Naziangriff auf Dortmunder Rathaus zog Protest nach sich – Ältestenrat erwartet rückhaltlose Ermittlung

BildTrotz Nieselregens versammelten sich am Abend des 28. Mai ca. 400 Menschen zum Protest gegen Nazigewalt vorm Dortmunder Rathaus; Fotos: Claus-Dieter Stille

Am Abend des vergangenen Wahltages (Europawahl/Kommunalwahl) kam es zu äußerst unschönen Szenen vor dem Rathaus in Dortmund. Während die Wahlparty der im Rat vertretenen Parteien noch im Gange war, näherte sich der stadtbekannte Neonazi Siegfried Borchardt („SS-Sigi“),  der im künftigen Rat für die Partei „Die Rechte“ einen Sitz einnehmen wird, dem Dortmunder Rathaus. Eskortiert wurde er von  einer Schar  augenscheinlich  gewaltbereiter Anhänger. Sie alle trugen gelbe T-Shirts.

Erst schmetterten die Neonazis ausländerfeindliche Parolen, dann flogen auch Flaschen

Augenzeugen zufolge bildeten wehrhafte Demokraten aus verschiedenen Parteien und Organisationen, die das beobachtet hatten, kurzerhand eine Menschenkette vorm Rathauseingang. Die Neonazis schmetterten ihnen zunächst Parolen wie „Ausländer raus – Deutschland den Deutschen“ entgegen, dann auch Flaschen. Die Nazis sprühten zudem Pfeffergas. Es gab Verletzte. Einige der Angreifer ließen ob ihres Auftretens Rückschlüsse darauf zu, dass sie Anhänger des NWDO sind. NWDO ist das Kürzel für „Nationaler Widerstand Dortmund“, eine rechte Organisation, die vor einiger Zeit vom NRW-Innenminister verboten worden ist. Wie noch am Sonntagabend bekannt wurde, war – für den Fall, dass „Die Rechte“ in den Rat gewählt wäre –  durchaus mit einem „Auftritt“ der Neonazis am oder im Rathaus gerechnet worden.

Warum kam die Polizei so spät?

Fragt sich nur, warum die Polizei im Ernstfall schließlich kaum präsent war. Noch vor Polizeikräften in nennenswerter Zahl trafen Ambulanzen ein. Stärkere Polizeikräfte erreichten den Friedensplatz – so berichteten Augenzeugen – erst nach ca. 20 Minuten. Und das, obwohl sich das Polizeipräsidium unweit des Rathauses befindet!

Aus Opfern werden Täter – Ein TV-Bericht läßt jedoch kaum zweifeln, wer die Täter waren

Einen Tag später relativierten Polizei- und einige Presseberichte die empörenden Vorkommnisse. Beinahe werden darin die eigentlichen Opfer zu Tätern gemacht. Ein TV-Bericht des WDR lässt allerdings betreffs der wahren Gewalttäter kaum Fragen offen (viaYouTube „Frau Maja“/WDR).  Inzwischen stellen sich Fragen nach dem Verbleib der Aufnahmen einer Webcam auf dem Friedensplatz vom Sonntagabend. Anhand der Aufnahmen dürfte zu ermitteln sein wie lange die Polizei brauchte, um stärkere Kräfte zum Ort des Geschehens heranzuführen.  Sie selbst bestreitet  beinahe 20 Minuten dazu benötigt zu haben.

Protest „Gegen rechte Gewalt“ am Tag danach

BildLetzten Mittwoch nun, am 28. Mai 2014, hatte das Bündnis BlockaDO  in Dortmund vor dem Rathaus auf dem Friedensplatz zu einer Protestdemonstration „Gegen rechte Gewalt“ aufgerufen.

Trotz kühlem Wetter und leichtem Nieselregen hatten sichlaut Polizeibericht  zirka 400 Menschen (das Bündnis BlockaDO nennt die Zahl 500) vor dem Rathaus eingefunden. Auch die Medien zeigten Interesse. TV-Teams von WDR und SPIEGEL TV waren vor Ort.

Bevor sich der Demonstrationszug in Richtung Nordstadt in Bewegung setzte, wo der Neonazi Borchert seinen Wohnsitz hat, berichteten zwei Augenzeugen über den empörenden Angriff der Neonazis auf Demokraten und das Rathaus der Stadt.

Der erste Augenzeuge schilderte, wie er am fraglichen Abend bemerkte, dass sich die Neonazis dem Rathaus näherten. Es sei, so der junge Mann, sofort ersichtlich gewesen, dass sich martialisch gebärdende Gruppe auf Krawall ausgewesen sei. Seiner Meinung nach bestünden kaum Zweifel daran, dass dieser Angriff auf das Rathaus geplant gewesen sei. Auf der Stelle habe er dann Leute im Rathaus alarmiert. Daraufhin sei es spontan  zur Bildung einer Menschenkette gekommen. Zu allem Überfluss wurde der junge Demokrat bald daraufhin auch noch  von einem Polizisten zur Herausgabe seiner Personalien gezwungen. Ein Neonazi, so die Begründung des Polizeibeamten, habe ihn wegen Beleidigung angezeigt.

Ausdrückliches Lob für fünf mutige Polizisten

BildDer Demonstrationszug verläßt den Dortmunder Friedensplatz Richtung Nordstadt

Der zweite Augenzeuge machte klar, wie gefährlich das Ganze gewesen sei. Da man sich zu einer Menschenkette eingehakt hatte, habe man die schon bald erfolgenden Flaschenwürfe vonseiten der Neonazis nicht abwehren können.

Dieser Zeuge lobte ausdrücklich die ersten am Ort eingetroffenen  zwei Polizisten und die wenig später hinzugeeilten drei weiteren Ordnunghüter. Sie hätten die das Rathaus schützenden Menschen vor dem Schlimmsten bewahrt. Dafür gebühre den mutigen Polizisten Lob. Beifall auf dem Friedensplatz.

Demgegenüber kritisierte der Mann jedoch das späte Eintreffen massiverer Polizeikräfte und die Darstellung der Vorfälle am nächsten Tag durch die Polizei selbst.

Borchardts Ziel: „Mit einem Schlag ins Rathaus“

Dabei hätten sowohl Staatsschutz wie Polizei zumindest alarmiert und dementsprechend vorbereitet sein können.

Befand sich vor der Wahl doch auf der Facebookseite  des Spitzenkandidaten der Partei  „Die Rechte„, Siegfried Borchardt, eine Botschaft,  die Gewalt zumindest befürchten lassen musste:  Auf einem Bild präsentiert sich dort Borchardt mit Sonnenbrille und schwarzem Tuch über dem Kahlkopf. Borchardts Faust zielt in die Kamera. Darunter im Text das anvisierte Ziel: „Mit einem Schlag ins Rathaus!“

Dortmunder haben Nazis satt

Nach den Schilderungen der empörenden Vorkommnisse  vom Vortag seitens der zwei Augenzeugen lief der Zug der Dortmunder, die längst die Nazis satt hat – wie auf einem Transparent zu lesen stand – und erst recht die Nase von Nazigewalt voll haben, vom Friedensplatz los.

Dazu, wie der Protest vom Mittwochabend  „Gegen rechte Gewalt“ – den ich selbst nicht bis zum Schluß begleiten konnte – weiter verlief, einen abschließenden Bericht des Redaktionsleiters des Straßenmagazins bodo, Bastian Pütter, auf Facebook:

Schweigeminute an der Gedenktafel für NSU-Mordopfer Mehemet Kubasik ruhiger Ausklang des Protestes

Laut, bunt friedlich, nassgeregnet endete die Demonstration gegen rechte Gewalt am Dortmunder Hafen.
Zwischenkundgebungem in der Innen- und Nordstadt, eine Schweigeminute am Schauplatz des NSU-Mordes an Mehmet Kubasik
(Lesen Sie dazu hier mehr; d. A.)
Kurze Aufregung nur, als ein verirrter Nazi nur wenige Meter davon entfernt es mit 400 Demonstrierenden aufnehmen wollte. Die Ordner deeskalierten und alles blieb ruhig.
Die Polizei hielt sich zurück, die Dortmunder Reiterstaffel regnete einsam im Blücherpark ein. Die und alle anderen gehen sich jetzt was Trockenes anziehen. So, Feierabend.“ (Bastian Pütter)

 

Unterdessen hat sich der Ältestenrat des Dortmunder Kommunalparlamentes mit dem Vorfall am Wahlabend befasst (via Facebookseite von Utz Kowalewski, Ratsherrr DIE LINKE im Dortmunder Rat):

Erklärung des Ältestenrates der Stadt Dortmund zu den Vorfällen am Abend der Kommunalwahl am 25. Mai 2014 (im Ältestenrat vertreten sind derzeit SPD, CDU, Grüne, LINKE und FDP)

Der Ältestenrat der Stadt Dortmund verurteilt auf das Schärfste den gewalttätigen Angriff von Rechtsextremisten auf das Rathaus der Stadt Dortmund. Unser Rathaus ist ein Ort der Demokratie und des Dialogs. Hier haben Gewalt und rechtsextreme Gesinnungen nichts zu suchen.

Der Ältestenrat bedankt sich bei denen, die sich aus wohlverstandenem bürgerschaftlichen Engagement den Neonazis gewaltfrei in den Weg gestellt und unser Rathaus geschützt haben.

Unsere Gedanken sind bei all denen, die bei dem gewaltsamen Angriff der Rechtsextremisten verletzt wurden.

Unser Respekt gilt denjenigen Beamtinnen und Beamten der Polizei, die zuerst vor Ort waren und sich den braunen Schlägern in den Weg gestellt haben.

Der Ältestenrat erwartet, dass der gesamte Vorgang weiter aufgearbeitet wird. Dabei sollte der Tätigkeit des Staatsschutzes besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden.

Der Ältestenrat erwartet weiterhin, dass gegen die Gewalttäter schnell und rückhaltlos ermittelt wird und eingeleitete Strafverfahren möglichst bald zum Abschluss gebracht werden.

Wir erwarten von der Verwaltung, dass sie alle Maßnahmen ergreift, damit sich ein solches Ereignis nie wieder ereignet.

Der Ältestenrat“.

 

Ruhrfestspiele 2014: Rether später

Viertel vor Rether ...; Foto: Claus-Dieter Stille

Viertel vor Rether …; Foto: Claus-Dieter Stille

Den Letzten beißen die Hunde, heißt es im Volksmund. Nun, im Falle von Spitzenkabarettist Hagen Rether, seinem abermals „Liebe“ benamten Programm – am vergangenen Freitag bei den Ruhrfestspielen Recklinghausen unter der Rubrik „Late Night Kabarett“ eingeladen – griff dieser Volksmundsatz. Late Night bedeutet bei den Ruhrfestspielen: Beginn 22:00 Uhr. Und das ist spät, wie schon der englische Titel der Rubrik androht. Das ist hart. Sehr hart. Erst recht, wenn man wie ich am nächsten Morgen sehr früh zur Arbeit muss! Aber sich Hagen Rether entgehen lassen? Das geht gar nicht!

Verspätung

So stapfte ich denn nach kleiner Stärkung und ein paar Runden ums Festspielhaus erwartungsvoll die Treppe zum Großen Theatersaal hinauf. Ebenso andere erwartungsvoll gestimmte Kabarettfreundinnen und Freunde. Doch die Türen fanden wir zehn vor zehnd noch immer verschlossen. Davor die stets sehr freundlichen Einlaßkräfte des Hauses. Nun aber in Funktion von achselzuckend abweisenden Türwächtern. Leider, so wurde uns beschieden, müsse Hagen Rether später anfangen. Später? Later! So um eine Stunde könnte es wohl dann losgehen. Herzstillstand! Krampfend sah ich meine Felle, bzw. die bis zum frühen Dienstbeginn am nächsten Tag ohnehin schon knapp bemessene Schlafenszeit davonschwimmen. Murren und Brummen beim verdutzten Publikum. Was war geschehen?

„Purpurstaub“ mit Überlänge

Hagen Rether und uns Rether-Fans wurden betreffs des letzten Programmpunktes nicht von den vom Volksmund so bezeichneten Hunden gebissen, sondern von Regisseur Sebastian Hartmann. Der hatte das Stück „Purpurstaub“ von Sean O’Casey inszeniert und offenbar betreffs der Spielzeit auch dieser Inszenierung wieder einmal kein Ende gefunden. Mir trat der Schweiß auf die Stirn. Ich erinnerte mich an Hartmanns Inszenierung an gleicher Stelle vor einiger Zeit: „Krieg und Frieden“. Das war außergewöhnlich, verrückt, fesselnd aber auch fast fünf Stunden lang gewesen.

