Sumpfblasen aus den Medienanstalten

 

Staatsbürokraten organisieren sich als Gesinnungspolizei / ARD-aktuell schont Baerbock und pflegt die eigene Ignoranz

 Von Friedhelm Klinkhammer und Volker Bräutigam

Peinlich, peinlich: Außenministerin Baerbock, Blamier-Grüne, bewies bei ihrem Antrittsbesuch in Moskau einmal mehr, was sie nicht kann: rechtzeitig den Mund zu halten. Ihr Gastgeber, Außenminister Sergei Lawrow, hatte in der gemeinsamen Pressekonferenz zuvor das Gezerre um die Erdgasleitung Nordstream 2 und die deutsche Lizenzverweigerung für den russischen Fernsehsender RT DE als aktuell gravierendste Belastungen in den beiderseitigen Beziehungen bezeichnet. (1) Was Baerbock betreffs der russischen Gaslieferungen antwortete, berichtete ARD-aktuell über alle Formate. (2) Das Baerbock-Geplapper über RT DE wurde hingegen nicht wiedergegeben. Stattdessen hatte Silvia Stöber gleichentags auf tagesschau.de Gelegenheit, Halbwahrheiten über die russische Konkurrenz abzusondern und dabei den Sumpf der Landesmedienanstalten in großem Bogen zu umgehen.

„Wat mutt, dat mutt,“ sagt der Ostfriese. Also her mit dem Baerbock-Zitat betreffs „Satellitensperre für RT DE“:

„Ich kann nochmal unterstreichen, dass bei uns die Pressefreiheit bedeutet, dass es keine staatliche Einmischung in den Bereich (sic!) gibt. Wir haben eine klare Verfassung, die in Deutschland verbietet, dass es keinen (sic!) staatlichen Rundfunk gibt, ob der Staat Deutschland, USA oder Russland heißt. Und auf dieser Grundlage wird bei uns in Deutschland auch im Blick auf die zuständigen Behörden dann verfahren.“ (3)

„Ja do legst di‘ nieda und stehst nimmer auf“, stöhnt der Oberbayer.

Abgründe des Landesverrats (4)

Unsägliche deutsche Arroganz spricht aus Baerbocks Satztrümmern (Wir sind die Besten, nicht nur in Friedens- oder Menschenrechtsfragen, sondern auch betreffs Presse- und Meinungsfreiheit). Die Ministerin redet überdies ausgesprochen dummes Zeug. Weder verbietet unsere „klare (sic!) Verfassung“ staatliche Rundfunksender, noch fehlt es an staatlichen Übergriffen auf das Grundrecht der Freiheit von Presse und Funk. (5) Gerade eben erst praktizieren die Ministerpräsidenten der Bundesländer eine “Einmischung“ in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, sie planen ganz legal dessen „Reform“ – inklusive Änderungen seines Programmauftrags. (6) Im Gegensatz zu Baerbocks Behauptung sind eigene und fremde staatliche bzw. staatlich finanzierte Sender in Deutschland tätig: Die Deutsche Welle ist zwar als Anstalt öffentlichen Rechts konstruiert, aber ihre Kosten schlagen im Bundeshaushalt zu Buche. Sie soll weltweit ein „offizielles“, also retuschiertes Deutschlandbild vermitteln. Erst recht trifft die Beschreibung „staatlich“ auf den Sender Bundeswehr-TV (Eutelsat 21 B) zu. (7) Zudem funken ausländische Staatssender von deutschem Boden aus bzw. in unser Land hinein: American Forces Network, AFN (Wiesbaden) (8). Großbritanniens British Forces Broadcasting Service, BFBS, (Paderborn-Sennelager). (9) Arte France ist zu zwei Dritteln in französischem Staatseigentum (10). Der CIA-Hetzsender Radio Free Europe / Radio Liberty (11) ist in Deutschland über Kurzwelle zu empfangen.

Es ist schon viel darüber geschrieben und oft beklagt worden, dass ARD-aktuell längst gewohnheitsmäßig die ihr per Staatsvertrag vorgegebenen „anerkannten journalistischen Grundsätze“ verletzt. Die Redaktion mutiert nämlich zu einem Regierungsanhängsel: Mittels Verzicht auf Gegenrecherche, Ausblendung politischer Gegenpositionen, Nachrichtenunterschlagung und Fälschung. Details sind u.a. im Archiv des Vereins Ständige Publikumskonferenz öffentlich-rechtlicher Medien e.V. zu finden. (12)

Blockadepolitik im Sinne der Regierung

Am längst verbindlichen Verständnis, dass „Freiheit immer die Freiheit der Andersdenkenden“ (13) ist, mangelt es den Tagesschau-Verantwortlichen vollends. An kollegialem Anstand ebenfalls. Neuerlich bewiesen im Umgang mit der politisch gewollten Blockade des Konkurrenzsenders RT DE.

Per Resolution hatte sich der 80 000 Mitglieder starke russische Journalistenverband an Außenministerin Baerbock gewandt: Die Abschaltung des Senders RT DE verletze den Anspruch der Bundesbürger auf Informationsfreiheit. (14) Für ARD-aktuell war selbst das keine Meldung wert. Über die Sperrung des Senders RT DE am 22. Dezember (15) hatten Tagesschau & Co. ja ebenfalls nicht berichtet.

Erst einen Monat später, am 18. Januar, erhielt die stramm russophobe Silvia Stöber Gelegenheit, sich in der diskreten Internet-Nische Tagesschau.de auszumären:

„Russischer Auslandssender: Wie RT Deutsch ins Fernsehen will“. (16)

Im Hinblick auf Objektivität und sachliche Analyse war die Auftragsvergabe an Stöber – medizinisch ausgedrückt – kontraindiziert. Auf Gender-Neudeutsch: Da wurde die Ziege zur Gärtner*in gemacht. Die nahm sich den § 53 (3) des neuen Medienstaatsvertrages vor, rupfte – um im Bilde zu bleiben – den verbalen Kopfsalat gleich mit der Wurzel aus und gab Halbverdautes wieder.

Unter dem Titel „Erteilung einer Zulassung für Veranstalter von bundesweit ausgerichtetem Rundfunk“ ist im genannten Paragraphen schwer verdauliche Kost aufgetischt:

„Eine Zulassung darf nicht erteilt werden an juristische Personen des öffentlichen Rechts …, an deren gesetzliche Vertreter und leitende Bedienstete sowie an politische Parteien und Wählervereinigungen. Gleiches gilt für Unternehmen, die im Verhältnis eines verbundenen Unternehmens im Sinne des § 15 des Aktiengesetzes zu den in Satz 1 Genannten stehen. Die Sätze 1 und 2 gelten für ausländische öffentliche oder staatliche Stellen entsprechend.“ (17)

Demnach dürfen die Landesmedienanstalten allen öffentlich-rechtlich und ähnlich konstruierten Antragstellern („öffentliche und staatliche Stellen“) keine Rundfunklizenz gewähren. Stöber schließt daraus:

„Laut § 53 (3) darf eine Zulassung … nicht an öffentliche und staatliche Stellen im In- und Ausland erteilt werden. Dieses Gebot der Staatsferne resultiert aus den Erfahrungen des (sic!) Nationalsozialismus.(s. Anm. 15)

Diese Behauptung missdeutet den Zweck des § 53, nämlich, öffentlich-rechtliche Veranstalter und staatliche Behörden nicht per Lizenz der Landes-Medienanstalten in den Kreis der privaten (kommerziellen) Rundfunkveranstalter hineinwuchern zu lassen; mit dem Gebot der Staatsferne des Rundfunks nach den schlimmen Erfahrungen mit dem Großdeutschen Rundfunk im Nazi-Reich hat das gar nichts zu tun. Der Begriff „Staatsferne des Rundfunks“ taucht im gesamten Vertrag überhaupt nicht auf. Er ist ein vom Bundesverfassungsgericht normiertes Auslegungsmerkmal.

Und schließlich: Im Umgang mit dem Genitiv (Stöber: „Erfahrungen des Nationalsozialismus“) sind schon bedeutendere Qualitätsjournalisten gescheitert.

Die „staatlichen Stellen“

Wesentlich übler ist, dass Stöber indirekt nahelegt, RT DE sei eine (behördengleiche) „staatliche Stelle“ und deshalb gemäß Medienstaatsvertrag nicht lizensierbar. Bei gründlicherer Nachschau hätte sie festgestellt: Der mit zahlreichen internationalen Preisen ausgezeichnete Fernsehsender-Verbund RT „ist eine autonome, gemeinnützige Organisation, die öffentlich aus dem Haushalt der Russischen Föderation finanziert wird“ (18); er ist privatrechtlich konstruiert (19), und das gilt entsprechend für  RT DE. (20) Die Unterstellung „russischer Propagandasender“ ist eine typische Psychologische Projektion (= ich übertrage meine Schuld auf dich [21]) der ARD-aktuell.

RT DE bekommt nur 32 Millionen Euro, wie Autorin Stöber schreibt (s. Anm. 15); der Jahresetat des Mutterkonzerns RT beträgt weniger als 100 Millionen Euro. (22) Unsere 14 deutschen Landesmedienanstalten bekommen hingegen jährlich 125 Millionen Euro, obwohl ihre Bürokraten bloß für formale Fragen wie die Lizenzvergabe an private Rundfunkanbieter oder für die Überwachung von deren Sendungen zuständig sind (u.a. hinsichtlich der Regeln für Werbung und Sponsoring).

Den Sumpf, in den diese Unsumme fließt, besichtigen wir gleich. Stöber hatte dazu in ihrer „Analyse“ wohl keine Zeit. Nicht nur der öffentlich-rechtliche Rundfunk deutscher Prägung, auch die Medienanstalten sind in einem engmaschigen Netz von Partei- und Regierungspolitikern, Staatskanzlisten, Vertretern einflussreicher „gesellschaftlich relevanter“ Gruppen und dubioser Syndikate gefangen (pars pro toto: Atlantikbrücke, Kirchen). Über wichtige personelle Fragen und politische Ausrichtung wird in diesen Kreisen hinter verschlossenen Türen entschieden. Das Gerede von der Staatsferne des deutschen Rundfunks ist eine Schimäre.

Stöbers Hinweis macht aber – offenbar unabsichtlich – klar, was eigentlich Sache ist:

„Die Bundesregierung bewertet RT Deutsch und andere Medien oder Tochterunternehmen als ‚Schlüsselakteure‘ in einem komplexen Netzwerk, das ihre Narrative im Auftrag russischer staatlicher Stellen verbreitet, unter anderem mit dem Ziel, den politischen Meinungsbildungsprozess in Deutschland zu beeinflussen.“ (s. Anm. 15)

Mit anderen Worten: Einflussnahme auf die Meinungsbildung des Bundesbürgers steht nur unserer Regierung zu. Toll. Die Behauptung der Außenministerin Baerbock in Moskau, staatliche Behörden hätten sich nicht in die RT DE-Angelegenheiten eingemischt, ist ohnehin falsch (23, 24). Darüber und über die Intrigen zur Blockade des russischen TV-Senders in Deutschland schweigt ARD-aktuell sich aus.

Stöbers Elaborat über den wahrscheinlich rechtswidrigen Versuch der Medienanstalten, den neuen Programmanbieter RT DE auszuhebeln, war genauso unvollständig und irreführend wie Baerbocks konfuses Geschwätz. Im Jargon eines Restaurantprüfers: Sie servierte miserable Fritten mit Schmiersauce, und die Zwiebelringe dazu taugten auch nix.

Die Geheimpolizei fingert mit

RT DE hatte zunächst in Luxemburg eine Sendelizenz für Europa beantragt. Auf deutschen Druck hin wurde das Begehren abgeschmettert. Die Süddeutsche Zeitung schrieb über die Dreistigkeit der Bundesregierung:

„Und eben das war der Grund, warum sich Ende Mai deutsche und luxemburgische Beamte in einer vertraulichen Runde zusammenschalteten, um die Lage zu besprechen. Die Meldungen hatten sich verdichtet, der Antrag könne unmittelbar bevorstehen. Die luxemburgische Medienaufsicht saß bei dem Treffen ebenso mit am Tisch wie Diplomaten aus beiden Ländern und ein Vertreter der im Bundeskanzleramt angesiedelten Beauftragten für Kultur und Medien (Anm. d. Verf.: Staatsministerin Monika Grütters, CDU.[25]). Sogar der deutsche Verfassungsschutz und der luxemburgische Geheimdienst SREL saßen dabei. Sie hatten für eine abhörsichere Leitung gesorgt.“ (26)

Am Kampf um die Deutungshoheit und gegen informationelle Vielfalt nimmt die Geheimpolizei teil. Na bravo.

Derzeit hat die Medienanstalt Berlin-Brandenburg (27) die Verhinderung von Gegenstimmen gegen den Chor der gleichgeschalteten deutschen TV-Sender übernommen. Direktorin Dr. Eva Flecken bildet mit den 13 Leitern der anderen Landesmedienanstalten die Kommission zur Zulassung und Aufsicht. Voraussichtlich Anfang Februar wird dieser Kungelclub den Beschluss fassen, RT DE die Lizenz zu verweigern, denn angeblich besteht „keine rechtliche Grundlage“ für eine Zulassung.

