Neue Studie der Deutschen Aidshilfe beweist: Nicht die Sexarbeit an sich ist ein Problem – es braucht bessere Arbeitsbedingungen!

BesD e. V. | Berufsverband Sexarbeit

11. April 2024/in Infos vom BesD, POLITIK, Pressemeldungen/von Lilli

Quelle: Pressemitteilung des Berufsverbandes erotische und sexuelle Dienstleistungen vom 11.04.2024 (PDF-Version).


Donnerstag, 11. April 2024. In dem vom Gesundheitsministerium geförderten Forschungsprojekt untersuchte die Deutsche Aidshilfe die gesundheitlichen Bedarfe von Sexarbeiter*innen in Deutschland – die Ergebnisse wurden nun veröffentlicht: “Was brauchen Sexarbeiter*innen für ihre Gesundheit?”

Die Ergebnisse der Studie sind nicht nur für die Verbesserung der Gesundheitsvorsorge bei Sexarbeiter*innen wichtig, sondern auch für die Arbeit an politischen Lösungen von großer Bedeutung.

Insbesondere zeigt die Studie die große Bandbreite von Sexarbeit sowie die unterschiedlichen Motivationen von Sexarbeitenden.

“Das Schubladendenken von in der Sexarbeit tätigen Menschen als entweder ‘unfreiwillige Prostituierte’ oder ‘selbstbestimmte Sexarbeiter*in’ wird deutlich als Trugschluss widerlegt. Die Studienergebnisse decken die Komplexität in der Sexarbeit auf und bestätigen somit die Notwendigkeit eines differenzierten Vorgehens in der Problembekämpfung.” (Kolja-André Nolte)

Der BesD begrüßt die partizipative Umsetzung der Studie, in deren Rahmen einer zentralen Forderung der Hurenbewegung – „Redet mit statt über uns“ – nachgekommen wurde: Endlich gibt es eine umfangreiche Untersuchung, die wissenschaftlichen Standards entspricht und Sexarbeitende mit einbezieht.

Positiv hervorzuheben ist außerdem die Auswahl und Diversität der Fokusgruppen.

Die Aidshilfe hat sich bewusst mit jenen Kolleg*innen beschäftigt, die unter teils prekären Bedingungen der Sexarbeit nachgehen und oftmals schwer zu erreichen sind. Es wurden unterschiedliche soziale und ethnische Herkünfte, sowie erstmals in dieser Größenordnung auch Sexarbeitende aller Geschlechter befragt.

Als Kernprobleme wurden von den Betroffenen Gewalterfahrungen und Angst vor Gewalt, finanzielle und existenzielle Not, psychische Belastung in Zusammenhang mit erlebter Stigmatisierung sowie Kriminalisierung und fehlende Legalität identifiziert.Die „elf Empfehlungen zur Verbesserung der Lebens-, Arbeits- und Gesundheitsbedingungen von Sexarbeiter*innen“ unterstützt unser Verband zu 100%.

Die Befragten bewertetem nicht ihre Tätigkeit – die Sexarbeit – als Problem; sie kritisierten aber die teilweise schlechten Bedingungen, unter denen sie arbeiten (müssen).

Die in der Studie beschriebene zunehmende Nachfrage nach Sex ohne Kondom kann der BesD leider bestätigen. Der Zwang zum illegalen Arbeiten sowie eine geringere Nachfrage führten insbesondere während der Corona-Arbeitsverbote dazu, dass auch Kundschaft und Wünsche angenommen werden mussten, die sonst abgelehnt werden. Dies belegt auch eine Untersuchung des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen: “Nordisches Modell auch in der Mitte Europas? – Auswirkung der Corona-Pandemie im Bereich der Prostitution”

Die Studie weist  nach, dass Illegalisierung sowie Stigmatisierung starke psychische Belastungen auslösen und somit gesundheitsschädigend sind.

Ebenfalls stellte sich heraus, dass Personen außerhalb des mann-männlichen Sexarbeitsspektrums über die Schutzmethoden PreP bzw. Pep nicht ausreichend aufgeklärt sind. Hintergrund sind zum einen die mangelnde Aufklärung und zum anderen die Frage der Kostenübernahme. Die Angebote werden hier nun verstärkt.

Die beiden untersuchten Sondergesetze sieht auch der BesD kritisch: Wir halten die Anmeldepflicht laut Prostituierten Schutz Gesetz für den falschen Ansatz, um Sexarbeitende zu schützen. Wir sprechen uns für eine vollständige Abschaffung der Sperrbezirksverordnungen sowie für eine Vereinfachung der baurechtlichen Genehmigungsverfahren für Prostitutionsstätten aus – es handelt sich dabei um sichere Arbeitsplätze.

 „Wir sehen in dieser Studie eine solide Basis, um die aufgeheizte Diskussion bezüglich neuer Regelungen und Gesetze für die Sexarbeit zu versachlichen.“ (Johanna Weber)


Ihr Kontakt für Nachfragen:
Politische Sprecherin | Johanna Weber | johanna.weber@besd-ev.de | 0151 – 1751 9771
Pressesprecher | Kolja-André Nolte | kolja.nolte@besd-ev.de | +49 1577 7555040

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Beitragsfoto/Repro: Prostituierte in der Dortmunder Linienstraße, gemalt von Bettina Brökelschen

Dortmund hat kompetente Organisationen, die Sexarbeiter*innen wertschätzend beraten – Warum tritt jetzt SISTERS e.V. auf den Plan?

Kürzlich stutzte ich, als ich auf dem Blog Nordstadtblogger.de folgendes las:

„In Dortmund hat sich eine Ortsgruppe des bundesweit agierenden Vereins „SISTERS – für den Ausstieg aus der Prostitution e.V.“ gegründet. Kernaufgaben der neu gegründeten Ortsgruppe ist nach eigener Aussage die „Aufklärung über und Sensibilisierung für das gewaltvolle System der Prostitution in Deutschland“ sowie die Bereitstellung von Informationen über das sogenannte „Nordische Modell“. (Hier der Link zum Beitrag)

Weshalb machte sich diese Gründung nötig? Das erschließt sich mir nicht. In Dortmund gibt es seit Jahren gute Hilfsangebote für Sexarbeiter*innen.

Was auch Mechthild Eickel in ihrem Leserbrief auf den Artikel zum Ausdruck bringt:

„In Dortmund sind drei sehr kompetente Organisationen, die Sexarbeiter*innen wertschätzend beraten: die Dortmunder Mitternachtsmission, die Beratungsstelle KOBER und das Projekt “neonlicht” der Aidshilfe. Sie erschließen auch Wege zur beruflichen Umorientierung, wenn das gewollt und gewünscht ist. Die Dortmunder Mitternachtsmission berät und betreut zudem seit langen Jahren Opfer von Menschenhandel und war maßgebend daran beteiligt, ein Netz solcher Beratungsstellen in NRW aufzubauen. Etwas seltsam, dass “Sisters” meint, hier so dringend gebraucht zu werden. Bin sehr gespannt, ob über die Propaganda für das “Nordische Modell” hinaus von ihnen was zu bemerken sein wird.“

Sexarbeiterin in der Dortmunder Bordellstraße macht Pause. Repro eines von Bettina Bröckelschen geschaffenen Bildes.

Apropos „Nordisches Modell“ bzw. „Schwedisches Model“ äußerte der Dortmunder Kriminalkommissar a. D. Heiner Minzel auf einer Veranstaltung, welche ich vor einiger Zeit besuchte, zum „Schwedischen Modell“: „Was Schweden macht – und das sage ich ganz deutlich – ist ein Treiben der Prostitution ins Dunkelfeld“. (Hier mein damaliger Bericht über die Veranstaltung)

Auszug aus meinem Bericht:

„Kriminalkommissar a. D. Heiner Minzel schüttelte mit dem Kopf: Es sei schon gewagt, Deutschland als das Bordell Europas darzustellen. Die Polizei in der BRD hätte schon genügend Möglichkeiten – auch im Bereich Rotlicht – einzugreifen. Es brauche allerdings eine ständige Kontrolle und Ermittlungsdruck. „Weil sich im Rotlichtbereich viele Subjekte sammeln.“ Er wandte überdies ein: Auch Männer übten Prostitution aus. Die Stadt Dortmund stehe in Nordrhein-Westfalen mit dreizehn Strafverfahren an erster Stelle, was die Ahndung von Menschenhandel anbelangt. Zum „Nordischen Modell“ sagte Minzel: „Was Schweden macht – und das sage ich ganz deutlich – ist ein Treiben der Prostitution ins Dunkelfeld.“ Kein Opfer werde man finden, das als Hure eine Vergewaltigung anzeige. „Was nicht sein darf, wird auch nicht angezeigt.“

In Dortmund hat sich das „Dortmunder Modell“ bewährt. Aus meinem Bericht: „Zwecks Gefahrenabwehr und zur Strafverfolgung. Im Hinblick auf illegalen Aufenthalt, Straftaten wie Menschenhandel oder auch Zuhälterei. In der ganzen Stadt Dortmund werde diesbezüglich seit Jahren ein Kontrolldruck ausgeübt. Es finde im Rahmen des Dortmunder Modells eine Zusammenarbeit mit den Ordnungsbehörden, der Staatsanwaltschaft aber auch mit den Bordellbetreibern statt. „Von daher gab es über die Jahre ein gewachsenes Miteinander“, sagte der pensionierte Polizist. Straftaten wie Menschenhandel oder Zuhälterei kämen nur noch in einem sehr geringen Maße vor. „Ausrotten wird man das nicht können“, gab Heiner Minzel zu bedenken. „Aber durch die Kooperation mit dem Runden Tisch Prostitution“ habe sich eine “fast entspannte“ Situation entwickelt.“

Um was also geht es SISTERS? Wirklich ums Helfen? Oder soll vorrangig geworben und Druck gemacht werden, das „Schwedisches Modell einzuführne“? Beziehungsweise hat der Verein im Hinterkopf, Sexarbeit vielleicht in letzter Konsequenz den Garaus zu bereiten? Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Schaut man nämlich auf dem Internetauftritt von SISTERS, wer da vorne mit dabei ist, stößt man auf eine der üblichen Verdächtigen: Leni Breymaier. Sie ist seit 2017 Mitglied des Deutschen Bundestages für die SPD. Und seit vielen Jahren frauen- und sozialpolitisch aktiv.

Breymaier und 16 weitere Bundestagsabgeordnete waren sich nicht zu schade, die für Sexarbeiter*innen eh schon prekäre Corona-Zeit zu nutzen, um ein dauerhaftes Sexkaufverbot zu fordern. Da fiel wir Folgendes wieder ein:

Lilly hat seinerzeit für den BesD e.V. (Bundesverband erotische und sexuelle Dienstleistungen) eine entsprechende Reaktion in Worte gefasst:

Ein paar Abgeordnete aus den Reihen der SPD und CDU/CSU fordern ein Sexkaufverbot – so weit, so altbekannt. Doch der aktuellste Vorstoß gegen die

Rechte von Sexarbeiter*innen geht weiter unter die Gürtellinie als gewohnt. In dem von 16 Bundestagsmitgliedern gezeichneten Brief an die deutschen Ministerpräsident*innen, wird Prostitution „die Wirkung eines epidemiologischen Super-Spreaders“ zugeschrieben.“ (Auszug) Den gesamten Beitrag finden Sie hier.

Wie schrieb doch die oben zitierte Nordstadtblogger-Leserin, welcher ich mich diesbezüglich mit entsprechender Neugier anschließe: „Bin sehr gespannt, ob über die Propaganda für das “Nordische Modell” hinaus von ihnen was zu bemerken sein wird.“

Zum Thema finden Sie hier, hier und hier weitere Beiträge.

Prostitutionsgegner – die üblichen Verdächtigen – springen nun wieder wie Kai aus der Kiste

Kaum war die Corona-Krise vor Monaten ins Bewusstsein der Leute geraten, witterten die üblichen Verdächtigen unter den Prostitutionsgegner*innen Morgenluft. Sogar eine kleine Gruppe aus Bundestagsabgeordneten versuchte in den Wirren der Corona-Krise ein dauerhaftes Sexkaufverbot einzuführen – ein taktloser Angriff mitten in der Katastrophe für Sexarbeiter*innen, fand nicht nur der BesD e.V. (Bundesverband erotische und sexuelle Dienstleistungen).

Aktivistin Lilly hatte für den BesD e.V. eine entsprechende Reaktion in Worte gefasst:

„Ein paar Abgeordnete aus den Reihen der SPD und CDU/CSU fordern ein Sexkaufverbot – so weit, so altbekannt. Doch der aktuellste Vorstoß gegen die Rechte von Sexarbeiter*innen geht weiter unter die Gürtellinie als gewohnt. In dem von 16 Bundestagsmitgliedern gezeichneten Brief an die deutschen Ministerpräsident*innen, wird Prostitution „die Wirkung eines epidemiologischen Super-Spreaders“ zugeschrieben .