Getränke für Umme gingen auf’s Haus

Die Festspielleitung schenkte zur Besänftigung der wartenden Massen O-Saft, Sekt und Grappa für Umme – aufs Haus-  aus. Und es klappte: bis auf Wenige blieben alle Rether-Fans. Die sind hart im Nehmen.

Fleischgeruch und ein Angebot zur Güte

Nachdem ein ZDF-Fernsehteam aus einer Tür getreten war, das „Purpurstaub“-Publikum von viereinhalb Stunden (ohne Pause!) dauernden Inzenierung (die Zuschauer hatten selbst bestimmen können, wann sie Pause machten, herausgehen und wann wieder hineingehen wollten- wie demokratisch!) geschieden und Saal geleert hatte, vergingen noch viele Minuten: Die Bühne musste noch umgebaut werden. Mein Herz!

Als dann unter erlösendem Applaus der arme Hagen Rether endlich auf die Bühne treten konnte, war es bereits nach 23.00 Uhr. Aber alles wurde gut. Rether machte wie wir alle gute Miene zum anstrengendem Spiel. „Und das“, waren Rethers erste Worte, „wo ich bekannt bin für meine kurzen Programme!“ Lachen im Saal. Unter drei Stunden (mit Pause) macht der Rether es nicht. Man war hin- und hergerissen. Zwischen beginnender Müdigkeit und Rether unbedingt und zwar bis zum Schluss erleben zu wollen. Schließlich machte der ein Vorschlag zur Güte, der Zustimmung fand: „Es ist ja auch schwer, sich um diese Zeit zu konzentrieren. Wir machen so bis gegen halb zwei und lassen die Pause weg.“ Und so geschah es. Leichte Schwaden ziehen sichtbar vom hinterm Vorhang kommend gen Scheinwerfer auf der Zuschauerbrücke. Rether: „Grillen die hier? Fleisch! Sauerei, die wissen das ich Vegetarier bin. Wollen die mich ärgern?“

Das verzwickt und zugenähte Geflecht aus politischen und wirtschaftlichen Abhängigkeiten

Niemand bereute es. Das behaupte ich hier mal. Rether war wieder einmal scharfzüngig, auf dem Laufenden und angriffslustig und Nach-Denken anregend gut. Die Welt und das uns nicht minder betreffende Innere hierzulande wurde von unterschiedlicher Seite seziert. Und die nicht zufriedenstellende Umstände benannt und gegeißelt. Dabei bedenkend, das unsere Welt ständig immer komplizierter wird. Und das verzwickt und zugenähte Geflecht aus politischen und wirtschaftlichen Abhängigkeiten zunehmend undurchsichtiger wird (bzw. gemacht wird).

Medialer Radau als Ablenkung

All das lotet Rether aus und macht sich laut Gedanken darüber, die sich auch das Publikum machen dürfte. Freilich bennent er die Strippenzieher hintern den Konzern- und Regierungskulissen und macht klar, wer die Marionetten, Strohmänner und wer die Sündenböcke sind, die das Verzapfte dann mehr oder weniger bitter ausbaden müssen. Rether gibt sich Mühe, den nicht selten mit Vorsatz verborgenen Nutzen von Klischees und Drohkulissen aufzudecken. Und er entdeckt dem Publikum, das zu Sensationen Gemachtes nichts als Radau mit Bedacht ist. Mediale Ablenkungsmanöver, die verdecken sollen, wie das Volk letztlich verarscht und abgezogen wird. All spricht Rether an und hinterfragt es. Eröffnet, wie Politik- und Talksendungen mehr verwirren, als das uns aufklären.

„Warum machen wir das?“

„Warum lassen wir uns das gefallen?“, fragt Hagen Rether. Oder: „Warum machen wir das?“ Ist es wirklich nötig – um das fragen, muss man gewiss kein Vergetarier sein – das in einem Fleischbetrieb in Rheda-Wiedenbrück täglich (täglich!) ca. 14 000 Schweine geschlachtet werden? Und damit kam Hagen Rether zur Verantwortung des Einzelnen.  Auf den Punkt gewissermaßen! Klar ist es richtig die zu nennen, die uns das alles einbrocken. Meist aus purer Profitgier.

Doch der springende Punkt ist doch: Nicht nur „die da oben“ drehen dieses Rad. Das große. Vielleicht. Aber sind nicht wir alle viele kleine Räder, die machen, dass das große Rad seine Runde nahezu ungehindert drehen kann? Darüber lohnt es sich doch einmal nachzudenken. Was wir als Konsumenten eigentlich für eine Macht haben! Warum nutzen wir sie dann nicht? Gewohnheit. Ja. Aber kann das denn eine Entschuldigung sein? Wo wir doch um mit Nietzsche zu sprechen doch wohl längst am Abgrund stehen. Schaut man lange genug in einen Abgrund hinein, schaut der irgendwann in uns zurück. Mit Sicherheit schaut der schon eine Weile, meine ich.

Hoffnung, das Aufklärung nützt und Umkehr möglich ist, bleibt

Doch Hagen Rether hat es noch nicht aufgegeben, daran zu glauben, dass Aufklärung etwas bringen kann. Und Möglichkeiten zur Umkehr bestehen. Wir müssten es nur tun! Das ist die Quintessenz des Abends. Beziehungsweise der frühen Nacht. Die für mich in den frühen Morgen und von Recklinghausen wieder nach Dortmund führte.

Dass ich am Sonntagfrüh sehr müde in die Arbeit ging und von dieser am Nachmittag noch müder wieder nach Hause schlich – auf dem Zahnfleisch sozusagen – muss ich doch wohl nicht extra betonen?

Den Letzten beißen eben die Hunde. Aber von Hagen Rether gebissen zu werden, hat schon was …

Hagen Rether Homepage

Informationen zu den Ruhrfestspielen 2014

Sahra Wagenknecht: „Wenn Sie wollen, dass alles so bleibt, dann müssen Sie CDU und SPD wählen“

BildSahra Wagenknecht bei ihrem gestrigen Wahlkampfauftritt in Essen; Fotos: C.-D. Stille

Wer Sahra Wagenknecht noch vor der Europawahl (und Kommunalwahl in NRW) reden hören wollte, hatte gestern drei Möglichkeiten. Düsseldorf. Bochum. Essen. In Bochum lockte gleichzeitig das Sommerfest der LINKEn auf dem Dr. Ruer Platz. Schlimme Gewitter mit heftigen Regengüssen waren vorausgesagt. Man ist ja, wie meine Mutter immer zu sagen pflegte, nicht aus Zucker. Also schulterte ich den Schirm, bestieg den Regionalexpress gen Aachen. Ich ließ ein bisschen wehmütig – das Bochumer Sommerfest – und damit Grönemeyers Geburtstadt, tief im Westen, links liegen und fuhr durch bis Essen. Essen, „Die Einkaufsstadt“. Mit diesem Slogan empfing mich die Stadt der Krupps und Krauses einst, als ich 1989 von Wien kommend hier ausstieg.

Tommelklänge zum Empfang

Stracks strebte ich über die Kettwiger Straße hinunter, um linkerhand auf den Kennedy-Platz zu gelangen. Laute Trommelklänge empfingen mich: Eine bunte Samba-Truppe bollerte vor der LINKEn-Bühne auf ihre Klanginstrumente. Verstreutes Publikum. Ein Stand mit leckerer Speis und Trank. Eine Hüpfburg und eine Rutsche für die Kleinen. Das Wetter annehmbar. Die Außengastronomien von Cafés und Restaurants gut besucht. Vor der Bühne noch reichlich Plätze.

Kommunalwahl: Essen baut schon wieder an der Messe herum. Und was ist mit der Zukunft der Kinder?

Nach kurzen Ton-Problemen stellten sich diverse Kandidatinnen und Kandidaten aus einigen Wahlbezirken von der LINKEn, welche  für die Kommunalwahl und den Rat der Stadt Essen kandidieren,  vor. Nach wie vor beschäftigt die Politiker und gewiss auch viele Bürger der Stadt die prekäre finanzielle Situation der Stadt Essen. Einen gewaltigen Schuldenberg hat die Stadt seit 1990 nun angehäuft. Überall wird gekürzt. Kultur, Bibliotheken, Bäder (die „Oase“ ist dicht: da habe ich 1989 noch drin geplanscht, sogar splitterfasernackt) – man kennt das. Überall? War die Essener Messe – auch um 1990  herum – für über 100 Millionen renoviert worden, steht nun schon wieder ein Um- und Ausbau in Frage. Das empört nicht nur die LINKEn. Der neue Ausbau soll nun noch mehr als der alte kosten. Und dabei ist der alte Kredit noch nicht einmal abgezahlt. Das soll noch jemand verstehen?

Wären die Mittel nicht besser in Bildung, Kultur und soziale Einrichtungen, die möglichst vielen Bürgerinnen und Bürger – in vorderster Linie: den Kindern und Jugendlichen! – zugute kommen, investiert?!

Fabio de Masi kandidiert auf Listenplatz 6 seiner Partei für das Europaparlament

BildFabio di Masi (DIE LINKE) kandidiert für das Europaparalment

Nach weiteren musikalischen Programmpunkten kam Fabio de Masi auf die Bühne des Essener Kennedy-Platzes. De Masi kandidiert für DIE LINKE auf Listenplatz 6 für die Europawahl. „Übrigens“, sagte de Masi einleitend, „in Essen ist das Wetter besser!“ Der Deutsch-Italiener kam geradewegs von seinem Redeaufritt in Bochum.

De Masi warnte ausdrücklich vor einem Erstarken der Rechten im Europaparlament. Dabei hat er auch die AfD im Blick. Heftig greift er deren Kandidaten Olaf Henkel an. Der, so de Masi, habe nichts für „die kleinen Leute“ im Sinn. Schließlich habe der als einstige Wirtschaftsfunktionär doch einst enorme für Verschlechterungen für dieselben kleinen Leute gefordert. Schon vergessen? Und besonders von Regierungen wie der unter Bundeskanzler Schröder schlussendlich habe die Wirtschaft sie auch in Formn von „Reformen“ bekommen.

Vorsicht vorm TTIP!

Hart kritisierte der Linkspolitiker das sogenannte Freihandelsabkommen TTIP. Nicht zuletzt deshalb, weil es von Lobbyisten hinter verschlossenen Türen ausgehandelt werde.

„Was ist mit Sozialmissbrauch der Bosse?“

De Masi. „Als ich das erste Mal den CSU-Spruch ‚Wer betrügt, fliegt“ gehört habe, da dachte ich, die Vereinsspitze von Bayern München sei damit gemeint gewesen.“ Wer, wie die Bundesregierung es vorhabe, auch jetzt wieder mit Gesetzesverschärfungen gegen vermeintliche Sozialbetrüger – gemeint sind EU-Bürger aus Rumänien und Bulgarien – Front und Stimmung mache, betreibe Brandstiftung. Neunzig Prozent dieser Personen zahlten ihre Sozialbeiträge. Zum Dank dafür beutete  man sie meist als billige Arbeitsklaven aus. „Was ist mit dem Sozialmissbrauch der Bosse?“, schallte die Stimme des Linkspolitikers über den Kennedy-Platz.

Eurokrise nicht vorbei

Niemand, so de Masi, solle sich von Angela Merkel einwickeln lassen: „Die Eurokrise ist längst nicht vorbei!“

Wer von Schulden der Staaten spreche, dürfe von den Vermögen nicht schweigen.

Für wen haben sich die Ukrainer auf dem Maidan den Arsch abgefroren?

De Masi äußerte großes Verständnis für Ukrainer, die sich Anfang des Jahres auf dem Kiewer Maidan „den Arsch abgefroren haben“, um für nachvollziebare Rechte zu kämpfen. Der Politiker erinnerte an eine frühere Monitor-Sendung und daran, dass entsprechende WDR-Recherchen damals ergeben hätten, dass die Scharfschützen, die für die Toten des Maidan vom Hotel „Ukraina“ geschossen haben müssen, welches damals von der Opposition kontrolliert wurde.