Prachtbeispiele für Parteienfilz

„Kungelclub“ steht hier für politischen Filz und sagenhafte Geldverschwendung. Auszug aus einem Rechnungshofs-Bericht:

„Die Medienanstalt Berlin-Brandenburg (MABB) ist seit Jahren erheblich überfinanziert … Eine solche, nicht am Bedarf orientierte Finanzierung einer Anstalt des öffentlichen Rechts ist mit den Grundsätzen einer wirtschaftlichen und sparsamen Haushalts- und Wirtschaftsführung nicht vereinbar. … “ (28).

Über die sächsische Landesmedienanstalt heißt es:

„Ein der Vergütung zugrunde liegendes Maß der Verantwortung (bei 25 Mitarbeitern) ist nicht dokumentiert. Die Leitungsebene ist zum Teil außertariflich vergütet. Die Vergütung ist in diesen Fällen höher als die Vergütung des Präsidenten des Landeskriminalamtes Sachsen mit 800 Mitarbeitern.“ (29)

Der Kritik der Rechnungshöfe schloss sich die „Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarf des öffentlich-rechtlichen Rundfunks“ (KEF) schon vor Jahren an:

„Die Rechnungshöfe haben … festgestellt, dass durch die Finanzierungsform unwirtschaftliches Verhalten der Medienanstalten gefördert werde. Die Kommission schließt sich diesen Feststellungen an“. (30)

Die 14 Landesmedienanstalten (31) beschäftigen rund 500 Mitarbeiter und beziehen jährlich 1,9 Prozent des Rundfunkgebühren-Aufkommens von insgesamt mehr als 7 Milliarden Euro. Diese automatische Teilhabe wurde wiederholt von den Rechnungshöfen des Bundes und der Länder sowie von der KEF beanstandet. (32) Als angeblich staatsunabhängige Institutionen fließen der Medien-Bürokratur nicht nur die rund 125 Millionen Euro aus den Zwangsgebühren zu, sondern sie darf darüber hinaus Bußgelder, Verwaltungsgebühren, etc. einnehmen. (33). Das, in der Tat, sind Insignien einer „staatlichen Stelle“.

Die Führungskräfte der Landesmedienanstalten werden nach undurchsichtigen Kriterien ausgeguckt und in oft reichlich obskuren Prozeduren in ihre Ämter gehievt. Zeitungsschlagzeile u.v.a: Personalie mit G‘schmäckle. (34, 35, 36) Die ZAK ist eine Ehrenwerte Gesellschaft ehemaliger hochrangiger politischer Beamter und Staatsdiener. Ihr Vorsitzender Wolfgang Kreißig war sieben Jahre Leiter des Referats Medienpolitik im Staatsministerium Baden-Württemberg. Sein Vertreter Torsten Schmiege kommt wie bereits sein pensionierter Vorgänger aus der Bayrischen Staatskanzlei. (37) Martin Heine aus Sachsen-Anhalt war jahrelang bei der Treuhand und im Justizministerium seines Landes tätig. …

Der Drehtür-Effekt – raus aus der Politik, rein in die Medienwelt und wieder zurück – sowie anderes schräges Einwirken sind gut zu beobachten. (38) Die gesellschaftspolitische Elite bleibt unter sich. Deshalb riecht es im Umfeld auch schon mal nach Korruption und Vetternwirtschaft, auch wenn im ARD-Diskurs die Medienanstalten mittlerweile als respektable „objektive“ Behörden figurieren. (39) Die Zeiten, da Der Spiegel die Abschaffung der Landesmedienanstalten forderte, sind vorbei. (40)

Die Unfreiheit der Andersdenkenden

Im Meinungs-Oligopol, angeführt von ARD-aktuell, herrscht offenkundig Zufriedenheit darüber, dass die Landesmedienanstalten auch als Gedankenpolizei fungieren. Das hilft, den Besitz der politischen Deutungshoheit vor der Konkurrenz der bewussten Medien zu schützen. Seit Februar 2021 gehen die Landesmedienanstalten wie eine Zensurbehörde gegen kritische Medien vor. Sie unterhöhlen und entkräften damit deren Verfassungsrechte auf Meinungs- und auf Rundfunkfreiheit.

Das Etiketten-Verkleben ist voll im Schwange: „Rechtsextrem“, „Verschwörungstheoretiker“ usw. dienen dem Abstempeln und sind zugleich eine unverfrorene Kompetenzanmaßung. Seit Inkrafttreten des neuen Medienstaatsvertrages (41) wurden in offensichtlich abgestimmter Aktion bereits 13 Online-Medien bezüglich „Fakenews“ unter die Lupe genommen. (42) Als ob die grundgesetzlich garantierte Meinungsfreiheit nicht auch falsche und faktenwidrige Äußerungen einschlösse, wovon beispielsweise ARD-aktuell auch rege Gebrauch macht … Welches Ausmaß die Zensurversuche noch annehmen werden, ist nicht abzusehen. (43)

Und: Ein Fernsehsender RT DE würde es schließlich einem noch größeren Publikum ermöglichen, „auch die andere Seite anzuhören“ und sich damit eine fundierte Meinung zu bilden. Ihn zuzulassen, wäre ein Beitrag zur politischen Hygiene. Die aber hätte unser Gemeinwesen dringend nötig. Denn die regierungsfromme Tagesschau unterschlägt doch gar zuviel, was einer fundierten Meinungsbildung dienlich wäre. Wie gerade erst die Informationen über den begnadeten Baerbock-Auftritt in Kiew, einen Tag vor dem oben erwähnten Besuch der Ministerin in Moskau:

„… unsere Haltung ist bekanntermaßen bekannt …“ … „… und wir haben bei unserem Gespräch darüber gesprochen …“… „… das unmissverständliche und vor allem einstimmlije (sic!) Bekenntnis der EU …“… „… einen hohen Preis für das russische Regime (sic!) hätte …“ (44)

Es gilt das gesabbelte Wort – der Außenministerin der Bundesrepublik Deutschland.

„Heilig‘s Blechle“, stöhnt der Schwabe. Und der Berliner: „Da biste platt, wa?“

Quellen und Anmerkungen:

  1. https://form7.wordpress.com/2022/01/19/lawrow-auf-der-pk-im-wortlaut/
  2. https://www.tagesschau.de/ausland/europa/baerbock-lawrow-101.html
  3. xttps://www.youtube.com/watch?v=YMhKZYiU-WA (ab 31‘ 36“)
  4. https://www.adenauerhaus.de/sah_1_4__520_print.html
  5. https://www.ndr.de/der_ndr/unternehmen/chronik/chronik159_page-3.html
  6. https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/oeffentlich-rechtlicher-rundfunk-neues-konzept-zur-grossen-reform-17248062.html
  7. https://de.wikipedia.org/wiki/Bundeswehr_TV
  8. https://www.afneurope.net/Stations/Wiesbaden/
  9. https://radio.bfbs.com
  10. https://www.arte.tv/sites/corporate/de/das-franzoesische-mitglied-arte-france/
  11. https://www.deutschlandfunkkultur.de/propaganda-im-auftrag-der-cia-102.html
  12. https://publikumskonferenz.de/forum/viewforum.php?f=5
  13. https://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/dokumentationen/090116_RL-Konferenz/beitraege/Tanja_Storlokken.pdf
  14. https://fargowells.com/bundesregierung-verletzt-rechte-ihrer-burger-journalistenverband-russlands-wendet-sich-an-baerbock-2/
  15. https://de.rt.com/europa/128812-RT DE-von-liveausstrahlung-uber-eutelsat9b-ausgeschlossen/
  16. https://www.tagesschau.de/inland/RT DEutsch-rundfunklizenz-aufsichtsbehoerden-101.html
  17. https://www.die-medienanstalten.de/fileadmin/user_upload/Rechtsgrundlagen/Gesetze_Staatsvertraege/Medienstaatsvertrag_MStV.pdf
  18. https://www.rt.com/about-us/
  19. https://de.wikipedia.org/wiki/RT_(Fernsehsender)
  20. https://de.rt.com/impressum/
  21. https://gedankenportal.de/psychologische-projektion-schuld/
  22. https://www.bpb.de/internationales/europa/russland/47996/medienlandschaft
  23. https://www.extremnews.com/berichte/weltgeschehen/dd1b1879c8c26a7
  24. https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/russischer-kanal-will-in-deutschland-senden-17417556.html
  25. https://www.bundesregierung.de/breg-de/bundesregierung/bundeskanzleramt/monika-gruetters-1432040
  26. https://www.sueddeutsche.de/medien/RT-DEutsch-youtube-russland-1.5489418
  27. https://www.mabb.de/uber-die-mabb/organisation-und-struktur.html
  28. https://gez-boykott.de/Forum/index.php?topic=23298.0
  29. https://gez-boykott.de/Forum/index.php?topic=23291.0
  30. https://kef-online.de/fileadmin/KEF/Dateien/Berichte/22._Bericht.pdf (TZ 419)
  31. https://www.die-medienanstalten.de/ueber-uns/landesmedienanstalten/adressen-aller-landesmedienanstalten
  32. https://www.ard-media.de/media-perspektiven/fachzeitschrift/2017/artikel/landesmedienanstalten-ueberfinanzierung-und-expansion-der-aufgabenfelder/zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF).
  33. https://www.die-medienanstalten.de/publikationen/jahrbuch/jahrbuch-2020
  34. https://www.deutschlandfunk.de/landesmedienanstalt-rheinland-pfalz-personalie-mit-100.html
  35. https://www.bild.de/regional/saarland/saarland-news/landesmedienanstalt-chef-posten-bleibt-in-cdu-haenden-67334260.bild.html
  36. https://taz.de/RTL-Mann-Tobias-Schmid/!5312728/
  37. https://www.sueddeutsche.de/medien/blm-wahl-schmiege-1.5247046
  38. https://www.deutschlandfunk.de/landeszentrale-fuer-medien-und-kommunikation-ins-amt-100.html
  39. Streit um TV-Lizenzen – Bevorzugung von Firmen? | NDR.de – Fernsehen – Sendungen A-Z – ZAPP – Medienpolitik
  40. https://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/debatte-schafft-die-landesmedienanstalten-ab-a-347414.html
  41. https://www.gesetze-bayern.de/Content/Document/MStV/true
  42. https://www.deutschlandfunk.de/initiative-der-landesmedienanstalten-medien-aufseher-gehen-100.html
  43. https://www.nachdenkseiten.de/?p=72874
  44. xttps://www.youtube.com/watch?v=V1EOX1p3V3Q
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Volker Bräutigam (links) und Friedrich Klinkhammer. Foto: C. Stille

Das Autoren-Team: 

Friedhelm Klinkhammer, Jahrgang 1944, Jurist. 1975 bis 2008 Mitarbeiter des NDR, zeitweise Vorsitzender des NDR-Gesamtpersonalrats und des ver.di-Betriebsverbandes sowie Referent einer Funkhausdirektorin.

Volker Bräutigam, Jahrgang 1941, Redakteur. 1975 bis 1996 Mitarbeiter des NDR, zunächst in der Tagesschau, von 1992 an in der Kulturredaktion für N3. Danach Lehrauftrag an der Fu-Jen-Universität in Taipeh.

Anmerkung der Autoren:

Unsere Beiträge stehen zur freien Verfügung, nichtkommerzielle Zwecke der Veröffentlichung vorausgesetzt. Wir schreiben nicht für Honorar, sondern gegen die „mediale Massenverblödung“ (in memoriam Peter Scholl-Latour). Die Texte werden vom Verein „Ständige Publikumskonferenz öffentlich-rechtlicher Medien e.V.“ dokumentiert.

Beitragsbild: Legio-media.ru

Hinweis: Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors/der Autoren wieder, nicht meine.

Über die konkrete Lebenssituation armer Menschen in der Großstadt: In Dortmund sollte ein obdachloser Mann wegen 7.000 Euro Coronabußgelder inhaftiert werden

(Übernahme von Gewerkschaftsforum.de)

Die Auswirkungen der Reformen der „Agenda 2010“ die von der rot-grünen Bundesregierung Anfang des Jahrhunderts auf den Weg gebracht wurden, haben der politischen Kultur und dem sozialen Klima im Land dauerhaft geschadet. Der Arbeitsmarkt wurde dereguliert, der Sozialstaat demontiert, eine Steuerpolitik betrieben, die den Reichen mehr Reichtum und den Armen mehr Armut gebracht hat und auch der Mittelschicht deutlich gemacht, dass ihr Abstieg jederzeit möglich ist. Damit reagieren die Stärkeren ihre Abstiegsängste, Enttäuschung und ihre Ohnmacht an den Schwächeren ab.

Begleitet wird das Ganze von dem Misstrauen gegenüber den Mitmenschen und wenn man sieht, dass der Staat überall ein Sicherheitsproblem entdeckt, das mit martialischen Einsätzen der Sicherheits- und Ordnungskräfte entschärft werden muss, dann wird die gefühlte Bedrohung real erlebt und nach dem noch stärkeren Staat gerufen.

Dabei ist es erforderlich, denen, die nichts mehr haben, als strafender und disziplinierender Staat entgegen zu treten und den Menschen mit Abstiegsängsten und denjenigen mit großen Vermögen einen starken Staat zu demonstrieren.

Der Bereich in dem der strafende Staat schon seit Jahrzehnten eine besonders tragische Kontinuität an den Tag legt, ist die Ahndung von Bagatelldelikten, die von den ärmeren Menschen begangen werden. Seit den Maßnahmen gegen die Verbreitung des Conoronavirus ist in den großen Städten das aggressive Ausleben der strukturellen und personalen Gewalt von Behörden, Polizei und Ordnungskräften gegenüber armen Menschen bedrohlich angewachsen.

