste die Politik, die Regierung Lobby der Patienten sein. Eigentlich! Oder sehe ich das etwa falsch?

Ein tragischer Fall war Anstoß, sich mit dem deutschen „Blaulichtmilieu“ zu beschäftigen

Der Einstieg ins Buch ist sogleich drastisch. Eckert und Winkelsdorf hatten auf dem NDR-Gelände in Lokstedt einem Fernsehbeitrag über einen

Am Bett des krank gemachten deutschen Gesundheitssystems. Foto: Claus-D. Stille

Krankenkassenbetrug der Feuerwehren von Hamburg und Berlin gearbeitet. Sie hatten auf ihren Rettungswägen an Material und Medikamenten gespart und so die DIN-Normen der Fahrzeuge umgangen, „die Einsätze aber gegenüber Patienten und Krankenkassen als vollwertige Rettungswägen abgerechnet (S.7)“

Die Behörden redete sich aber die Geschichte schön: Schließlich rücke ja zusätzlich zum Rettungstransportwagen (RTW) noch der Notarzt mit seinem Einsatzfahrzeug und der kompletten Ausstattung zum Alarmierungsort aus. Nach dem sogenannten Rendezvous-Prinzip.

Am Nachmittag trennen sich die beiden Journalisten. Winkelsdorf trifft auf dem Nachhauseweg auf einen Notfall: eine Person liegt am Boden. Um ihn herum steht einen Menschentraube. Jemand ist dabei die Person zu reanimieren. Winkelsdorf löst den völlig erschöpften Ersthelfer, einen Kinderarzt aus einem nahe gelegenen Krankenhaus, der kürzlich ein Notfalltraining absolviert hatte, ab.

Dann kommt der Rettungswagen mit dem Defibrillator. Der Notarzt steckt irgendwo im Stau. Der Hubschrauber ist woanders gebunden. Ein Arzt hält mit seinem Auto an und hilft. Spritzt Adrenalin. Winkelsdorf ersucht mit „mit der Feuerwehrtechnik aus dem Hause Wegwerfprodukte irgendwie klarzukommen.’One size fits all‘, die Maske soll angeblich auf 90 Prozent aller Erwachsenen passen – dann gehört der Patient hier also zu den anderen 10 Prozent. (S.11)“ Kein Herzschlag!

Schließlich trifft die Notärztin ein. Sie bemüht sich. Alle Beteiligten haben sich mit aller Kraft bemüht. Der Patient verdreht die Augen. Dennoch versucht die Notärztin weiter ihn zurückzuholen. „Nach quälend langen 70 Minuten erfolgt schließlich der Transport“, lesen wir, „schließlich der Transport mit dem Rettungswagen in die nur wenige Minuten entfernte Notaufnahme. Später erfahre ich, dass der Mann dort nach etwa 20 Minuten für tot erklärt wurde.“

Dieser Todesfall, schreibt Lars Winkelsdorf, das von ihm Erlebte, sei der Anstoß für die Recherche beider Buchautoren im deutschen Blaulichtmilieu gewesen. Aber, geben sie auf Seite 14 zu bedenken, „(…) ob man dem Leser die Realitäten überhaupt zumuten kann, die Schilderungen nicht zu drastisch wären oder sogar Angst machen könnten. Ja sogar, ob man von diesem Anstoß überhaupt erzählen sollte. Um es kurz zu formulieren: Was Retter in Deutschland erleben, ist für Außenstehende kaum vorstellbar und häufig nur noch als entsetzlich zu beschreiben.“

Dass sich die Autoren trotz dieser Bedenken dennoch entschieden haben es zu tun, ist m.E. richtig. Auch wenn es uns als Leser hin und wieder mulmig werden kann ob es Berichteten. Wie schon bemerkt: wir Menschen verdrängen gern. Aber so ändert sich nichts. Im Gegenteil alles wird nur schlimmer.

Die Autoren merken an: „Wir werden älter, wir erkranken, uns passieren Unfälle und früher oder später landen wir auf die eine oder andere Weise in einer Situation, in der wir auf eine Rettungsmittel selbst angewiesen sein werden, ein Kollege oder ein naher Angehöriger, ein Freund oder eine Nachbar betroffen wird.“ Genau!

Die Autoren haben recht: Bestehende Probleme in der Notfallrettung müssen politisch gelöst werden!

Eingeführt werden wir in das Thema ab Seite 16 des Buches, indem uns die Geschichte des Rettungswesens in Deutschland vermittelt wird. Ein sehr interessantes Kapitel. Kaum jemand dürfte zum Beispiel wissen, dass die Auslösung für die Schaffung unserer modernen Notfallversorgung der tragischen Tod eines Kindes, Björn Steiger, im Jahre 1969 gewesen ist. Nach einem Verkehrsunfall des Kindes hatte es über eine Stunde gedauert bis ein Krankenwagen eingetroffen war – der Junge starb auf dem Weg ins Krankenhaus. Die Eltern des Kindes gründeten die Björn Steiger Stiftung e. V. mit dem Ziel die Notfallrettung in der Bundesrepublik zu verbessern.

Wie bei so vielen anderen auftretenden Problemen und Schwierigkeiten in unserem Land, haben auch im Rettungswesen nicht wenige mit dem bundesdeutschen Föderalismus zu tun. Vieles ist unterschiedlich geregelt. Nur ein Beispiel von vielen: die vorgeschriebenen Anfahrtszeiten (wie lange eine Rettungswagen brauchen darf, um am Einsatzort zu sein). Die an Bord vorhandenen Notfallmedikamente. Auch kann das Leben eines Patienten in Gefahr sein, weil etwa ein Sanitäter bestimmte lebensrettende Maßnahmen – bei angedrohter Strafe! – dem Gesetz und den Vorschriften nach nicht durchführen darf.

Angesprochen wird auch die Tatsache, dass immer öfters der Notruf gewählt wird, weil Patienten so lange Wartezeiten bei Ärzten aus dem Weg gehen wollen.

Dazu kommen die Belastungen des Krankenhauspersonals, die mit immer weniger KollegInnen immer mehr Patienten betreuen müssen.

Das ist in Pflegeheimen bekanntlich nicht anders. Wo nicht selten ein Pflegeheimarzt vollkommen ausreichend wäre, wird der Notarzt alarmiert.

Diese Probleme, sagen die Autoren voraus, werden durch die längere Lebenserwartung der Menschen und den demografischen Faktor künftig noch größer werden.

Wir erfahren im Kapitel „Schwarze Manchenschaften“ (ab S. 79) von fragwürdigen privaten Einheiten wie etwa Medical Response Unit (MRU). Und erhalten im Hinblick auf NSU und den Terroranschlag auf dem Berliner Weihnachtsmarkt von Anis Amri interessante Informationen.

Es sind skandalöse Vorgänge und Tatsachen über die uns das Buch informiert. Etwa auf Seite 111: „In Berlin fuhr die Feuerwehr spätestens seit 2005 mit ihren Rettungswagen in die Einsätze, deren Ausstattung in anderen Bundesländern nur milde belächelt wurde: Ein AED-Gerät vom Typ Zoll Pro, wie es sonst in Hausarztpraxen verwendet wird, bot immerhin die Möglichkeit einer Defibrillation und einen kurzen auf die elektrische Aktivität des Herzens mit einem Ein-Kanal-EKG.“

Im benachbarten Landkreisen von Brandenburg fuhren dagegen voll ausgestattete RTW mit modernen 12-Kanal-EKG.

Währenddessen, lesen wir mit hochgezogenen Augenbrauen, „schaut man in Berlin in die sprichwörtliche Röhre und bewegte sich auf einem Niveau, das weit unterhalb der „Schnellen Medizinischen Hilfe“ der DDR lag. „Vor 1990 war es in Ost-Berlin medizinischer Standard, dass auf den Einsatzmitteln weitaus leistungsfähigere 6-Kanal-EKG vorhanden waren, es gab Beatmungsgeräte und selbstverständlich auch Medikamente. Unvorstellbar für Laien, doch tatsächlich war die Versorgung bei Notfällen im Palast der Republik 1988 deutlich besser als bei vergleichbaren Fällen 2010 am Bahnhof Zoo.“

Die Autoren stellen ab Seite 135 ihres Buches unmissverständlich fest: „So geht es nicht weiter“.