Und auch daran, dass die USA seit Jahren 5 Milliarden Dollar investiert hätten, um den Wind in der Ukraine in ihrem Sinne zu drehen.

Auch werde heute kaum noch davon gesprochen, dass im Rahmen angedachten des EU-Assoziationsabkommens mit Kiew die Gaspreise für die ärmsten Ukrainerinnen und Ukrainer enorm gestiegen wären. Für wen also haben sich die Menschen auf dem Maidan den Arsch abgefroren?!

Wählen gehen!

„Gehen Sie wählen!“, ruft de Masi zum Abschluß seiner Rede noch den Essenern zu. Die sind in ihrer Zahl auf dem Kennedy-Platz angewachsen.

Sahra Wagenknecht: „Wenn Sie wollen, dass alles so bleibt, dann müssen sie CDU und SPD wählen!“

BildMan ahnt den Grund für die Volksvermehrung: Sahra Wagenknechts Rede rückte zeitmäßig näher. Und dann tauchte sie auch auf. Im weinroten Kleid. Und wie immer bestens vorbereitet. Pünktlich gegen 17 Uhr trat Wagenknecht ans Mikrofon. Applaus.

Die Spitzenpolitikerin ihrer Partei DIE LINKE ging gleich von gegen Null auf Hundert. Dr. Sahra Wagenknecht spricht die Menschen direkt an: „Wenn Sie wollen, dass alles so bleibt, dann müssen sie CDU und SPD wählen!“ Auch die FDP würde weiter Neoliberalismus bleiben. Und die Grünen, Mitopposition neben ihrer Partei ginge meist so zag zuwerke, dass man den Eindruck gewinnen müsse, sie wollten nichts Wesentliches ändern.

Gebraucht wird ein soziales Europa

Aber Europa brauche, so Wagenknecht, dringend einen Wandel. 26 Millionen Arbeitslose europaweit, die griechische Wirtschaft am Boden – das sei ein Skandal.

Ein soziales Europa werde gebraucht, nicht eines, wo das große Geld die Politik kaufe, um ihre Profitinteressen verwirklichen zu können, forderte Wagenknecht.

Europawahl ist auch Stimmungstest für Groko

Zwar plakatiere die CDU etwa Merkel, obwohl die ja betreffs Europa überhaupt nicht zur Wahl stünde. Dennoch, darauf verweist die Politikerin, sei die Europawahl auch ein Stimmungstest für die Große Koalition. Wagenknecht: Läuft die Wahl auf eine Bestätigung der Groko-Politik hinaus, müsse sich niemand hinterher wundern, dass man in Berlin weitere Übeltaten wage.

Ukraine: Schwere Fehler in der Ukraine-Politik

Kritisch beschied Wagenknecht auch die deutsche Außenpolitik. Schwere Fehler hinsichtlich der Ukraine habe Berlin gemacht. Nun, da in der Ukraine ein Bürgerkrieg entstanden sei, gieße eine EU-Politik noch weiteres Öl ins Feuer.

Warnende  Linke bringe man als „Russland-Versteher“ in Misskredit. Das sei perfide. Nie, bekannte Dr. Wagenknecht, hätte sie gedacht, einmal  mit solchen Vorurteilen konfrontiert zu werden. Sie selbst bemühe sich alle Länder zu verstehen. So wie sie versuche Russland zu verstehen, möchte sie versuchen Frankreich, Polen  und andere Länder verstehen.

Gefährliches Säbelrasseln

Sahra Wagenknecht wandte sich energisch gegen „neue deutsche Großmannsucht“ und nannte das „Säbelrasseln“ gegenüber Russland unsäglich und gefährlich. Schlimm sei, dass man gerade zu diesem Behufe auch osteuropäische Länder instrumentalisiere, welche früher einmal zur Sowjetunion gehört haben.

Und in diesem Zusammenhang rief Wagenknecht die Ereignisse im Vorfeld des Ersten Weltkriegs, dessen Ausbruchs sich in diesem Jahr zum 100. Male jähre, mahnend in Erinnerung: „Krieg darf nicht Ultima Ratio, sondern muss Ultima Iratio sein“

Waffenexport ist  „übles Geschäft

Eine von Wagenknechts Forderungen ist auch, dass Deutschland sich für den Weltfrieden einsetze. Dazu passe eben nicht das Geschäft mit dem Tod, dass deutschen Rüstungsbetriebe mit ihren Waffenexporten betrieben. „Ein übles Geschäft ist das“, sagte Sahra Wagenknecht. Vor allem, wenn Waffenempfänger im Ausland Waffen gegen das eigne Volk richteten.

August Bebel und Wily Brandt möchte Wagenknecht ausdrücklich in Schutz nehmen

Kurz ging die Linkspolitikerin auch noch auf Frank-Walter Steinmeiers Empörung wider Demonstanten ein, welche ihn kürzlich auf dem Alexanderplatz in Berlin u.a. als „Kriegstreiber“ geschmäht hatten. Steinmeier hatte die Sozialdemokratie dabei in hohen Tönen gelobt, was die in Sachen Frieden für Verdienste hätte. Dies sei doch sehr fragwürdig, beschied Wagenknecht.

Sahra Wagenknecht dazu: „Ich bin zwar keine Sozialdemokratin, ich bin Sozialistin … aber ich möchte ausdrücklich Sozialdemokraten wie August Bebel und Willy Brandt, der sich wohl heute im Grabe herumdrehen dürfte, in Schutz nehmen.“

Gabriels Heuchelei

Sigmar Gabriels Gerede von besseren Löhnen nannte Wagenknecht eine Heuchelei. Vielmehr sei das Lohnniveau kaum über dem des Jahres 2000.

„Die Lohndrücker sitzen in der Regierung“, stellt Sahra Wagenknecht von der Bühne herunter klar. Schuldenbremsen auf der einen Seite und keine Besteuerung der Vermögen, das passe nicht zusammen.

Eine nette Geste

Ein junger Mann huschte in diesem Moment an der Bühne vorbei. Als er in Höhe von Sahra Wagenknecht und dem Rednerpult war, warf er ihr mit erhobenem Kopf einen Handkuss zu und ging weiter. Sahra Wagenknecht sah es nicht. Schade. Eine nette Geste war das, finde ich.

Sahra ging, der Regen kam

Nun regnete es auch in Essen. Doch die Leute harren aus. Als es doch ein bisschen dicker tropfte, beendet Sahra Wagenknecht ihre Rede: „Damit mit Sie hier nicht doch noch zu nass werden“.

Riesenapplaus. Ein Mann ganz vorn rief begeistert zur Bühne herauf: „Sie haben genau das gesagt, was wir auch denken.“

Links (sic!) blinkend rollte Wagenknechts Wagen vom Kennedy-Platz

BildLinksparteipolitikerin Wagenknecht (Mitte) mit jungen Linken nach ihrer Rede

Und Sahra Wagenknecht kehrt mit den Worten „Gehen Sie wählen am Sonntag!“ dem Rednerpult den Rücken. Neben der Bühne stellte sie sich noch für Fotos zur Verfügung, schrieb Autogramme. Dann ging sie zu ihrem Wagen. Der rollte dann, links (sic!) blinkend langsam vom Kennedy-Platz …

Wählen gehen!

Auch wenn Sie, liebe Leserin, Sie lieber Leser, am Sonntag nicht DIE LINKE wählen. Das hier sollte nur ein kleiner Stimmungsbericht sein. Von einer Wahlkampfveranstaltung der Linkspartei. Aber gehen Sie am Sonntag wählen. Und wählen Sie eine demokratische Partei, die für ein anderes, besseres, sozialeres Europa eintritt. Geben wir rechten und rechtspopulistischen Parteien keine Chance. Schalten wir am Sonntag zunächst  unser Hirn ein und greifen erst dann zu Stift und Stimmzettel.

Ein Text von Jens Berger (NachDenkSeiten) möchte ich noch mit auf den Weg geben

„Seit gestern sind die rund 375 Millionen Wahlberechtigten in der EU aufgerufen, ein neues EU-Parlament zu wählen. Viel zu wenige werden diesem Ruf folgen und wenn am Sonntagabend die Ergebnisse veröffentlicht sind, wird der Katzenjammer der etablierten Politik groß sein. Die Heuchelei kennt keine Grenzen. Wer jahrelang die Demokratie mit Füßen getreten und Europa für seine eigenen Interessen missbraucht hat, braucht sich nicht darüber zu wundern, wenn die Bürger sich vom politischen Europa abwenden. Doch diese Entwicklung ist fatal. Nur mit einem Mehr an Demokratie kann das europäische Projekt noch gerettet werden.“ (weiter hier)

Georg Ringsgwandl beglänzte die Ruhrfestspiele Recklinghausen

BildGeorg Ringsgwandl bei seinem Auftritt in Recklinghausen; Fotos: C.-D. Stille

Kabarett hat neben der Theaterkunst stets einen festen Platz bei den Ruhrfestspielen. So auch in diesem Jahr. Dass sich die Leitung der Ruhrfestspiele immer auch um Brettl-Künstler bemüht, die noch nicht auf dem Grünen Hügel der Stadt Recklinghausen im blauen Kabarettzelt hinter dem Festspielhaus aufgetreten sind, ist dankens- und äußerst lobenswert. Vergangene Woche hatte man das Vergnügen mit dem Liedermacher Georg Ringsgwandl.

Der promovierte Mediziner, einst als Oberarzt in der Kardiologie tätig, gab sein Debüt bei den Ruhrfestspielen Recklinghausen. Und er kam hochmotiviert, begleitet von Top-Musikern nach Recklinghausen. Was die Profis auf den jeweiligen Instrumenten an Tönen zum Klingen brachten – Daniel Stelter (Jazz-Gitarre, spielte im Bundesjugendjazzorchester, für Till Brönner, Helen Schneider, Lena Meyer-Landruth), Tommy Baldu (Schlagzeug, u.a. für Triband, Sebastian Studnitzky) und Christian Diener (Bassist, spielte für Wolfgang Haffner, Pee Wee Ellis, Chuck Loeb) – war echt sensationell.

Georg Ringswandl will es nach wie vor wissen

BildDass der inzwischen 64 Jahre alte Barde nun weitaus weniger schrill daherkommt wie einst, hat nichts mit seinem Alter zutun: Georg Ringsgwandl ist topfit. Und zeigt: Etwas, das man gern und immer wieder mit Freude macht hält körperlich und geistig jung.

Einleitend spricht Ringsgwandl vom Imagewandel, den ihn das Musikmanagement für die neue Scheibe sozusagen verschrieb. Das war amüsant. Die Erzählung des in der Heimat Murnau vorgenommenen Klamotteneinkaufs. Auch die Seitenhiebe auf die Schnodderigkeit des jugendlichen Verkäufers erntete zahlreiche Lacher. Nicht, dass es ein Beinbruch gewesen wäre: dieser Einstieg geriet ein wenig zu lang. Schwamm drüber!

Die Unsicherheiten des Künstlerlebens halten wach

Ringsgwandl will es nach wie vor wissen. Obzwar ihm seine ärztliche Tätigkeit Freude und Genugtuung brachte, trauert er dieser offenbar nicht nach. Vor Jahren war er noch einmal an seinen früheren Arbeitsplatz im Krankenhaus zurückkehrt. Als Aushilfsarzt. Doch abermaligen Appetit auf die Arbeit als Doktor  machte das nicht. Dieser ganze  bürokratische Apparat Gesundheitswesen! Damit, so Ringsgwandl, kann er nichts mehr anfangen.

Lieber dann die Unsicherheiten des Künstlerslebens. Einmal sagt Georg Ringsgwandl: „Wenn mir jemand jeden Monat 10000 Euro überweisen würde, das wäre ganz schlecht für mich. Meine finanzielle Unsicherheit hält mich wach.“

Das „Dschungel-Gewächs aus dem Glasscherben-Viertel“

Geboren in Bad Reichenhall nennt sich Ringsgwandl selbst ein „Dschungel-Gewächs aus dem Glasscherben-Viertel“. Sein Jugend war nicht einfach. Die Familie war arm. Der Vaters, einen Granatsplitter aus dem Zweiten Weltkrieg im Kopf behalten habend, war nicht einfach zu ertragen. In diesen „kleinen“ und wohl die Seele eines jungen Menschens berührenden und dessen Leben (vor-)zeichnenden Verhältnissen wuchs Ringsgwandl zu dem heran, was ihn heute ausmacht. Mit Humor meisterte er schwierige Lebensabschnitte. Er studierte Anfang der 1970er Jahre. Wurde später ein guter Oberarzt. Heute proftieren wir davon, dass er schlussendlich ganz zum Liedermacher wurde. Reminisenzen an frühere Aufritte: Er machte ziemliche Krachmusik, Punk, der ordendlich die Ohren wackeln ließ, also reinhaute und eckte – noch dazu in Bayern – nicht selten an. Grell geschminkt und auch mal in Frauenkleidern auftretend. Georg Ringswandl: „Nur Irre haben mein Zeug im Plattenschrank.“ – So what?