Im Rahmen von „Präsenz zeigen“ und „Null-Toleranz“ gegenüber der ärmeren Bevölkerung in der Stadt, boten die Maßnahmen gegen die Verbreitung des Coronavirus und die behördliche Kontrolle über deren Einhaltung, eine neue Gelegenheit, wer den Part von Koch und Kellner in der Kommune einnimmt. Für obdachlose Menschen ist die Rollenaufteilung schon lange grausige Realität

Gejagt von Polizei und Ordnungskräften

Die Menschen auf der Straße erleben hautnah die Ausgrenzung im öffentlichen Raum. Wer gezwungen ist, im Freien zu schlafen, wird aber immer wieder von warmen und relativ geschützten Plätzen vertrieben, weil man ihn dort nicht sehen will, aus Angst vor Geschäftsschädigung, insbesondere im Innenstadtbereich.

Die Stadt Dortmund ist sehr daran interessiert, dass innerhalb des Walls bzw. rund um die Konsummeile Hellweg Armut nicht sichtbar wird. Auch hier geht es um Vertreibung, damit die Konsumenten ohne schlechtes Gewissen die Kassen der Geschäftsleute klingeln lassen. Damit dies ungestört gewährleistet ist, kommt es immer wieder vor, dass obdachlose Menschen mit einem Bußgeld überzogen werden. So geschehen zuletzt, als ein Mann an einem Kiosk am Wall übernachtete und von Mitarbeitern des Ordnungsamtes aufgeweckt wurde. Man verpasste ihm ein Knöllchen wegen „Lagern und Campieren“ in Höhe von 20 Euro, zu überweisen innerhalb von 7 Werktagen. Geht das Geld bei der Stadt nicht ein, droht dem Mann eine Ersatzfreiheitsstrafe.

Dass dieses skandalöse Vorgehen nichts Neues ist, zeigen Zahlen aus dem Jahr 2017, in dem Jahr hat die Stadt Dortmund insgesamt 407 Verstöße gegen „Lagern, Campieren und Übernachten auf öffentlichen Plätzen“ ausgesprochen.

Das folgende Beispiel zeigt, dass sich am Vorgehen der Stadt Dortmund trotz vielfacher Proteste nichts geändert hat.

Seit Mitte Februar 2021 ist der Stadt Dortmund bekannt, dass obdachlose Menschen ein Lager an der Sporthalle Nord in der Nähe eines Städtischen Kindergartens eingerichtet haben. Da sich der Bereich, in dem das Lager errichtet wurde nicht im öffentlichen Raum befindet, konnte das Ordnungsamt keine weiteren Maßnahmen wie Platzverweise aussprechen oder gar eine Räumung durchsetzen, weil Maßnahmen nur über die Ausübung des Hausrechts (z.B. Hausverbote) durchgesetzt werden können. Weil die Durchsetzung von Hausverboten Polizeisache ist, wurde diese um Amtshilfe gebeten und sie sprach den dort angetroffenen campierenden Leuten Platzverweise aus. Die Entsorgung Dortmund wurde beauftragt die Folien, Matratzen, Decken und teilweise auch Lebensmittel als Müll zu verbringen.

Die Maßnahme war jedoch nicht nachhaltig, schon einen Tag später wurden dort 3 Personen schlafend angetroffen. Die Stadt Dortmund forderte die Polizei erneut auf, Platzverweise inklusive Anzeigen auszusprechen und veranlasste, dort eine Absperrung durch Bauzäune anzubringen, um eine weitere Nutzung der Fläche zu verhindern.

Beim Umgang mit den „Problemgruppen“ klebt die Stadt Dortmund seit Jahrzehnten immer an dem gleichen Konzept, das eigentlich gar keins ist, denn mit ihren Ordnungskräften und der Polizei die marginalisierten, kriminalisierten und stigmatisierten Menschen immer nur zu vertreiben und ständig in Bewegung zu halten, jegliches Niederlassen und Ausruhen zu verhindern, ist schlicht nur widerwärtig.

Kontrolle der Einhaltung von Corona- Maßnahmen lassen Situationen  eskalieren

Für ausgeschlafene Einwohner in der Stadt Dortmund ist es nichts neues und langjährige  reale Praxis, dass obdachlose Menschen mit Ordnungswidrigkeiten drangsaliert werden und saftige Bußgelder zahlen müssen.

Im Rahmen der Kontrollen der Maßnahmen gegen die Verbreitung des Coronavirus wurden obdachlose Menschen systematisch von Polizei und Angestellten des Ordnungsamtes, in fast immer in bis zu 10 Personen umfassenden Einsatztrupps von der Kaufmeile verjagt und mit Bußgeldern überzogen. Auf Ansprache reagieren die Einsatzkräfte äußerst gereizt bis aggressiv und verbieten unrechtmäßig Video- und Fotoaufnahmen von ihrem Handeln.

Widerstand gegen Übergriffe bzw. Rechtsmittel gegen Bußgelder einzulegen ist für die armen Betroffenen keine Lösungsmöglichkeit. Niemand wehrt sich gegen die Bußgelder und der Verwaltungsablauf nimmt schnell Fahrt auf. Die obdachlosen Menschen werden bei Nichtzahlung des Bußgeldes direkt von der Straße für Wochen, manchmal für Monate ins Gefängnis zur Erzwingung gebracht. In der Regel sind bei der Entlassung die Bußgelder noch nicht einmal abgesessen, sondern bestehen weiterhin und oben drauf drohen weitere Vollstreckungen und Gefängnisaufenthalte.

Das Vorgehen der Ordnungskräfte und Behörden im Rahmen der Kontrollen der „Corona- Maßnahmen“ gegen einen obdachlosen Mann, der auf den Rollstuhl angewiesen ist und für das Treffen draußen mit Bekannten in die Mühlen der Ordnungsbehörden geriet, wurde kürzlich endlich einmal in größerer Öffentlichkeit diskutiert. Dies wurde allerdings erst dadurch möglich, dass das Amtsgericht Dortmund ein sensationelles Urteil fällte und die Erzwingungshaft gegen den Mann abgelehnt hatte.

Vorgehen der Ordnungsbehörde

Der Mann hatte im vergangenen Jahr vom Ordnungsamt mehrere Ordnungsgelder wegen Verstöße gegen die Coronaschutzverordnung und wegen Bettelns erhalten. In relativ kurzer Zeit kamen insgesamt 7.325 Euro plus Verfahrenskosten zusammen, aus insgesamt 17 Delikten, von jeweils 25 Euro bis zu 2.200 Euro Bußgeld. Als der Mann nicht zahlte, wollte die Stadt Dortmund ihn ins Gefängnis schicken, um ihn zur Zahlung zu zwingen. Die Behörde stellte Anträge auf Erzwingungshaft.

Amtsgericht Dortmund lehnt Erzwingungshaft ab

Die Anträge auf Erzwingungshaft hat das Amtsgericht Dortmund im Dezember 2021 abgelehnt und war in seiner Begründung klar und deutlich: „Sinn und Zweck der Erzwingungshaft ist es, einen Zahlungsunwilligen – nicht Unfähigen – zur Zahlung einer Geldbuße zu zwingen.“ Der Betroffene verfüge „über keinerlei Einkommen“ und „lebt ‚von der Hand in den Mund‘“. Es sei „nicht ersichtlich, inwieweit der Betroffene denn seine Lebensführung bei derart hohen Geldbußen und derart bescheidenen Lebensverhältnissen noch einschränken können soll.“

Das Gericht kritisierte auch die  konkrete Vorgehensweise des Ordnungsamtes. Bei der Ahndung der Verstöße „ist das Bußgeld in schematischer Anwendung teilweise enorm erhöht worden, was sogar zur Festsetzung eines einzelnen Bußgeldes in Höhe von 2.200,00 € geführt hat. Die offensichtlichen wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen sind dabei nicht berücksichtigt worden.“ Es sei aber „Sache der Bußgeldbehörde schon bei der Ahndung der Ordnungswidrigkeit nur solche Geldbußen festzusetzen, die unter Berücksichtigung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse noch einen angemessenen Sanktionscharakter haben.“ Die Erzwingungshaft soll „ausdrücklich gerade nicht den Zahlungsunfähigen treffen“.

Das Gericht stellte explizit fest, dass eine Erzwingungshaft nicht als Ersatzfreiheitsstrafe missbraucht werden dürfe oder als Gerichte das tun dürfen. Deshalb würden sich Rechtsdezernent und Rechtsamt gegenüber Obdachlosen rechtswidrig verhalten.

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Das Urteil
Amtsgericht Dortmund

 Ausfertigung

730 OWi 237/21 [b]

Der Betroffene ist drogenabhängiger und obdachloser Rollstuhlfahrer.

718551_original_R_by_FotoHiero_pixelio.de

Armut. Foto/Quelle: FotoHiero via Pixelio.de

Die Stadt Dortmund hat in verschiedenen Verfahren gegen den Betroffenen  Bußgelder in Höhe von insgesamt 7.325,00 € zuzüglich Verfahrenskosten festgesetzt, die sich im Einzelnen wie folgt ergeben:

AZ                                      Betrag in €

730 Owi 224/21(b)     –   25

730 Owi 225/21(b)     –  200

730 Owi 226/21(b)     –   400

730 Owi 227/21(b)     –   800

730 Owi 228/21(b)     –   1.400

730 Owi 229/21(b)     –   75

730 Owi 230/21(b)     –   2.200

730 Owi 231/21(b)     –  100

730 Owi 232/21(b)     –  250

730 Owi 233/21(b)     –  50

730 Owi 234/21(b)     –  1.400

730 Owi 235/21(b)     –  25

730 Owi 236/21(b)     –  50

730 Owi 237/21(b)     –  75

730 Owi 238/21(b)     –  75

730 Owi 239/21(b)     – 100

730 Owi 240/21(b)     –  100

Summe:                  7.325,00

—————————————–

Nachdem der Betroffene diese Bußgelder nicht bezahlt hat, begehrt die Stadt Dortmund die Festsetzung von Erzwingungshaft gegen den Betroffenen für sämtliche Bußgelder.

II.

Die Anträge auf Anordnung von Erzwingungshaft sind überwiegend unbegründet.

Denn der Betroffene ist zahlungsunfähig hinsichtlich der festgesetzten Bußgelder, die sich teils in enormen Höhen bewegen. Erzwingungshaft kann gern. § 96 Abs.1 Nr.4 OWiG ausdrücklich dann nicht angeordnet werden, wenn Umstände bekannt sind, die Zahlungsunfähigkeit des Betroffenen ergeben.

Solche Umstände sind hier aktenkundig.

Sinn und Zweck der Erzwingungshaft ist es, einen Zahlungsunwilligen – nicht Unfähigen –  zur Zahlung der Geldbuße zu zwingen. In diesem Zusammenhang sind die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Betroffenen, seine Verbindlichkeiten, seine Arbeitsfähigkeit und die Höhe der Geldbuße zu berücksichtigen.

Von Zahlungsunfähigkeit ist insbesondere bei Betroffenen auszugehen, die nur über das Existenzminimum verfügen, kein verwertbares Vermögen besitzen und im Blick auf Alter, Ausbildung, Gesundheitszustand oder Arbeitsmarktlage kein oder kein höheres Einkommen erzielen können (vgl. zum Ganzen für viele Göhler, OWiG 16. Auflage, § 96 Rdn 13).

Dementsprechend ist allgemein anerkannt, dass Sozialhilfeempfänger, die in absehbarer Zeit nicht mit der Erlangung einer Arbeitsstelle rechnen können, als zahlungsunfähig anzusehen sind (vgl. OLG Hamm,  Beschluss vom 29. November 1990 -Az.: 3Ws739/89).

Der Betroffene verfügt nach den aktenkundigen Feststellungen über keinerlei Einkommen – auch nicht ALG II – oder Vermögen. Zudem liegen auch noch vorrangige Pfändungen gegen den Betroffenen vor. Die Bußgelder resultieren zum größten Teil daher, dass sich der Betroffene im Trinkermillieu zum Biertrinken in der Öffentlichkeit getroffen hat und die Stadt Dortmund insoweit wiederholt wegen Verstoßes gegen die Coronaschutzverordnung Bußgelder verhängt hat. Dabei ist das Bußgeld in schematischer Anwendung teilweise enorm erhöht worden, was sogar zur Festsetzung eines einzelnen Bußgeldes in Höhe von 2.200,00 € geführt hat. Die offensichtlichen wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen sind dabei nicht berücksichtigt worden.

Wie der Betroffene bei Zahlung der festgesetzten Geldbußen auch nur noch annähernd seinen Lebensunterhalt bestreiten können bzw. wie er überhaupt nur ansatzweise in der Lage sein soll, die festgesetzten Geldbußen zu zahlen, ist nicht ersichtlich. Da er obdachlos und drogenabhängig ist und im Rollstuhl sitzt, ist auch unerfindlich, wie sich an dieser Situation etwas ändern soll. Der Betroffene lebt von „der Hand in den Mund“ – teilweise wurden Bußgelder wegen „Bettelns“ festgesetzt – so dass er selbst die geringeren Geldbußen nicht bezahlen können wird, ohne seinen Lebensunterhalt zu gefährden.