Die vielen bestehenden Probleme summieren sich. Wir lesen vor haarsträubenden Zuständen. Kompetenzschwierigkeiten. Unterschiedliche Zertifikate und behindernde Vorschriften, die den Rettern im Alltag das Leben schwermachen. Der Hut brennt!

Der Rettungsdienst sei durch Fehlentwicklungen des Föderalismus auf dem direkten Weg in eine ernsthafte Krise.

Probleme, die 2014 mit dem Notfallsanitätergesetz hätten gelöst werden sollten, haben sich sich als „klares Problem erwiesen (S.165): Solange einzelne Länder und Kreise die Möglichkeit eines Eingreifens haben, wird hiervon auch entsprechender Gebrauch gemacht. Dabei werde nicht selten zu einem Trick gegriffen, die Handlungs- oder Dienstanweisungen (SOP; dt. Standard Operating Precedure) entsprechend zu formulieren, um sich juristisch nicht angreifbar zu machen, man verzichtet lediglich auf die Bereitstellung technischer Geräte unter freundlichem Hinweis auf den Notarzt, der diese selbstverständlich mitbringen würde. Mit anderen Worten: Der NotSan (Notfallsanitäter; d. Autor) wird auf die Notwendigkeit etwa eines 12-Kanal-EKGs verwiesen, kriegt das Gerät aber trotzdem nicht.“

Im Kapitel „Was sich ändern muss“, wird noch einmal genau aufgeführt, welche Probleme es gibt und wie ihnen begegnet werden müsste.

Ein wichtiges Buch. Bei dessen Lektüre sich dem Leser nicht nur oft die Haare sträuben, sondern einen auch am liebsten die Hutschnur platzen lassen möchte. Aber Vorsicht: Denken Sie an ihr Herz!

Möglichst viele Menschen sollten dieses Buch lesen. Schließlich sind wir alle potentielle Patienten. Vor allem aber sollten unsere PolitikerInnen ihren Nasen gründlich in dieses Buch stecken und vor allem nach getaner Lektüre vor allem eines tun: „Endlich handeln!“

Wer diese Buch gründlich gelesen hat und in den letzten Jahrzehnte nicht verschlafen hat, sollte zur Einsicht kommen: Die allermeisten hier beschriebenen Probleme (jetzt mal die dem Föderalismus geschuldeten ausgenommen) haben – jedenfalls m.E. – mit der unsere Gesellschaft mehr und mehr zerstörenden Neoliberalisierung zu tun, gegen die die Politik, Lobbyisten auf den Leim gehend, nicht nur nichts unternimmt, sondern ihm sogar noch weitere wichtige Grundlagen zum Fraß überlässt. Das zu benennen hat mir im Buch etwas gefehlt. Überalterung, demografischer Wandel, Personalmangel alleine sind mir zu wenig Gründe, um die Misere zu begründen. Auch an Geld dürfte es eigentlich nicht fehlen. Beispielsweise tönt die Bundesregierung ständig, dass Nato-Zwei-Prozent-Ziel müsse unbedingt realisiert werden. Was bedeutet, dass Deutschland bis 2024 85 Milliarden Euro für Rüstung ausgeben müsste.

Freilich müsste auch mehr entsprechendes Personal ausgebildet werden. Es kann ja auf die Dauer keineswegs angehen, dass wir mehr und medizinische Kräfte aus anderen Ländern abwerben, denen sie dann in der eigenen medizinischen Versorgung fehlen.

Ausbaden müssen die Auswirkungen der im Buch beschriebene bittere Misere in diesem hier vorliegendem Fall die Patienten und das medizinische Personal, das das Menschenmögliche tut, um ihnen zu helfen.

Bleiben Sie möglichst gesund, liebe LeserInnen, aber lesen Sie das Buch und empfehlen es weiter. Das Thema ist ein großes gesellschaftliches und geht uns deshalb alle an.

Lars Winkelsdorf, Thomas Eckert

Tod oder lebendig

112 – Das skandalöse Geschäft mit dem Notruf

Erscheinungstermin: 2. September 2019
Seitenzahl: 240
Ausstattung: Klappenbroschur mit zahlreichen Abbildungen
Artikelnummer: 9783864892738

 

Preis: 18,00 Euro

Dortmund: AktionsCampus zum Aufstehen und #Würdeist-Kampagne

Vor dem Tagungslokal der Aufstehen-Aktivisten im Dortmunder Westpark. Fotos: C. Stille

Die von Dr. Sahra Wagenknecht im September 2018 initiierte Bewegung „Aufstehen“ hat nach eigenen Angaben mittlerweile 170.000 Unterstützer. Doch so richtig rund läuft es noch nicht. Selbst Oskar Lafontaine, einer der Mitinitiatoren und Ehemann von Wagenknecht schätzte kürzlich realistisch ein, da sei noch „Luft nach oben“. Er sprach auch von organisatorischen Schwierigkeiten.

Florian Kirner, Mitstreiter der ersten Stunde von Aufstehen, wollte beinahe hinschmeißen, revidierte aber seinen Entschluss zur Freude der Campus-TeilnehmerInnen

Diese Feststellung unterstrich der nicht nur davon arg genervte Florian Kirner (a.k.a. Prinz Chaos II) am Rande der Veranstaltung im Gespräch mit dem Nordstadtblogger-Berichterstatter. Kirner, Journalist, Kabarettist und Liedermacher, war eigens aus dem thüringischen Hildburghausen, wo er seit Jahren das Schloss Weitersroda, nach und nach restauriert, per Zug nach Dortmund angereist,, bewohnt. Die Zukunft von Aufstehen sah er skeptisch. Vielleicht sogar ein wenig hoffnungslos.

Florian Kirner während seiner eindringlichen Ansprache vor den Campus-TeilnehmerInnen.

Auf der Zugfahrt ins Ruhrgebiet sei ihm, dem Mitstreiter von Aufstehen der ersten Stunde, sogar der Gedanke durch den Kopf gegangen am Sonntag alles hinzuschmeißen. Gegenüber den TeilnehmerInnen des Aufstehen AktionsCampus revidierte er später zu deren mit kräftigem Applaus unterstrichener Freude und Erleichterung diesen Gedanken wieder. Kirner war einfach von der Energie und der Entschlossenheit der angereisten Menschen überwältigt.

Marco Bülow: Es gibt bundesweit 200 Aufstehen-Basisgruppen. Den Protest und unsere Position auf die Straße zu bringen ist noch nicht geschafft worden

Am Samstag dieser Woche fand im BierCaféWest in Dortmund, Lange Straße, am Fuße des Westparks ein Aufstehen AktionsCampus statt. Im Gespräch mit Nordstadtblogger sprach der Bundestagsabgeordnete Marco Bülow aus dem vorläufigen Vorstand von Aufstehen von der Existenz von bundesweit ca. 200 Basisgruppen. Allerdings teilte sich diese meistens in Stadtteilgruppen. In Dortmund gebe es viele Stadteilgruppen. Die alle unterschiedlich aktiv seien. Dennoch müsse man sagen, dass es schon relative viele aktive Gruppen gibt. Bülow: „Was wir halt noch nicht geschafft haben, ist, den Protest und unsere Position auf die Straße zu bringen. Es wird gearbeitet. Aber die richtige Entfaltung fehlt noch“.

Es hieß seitens des vorläufigen Vorstands von Aufstehen, dass man mit einer Grundsatzkampagne anfangen möchte, „die ein bisschen das Profil schärft“. Bei Aufstehen müsse es sich um die soziale Frage drehen. Die Kampagne die man starte, heiße #Würdeist und baue auf der #unten-Kampagne von Christian Baron in der Wochenzeitung „der Freitag“ auf. Da sei über die Klassengesellschaft diskutiert worden. Aufstehen, so Sabrina Hofmann, werde zunächst einmal eine Mitmach-Aktion im Internet ins Laufen bringen. Dabei sollen Definitionen gesammelt werden, was Mensch unter Würde verstünden.