„Hühnerarsch sei wachsam!“

Gemessen an den einstigen Aufritten kommt Ringsgwandl heute beinahe serös daher. Was jedoch nicht heißt: langweilig. Im Gegenteil! Ringsgwandl ist einer geblieben, der durchaus weiter gegen den Stachel löckt. Sein Aufreten ist nach wie vor clownesk. Das Publikum hat seine Freude. Nicht nur, wenn er singt „Hühnerarsch sei wachsam!“ (vor dem was sich von hinten anschleicht) und die Band mitsingend einfällt: „Chicken Ass be watchful!“

Selbstironie

Georg Ringsgwandl nimmt sich gern auch selbst auf die Schippe. Nach dem bekannten Goethe-Satz handelnd „Wer sich selbst nicht zum Besten haben kann, der zählt gewiß nicht zu den Besten:  „Für die wirklich hohe Kunst bin ich zu primitiv, für die Popmusik zu kompliziert.“

Fluffiger Glanz

Die neue CD, das Programm auch, das es in Recklinghausen zu erleben gab, trägt den Titel „Mehr Glanz!“. Es kommt geradezu fluffig daher. Funk vom Feinsten. Die Instrumentalisten, die mit Ringsgwandl musizieren, sind ein wahrer Glücksfall für ihn und’s Publikum! Groovig verbreitet sich schallwellenartig der  im Programmtitel versprochenen Glanz im Theaterzelt der Ruhrfestspiele. „Mehr Glanz!“ lässt jedoch auch auf aufscheinen, dass in unserer Welt Glück und Leid verdammt dicht beisammen zu passieren pflegen. „Ruhm und Glanz sind öffentlich, nur das Elend ist privat.“ – Wie wahr!

Einmal mehr der berüchtigte Pfau

Wie konnte es anders sein: Auch der schon berüchtigte Pfau, im kleinen Tierpark hinterm blauen Chapiteau, schreit einmal mehr durchdringend in die Pause zwischen zwei Liedern. Ringsgwandl um eine Erklärung nicht verlegen: „Was ist das denn? Wird da jemand missbraucht?“

Betreffs der eignen Wirkung selbstironisch

Von Anfang an ist Ringsgwandl hörbar gemüht, das bayrische Idiom zu bezähmen – schad‘ für Bayrischfans. Gut für Menschen aus dem Ruhrpott.

Immer wieder Tragikomisches in seinen Liedern. Oder wieder Selbstironie betreffs der eignen Wirkung respektive Vermarktung: „Nicht mal die kleinste Brauerei int‘ressiert mein Konterfei.“ Und: „Nicht mal der Pferdemetzger glaubt, dass ich ihm Kunden zieh.“ Auch das: „Nicht mal die Linke freut sich, wenn ich Wahlkampf mach für sie. Mit mir, da krieg’n sie nicht mal vier Prozent.“

Gesellschaftskritisch: „So geht’s net!“

BildIm leichten Gewand kommt bissige Gesellschaftskritik im Titel „So geht’s net“ von der Brettl-Bühne herunter. Sie zielt auf die kriminellen Finanzjongleure unserer Tage: „Im warmen Büro sitzen, und fremdes Geld verblitzen, doch wenn die Kurse stürzen, dann wollns vom Staat a Spritzen, was sind denn das für Sitten: So geht’s net!“

Auch der „Gartennazi“ darf im Repertoire nicht fehlen: Das Denzunziantentum beißend geißelnd.

Herrlich skurril kommen einige der Texte daher. Sie lassen einen schallend lachen und bald darauf manches Mal beinahe an jenem Lachen fast ersticken. Zumindest aber machen sie Schlucken.

Zither statt Smartphone

Im zweiten Teil kommt dann auch die rechts auf der Bühne im Fastdunkeln „geparkte“ Zither zu Ehren. Augenzwinkernd empfiehlt Ringsgwandl Eltern heute auf ihren Smartphones allgegegenwärtig herumwischenden Kindern, zum Erlernen dieses Instrumentes zu ermuntern.

Bravo! Spitzentexte

13 Lieder beglänzten vergangene Woche die Ruhrfeststpiele Recklinghausen. Bravo! Spitzentexte, musikalisch hervorragend instrumentiert. Welch Liebeserklärung hier: „Ich habe keinen Sponsor, mich stützt keine Industrie. Ich steh mit dem Rücken an der Wand. Ich hab nur di.“

Mehr von diesem Glanz!

Fast vermisste ich den weitaus skurrileren, schrilleren, mit verrückten Kleidern und irre anmutenden Performances natürlich provozieren wollenden Georg Ringsgwandl der früheren Jahre ein bisschen. Doch bedenkt man’s ganz genau, ist Ringsgwandl sich im Innersten treu geblieben, nur eben ein wenig anders. Man mag es seriös nennen, gefällig ist sein Vortrag auch heute nicht. Ringsgwandl ist romantisch, bissig, gesellschaftskritisch und wie früher auch heute etwas ganz außergewöhnlich Spitzenmäßiges. Mehr davon, von diesem Glanz!

Wer Georg Ringsgwandl irgendwo erwischen kann: Nix wie hin! (Tourdaten) Diesen Tragikomik und viel Humor versprühenden bayrischen Philosophen sollte man erlebt haben. – Ein schöner Abend. Alles passte auf so wundervolle Weise.

Beschwingt, im Herzen berührt und geistig befeuert – nicht zuletzt auch nachdenklich – rauschte ich mit der Eisenbahn durch die westfälische Nacht über das für mich – aus hier nicht näher zu bezeichnen wollenden Gründen – unvermeidliche Wanne-Eickel zurück nach Dortmund. Glänzend!

„Die Echse“, gespielt von Michael Hatzius bei den Ruhrfestspielen Recklinghausen

BildFoto: Claus-Dieter Stille

Kleinkunst-Freunden ist er längst ein Begriff. Die Meisten dürften ihn aus dem Fernsehen kennen. Die Rede ist von Michael Hatzius. Und natürlich – wie könnte es anders sein: auch von dessen vorwitzig-frecher Echse. Kleinkunst, welch Untertreibung! Kreiert wurde die Echse von Michael Hatzius. Der 1982 in Berlin Geborene hat seine Kunst gelernt! Er ist Absolvent der renommierten  Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ Berlin.

Michael Hatzius ist ein Puppenspieler, ist ein Puppenspieler

Manche, die Hatzius mit seiner Echse im Fernsehen oder auf You Tube begegnet sind, halten ihn für einen Bauchredner. Wohl aber für keinen besonders guten. „Man sieht ja, wie der seinen Mund bewegt“, bekommt man dann nicht selten zu hören. Diese Leute irren sich. Michael Hatzius ist nämlich ein Puppenspieler. Ist ein Puppenspieler! Seine Mundbewegungen läßt er bewußt die Leute sehen. Aber die sind rasch vergessen. Wenn Hatzius die Echse erst zum Leben erweckt hat, ist sie die Hauptperson. Diejenige die quasi das Zepter in der Hand hält. Und zwar ein im wahrsten Wortsinne ausgezeichnerter Puppenspieler. Hatzius ist Gewinner zahlreicher Preise, u.a. des Deutschen Kleinkunstpreises. Als Puppenspieler haucht Michael Hatzius nicht nur der Echse gekonnt Leben ein.

Das volle Programm

Am vergangenen Sonnabend gastierte Michael Hatzius mit „Die Echse & Freunde – das volle Programm“ bei den Ruhrfestspielen Recklinghausen im Theaterzelt.

Bekommt man im Fernsehen ja meist nur einen Kurzauftritt von Hatzius und der Echse zu sehen, bot sich in Recklinghausen nun die Möglichkeit das „volle Programm“ zu erleben. Und das war ein Erlebnis der Sonderklasse!

Zunächst einmal gab ein stotternder wegen Zahnfehlstand zischelnder Brandschutzbeauftragter, schon mal hervorragend gespielt von Hatzius, „nützliche“ Anweisungen. Etwa der Natur, dass eigens im Zelt Ecken mit Benzin imprägniert worden seien, um ein eventuell auftretendes Feuer anzuziehen und es so geschickt vom Publikum abzulenken.

Herrlich politisch unkorrekt

Michael Hatzius betritt die Szene. Bat aufzuzeigen, wer ihn und die Echse kenne. Es war eine Minderheit. Aber der große Rest des Publikum sollte die Beiden kennen- und lieben lernen.Er zeigt ein paar Untensilien, die er aus Kisten holt. Etwa süße Küken, die den Hunger der Echse stillen sollen. Dazu ein Maus, die erkältet ist und niesen muss. Hatzius impft sie. Und einer gleichfalls verschnupften Zuschauerin spritzt er auch gleich einmal die „ätzende“ Medizin ins Parkett. Hatzius prüft den medinzinischen Erfolg bei der Maus mittels „Schwanztest“. Er stößt des Mäuseschwanz an und ist zufrieden: „Schwingt schön frei!“ Herrlich politisch unkorrekt, das alles!

Dann erst der Auftritt der Echse. Stöhnend ließ die sich auf dem bereitstehenden plumpsend Sessel nieder. Verständlich, hat die Echse doch schon ein paar Jährchen auf dem Buckel. Die Echse rekapitulierte ihr Leben nach dem Urknall. Man bekamm die Version der Echse von Evolution zu hören. Sie offenbarte wie schwierig das Leben gewesen einst war. Betonte aber dennoch (schöne Anspielung auf die verflossene DDR): “Unter Wasser war nicht alles schlecht.” Und als man schließlich an Land kam, schuf man Bedeutendes. Die obligatorische Zigarre in der Hand betont die Echse nicht ohne Stolz und im Brustton der Überzeugung- nur vielleicht Helmut Schmidt noch, fällt mir dazu schmunzelnd ein, wäre man wohl bereit Ähnliches abzunehmen – das sie vor mehr als zweitausend Jahren zusammen mit Ari(s) Toteles das erste Theater der Welt aufgemacht habe.

Die Echse ist freilich auch ein Sexualprotz. Nicht nur, dass der Echserich  die Anekdote mit Cleopatra  in der Badewanne – wo sie entgegen den in Geschichtsbüchern Kolportiertem – zum Besten gibt, wonach die Schöne in Wirklichkeit nach dem sexuellen Abenteuer mit ihm ihre Leben aushauchte. „Wenn ich mit dir fertig bin“, rief die Echse einmal ins Publikum, dann sind meine Hoden leer!“ So politisch unkorrekt das sich anhören mag: es wird nie wirklich peinlich. Es ist ja auch die Echse, die das sagt, nicht Michael Hatzius.

Hatzius immer auf dem Sprung

Michael Hatzius bringt anscheinend so schnell nichts aus dem Konzept. Er ist immer auf dem Sprung. Das macht den professionellen Theaterkünstler aus. „Knister, knister, knister“, unterbricht er, als eine Zuschauerin irgendwo vor der Bühne offenbar ein Bonbon auswickelte: „Knister nur zu Ende. Nimm zwei?“ Gelächter. Dann geht’s weiter, als sei nichts gewesen, als gehöre es zum Programm. Was alteingesessene Theaterzeltbesucher der Ruhrfestspiele seit Jahren kennen, trifft freilich auch Hatzius: Der in einem kleinen Tiergehege unweit des Zeltes residierende Pfau stösst auch 2014 seine schrillen Laute in die Abendluft: „Hi, hi, hi“. Dieter Hildebrandt, Hagen Rether und Wiglaf Droste gingen diese Schreie einst auch durch Mark und Bein. Und sie reagierten auf jeweils eigne Art und Weise und mehr oder weniger souverän auf den frechen Störenfried.  Dazu mehr hier und hier. Hatzius baute den Burschen sozusagen einfach ein ins Programm, gab ihm anscheinend nebenbei Saures. Bei ihm hatte der keine Chance sich zu profilieren.