Zu deutsch: Sexarbeiter*innen, die in weit größerem Maße mit Infektionsschutz und Hygiene vertraut sind, als Mitarbeiter*innen anderer Branchen, werden als Virenschleudern diffamiert.

Der für die Zeit der Corona-Krise verhängte Shutdown soll – geht es nach den Vorstellungen einzelner Abgeordneter – für die Branche der Sexarbeit auf unbegrenzte Zeit verlängert werden und in ein Totalverbot der Prostitution in Deutschland münden. Ein solcher Angriff zu einer Zeit, in der sämtliche Branchen finanziell erschüttert sind und Sexarbeitende zu den größten Verlierer*innen der Krise gehören, wird bereits –> aus den eigenen Reihen kritisiert und empört nicht nur –> die politische Opposition, sondern auch uns als Berufsverband.“ (hier mein Beitrag dazu).

Prostituierte in der Dorrtmunder Linienstraße. Gemalt von Bettina Brökelschen/Repro Bettina Brökelschen

Dieser Anschlag – wie ich es einmal bezeichnen will – auf die Prostitution misslang.

Viele Menschen in der Unterhaltungsbranche, der Gastronomie sowie im Einzelhandel hatten die Sexarbeiter*innen in der Zeit des Lockdowns jedoch eine prekäre Zeit. Der BesD e.V. hat einen Corona-Hilfsfonds eingerichtet und sich später dann vehement dafür eingesetzt, dass Prostitutionsbetriebe unter Einhaltung speziell zu erarbeitender Hygiene-Vorschriften wieder öffnen und Sexarbeiter*innen ihre Erwerbsarbeit aufnehmen dürfen. In einigen Bundesländern ist das gelungen und funktioniert gut.

Prostituierte in der Dortmunder Linienstraße. Gemalt von Bettina Brökelschen/Repro Bettina Brökelschen

Nun, da die Corona-Infektionszahlen wieder steigen (es wird ja auch mehr getestet) und Politik und Medien wieder Angst und Panik schüren, kommen die Prostitutionsgegner wie Kai, der Kasper, abermals aus ihrer Kiste gesprungen. Wohl, um in ihrem Werk, der Prostitution den Garaus zu machen, fortzufahren.

Mit dabei die üblichen Verdächtigen: etwa Terre des Femmes e.V., ein Verein, der dafür bekannt ist zu den absoluten Hardlinern unter den Prostitutionsgegnern zu gehören.

Bundesweit sollen in der Woche vom 23. bis 30. Oktober Proteste stattfinden

Menschenrechtsorganisationen, Initiativen, Bürgerinnen und Bürger werden in sehr vielen Deutschen Städten und in allen deutschen Bundesländern auf die Straße gehen und gegen diese Absurdität zu demonstrieren. So auch am kommenden Sonnabend in Dortmund.

Während der Corona-Pandemie, so Terre des Femmes, werde an die Bürger*innen appelliert, ihre Kontakte und Reisen einzuschränken. Und weiter:

Die Ausbreitung des Virus hängt direkt an der Zahl der Kontakte ab.

Warum werden gerade jetzt, wo die Corona-Infektionszahlen drastisch steigen und einen Höchstwert erreichen, die Bordelle eins nach dem anderen wieder geöffnet? Wir machen uns große Sorgen um die Frauen, die nun, zusätzlich zu dieser krank machenden Tätigkeit, im hohen Maße einer gefährlichen Infektion ausgesetzt werden.

Wie kann es sein, in Zeiten, wo man sich die Hand nicht geben soll, Freier das Recht gegeben wird, Frauen weiterhin zur sexuellen Benutzung zu kaufen und sie mit ihrem Geschlechtsteil zu penetrieren? Man braucht kein Studium der Medizin, um zu verstehen, dass hier die AHA-Regeln nicht eingehalten werden können.

Die Wiedereröffnung der Prostitutionsstätten und die Legalisierung von Sexkauf lassen jede Corona-Verordnung und jeden Appell an die Bürger und Bürgerinnen absurd erscheinen.

Szene in der Dortmunder Linienstraße Foto via B. Brökelschen

Deswegen werden bundesweit in der Woche vom 23. bis 30. Oktober Proteste stattfinden. Menschenrechtsorganisationen, Initiativen, Bürgerinnen und Bürger werden in sehr vielen Deutschen Städten und in allen deutschen Bundesländern auf die Straße gehen und gegen diese Absurdität zu demonstrieren. Sie fordern folgendes:

Schließt die Bordelle!

Schützt die Frauen! 

Stellt Ihnen Mittel zum Ausstieg bereit!

Bestraft die Freier!

Führt das Nordische Modell ein!

Die Corona-Pandemie hat die katastrophalen Zustände in der Prostitution deutlich gemacht. Viele prostituierte Frauen haben weder eine Wohnung, eine Krankenversicherung, noch finanzielle Rücklagen. Sie sind ständiger psychischer und körperlicher Gewalt ausgesetzt, deren Folge oft posttraumatische Belastungsstörungen sind. Sie müssen sich prostituieren, um überleben zu können, weil Alternativen und Unterstützung fehlen. 

Bordellbetreiber und Freier wissen die Notlagen der Frauen für sich zu nutzen. Sie lassen sich horrende Mieten zahlen, während die Freier riskante Praktiken (z.B. ungeschützten Verkehr) von den Frauen verlangen. Die Freier gefährden nicht nur die Frauen in der Prostitution, sondern auch ihre Familien und Bekannten. Und letztendlich sind sie auch ein Zündstoff für ein zweites Lockdown und damit ein mögliches Kollabieren unserer Wirtschaft.

Anstatt Frauen flächendeckende und aus Steuern finanzierte Ausstiegshilfen zu bieten, öffnen die Bundesländer die Bordelle wieder. Die Hygiene-Konzepte, mit denen die Profiteure des Systems Prostitution bei den Verwaltungsgerichten ihre Betriebsverbote aufgehoben haben, sind äußerst fragwürdig und werden von ihnen sowieso nicht umgesetzt. Es ist absurd zu denken, dass Freier ihre Kontaktdaten angeben oder sich an eine Maskenpflicht halten. Ein kurzer Blick in Freier-Foren bestätigt das. Auch ist nicht nachvollziehbar, warum Freier Frauen gegen Geld in jegliche Körperöffnungen penetrieren dürfen, während die Bevölkerung Mindestabstände und die Maskenpflicht einzuhalten hat.

Deutschland hat sich mit seinen Prostitutions-Gesetzgebungen von 2002 und 2017 zum Bordell Europas gemacht und somit Menschenhändlern und Zuhältern Tür und Tor geöffnet.

Heute fordern wir, die Bordelle bundesweit wieder zu schließen, die Frauen zu schützen, ihnen Mittel für den Ausstieg bereitzustellen, die Freier zu bestrafen und auch für die Zeit nach der Pandemie die deutsche Prostitutionspolitik in Richtung „Nordisches Modell“ zu ändern, da Deutschland hinter den europäischen Empfehlungen in diesem Bereich zurückbleibt.“

Quelle: Simone Kleinert

Koordinatorin Städtegruppe Dortmund

Morgen soll in Dortmund an der Katharinentreppe gegenüber dem Hauptbahnhof ab 11 Uhr ein Aktionstag von Terre des Femmes stattfinden. Sozialarbeiterinnen lehnen eine erneute Schließung der Prostitutionsstätten ausdrücklich ab.

Näheres zum Thema Prostitution lesen Sie bitte in meinen früheren Beiträgen: hier, hier, hier, hier, hier, hier und hier.

Lesen Sie dort auch etwas über das Dortmunder Modell und über Argumente – auch aus den Reihen der Polizei – warum das Nordische Modell eher kontraproduktiv und sogar lebensgefährlich für die Sexarbeiter*innen ist. Man wünschte sich, Terre des Femmes, hätte mal ein Aha-Erlebnis …

Sexarbeiter*innen und Bordellbetreiber*innen fordern ein Ende des Berufsverbots. Protest am 3. Juli vor dem Deutschen Bundesrat

via Bettina Bröckelschen (Malerin, Dortmund)

Termin: 3.Juli – 11:00 Uhr – Bundesrat, Leipziger Straße 3-4, 10117 Berlin


Am 03.07. ist der letzte Sitzungstag des Bundesrates vor der Sommerpause. Die Sexarbeitsbranche steht immer noch unter Arbeitsverbot und braucht eine Perspektive. Deshalb protestiert der Berufsverband für Sexarbeiter*innen (BesD e.V.) gemeinsam mit dem Bundesverbands für Betreiber*innen (BSD e.V.) vor dem Deutschen Bundesrat.

In Deutschland profitieren bereits nahezu alle Branchen von Corona-Lockerungen. Unter anderem durften Friseurläden, Massagesalons, Kosmetikstudios, Tantrainstitute, Fitnessstudios, Tattooläden, Saunen, Gaststätten und Hotels wieder öffnen und je nach Bundesland sind Veranstaltungen mit mehr als 50/100/300 Personen wieder erlaubt. Ungeachtet dessen, dauert die Schließung der Prostitutionsstätten deutschlandweit weiter an.

Dieser fortwährende Lock-Down erscheint angesichts der Entwicklungen in anderen Branchen unverständlich:

  • Sexarbeit findet in der Regel in einem 1:1 Kontakt zwischen Sexarbeiter*innen und Kund*innen statt. Sowohl der BesD e.V. als auch der BSD e.V. haben in Zusammenarbeit mit Gesundheitsämtern Hygienekonzepte für die Sexarbeit innerhalb (z.B. Apartmenthaus, Bordell, Laufhaus) und außerhalb (z.B. Escort, Straßenstrich) von Prostitutionsstätten erarbeitet.
  • Es ist nicht nachvollziehbar, dass Corona-Schutzmaßnahmen zwar in einem Massagesalon, aber nicht in einem Bordell umsetzbar sein sollen. Prostitutionsstätten
    unterliegen besonders rigiden Auflagen und sind verpflichtet, den bei ihnen tätigen Sexarbeiter*innen ein geschütztes, hygienisches Arbeitsumfeld zu bieten.

Während Nachbarländer wie die Schweiz, Belgien, Österreich, Tschechien und die Niederlande Sexarbeit bereits insgesamt wieder erlaubt haben, bietet die hiesige Politik keine Perspektiven für die Wiedereröffnung von Prostitutionsstätten und beraubt damit den Großteil der Sexarbeitenden ihrer Arbeitsplätze.

Entgegen der Behauptungen von Prostitutionsgegner*innen ist die Corona-Krise keine „Chance“ für die Einführung eines Sexkaufverbots und damit die Illegalisierung einer gesamten Branche. Sondern vielmehr eine Gelegenheit die Gemeinsamkeiten von Sexarbeit mit anderen Branchen zu erkennen und stigmatisierende und ineffektive Sondergesetze wie das ProstituiertenSchutzGesetz abzuschaffen.

Quelle: BesD e.V, Johanna Weber, politische Sprecherin

Beitragsbild: via BesD e.V.

 

Empörend: Eine kleine Gruppe aus Bundestagsabgeordneten versucht in den Wirren der Corona-Krise ein dauerhaftes Sexkaufverbot einzuführen – ein taktloser Angriff mitten in der Katastrophe für Sexarbeiter*innen

Lilly hat für den BesD e.V. (Bundesverband erotische und sexuelle Dienstleistungen) eine entsprechende Reaktion in Worte gefasst:

Ein paar Abgeordnete aus den Reihen der SPD und CDU/CSU fordern ein Sexkaufverbot – so weit, so altbekannt. Doch der aktuellste Vorstoß gegen die

Grafik via BesD e.V.

Rechte von Sexarbeiter*innen geht weiter unter die Gürtellinie als gewohnt. In dem von 16 Bundestagsmitgliedern gezeichneten Brief an die deutschen Ministerpräsident*innen, wird Prostitution „die Wirkung eines epidemiologischen Super-Spreaders“ zugeschrieben .

Zu deutsch: Sexarbeiter*innen, die in weit größerem Maße mit Infektionschutz und Hygiene vertraut sind, als Mitarbeiter*innen anderer Branchen, werden als Virenschleudern diffamiert.