Marco Bülow kündigte für den kommenden Sommer einen Aufstehen – Bundeskongress an

Sinn der Veranstaltung im BierCafé sei es vor allem, erklärte Marco Bülow, „die Leute ein bisschen zu ertüchtigen“. Und zu erörtern, was man für

Marco Bülow vom vorläufigen Vorstand von Aufstehen informiert über den Ablauf der Veranstaltung.

Aktionen, welche Kampagnen machen könne. Auch während des AktionsCampus wolle man Ideen für die #Würdeist – Kampagne sammeln, um herauszufinden, wie das Thema am Besten zu besetzen wäre. In Dortmund beispielsweise sei die Aktion zur Obdachlosigkeit – äußerst passend zum Thema Würde – gemacht worden. In der Hauptsache gehe es an diesem Samstag um Vernetzung und darum, aufzufordern, aktiv zu werden.

Zu einer nächstens geplanten Großveranstaltung befragt, nannte Marco Bülow einen ins Auge gefassten und auch durchgesetzten Bundeskongress in Berlin. Dort solle die Basis von Aufstehen auch entscheiden wie es weiter geht. Dazwischen, zeigte sich der Politiker sicher, gebe es sicher auch die eine oder andere Demo oder Kundgebung im Lande. Der vorläufige Vorstand ist zunächst einmal bis zum Sommer eingesetzt, bis die Basis im Sommer selbst bestimmt wer die Bewegung führen soll. Bülow: „Es wird Delegierte geben, denke ich mal, die die Basis aufstellt.“ Die Bewegung, in der bis jetzt alles informell gewesen sei, werde demokratisiert. Die Initiatoren hätten einen Arbeitsausschuss einberufen.

Kein Geld, nur ehrenamtliche MitarbeiterInnen und Reibereien. Spenden werden nun gesammelt

Angesprochen auf im Augenblick aufgekommene Kritik u.a. in den Sozialen Netzwerken an der schlechter Organisation innerhalb der

Florian Kirner mahnt den Beginn des Campus an.

Sammlungsbewegung, erklärte Bülow, dass bis jetzt kein Geld dafür gebe. Ehrenamtliche Leute stemmte quasi alles. Feste MitarbeiterInnen – wie in Parteien üblich – habe man eben nicht. Großes Geld hab der Verein bis jetzt nicht akquiriert können. In Sachen weiterer Demokratisierung von Aufstehen gebe es Diskussionen. Dabei sei es zu Reibungen gekommen. Einige wollten diesen Prozess beschleunigen, andere eher nicht.

Spenden würden jetzt gesammelt. Reichlich spät zwar, wie Bülow einräumte. Eigentlich wäre das Sache des Vereins. Nun betreibe man das als Vorstand.

Florian Kirners musikalische Einstimmung: „Nur zusammen wird es gehen“

Musikalisch stimmte Florian Kirner, wacker in die Saiten seines Instrument greifend, auf den AktionsCampus ein. Und zwar mit einem Lied, dessen Hauptaussage „Nur

Florian Kirner: „Nur zusammen wird es gehen.“

zusammen wird es gehen“ lautet, das als Wink mit dem Zaunpfahl verstanden werden konnte.

Marco Bülow: Aufstehen gegründet, um eine „Themenhoheit zurückzugewinnen in dieser Gesellschaft!

Marco Bülow freute sich in seiner Begrüßungsansprache auf einen guten gemeinsamen Austausch, um so Ideen zu sammeln, die die Bewegung voranbrächten. Geplant waren im nicht öffentlichen Teil der Veranstaltung verschiedene Camps, wo unterschiedliche Themen diskutiert werden sollten. Die Ergebnisse würden im weiteren Verlauf des Tages bekanntgeben und zusammengeführt. Als Abschluss war ein „Workout“ geplant, wo alle sich noch einmal miteinander austauschen können sollten.

Die Mehrheit der Bevölkerung sei in Wirklichkeit total unzufrieden mit der derzeitige Politik und wolle eine ganz andere Politik, referierte Bülow

Bülow erinnerte daran, das Aufstehen gegründet worden sei, um eine „Themenhoheit zurückzugewinnen in dieser Gesellschaft“. Viele Jahre habe man in diesem Lande erlebt, dass von Alternativlosigkeit gesprochen worden sei, „die die ganze Gesellschaft erfasst hat“. „Das in einer Zeit wo eigentlich die Soziale Marktwirtschaft abgeschafft worden ist! Wo Ungleichheit extrem groß geworden ist.“ Der Soziologe Oliver Nachtwey habe davon gesprochen, dass aus einer Aufstiegsgesellschaft eine Abstiegsgesellschaft geworden sei. Dass habe gewiss auch die Bewegung Aufstehen entstehen lassen. Marco Bülow machte klar, „dass die Menschen nicht politikmüde, sondern, dass sie frustriert sind von der Politik“. Davon was im Bundestag und in der Bundesregierung passiere. Die Mehrheit der Bevölkerung sei in Wirklichkeit total unzufrieden mit der derzeitige Politik und wolle eine ganz andere Politik. Bülow: „Das ist einerseits natürlich eine Gefährdung der Demokratie, andererseits aber auch ein Auftrag, sozusagen die Politik zu verändern.“ Diesen Auftrag wolle Aufstehen annehmen, um genau diesen Politikwechsel helfen herbeizuführen. Die Mehrheit der Menschen hierzulande sei parteilos. Es gelte, den Parteien auf die Füße zu treten, um besagten Politikwechsel ins Werk zu setzen.

Zunehmende Ungleichheit in unserer Gesellschaft wurde skandalisiert

Es hieß, es wundere einen, dass nach den letzten von Oxfam veröffentlichten Zahlen, nicht alle auf der Straße sind. Denn das reichste Prozent der deutschen Bevölkerung besäße so viel wie 87 Prozent der ärmeren in unserer Gesellschaft. Jedes fünfte Kind in Deutschland lebe in Armut. Jede zweite Rente liege unter 800 Euro. Die Würde des Menschen werde hierzulande nicht nur täglich angetastet, sondern mit Füßen getreten. Hofmann: „Wir haben uns entschieden eine Grundsatzkampagne zu starten.“ Diese baue auf der #unten-Kampagne von Christian Baron in der Wochenzeitung „der Freitag“ auf.

Alle Aufstehen-Mitstreiter sollten ihr persönliche Definition von einen würdevollen Leben kommunizieren. Hier gehe es immerhin um die Artikel 1 unseres Grundgesetzes.

Die #Würdeist-Definitionen und dementsprechende Forderungen sollten gesammelt und auch in den sozialen Netzwerken geteilt werden.

Mitstreiterin Vivienne machte auf das kleine Foto-Set aufmerksam, dass am Ende eines Korridors aufgebaut worden war. Dort könnten Campus-TeilnehmerInnen ein Porträt von sich machen lassen. Dies später mit der eigenen Würde-Vorstellung beschriften bzw. auf den eigenen Kanälen (Facebook-Aufstehen-Kanal, Twitter, Instagram posten: „Damit das ein richtiger Sturm wird.“

Steve Hudson: Eine Bewegung muss von unter her wirken und von dort auch ihre ganze Kraft beziehen

Bevor der nichtöffentliche Teil des AktionsCampus‘ begann, machte der in der Aufstehen-Bewegung sehr aktive Steve Hudson (aus Köln), Co-Vorsitzender von Labour Germany, Aktivist bei Jeremy Corbyns Momentum-Bewegung und kritisches SPD-Mitglied den Anwesenden eindrücklich klar: Eine Bewegung müsse unbedingt von unten her wirken und ihre ganze Kraft auch von dort beziehen und so nach Oben und in die Gesellschaft hineinwirken. Streitereien untereinander (etwa auf Facebook) oder gar ein verbales Herabsetzen von MitstreiterInnen seien nicht nur ungehörig, sondern auch über die Maßen kontraproduktiv. Sie könnten eine Bewegung ziemlich schnell vergiften und am Ende sogar deren Vernichtung herbeiführen.