Das mit dem zerschmetterten Schädel wäre nicht notwendig gewesen

Die süssen Küken wurden von der Echse ohne Rücksicht auf Verluste verspeist. Die Maus von ihr mit Kopf gegen die Tischkante geknallt, um dann festzustellen, das diese (wegen der ihr zuvor verpassten Spritze) vollkommen ungenießbar ist. Die Echse: „Tut mir leid Maus, das mit dem zerschmetterten Schädel wäre ja nicht notwendig gewesen.“ Politisch unkorrekt? Ja, aber richtig! Gut. Da blieb keine Auge trocken.

Auszubildende halten im ersten Jahr immer auf

Dem eingangs von Hatzius eingeführten (natürlich unbezahlten) Praktikant wird versprochen, am Schluss noch eine Chance zu erhalten. Und die kommt: Er durfte schlussendlich ein Klappe aufhalten, auf den Hatzius ein makabres Spiel mit zwei Gummispinnen trieb. „Sie kennen das vielleicht: Auszubildende halten im ersten Jahr immer auf.“

Echsenfilme

Zwischendurch gab es herrliche Einspielfilmchen mit der Echse in der Hauptrolle. Es war köstlich zu sehen, wie sie auf „Verwandte“ im Zoo trifft, oder ihre Spässchen mit Besuchern oder Passanten in der Stadt treibt.

Leise Hiebe

Dann wieder bekommt das Publikum leise Hiebe. Das Publikum ist stellenweise etwas behäbig. Die Echse als Orakel hat wenig Arbeit. Kaum jemand aus dem Zelt wollte ihr Fragen stellen. Nur ein paar zum Fußball wurden eingeworfen. Und das Wetter. An diesem Tage ist es ziemlich nass. Auch dafür hatte Hatzius kalauernd eine Erklärung: „Ist doch klar: Reglinghausen! Sonst würde die Stadt ja auch Sonnlinghausen heißen.“

Humorvoll und keineswegs kopfschüttelnd wurde auch dieser Kalauer, der sich im Sitzen an den Rücken greifenden Echse aufgenommen: „Ich habe Echsenschuss!“ Man muss eben das richtige Maß kennen. Hatzius kennt es.

„Eigentlich lehne ich Puppentheater ab“

Nach der Pause wurde der zweite Teil von einem zurückhaltenden Huhn, das Michael Hatzius herrlich gackern und „pick, pick, pick“ machen ließ, eingeleitet. Versehntlich legte es ein Ei, das vom Huhn wieder zurück, dahin, wo es hergekommen war gesteckt wurde. Weil, so das Federvieh, nicht so we „die Echse sein“ wolle, „die immer im Mittelpunkt steht“

Das Puppentheater selbst wurde ebenfalls nicht von der Echse verschont: „Eigentlich lehne ich Puppentheater ab“, hörte wie sie sagen, „das ist albern und über weite Strecken konzeptlos.“

Brillant auch die Castingshow die mittels kleiner Puppen, hinter einem konventionellen Kaspertheateraufbau gezeigt wurde. Zu erleben war, die Echse diesen Ausscheid gewann. Zum Schreien, das Gejammer der ausgeschiedenen sächselnden „Fleschersfrau“!

Ganz großes Kino

Kasperle-Theater aber ist das nicht, was Michael Hatzius macht. Heute würde man sagen: Was der zeigt, ist ganz großes Kino! Hatzius ist ein exellenter Puppenspieler und jemand, der das Handwerk der Improvisation bestens auszuüben versteht. Durch ihn wird die Echse vor den staunenden Augen des Publikums förmlich zu etwas Lebendigen. Wer das erlebt hat, wird nie wieder bekritteln, dass man den die Echse (be-)spielenden Michael Hatzius den Mund bewegen sieht. Hatzius selber hat das einmal in einem im Gespräch mit http://www.liveundlustig.de so beschrieben: “Der Blick der Echse, der sich naturgemäß nicht verändert, wirkt auf den Betrachter wie ein bewegtes Mienenspiel. Die Puppe selbst denkt nichts, aber der Zuschauer, denkt, dass sie denkt.”

Die Puppe als Metapher

Der Puppenspieler Michael Hatzius tritt während der Vorstellung in den Hintergrund. Wie ein Bühnenschauspieler sein Ich ausblendet, wenn er die Rolle in einem Theaterstück gibt, nehmen die Zuschauer den Puppenspieler Hatzius gewissemaßen nicht wahr. Obgleich der ja für die immer sichtbar bleibt. Michael Hatzius weiter: “Die Puppe ist in sich eine Metapher, ein zugespitztes Bild, das für etwas anderes steht”.

Spitzenmäßig. Einmalig! Wird aber, so denke und hoffe ich, nicht einmalig bleiben bei den Ruhrfestspielen in Recklinghausen. Man wird Hatzius, die Echse und Freunde bestimmt dort wiedersehen.

Weitere Auftritte des Künstlers und eine TV-Show im RBB

Übrigens wer nicht in Recklinghausen sein konnte, kann das Programm auch woanders life sehen, wenn noch Karten zu haben sind: Weitere Auftrittstermine hier.

Unterdessen ist auch eine TV-Show mit Michael Hatzius und der Echse angelaufen. Die trägt den Titel „Weltall.Echse.Mensch“ und ist bei RBB immer freitags 20:15 Uhr zu sehen. Dass der Titel an das große Buch „Weltall Erde Mensch“ erinnert, das alle Jugendweihlinge zu DDR-Zeiten auf der Schwelle zum Erwachsenwerden erhielten, ist gewiss kein Zufall.

Ich gebe zu, wenn ich’s nicht schon vorher war, dann bin ich spätestens seit dem Besuch im „Blauen Zelt“ der Ruhrfestspiele Recklinghausen völlig verechst von Hatzius und Freunden …

Peymann furios mit Hermann Beil auf dem grünen Hügel in Recklinghausen

BildBeim Signieren des Buches: Claus Peymann (links) und Hermann Beil (rechts); Fotos: Claus-Dieter Stille

Manche stehen sonntags so früh auf, um zum Gottesdienst zu gehen. Selten des Theaters wegen. Einer Art „weltlichen Kirche“, wie der Schauspieler Peter Sodann das Theater einmal zu nennen pflegte und dementsprechend verstand.
Also in diesem Sinne auf am vergangenen Sonntagmorgen, auf zu den Ruhrfestspielen Recklinghausen! Dort steht für elf Uhr „Lesung: Beil/Peymann auf dem Programm. Ich liebe es so früh auf den grünen Hügel der Stadt Recklinghausen anzugelangen! Noch ist es rund um das Festspielhaus fast menschenleer. Das saftige Grün ringsum eine Augenweide! Die Vögel zwitschern schon putzmunter. Das Servicepersonal hantiert schon fleißig, wie hinter der imposanten Glasfassade des Festspielhauses zu beobachten ist. Schon öffnen sich die Türen: 10 Uhr!
Ein Regisseur und Theatermann bleibt ein Regisseur und Theatermann. Auch sonntags gegen Zehn. Der Peymann tritt auf den Plan. Mit kleiner Entourage. Ohne Allüren. Aber bestimmt. Der Tisch für danach, für’s Signieren des Buches „Peymann von A-Z“ könnte doch hier hin. Nein, mehr nach links zum Gang. Das Plakat dorthin, nicht dahin. Peymanns 20140504_101916Mantelschöße flattern. Machen Wind im Glasfoyer. Erstmal ein Käffchen im Stehen. Ja, und zwei Scheinwerfer auf Stativ – ein da und einer dort – wäre doch auch ganz nett. Techniker schwärmen aus. Und kehren bald mit dem Gewünschten zurück. Nein, so Peymann: Vielleicht könnte man doch das Plakat zunächst auf den Tisch …

Lesung? Theatralisches Stück mit Pfiff!

Als die Türen zum Großen Saal aufgetan werden ist es bereits fast zehn nach Elf. Applaus. Die beiden Herren, Peymanns langjähriger Dramaturg, Hermann Beil und Peymann, seines Zeichens Intendant des „BE“, himself haben die Bühne betreten. Nun stehen sie auf einer kleinen gut ausgeleuchteten Fläche vorm Bühnenbild von „Der Sturm“, den ich bald mit Manfred Zapatka erleben darf. Zwei Stühle. Zwei Notenständer. Peymann, der die Szene mit einer Tüte betreten hatte, holt daraus ein kleines Maigebinde heraus: „Ich habe keinen Maienbaum hier in Recklinghausen gesehen. Und damit etwas Atmosphäre in den großen Kasten kommt.“ Er befestigt das Gebinde vorn an einer Schraube seines Notenständers.
Die Lesung beginnt. Stopp! Habe ich Lesung geschrieben? Das Erlebnis, das theatralische Stück mit Pfiff hebt an.
Einigen wir uns: Zu erleben ist ein inszenierte Lesung. In der „weltlichen Kirche“, dem Theater, zu unser aller Erbauung.
Das zugrundeliegende Buch ist eines über den Intendanten Peymann, in welchem „der Rezitator Claus Peymann zusammen mit dem Dramaturgen Hermann Beil“ (Ankündigung Ruhrfestspiele) zu erleben ist:  „eine witzige, leidenschaftliche, großartige Suada über das Leben, das Theater und einem bestimmten Protagonisten: Claus Peymann„.

BildDass dieses Buch vorliegt, ist nicht zuletzt Hans-Dieter Schütt zu verdanken. Schütt leitete lange das Feulleton des „neuen deutschland“. Hermann Beil bedenkt den hervorragenden Essayisten und Wortedrechsler Schütt mit Lob, mit welchem er gewiss ansonsten sparsam umgeht: „Hans-Dieter Schütt ist ein Berliner Theaterkritiker, der das Theater liebt. Eine Seltenheit in Berlin!“

„Peymann-Erfindung“

Besagter Schütt hat aus Briefen, Zwischenrufen, Aktennotizen, Interviews, Reden und Reaktionen von Freund und Feind eine fast biographische „Peymann-Collage“ verfasst. Welch Fleißarbeit! Schütt selbst pflegt sein Werk eine „Peymann-Erfindung“ zu nennen, die „subjektiv komponierte Nach-Erzählung eines ausdauernden medialen Auftritts“. So schrieb er über den Menschen, den er bei seiner Arbeit monatelang umkreiste, über das „Gesamtkunstwerk“ Peymann: „Dieser Mann ist eine seltene Mischung aus Jähzorn und Zutraulichkeit, aus Zugriff und Flucht, aus Verletzbarkeit und Austeilkraft.“

Nun Claus Peymann selbst in Fleisch und Blut auf der Bühne stehen zu sehen ist ein wahres Fest. Neben ihm sein langjähriger „Nichtnur-Dramaturg“ Hermann Beil mit unterdessen schlohweißem Haar, der Peymann in nichts nachsteht. Wenn man nicht wüßte, dass der Mann Dramaturg ist, er ginge als Schauspieler durch. Was er freilich von sich weisen würde. Großartig!
Die Zuhörer gehen gemeinsam mit Peymann zurück auf dessen beruflichen Anfänge. Und folgen einem (Theater-)Leben beinahe auf Schritt und Tritt , das sich durch fünf Jahrzehnte und Städte wie Frankfurt, Stuttgart, Bochum, Wien und Berlin zieht.

Recklinghausen als Filiale!

Den bescheidenen Anfängen folgen erste große Erfolge und endlich gute Entlohnung. In Stuttgart: Wo man als Fremder sonntags nichts zu essen kriegt, während die ganze Stadt nach Rotkohl riecht, den die Schwaben zuhause mampfen. Aber auch bald erster Ärger. Wir erinnern uns: Claus Peyman setzte sich auf Bitten der Mutter von Gudrun Enslin, die als Terroristin in Gefängnis saß, dafür ein, dass der notwendige Zahnersatz für die Tochter über Spenden zusammenkam (Aufruf im Stuttgarter Theater). Peymann gab selbst Geld dazu. Und wurde darob als Terroristenunterstützer verleumdet. Dann die großartige „Publikumsbeschimpfung“ von Handke auf die Bühne gebracht. Die Vertreibung nach Bochum. Was nicht ohne auch (seelische) Beulen abging. Dennoch auf zu neuen Ufern: an die Ruhr. In die Provinz. Übrigens: Peymann verrät auf Recklinghausens Festpielbühne, die Ruhrfestspiele hätte er damals gerne gehabt, hatte gehofft auch dort der Chef zu sein, um Neues auszuprobieren: Bochum als Mutterhaus. Recklinghausen als Tochterfirma. Es hat nicht sollen sein. Nicht mal eine Nacht der Diskussion mit Landesvater Johannes Rau in dessen Düsseldorfer Staatskanzlei konnte da etwa bewirken. Peymann: „Immerhin als Bundespräsident hat er es bereut!“

Aber dann kam Wien. Über ein Jahrzehnt war Peymann dort Burg-Chef. Eines prächtigen Hauses, in einer verrückten, wunderschönen und wohl auch ein bisschen neurotischen Stadt, wo verstorbene Burg-Schauspieler eine einzigartige Ehre zuteil wird: Sie werden im Sarg einmal um das Haus getragen. Peymann: Heute nur noch gefahren.