Der für die Zeit der Corona-Krise verhängte Shutdown soll – geht es nach den Vorstellungen einzelner Abgeordneter – für die Branche der Sexarbeit auf unbegrenzte Zeit verlängert werden und in ein Totalverbot der Prostitution in Deutschland münden. Ein solcher Angriff zu einer Zeit, in der sämtliche Branchen finanziell erschüttert sind und Sexarbeitende zu den größten Verlierer*innen der Krise gehören, wird bereits –> aus den eigenen Reihen kritisiert und empört nicht nur –> die politische Opposition, sondern auch uns als Berufsverband.

Und weiter führt sie aus: hier.

Sie schließt mit folgenden Sätzen:

Es ist ganz klar, dass die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie von allen Branchen ernst genommen werden müssen. Wenn das für eine Zeit lang den Verzicht auf vollständig anonyme sexuelle Begegnungen bedeutet, ist das einem länger andauernden generellen Verbot der Sexarbeit auch aus gesamtgesellschaftlicher Sicht unbedingt vorzuziehen.

Hier zeigt sich auch wieder deutlich, dass das oberste Ziel ein Abbau der Stigmatisierung von Sexdienstleistenden und ihren Kunden und Kundinnen sein muss. Die gesellschaftliche Integration von Menschen in der Sexarbeit würde auch dazu führen, dass die Beteiligten am Tausch von Sex gegen Geld nicht aus Scham oder der berechtigten Angst vor Diskriminierung versuchen, ihre Identität zu verschleiern.

Josepha Nereus hat dazu umgehend ein Videostatement produziert:

Beitragsbild: via Bettina Bröckelschen, Malerin aus Dortmund.

 

Das sind die 16 Abgeordneten, die ein Sexkaufverbot fordern. Darunter traurigerweise eine Gewerkschafterin (!) und unser „Karlchen Überall“ Karl Lauterbach. Beide SPD (!)

  • Gewerkschafterin Le­ni Breymaier (SPD)
  • Vizechef der Unionsfraktion und ehemalige Gesundheits­minister Hermann Gröhe (CDU)
  • Mediziner Karl Lauterbach (SPD)
  • Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU), Sprecherin der Arbeitsgruppe Recht und Verbraucherschutz
  • Katja Isabel Leikert (CDU)
  • Annette Widmann-Mauz (CDU), Beauftragte der Bundesregierung für Migration
  • Theologe Frank Heinrich (CDU)
  • Rechtsanwalt Johannes Fechner (SPD)
  • Finanzwirtin Antje Tillmann (CDU)
  • Jurist Volker Ullrich (CDU)
  • Michael Brand (CDU), Schwerpunkt Sterbebegleitung, Ausbau Palliativmedizin
  • Martin Patzelt (CDU), ehem. OB von Frankfurt
  • Tierärztin Maria Flachsbarth (CDU)
  • Methild Heil (CDU), Vorsitzende des Ausschusses für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommunen
  • Soziologin Yvonne Magwas (CDU)
  • Rechtsanwalt Marc Henrichmann (CDU)

Unter diesem Link finden Sie auch den Brief dieser Parlamentarier an die Ministerpräsidenten.

Wie Sexkaufgegner*Innen Politik betreiben, die Abhängigkeit und Zwang befördern, schreibt TAMARA SOLIDOR (Update vom 23. Mai 2020)

Zu ihrem Artikel geht es hier.

 

 

Wie weiter mit der Sexarbeit nach Corona? Das fragt sich die Bloggerin und Journalistin Ariane

Grafik via BesD e.V.

Kürzlich hatte ich mich hier dieser Stelle mit der prekären Situation von Sexarbeiter*innen beschäftigt. Sie sind – wie so viele andere Menschen auch – durch die Corona-Krise in Nöte gekommen („Die Corona-Krise hat auch Sexarbeiter*innen in die Bredouille gebracht – BesD e.V. hat Corona Notfallfonds ins Leben gerufen“).

Auf nuttenrepublik.com hat sich die Bloggerin und Journalistin und Pressesprecherin des BesD e.V., Ariane, nun schon einmal Gedanken über die „Sexarbeit nach Corona“ gemacht.

Sie schreibt:

„Wenn ich an meine Kolleg:innen denke, die an der Strasse arbeiten; die als Migrant:innen fortwährend Rassismus und Diskriminierung ausgesetzt sind, die trotz Corona weiterarbeiten (müssen), um ihren Kühlschrank voll zu machen bzw. gar keinen Kühlschrank haben, weil sie wohnungslos sind; Drogen gebrauchende Sexworker oder Sexworker ohne Papiere, ohne gültige Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis, die alle keine Ansprüche auf staatliche Leistungen geschweige Hartz IV und sog. Corona Soforthilfe haben. Die bitter arm sind und tagtäglich ums nackte Überleben kämpfen. Die keinen Zugang zu Gesundheitsschutz haben.

Für die ist der BESD Nothilfe Fonds gedacht, wo wir weiterhin um Spenden für Sexworker in Not bitten. Fallgeschichten finden sich ebenfalls auf unserer Website.“

Foto via B. Bröckelschen, die Dortmunder Künstlerin die das reproduzierte Bild gemalt hat.

Und sie fragt sich nun wie es nach Corona mit der Sexarbeit weitergehen soll:

„Die strukturelle Ungleichheit der Gesellschaft, die sich in der Sexarbeit widerspiegelt und die einen in „Privilegierte“ klassifiziert, die Mehrheit der informellen und marginalisierten Sexarbeiter:innen meist aus dem Diskurs ausschließt, muß weg. Wo sich im Falle dieser Krise die Machtverhältnisse zwischen den sozialen Klassen verschärfen. Die Mehrheit kennt auch ihre Rechte nicht und haben keinen Zugang zu Informationen. Die sitzen nicht den lieben langen Tag mit Notebook am aufgeräumten Schreibtisch und surfen unbeschwert durch das Internet.“

Sorgen und macht ihr, dass nun bereits auch wieder – wie ich es nicht anders bezeichnen kann: die üblichen Verdächtigen, die Prostitutionsgegner*innen, Morgenluft wittern, aus ihren Schützengräben springen und wohl hoffen, nach Corona der Sexarbeit den Garaus zu machen. Ariane schreibt weiter:

Gerade wurde wieder einmal ein WELT Interview mit Lea Ackermann, eine Prostitutionsgegnerin, veröffentlicht, wo sie den Berufsverband BESD mal wieder als „Zuhälterlobby“ öffentlich verunglimpft hat. Ich hab nicht nur als Pressesprecherin und Vorstand des BesD die Faxen dicke. Seit sehr vielen Jahren höre ich mir das an und ich denke, es ist an der Zeit sich dagegen zu wehren. Auch mit juristischen Mitteln. Was denkt Ihr?

Ich teile vieles an der Kritik von Prostitutionsgegner:innen, wenn es um die Beschreibung der sozialen Realitäten geht. Aber die Schlussfolgerungen sind bei mir völlig andere und ich habe mir dazu ja etliche Jahre das Hirn zermartert, weil ich alle Lebenswirklichkeiten anerkenne.“

Ariane gibt abschließend zu bedenken:

Hurendemo 2011 in Dortmund. Foto: C. Stille

Nach Corona werden die Forderungen nach einem Sexkaufverbot wieder lauter und wir müssen uns deshalb auch gegen solche öffentlichen Diffamierungen wehren.“

Die Corona-Krise hat auch Sexarbeiter*innen in die Bredouille gebracht – BesD e.V. hat Corona Notfallfonds ins Leben gerufen

In Zeiten der Corona-Krise kommen viele Menschen in Existenznöte. Besonders schwer betroffen ist der Einzelhandel, die Gastronomie, Kunst- und Kulturschaffende sowie Freischaffende. Ebenfalls, darauf machten heute früh die Nachrichten des Radiosenders COSMO aufmerksam, hart getroffen hat es Prostituierte. Das sei, hieß es, aus Pressemitteilungen von Interessenvertretungen von Sexarbeiter*innen hervorgegangen.

Hintergrund

Aufgrund der Verordnungen zur Corona-Krise wurden auch Prostitutionsstätten geschlossen. Da die Prostituierten nachdem neuesten

Foto via B. Bröckelschen. Foto: Bettina Brökelschen (von einem von ihr gemalten Bild)

Prostituiertenschutzgesetz nicht in den Zimmern, die der Ausübung der Prostitution dienen, schlafen dürfen – wie das früher oft der Fall gewesen war – haben sie sich Zimmer gemietet. Für deren Miete dürften sie allerdings bald kein Geld mehr haben. Ebenso wenig für nötigen Lebensmittel. In noch schlimmerer Lage sind diejenigen Prostituierten, die auf der Straße gearbeitet haben.

Nicht wenige Sexarbeiter*innen kommen aus osteuropäischen Ländern. Manchen von ihnen hat gewiss nun auch das Geld für Tickets gefehlt, um mit Bus oder Flugzeug in ihrer Heimat zurückzugelangen. Ein weiteres Problem: viele Ländern lassen niemanden mehr ins Land. Darüber hinaus bricht nun die finanzielle Unterstützung für die Familie daheim weg.

Auf der Webseite vom Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen e.V. (BesD) lesen wir:

Übernachtungsverbot in Prostitutionsstätten aufgehoben für die Corona-Zeit

von Johanna Weber, politische Sprecherin

„Verschiedene Meldungen gingen vor einer Woche fast parallel bei uns ein. Auf der einen Seite diverse Anfragen von wohnungslosen Kolleg*innen, die wissen wollten ob sie nicht in ihren Bordellen bleiben können solange diese wegen der Corona-Verordnung geschlossen sind. Auf der anderen Seite ereilten uns Nachrichten von Bordellbetreibern, die sich weigerten, ihre „Frauen“ auf die Straße zu setzen und dadurch zum Teil heftige Probleme mit Ordnungshütern bekamen.

In diesem Sinne machte der Betreiber des City-Eroscenter in der Stuttgarter Leonhardstraße und das Pascha in Köln Schlagzeilen, denn sie setzten Niemanden auf die Straße. Einige weitere Bordelle zogen nach, die wir auf unsere Unterseite aufgelistet haben. Eine gute Infoquelle mit Angeboten für „gestrandete Damen“ ist die Webseite kollegin.de. Man mag dies als gelungene Marketingmaßnahme abstempeln, aber es ist eine Maßnahme, die hilft und nicht ohne Risiko ist oder war.

Viele Bordellinhaber*innen trauten sich nicht, die Zimmer zum Wohnen zur Verfügung zu stellen, denn sie fürchteten den Verlust der Lizenz als Prostitutionsstätte. Jeder, der weiß, wie aufwändig es ist diese Genehmigung zu erhalten und auf wie gefühlt wackeligen Beinen diese steht, wird die Sorgen der Betreibenden verstehen. Hinzu kommt, dass in den meisten Bundesländern noch so gut wie gar keine Genehmigungen für Prostitutionsstätten erteilt wurden. Die Mühlen der Behörden mahlen doch oft sehr langsam. Jeder Antragsteller, der in dieser Warteschleife steckt, wird das nicht gefährden wollen.

Wie groß ist denn das Problem der drohenden Obdachlosigkeit nun wirklich?

Eine schnelle Umfrage an die Beratungsstellen im bufas-Verbund ergab, dass viele Sexarbeitende doch noch abgereist seien in ihre Heimatländer. Aber bei weitem nicht alle – mittlerweile gibt es kaum noch Möglichkeiten über die Grenzen zu kommen. Die günstigen Buslinien fahren nicht mehr und Flüge sind extrem eingeschränkt.
Auch gibt es nicht ina wenige Sexarbeitende, die ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland haben und über keinen festen Wohnsitz verfügen. Sie wandern zum Arbeiten von einer Terminwohnung zur nächsten, wo sie dann in der Regel in separaten Zimmern auch Wohnen können. Diese Möglichkeiten fielen nun weg, denn alle Bordelle, Terminwohnungen, Clubs, Studios, usw. sind geschlossen.

Das Londoner Modell kam ins Gespräch. Dabei geht es darum, dass aktuell leerstehende Hotels oder Hostels umfunktioniert werden zur Unterkunft für Menschen ohne Wohnung. Ein wunderbar pragmatischer Ansatz. Allerdings erschien es uns in diesem Fall unkomplizierter, die Sexarbeitenden einfach an ihrem Arbeitsplatz zu belassen.

Dazu müßte im Prinzip nur das im ProstituiertenSchutzGesetz festgeschriebene Übernachtungsverbot ausgesetzt werden.

Ob denn sowas überhaupt möglich ist, fragten wir uns.

Szene in der Dortmunder Linienstraße Foto via B. Bröckelschen (von einem von ihr gemalten Bild)

Vor dem Hintergrund, wie viele Freiheitseinschränkungen und Verbote im Zuge von Corona schon ad hoc und auch wahrscheinlich auch zu Recht beschlossen wurden, sollte doch solch eine Kleinigkeit wie das Übernachtungsverbot auszusetzen wohl möglich sein.