Soweit die Verwaltungsbehörde argumentiert, dass auch vermögenslose Personen ,,unter Einschränkung ihrer Lebensführung die notwendigen Mittel“ aufbringen sollen, damit sie sich nicht sanktionslos über Ordnungswidrigkeit hinwegsetzen können sollen, ändert dies nichts an der Zahlungsunfähigkeit des Betroffenen. Auch ist nicht ersichtlich, inwieweit der Betroffene denn seine Lebensführung bei derart hohen Geldbußen und derart bescheidenen Lebensverhältnissen noch einschränken können soll. Insoweit wäre es Sache der Bußgeldbehörde schon bei Ahndung der Ordnungswidrigkeit nur solche Geldbußen festzusetzen, die unter Berücksichtigung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse noch einen angemessenen Sanktionscharakter haben. Die Erzwingungshaft soll lediglich den Willen eines zahlungsunwilligen Betroffenen beugen, aber ausdrücklich gerade nicht den Zahlungsunfähigen treffen. Im Gegensatz zur Ersatzfreiheitsstrafe im Strafrecht ist die Erzwingungshaft gerade nicht ersatzweises Übel für die begangenen Ordnungswidrigkeiten  (vgL viele Göhler, OWiG, 16. Auflage, 96 Rdn. 1).

Dortmund, 08.12.2021 Amtsgericht

Dröge

Richter am Amtsgericht

Ausgefertigt

Cavus, Justizsekretärin

Als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

 

 

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Die Stadt Dortmund reagiert auf das Urteil, wie gewohnt bockig, ohne Empathie und säuerlich

Eine Anfrage der örtlichen Presse an die Stadt Dortmund wurde erst elf Tagen später beantwortet. Stadtsprecher Maximilian Löchter teilte der Redaktion mit, (Quelle: WAZ vom 21.01.2022) „aus datenschutzrechtlichen Gründen können wird keine Informationen bezüglich eines konkreten Bußgeldverfahrens mitteilen“. Die Anordnung einer Erzwingungshaft sei grundsätzlich auch bei „vermögenslosen Personen“ möglich. Es sei zu prüfen, ob jemand tatsächlich zahlungsunfähig oder nur zahlungsunwillig ist. „Nach der ständigen Rechtsprechung des Landegerichts Dortmund ist in der Regel zumindest die Begleichung der Bußgeldforderung in monatlichen Raten zumutbar, um sich im Ergebnis nicht sanktionslos über Ordnungswidrigkeitentatbestände hinwegsetzen zu können“.

Amnestie aller Bußgelder gegen wohnungs- und obdachlose Menschen

Es wird höchste Zeit, dass die Stadt Dortmund generell ihre Ordnungspolitik gegenüber  armen Menschen überdenkt.
Die Entscheidung des Amtsgerichts Dortmund könnte Anlass für konkrete Verbesserungen im Umgang der Behörden mit diesen Menschen sein und die Bußgelddrangsalierung gegen wohnungs- und obdachlose Menschen sofort zu beenden.

Der erste Schritt sollte eine Amnestie aller Bußgelder gegen diesen Personenkreis sein!

Ende des Beitrags vom Gewerkschaftsforum.

„Eine deutliche gerichtliche Klatsche für die Stadt Dortmund hat heute (25. Januar 2022) im Sozialausschuss ein politisches Nachspiel“, schreibt Nordstadtblogger.de. Und weiter: „Die Vertreter:innen mehrerer Parteien wollen wissen, wieso die Stadt Erzwingungshaft zur Durchsetzung von Geldstrafen gegen einen Obdachlosen verhängen lassen wollte, die dieser u.a. wegen Bettelns bekommen hatte – und diese nicht bezahlen konnte. Die Reaktionen aus der Zivilgesellschaft waren und sind heftig – und die Politik will, dass sich die Stadtverwaltung nun erklärt.“

Nordstadtblogger: „Die Fraktion „Die Linke+“ wartet nicht erst die Bewertung ab, sondern spricht von einem handfesten Skandal im Umgang mit Obdachlosen in der Stadt Dortmund: „Ich bin fassungslos. Schlechter hätte das Jahr politisch gar nicht starten können“, betont Fatma Karacakurtoglu, sozialpolitische Sprecherin der Ratsfraktion.

Sie macht nachdrücklich darauf aufmerksam, dass das Amtsgericht sogar explizit festgestellt habe, dass eine Erzwingungshaft nicht als Ersatzfreiheitsstrafe missbraucht werden dürfe. „Oder schärfer ausgedrückt, als Gerichte das tun dürfen: Rechtsdezernent und Rechtsamt verhalten sich gegenüber Obdachlosen rechtswidrig. Dieses Verhalten der Stadt wird Die Linke+ in der nächsten Ratssitzung thematisieren.

Es sei skandalös, wie in Dortmund immer noch mit den Schwächsten der Gesellschaft umgegangen werde. Das müsse endlich aufhören. Die Stadt Dortmund habe eine Verantwortung für jeden Menschen, der hier lebt. Deshalb müsste es die Aufgabe von städtischen Mitarbeitern sein, Obdachlosen zu helfen statt sie zu gängeln. Ihnen Strafzettel in insgesamt unrealistischer Höhe zu verpassen, das sei abartig, so Karacakurtoglu. (…) Eine solidarische Gemeinschaft dürfe jedenfalls keinen Menschen allein lassen. Auch wenn dieser möglicherweise nicht in das gängige Bild des Ordnungsamtes von Sauberkeit und Ordnung passe, fasst Fatma Karacakurtoglu zusammen.“

Quellen: WAZ, Lorenz Böllinger, Martin Lemke, zeit-online, monitor.de, Stadt Dortmund, Amtsgericht Dortmund

Zuerst erschienen auf gewerkschaftsforum.de

Laurenz Nurk, besten Dank für die Überlassung des Beitrags.

„Saruj. Stell dir vor, es gibt kein Geld mehr“ – Rezension

Als mir der Titel des hier zu besprechenden Buches mehr von Bilbo Calves (hier und hier) unter die Augen kam, merkte ich auf: „Saruj. Stell dir vor, es gibt kein Geld mehr“.

Sofort musste ich an Heidemarie Schwermer denken, welche in den 1990er Jahren öfters und auch danach in diversen Talkshows als „Die Frau, die ohne Geld lebt“ vorgestellt wurde.

Money Make The World Go Round“. In diesem Sinn sind wir Menschen konditioniert worden

Geld, Geld, Geld. Im Musical „Cabaret“ singt der Conferencier „Money Make The World Go Round“. Also ganz ohne Geld geht es offenbar nicht. Ginge es vielleicht schon. Nur können (oder vielmehr sollen) sich das zu Wenige auf der Welt vorstellen. Bis auf die oben bereits erwähnte Heidemarie Schwermer, welche ich Anfang der 1990er Jahre in Dortmund kennenlernte. Die Akademikerin gründete damals den Verein „Gib & Nimm“ in Dortmund, welchem ich beitrat. Ware gegen Ware oder Leistung gegen Leistung bedeutete das. Bargeldlos. Ein Tauschgeschäft. In jenen Jahren tauchten in mehreren Orten Deutschlands solche Tauschringe auf. Getauscht wurden Hilfeleistungen untereinander. Einige dieser Tauschringe nahmen Bezug auf die Theorien des deutsch-argentinischen Kaufmanns Silvio Gesell, andere bauten sie aus oder entwarfen neue Modelle. Gesell war Finanztheoretiker, Sozialreformer und Begründer der Freiwirtschaftslehre. Auf Vorschlag von Erich Mühsam und Gustav Landauer war er als Finanzminister in der Münchner Räterepublik tätig (siehe auch bei Wikipedia)

Tauschringe entstanden in 1990er Jahren in mehreren Gegenden Deutschlands. Ich selbst konnte mir damals nur bis zu einer gewissen Grenze vorstellen, wie das für eine ganze Gesellschaft funktioniere sollte. Kein Wunder: So sind wir Menschen konditioniert worden. Obgleich ich damals schon verstanden hatte, dass es mit unserer Gesellschaft, wo sich nahezu alles um Geld drehte – während soziale Probleme zunahmen und die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinanderging – so nicht auf alle Ewigkeit weiter und schon gar nicht gut gehen konnte. Als Nischengeschichte ergaben Tauschgeschäfte dagegen damals schon Sinn.

Heidemarie Schwermer bewunderte ich seinerzeit sehr. Nicht nur, weil sie einmal ihre Idee, mutterseelenallein nächtens unter einem Baum im Sauerland zu verbringen, umsetzte. Auch weil sie später wirklich vermochte vermochte im Prinzip ohne Geld leben. Sogar ihre Krankenversicherung hatte sie gekündigt. Den Mut hätte ich nicht gehabt. Leider verstarb sie 2006 an einem Krebsleiden. Da war sie bereits in Rente und darüber inzwischen wieder krankenversichert.

Ohne Geld leben?

Bilbo Calvez, eine vielseitige Künstlerin – deren Schaffen mir u.a. über ihr Kunstprojekt „die Bärensuppe“ („Wie wäre dein Leben in einer Welt ohne Geld?“) bereits bekannt war – hat uns sozusagen nun einen Roman aus der Zukunft geschrieben. Er erschien im Dezember 2021. Aus einer Welt die geldfrei funktioniert. Das Thema „eine Welt ohne Geld“ beschäftigt Calvez also schon länger. Und ein weiteres Mal wurde ich getriggert!

Der Finanz- und Wirtschaftsjournalist Norbert Häring schreibt seit einiger Zeit über Aktivitäten der Better Than Cash Alliance (Besser-als-Bargeld-Allianz), die zumindest auf die Abschaffung des Bargeldes hinarbeitet. Laut Ernst Wolff (Finanzexperte, Autor) steht zu befürchten, dass in Zukunft Papier- und Münzgeld gänzlich abgeschafft und dafür ein elektronisches Geld eingeführt wird. Dann droht freilich absolute Kontrolle über uns. Und Menschen, welche dem Staat unliebsam geworden sind, könnte plötzlich der Geldhahn zugedreht werden. Wolff sieht Anzeichen dafür, dass die Corona-Krise dafür genutzt werden könnte, ein elektronisches Geld und vielleicht sogar darüber hinaus ein Sozialkreditsystem einzuführen. Weil längst eine neue, noch viel härtere Finanzkrise drohe als 2008, die nicht wieder so zu stemmen (auf Kosten der Staaten) sei, wie damals. Beides verheißt nichts Gutes für uns Menschen.

Bilbo Calvez‘ Welt sieht im Vergleich dazu gänzlich anders aus.

Apropos Corona-Krise! Überhaupt wirkt ja die Corona-Krise seit zwei Jahren wie ein überdimensionales Brennglas, welches uns alle gesellschaftlichen, ökonomischen, ökologischen, finanzpolitischen und sonstigen Probleme stark vergrößert warnend glasklar vor Augen führt.

Zum Buch

„Im tiefsten Inneren haben sich die Menschen schon lange vor der Transition Frieden und eine Welt ohne Geld gewünscht. Nur galt dieser Traum als eine unerreichbare Utopie. Das Auflösen dieses Glaubenssatzes war die schwierigste Aufgabe der Transition.

Der Zukunftsroman ‘Saruj, Stell dir vor, es gibt kein Geld mehr’, begleitet die Leser in einer Welt, wo es weder Geld, Regierungen, Rechtsapparat, Kriege noch Grenzen gibt. Dafür Raum für Vertrauen, Liebe und Heilung.“

Im Roman wird uns von der Begegnung eines Menschen, der eine Welt ohne Geld nicht kennt erzählt. Es ist diejenige des 18-jährigen Kevalam, was in Sanskrit allein, „der Einzige“ bedeutet, sowie der 29-Jährigen Saruj (Hauptprotagonistin; der Name steht im Sanskrit für Empathie), welche am Tag der Abschaffung des Geldes geboren wurde. Geld kennt sie nur aus Erzählungen. Eine interessante Konstellation also! Beide jungen Leute treffen im wahrsten Sinne des Wortes – durch einen Unfall – aufeinander. Sie gehen zusammen auf eine Wallfahrt von Mystikern durch die Germanofonie (meint Deutschland, die Deutschschweiz und Österreich). Die alten Ländernamen sind per du. Der Sinn der Wallfahrt: die von früheren Generationen verunreinigten Böden, die Wälder und die Gewässer zu reinigen. Was auch auf die Atmosphäre von Gebäuden zutrifft, deren Geist es zu klären gilt, welche früher Leid verursacht hatten (Schlachthöfe, Gefängnisse).

Im ersten Teil Buches (es soll fortgesetzt und eine Trilogie werden) bewegen sich Saruj und Kevalam durch das frühere Deutschland.

Mit Kevalam können wir Leserinnen und Leser uns identifizieren. Er, der aus der alten Welt ist, in welcher wir ja nach wie vor leben, erfragt und vor allem: hinterfragt alles, was er über die Welt ohne Geld erfährt. Deswegen nennen ihn die anderen auch „Reporter“. Sie als Leser werden es erleben: Es dürften ihnen während der Lektüre die gleichen Fragen kommen wie Kevalam sie stellt. Kann denn diese Welt ohne Geld, ohne Regierung, ohne Justiz ohne Strafanstalten, Kriege und Grenzen wirklich funktionieren? Was ist denn, fragt sich Kevalam, wenn jemand die eigene Freundin vergewaltigt und dann nicht vor Gericht und zur Bestrafung ins Gefängnis kommt?

Wie soll die Gemeinschaft, wie er selbst, mit so jemanden weiter zusammen in einer gemeinsamen Gesellschaft leben?

Auch diesbezüglich triggerte es mich wieder! Ich musste an Dr. Eugen Drewermanns Vortragsreihe „Richtet nicht!“ denken, die ich wöchentlich auf You Tube verfolge. Dort behandelt Drewermann das Thema Strafrecht & Christentum. Dazu ist ebenfalls ein Buch erschienen.