Die „gestorbene“ Schlange

Diese ganzen, grandiosen Anekdoten, ein Wahnsinn! Unterhaltsam und spannend. Erst recht, wenn man das Theater von hinter den Kulissen kennt. Aber auch so. Natürlich. Skurriles auch. Beispielsweise als über Wiener Burg unter Peymann Gerücht die Runde macht, eine riesige Schlange seit angeblich dort auf einer Probe gestorben. Verantwortlich war höchstselbst Peymann: Nach einer Proben des betreffenden Stückes hatte er einem Assistenten beschieden: „Die Schlange ist gestorben!“ Mit „gestorben“ wird im Theater etwas bezeichnet, das weggefallen ist. Prompt hatte die Wiener Presse von dem „Tod“ der Schlange Wind bekommen. Und die Maschinerie setzte sich in Bewegung. Sie machte auch vor Regierungsämtern nicht halt. Amtliche Briefe erreichen den Burg-Herrn. Das alles süffisant vom Wiener Hermann Beil gelesen – vorgetragen, so dass man sich auf die Schenkel schlagen muss. Beschimpfungstiraden und Selbstgeißelungen. Viele Stimmen, ob Weggefährten oder Gegner, kommen dabei zu Wort: Thomas Bernhard, Heinrich Böll, Peter Handke, Heiner Müller, der ehemalige Stuttgarter Oberbürgermeister Manfred Rommel und viele andere.

HERRlich, diese „Doppelpredigt am Sonntag in der „weltlichen Kirche“!

Furios, das Ganze! Welch unterhaltsamer Vormittag auf dem grünen Hügel in Recklinghausen bei den Ruhrfestspielen. HERRlich, diese „Doppelpredigt“ am Sonntag in der „weltlichen Kirche“ Theater! Und dabei sind die Ruhrfestspiel gerade einmal nicht ganz drei Tage alt! Als wir Zuschauer wieder aus dem Saal strömen,  sind beinahe zwei kurzweilige Stunden vergangen. Jetzt traben die Menschen die Treppen hinunter zum Brunch. Viele, viele jedoch zunächst einmal an den Buch-Signierstand.  Den – wie die Leser eingangs erfahren haben – eigens von Claus Peymann „inszeniert“ worden war. Fleißig und geduldig schreibt Peymann Autogramme, signiert „seinen“ PEYMANN und schiebt das „abgearbeitete“ Exemplar zu Hermann Beil herüber, dass der seinen Namen darein setzt. Beil arbeitet genau und setzt noch „4.5.2014“, das aktuelle Datum darunter.
Als die Warteschlange bis auf wenige Bücherfreunde geschrumpft es, blickt Peymann auf die Armbanduhr und sagt freundlich aber bestimmt zu den Letzten: „Komm’Se nur. Ich muss noch zu’ner Probe nach Berlin. Muss meinen Flieger in Düsseldorf kriegen …“
BildEin Darbietung vom Feinsten. Für mich tat es übrigens die Regionalbahn ab Recklinghausen. Und ich bekam sie sogar! Und hatte Anschluß auf dem so wichtigen Hauptbahnhof, dem Bahnknoten- um Umsteigepunkt für mich und so viele andere, Wanne-Eickel. Aber das ist schon wieder eine ganz andere Geschichte.

Zum Abschluss:

Heiner Müller, köstlich zum Besten gegeben von Hermann Beil:

Alle verlassen das brennende Haus.
Bis auf Claus.
Der guckt raus.

Möge er noch recht lange rausgucken aus dem Haus, dieser Claus Peymann!

Informationen zu den Ruhrfestspielen 2014

Das Buch:

PEYMANN von A – Z
Ausgewählt und Herausgegeben von Hans-Dieter Schütt
Verlag das Neue Berlin

Jürgen Roth enthüllt wie eine geheime Elite aus Wirtschaft und Politik sich Europa und unser Land unter den Nagel reißt

146_20027_140768_xlDröhnende Panzer rollten. Strategisch wichtige Objekte wurden besetzt. So gingen Putsche gewöhnlich vonstatten. Jürgen Roth: „Heute geschieht der Umsturz geräuschlos.“

Spätestens die Finanzkrise hätte doch ein Alarmsignal auslösen müssen. Dafür, dass etwas gründlich falsch läuft. Nicht nur in Europa. Und dort vornehmlich den Krisenländern Griechenland, Portugal, Spanien und Italien. Sondern eben auch im in vorderster Front von unseren Mainstream-Medien und den herrschenden Politikern so hoch gelobtem Deutschland (“Uns geht’s gut”).

Im Würgegriff der “Diktatur des Finanzkapitalismus”

Ist denn niemandem aufgefallen, dass es auch in Deutschland immer mehr Menschen schlechter geht? Dass die Schere zwischen Arm und Reich sich immer weiter geöffnet hat. Suppenküchen, die ich selbst zumindest nur aus den Geschichtsbüchern kannte, müssen – vermehrt nach Herstellung der Deutschen Einheit – von Jahr zu Jahr mehr bedürftige Menschen verköstigen. Sogenannte “Tafeln” schiessen wie Pilze aus deutschem Boden. Arme

Menschen mit Hartz-IV-Bezug bzw. kleiner Rente können dort Lebensmittel kaufen, die der Handel den Tafeln spendet. Gut für diese Menschen. Aber wie kommt es, dass soetwas in einem so reichen Lande wie Deutschland nötig ist?
Und ist es nicht eine Schande, dass in Vollzeit arbeitende Menschen so prekär bezahlt werden, dass sie zu “Aufstockern” werden und deshalb zusätzlich noch Hartz-IV beantragen müssen, um über die Runden zu kommen?

Im eklatant krassem Gegensatz dazu wurden und werden in Deutschland in Größenordnungen Steuersenkungen für Konzerne und Vermögende ins Werk gesetzt.

Eine “Diktatur des Finanzkapitalismus” (Stéphane Hessel in “Empört euch”) hält Europa im Würgegriff. Die Regierungen wirken hilflos. Wie Marionetten zappeln sie an den Schnüren, die von Ratingagenturen und Banken bedient werden. Die Steuerzahler müssen Banken retten, die sich in ihrer Gier verspekuliert haben.

Verschwörungstheorie?

Diese skandalösen Zustände bedrohen unterdessen europaweit die Demokratie. Niemand kann doch eigentlich wirklich meinen, sie seien einfach vom Himmel gefallen. Quasi wie ein Unwetter über uns gekommen. Oder wie ein “Springteufel” (Peer Steinbrück in der Finanzkrise) aus der Kiste gehopst. Wer also weder daran noch an den Weihnachtsmann glaubt, könnte auf den Gedanken kommen hinter bestimmten, die Ungerechtigkeit in unseren Gesellschaften vergrößernden, Auswüchsen, müssen doch handfeste Interessen stehen.

In diesem Falle jedoch wird einem ziemlich schnell das Etikett “Verschwörungstheoretiker” angeheftet. Als ich bezüglich jener Interessen wieder einmal mit einem Kollegen, der noch einer Sozialdemokratie anhängt – die aber doch in Deutschland oder in Großbritannien – von Leuten wie Gerhard Schröder und Tony Blair dort und deren Nachfolgern in Wirklichkeit längst zu Schanden geritten wurde – diskutierte, wendete der mit abschätzigem Lächeln ein: “Glaubst du, da gibt es irgendwelche Leute, die das planen?”

Ahnungslose

Ich gab zurück:

“Aber es gibt Leute, die zumindest ein Interesse daran haben. Etwa an einem schwachen Staat, prekären Löhnen, sinkenden Renten und anderen Verschlechterungen von Lebensbedingungen von vielen Menschen.”

Doch besagten Kollegen konnte ich bis heute nicht überzeugen. Er zählt zu den vielen Ahnunglosen hierzulande. In Deutschland sind heute m.E. Viele desinformiert. Mehr als es im sogenannten “Tal der Ahnunglosen” in und um Dresden zu DDR-Zeiten (dort konnte man kein Westfernsehen empfangen) der Fall gewesen war. Das Schlimme: die Ahnunglosen unternehmen auch nichts, um sich aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit, eingedenk des “Sapere aude!” – Habe den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! – Immanuel Kants im Sinne einer abermaligen Aufklärung zu befreien.

Der Putsch, der schleichend kommt

Dass es diese Interessen gibt, meint auch der Publizist Jürgen Roth. Sein neuestes, soeben bei Heyne erschiene Buch trägt den Titel “Der stille Putsch – Wie eine geheime Elite aus Wirtschaft und Politik sich Europa und unser Land unter den Nagel reißt”. Mein Kollege warf neulich als ich vom spannenden Inhalt gefesselt darin las einen Blick auf das Cover. Aus den Augenwinkeln bemerkte ich seinen Blick. Er dürfte gewiss gedacht haben: Wieder so eine Verschwörungstheorie. Auch andere Menschen oder Medien werden das denken. Der investigative Journalist Jürgen Roth dürfte damit umgehen können. Ob er nun über die Mafia oder über “Gazprom – Das unheimliche Imperium” schrieb oder andere heiße Eisen anfasste: Anfeindungen ist der gewohnt. Mit Gerichtsprozessen wurde er überzogen. Auch Gerhard Schröder, der “Genosse der Bosse” ging gerichtlich gegen den Autor vor.

Wer Roths neues Sachbuch liest, wird, je weiter er darin vorankommt, den Autor rasch von womöglich zuvor aufgekommenden Verdächten in Sachen “Verschwörungstheorie” entlasten. Schließlich hat Roth für sein Buch gründlich recherchiert und hat zu diesem Behufe viele Quellen getroffen, die diesen “stillen Putsch” belegen. Mag man diese nicht nur für die Demokratie schlimme Entwicklung nun so nennen wollen oder nicht. Indes, Roth schreibt dazu auf Seite 17 des Buches oben:

“Laut Duden ist der Putsch ein politischer Umsturz. Zumindest in Europa müssen Putsche nicht mehr von Militärs ausgeführt werden, den klassischen Marionetten bedrohter konservativ-reaktionärer Eliten wie zum Beispiel in den Sechziger Jahren in Griechenland. Heute geschieht der Umsturz geräuschlos und schleichend, ohne dass dröhnende Panzer vor den Parlamenten und Fernsehstationen auffahren, ohne Soldateska, die Oppositionelle in finstere Kerker wirft und foltert.”

Dieser Eingangspassus beschreibt die derzeitige Situation sehr gut.

Der zeitgemäße Pöbel

Roth erinnert daran, dass der “aus dem antiken Griechenland stammende Begriff der Demokratie” nichts anderes bedeutet “als die Herrschaft des Volkes”. So wie es der griechische Staatsmann Perikles definiert habe. Und daran, dass Kritiker wir der Philosoph Plutarch schon klagten, dass Perikles sich durch das Verteilen öffentlicher Gelder Vorteile verschaffte, der Pöbel bestochen wurde.

Jürgen Roth meint, dass sich an dem “Punkt (nicht nur in Griechenland) bis zum heutigen Tat wenig geändert” habe. Vielmehr würde heute nicht der Pöbel bestochen. Vielmehr herrsche “eine systemische Kultur der Korruption, die Spitzen der Wirtschaft und Politik in vielen europäischen Ländern prägt!. Roth: “Das wäre dann der zeitgemäße Pöbel.”

Und seien wir doch einmal ehrlich: Ist das nicht wirklich so? Machen wir doch die Augen auf. Oder: Lassen wir sie uns durch Jürgen Roth und mittels der Lektüre seines von der ersten bis zur letzten Seite fesselnden Buches öffnen!