Auf unsere Anfrage beim Familienministerium machte man uns keine großen Hoffnungen

aber man leite das weiter. Und siehe da, wir wurden erhört. Vielleicht waren wir auch nicht die Einzigen, die diese Idee hatten. Es gab zumindest gleich am nächsten Tag eine Anfrage zu dem Thema an alle Bundesländer. Es wurde dann erstaunlich schnell gehandelt, und das Übernachten und Wohnen ist nun für die Corona-Zeit in Prostitutionsstätten erlaubt.

Zitate aus dem Rundschreiben des BMFSFJ (Familienministerium)

Maßnahmen zur Vermeidung von Obdachlosigkeit von Sexarbeitenden

Auslegungshinweise zu § 18 Abs. 2 Nr. 7 ProstSchG im Zusammenhang mit den gegenwärtigen Beschränkungen zum Zwecke einer langsameren Ausbreitung des Corona

Es wird darauf hingewiesen, dass in der gegenwärtigen Ausnahmesituation und vor dem Hintergrund der akuten Gefährdung von Sexarbeitenden zur Abwendung einer Notlage eine ausnahmsweise Abweichung von der in § 18 Abs. 2 Nr. 7 ProstSchG vorgesehenen räumlichen Trennung derzeit aufgrund der umfassenden Untersagung von Prostitutionsgewerben rechtlich zulässig ist

HIER nachzulesen als Punkt 7 – Prostituierte schützen

Liebe Freund*innen und Unterstützer*innen!

Wir wissen, dass die Zeiten für alle hart sind. Doch wir finden: Genau deshalb ist es gerade jetzt wichtig, dass wir zusammenhalten und jenen helfen, die sich nicht allein helfen können.

Ein hoher Anteil von Menschen in der Sexarbeit leben von der Hand in den Mund. Viele sind nicht krankenversichert, nicht angemeldet und bereits von Armut betroffen. Mit der deutschlandweiten Schließung aller Prostitutionsstätten, der Verschärfung von Arbeitsverboten, dem Rückgang der Nachfrage, sowie dem steigenden Risiko der Arbeitsausübung, kämpfen jetzt die Ärmsten der Armen um ihr Überleben.

Wir wollen helfen. Deshalb haben wir den BesD Corona Notfallfonds ins Leben gerufen. 

Sämtliche Spenden gehen an Sexarbeitende in Notsituationen, die keinen Anspruch auf staatliche Hilfen haben. Jeder Betrag hilft. Aber auch öffentliche Aufmerksamkeit ist essentiell – wir freuen uns daher sehr, wenn ihr darüber mit euren Freunden sprecht und diesen Notfonds in euren digitalen Netzwerken so breit wie möglich weiterteilt und retweetet.

Bleibt gesund, 

Euer BesD-Team

SPENDE PER BANK-KONTO:

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VERWENDUNGSZWECK: NOTFALLFONDS CORONA

 

Grafik via BesD e.V.

BesD Corona Notfallfonds

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Warum wird Deine Spende gebraucht?

In der jetzigen Lage sollte kein Sexworker aus Gelddruck weiter arbeiten müssen und damit sich und andere gefährden.

Fehlende Rücklagen aufgrund von Armut sowie fehlender Anspruch auf staatliche Grundsicherung führen jedoch dazu, dass Menschen auch jetzt, während sich die Krise zuspitzt, weiterhin der Sexarbeit nachgehen müssen und auf der Straße oder über das Internet nach Kunden suchen. Viele der nicht in Deutschland ansässigen Sexarbeiterinnen haben in Bordellen übernachtet – seit deren Schließung sitzen sie von einem Tag auf den anderen auf der Straße.Sie können aktuell auch nicht in ihre Heimatländer zurück, es bestehen Einreisestopps und in den meisten Fällen fehlt ohnehin das Geld für eine ungeplante Reise.

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Durch Deine Spende wird ein Notfalltopf gefüllt, aus dem Sexarbeiter*innen in Not nach vorhergehender Prüfung durch den BesD rasch finanzielle Hilfe erhalten können.

Der BesD e.V. steht in engem Kontakt mit den deutschlandweiten Fachberatungsstellen für Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter (Bufas e.V.), den Gesundheitsämtern, sowie anderen Hilfsorganisationen. Viele engagierte Menschen und Sozialarbeiter*innen sind seit Jahren an den Brennpunkten der Branche tätig und helfen und unterstützen niedrigschwellig jene Sexarbeiter*innen, die es am nötigsten brauchen.  Sie können im Namen der bedürftigen Sexarbeitenden Gelder aus dem Notfallsfonds beantragen und damit pragmatisch und lösungsorientiert jenen helfen, die besonders von der Krise betroffen sind.

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Der BesD Corona Notfallfonds richtet sich ausschließlich an Sexarbeitende, die voraussichtlich nicht auf staatliche Hilfsfonds oder –darlehen Zugriff haben. Die Betreffenden befinden sich aufgrund der jetztigen Krise in existentiellen Schwierigkeiten. Sie benötigen finanzielle Soforthilfe, mit welcher Wohnraum und Ernährung sichergestellt werden können.

Zuwendungen aus dem Notfallsfonds werden nachrangig zu staatlichen Leistungen vergeben – das heißt etwaige Ansprüche gegenüber gesetzlichen Kostenträgern (z. B. Jobcenter, Sozialamt, Krankenkasse) sind vor Antragstellung beim BesD e.V. an den entsprechenden Stellen geltend zu machen. Eine regelmäßig upgedatete Übersicht über die zu erwartenden oder bereits beschlossenen staatlichen Hilfen stellt der BesD e.V. HIER zur Verfügung.

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Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen: Vortrag und Diskussion zum Thema Prostitution in Dortmund

Der 25. November ist der Internationale Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen. Im Museum für Kunst- und Kulturgeschichte wurde vor diesem Hintergrund mit ExpertInnen über Prostitution diskutiert. „Terre des Femmes“ präferierte energisch das sogenannte Nordische Modell. Diejenigen Fachleute in der Runde, welche viel Erfahrung in der Praxis mit dem Thema Prostitution und damit verbundenen Problemen vorzuweisen haben, sehen darin keine Lösung für Deutschland. Das Dortmunder Modell habe sich bewährt, meinten sie und solle deshalb weiter verfolgt werden.

2. von links Andrea Hitzke (Mitternachtsmission), 3. von links (hinten) Dirk Becker (Polizei Dortmund), Sabine Ziemke (Moderation) Birgit Zoerner (Sozialdezernentin), Inge Bell (Terre des Femmes) und rechs außen Elke Süsselbeck (Rechtsanwältin) Fotos: Stille

Farbe des Tages war Orange

Die Farbe Orange ist ein Symbol für den Kampf gegen Gewalt an Frauen und Kindern – das haben die Vereinten Nationen so festgelegt. Viele Gebäude auf der ganzen Welt erstrahlten deshalb am Montag in Orange. So auch in unserer Stadt – u.a. das Dortmunder U.

Die Volkshochschule Dortmund organisierte anlässlich des Aktionstags gemeinsam mit der Organisation „Terre des Femmes“ einen Vortrag zum Thema Prostitution. Er fand in der Rotunde des Museums für Kunst- und Kulturgeschichte statt. Auch dort waren Pfeiler dezent mit orangenem Licht angestrahlt.

Im Fokus des Impulsvortrages der trotz parallel stattfindender Termine erfreulich gut besuchten Veranstaltung der Rechtsanwältin Elke Süsselbeck stand das sogenannte Nordische Modell, das als erstes Land Schweden im Jahre 1998 eingeführt hat. Dabei soll die Nachfrage nach Prostitution eingedämmt werden, indem Freier, Zuhälter und Bordellbetreiber bestraft werden, anstatt Prostituierte zu kriminalisieren. Kurzum. Es geht um ein Sexkaufverbot. Elke Süsselbeck erinnerte daran, dass Europäische Parlament das schwedische Gesetz zum Sexkaufverbot für die EU empfohlen hat.

Elke Süsselbeck: Prostitution „geht jeden etwas an. Und jeder und jede hat hinzuschauen“

Wie Elke Süsselbeck zum Thema gefunden habe, erklärte die Paderborner Rechtsanwältin folgendermaßen: „Prostitution gehört zu unserer Gesellschaft. Sie geht jeden etwas an. Und jeder und jede hat hinzuschauen.“

Bevor Süsselbeck auf das Nordische Modell, welches sie präferiert und auch in Deutschland eingeführt haben möchte, einging, zeichnete sie ein Bild der momentanen rechtlichen Situation in Deutschland, wo das sogenannte Prostituiertenschutzgesetz gilt.

Deutschland gelte auch als Vorzeigebeispiel: wegen einer legalisierten Prostitution. Heißt, sie ist nur in ausgewiesenen Sperrbezirken und an bestimmten Örtlichkeiten erlaubt. Bis zu dem von der rot-grünen Bundesregierung von Schröder und Fischer gemachten, ab 1. Januar 2002 in Kraft getretenen Prostitutionssgesetz, galt Prostitution als sittenwidrig. Damit sollte die rechtliche Stellung der Prostituierten in unserer Gesellschaft verbessert werden.

In einer Bundesratsinitiative von 2006, so Elke Süsselbeck, wurde angeregt Zwangsprostitution unter Strafe zu stellen. Bis zur Umsetzung habe es zehn Jahre gebraucht.

Um Auswüchsen in der Prostitution – wie etwa Flatrate-Bordelle (die mit menschenverachtenden Slogans wie z.B. „All you can fuck“ bei einmaligem Eintrittsgeld von ca. 70 Euro warben) – u.ä. zu begegnen, reagierte die Politik. Nebenbei: Es gibt eine Schätzung, wonach in Deutschland zwischen 200.000 und 400.000 Menschen der Prostitution nachgehen.

Da, erklärte Süsselbeck, das Prostitutionsgesetz nicht alle Erwartungen an es erfüllt habe, wurde es um das Prostituiertenschutzgesetz (in Kraft getreten am 1.7.2017) erweitert.

Dessen Kernelement sind: Prostituierte müssen sich anmelden, verbunden mit einer Gesundheitsberatung und einen ausgegebenen obligatorischen Ausweis mit Lichtbild, der bei sich zu führen ist.

Betreffs der Situation in Schweden sagte Elke Süsselbeck, dass entgegen der Zustimmung zu dem Sexkaufverbot vor der Einführung von 30 Prozent nun 80 Prozent hinter ihm stünden.

Bereits in der Schule fände in Schweden eine entsprechende Aufklärung dazu statt. Inzwischen sei Sexkauf dadurch in weiten Teilen der schwedischen Bevölkerung geächtet.

Das Dortmunder Modell ist für Elke Süsselbeck keine Option. Viele Frauen, die in der Prostitution arbeiten hätten keine Krankenversicherung und könnten somit Krankheiten nicht auskurieren. Aussteigerinnen steckten „in einer sehr prekären Situation“.

Diskussionsrunde mit ausgewiesenen ExpertInnen

Dem Einführungsvortrag schloss sich eine Diskussionsrunde an. Zu dieser gehörten Dirk Becker, (Polizei NRW Dortmund), Inge Bell (Vorstand „Terre des Femmes“), Andrea

Andrea Hitzke, Elke Süsselbeck, Birgit Zoerner, Sabine Ziemke, Dirk Becker und Inge Bell (von links nach rechts)

Hitzke (Leiterin Dortmunder Mitternachtsmission e.V.), Elke Süsselbeck

(Rechtsanwältin) und Birgit Zoerner (Sozialdezernentin der Stadt Dortmund). Feinfühlig moderiert wurde die Diskussionsrunde unter späterer Einbeziehung es Publikums von der Journalistin Sabine Ziemke (bekannt u.a. von der WDR-Lokalzeit Dortmund)

In dieser Diskussion kristallisierten sich schnell die unterschiedliche Standpunkte und Sichtweisen der TeilnehmerInnen heraus.

Andrea Hitzke (Mitternachtsmission): Nordisches Modell ist keine Lösung

Andrea Hitzke von der Mitternachtsmission vermochte im Nordischen Modell keine Lösung für Dortmund respektive Deutschland erkennen. Sie befürchtet, dass dann Prostitution verdrängt wird und in ein Dunkelfeld abgleitet. Einhergehend mit der Gefahr von Gewalt gegenüber SexarbeiterInnen. Hitzke schätzt ein: das Dortmunder Modell funktioniere gut. Dadurch sei eine hohe Transparenz entstanden. Man suche die einzelnen Prostitutionsbetriebe auf und biete den Frauen bei Bedarf auch Hilfe und Unterstützung in Notlagen an. Auch mithilfe des Sozialamts oder des Jobcenters. Auch Ausstiege aus der Prostitution seien durchaus schon erfolgreich ins Werk gesetzt worden.