Und die Leute aus der neuen Gesellschaft beantworten Kevalams Fragen stets geduldig und verständnisvoll. Wir Leser staunen oder wundern uns über das Leben in der geldfreien Welt bisweilen schon. Und als Leser fragt man sich schon hier und da: Könnte ich mir das für mich selbst vorstellen, dieses Leben? Schon deswegen lohnt sich das Buch zu lesen. Es regt immer wieder zum Nachdenken und zum Reflektieren unserer derzeitigen Wirklichkeit oder des bisher vergangenen eigenen Lebens an.

Neben aller Brüderlich- bzw. Schwesterlichkeit der Menschen in der Welt ohne Geld und das Zusammenspiel mit Androiden und aller praktizierter Friedlichkeit im Umgang untereinander existiert ja auch immer noch Eifersucht zwischen Liebenden. Auch zwischen Saruj und Kevalam knistert nicht nur elektrisierende Liebe sondern es kommt auch schon mal Eifersucht auf. Aber Freiheit ist eines der höchste Güter in dieser neuen Gesellschaft. Saruj strebt eine geradezu hundertprozentige Freiheit an. Man kommt zwar immer wieder miteinander aus. Trotz kleiner Unstimmigkeiten oder Missverständnisse.

Dennoch ist längst nicht alles perfekt im Leben unter den Geldfreien. Und man liest deshalb schon mal, wie Saruj feststellt: „Es ist noch Luft nach oben.“ Immer wieder fühlt man sich da als Leser angestoßen, die Probleme selbst einmal aus eigener Sicht zu beurteilen. Und kommt womöglich zu verblüffenden Ergebnissen.

Gewiss kommen wir sogar darauf, uns zu fragen, wie viel Kontrolle wir letztlich bereit sind zuzulassen beziehungsweise hinzunehmen. Dass wir uns Freiheit bewahren, sie ausweiten und vor allem: verteidigen müssen. Da klingt leise auch das System der Corona-Maßnahmen hindurch. Derweil war an Corona noch gar nicht zu denken gewesen, als das Buch entstand.

Es geht eben beim Zusammenleben in der geldfreien Welt immer auch um gegenseitiges Vertrauen zueinander und Verantwortung füreinander. Wozu auch Achtsamkeit im Allgemeinen gehört sowie das Denken über die eigene Person hinaus eine Notwendigkeit ist.

Das sollte uns Heutigen viel sagen!

Ein origineller, aber umso einleuchtendere Einfall Bilbo Calvez‘: Sie hat eigens für den Zukunftsroman eine Grammatik der Zukunft (S.491) erschaffen. Keine Angst, mit Gendern hat das nichts zu tun. Es gibt sogar eine genderneutrale Grammatik.

Sie schreibt:

Die Sprache der Zukunft hat sich verändert. Es sind neue Wörter dazu gekommen, ein vierter Artikel und eine Weltsprache: das Globische. Der Fließtext nutzt diese neuen Worte. Auch das Weglassen des >s< im Genitiv für neue Worte wird im Fließtext berücksichtigt. Zwar sind noch weitere Veränderungen in der Sprache der Zukunft entstanden, jedoch werden, um den Leser nicht zu überfordern, nur einige neue Worte und die genderneutrale Grammatik verwendet.“

Als ich im Buch auf die ersten Neusprachsprengsel stieß, verzog ich kurz die Mundwinkel, murrte leicht und befürchtete das Schlimmste. Was indessen nicht eintrat. Erst ruckelte es etwa bezüglich des Leseflusses. Dann aber hatte mich erstaunlich schnell eingelesen und fand die mir die umgemodelten Worte fast normal.

Es schließt sich ein Glossar (S.501) an.

Fazit

Dem Motto „Eine andere Welt ist möglich“ hat sich das globalisierungskritische Netzwerk Attac verschrieben. Bilbo Calvez hat sich große Mühe gegeben, um uns diesen Zukunftsroman zu schreiben.

Dafür ist ihr Respekt zu zollen. Immerhin ist sie keine deutsche Muttersprachlerin. Eingangs schreibt sie:

„Herzlichen Dank an Henriette Kordasch, die Hebamme dieses Buches, die mich geduldig und liebevoll durch den Schreibprozess begleitet hat.“

In ihm wird eine andere Welt beschrieben. Das ist interessant und spannend. Ein gelungener Roman, weil er uns Leser sehr zum nachdenken bringt. Wir merken nämlich im Verlauf des Buches wie verkrustet unsere Gesellschaft ist. Alles hunderte von Jahren eingefahren. Obwohl sich im Verlaufe dessen auch viel geändert hat, ist selbst das längst wieder im Argen und bedroht. Der Roman lehrt uns, wie festgefahrene, eingeschliffene Muster unsere Freiheit beschneiden und unser Glück beeinträchtigen. Und wir erfahren wie sehr unsere Gesellschaft vom Geld geprägt ist. Viele Menschen wissen über das Geld, obwohl es schon so lange existiert, recht wenig. Alleine, wie es überhaupt entsteht, es geschaffen wird, wissen erschreckend wenig Menschen. Manche Unkenntnis betrifft sogar Banker!

Ein Blick in Bilbo Calvez‘ geldfreie Welt bringt uns, die wir in straff konditionierten Gesellschaften mit wachsenden, beängstigenden Problemen leben, in einer Welt, die angeblich – wie es in „Cabaret“ gesungen wird – durch Geld zum Drehen gebracht wird – aber doch nur immer mehr Geld den Jahr für Jahr immer reicher werdenden Reichen in die Hände scheffelt, auf hoffentlich konstruktive Gedanken.

Unbedingte Lese-Empfehlung!

Ich warte gespannt auf die Fortsetzungen!

Saruj. Stell dir vor, es gibt kein Geld mehr

von Bilbo Calvez

Ein Roman aus der Zukunft / Neuerscheinung Dezember 2021

Im tiefsten Inneren haben sich die Menschen schon lange vor der Transition Frieden und eine Welt ohne Geld gewünscht. Nur galt dieser Traum als eine unerreichbare Utopie. Das Auflösen dieses Glaubenssatzes war die schwierigste Aufgabe der Transition.

Der Zukunftsroman ‘Saruj, Stell dir vor, es gibt kein Geld mehr’, begleitet die Leser in einer Welt, wo es weder Geld, Regierungen, Rechtsapparat, Kriege noch Grenzen gibt. Dafür Raum für Vertrauen, Liebe und Heilung.

Verlag Meiga

€ 19,80

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Via selbstgewähltem Preis bei Freie Edition hier bestellen.

Beschreibung

›Saruj‹ ist eine Fiktion, ein Liebesroman in einer Zukunft, in der es weder Geld noch Tausch, Grenzen noch Regierungen, Polizeiapparat noch Kriege gibt. Eine Gesellschaft die nach vollkommener Freiheit strebt.
Saruj (Empathie in Sanskrit), 29, ist am Tag der Geldabschaffung geboren. Aufgewachsen ist sie in einer Lebensgemeinschaft in den Pyrenäen und mehr als ein Drittel ihres Lebens ist sie als Nomadin zu Fuss durch die Welt gereist. Sie ist eine Idealistin und steht in der Geschichte des Buches für die Freiheit.
Kevalam (Allein in Sanskrit) ist der letzte Sohn eines Ultrareichen, Saman. Der Patriarch war der Meinung, als das Geld an Bedeutung verlor, dass die geldfreie Gesellschaft nur von kurzer Dauer sein würde. Daher hat er für sich und seine Familie eine autarke Siedlung errichtet, die von der Welt komplett abgeschottet ist. Seinem Sohn wurde erzählt, dass in der Welt ›da draussen‹ nur Mord und Totschlag herrscht.
Die Handlung beginnt als Saman stirbt. Kevalam, gerade 18 Jahre alt, sieht die Außenwelt zum ersten mal. Mit dem Fahrzeug seines Vaters fliegt er aus der Siedlung heraus und verursacht bald einen Unfall. So trifft er auf Saruj.
Saruj war auf dem Weg zu einer Sannyasinii, die zusammen mit anderen Mystikern eine Wallfahrt durch den deutschsprachigen Raum organisiert, um die Böden, Seen und Gebäude energetisch zu reinigen. Einige diese Mystiker sind über 100 Jahre alt und sind somit noch Zeitzeugen der sogenannten ›Transition‹.
Kevalam entscheidet Saruj zu folgen und bei der Wallfahrt dabei zu sein. Ihm fällt es zunächst schwer zu akzeptieren, dass eine Welt ohne Geld friedlich funktionieren kann. Er fürchtet sich vor Sicherheit- und Gerechtigkeitsverlust. Beides kann seine Überzeugungen nach, nur mit Geld und Kontrolle gewährt werden. Mit der Unterstützung Sarujs und der geduldigen Sannyasins, lässt er sich nach und nach auf diese neue Gesellschaft ein und entdeckt ihre Schönheit.
Dieses Werk ist der Abschluss des Projektes  ›die Bärensuppe‹, ein Projekt das sich auch mit der Vision einer geldfreien Gesellschaft beschäftigt. ›Die Bärensuppe‹ ist eine interaktive Ausstellung, die den Besuchern ein Experimentierfeld bietet, wo Vertrauen und Entscheidungen im Konsens geübt wird. Die Gäste bringen die Zutaten, und eine Suppe wird ohne die Leitung eines Chefkochs gekocht. Das gemeinsame Ziel ist, dass die Suppe schmeckt. Irrelevant dabei ist wer wie viel – oder gar nichts – mitbringt. Seien es Zutaten, Hunger oder aktives Mitmachen. Die Übung ist gegenseitige Achtsamkeit zu erfahren, seine Wünsche auszudrücken, die Fülle zu erleben (es gab stets ›mehr als zu viel‹) und Widerstände abzubauen. Ein Vorgeschmack einer hierarchielosen Gemeinschaft wird gegeben. Bei diesem Projekt musste ich mich, Dank der Zweifel der Besucher sehr stark mit den Grenzen dieser Idee beschäftigen und selbst nach konkreten Lösungen suchen. Nach fünf Jahren, war ich bereit diese Fragen, samt praxisorientierter Antworten, in einen Roman einzubinden. Das Buch ist sowohl eine ›Bedienungsanleitung‹ als auch eine Inspiration, wie neue Wege eingeleitet werden können.

Ob eine geldfreie Gesellschaft tatsächlich schon in 40 Jahren entstehen kann ich nicht versprechen, aber mir war es in diesem Buch ein Anliegen, eine zeitnahe Zukunft zu beschreiben. Einerseits, damit einige Zeitzeugen der ›T ransition‹ in dem Buch zu Wort kommen können und andererseits, damit diese Vision für den Leser fassbarer wirkt und deshalb Lust zum jetzigen Handeln gibt. Als Künstlerin geht es mir um die Endvision, wo die Reise schließlich hingeht, weiß niemand. Dieses Buch soll inspirieren und Mut geben. Jeder Schritt in Richtung einer friedlicheren Gesellschaft zählt. 

 ›Saruj‹ ist eine Trilogie und  ›Stell dir vor, es gibt kein Geld mehr‹, Band 1.

INfOS: https://www.bilbo.calvez.info/saruj

Die Autorin über sich

bilbo_calvez_1Aufgewachsen bin ich in einem Pariser Vorort. Mit 22 und einem Master in Genetik (Maitrise de Biologie des organismes et des populations) in der Tasche zog ich 1985 nach Berlin, weil ich von meinem Pantomimenpartner gehört hatte, dass man dort kein Geld zum überleben braucht und ich in Paris zwischen meinen Jobs als Briefträgerin, Mathelehrerin und Pantomime in Montmartre – plus Studium und ehrenamtlicher Arbeit in einem Radiosender – kaum noch Zeit zum Schlafen hatte. In Berlin brauchte ich tatsächlich wenig Geld, um zu überleben und schaffte es sogar, ohne einen Cent einen 16mm-Kurzfilm zu realisieren. Es folgten mehrere Filme, darunter ›Schön, dass wir nicht, wie die anderen sind‹ ein Kurzfilm, der beim Wettbewerb der Grünen ›und fremd bist du‹ den 4.Platz erhielt und ›Rhythm Control‹, der bei den Oberhausener Kurzfilmtagen den ersten Platz bekam. Dann hörte ich, dass RiasTV Mitarbeiter suchte und wurde dort als Cutterin eingestellt. Nach einem Jahr kündigte ich und arbeitete als freiberufliche Cutterin weiter.

Mehr als 25 Jahre lang fuhr ich dann mit 80 km/h auf der Autobahn des Lebens. Nur darauf achtend, dass ich rechtzeitig an Treibstoff kam, also ans Geld. Ich starrte gerade aus vor mich hin und sah keine Ausfahrt, suchte allerdings auch nicht danach. Es war nicht besonders aufregend, aber auch nicht besonders schrecklich und es hätte noch Jahre lang genauso weiter gehen können. Nun, 2012 geschah doch etwas. Ich wurde von einer Produktionsfirma so unverschämt behandelt, dass ich entschied, den Beruf der Filmschnittmeisterin an den Galgen zu hängen. Also die Autobahn zu verlassen. Ohne GPS und ohne Orientierungssinn. Scheiß aufs Geld, irgendwie werde ich schon überleben.