Schulden als “Erpressungsinstrument”

Jürgen Roth tut dies nicht zuletzt dadurch, indem er schildert, wie vorallem heute die Schulden der Staaten und der aufgebaute Druck und Zwang diese abzubauen den Effekt zur Folge hat, dass das “Prinzip Demokratie” quasi überflüssig scheint. Dabei werde aber verschleiert,

“Wer tatsächlich für diese Schulden verantwortlich ist, wer sie als Erpressungsinstrument funktionalisiert und wer davon profitiert, eben die nationale sowie die europäische Machtelite” (…)

Etwa die deutsche Regierung in Person von Bundeskanzlerin Angela Merkel wollte uns zunächst weismachen, “wir” hätten über unsere Verhältnisse gelebt. Wir?

Zur Verdeutlichung dessen zitiert Roth den weltberühmten griechischen Sänger Mikis Theodorakis sowie den Widerstandskämpfer Manolis Glezos aus dem Jahre 2011:

“Eine Handvoll internationaler Banken , Ratingagenturen, Investmentfonds – eine globale Konzentration des Finanzkapitals ohne historischen Vergleich – möchte in Europa und der Welt die Macht an sich reißen. Sie bereitet sich auf eine Beseitigung der Staaten und unserer Demokratie vor, indem sie die Waffe der Schulden nutzt, um die Völker Europas zu versklaven und anstelle der unvollständigen Demokratie, in der wir leben, eine Diktatur des Geldes und der Banken zu errichten.”

Nicht viel anders äußerte sich Stéphane Hessel in “Empört euch!”.

Jürgen Roth wirft auf Seite 18 (unten) seines Buches zu den Worten von Theodorakis und Glezos folgende Frage auf: “Übertreiben die beiden alten Ikonen des Widerstands?” Nach der Lektüre von “Der stille Putsch” bin ich der Überzeugung: Nein, sie übertreiben nicht. Der Autor führt zahlreiche Bespiele dafür auf. Und begründet sie nachvollziehbar.

Beispiel Griechenland

Besonders die Bürger eines Landes in Europa werden hart für “ihre” Schulden bestraft: Die Griechinnen und die Griechen. Diesem Land widmet Roth viel Platz in seinem Buch. Was seinen Grund hat. Er will nämlich Anzeichen dafür ausgemacht haben, dass Griechenland sozusagen als Blaupause für den künftigen Umgang mit anderen Ländern hergenommen (werden) wird. Denn ist es nicht wahr, dass dort längst die Troika regiert und die Demokratie größenteils außer Gefecht gesetzt wurde? Das Volk verarmt zunehmend. Die Griechenland nicht zuletzt von Deutschland aufgepresste Austeritätspolitik führt nicht nur zu immer mehr Verelendung, sie fordert längst auch Todesopfer.
Wer Jürgen Roths Ausführungen zu Griechenland liest, wird (trotz unbestrittener Eigenschuld), rasch zu der Einsicht kommen, dass ein pauschales “Griechenbashing” – wie unsäglich es etwa von der Bild-Zeitung betrieben wurde – die wirklich Schuldigen an der Misere ausblendet.

Obskure Eliteklubs und “Einflüsterer”

Roth beleuchtet viele Facetten dieses stillen Putsches und nennt Putschisten beim Namen. Er schreibt über abseits der Öffentlichkeit tagende obskure Eliteklubs und den “Entrepreneurs’ Roundtable”, wo Einzelheiten dieses “Putsches” besprochen werden und Einflüsterungen in die herrschende Politik besprochen werden. Um später von willfährigen (oder erpressbaren) Politikern ins Werk gesetzt zu werden.

Wie deutsche Sozialdemokraten die portugiesische Nelkenrevolution zurückzudrehen halfen

Ein Kapitel (“Die Geschichten der vertrockneten roten Nelken” ab Seite 183) zur Nelkenrevolution in Portugal – soeben gedachte man daran – wirft auch ein trübes Licht auf das Wirken der deutschen Sozialdemokratie seinerzeit. Wo dabei geholfen wurde, den portugiesischen Sozialismus wieder zurückzudrehen. Weil das Kapital es so wollte. Koffern voller Geld sollen die deutschen Sozialdemokraten damals nach Lissabon gebracht haben.
Auch ein Blick ins heutige Portugal fehlt nicht. Wir erfahren, wer “Die wahren Herrscher in Portugal – gestützt durch die Troika” (Seite 204) sind.

Luis de Sousa: In der Eurokrise gibt es keine Unschuldigen

Im Kapitel “Methoden und Strategien” (Seite 217) erhellt uns Lesern der Autor via eines Zitats des Vorsitzenden von Transperancy International Portugal, Luis de Sousa:

“Egal, wie viele schlaue Politiker in Deutschland und Finnland die fiskalische Verantwortlichkeit der überschuldeten Euroländer beklagen – Tatsache ist, dass von großen Teilen des in Portugal, Spanien, Italien oder Griechenland vergeudeten Geldes die Großindustrie in den sogenannten verantwortungsbewussten Nationen profitierte. Die Finanzverbrecher der Verschuldung und Korruption hatten ihre Komplizen in den Ländern, die jetzt behaupten, geschockt zu sein über den schlechten Ruf ihrer Nachbarn. Aber in der Eurokrise gibt es keine Unschuldigen.”

Harte Fakten generieren Empörungspotential

Ein Buch, wie ich finde, das gelesen haben sollte, wer mehr über die Krise, ihre Entstehung, die Verantwortlichen und Hintermänner wissen möchte. Es enthält harte Fakten, die beim Leser Empörungspotential generieren werden. Wer meint, es hier mit Verschwörungstheorien zutun zu haben: bitteschön, dem ist kaum zu helfen. Die Realität spricht eine andere, wie ich finde: alarmierende Sprache. Über den Begriff Putsch kann man streiten. Die Wirkung wiederum, auch wenn sie unsere Gesellschaften schleichend trifft, ist aber die eines solchen. Und gerade deshalb so gefährlich, weil dieser Vorgang über Jahrzehnte sozusagen auf leisen Sohlen voranschreitet. So werden Tatsachen geschaffen, die von Politikern schlussendlich Entscheidungen verlangen, die sie dann auch noch als “alternativlos” bezeichnen.
Das Gefährliche an dieser Entwicklung: Die Demokratie wird mehr und mehr unwirksam gemacht. Wir drohen in diktaturähnliche Verhältnisse zu ruschen.

Fazit

Wir können das Handeln der auf der Basis einer unersättlichen Gier agierenden “Putschisten” als verwerflich und unmoralisch bezeichnen. Das ist es auch. Nur ist es nicht dem Kapitalimus, erst recht einen fast jeglicher hemmenden Banden befreitem Raubtierkapitalimus eigen – wohnt diesem geradezu inne?

Der eigentliche Skandal ist doch: Warum lassen wir das zu? So fragt der Autor wie zu Beginn des Buches in seiner “Schlussbemerkung” (S. 285):

“Werden die europäischen Bürger es hinnehmen, dass man sie zugunsten einiger wenigen Profiteure ihrer bisher erkämpften sozialen und demokratischen Recht beraubt?”

“Nein”, so zeigt sich Roth sicher, “sie werden es nicht!” Zu diesem Behufe zitiert der Autor Alfred Grosser: Weil

“wir offenbar in einer wirtschaftlichen und sozialen Lage sind, die wir nicht kontrollieren, und wo man anfängt, darüber nachzudenken, wie man sie kontrollieren könnte.”

Vielleicht kann diese Sachbuch dazu beitragen dementsprechende Impulse auszulösen? Allerdings brauchte es mehr als das. Nämlich eine entsprechende gesellschaftliche Bewegung, die Viele einzubeziehen imstande ist. Roths Buch schreckt auf, weil es erschreckende Fakten enthält. Um etwas zu ändern ist es spät. Vielleicht aber noch nicht zu spät. Unbedingte Leseempfehlung! Wahrlich ein Enthüllungsbuch, das fehlte.

Übrigens werde ich das Buch auch meinem ahnunglosen Kollegen zur Lektüre anbieten. Aber ich fürchte aber, er wird darin blättern und die Nase rümpfen. Es könnte ja sein (verklärtes) Weltbild zum Einsturz bringen.

Jürgen Roth

Der stille Putsch
Wie eine geheime Elite aus Wirtschaft und Politik sich Europa und unser Land unter den Nagel reißt
Originalausgabe
Gebundenes Buch mit Schutzumschlag, 320 Seiten, 13,5 x 21,5 cm
nur Text
ISBN: 978-3-453-20027-2
€ 19,99 [D] | € 20,60 [A] | CHF 28,50* (* empf. VK-Preis)
Verlag: Heyne

Die Ruhrfestspiele Recklinghausen 2014 auf 1.Mai-Kundgebung eröffnet – Glück auf!

Ruhrfestspiele 2014 Die Ruhrfestspiele 2014 sind feierlich eröffnet. Es ist ein langjähriger, guter und auch bewährter Brauch, dass die Eröffnung auf die Maikundgebung folgt.

Der 1.Mai-Umzug in Recklinghausen führt stets von seinem Ausgangspunkt im Zentrum der Stadt bis vor das Ruhrfestspielhaus..

BildVornweg läuft eine Abordnung der Grubenwehr. Die Wehrleute in strahlendem Orange tragen ein Transparent mit der Aufschrift „1. Mai 2014 Gute Arbeit. Soziales Europa.“ voran. Hinter ihnen laufen im Aufzug viele Bürgerinnen und Bürger aus Recklinghausen, sowie Gewerkschafter der IGBCE und anderer DGB-Gewerkschaften. Im heran nahenden Pulk neben ihnen zudem Mitglieder verschiedener Parteien: Von der SPD, DIE LINKE, der MPLD und der DKP. Zu erkennen an ihren jeweiligen Plakaten und Transparenten.

Entgegen dem Wetterbericht, der eher nicht so gute Aussichten in petto gehabt hatte, setzt sich nun auch die Sonne durch. Die zahlreichen, schon vor dem Eintreffen des 1.Mai-Aufzuges auf den grünen Hügel des Stadtparks in Recklinghausen gekommenen Menschen vermischen sich zu einer ansehnlichen Masse von Kundgebungsteilnehmern.

DGB-Kreisvorstandsvorsitzender Volker Nicolai begrüßt die Kundgebungsteilnehmer

Begrüßt werden sie alle Minuten später durch den Vorsitzenden des DGB-Kreisvorstandes Recklinghausen, Volker Nicolai.

Nicolai spricht über die Würde des Menschen, wandte sich gegen die Aushebelung von Rechten seitens bestimmter Arbeitgeber und geißelt, dass Betriebsräte zuweilen bekämpft und sogar aus Betrieben gedrängt werden.

Den nun – wenn auch mit Ausnahmen – kommenden Mindestlohn bezeichnet er als einen Fortschritt, den die Gewerkschaften erkämpft hätten. Der DGB-Kreisvorsitzende begrüßt herzlich die Gäste: Bürgermeister Wolfgang Pantförder, den Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft der RAG-Betriebsräte, Norbert Maus, anwesende Volksvertreter, Landrat Cay Süberkrüb sowie last but not least den Hauptredner der diesjährigen Mai-Kundgebung, den früheren langjährigen Vorsitzenden der IG BAU, Klaus Wiesehügel.

Letzter wird allerseits herzlich beglückwünscht: Das SPD-Mitglied hat Geburtstag.

Bürgermeister Wolfgang Pantförder nennt die Ruhrfestspiele „kommunikativ und bereichernd“

Bild

Der scheidende Bürgermeister von Recklinghausen, Wolfgang Pantförder, bei seiner Ansprache

Bürgermeister Wolfgang Pantförder (CDU) – er wird im nächsten Festspieljahr nicht mehr die Geschicke der Stadt Recklinghausen leiten – unterstreicht wie schon so oft zuvor die Bedeutung der Ruhrfestspiele für die Stadt. Das Stadtoberhaupt lobt zudem die kontinuierliche Qualität der Aufführungen und hebt hervor, dass das Programm für Viele etwas biete. Indem nicht nur Hochpolitisches auf die Bühne gebracht würde, sondern auch Programm, das Entspannung für Viele vom anstrengenden Alltag möglich mache. Etwas eben, das nicht hochtrabend daherkomme, was aber nicht bedeute in irgendeiner Weise niveaulos zu sein. Die Ruhrfestspiele nennt Pantförder „kommunikativ und bereichernd“.