Im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten ist Dortmund gut aufgestellt, schätzt Sozialdezernentin Birgit Zoerner ein

Sozialdezernentin Birgit Zoerner findet das derzeit geltende Recht im Prinzip trotz gesamtgesellschaftlicher Veränderungen, die immer bedacht werden müssten, gut. Ständige Diskussionen darüber – wie die am Montag – erachtet sie für sehr wichtig. Dabei müsse auch kritisch betrachtet und überprüft werden, was einmal angedacht war. Im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten, schätzte sie ein, habe man sich in Dortmund gut aufgestellt. Zoerner lobte als gute Beispiele die Einrichtung „Runder Tisch Prostitution“, der die Hilfsorganisationen zu Wort kommen lasse und worüber man sich gegenseitig ausgetauscht werde. Da gehe es natürlich auch darum, wie man Opfern von Menschenhandel helfe könne. Es stehe außer Frage, dass mit der Öffnung der EU im Jahr 2007 sehr viele Frauen auch aus Rumänien und Bulgarien nach Dortmund gekommen seien. 2011 sei schließlich der Dortmunder Straßenstrich verboten worden, um nicht zuletzt auch der teilweise erbärmlichen Art und Weise der Ausbeutung dieser Frauen dort entgegenzuwirken.

Hauptkommissar Dirk Becker: Die „Dortmunder Philosophie“ ist praktikabel und zielführend

Auch der 1. Kriminalhauptkommissar Dirk Becker ist aufgrund seiner langjährigen Erfahrung in der polizeilichen Arbeit „eher skeptisch, was das Nordische Modell angeht“. Er fürchte vor allem, dass 25 Jahre gute Arbeit von Polizei und Ordnungsamt und allen Beteiligten dadurch konterkariert würden. Und Prostitution wieder in dunkle Ecken und Hinterzimmer geschoben werde. Becker: „Wir sind generell daran interessiert, dass keiner Frau Leid angetan wird.“ Es habe sich bewährt die Frauen aktiv anzusprechen. Und nach ihnen nach Möglichkeit auch zu helfen. Dirk Becker lobte das schon 2002 in der Stadt eingeführte Dortmunder Modell, das er lieber „Dortmunder Philosophie“ nenne, als praktikabel und zielführend. Kontakte zum im Gewerbe arbeitenden Frauen und auch zu den Betreibern von Bordellen und Sauna- bzw. FKK-Clubs würden regelmäßig gepflegt. Sogar schon vor 2002 sei es der Dortmunder Polizei durch ständigen Kontrolldruck gelungen, sogenannte Flatrate-Bordelle und manch anderen Wildwuchs aus der Stadt zu verbannen.

Nicht jede Frau, die etwa aus Bulgarien oder Rumänien herkomme, um als Prostituierte zu arbeiten, müsse per se eine Zwangsprostituierte sein, meint Becker. Es sei vielfach die Armut, die sie dazu bewege. Es gehe meist schlicht darum, den Lebensunterhalt, die Kinder abzusichern, oder ein Studium zu finanzieren. Die Prostitutionsstätten in Dortmund würden regelmäßig von der Polizei aufgesucht. Zu 90 Prozent dieser Prostitutionsstätten habe man teilweise schon seit 25 Jahren Kontakt. Probleme, die man mit bestimmten Internetportalen (über die Verabredungen zum Sex angeboten werden) habe, räumte Hauptkommissar Becker indes ein. Prostituierte würden nicht kriminalisiert.

Inge Bell (Terre des Femmes) ist ohne Wenn und Aber für ein Sexkaufverbot und damit für das Nordische Modell

Erwartungsgemäß machte die aus Berlin angereiste Inge Bell (Vorstand „Terre des Femmes“) aus ihrem Herzen betreffs der absolut gesetzten Forderung nach Einführung des Nordischen Modells auch an diesem Abend in Dortmund keine Mördergrube.

„Warum“, fragte sie, „das Nordische Modell nicht hier ausprobieren?“ Zu diesem Behufe wartete sie mit einem Zitat von Albert Einstein auf: „Eine wirklich gute Idee erkennt man daran, dass ihre Verwirklichung von vornherein ausgeschlossen erscheint“.

Bell verwies darauf, dass das Nordische Modell nicht nur Schweden, sondern auch Norwegen, Irland, Nordirland, Island, Kanada, Frankreich und Israel eingeführt wurde. Auch Spanien habe schon eine Gesetzesvorlage dazu. Warum also sollte es hierzulande nicht auch funktionieren. „Es ist also nicht so aus dem hohlen Kosmos gegriffen. Es hat bereits Erfolg.“, so Inge Bell.

Moderatorin Sabine Ziemke hakte noch einmal nach und fragte nach dem konkreten Warum. Bell antwortete: „Weil es kein verbrieftes Recht der Männer sein kann, Sexualität, Körperteile und Körper von Frauen zu kaufen.“ Applaus eines Teils des Publikums. Prostitution sei etwas wie Sklaverei. Das kriege man nicht abgeschafft. Deswegen müsse ein Sexkaufverbot her. „Sex“, unterstrich Bell, „kann doch keine Arbeit sein“.

Inge Bell versuchte Hauptkommissar Becker weiszumachen, dass der Ex-Chef des Sittendezernats der Dortmunder Polizei, Heiner Minzel, nach anfänglicher Begeisterung für das Dortmunder Modell, nun meine, es sei gescheitert.

Gegen diese Behauptung regte sich Protest sowohl seitens Vertreterinnen der Mitternachtsmission als auch von Hauptkommissar Dirk Becker. Becker, der Minzel gut kennt, konnte sich „beim besten Willen“ nicht vorstellen, dass diese Behauptung stimmt. Becker spaßte, wenn dies so sei, müsse er Minzel von der bevorstehenden Weihnachtsfeier wieder ausladen.

Bell insistierte immer wieder, sie wolle einfach einmal die Anzahl und die Altersstruktur sowie die Herkunft der Frauen wissen, die in Dortmund der Prostitution nachgehen. Weder das Publikum nach die anderen MitdiskutantInnen auf dem Podium, Elke Süsselbeck ausgenommen, konnten nachvollziehen, wie das zur Versachlichung hätte beitragen können. Bells Hauptargument für das Nordische Modell ist die dadurch hergestellte absolute Gleichberechtigung von Männern und Frauen.

Kritische Stimmen aus dem Publikum

Kritik kam aus dem Publikum seitens einer Mitarbeiterin der Mitternachtsmission. Das schwedische Modell sei sehr unvollständig dargestellt worden. Prostituierte müssten quasi in den Untergrund gehen. Gerade dort seien sie aber gefährdet. Mietverträge von Sexarbeiterinnen würden dort gekündigt. Migrantinnen ausgewiesen. Lob gab es für Hauptkommissar Dirk Becker, der eine Lanze für das Dortmunder Modell gebrochen habe.

Die im Publikum sitzende Vorsitzende der Liberalen Frauen Dortmund, meldete sich schließlich „mit schon länger scharrenden Füßen“, wie sie bekannte, zu Wort. Sie verwies auf die in Deutschland geltende freie Berufswahl. Warum sollte also eine Frau nicht selbst entscheiden, der Prostitution nachgehen zu wollen? Und sie merkte an, dass Prostituierte ihren Körper verkauften – wie immer behauptet werde – stimme doch einfach nicht: „Man kann einen Körper nicht verkaufen.“ Sondern sie erbringen eine Dienstleistung mit ihrem Körper. Sie sei in der Kosmetik tätig: „Ich verkaufe auch nicht meine Hände. Auch wenn manche sie gerne mit nachhause nehmen würden.“

Sie habe sich auch mit Frauen in der Linienstraße (Dortmunder Bordellstraße) unterhalten und sei dort auf „kein Hascherl“ getroffen, die nicht wisse, was sie da mache.

Aber auch Kritik an Prostitution wurde aus dem Publikum laut. Frauen dürften keine Sexpuppen sein. Es werde gemordet und vergewaltigt. Sie kämpfe deswegen für das Nordische Modell, sagte die Frau mit bewegenden Worten.

Eine andere Dame aus dem Publikum, eine Fachanwältin für Strafrecht, merkte an, dass Menschenhandel und Zwangsprostitution Kontrolldelikte seien. Und es problematisch wäre, würde nicht kontinuierlich kontrolliert. Vom Nordischen Modell halte sie nichts. Sie vertrete auch schlimm ausgebeutete Prostituierte aus Schweden. Was da passiere, habe sie hier in Deutschland noch nicht erlebt: „Ich bin überzeugt, dass in Schweden – das sagen auch Hilfsorganisationen in Schweden – genügend Leichen liegen, die nie gefunden werden.“

Eine andere Zuhörerin gab zu Bedenken, dass der Deutsche Frauenrat, Amnesty International, der Deutsche JuristInnenbund, die deutsche AIDS-Hilfe und andere Institutionen das schwedische Modell als Menschenrechtsverletzung einstufen.

Die im Raum anwesende SPD-Politikerin Anja Butschkau (MdL) appellierte angesichts des „sehr emotionalen Themas“ zwei Dinge „strikt voneinander getrennt“ zu betrachten: Prostitution das andere, den Bereich Menschenhandel. Die Arbeit der Mitternachtsmission bezeichnete Butschkau als „exzellent“.

Eine Mitarbeiterin von der Prostituiertenberatungsstelle KOBER bemängelte aus dem Publikum heraus, dass auf dem Podium keine Sexarbeiterin sitze. Immer werde über Prostituierte gesprochen statt mit ihnen zu sprechen.

Aus dem Publikum in der Rotunde meldete sich eine Ex-Prostituierte (sie hat das Dortmunder Modell mitgegründet), mit, wie sagte, „gestiegenem Blutdruck“. Sie habe nie ihren Körper oder sich selbst verkauft. Schwedische Prostituierte, mit denen sie Kontakt hatte, verteufelten das Schwedische Modell. Auch in Frankreich, wo es die Prostituierten schon immer besonders schwer gehabt hätten, würden SexarbeiterInnen trotz eingeführtem Nordischen Modell brutal vergewaltigt.

Ein Kritik aus dem Publikum lautete: „Terre des Femmes“ agiere beinahe „sektenähnlich“. Da werde eine Art „Gehirnwäsche“ betrieben, wie man das sonst nur von Sekten kenne.

Wieder ein anderer Zuhörer klagte „Terre des Femmes“ an, sich an den Tag zur Beseitigung von Gewalt an Frauen angehängt zu haben und diesen mittels einer Kampagne als „Trittbrettfahrer“ für eigenen Zwecke benutze. Der Tag sei doch von anderen Organisationen ins Leben gerufen worden, um Gewalt an Frauen zu begegnen. Ein Sexkaufverbot via Nordisches Modell schicke viele Frauen in die Illegalität und „die offenen Arme von Gewalttätern“.

Dem so an den Äußerungen von Inge Bell Kritik übendem Vater, der erst nachdem er seine Kinder zu Bett gebracht und deshalb erst später gekommen war, warf die Angegriffene vor, „eine Strategie der schwarzen Rhetorik“ zu betreiben. Buhrufe aus der Mitte der Rotunde. Der Herr konterte: „Die Rhetorik, die sie wählen, die Entkriminalisierung der Prostituierten und die Kriminalisierung der Freier ist eine Verschleierung der Fakten.“

Fazit

Das Thema konnte freilich in zwei Stunden nicht ausdiskutiert werden. Dennoch war die Diskussion äußerst interessant und ein Stück weit die Augen öffnend. Weitere ähnliche Diskussionsrunden, fanden gewiss viele der ZuhörerInnen nötig. Dieses Thema sei gesellschaftspolitisch wichtig, wie auch Sozialdezernentin Birgit Zoerner einschätzte. Man müsse mit Bedacht danach fragen, was ist und was wir haben wollten.

Die Standpunkte der einzelnen Beteiligten an der Podiumsdiskussion hatten sich – was wohl auch niemand erwartet hatte – indes nicht verändert.

Die Waage – so dürfte wohl richtig eingeschätzt sein – kippte nicht in Richtung Nordisches Modell.

Für das Dortmunder Modell blieb die Sympathie vielen dagegen wohl erhalten. Es muss halt nur ständig daran gearbeitet werden, um auf neu auftretende Probleme zu reagieren, ohne dabei das Kind mit dem Bade auszuschütten.