Nachdem ich zwei Kunstprojekte abgeschlossen hatte “Publik-Privat” über Gesichts -und Gehirnasymmetrie und “Faces of Love” über Langzeitsliebesbeziehungen, begann ich, mich immer mehr mit dem Thema Geld zu beschäftigen. Wie sehr Geld unsere Umwelt beeinflusst, das Leben aller Menschen und aller Lebewesen. Stress und Konkurrenz.

Bald kam mir die Überlegung “Wie wäre es, wenn es gar kein Geld gäbe?“ Ich meine damit nicht, dass wir alle zurück in den Wald gehen und nur vom Austausch leben sollen. Austausch wäre eigentlich auch Geld, nur wäre das unpraktischer und komplizierter. Gegen die natürliche Neugier des Menschen zu kämpfen, also gegen Entwicklung, Fortschritt und Technik, wäre meiner Meinung nach auch absurd und würde nicht von Dauer sein. Nun, als ich zu dieser Zeit diese Idee erläuterte, reagierten die meisten hochallergisch, um nicht zu sagen: panisch. Eine klare Vision fehlte. 2014 hielt ich deshalb als Zeitreisende eine Rede vor dem Brandenburger Tor in Berlin, in der ich eine Zukunft beschrieb, die in einer Gesellschaft ganz ohne Geld, Kriege, Grenzen und Regierungen funktioniert.

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Anbei gegeben ein Interview , das Michael Karjalainen-Dräger mit der Autorin führte

In ihrem Buch Saruj – Stell dir vor, es gibt kein Geld mehr, das den ersten Band einer Trilogie darstellt, beschreibt die Künstlerin Bilbo Calvez eine völlig veränderte Gesellschaft der Zukunft, die geldfrei lebt. Im Gespräch mit Michael Karjalainen-Dräger werden auf Basis ihres Romans und des von ihr schon vor Jahren geschaffenen und für dieses Werk grundlegenden Projekts „Die Bärensuppe“ wesentliche Inhalte besprochen: Geld als Erfindung, um eine Antwort auf die Angst vor dem Tod zu finden, eine alternative Gemeinschaft des Schenkens und Empfangens, die Wichtigkeit von Achtsamkeit, die es ermöglicht mit wenigen Regeln zu leben und sogar auf Gefängnisse zu verzichten, weil sie Heilung für Täter und Opfer bringt; sowie die Notwendigkeit einer echten gendergerechten Sprache und einer Kombination von klassischer Medizin und spiritueller Heilkunst als Antwort auf Gesundheitskrisen, wie die aktuelle. Bilbos Buch ist als freie Edition mit auf 500 Exemplare beschränkter Stückzahl auf saruj.de zu einem selbstgewählten Preis erhältlich.

 

Und hier noch ein Gesepräch, welches Alex Quint von EingeschenktTV mit Bilbo Calvez geführt hat:

Die neu gegründete Intitiative “Zukunft Jetzt” wendet sich mit Manifest an die Öffentlichkeit

Briefe werden zur Zeit viele geschrieben. Auch offene. Daran merkt man, wie sehr viele Menschen mit den gegenwärtigen Herausforderungen beschäftigt sind – unter anderem auch in Österreich. Hier brodelt es zur Zeit besonders, da die Spaltung der Bevölkerung in “wer darf was wann tun oder nicht” immer weiter vorangetrieben wird. Die aktuelle Situation macht viele Menschen nachdenklich, manche wütend, sprachlos, oder maßlos traurig.

Übernahme von redaktion „Frische Sicht“ am 13. Januar 2022

Alleine gelassen, können diese Emotionen belastend sein. Doch im Austausch mit Anderen merkt der oder die Einzelne, dass er/sie keineswegs alleine da steht. 
Das Manifest ist aus einer Begegnung von Bürgern mit den unterschiedlichsten persönlichen Hintergründen entstanden.

Was sie eint: die Vision einer Zukunft, welche die Menschenwürde wieder in den Mittelpunkt rückt und von einem respektvollen Miteinander geprägt ist. Und der Wille, dafür etwas zu tun. 
Erstunterzeichner*in sind etwa 100 Menschen aus den Bereichen Wissenschaft, Gesundheit, Sport, Kultur, Medien, Unternehmen, und weiteren Bereichen des Lebens.

Anbei nun der offene Brief im Wortlaut.

(Anm. d. Red. das Schreiben stellen wir Ihnen unterhalb des Artikels als Download zur Verfügung.)


Für ganzheitliche Gesundheit, Grundrechte und Gemeinwohl

Manifest für einen humanen und ökologischen Umgang mit der Pandemie

Wer wir sind

Wir sind Menschen aus allen Teilen der Gesellschaft – Gesunde, Geimpfte und Genesene –, die mit wachsender Sorge die aktuelle Spaltung der Gesellschaft, die Beschneidung von Grund- rechten, die Abwertung Andersdenkender und die Diskriminierung von Menschen erleben.

Für Werte, die uns alle verbinden

Wir setzen uns für die Unantastbarkeit der Menschenwürde, für den Schutz der Grundrechte, für Solidarität, die alle einschließt, für Toleranz, Respekt und gewaltfreie Kommunikation, für ein ganzheitliches Gesundheitsverständnis und für mehr Gemeinwohl in allen Bereichen ein.

Sofort: Wir treten für eine individuelle Impfentscheidung ein

Wir sprechen uns für eine freie, individuelle Impfentscheidung aller Menschen aus. Der Europa- rat hat sich mit den Stimmen der österreichischen Abgeordneten im Jänner 2021 in der Reso- lution 2361 gegen eine Impfpflicht, gegen Impfdruck und gegen Diskriminierung aufgrund eines Impfstatus ausgesprochen.1 Bisher gibt es kein demokratisches Land der Welt mit einer Co- vid-19-Impfpflicht für die gesamte Bevölkerung, und die Gründe, die dagegen sprechen, sind zu viele: Die Impfung bringt nicht die erhoffte Wirkung, sie gleicht einer dauerhaften medikamen- tösen Behandlung, sie bringt keine sterile Immunität, die Zulassung ist nur vorläufig und ihre (langfristigen) Neben- und Schadwirkungen sind ebenso ungewiss wie die Wirksamkeit gegen Omikron und zukünftige Virusvarianten.2 Zum Umgang mit Covid-19 gibt es vielfältige und ge- lindere Mittel. Die massiven Grundrechtsbeschneidungen, die mit einer Impfpflicht einhergehen, sind unverhältnismäßig.

Anstelle einer Impfpflicht für alle, ist eine individuelle Entscheidung nach Risikofaktoren vorzu- ziehen und für entsprechende Beratungsgespräche die nötige Zeit aufzuwenden. Das gilt auch für jede Wiederholungsimpfung. Jede Impfung muss auf einer freien und gut reflektierten Ent- scheidung basieren. Die Allgemeinheit soll dafür die Kosten tragen.

Kurzfristig: Entwicklung von Alternativen zur Impfpflicht

Da SARS-CoV-2 bisher einen stark saisonalen Verlauf (Herbst und Winter/Frühjahr) hat und die angekündigte Impfpflicht für die aktuelle Omikron-Welle zu spät kommt, bleibt bis Herbst 2022 Zeit, eine neue Strategie zu entwickeln, die mit den Grundfreiheiten besser vereinbar ist und auf gelindere Mittel in der Pandemiebewältigung zurückgreift.

Einige davon sind:

– Substanzielle Verbesserung der Behandlung von Covid-19-Erkrankungen in der Frühphase (zumeist in der häuslichen Pflege), unter Rückgriff auf die in den letzten zwei Jahren weltweit gesammelten Erfahrungen mit vielfältigen wirkungsvollen Therapien und Medikamenten, um Krankenhauseinweisungen zu vermeiden; 3

– Verbesserung des psychosozialen Umfelds von Erkrankten und Betroffenen, um Einsamkeit zu vermeiden, die Gesundung zu unterstützen und auch dadurch die Zahl der Krankenhausein- weisungen zu verringern;

– Maßnahmen zur Verbesserung der Gesundheit und zur Stärkung des natürlichen Immunsys- tems, um Volkskrankheiten und damit auch schwere Covid-Verläufe zu minimieren. Die chroni- sche psychische Belastung, die weite Teile der Bevölkerung in den vergangenen zwei Jahren durchmachen mussten, hemmt exakt jene Bereiche des Immunsystems, die für eine erfolgrei- che Abwehr von SARS-CoV-2 und seiner Varianten bzw. für die erfolgreiche Etablierung eines Impfschutzes nötig sind.

– Bewusstseinsbildung in den Bereichen Ernährung und Bewegung; Stressreduktion und mehr Kooperation in der Wirtschaft sowie Maßnahmen zur Verringerung der Luftverschmutzung und zur Aufwertung der natürlichen Erholungsräume;

– Dezentralisierung und Entökonomisierung der Gesundheits- und Pflegeinfrastruktur, insbeson- dere Verbesserung der Arbeitsbedingungen für das Personal: Wir unterstützen „Mehr für Care“!

Wir verweisen auf die vielfältigen und konstruktiven Vorschläge von 4 5 6 oder 7. Wir – besorgte, engagierte und kompetente Staatsbürger*innen – sind viele, und wir haben viele Ideen, deren eingehende Diskussion und progressive Umsetzung wir fordern. Mit mehr Demo- kratie ist der Pandemie besser beizukommen.

Damit sind wir bei unseren mittel- und längerfristigen Anliegen:

Mittelfristig:

Für eine neue Kommunikations- und Diskussionskultur

Wir stehen für eine wertschätzende und gewaltfreie Diskussionskultur sowie für Perspektiven- vielfalt. Unterschiedliche Meinungen und Zugänge sind anzuhören und zu respektieren. Für den Umgang mit tiefgreifenden gesellschaftlichen Herausforderungen sind Begriffe, die in vielen Fäl- len „Denkverbote“ implizieren, nicht zielführend – gerade zur Bewältigung neuerer Entwicklun- gen hat sich historisch immer wieder gezeigt, dass die Berücksichtigung aller Perspektiven nötig ist. Wir fordern deshalb einen sofortigen Schubladen- und Punzenstopp. Qualifizierungen wie beispielsweise: „Impfverweigerer“, „Schwurbler“, „Aluhutträger“, „Verschwörungstheoretiker“, “Corona-Leugner” oder „Covididiot“ bringen uns nicht weiter.

Auch weisen wir die Bezeichnung „Maßnahmenkritiker*in“ für Menschen, die bestimmte Maß- nahmen – z. B. Lockdowns, 2G oder Impfpflicht – kritisieren, aber gleichzeitig andere, grund- rechtswahrende, diskriminierungsfreie oder präventive Maßnahmen befürworten, zurück. Ebenso ist das irreführende Etikett „Impfgegner“ für Menschen, die – wie wir – für eine freie und individuelle Impfentscheidung eintreten, zu unterlassen. Der Begriff „Corona-Leugner“ sollte nicht auf Menschen angewendet werden, welche die Pandemie anders analysieren und einschätzen als der politische Mainstream.8 Wir wollen einander mit Respekt begegnen und andere Meinung akzeptieren; Meinungsvielfalt bildet die Grundlage des demokratischen Mitein- anders und systemischer Lösungsfindung.

Für ein differenziertes Wissenschaftsverständnis

Wir warnen vor einem verengten und unrealistischen Wissenschaftsverständnis. Viele Men- schen berufen sich heute auf „die Wissenschaft“, so als gäbe es stets einen eindeutigen Er- kenntnisstand und eine objektive, alleinige Wahrheit. „Faktenchecker“ erwecken zudem oft
den Anschein, dass es zu allen Fragen verlässliche und widerspruchsfreie „Fakten“ gäbe. Wis- senschaft ist aber ein pluraler Diskurs, der von (unterschiedlichen) Werten getragen und von (unterschiedlichen) Interessen getrieben ist und fortlaufend neue Erkenntnisse hervorbringt. Entsprechend sind die Ergebnisse oft vielfältig, widersprüchlich und kontrovers. EINE von allen anerkannte wissenschaftliche Wahrheit ist ähnlich selten wie „Konsens“ in der Politik und jeden- falls zeitlicher Entwicklung unterworfen. In diesem Sinn auf „die Wissenschaft“ zu verweisen ist daher häufig eine Illusion und manchmal eine bewusste Täuschung. Wir lehnen deshalb auch die Punze „Wissenschaftsleugner*in“ ab. Sie wird häufig dazu missbraucht, widersprüchliche wissenschaftliche Ergebnisse gegeneinander auszuspielen oder schlicht unliebsame Meinun- gen abzuwerten und zu diskreditieren. Wir erkennen stattdessen die Pluralität und Kontroversi- tät des wissenschaftlichen Diskurses an. Erst dadurch kann der Wissenschaftsbetrieb der Gesellschaft wertvolle Dienste erweisen und ganzheitliche und gemeinwohlorientierte Politikent- scheidungen unterstützen.

Für Integration und sozialen Zusammenhalt

Wir lehnen die Einteilung in „Getestete“, „Geimpfte“ und „Genesene“ (Gesunde kommen in dieser Einteilung gar nicht mehr vor) sowie jegliche Form der Diffamierung und Diskriminierung einer dieser Gruppen ab. Wir setzen uns im Namen der Menschenwürde und der Grundrechte für die Gleichbehandlung aller Menschen ein.