Pantförder bezeichnet die Ruhrfestspiele Recklinghausen als das größte Festival dieser Art in Deutschland. Zugleich sei es ebenfalls das größte Theaterfestival Europas. Und darüber hinaus auch das wohl einzigartigste auf diesem Kontinent.

Bezüglich des Tages der Arbeit weist der Bürgermeister daraufhin, wie wichtig es sei, Verantwortung besonders auch für die künftigen Arbeitnehmer zu übernehmen. Schließlich wüchsen die Anforderungen an diese ständig.  Pantförder gratuliert Klaus Wiesehügel zum Geburtstag.

Klaus Wiesehügel: „Wenn man selbst aktiv wird, dann ist viel mehr drin als nur eben der Mindestlohn. Aber gewinnen kann man nur wenn Viele mitmachen und man ’ne starke Gewerkschaft im Rücken hat“

BildGewerkschafter Klaus Wiesehügel, Hauptredner der 1.Mai-Kundgebung von Recklinghausen

Hauptredner Klaus Wiesehügel bedankt sich freundlich für die Geburtstagsgrüße und dafür „an diesem Tage vor so vielen Leuten reden zu dürfen“. An seinem Wiegenfeste habe er immer reichlich Gratulanten. Kein Wunder an diesem Datum.

Glückwünsche wolle er an diesem Tag an die Mitarbeiter im öffentlichen Dienst überbringen, die „Mut bewiesen haben, die durchgezogen haben, bei den Tarifverhandlungen.“ Sie hätten, wie er findet „ein gutes Tarifergebnis erreichen konnten“.

Die Gebäudereinigerinnen hätten vor einigen Jahren trotz Ängsten begriffen, „dass man sich organisieren muss, um etwas zu erreichen. Und so haben sie sie für Tariflöhne gestreikt. Wiesehügel: „Nur deshalb haben sie es geschafft ihre Entlohnung deutlich zu verbessern“. Ein Beispiel für andere: „Wenn man selbst aktiv wird, dann ist viel mehr drin als nur eben der Mindestlohn. Aber gewinnen kann man nur wenn Viele mitmachen und man ’ne starke Gewerkschaft im Rücken hat“.

Klaus Wiesehügel meint, „es geht nicht nur um mehr Gewinn“. Gemeint sind bestimmte Unternehmen, die unfaire Arbeitsbedingungen schaffen. „Es geht ihnen auch immer um Macht, um unsere Schwächung, unsere Spaltung. Werkverträge, Leiharbeit, Minijobs, Scheinselbsständigkeit, Arbeit auf Abruf, Entsendung, sachgrundlose Befristung … da gibt es mittlererweile ganz viele Namen. (…) Die Arbeitgeber wollen damit den Schutz durch Sozialgesetze und Arbeitsrecht umgehen. Sie wollen Tarifverträge aushebeln und sie wollen uns spalten. Je mehr Untergruppen entstehen je besser für sie. Teile und herrsche – das wussten schon die alten Römer. Und wenn jeder das Risiko des Absturzes vor Augen hat, macht das eben Vielen auch Angst. Und oft macht Angst stumm. Augen zu, Maul halten und durch, so hätten sie uns gerne!“.

Dieser deutsche Arbeitgeberwerkzeugkasten sei nach nunmehr 30 Jahren „prall gefüllt“. Nun werde er gar überhaupt in nahezu der ganzen EU zum Nachahmen angeboten.

Die aktuellen Meldungen über den „niedrigsten Arbeistlosenstand seit Jahren“ unterzieht Wiesehügel einer kritischen Überprüfung. Die Anzahl der Arbeitsstunden sei nämlich überhaupt nicht gewachsen. Dafür arbeite nun ein Viertel der Beschäftigten für einen Hungerlohn. „Nun haben wir Millionen Menschen die trotz Vollzeitarbeit nicht von ihrem Lohn leben können“, so Klaus Wiesehügel: „Die verfügbare Arbeit wurde nur umverteilt. Von anständig entlohnt zu schlecht bezahlt. Von sicheren Arbeitsplätzen zu sicheren Jobs.“ Damit muss endlich schlussgemacht werden, forderte der Gewerkschafter.

Im Mindestlohn sieht er eine „Angstbremse“, unter die niemand mehr fallen könne. Vormachen wolle er niemanden, dass ein Stundenlohn von 8,50 Euro schon ein wirklich guter Lohn sei. Dann eine sachte Kritik auch an seiner Partei: „Der Entwurf der Regierung enthält für mein Geschmack noch zu viele Ausnahmen.“

Gewisse Betriebe würden dann gewiss Langzeitarbeitslose oder Jugendliche mit befristeten Verträgen einstellen. Diese Ausnahmen führen dazu, dass es in einigen Betrieben noch schlimmer wird. Wiesehügel: „Diese Ausnahmen müssen verschwinden!“

Zugleich mahnt der Gewerkschafter eine effektive Kontrolle der Einhaltung des Mindestlohnes an. „Die zuständige Behörde heißt ‚Finanzkontrolle Schwarzarbeit‘ und ist beim Zoll“, sei aber „total unterbesetzt“.

Junge Menschen, so Wiesehügel weiter, fühlen sich verhöhnt. Sie möchten gerne eine Ausbildungstelle, bekommen aber keine. Dann wird ihnen auch noch im Rahmen der Mindestlohndiskussion angedichtet, „sei seien geil auf eine ungelernte Tätigkeit für 8,50 Euro und würden sich deswegen nicht ausbilden lassen. “ Wiesehügel nennt das „zynisch“. „So einen Unsinn, den habe ich selten gehört. Es gibt eben nach wie vor nicht genügend Ausbildungsplätze“.

Als besonders schlimm empfindet der Sozialdemokrat, dass junge Menschen aus anderen europäischen Ländern im Rahmen eines Jugendprogramms, das von noch Ursula von der Leyen in ihrer Funktion als Arbeitsministerin angeregt worden war, nach Deutschland geholt worden seien. Ohne dass es Ausbildungsplätze gibt. Nun gibt es kein Geld für Programme und für Deutschkurse. Stattdessen sind vieler dieser Menschen aus Spanien oder von anderso verschuldet. Und wieder nach Hause zurückgekehrt. Klaus Wiesehügel: „Wir müssen uns dann nicht wundern, dass unser Politikbild im Ausland nicht besonders als beliebt gilt“.

Gegen die Rente mit 63 laufen die Arbeitgeber Sturm.  Warum? Gewerkschafter Wiesehügel zitiert den uns aus vielen Talkshows zur Genüge bekannten Michael Hüther: „Wir haben die Rente 67 gegen den Willen der Mehrheit in der Bevölkerung durchgesetzt. Diese Beute dürfen wir nicht wieder hergeben.“

Hüther ist vom Institut der Deutschen Wirtschaft, gibt Klaus Wiesehügel zu bedenken: „Der muss so einen Quatsch reden, denn das will die Wirtschaft hören.“ Auch das geplante Freihhandelsabkommem TTIP spricht der an. Es läuft letztlich auf die Aufweichung von Arbeiterrechten und den Gesundheitsschutz hinaus. Die Gewerkschaften müssen da wachsam sein: „Da kommt was auf uns zu.“

Zum Schluss geht Wiesehügel noch auf die kommenden Wahlen zum Europäischen Parlament ein. „Dies“, entschuldigt sich der Sozialdemokrat beim CDU-Bürgermeister, „ist bis jetzt leicht rechtslastig. Wir brauchen ein starkes Europäisches Parlament, dass verstärkt wieder Interessen der Arbeitnehmer vertritt.

Um Mängel in der Infrastrukur des Landes zu beheben und neue Investitionen zu tätigen, muss, so der Redner, das nötige Geld dafür dort geholt werden, „wo es rumliegt“. Aber die Regierung habe sich gegen die Besteuerung der Reichen entschieden. Wiesehügel nennt das in Kombination mit Schuldenbremsen fatal.

Und Klaus Wiesehügel gibt zu bedenken: Wäre man früher so verfahren, „hätten wir kein Rhein-Herne-Kanal“ sowie Wasserleitungen und Abwassersysteme: „All das ist über Kredite finanziert“.

Betriebsratsvorsitzender Norbert Maus: Aus für Steinkohlebergbau ist falsch. Gravierende Folgen für die Region befürchtet

Nach dem  früheren IG-Bau-Chef tritt Betriebsratsvorsitzender Norbert Maus ans Mikro. Wie schon in den Jahren zuvor zählt er die Leistungen des Ruhrkohlebergbaues auf. Und kritisiert das Aus für den Steinkohleabbau im Jahre 2018 als Fehler. Tausende Arbeitsplätze gehen dann verloren. Auch die Lehrausbildung geht den Bach runter. Maus weis, das bleibt nicht ohne gravierende Folgen für Region: „Nach dem Schließen einer Zeche braucht es ungefähr zehn Jahre, bis dort Neues entstehen kann.“ Maus weigert sich das, was in dem Bereich geschieht als Strukturwandel zu bezeichnen. Nichtsdestotrotz, so versicherte der Arbeitnehmervertreter werde man als Bergleute diesen Prozess ordentlich zuendebringen, das gebiete die Bergmanssehre. Ein weiteres Mal erinnert Norbert Maus an die Aktion von 1946 „Kohle für Kunst – Kunst für Kohle“, die Recklinghausen das heute nicht mehr wegzudenkende Festival „Ruhrfestspiele“ gebracht habe.

Dr. Frank Hoffmann: Beim Sparen an der Kultur ist nichts zu gewinnen

Sein Nachfolger am Rednerpult, der Leiter der Ruhrfestspiele, Dr. Frank Hoffmann, zeigt sich solidarisch den Kohlekumpels. Für das Aus des Steinkohlebergbaus macht er „ideologische Gründe“ verantwortlich. Hoffmann dankte der Stadt Recklinghausen, den Menschen in der Region, sowie dem Stadtrat und den Aufsichtsrat der Ruhrfestspiele und nicht zuletzt dem scheidende Bürgermeister Wolfang Pantförder, „mit dem wir eine wunderbare Zusammenarbeit hier erlebt haben“. Wehmut schwingt in den Worten Hoffmanns in Bezug auf den Bürgermeister mit: „Ich fand das war ’ne schöne Zeit. Ich werd‘ sie nicht vergessen.“

Das Motto der diesjährigen Ruhrfestspiele ist „Inselreiche“. Man geht nun auf Entdeckungsreise, so Hoffmann. „Zu den Inseln.“ Inseln heißt für den Intendanten immer wieder auch das Einzelne, auch das Kleine, das was oft vergessen wird, in den Blick zu nehmen. Nicht immer nur das Globale, das Vernetzte, da wo die Menschen sind. Wo ihr Glück aber auch ihre Einsamkeit, ihre Verzweifelung ist.“ Hoffmann nennt das einen unglaublich wichtigen Ansatz für diese Ruhrfestspiele 2014.

Nicht verstehen kann Hoffmann, dass man immer wieder denke beim Sparen an der Kultur könne man etwas gewinnen. „Prozentual wird wenig Geld für Kultur ausgegeben“ , sagt Frank Hoffmann. Recklinghausen lobt er, weil es sich gegen das Sparen an der Kultur stemme. Letzteres nennt Hoffmann einen Reichtum, eine Kraft, mit der wir in die Zukunft investieren.

„Glück auf!“ für die Ruhrfestspiele 2014

BildDer Leiter der Ruhrfestspiele, Dr. Frank Hoffmann (links) und Betriebsratsvorsitzender Norbert Maus (rechts) eröffnen das diesejährige Festival

Eine weitere gute Tradition neben dem Abhalten der 1.Mai-Kundgebung vor dem Festspielhaus ist es, dass Norbert Maus und Dr. Frank Hoffmann gemeinsam der Ruhrfestspiele eröffnen. Nun heißt es wieder einmal für die Kultur auf dem grünen Hügel der Stadt Recklinghausen: Glück auf! Und zwar für sechs Wochen.

BildAuch an großen Tieren fehlte es nicht in Recklinghausen …

Im Anschluss an die Eröffnung begann das Große Kulturvolksfest mit hundertausenden Besuchern.

BildSchwindelerregend: Fassadenläufer bereicherten das Große Kulturvolksfest; Fotos: Claus-Dieter Stille

Ruhrfestspiele 2014 (via Claus-Dieter Stille/Neue Online Presse)