Beitragsfoto/Bild: Bettina Bröckelschen

Prostitution in St. Petri Dortmund diskutiert. Fazit: Gegen Stigmatisierung eintreten. Andere respektieren

TeilnehmerInnen der Podiumsdiskussion. Fotos: Claus-D. Stille

Huren in der Kirche? Nicht nur auf den Bildern, Arbeiten von Bettina Brökelschen, welche Prostituierte darstellen, die in der Dortmunder Bordellstraße Linienstraße arbeiten und Einblicke in deren Arbeit geben. Dazu ein Bericht von Heike Becker-Sander auf Nordstadtblogger.de.

Sondern auch noch leibhaftig! In der Kirche! Warum eigentlich nicht? Sind sie als Prostituierte doch ebenfalls Mitglieder unserer Gesellschaft. Mag es den einen oder anderen nun passen oder nicht. Da ist in unserer Gesellschaft auch viel Heuchelei im Spiele. Es heißt, täglich besuchen ca. 1,2 Millionen Männer in Deutschland Prostituierte.

Am vergangenen Mittwoch fand eine Abendveranstaltung in der Dortmunder Petrikirche unter dem Titel „Alles Nutten, oder was? – Sind Prostituierte der Mülleimer der Gesellschaft?“ statt. Die Podiumsdiskussion war

Szene in der Linienstraße Foto via B. Brökelschen

außerordentlich gut besucht, sehr informativ und es ging ausgewogen, sachlich und respektvoll zu.

Der Hintergrund

Das Prostitutionsschutzgesetz (dazu ein älterer Beitrag von mir) wurde im vergangenen Jahr geändert. Was angeblich zum Schutz der Prostituierten ersonnen worden war – der sogenannte „Hurenpass“ – wirkt sich auf die Sexarbeiterinnen nachteilig aus. Bei dieser Veranstaltung wurde über Prostitution in Dortmund, dem besonderen „Dortmunder Modell“, das sich gegen Menschenhandel richtet, informiert und über die Würde von Prostituierten diskutiert.
Podiumsdiskussion mit VertreterInnen von der Kirche, einem Bordellbetreiber, mit Prostituierten, die in der Linienstraße arbeiten und der Mitternachtsmission. Mein besonderer Respekt – das schon mal vorweg geschoben gilt den beiden Prostituierten „Ina“ und „Anna“, dem Bordellgast, „Klaus“, sowie dem Ex-Leiter des zuständigen Kriminalkommissariats (Sitte) in Dortmund. Großen Dank gilt auch den Vertretern der in diesem Jahr 100 Jahre alt gewordenen Mitternachtsmission für deren so wichtige Sozialarbeit.

Pfarrerin Schürmann zu Prostitution und Kirche: In früheren Zeiten gehörte das zusammen in Form von Ablehnung und Stigmatisierung. Heute gehört das zusammen in Form von Solidarisierung und Rückbesinnung

„Agenzia, Anna, Maria, Magdalena, Helena, diese Frauen hätten in St. Petri fast Ewigkeitscharakter, sagte die das Publikum begrüßende Pfarrerin Christel Schürmann. Es seien nämlich die Frauen, die in den Altarbildern („Goldenes Wunder“) verewigt sind. Sie seien nämlich mit Familiengeschichte Jesu verbunden und spielten eine ganz besondere Rolle. Hinter jedem Namen stecke ja eine Geschichte.

Pfarrerin Schürmann: „Und genauso ist das mit Irina, Chantal, Coco, Sunny, Angelique und Heike. Sie all sind seit letzter Woche in St. Petri in Dortmund zu sehen. Auf den Bilder der Künstlerin Bettina Brökelschen, woran sie fast zwei Jahre gearbeitet hat. Auch diese Frauen, erklärt die Pfarrerin, hätten ihre ganz persönliche Geschichte: „Bilder von Frauen in dieser Kirche sind eigentlich nichts besonderes. Oder eben was ganz besonderes.“ Die Frauen auf den Altarbildern würden zwar immer häufig genannt. Um die von Bettina

Bild aus der Ausstellung von Bettina Brökelschen in der Petrikirche Dortmund. Foto via B. Brökelschen.

Brökelschen gemalten Frauen freilich ging es in dieser Abendveranstaltung in dem sich als Stadtkirche begreifendem Gotteshaus. „Um ihren Beruf, ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen, auch um ihre gesellschaftliche Anerkennung.“ Dazu gehöre auch Rechtssicherheit, Schutz vor Gewalt und Menschenhandel.“ Prostitution und Kirche. In früheren Zeiten gehörte das zusammen in Form von Ablehnung und Stigmatisierung. Heute gehört das zusammen in Form von Solidarisierung und Rückbesinnung. „Denn anders als viele denken, sprechen viele biblische Texte keineswegs abfällig von Prostituierten. Sondern wir könnten Geschichten lesen, wie zum Beispiel die von einer Tamar, die sich prostituiert, um zu ihrem Recht zu kommen. Und damit beschämt sie nicht sich selbst sondern alle anderen. Oder wir können von der Hure Rahab lesen, die zwei israelitische Kundschafter in ihrem Haus versteckte. Auch Jesus sei nicht zu vergessen, der mit Prostituierten an einem Tisch gemeinsam zum Essen saß. Der vorbildlich Gerechtigkeit lebte und damit im Kontrast stand zum Mangel der Gerechtigkeit vieler etablierter Menschen.

Keine Idealisierung von Prostitution

Dennoch solle dieser Abend in der Kirche nicht einer Idealisierung von Prostitution dienen, gab die Pfarrerin zu verstehen. Aber es solle geredet werden über Würde, über Gerechtigkeit, über gesetzliche Bestimmungen und über gesellschaftliche Ächtung.

Die Linienstraße hat zur Gründung der Dortmunder Mitternachtsmission beigetragen

Jutta Geißler-Hehlke, Vorstandsvorsitzende des Fördervereins der Mitternachtsmission, erinnerte daran, dass die Dortmunder Linienstraße nicht nur älter ist als die Dortmunder Mitternachtsmission, sondern dazu beigetragen habe, dass diese gegründet wurde.

Ex-Polizist Heiner Minzel über die Situation in der Linienstraße und den ständigen Kontrolldruck im Rahmen des Dortmunder Modells

In der Dortmunder Linienstraße befinden sich sechzehn Häuser , in denen 180 bis 200 Frauen der Prostitution nachgehen, erklärte der frühere Leiter des Dortmunder Sittendezernats (KK12) der Polizei , Heiner Minzel (zur ihm hier mehr).

Ex-Leiter des Dortmunder Sittendezernats Heiner Minzel.

Seitens der Polizei werde, berichtete Minzel, die Linienstraße regelmäßig kontrolliert und aufgesucht. Zwecks Gefahrenabwehr und zur Strafverfolgung. Im Hinblick auf illegalen Aufenthalt, Straftaten wie Menschenhandel oder auch Zuhälterei. In der ganzen Stadt Dortmund werde diesbezüglich seit Jahren ein Kontrolldruck ausgeübt. Es finde im Rahmen des Dortmunder Modells eine Zusammenarbeit mit den Ordnungsbehörden, der Staatsanwaltschaft aber auch mit den Bordellbetreibern statt. „Von daher gab es über die Jahre ein gewachsenes Miteinander“, sagte der pensionierte Polizist. Straftaten wie Menschenhandel oder Zuhälterei kämen nur noch in einem sehr geringen Maße vor. „Ausrotten wird man das nicht können“, gab Heiner Minzel zu bedenken. „Aber durch die Kooperation mit dem Runden Tisch Prostitution“ habe sich eine“fast entspannte“ Situation entwickelt.

Auch Bordellbetreiber Nedo Setka lobte das Dortmunder Modell.

Ina“ und „Anna“ kennen Bordellkunden „Klaus“: Er ist immer nett zu uns. Man hat immer füreinander viel Verständnis

Bordellgast „Klaus“, dessen Gesicht eine Donald-Trump-Maske verdeckte, erklärte er gehe in die Linienstraße, um ungehemmt, „hemmungslos“, seine Sexualität ausleben zu könne. Wenn er von Hemmungen spricht, meint er welcher der Art, die ihn befallen, wenn er eine Frau im Restaurant oder in der Disko anspreche. Es gebe halt Dinge in Sachen Sexualität, die man vielleicht mit

Bordellgast „Klaus“ mit Donald-Trump-Maske.

der Ehefrau, der Partnerin zuhause nicht gerne auslebe.

Den beiden anwesenden Prostituierten „Ina“ und „Anna“, verkleidet mit Perücken und Sonnenbrillen, ist „Klaus“ als Bordellkunde persönlich bekannt.

Zirka zwei Jahre kenne sie ihn, sagte „Anna“: „Er ist immer nett zu uns. Man hat immer füreinander viel Verständnis.“ Was auch diese Hemmungen angehe, von denen „Klaus“ gesprochen hatte. Man werde bei ihnen nicht nach Neigungen beurteilt oder gar dafür verurteilt. In den zwei Jahren, die man sich kennt, habe man auch etwas Zwischenmenschliches aufgebaut. „Klaus“ sei schon ein ganz netter. In Sachen „Hemmungslosigkeit“ hätten die Frauen schon ganz anderes erlebt. Über Einzelheiten wollten sie nicht sprechen in einer Kirche. „Anna“: „Wir können über alles reden.“ Später am Abend antwortete „Ina“ auf die Publikumsfrage, was sie täten, wenn Freier gewalttätig würde: „Wir verlassen unseren Raum und schreien.“ Im Haus wo sie arbeiteten sind 13 Frauen. Die eine oder andere werde das hören. Die kämen dann aus ihren Zimmern. Die Wirtschafterin wird gerufen. In schlimmeren Fällen auch die Polizei.

Jutta Geißler-Hehlke: Es kommt auf den Unterschied an

Der Moderator des Abends stellte klar, es ginge ja natürlich auch um die Frage, ob die Damen die Prostitution freiwillig oder gezwungen ausüben. Jutta Geißler-Hehlke, langjährige Chefin der Mitternachtsmission, kam bei ihrer Antwort darauf auf Feministin Alice Schwarzer zu sprechen. Die habe sie mal irgendwie ganz gut gefunden. Wenn Schwarzer jedoch jetzt über Prostitution spreche, mache sie keine Unterschiede: „Sie schmeißt alles in einen Topf. Sie macht keinen Unterschied zwischen Zwangsprostitution und Menschenhandel – das ist ein Verbrechen – und darf nicht unter Prostitution laufen. Und auch Kinder- und Jugendprostitution ist ein Verbrechen.“ Etwas anderes seien Prostitutionsmigrantinnen, die ihre Familie im Heimatland ernähren.“ Da müsse strikt getrennt werden, meinte Geißler-Hehlke. In Frauen die freiwillig der Prostitution nachgehen. Und welche die dazu gezwungen werden. Da müsse sie Bordellbetreiber Setka beipflichten. Im Rahmen dieses Dortmunder Modells, diesen Runden Tisches Prostitution, seien auch die Betreiber in der Linienstraße auf das Probleme aufmerksam geworden. „Und wenn da das Gefühl ist, da ist eine Frau, die wird gezwungen – das kann man nicht mit ein- oder zweimal sehen.“ Die Kolleginnen der Mitternachtsmission gehen dann mit Muttersprachlern dahin und fragen. „Die kriegen das raus. Im Laufe der Zeit sowieso.“ Auch die Betreiber hülfen dann, dass die Frauen da wegkommen von der Zwangsprostitution.“ Es komme also auf den Unterschied an.

Bordellbetreiber Nedo Setka: Der Prostituierten eine Stimme geben, dass sie sich sicher fühlt. Sich Pauschalisierungen entgegenstellen

Nedo Setko meinte, es gebe ganz bestimmt in der Linienstraße auch erzwungene Ausnutzung von Prostituierten – bei 180 Frauen, die dort arbeiteten. „Da sind etliche, die jung sind und nicht wissen was sie tun. Die auch überredet worden sind. Die aus osteuropäischen Staaten kommen.“ Aber das betreffe durchaus auch Frauen aus Deutschland zu. „Aber wenn wir uns der Sache nicht stellen, der Prostituierten eine Stimme geben, dass sie sich sicher fühlt – wie wir das in Dortmund seit Jahrzehnten machen – und das Vereine gibt wie die Mitternachtsmission, die sich auch gegen Pauschalisierungen stellen, dass jede Prostituierte drogensüchtig ist – dann haben wir verloren.“

Anna“: „Hurenpässe“ wirken wie ein Stempel auf der Stirn. „Das ist Stigmatisierung“

Foto via B. Brökelschen.