Wir solidarisieren uns mit den 217 Hebammen, die aufgefordert wurden, Schwangere zur Imp- fung zu beraten.9 Wir solidarisieren uns mit den Ärzt*innen, die sich in einem Brief an die Nationalratsabgeordneten gegen eine Impfpflicht ausgesprochen haben. Wir fordern die Ärzte- kammer auf, alle damit in Zusammenhang stehenden Disziplinarverfahren einzustellen und die freie Meinung und die professionelle Gewissensentscheidung von Mediziner*innen zu respek- tieren. Wir fordern die Landesbildungsdirektionen auf, die Entlassungen von Schulärzt*innen rückgängig zu machen. Wir fordern die Universitäten auf, die Kündigungen von „unbequemen“ Professor*innen rückgängig zu machen. Wir weisen Angriffe auf die Freiheit der Wissenschaft und Lehre zurück. Wir fordern die Wiedereinstellung von Lehrer*innen, Polizist*innen, Amts-

ärzt*innen und Angestellten in allen Berufen und Branchen, die aufgrund ihrer Gewissensent- scheidung oder der 2G-Regel gekündigt wurden.

Wir fordern die Medien auf, in ihrer Berichterstattung auf Ausgewogenheit zu achten, auch das Gemeinsame, nicht nur das Trennende darzustellen und nicht durch selektive und undifferen- zierte Berichterstattung die Spaltung der Gesellschaft voranzutreiben.

Für sozialen Frieden und Gewaltfreiheit

Wir setzen auf Vertrauen, Eigenverantwortung und Solidarität unter den Menschen und wollen, dass diese Qualitäten gefördert werden. Andere Länder wie Schweden oder Japan zeigen, dass ein alternativer Umgang mit der Pandemie möglich ist. Verordnungen, Grundrechtseinschrän- kungen, Kontrollen und Strafen führen in einen Überwachungs- und Polizeistaat. Die Nachricht, dass seit November 2021 1,4 Millionen Polizeikontrollen in Österreich durchgeführt wurden (ORF, 4.1.22), dass im Vorjahr 19.500 Menschen auf Demonstrationen angezeigt und allein im Dezember 2021 fast 400 Personen festgenommen wurden (ORF, 3.1.22), beunruhigt uns zu- tiefst – s. a. „Corona ins Verhältnis setzen“ (S. 26).

Ebenso lehnen wir jede Form der Gewalt oder Einschüchterung gegenüber Befürworter*innen der aktuellen Covid-Maßnahmen oder gegenüber dem Gesundheitspersonal strikt ab. Dem Pfle- gepersonal, den Ärzt*innen und allen, die die Gesundheitsinfrastruktur aufrechterhalten und mit Menschlichkeit füllen, gebührt unsere Wertschätzung und gesamtgesellschaftliche Solidarität. Die Kosten und die Ressourcen, die in die Kontrolle, Überwachung und Exekution einer geplanten Impfpflicht fließen müssten, sollten direkt dem Gesundheits- und Pflegepersonal zugutekommen und damit eine der wohl wichtigsten Berufsgruppen unserer Gesellschaft entsprechend aufwerten.

Langfristig:

Förderung des Gemeinwohls auf allen Ebenen

Neben Symptombehandlungen – wie Impfungen oder Medikamente – wollen wir auch die Ursa- chen für Pandemien stärker in den Blick nehmen. Je nach Hypothese ist das SARS-CoV-2-Vi- rus entweder aus dem Labor entsprungen (Laborursprung-Hypothese) oder aus der Wildnis (Zoonosen-Hypothese). Zukünftige Laborunfälle oder bewusste Freisetzungen könnten durch ein weltweites Biowaffen-Forschungsverbot effektiv unterbunden werden. Die dahingehende „Gain of function“-Forschung an Viren muss weltweit verboten werden!

Von vielen wird jedoch die Zoonosen-Hypothese als wahrscheinlicher eingestuft. Die Zahl der Zoonosen – die Übertragung von Infektionskrankheiten vom Tier auf den Menschen – nimmt infolge unserer nicht nachhaltigen Wirtschaftsweise, die den Lebensraum der Tier- und Pflan- zenwelt immer mehr einschränkt und zerstört, stark zu. Eine Wirtschafts- und Lebensweise, die das ökologische Gleichgewicht wahrt und einen nachhaltigen Schutz der natürlichen Lebens- grundlagen sicherstellt, ist eine fundamentale Präventionsmaßnahme gegen neue Pandemien. Die Entwicklung einer nachhaltigen Wirtschaftsweise (z.B. Biolandwirtschaft, Kreislaufwirtschaft, fairer Handel, ethisches Investieren, Gemeinwohlorientierung) sollte umfassend gefördert und progressiv umgesetzt werden.1 7.3.1 (…) ensure that citizens are informed that the vaccination is not mandatory and that no one is under political, social or other pressure to be vaccinated if they do not wish to do so; 7.3.2 (…) ensure that no one is discriminated against for not having been vaccinated, due to possible health risks or not wanting to be vaccinated; Online: https://pace.coe.int/en/files/29004/html?__cf_chl_jschl_tk__=dAeoGb- B9yjK2WBr7X9s2OuZSCethwGSbUDBuDNYH70o-1640853872-0-gaNycGzNBaU 2 Siehe die Stellungnahmen zum Bundesgesetz über die Impfpflicht gegen Covid-19 z.B. von Martin Sprenger, Madeleine Petrovic, Gerda Steinbatz, Diether Schönitzer oder der ARGE Daten (alle hier) sowie die Stellungnahme von Ärztinnen und Ärzte für individuelle Impfentscheidung und 7 Argumente gegen eine Impfpflicht von 50 Universitätsprofessor*innen aus Deutschland. 3 Die Wiener Ärztin Ute Santos-König hat bisher 70 Covid-19-Patient*innen behandelt, und keine davon musste ins Krankenhaus (Ö1 Dimensionen, 14. Dezember). 8 Gut auf den Punkt gebracht vom Soziologen Alexander Zinn: „Zwischenruf eines Geimpften: Warum ich Verständnis für die Impfskeptiker habe“, in Berliner Zeitung, 8. Jänner 2022. 9 Offener Brief von 217 Hebammen vom 4. Jänner 2022, s. „offene Briefe“.
Österreich, am 13. Jänner 2022

Die Unterzeichnenden

Aus dem Bereich Gesundheit

Dr.in Uta Santos-König, Ärztin, Wien
Prof. Dr.Dr. Christian Schubert, Psychoneuroimmunologe, Innsbruck Martina & Dr. Eduard Walch, Gesundheitszentrum Krems, Krems
Dr. Sandra Berger, Ärztin für Allgemeinmedizin, Rohrbach/Gölsen
Dr. Walter Surböck, Arzt für Allgemeinmedizin, Mariazell
Dr. Harald Siber, FA für Innere Medizin, Wien
Dr. Markus Wegscheider, Arzt für Allgemeinmedizin, Zell am Ziller
Dr. Rüdiger Dahlke, Arzt und Schriftsteller, International
Mag. pharm. Karin Hofinger, Apothekerin & Ernährungsberaterin, Igls
Dr. Günther Beck, MMA Arzt für Allgemeinmedizin, Aspach
Dr. Lukas Trimmel, Physikalische Medizin und Rehabilitation, Wien
Dr. Monika Drechsler, Ärztin für Allgemeinmedizin im Ruhestand, Grundlsee Alma Hübler, Physiotherapeutin, Salzburg
Ernst Prossinger, Physiotherapeut & Osteopath, Salzburg

Aus dem Bereich Kunst & Kultur

Nina Proll, Schauspielerin, Wien
Laura Nitsche, Malerin, Wien
Roland Düringer, Schauspieler und Kabarettist, Wien Günther Groissböck, Opernsänger, Wien

Eva Herzig, Schauspielerin, Wien
Elisabeth Kulman, Opernsängerin, Wien
Nina Adlon, Opernsängerin, Schauspielerin, Wien
Kurt Welther, Freischaffender Maler, Berndorf
Julia Welther-Varga, Freischaffende Malerin, Berndorf
Matthias Schorn, Klarinettist Wiener Philharmoniker, Altenmarkt an der Triesting
Gery Seidl, Kabarettist, Höflein
Gernot Haas, Schauspieler, Kabarettist, Graz
Raja Schwahn-Reichmann, Malerin, Wien
Lorenz Raab, Trompeter Wiener Volksoper, Klosterneuburg
Florian Krumpöck, Pianist, Dirigent, Wien
Alfredo Barsuglia, Bildender Künstler, Wien
Walther Soyka, Musiker, Wien
Thomas Rösner, Dirigent
Fabiana Pastorini, Gründerin von Dance for Health, Wien
August Zirner, Schauspieler und Musiker, Prien am Chiemsee
Dieter Schickbichler, Musiker, Wien
Marko Pogacnik, Bildhauer, UNESCO Artist for Peace, International
Sigi Finkel, Saxophonist
Peter Paul Skrepek, Musikergilde
Monika Stadler, Harfe
Günther Burndorfer, Musiker
Markus Volpert, freischaffender Sänger, Wien
Carlos Toledo, Lektor an der Universität für Angewandte Kunst
Raimund Spöck, Kulturarbeiter Veranstalter, Klagenfurt
Claudia Guarin, Opern- u. Konzertsängerin / Pädagogin, Niederleis
Christian MICHAEL, Sänger
Ingrid Schmoliner, Musikerin, Komponistin, Pädagogin, Kuratorin, Aktivistin, Wien Richard Zottl, Oboist Radio Symphonie Orchester Wien, Wien
Christian Kolonovits, Musiker, Wien
Clemens Horak, Oboist Wiener Philharmoniker, Wien
Herbert Maderthaner, Oboist Wiener Philharmoniker, Gablitz
Brigitte Just-Kolonovits, Design, Lyrik, Bild.Kunst, Wien
Claudia Wagner, Institutsleiterin Hochule der Künste Bern, Biel/Wien
Johnny Bertl, Musiker
Gabriele Bertl, Prof. Geschichte und Mathematik/Notenherstellung
Richard Klammer, Kulturarbeiter, Klagenfurt/Celovec
Raimund Weichenberger, Flötist Radio Symphonie Orchester Wien, Wien
Michael Gruber, Klarinettist Kärntner Sinfonieorchester, Klagenfurt
Christian Pöttinger, Hornist Bruckner Orchester Linz, Hagenberg
Gabi Amon, Klarinettistin Tiroler Sinfonie Orchester Innsbruck, Söll
Victoria „Guggi“ Hofbauer, Kabarettistin
Laszlo Maleczky, Opern- und Klassik-Pop-Sänger, Wien
Gernot Kranner, Schauspieler, Regisseur, Wien
Magdalena Hanke, Künstler*in und Expert*in für Antidiskriminierung, Wien
Sabine Petzl, Schauspielerin, Moderatorin, Mutter, Wien
Mag. iur. Florian Dittrich, Kulturmanager und Mitbegründer der Florestan-Initiative, Wien

NGOs & Privatpersonen

Dr. Christian Burtscher, Pensionist, ehem.Klubobmann der Grünen im Sbg Land, Salzburg Hans Zeger, Datenschützer, Wien
Barbara Strauch, Soziokratie Österreich, Wien
Charlotte Schönherr, ARGE Daten, Wien

Robert Renzler, Humanist, Extrembergsteiger, Ehrenmitglied ÖAV, Innsbruck Madeleine Petrovic, Juristin + Tierschutzexpertin, Gloggnitz
Karin Kiss, Lehrerin HAK Wien 22, Wien
Elke Permetinger, Juristin, Wien

Gregor Sieböck, Weltenwanderer, International Aus dem Bereich Wissenschaft

Peter Weish, Humanökologe, Wien
Em.O.Univ.Prof. Dr.phil. Helga Kromp-Kolb, Meteorologin und Klimaforscherin, Wien Ao.Univ.Prof.i.R. Dr. Wolfgang Kromp, Physiker, Wien
Mag. Dr. Joachim-Peter Storfa, MA, Romanist, Wien
Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr. Wolfgang Pree, Informatiker und Professor
Carl Manzano, ehemaliger Nationalparkdirektor
Prof. Dr. Jesper Larsson Träff, TU Wien, Parallele Informatik, Wien
Andrea Komlosy, Historikerin Uni Wien, Wien
Hon. Prof. Dipl.-Ing. Dr. Iur. Heinrich Wohlmeyer, Ressourcenökonom und Publizist Dr. Ernst Hammel, Physiker, Wien
Univ.Prof.Dr. Maximilian Moser, Professor für Physiologie
Prof. Dr. Kurt Stüwe, Geologe Universität Graz,
Univ. Prof. Dipl. Ing. Dr. Hermann Knoflacher, Verkehrsplaner, TU Wien
Laßnig Peter, Biologe, Landwirt, Hasendorf
Dr. habil. Adolf Pohl, klinischer Chemiker
Christian Eigl, Direktor, Internationale Zivilluftfahrt Organisation (ICAO) retired, Wien

Aus dem Bereich Sport

Felix Gottwald, erfolgreichster Olympiasportler Österreichs und Unternehmer Trixi Schuba, Olympiasiegerin Eiskunstlauf
Andy Holzer, Blind Climber
Manfred Pfeiffenberger, ehem. österreichischer Rallye-Pilot

Brigitte Obermoser, Weltcupsiegerin Alpin & Unternehmerin Bernhard Gruber, Weltmeister, Olympiasieger & Trainer Axel Naglich, Extremskifahrer & Architekt
Trond Nystad, Trainer & Unternehmer

Gitti Köck, Olympiamedaillen Gewinnerin & Personal Health Coach Aus dem Bereich Unternehmen

Astrid & Willi Luger, Gf. CulumNatura, Ernstbrunn
Gudrun & Erich Lux, Unternehmer, Pioniere für gemeinwohlorientiertes Wirtschaften, Hainfeld