Steve Hudson: Auf die Basis kommt es an.

Unstimmigkeiten und das dabei entstandene Gezerre solle vergessen und nach vorne geblickt werden

Den weitesten Weg nach Dortmund hatte an diesem Samstag wohl ein Aufstehen-Akivist aus Konstanz am Bodensee.

Zirka 150 TeilnehmerInnen hatten den Aufstehen AktionsCampus an diesem sonnigen Samstag im Dortmunder Westpark besucht.

Hinweis: Ein Gruppenbild via tkaleyta vom AktionsCampus findet ihr hier.

Update vom 4.3.2019: Basis TV interviewt Florian Kirner

Vivienne informiert über die #Würdeist – Kampagne.

Orga-Team des AktionsCampus.

„Warum schweigen die Lämmer?“ Rainer Mausfelds „Vortragsrenner“ nun in Buchform: Ein Leseereignis, dass zur Erweckung aus der Lethargie führen kann

Gewiss können wir uns halbwegs glücklich preisen, dass wir einem Land wie Deutschland leben. Ein Vorteil, der uns durch nichts als puren Zufall quasi in den Schoss gefallen ist. Wo Demokratie und Freiheit groß geschrieben werden. Jedenfalls im Vergleich zu vielen anderen Ländern auf dieser Welt. Groß geschrieben. Oder auch spürbar gelebt wird? Da kommen schon die ersten Zweifel auf. Zu zweifeln ist – zumindest in Maßen – gut. Marx gab seinen Töchtern auf den Weg: An allem ist zu zweifeln. Auch in Bezug auf die Beurteilung unserer Demokratie – der Demokratie überhaupt – ist Zweifel angebracht. Haben wir wirklich eine Demokratie, per definitionem eine Herrschaft (einer Mehrheit) des Volkes? Mitnichten.

Haben wir eine Demokratie?

Oskar Lafontaine etwa urteilte in einem Interview mit Tilo Jung einmal: „“Deutschland ist keine Demokratie, sondern eine Oligarchie“. Beispielsweise sind 73 Prozent der Deutschen gegen einen Militäreinsatz der Bundeswehr in Syrien (Welt-Trend). Dennoch findet er statt. Wie eine aktuelle Umfrage zeigt, befürworten 94 Prozent der Deutschen gute Beziehungen zu Russland, fast 90 Prozent wünschen sich eine von den USA eigenständige Außenpolitik. Wird diesen Meinungen der Deutschen entsprochen? Eher ist doch das Gegenteil der Fall. Das Problem: wir haben eine repräsentative Demokratie. Wir wählen also Parteien und deren (zuvor von den Parteien bestimmte, oft in Hinterzimmern ausgekungelte) Kandidaten, welche uns BürgerInnen dann im Deutschen Bundestag und den Parlamenten der Bundesländer vertreten (sollen). In der Regel geben wir WählerInnen alle vier Jahre unsere Stimme ab (sic!). Sie landet, was der Wahrnehmungs- und Kognitionsforscher Prof. Dr. Rainer Mausfeld als treffend bezeichnet findet, in der Urne.

Der Vortrag „Warum schweigen die Lämmer?“ von Rainer Mausfeld wurde auf Video aufgezeichnet mehrere hunderttausend Mal abgerufen

Rainer Mausfeld erreichte einen exorbitanten Bekanntheitsgrad, nachdem er 2015 einen Vortrag mit dem Titel „Warum schweigen die Lämmer? Psychologie, Demokratie und Empörungsmanagement“ gehalten hatte und dieser aufgezeichnet und veröffentlicht worden war. Auf You Tube ist Mausfelds Vortrag mehrere hunderttausend Mal angeschaut und von ZuhörerInnen auf diversen öffentlichen Veranstaltungen life erlebt worden. Mausfeld selbst hatte damals keinesfalls mit dieser enormen Resonanz auf den nämlichen Vortrag gerechnet.

Der Maidan-Putsch und die politische wie mediale Reaktion auf die Ukraine-Krise führte offenbar zu einem Knacks, in welchen Mausfelds Vortrag stieß

Vielleicht war die Zeit einfach reif. Immerhin war erst im Februar 2014 der Maidan-Putsch gegen die rechtmäßige ukrainische Regierung von westlichen Staaten unterstützt – vornweg den USA – über die Bühne gebracht worden. Die Abteilungsleiterin im US-Außenministerium Victoria Nuland „berichtete nach ihren mehrfachen Auftritten in Kiew stolz, dass die US-Regierung seit 1991 rund fünf Milliarden Dollar für eine ‚wohlhabende und demokratische Ukraine‘ investiert habe“ (hier ein Beitrag dazu von meinem geschätzten Kollegen Hans Springstein im Freitag). Man müsste Nulands Einlassung wohl treffender so übersetzen: „in einen Regime-Change investiert habe“. – Jedenfalls vertraute eine zunehmende Leserschaft sowie viele Nutzerinnen von elektronischen Medien in Deutschland den merkwürdig einseitigen Berichterstattung und fragwürdigen Sichten („Narrative“) bezüglich der Ukraine-Krise seither immer weniger. Es hatte gewissermaßen einen Knacks gegeben. In diesen Knacks war Rainer Mausfeld offenbar eigentlich ungewollt mit seinem Vortrag hineingestoßen.

Warum schweigen die Lämmer“ nun auch in gedruckter Form

Sicherlich zur Freude vieler Mausfeld-Fans ist nun auch ein Band mit dem Titel „Warum schweigen die Lämmer?“, Untertitel „Wie Elitendemokratie und Neoliberalismus unsere Gesellschaft und unsere Lebensgrundlagen zerstören“, bei Westend erschienen. Die Veröffentlichung dieses Bandes von Beiträgen, schreibt Rainer Mausfeld in dessen Einleitung (S. 22), „war nicht geplant“. Und weiter: „Dass er zustande kam, ist der Initiative und dem Enthusiasmus des Westend Verlags zu verdanken. Dafür und für das große Engagement, mit dem der Westend Verlag alle Phasen der Umsetzung begleitet hat, danke ich ihm sehr. Gisela Bergmann-Mausfeld, meiner Lebensgefährtin, gilt mein besonderer Dank.“

In den Band überführte Informationen liegen nun in Hülle und Fülle auf dessen Seiten vor und können in Ruhe studiert werden

Ich bedanke mich schon einmal mit Verlaub im Namen der hoffentlich vielen LeserInnen dieses Bandes bei allen Beteiligten, die dafür Sorge trugen, dass es uns nun vorliegt. Auch wenn man den Band ausgelesen hat, kann man ihn später bei speziellen Anlässen immer wieder zur Hand nehmen, um betreffs Zitaten, Literaturhinweisen etc. fündig zu werden. Rainer Mausfeld präsentierte in besagtem Vortrag viel Material, viele Anregungen, viele Daten, weiterführenden Anmerkungen viele Zitate, viele Hinweise auf Literatur – der Vortrag enthält ein Bündel von nützlichen Informationen. Musste man nun früher, wenn Sie sich für eine der vielen benutzten Abbildungen und Folien besonders interessierte, das Video anhalten, um diese zu studieren, kann man ausgewählte nun in aller Ruhe auf den jeweiligen Buchseiten zur Kenntnis nehmen.