Das sogenannte, inzwischen gültige Prostituiertenschutzgesetz (dazu hier etwas), gestand eine der anwesenden Prostituierten, verstünden sie noch immer nicht. Ein Steuerberater helfe ihnen zwar dabei. Jedoch störe sie die mit neuem Gesetz obligatorisch vorgeschriebenen „Hurenpässe“ (darauf stehen persönliche Daten, ein Foto, „ist tätig nach dem Prostituiertenschutzgesetz“), die sie immer bei sich tragen müssen. „Das ist Stigmatisierung. Keine anderer Beruf brauche einen solchen Pass.“ Es werde als Diskriminierung empfunden. „Es ist wie ein Stempel auf der Stirn: Hure.“

Huren wirken durchaus auch therapeutisch

Moderator Dr. Friedemann Grenz konnte sich vorstellen, dass der Beruf der Hure auch durchaus therapeutische Aspekte beinhalte. Eine der jungen Damen bestätigte das. Es sei öfters der Fall, dass gestresst von der Arbeit sind oder „seelische Last haben“. „Dann wird gesprochen. Auch über ernsthafte Sachen.“

„Es gibt viele Männern, die allein, die alt sind. Für die sind wir auch da. Es gibt auch Männer, die körperliche Behinderungen haben. Die Komplexe haben. Und keine Frau. Oder sich nicht trauen, eine anzusprechen.“ Es ginge bei ihnen nicht immer nur um „Arbeit“, sprich: Sex.

Den Frauen in erster Linie Respekt entgegenbringen, sie so annehmen wie sie sind

Es ginge bei der Arbeit der Mitternachtsmission in erster Linie, sagte Jutta Geißler-Hehlke, nicht darum die Frauen von der Prostitution wegzubringen, sondern ihnen Respekt entgegenzubringen. Es gelte die Frauen erst einmal so anzunehmen wie sie ist. „Wenn eine Frau aussteigen will, werden wir ihr dabei helfen. Und zwar nicht nach fünf Monaten oder einem Jahr, sondern sofort.“ Als die Mitternachtsmission vor hundert Jahren gegründet wurde, sei das anders gewesen. Da habe der Ausstieg der Frauen im Vordergrund gestanden. Was mit der damals vorherrschenden bürgerlichen Moral – und speziell der kirchlichen – zu tun gehabt hätte, erklärte Geißler-Hehlke.

Fragen und Bemerkungen aus dem Publikum

Das neue Prostituiertenschutzgesetz diene eher der Kontrolle und Bestrafung als es den Prostituierten nutze, meinte Andrea Hitke von der Dortmunder Mitternachtsmission

Andrea Hitzke von der Mitternachtsmission erläuterte zunächst das sehr umstrittene, seit letztem Jahr gültige Prostituiertenschutzgesetz (ProstSchG). Sie selbst war seinerzeit zu einer Anhörung in den Deutschen Bundestag nach Berlin gefahren. Aus Sicht von Experten und mit denen Hitzke konform ging, dient dieses Gesetz eher der Kontrolle und Bestrafung als das es Prostituierten nütze. Weil es sei „ein Stück weit stigmatisiere“. Beziehungsweise Prostituierte in Graubereiche abdränge, wo diese unter Umständen Gewalt ausgeliefert sein könnten. Jedoch, so Hitzke enttäuscht, seien fast alle Einwände der ExpertInnen von der Politik in den Wind

Die Vertreterinnen der Dortmunder Mitternachtsmission bei einer früheren Veranstaltung: Andrea Hitzke, Silvia Vorhauer und Petra Papirowski (v.L.n.r.). Fotos (2): Leopold Achilles

geschlagen worden. Auch Prostituierte aus Rumänien könnten, gab Hitzke zu bedenken, durch den „Hurenpass“ zuhause in Schwierigkeiten kommen: In dem Land ist Prostitution nämlich verboten.

Gewerkschafter: Die Gesellschaft müsse erst mal akzeptieren, das Prostitution ein Beruf ist

Ein Gewerkschaftsvertreter sprach aus eigener Sicht zum Gesetz. Die Prostitution sei eben kein Beruf wie jeder andere. Prostituierte hätten allein die Krankenversicherung betreffend Schwierigkeiten, müssten sich womöglich sogar zu horrenden Preis privat versichern. Trete ein Bordellbetreiber, wie Herr Setka als Arbeitgeber auf, mache er sich strafbar. „Es müsste doch erst mal die Gesellschaft akzeptieren, dass das ein Beruf ist.“ Er habe auch Prostituierte in die Gewerkschaft aufgenommen. Da gebe es schon ein Problem: „Was für eine Berufsbezeichnung haben die denn?“ In der Gewerkschaft habe man Bedenken gehabt. „Warum kann man denn da nicht hineinschreiben ‚Prostituierte‘?“ Keiner wollte das machen. „Wie sollen die ihre Rechte einfordern?“ Ein Wunsch des Gewerkschafters: Wenn doch nur die Gesellschaft mal so weit wäre, diesen Beruf zu akzeptieren!

Terre de Femmes: Prostitution ist keine Dienstleistung, sondern Gewalt an Frauen

Eine „Mitfrau“ von Terre de Femmes, angereist aus Berlin, berichtete, sie träten für das „Nordische Modell“ (wonach etwa in Schweden die Kunden der Prostituierten bestraft werden). Das deutsche Prostituiertenschutzgesetz, meinte die junge Frau, habe seine Wirkung verfehlt. Prostitution sei „auch keine Dienstleistung, sondern Gewalt an Frauen“. In Deutschland herrsche „organisierte Kriminalität in größtem Maße. Deutschland ist das Bordell

Europas geworden“.

Kriminalkommissar a. D. Heiner Minzel zum „Schwedischen Modell“: „Was Schweden macht – und das sage ich ganz deutlich – ist ein Treiben der Prostitution ins Dunkelfeld“

Kriminalkommissar a. D. Heiner Minzel schüttelte mit dem Kopf: Es sei schon gewagt, Deutschland als das Bordell Europas darzustellen. Die Polizei in der BRD hätte schon genügend Möglichkeiten – auch im Bereich Rotlicht – einzugreifen. Es brauche allerdings eine ständige Kontrolle und Ermittlungsdruck. „Weil sich im Rotlichtbereich viele Subjekte sammeln.“ Er wandte überdies ein: Auch Männer übten Prostitution aus. Die Stadt Dortmund stehe in Nordrhein-Westfalen mit dreizehn Strafverfahren an erster Stelle, was die Ahndung von Menschenhandel anbelangt. Zum „Nordischen Modell“ sagte Minzel: „Was Schweden macht – und das sage ich ganz deutlich – ist ein Treiben der Prostitution ins Dunkelfeld.“ Kein Opfer werde man finden, das als Hure eine Vergewaltigung anzeige. „Was nicht sein darf, wird auch nicht angezeigt.“

Anna“: „Es wäre schön, wenn die Gesellschaft uns eine Chance gibt“

Eine Ärztin erklärte den Huren ihren Respekt. Was forderten sie von der Gesellschaft? „Anna“: „Mehr Akzeptanz von der Gesellschaft.“ Ein einfaches Beispiel: Sie habe einen Handyvertrag abschließen wollen und wurde vom Verkäufer nach ihrem Beruf gefragt. Ihre Antwort: „Ich arbeite in der Linienstraße.“ Daraufhin habe der Verkäufer sie – im Geschäft voller Menschen – von unten nach oben angeschaut und gesagt: „Sie sehen aber gar nicht so aus.“ Und sie habe damals zurück gefragt: „Wie muss ich denn aussehen?“ Gleiche Schwierigkeiten treten auf, wenn sie eine Wohnung suchten. „Bei uns gehen die Türen einfach zu. Es wäre schön, wenn die Gesellschaft uns eine Chance gibt.“ Heftiger Beifall im Kirchenschiff.

Fazit des Abends

Jutta Geißler-Hehlke sprach auf eine Frage aus der Zuhörerschaft betreffs der Situation rund um die Prostitution von einer Normalität, die zur Kenntnis genommen werden müsse. Wichtig sei es die Situation mal anders und damit realistisch zu sehen „Wer Steuern zahlt muss die gleichen Rechte wie andere Menschen haben. Prostitution sei in Deutschland seit 1926 nicht verboten. Und seit 1966 steuerpflichtig.

Bordellbesitzer Setka: Vielleicht hat dieser Abend dazu beigetragen, dass diese Frauen nicht immer nur angreift, sondern auch ein Stück weit akzeptiert

Bordellbetreiber Nedo Setka.

Die zwei Frauen aus der Linienstraße Mädels wären am Anfang sehr zögerlich gewesen, Vertreterinnen zu dieser Podiumsdiskussion zu entsenden, erzählte Bordellbesitzer Nedo Setko.. Dann aber haben sich hätten sie sich aber „Ina“ und „Anna“ bereit erklärt an der Podiumsdiskussion teilzunehmen. Bordellbetreiber Setka: „Ich bin angenehm überrascht, wie selbstsicher die Mädchen auf dem Podium diskutieren und sehr stolz darauf. Als wir heute Abend nach hier hin abfuhren, hat jede Frau, die in der Linienstraße an ihrem Fenster gestanden hat, ihren Kolleginnen applaudiert.

Dieser Abend habe vielleicht etwas dazu beigetragen, dass man diese Frauen nicht immer nur angreift, sondern auch ein Stück weit akzeptiert.

Es gelte eine gesellschaftliche Debatte zu führen.

Wir sollten uns selbst einmal fragen, wie wir unser Verhalten betreffend agieren und wie tolerant wir zu Menschen sind, die uns persönlich fremd sind. Ein zutiefst menschliche und zwischenmenschliche Geschichte, die uns alle fordert. Einer Frau, die bezüglich der Situation im Bordell skeptisch bot Setko an die Telefonnummern auszutauschen: „Ich führe sie gerne in der Linienstraße herum.“

Moderator Dr. Friedemann Grenz: Jeder muss ein Beispiel setzen und den anderen respektieren

Das Schlusswort vom Moderator: Jeder von uns muss ein Beispiel setzen. Den anderen respektieren. Sonst können wir nicht erwarten, dass wir respektiert werden.

Ein Journalist: Warum gibt es eine Stigmatisierung? Der Artikel 1 GG regelt doch alles

Ein Journalist wunderte sich, dass es überhaupt eine Stigmatisierung gebe oder einen herabwürdigenden Blick auf Damen gibt, die diesen Beruf ausüben. Das sein doch mit einem einzigen Satz im Grundgesetz (Artikel 1 GG) geregelt: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Da stehe am Ende ein Punkt und eben kein Komma.

Hinweis: Die sehenswerte Ausstellung der Künstlerin Bettina Brökelschen in der Dortmunder Petrikirche ist nur noch zu sehen bis Donnerstag, 4. Oktober, jeweils Dienstag bis Freitag von 11 bis 17 Uhr, Samstag 10 bis 16 Uhr.

Ich bitte die schlechte Qualität einiger Fotos zu entschuldigen.

Links

http://stpetrido.de/cms/index.php/kirche/geschichte

http://helmutvoss.de/kirchen_dortmund_st_petri01.html

https://de.wikipedia.org/wiki/Goldenes_Wunder_von_Westfalen

Diskussion in Dortmund erbrachte: Das neue Prostitutionsgesetz dürfte alles nur schlimmer machen

Die Vertreterinnen der Dortmunder Mitternachtsmission: Andrea Hitzke, Silvia Vorhauer und Petra Papirowski (v.L.n.r.).  Fotos (2): Leopold Achilles

Die Vertreterinnen der Dortmunder Mitternachtsmission: Andrea Hitzke, Silvia Vorhauer und Petra Papirowski (v.L.n.r.). Fotos (2): Leopold Achilles

Die Fraktion DIE LINKE & PIRATEN im Dortmunder Rat hatte für vergangenen Mittwoch in Zusammenarbeit mit dem Kreisverband DIE LINKE Dortmund zu einer Diskussionsveranstaltung über das neue Prostituiertenschutzgesetz eingeladen. Im Dortmunder Rathaus trugen Ulla Jelpke (Bundestagsabgeordnete für DIE LINKE), Andrea Hitzke und zwei weitere Damen von der Mitternachtsmission Dortmund sowie betroffene Frauen aus dem Gewerbe (eine Hauswirtschafterin und eine Prostituierte aus einer Dortmunder Bordellstraße) ihre Meinungen dazu vor und diskutierten mit den Gästen darüber. Und zwar unter der Überschrift „Prostitution zwischen Ausbeutung, Selbstbestimmung und Illegalität“.

Betreffs des Prostituiertenschutzgesetzes standen die Themen Verbot von Sexkauf, Anmeldung von Prostituierten bei den Behörden, das Verbot von Flatratesex, die Kondompflicht und die Bestrafung von Freiern im Mittelpunkt der Diskussion.