Demokratie und Freiheit – Versprechen, von denen kaum mehr als Schatten von damit ursprünglich verbundener Hoffnungen blieben

Im Inneren des ganz in schwarz gehaltenen Einbandes bei gelber und weißer Schrift des wahren Leseerlebnisses finden wir zugleich einen zum Verständnis wichtigen Hinweis (zitiert aus Mausfelds Einleitung) „Demokratie und Freiheit. Zwei Worte, die mit unerhörten gesellschaftlichen Versprechen aufgeladen sind und gewaltige Veränderungsenergien zu deren Einlösung freisetzen können. Kaum mehr als ein Schatten ist heute von den mit ihnen ursprünglich verbundenen Hoffnungen geblieben. Was ist passiert? Wohl nie zuvor sind zwei Wörter, an die so leidenschaftliche Hoffnungen geknüpft sind, in gesellschaftlich folgenschwere Weise ihrer ursprünglichen Bedeutung entleert, verfälscht, missbraucht und gegen diejenigen gewandt worden, deren Denken und Handeln sie beseelen.“ (…) Mausfelds Beurteilung ist scharf an der Realität gemessen und fällt dementsprechend drastisch aus: „Demokratie bedeutet heute in Wirklichkeit eine Wahloligarchie ökonomischer und politischer Eliten, bei der zentrale Bereiche der Gesellschaft, insbesondere die Wirtschaft, grundsätzlich jeder demokratischer Kontrolle und Rechenschaftspflicht entzogen sind;“ (…)

Die Demokratie ist stark gefährdet

Treten wir doch ein Stück zurück und besinnen uns einmal: Wer wollte diese Maus’sche Einschätzung bestreiten? Seien wir doch ehrlich zu uns selbst: Noch nie dürfte unsere Demokratie, so unvollkommen sie unbestritten auch ist, und in Teilen wohl auch m. E. eher längst zu ein Schein- (sic!) Demokratie zugerichtet worden ist, dermaßen stark gefährdet sein wie derzeit!

H. Yuren zitiert Mausfeld in seinem Artikel im Freitag so: „nach einschätzung des professors steht die conditio humana auf der kippe. sehr bald werde etwas geschehen, das durch nichts wieder gutzumachen sein werde. mausfeld sagt, es sei bereits wesentlich später als fünf vor zwölf.“ (Kleinschreibung vom Autor)

Demokratie von vornherein so angelegt, dass sie an den bestehenden Verhältnissen nichts zu ändern vermag

Demokratie bedeutet also, dass sich die Interessen der Mehrheit durchsetzen. Ist das bei uns so? War das jemals so? Wahrnehmungs- und Kognitionsforscher Professor Rainer Mausfeld hat sich u.a. ausführlich mit der Demokratie wie wir sie kennengelernt haben beschäftigt. Und festgestellt: Schon im Mutterland der Demokratie, den Vereinigten Staaten von Amerika, war sie von vornherein so angelegt, dass sich durch sie nichts an den Machtverhältnissen ändern konnte. Das Mehrheit des Volkes mochte wählen wie es wollte, die Interessen der (Minderheit) der Reichen, der Oligarchen konnten nicht angetastet werden. Auch heute, auch bei uns, das im Grunde genommen so. Die repräsentative Demokratie hat gravierende Mängel. Das fängt ja schon bei der Auswahl und Aufstellung der KandidatInnen der einzelnen Parteien an. Auf die wir Wähler – und nicht einmal alle Mitglieder einer Partei – keinerlei Einfluss haben.

Lämmer, die perfekte Metapher, weil Opfertiere

Betreffs des Titels von Rainer Mausfelds ( zu im hier und hier mehr) Referat wie auch den nun zu erwerbenden Bandes und der Verwendung der perfeken Metapher „Lämmer“ (für die Masse des Volkes) darin etwas Geniales gelungen ist – er sozusagen damit den Nagel auf den Kopf trifft. Womöglich hat Mausfeld an da das wohl nicht ganz korrekt Brecht zugesprochene Zitat „Nur die dümmsten Kälber wählen ihre Schlächter selber“ gedacht. Wie auch immer: Lämmer – wir kennen das Adjektiv „lammfromm“ – lassen sich gut zur Schlachtbank führen und wehren sich kaum gegen ihr Hinmetzeln. Nicht umsonst, darauf wies Prof. Mausfeld kürzlich in einem Interview mit Ken Jebsen für das Format „KenFM im Gespräch“ hin, benutze man diese Tiere als Opfertiere. Und da kommt einen gleich die Frage: Wer eigentlich ist der Hirte, respektive sind die Hirten? Erst später dürfte dann auch die Frage nach dem/den „Besitzern“ der Herde aufkommen. Der/die bleiben in der Regel unsichtbar. Sollen wohl auch unsichtbar, sprich: unangreifbar sein und bleiben.

Dass wir oft hinter die Fichte geführt werden (können), hat mit der Funktionsweise unseres Gehirns zu tun

Gleich im ersten Kapitel (ab S. 23) „Warum schweigen die Lämmer? Wie sich schwerste Kriegsverbrechen und Verletzungen moralischer Normen für die Bevölkerung unsichtbar machen lassen“, das beschreibt uns der Autor ausführlich an interessanten Beispielen. Dass das geschieht und wir es oft nicht merken (können), wie wir sozusagen hinter die Fichte geführt werden (können), hat mit der Funktionsweise unseres Gehirns zu tun.

Warum also schweigen die Lämmer? „Denn“ , äußert sich Mausfeld auf Seite 58 im Kapitel Die Angst der Machteliten vor dem Volk natürlich kann man Lämmer nicht zum Sprechen bringen. Die Faszination muss also in der Metapher der Herde und es Hirten liegen. Offensichtlich spricht diese Metapher Vorstellungen etwas genauer an, die Aspekte unserer politischen und gesellschaftlichen Situation betreffen.“

Ein vielerlei Hinsichten die Augen weit öffnender Band liegt uns nun aus der Hand von Rainer Mausfeld vor

Das Gelesene mag hier und möglicherweise zu Depressionen Anlass geben. Aber es kann dennoch gleichzeitig zum (eignen) Handeln inspirieren. Schließlich sind all die in den Zeiten von Raubtierkapitalismus ins Werk gesetzten im Neoliberalismus wurzelnden Sauereien von Menschen gemacht. Und Menschen können Änderungen herbeiführen. Nichts ist also alternativlos. Gegen Ende eines seiner Vorträge in Lindau machte Rainer Mausfeld seinem Publikum einmal ausdrücklich auch Mut. Es gelte etwas zu finden „wofür wir kämpfen, nicht wogegen wir kämpfen“. Mausfeld zitierte zu diesem Behufe den weltbekannten Sprachwissenschaftler Noam Chomky:

„Was können wir tun? So ungefähr alles, was wir wollen.

Tatsache ist, dass wir in einer relativ freien Gesellschaft leben. Die ist nicht vom Himmel gefallen.

Die Freiheiten, die wir haben, wurden in harten, schmerzlichen, mutigem Kampf erstritten, aber nun haben wir sie.

Sie sind unser Erbe, das uns die Kämpfe anderer hinterlassen haben.

Es kann viel getan werden, wenn die Menschen sich organisieren, für ihre Rechte kämpfen, wie sie es in der Vergangenheit getan haben, und wir können noch viele Siege erringen.“

Die auf der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte fußenden Rechtsnormen ernst nehmen. Engagement eine jeden Einzelnen gefragt

Gegen Ende seiner Ausführungen im vorliegenden Band geht Rainer Mausfeld auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte ein, in welcher „nicht nur moralische Werte formuliert“ worden seien, „sondern zugleich auch Rechtsansprüche – mit ihr wurden Menschenrechte als fundamentale Rechtsnorm verankert.“ Nur seien wir halt „weit davon entfernt, diese Rechtsnormen auch ernst zu nehmen, weil wir es immer wieder zulassen, dass das Recht des Stärkeren diese Rechtsnormen nach Belieben außer Kraft setzen kann“. Dies Rechtsnormen müssten „auf der Basis eines fortwährenden Engagements eines jeden Einzelnen erfolgen.“

Wir hätten nur eine Chance die vor 70 Jahren deklarierte Menschenrechtserklärung „zu einer Rechtsrealität werden zu lassen, wenn wir bereit sind, nicht wegzuschauen und diese Normen entschlossen gegen die Interessen der Mächtigen zu verteidigen“.

Die Entscheidung liegt bei uns

Wollten wir, gibt Prof. Mausfeld zu bedenken, historische Erfahrungen wiederholen, „wozu der Mensch in seinem destruktiven Potentialen befähigt ist“, so hätten wir „keine andere Alternative, als die Verletzungen historisch mühsam erreichter Fundamentalnormen auch als solche zu benennen und in jedem konkreten Fall auf die Diskrepanz zwischen Anspruch und Realität aufmerksam (zu) machen.“ Rainer Mausfeld abschließend: „Die Entscheidung liegt also bei uns.“ Tönt ja gar nicht mehr so pessimistisch. Nur tun müssen wir es: Packen wir’s an, sonst packt es uns vielleicht in nicht allzu weiter ferne übel.

Erweckungserlebnis möglich

Wie schon angemerkt: Dieser Mausfeld ist ein Leseereignis. Das eine Erweckung aus der Lethargie – so weit vorhanden – bewirken kann. Allerdings wohl nur bei Leuten, die nicht in einem jahrzehntelangen eingeübten Weltbild gefangen sind.

Weitere Beiträge zu Rainer Mausfeld finden Sie hier, hier, hier, hier und hier.

Dazu auch (hinzugefügt am 13. Februar 2019):

Rainer Mausfeld

Warum schweigen die Lämmer?

Cover des Bandes via Westend Verlag.

Wie Elitendemokratie und Neoliberalismus unsere Gesellschaft und unsere Lebensgrundlagen zerstören

 

Erscheinungstermin: 201810
Seitenzahl: 304
Ausstattung: HCmSU mit zahlreiche Abbildungen
Art.-Nr.: 9783864892257

24,00 Euro

Tjerk Ridder unterwegs im Licht von Martinus: Was bedeutet den Menschen das Teilen und Solidarität heute?

Tjerk Ridder dürfte meinen Leserinnen und Lesern bekannt sein. Der niederländische Theatermacher und Musiker aus der Domstadt Utrecht hat bereits mit zwei interessanten Projekten auf sich Reden gemacht. Sie waren stets mit einer Reise verbunden. In „Trekaak Gezocht!“ („Anhängerkupplung gesucht!“) im Jahre 2010 ging es darum mit einem Campingwagen (ohne Zugfahrzeug) von Utrecht nach Istanbul zu gelangen. Der Grundgedanke dabei: Man braucht andere, um voranzukommen.

Erlebnisse und Eindrücke von unterwegs flossen in Videos, ein Buch und Bühnenprogramme ein

Ridders fünf Jahre später unternommenes zweites Projekt trug den Titel „A Slow Ride – Sporen van Vrijheid“ („Langsame Reise – Spuren der Freiheit“). „A Slow Ride – Spuren der Freiheit“ wurde eine symbolische und poetische Reise über Freiheit und Befreiung. Aber spürte auch Gefühlen der Unfreiheit nach. Tjerk Ridders Ziel: „Dich und alle unterwegs Beteiligten auf der Suche nach ihrer persönlichen Bedeutung von Freiheit zu

Tjerk Ridder mit Esel Lodewijk. Foto via Tjerk Ridder

befragen, um anschließend das eigene Erleben von Freiheit weiter zu entwickeln.“

Auf jeweils beiden Reisen entstanden Videos und Songs, welche von den Begegnungen mit Land und Leuten erzählen. Zu „Anhängerkupplung – gesucht!“ kam ein Buch heraus. Songs fanden Eingang in die jeweiligen Bühnenprogramme. Welche der Utrechter in den Niederlanden, Deutschland und im niederländischen Konsulat in Istanbul aufführte und welche auch jetzt weiter gezeigt (hier) werden.

Begleitet wurde Ridder auf der Anhängerkupplung-gesucht-Tour von einem Freund, dem Journalisten Peter Bijl, sowie seinem Hund Dachs. In „Slow Ride – Sporen van Vrijheid“ war eine kleine Kutsche ein wichtiges Transportmittel, das vom belgischen Arbeitspferd Elfie gezogen wurde.

Tjerk Ridder – In het Licht van Martinus“ mit „ezeltje Lodewijk“

Nun wirft ein weiteres Reiseprojekt von Tjerk Ridder seine Schatten voraus.

Logo der Grande Parade Saint-Martin Tours. Grafik via Stadt Tours.

Ridder wird am 1. Juli 2017 mit dem Esel Lodewijk (Ludwig) anlässlich der Internationalen Martinus-Parade in Tours in Frankreich sein.

Die Geschichte von Sankt Martin (Martinus) wird den meisten von uns gewiss geläufig sein. Sankt Martin teilte am Stadttor der französischen Stadt Amiens seinen Mantel mit einem Bettler. Seither symbolisiert die Mantel-Teilung Mitgefühl und Solidarität für viele Menschen in Europa und andernorts auf der Welt.

Eine soziokulturelle Wallfahrt entlang Martins europäischer Kulturroute möchte Tjerk Ridder unternehmen. Der Pilgerweg soll am 4. Juli 2017 von Paris aus beschritten werden. Die Reise führt über Arras, Ieper, Gent, Brüssel, Antwerpen, Bergen op Zoom und Breda nach Utrecht. Es ist geplant, dass Tjerk Ridder mit Lodewijk am 2. September 2017 auf dem Domplein ankommt. Dort soll die Heimkehr gefeiert werden.

Was bedeutet Teilen für uns?

Tjerk Ridder erforscht wiederum wie wir in unserer Gesellschaft miteinander umgehen. Was bedeutet Teilen für die Menschen in Zeiten der Veränderung? Wie ist es mit der Solidarität mit unseren Mitmenschen bestellt? Wie teilen wir gemeinsame Zeit, Wissen, Trauer, Liebe, Essen und vielleicht Eigentum? Wie sind wir sind in der Lage, miteinander in unserem täglichen Leben wirklich zu kommunizieren, wenn es um unsere eigene Nachbarschaft geht – in Europa und auf unseren Planeten? Inspiriert ist die Reise von der Tat, der Mantel-Teilung, des barmherzigen Martins. Tjerk ist einmal mehr an einem Erfahrungsaustausch über das Thema des Teilens mit Menschen, welche er auf dem Weg wird, interessiert.

Unterstützt werden kann das Projekt via Crowdfunding. Informationen auf YouTube und in den sozialen Medien

Verfolgt werden kann die Reise via eines wöchentlichen Blogs (ab dem 15. Juni jeden Donnerstag um 17:00 Uhr online auf dem YouTube-Kanal Tjerk Ridder) und auf dessen Socia-Media-Kanälen (Facebook und Twitter). Ridder wird die unterwegs gemachten Erfahrungen mit uns teilen.

Unterstützer

Die Pferdeklinik der Universität Utrecht kümmert sich tierärztliche Versorgung für „ezeltje Lodewijk“. Die Firma „Anemone – Pferde, Trucks und Triorep“ sorgt für einen guten und sicheren Transport.

Es wird gewiss wieder ein Projekt, von dem wir auf die eine oder andere Weise profitieren werden

Wir können uns also abermals auf ein interessantes Projekt – über das auch an dieser Stelle berichtet werden wird – des Künstlers Tjerk Ridder aus Utrecht freuen. Es läuft unter dem Titel „Tjerk Ridder – In het Licht van Martinus“ und kann über Crowdfunding unterstützt werden. Wer Lust hat, schreibt Ridder, kann Tjerk Ridder auf der letzten Strecke vor Utrecht begleiten.

Update vom 14. Juli 2017 Tjerk Ridders Reiseblog

Manfred Meier wurde letztlich vom System aufs Totenbett gebracht. Ein Nachruf

Manfred Meier.

Die Mauertoten an der DDR-Staatsgrenze zur BRD zählte man. Keine Frage: Jede/r Tote ist eines/r zu viel. Manfred Meier ist tot. Erst heute zu lesen auf Facebook. „Manni“ ist bereits am 12. Mai im Marienhospital zu Herne seinem Leid erlegen. Das Leben hatte ihm übel mitgespielt. Das Leben? Kaltland! Ein Schock für mich. Ich lernte den kämpferischen Zeitgenossen vor Jahren am Rande einer Veranstaltung mit Inge Hannemann in Wanne-Eickel kennen.