Ein „kontrovers und manchmal bis aufs Blut“ diskutiertes Gesetz

Es wurde schon in der Einleitung seitens Christiane Tenbensel deutlich, dass das infrage stehende Gesetz in der Gesellschaft – bis in die Linkspartei hinein – „kontrovers und manchmal bis aufs Blut diskutiert“ wird. Nicht nur einmal ist am Mittwochabend kritisiert worden, dass immer über die Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter geredet wird, selten bis nie aber mit den Betroffenen selbst. Im Einzelnen sieht das Gesetz eine von diesen als diskriminierend empfundene Registrierungspflicht vor. Auch eine Beratungspflicht ist vorgeschrieben. Des Weiteren soll eine Kondompflicht (von der jedoch niemand sagt, wer das wie kontrolliert) gelten. Die Betreiber von Bordellen müssen eine Zuverlässigkeitsprüfung bestehen.

Für Ulla Jelpke stellt das Prostitutionsschutzgesetz „ein Generalverdacht für alle Prostituierte“ dar

In ihrem Statement machte Ulla Jelpke gleich zu Anfang klar, dass sie keine Anhängerin von Sexarbeitsverboten ist, sondern vehement dafür stehe, die Interessen von SexarbeiterInnen ernstzunehmen und zu vertreten. Jelpke verhehlte nicht, dass es innerhalb der Linkspartei teils sehr harte

Ulla Jelpke (MdB DIE LINKE).

Ulla Jelpke (MdB DIE LINKE).

Auseinandersetzungen zu diesem Gesetz gibt. Auch bei Veranstaltungen im Lande, etwa mit der Feministische Frauenarbeitsgemeinschaft LISA innerhalb der Linkspartei, wird Ulla Jelpke immer wieder mit der Forderung nach einem Verbot der Prostitution konfrontiert. Das Argument für das Verbieten von Sexkauf laute dort: Die Freier müssten bestraft werden. Ulla Jelpke, die als Hamburgerin unweit der Reeperbahn und mit der Prostitution groß geworden ist, hat infolgedessen schon eine andere Sicht auf die Dinge.

Als einstige Bürgerschaftsabgeordnete hat sie erlebt, was das Einrichten von Sperrbezirken angerichtet kann. Als Prostitution kriminalisiert wurde, hatten sie sich als weibliche Abgeordnete an die Straße gestellt. Sie seien in der Annahme, Huren zu sein, verhaftet worden. Die Freier aber hatte die Polizei unbehelligt von dannen ziehen lassen. Fraglos, räumte Jelpke jedoch ein, sei Prostitution eine Form von Machtstruktur von Kapitalismus und Patriarchat. Darüber müsse kontrovers diskutiert werden. Aber was heiße eigentlich „seinen Körper verkaufen“ in der Sexarbeit? Würde der Körper da besonders geschunden? Schließlich, meinte die Linkspolitikerin, gebe es ja auch andere Arbeiten, die den Körper schwer belasteten. Jedoch bleibe klar: Die Frau verkauft ihren Körper. Eine Entscheidung, die die Frau treffen müsse.

Als Fortschritt bezeichnete Jelpke das 2002 von Rot-Grün gemachte Gesetz zur Legalisierung der Prostitution. Dies, so die Linkspolitikerin später, hätte eigentlich nur einer Weiterentwicklung bedurft. Vor allem eine Krankheitsversicherung und eine Absicherung von Prostituieren im Alter wären wichtig. Klar differenziert werden müsse zwischen den Frauen, die sich explizit dafür entschieden in der Prostitution zu arbeiten, den Frauen, die dies täten um etwa ihre Drogensucht zu finanzieren sowie zwischen Armutsprostitution und der Zwangsprostitution. Zur Bekämpfung davon „gibt es Paragrafen ohne Ende“. Leider vermischten bestimmte Politiker, viele Prominente und Feministinnen wie Alice Schwarzer dies alles. Schwarzer habe beispielsweise immer wieder behauptet, das Prostitutionsgesetz von Rot-Grün hätte Zwangsprostitution gefördert. Dafür existierten aber keine Belege. Laut BKA ging der Menschenhandel sogar zurück. Das schwedische Modell, wonach Freier, die Sexdienste in Anspruch nehmen bestraft werden, ist für Ulla Jelpke keine Alternative.

Eine Vertreterin der Mitternachtsmission sollte das schwedische Modell später als „Augenwischerei“ bezeichnen.

Die Bundestagsabgeordnete erläuterte das Gesetzesvorhaben samt Inhalte von 2015 bis hin zur Wiedereinführung der in Deutschland bereits 1927 abgeschafften Meldepflicht für Prostituierte. Und sie hinterfragte kritisch, warum Frauen erst ab 21 Jahren zur Sexarbeit zugelassen werden sollen: Soldaten dürften ja auch ab 18 Jahre zur Bundeswehr und ein Gewehr abfeuern.

Kurzum stellt das Prostitutionsschutzgesetz für Ulla Jelpke „ein Generalverdacht für alle Prostituierte“ und ein Verstoß gegen die sexuelle Selbstbestimmung dieser Menschen dar. Qualifizierte Fachberatung halte man dagegen für richtig. Ebenfalls sieht die Abgeordnete eine Ungleichbehandlung gegenüber anderen Berufsgruppen. Die Anmeldepflicht werde derzeit juristisch überprüft. Es könnte eine verfassungswidrige Datenerhebung sein. Einzuwenden sei gar, dass dieses Gesetz ein Rückfall in preußische Verhältnisse ist. Dieses Gesetz, da ist sich Ulla Jelpke ziemlich sicher, bewirke das Gegenteil von dem was gewollt sei. Es könne sein, dass in der Prostitution arbeitende Frauen in die Illegalität getrieben würden. Schließlich beträfe das Gesetz auch Frauen, die nur zeitweilig als Sexarbeiterinnen tätig sind. Sexarbeiterinnen würden durch das neue Gesetz nicht etwa geschützt, sondern stigmatisiert und in ein Schattendasein gedrängt. So sieht es die Linksfraktion im Deutschen Bundestag. Das Gesetz wird abgelehnt.

Vorschläge zum Gesetz von Betroffenen und Verbänden wurden weitgehend ignoriert

Die Dortmunder Mitternachtsmission, die sich für Prostituierte, ehemalige Prostituierte und Opfer Menschenhandel einsetzt, teilt die Kernansichten, welche Ulla Jelpke aussprach. Die Die Vertreterin ergänzte noch: Wie niemand wisse, wie viele Prostituierte (zu denen übrigens auch Männer gehören) in Deutschland tätig sind, könne auch keiner die Zahl von Frauen nennen, welche Opfer von Menschenhandel geworden sind. Die Mitternachtsmission war zur Anhörung im Vorfeld der Erarbeitung des Prostitutionsschutzgesetzes eingeladen. Umso mehr stoße es den Mitarbeiterinnen bitter auf, dass die Kritik von Verbänden daran weitgehend ignoriert wurden und Vorschläge von kompetenten Prostituierten keinerlei Berücksichtigung erfahren hätten. Menschenhandel werde diese neue Gesetz jedenfalls nicht verhindern, so Andrea Hitzke. Der sogenannte Hurenausweis sei nicht nur ein Stigma, sondern könne übrigens auch zu Erpressung und zu Zerstörung von Familien führen.

Freier, wusste sie zu berichten, hätten schon oft geholfen, wenn sie Zwangsprostitution oder Menschenhandel vermuteten. Auch diese Hilfe könne durch die geplanten neuen Bestimmungen möglicherweise zunichte gemacht werden.

Sexarbeiterinnen sollten selbstbestimmt arbeiten können und lernen selbstbewusst zu sein

Die anwesende Sexabeiterin warf ein, dass jede Frau – vorausgesetzt sie „sei nicht behindert im Kopf“ – die Entscheidung treffen dürfen müsse, wie sie arbeite. Sex könne nicht verboten werden. „Das ist für mich sittenwidrig.“ Es bauten sich halt bestimmte Bedürfnisse auf, die eben manche Männer – manchmal auch Frauen – auch bei und mit Prostituierten auslebten. Zum Beruf der Sexarbeiterin gehöre es unbedingt auch zu lernen, ja oder nein zu sagen. Die Frauen müssten motiviert werden, selbstbewusst zu sein und lernen ihren Wert zu erkennen. Wozu ebenfalls gehöre, sich vor Krankheiten zu schützen. Behörden könnten da nicht behilflich sein. Der Mitternachtsmission müssten dagegen mehr Rechte eingeräumt werden. Sie mache eine gute Arbeit. Die Frau kritisierte, dass die Sexarbeiterinnen eine fragwürdige Vergnügungssteuer (quasi für die Freier) an den Staat abführen müssten. Clubs zahlen eine Pauschale.

Unverletzlichkeit der Wohnung in Gefahr?

Ein Besucher der Veranstaltung sah durch das neue Gesetz auch die Unverletzlichkeit der Wohnung gefährdet. Zum Beispiel im Zuge einer Kondompflichtüberprüfung. Am Rande: In Dortmund soll es momentan 60 Wohnungen geben, in denen Prostitution ausgeübt wird.

Jelpkes Eindruck: Große Koalition macht insgesamt eine Politik über die Köpfe der Menschen hinweg

Dass dieses Gesetz eher aus konservativen Kreisen heraus befördert wurde, vermutete ein anderer Besucher. Sollen vielleicht Steuereinnahmen generiert werden – vielleicht durch die Förderung von Großbordellen, deren Besitzer nicht selten in diversen Talkshows säßen? Und was sei bezüglich dieses Gesetzes von der SPD zu erwarten. Von der man sich ja – wie die Mitternachtsmission – viel erwartet hatte. Dazu Ulla Jelpke: „Die SPD knickt bei jeder Sache ein“. Sie habe ja auch für Einschränkungen bei Hartz IV gestimmt oder in Flüchtlingsfrage versagt. Überhaupt habe Jelpke den Eindruck, dass die Große Koalition momentan auf allen Feldern eine Politik über die Köpfe der Menschen hinweg mache. Man „biegt nicht nur immer mehr nach rechts ab“, sondern schränke auch die Rechte der Menschen immer mehr ein.

Dieses Gesetz wird alles nur noch schlimmer machen“

Fatma Karacakurtoglu (Ratsfrau DIE LINKE) hat sich sorgfältig zum Thema Prostitution informiert. Sie erinnerte daran, dass man es bei dieser Tätigkeit mit „dem ältesten Beruf der Welt“, den sie „für notwendig“ hält, zu tun habe.

„Prostitution ist ein Bestandteil der Gesellschaft. Dieses Gesetz wird alles nur noch schlimmer machen“, war sich Ulla Jelpke sicher.

Jemand aus dem Publikum bezeichnete das Gesetz ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen als „absoluten Schwachsinn“. Warum macht man es dann? Fatma Karacakurtoglu bricht es kurzerhand auf Dortmunder Prostitutionsverbote (Stichwort: Ravensburger Straße) herunter : „Eins und eins zusammenzählen ist nicht die Stärke jeden Politikers.“ Fast ein schönes Schlusswort, wurde allgemein befunden.

Die Diskussionsveranstaltung über das neue Prostitutionsschutzgesetz im Saal Rothe Erde im Dortmunder Rathaus wurde an diesem Mittwochabend von Besuchern wie Referentinnen als wichtig und richtig empfunden. Es wird darüber hinaus gewiss weitere Diskussionen über das Thema Prostitution und das in dieser Veranstaltung und anderswo heftig kritisierte sogenannte „Prostitutionsschutzgesetz“ geben. In diesem Kreis war man sich weitgehend einig, dieses Gesetz abzulehnen.

Doch auch die Befürworter des Gesetzes im Lande sind sich einig. Sie dürften trotz der gut begründeten Kritik deren Gegner daran festhalten und weiter dafür eintreten. Man darf glauben, dass sie es aus wirklicher Überzeugung tun und gut meinen. Doch wir wissen auch: Gut gemeint ist nicht immer gut getan.

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Wie die Anmeldung von Sexarbeiterinnen momentan in Dortmund vonstatten geht

Wie die momentane Registrierung der Prostituierten in Dortmund abläuft, berichtete die bei der Diskussion anwesende Hauswirtschafterin aus der Linienstraße:

Ein Frau, die der Prostitution nachgehen möchte, muss binnen drei Tagen bei der Polizei gemeldet werden. Ein Formular muss ausgefüllt und der Behörde vorliegen. Mit Adresse, Namen und Arbeitsnamen der Frau etc.. Ausweis und Meldebescheinigung muss jederzeit vorgewiesen werden können.

Zum Gesetz

Der „Verein für soziale und politische Rechte von Prostituierten“ Dona Carmen mit einer Information zum Prostitutionsgesetz.