Die Agenda 2010 hat den Mann auf dem Gewissen. Könnte man sagen. Freilich juristisch wäre das nicht zu beweisen. Weshalb ich schreibe: die Umstände haben ihn auf den Gewissen. Gewissen? Der Neoliberalismus hat kein Gewissen. Jedoch könnte gesagt werden: Das einst von Rot-Grün installierte Agenda-System – in vorderster Linie Hartz IV – machte Manfred Meier krank. Und letztlich erschlug es ihn im übertragenen Sinne. Kalte Bürokraten wollten nicht hinnehmen, dass Meier sich gegen das System wehrte. Aber das tat er. Sicher nicht immer mit legalen Mitteln. Etwa dokumentierte Meier in Wort und Bild auf Video wie man mit ihn amtlicherseits umsprang. Das brachte ihm die Kriminalpolizei ins Haus. Später musste er sogar ins Gefängnis. Den Ämtern bis hin zum sozialdemokratischen Bürgermeister mochte er als Querulant gegolten haben. Dabei wollte Manni nur das, was in seinen Augen Unrecht war, nicht wehrlos hinnehmen. Nun hat er seinen Kampf verloren. Er ruhe sanft.

Mannis Leid (geschrieben seinerzeit von mir in der Freitag)

(…) „Manni“ Meier bewohnt eine vom Jobcenter Herne bewilligte Dachwohnung. Selbige ist schlecht isoliert. Sie besteht nur aus Außenwänden. Die Wohnung darunter ist nicht belegt. Im Winter eine Eishöhle, herrschen sommers Saunatemperaturen. Die Wohnung hat eine Gasetagenheizung. Die Heizung benötigt eine Umlaufpumpe, die mit Elektronenergie läuft. Das bedeutet quasi ständigen Stromverbrauch. Zulasten des Mieters. Die daraus resultierenden Stromkosten soll Mieter Meier nach Aussage des Jobcenters selbst berappen. (…)

Und weiter:

„Manni“ kämpft auch unterm Riesenrad auf der Cranger Kirmes

(…) „Wer nicht kämpft, heißt es, hat schon verloren. „Manni“ Meier bleibt am Ball. Am Samstag fand der traditionelle Festumzug zur

Manfred Meier auf der Cranger Kirmes.

Eröffnung der Cranger Kirmes statt. Meier hatte sich schon früh einen Platz gegenüber der Stelle gesichert, wo der Herner Oberbürgermeister Horst Schiereck (Vorstandsmitglied bei den Stadtwerken Herne) stehen würde. Schiereck dürfte es nicht gefallen haben, dass er Meiers Plakat vor die Nase gehalten bekam. Am gestrigen Sonntag dann informierte Manfred Meier Interessierte auf der Cranger Kirmis über seinen Fall. Zu dem traditionellen Volksfest strömen Tausende Menschen täglich. Nach eignen Angaben wurde „Manni“ Meier zahlreiche seiner Informationsflyer dort los.“ (…)

Sogar eine Petition mit Titel „Gerechtigkeit für Manni Leid“ wurde eingereicht. Sie blieb erfolglos.

Die Todesnachricht (verfasst von einem Freund Mannis auf Facebook)

„Sehr geehrte Damen und Herren,

ich habe leider eine sehr traurige Nachricht zu übermitteln. Auch mir, fällt dieser Moment sehr schwer. Als sehr guter Freund von Manfred Meier, sitzt der Schock noch so tief, das ich erst heute darüber schreiben kann.

Manfred Meier.

Manfred Meier ist am 12.Mai. 2017 im Marienhospital Herne verstorben. Bis zuletzt hat Manfred Meier unter sehr starken Schmerzen gelitten. Seine Herzleistung betrug zum Schluss nur noch 10 %. Er wolle nicht von Medikamenten abhängig sein und wollte sich auch von den behandeln Ärzten nicht weiter helfen lassen.

Ich habe ihn vor drei Wochen das letzte Mal gesehen. Ich habe ihn mit meiner Frau besucht. Das es

der letzte Besuch sein wird, hatte ich nicht erwartet. Manfred Meier war für mich immer ein Mensch, der alles gegeben hat. Immer gekämpft hat.

Als Meier 411 Tage kein Warmwasser und kein Strom hatte, weil das Jobcenter der Stadtwerke Herne rechtswidrig zu wenig gezahlt haben, wurde Meier krank. Erst fünf Tage vor der Gerichtsverhandlung haben die Stadtwerke ihm alles wieder aufgesperrt, damit er vor Gericht kein Anwendungsgrund mehr hatte. Diese Zeit hat Manfred sehr mitgenommen. Ich habe es schließlich miterlebt.

Sodann hat er Ende Dezember kurz vor der nächsten Verhandlung mehrere Schlaganfälle erlitten. Ich hatte ihn noch rechtzeitig in der Wohnung gefunden und konnte den Notarzt alarmieren.

Schließlich hat ihn die Haftzeit sehr mitgenommen und ihn noch kränker gemacht.

Am Ende hat es alles nichts geholfen. Manfred wollte von sich aus keine Hilfe annehmen. Er wollte nie abhängig sein von irgendjemand. Nun ist er von uns gegangen. In stiller Trauer Gedenke ich ein Kämpfer, an dem der Kampf mit Hartz 4 maßgeblich an seinem Tot mitgewirkt hat.

Du wirst immer in unseren Herzen bleiben.

In stiller Trauer

 

Heinrich Zille schrieb: „Man kann mit einer Wohnung einen Menschen genau so töten wie mit einer Axt.“ Auf Manfred Meier und viele vom System eines „Fordern und Fördern“ Betroffene bezogen – das in praxi dann nicht selten ein „Foltern“ und fragwürdiges „Fördern“ ist und nur ein Abschieben in sinnlose Bildungsangebote ohne Perspektive ist. Und somit dem ursprünglich postulierten politischen Anliegen von Rot-Grün Hohn spricht.

Foto: Petra Bork via Pixelio.de

Mit Verlaub, ich wandle das Zille-Wort ab: Man kann mit einem kaltherzigen System einen Menschen genau so töten wie mit einer Axt.  Wäre man zynisch, könnte man sagen, Manfred Meiers Ableben sei als Kollateralschaden abzubuchen.

Viele Hartz IV-Betroffene mögen die ihnen auferlegten Schikanen und die damit verbundene gesellschaftliche Zurücksetzung still leidend ertragen. Manfred Meier war nicht so. Er lehnte sich dagegen auf. Er verlor den Kampf. Die Mauertoten wurden gezählt. Zählt man auch die durch das Agenda 2010-System zu Tode gekommenen Menschen?

Onlineplattform LabourNet Germany benötigt Solidarität und finanzielle Förderung

LabourNet informiert auch über Arbeitskämpfe. Foto: Claus Stille

LabourNet informiert auch über Arbeitskämpfe. Foto: Claus Stille

Laut Selbstdarstellung der Onlineplattform LabourNet Germany handelt es dabei um einen „Treffpunkt für Ungehorsame mit und ohne Job“. Gestern nun meldete „neues deutschland“, dass dringend Solidarität und Unterstützung finanzieller Natur benötige.

Und schreibt dazu: „Es gibt auch LabourNets in sieben anderen Ländern, beispielsweise in den USA und der Türkei. Parteiunabhängigkeit gehört ebenso zu den Grundsätzen der weltweiten Bewegung wie ihr Gewerkschaftspluralismus. Auf der deutschen Plattform finden sich Texte von DGB-Gewerkschaften, aber auch von Basis- und Branchengewerkschaften. Mittlerweile bietet die Plattform LabourNet Germany über 50 000 Dateien, die täglich aktualisiert werden.“ Weiter informiert das „nd“ über die wichtige Arbeit von LabourNet: „Aber auch eigene politische Interventionen werden entwickelt und verbreitet. Aktuell bekommt die von LabourNet Germany initiierte Kampagne für die Kündigung der Tarifverträge von DGB-Gewerkschaften in der Leiharbeitsbranche unter dem Motto ‚Niedriglohn per Tarifvertrag? Schluss damit‘ viel Aufmerksamkeit.“ Nicht selten stoßen die drei Mitarbeiter an ihre Grenzen. Eigentlich müsste diese Arbeit hauptamtlich erledigt werden. Für LabourNet Germany arbeiten hoch engagiert Mag Wompel (Journalistin und Industriesoziologin
CvD, Bereich Politik / Branchen), Helmut Weiss (Übersetzer Bereich Internationales) und Susanne Rohland (Redakteurin und Webmasterin Bereich Interventionen).

Wer ist LabourNet Germany? (via LabourNet)

Nein, hinter dem LabourNet Germany steckt kein Büro voller hauptamtlicher MitarbeiterInnen, wie es viele glauben! Redaktion, das sind wir, die diese Arbeit machen und auf Spenden und Förderung (in finanzieller Hinsicht) sowie auf Zusendungen und Hinweise (in redaktioneller Hinsicht) angewiesen sind…

LabourNet Germany ist der Treffpunkt der gewerkschaftlichen Linken mit und ohne Job im weitesten Sinne – und hierbei der Ungehorsamen. Wir sind Teil jener weltweiten Labournet-Initiativen, die die positiven Seiten der neuen Technologien für emanzipative Bestrebungen nutzen – in unserem Fall Schnelligkeit, Umfang und Kontinuität von gesellschaftlicher Information, Diskussion und Aktion ermöglichen.

Unser Themenspektrum: Die Wirklichkeit der Arbeitswelt und der Gesellschaft – und die Versuche, beide zu verändern. Debatten und Aktionen innerhalb und ausserhalb der Gewerkschaften, Arbeitskämpfe, betrieblicher und sozialer Aktivitäten. Aber: Gegeninformation ist nicht der einzige Zweck von Labournet – wir arbeiten dafür, dass Menschen sich einmischen, dass solche Bestrebungen bekannt werden, sich gegenseitig vernetzen und unterstützen können. Wir organisieren selbst Solidarität und Aktionen, sei es in Groß- oder Kleinbetrieben, mit Erwerbslosen oder MigrantInnen in Billigjobs. D. h., wir verstehen uns als den breiten Zielen der globalen Gewerkschafts- und Sozial-Bewegung verpflichtet.

LabourNet Germany ist bewusst nicht unparteiisch, aber parteiunabhängig und gewerkschaftsübergreifend.

Mit rund 200 (fast) täglichen Updates im Jahr, mehr als 50.000 Dateien (mit eigener Suchoption) und mehr als 300.000 monatlichen BesucherInnen sowie über 2.300 AbonnentInnen des Newsletters werden wir, was wir sein wollen: “Ein Haus der tausend Türen” für alle progressiven Bestrebungen. Wir ersetzen keine Tageszeitung – keine Tageszeitung ersetzt uns. Wir leben von der Mitarbeit all jener rund um den Globus, die uns Material, Informationen, Stellungnahmen, Aufrufe und Berichte zusenden. Wir hoffen stets auf LeserInnen, die sich als MitarbeiterInnen begreifen!

LabourNet unterstützen und fördern

LabourNet Germany ist eine der Aktivitäten des labournet.de e.V. und dessen politischer Bildungsarbeit – neben Vorträgen, Workshops und anderen Publikationen. labournet.de e.V. Siehe dazu: Verein und Unterstützung – werde Fördermitglied des gemeinnützigen Labournet.de e.V.! Es gibt übrigens auch LabourNet TV.

LabourNet kooperiert im Rahmen des so wichtigen Projektes „Ökonomisches Alphabetisierungsprogramm“ mit dem pad-Verlag Bergkamen.

3. Roma-Kulturfestival „Djelem Djelem“ in Dortmund. Balkan-Brass-Band Fanfare Ciocârlia heizt schon am Sonntag ordentlich ein

Logo via Kulturfestival Djelem Djelem.

Logo via Kulturfestival Djelem Djelem.

Es ist kaum zu glauben, aber wahr: Das nun bereits dritte Roma-Kulturfestival „Djelem Djelem“ steht in Dortmund sozusagen in den Startlöchern. Das Festival ist ein Glücksfall für Dortmund. So sehen es inzwischen viele Menschen in der Ruhrgebietsmetropole und darüber hinaus. In der Stadt leben inzwischen zirka 8000 Roma. Das Festival bringt nicht nur hier und da ordentlich Leben in die Bude, sondern trägt auch von Mal zu Mal mehr dazu bei, die Roma und deren Kultur kennenzulernen und sich allmählich von Vorurteilen (Norbert Mappes-Niediek hat darüber geschrieben; dazu mein älterer Beitrag im Freitag) gegenüber dieser größten ethnischen Minderheit in Europa (zwischen 10 und 15 Millionen sollen es sein) zu verabschieden.

Viele unterschiedliche Menschen haben die vorangegangenen Festivals nun schon zusammengebracht. Die Dortmunder Politik lag mit der Unterstützung dieses Kulturfestivals goldrichtig. Inzwischen dächten sogar Städte wie Hagen, Gelsenkirchen und Duisburg darüber nach, sagte kürzlich Stadtdirektor und Kulturdezernent Jörg Stüdemann, das Konzept zu übernehmen und sich daran zu beteiligen.

„Djelem Djelem“ („Ich gehe“; Youtube via Boris Popovic) ist die Hymne der Roma allerorten.

Zum Festival:

Begeisterte zum Abschluss des 2. Roma-Kulturfestival in Dortmund: Esma Redzepova, die Köinigin der Roma-Musik; Foto: Claus Stille

Begeisterte zum Abschluss des 2. Roma-Kulturfestival in Dortmund: Esma Redzepova, die Köinigin der Roma-Musik; Foto: Claus Stille

Über den Ablauf und die Veranstaltungen des Roma-Kulturfestivals „Djelem Djelem“ schreibt mein Kollege Joachim vom Brocke von Nordstadtblogger.de, dessen Beitrag ich meinen Leserinnen und Lesern gern empfehle:

Podiumsdiskussion im letzten Jahr mit einer jungen Leuten. Von links nach rechts: Moderatorin Perjan Wirges, Behara Jasharaj und Jasar Dzemailovski; Fotos: C.-D. Stille

Podiumsdiskussion im letzten Jahr mit einer jungen Leuten. Von links nach rechts: Moderatorin Perjan Wirges, Behara Jasharaj und Jasar Dzemailovski; Fotos: C.-D. Stille

„Mit ganz viel Musik, aber auch mit Lesung, Diskussion, Filmabenden, einer Schauspielaufführung und etlichen Partys gibt es vom 28. August bis 11. September die dritte Auflage von „Djelem Djelem“, dem Roma-Kulturfestival in Dortmund. Zentrum des Veranstaltungsreigens ist die Nordstadt als Stadtteil, der am stärksten von Zuwanderung und kultureller Vielfalt geprägt ist.

Schon vor dem offiziellen Beginn am 2. September wird ins Programm gestartet. Im domicil an der Hansastraße ist am Sonntag, 28. August, 19 Uhr, die Balkan-Brass-Band ‚Fanfare Ciocârlia‚ zu Gast, die ‚wohl bekannteste Band aus Rumänien‘, wie Berthold Meyer“ (Theater im Depot Dortmund) versicherte“. (Links: Claus Stille)

„Nach fast 20 Jahren sind die zwölf Musiker wieder in Dortmund zu erleben, die bereits – damals noch unbekannt – das Microfestival bereicherten. Karten für 25 Euro, ermäßigt 12,50, gibt es an allen bekannten Vorverkaufsstellen.“

Zu den vorangegangen zwei Roma-Kulturfestivals „Djelem Dejlem“ lesen Sie, so Sie mögen, meine Beiträge hier und hier.