Heini Staudinger, Unternehmer, GEA Waldviertler, Schrems
Ernst Gugler, Unternehmer und Pionier für gemeinwohlorientiertes Wirtschaften, Melk Erwin Thoma, Gf. Thoma GmbH, Goldegg
Christian Beer, einheit.at, Vorarlberger Unternehmer d. Jahres 2019, Dornbirn Eunike Grahofer, Unternehmerin, Buchautorin, Waidhofen
Sandra und Sabine Dell‘mour, Dell‘mour KG, Hartberg
Barbara Minatti, Gf. Firma Eisenkies, Hall i. Tirol
Ing. Christoph Kölbl, Unternehmer, Aigen-Schlägl
Nikolaus Saahs, Nikolaihof Wachau, Mautern
Dr. DI Stephan Hofinger, Patentanwalt + Meditationslehrer, Igls
Mag. Gerda Steinbatz, Eventmanagerin, Kulturveranstaltungen, Ottenthal
Dr. Rainer Schuster, Rechtsanwalt, Klosterneuburg
Mag. Franz Steiner, gerichtlich zertifizierter Sachverständiger, Schrems

Aus dem Bereich Kirche & Spiritualität

Florian Palzinsky, ehem. Mönch und Meditationslehrer, Mondsee
Pfr. Mag. Bernhard Preiß, Pfarrer St. Margarethen, St. Margarethen
Pfr. Mag. P. Justin Minkowitsch OCist, Pfarrer in Annaberg, Annaberg/Mitterbach Prof. Dr. habil. Michael Stickelbroeck, Prof. für Systematische Theologie, Wald/NÖ Diakon Uwe Eglau, Diakon und Psychotherapeut,

Aus dem Bereich Medien

P.A. Straubinger, Bestsellerautor („Der Jungbrunnen-Effekt“), Filmkritiker, Journalist (ORF, Ö3) Dr.in Patricia Marchart, Filmemacherin, Wien
Reinhard Jesionek, Fernsehmoderator, Wien
Teresa Arrieta, freie Multimedia-Journalistin mit Schwerpunkt Gesundheit

Mag. Christian Felber, Freier Publizist, Wien
Evelyne Huber-Reitan, selbstständige Publizistin und Trainerin, Wien Michaela König, Chefredakteurin momag, Ulmerfeld
Bert Ehgartner, Autor & Dokumentarfilmer, Asperhofen
Susanne Wolf, freie Journalistin und Autorin, Wien

Herr Anonymus, für alle, die gerne würden, aber sich nicht trauen Frau Anonyma, für allem die gerne würden, aber sich nicht trauen

Das sind über 100 Erstunterzeichner*innen, deren Zusagen bis zu einer gegebenen Frist eintrafen. Alle anderen sind herzlich eingeladen, diese Deklaration mitzuunterzeichnen auf https://zukunftjetzt.at

Hinweis: Übernahme aus „Frische Sicht“.

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Ich bemühe mich um das Abbilden eines breiten Meinungsspektrums.

Meinungs- und Gastartikel müssen nicht meine Sichtweise widerspiegeln .

Folter in Syrien unter US-Schirmherrschaft

Übernommener Beitrag von Friedhelm Klinkhammer und Volker Bräutigam

Wer erinnert sich eigentlich noch an die Zeit, bevor Baschar al Assad in den Augen westlicher Staaten und ihrer Handlanger in Konzern-Presse und Rundfunkanstalten vom modernen Reformer zum »Schlächter von Damaskus« mutierte? Es war diese Zeit, als die Vorzeige-Syrien-Expertin Kristin Helberg noch wohlwollend über die »vorbildlichen« Reformanstrengungen der syrischen Staatsführung und die Vorzeigeprojekte berichtete, die in Syrien gemeinsam mit europäischen Unternehmen auf den Weg gebracht wurden. Als die EU im Rahmen ihrer strategischen und expansiven europäischen Nachbarschaftspolitik (ENP) (A) Assoziationsabkommen mit Ländern des südlichen und östlichen Mittelmeerraumes verabredete, glichen sich die jeweiligen Ziele wie ein Ei dem anderen: Integration des jeweiligen Nachbarlandes in die europäische Wirtschaftszone, also in den europäischen Binnenmarkt, komplette neoliberale Öffnung, Freihandel, bei gleichzeitiger Nichtmitgliedschaft und damit Nichtmitsprache in der Europäischen Union.

Auch das säkulare Syrien unter Assad war ein heißer Kandidat für ein solches Assoziationsabkommen mit der EU, das 2004 schlussendlich unterschriftsreif war, jedoch nie unterzeichnet wurde. Syrien befand sich bereits in der Verhandlungsphase unter enormem Druck seitens der sich seit 9/11 verstärkt auf dem Kriegspfad befindlichen USA, die Syrien faktisch in die »Achse des Bösen« integriert und damit als mögliches weiteres Angriffsziel im »Krieg gegen den Terror« markiert hatten. Deshalb sah Assad in dem Assoziationsabkommen trotz radikal-neoliberaler Knebelparagrafen eine Möglichkeit, seine Beziehungen zum Westen zu verbessern. Die ursprüngliche »Achse des Bösen« wurde in einer Rede des damaligen US-Präsidenten George W. Bush im Januar 2002 definiert und umfasste den Irak, Nordkorea und den Iran. Anfang Mai 2002 erweiterte der damalige Staatssekretär im Außenministerium, John Bolton, besagte Achse um Libyen, Syrien und Kuba und drohte diesen Ländern ebenfalls mit militärischen Angriffen. (B) Die Europäische Union verweigerte schließlich die Ratifizierung des Abkommens, nachdem Syrien beschuldigt wurde, an der Ermordung des ehemaligen libanesischen Ministerpräsidenten Rafiq al-Hariri am 14. Februar 2005 beteiligt gewesen zu sein. (C)

Nichtsdestotrotz setzte Assad seinen wirtschaftsliberalen Kurs fort und produzierte neben den aus europäischer Sicht mit Wohlwollen registrierten verbesserten Investitionsbedingungen – durch Mittel wie Subventionsabbau, Abschaffung der Preisbindung auf Bedarfsgüter etc. – eben auch Verlierer in veritabler Anzahl innerhalb seines eigenen Volkes. Viele Initiatoren des Aufstandes waren Verlierer der westlich orientierten Reformpolitik Assads. (D) Trotz der Tatsache, dass sich Syrien auf einem – nach westlichen Maßstäben – »guten Weg« befand, schwenkte der Westen bald um auf einen tatkräftigen Anti-Assad-Kurs, in dessen Verlauf eine Militarisierung der Proteste einherging, während gleichzeitig eine Opposition unterstützt wurde, von der man sich »nach Assad« eine stringente Fortsetzung des neoliberalen, prowestlichen Kurses versprach.

Die sogenannten »Freunde Syriens«, zusammengesetzt aus etwa 70 Staaten, die sich für einen Regimewechsel in Syrien einsetzen, hatten sich als Ansprechpartner den vorwiegend aus Exilanten zusammengesetzten »Syrischen Nationalrat« (SNC) auserkoren. Die Leitfiguren des von den Muslimbrüdern dominierten SNC verfügten über hervorragende Kontakte zu US-Institutionen und entsprechenden Geldgebern.Bereits seit Januar 2012 bot die regierungsnahe deutsche »Stiftung Wissenschaft und Politik« (SWP) unter dem Namen »The day after: Supporting a democratic transition in Syria« zahlreichen Oppositionellen Raum und Mittel, um den Umsturz in Syrien sowohl logistisch und finanziell als auch mit Rat und Tat zu begleiten. Mit an Bord war das »US Institute for Peace«, ein Ableger des US-Außenministeriums. Alle Arbeiten gründeten auf der festen Überzeugung, dass Assad stürzen werde.

Die Tagesschau bemüht des Öfteren Vertreter der SWP (Markus Kaim, Volker Perthes, Guido Steinberg u. a.) vor die Kamera, um dem Publikum die »aktuelle Lage in Syrien« aus »Expertensicht« einzuordnen. Aus Sicht des »Experten« Markus Kaim dürfe sich ein Desaster, wie die deutsche Nicht-Beteiligung am Libyen-Krieg unter keinen Umständen in Syrien wiederholen. (E)

Die öffentlich kolportierte Befürwortung eines völkerrechtswidrigen Angriffskriegs (unzutreffend als Bürgerkrieg verbrämt) durch Regierungspersonal, erreicht dank Tagesschau & Co. ein Millionenpublikum, wogegen die wesentlich brisantere, gegenläufige Einschätzung des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestags kurzerhand unterschlagen und dem Publikum vorenthalten wird. So funktioniert Meinungsbildung aus dem Flaggschiff der deutschen Nachrichtengebung.

Volker Bräutigam und Friedhelm Klinkhammer haben daher ihre Beschwerdepause kurzerhand unterbrochen und eine formale Programmbeschwerde an den NRD-Rundfunkrat gerichtet, welche das neuerliche Syrien-Framing der Tagesthemen, nebst moderativer Sprachverwirrung, auf’s Korn nimmt.

An: Rundfunkrat des NDR
Rothenbaumchaussee 131
20149 Hamburg
Per E-Mail gremienbuero@ndr.de
Von: Friedhelm Klinkhammer und Volker Bräutigam

Folter in Syrien unter US-Schirmherrschaft
Komplizen und Mitwisser auch in Deutschland / „regime-change“-Informationen der ARD-aktuell
Programmbeschwerde / Tagesthemen 13.01.2022

Sehr geehrte Damen und Herren Rundfunkräte,

die Anmoderation des Aufmachers der „Tagesthemen“-Sendung enthält mehrere grobe Verstöße gegen Programmauftrag und Programmgrundsätze des NDR-Staatsvertrags sowie des allgemeinen Medienstaatsvertrags. Sie wirft grundsätzliche Fragen auf.

Caren Miosga-Wortlaut (Hervorhebungen d. Verf.):

„… Heute erging in Deutschland ein Urteil, das diese Welt ein wenig gerechter macht. Diktatoren [sic!] wie Syriens Machthaber [sic!] Assad sind immer noch an der Macht. Ihre Verbrechen können dennoch gesühnt werden. Die Fotos dieser Verschollenen erinnern daran. Im syrischen Bürgerkrieg [sic!] sollen fast 15000 Menschen zu Tode gefoltert worden sein,100000 gelten als vermisst. Das Weltrechtsprinzip macht es möglich. Egal, wo auf der Welt Verbrechen gegen die Menschlichkeit [sic!] begangen werden: Sie können aufgeklärt und die Täter vor [sic!] einem Gericht bestraft werden. Das ist jetzt in Deutschland zum ersten Mal geschehen.“

Auch für die Anmoderation einer Nachricht gelten die „anerkannten journalistischen Grundsätze“ (§ 8, Abs. [2], NDR-Staatsvertrag): Verpflichtend sind bekanntlich Sachlichkeit, weltanschauliche Unabhängigkeit usw. usf. Nachrichten und Anmoderation sollen beim Einordnen der Informationen helfen und dazu beitragen, dass der Zuschauer sich ein fundiertes eigenständiges Urteil bilden kann. Versuche, ihn zur Unterstützung der „regime change“-Politik des West-Imperiums zu agitieren, sind hingegen in den Staatsverträgen nicht vorgesehen.

Foltern im Auftrag des Westens

Zwingend hätte daher in diesen Moderationstext die Grundinformation gehört, dass Syriens Baschir al Assad bis zum Beginn des US-gesteuerten und -finanzierten Umsturzversuchs (1) terroristischer Insurgenten und angeheuerter ausländischer Söldner im Jahr 2011 – fälschlich: „Bürgerkrieg“ (2) – ein Liebling des Westens war.  Er wurde als Reformer belobigt (3), weil er die Ein-Parteien-Diktatur seines Vaters Hafiz al Assad beendete, demokratische Parlamentswahlen herbeiführte und sein Land dem westlichen Einfluss öffnete.

Bis zu jenem Zeitpunkt wurde Baschir al Assad auch deshalb geschätzt, weil er gut bezahlte Aufträge der US-Geheimdienste (vorwiegend CIA, aber auch NSA und DIA) annahm und deren Gefangene in seinen Kerkern foltern ließ. (4)

Zum Verständnis des Zuschauers hätten Tagesschau und Tagesthemen darüber informieren müssen, dass die USA quasi die Schirmherrschaft über Assads Folterpraxis hatten und ihren Vorteil daraus zogen. Es wäre hilfreich gewesen – Namen sind Nachrichten! – ausdrücklich zu erwähnen, dass sich kriminelle Sadisten wie der vormalige US-Vizepräsident „Dick“ Cheney und der inzwischen gestorbene US-Kriegsminister Donald Rumsfeld (mit Billigung ihres Präsidenten George W. Bush [5]) höchstselbst der Mitwirkung Assads beim Totquälen ihrer Opfer versicherten. Sie wagten nicht, sich innerhalb der USA auszutoben und hatten deshalb ein weitgespanntes Netz für geheime Gefangenen-Transportflüge – „extraordinary rendition“ – eingerichtet. (6)

Deutsche Komplizen

Zur Vollständigkeit der Moderation/Nachricht hätten Einlassungen darüber gehört, dass der deutsche Bundesnachrichtendienst, BND, seinerzeit Beamte nach Damaskus entsandte, die an den Folterungen passiv beteiligt waren und über ihre Erfahrungen nach Deutschland berichteten. (7) Wahrscheinliche Mitwisser waren auch Beamte des Verfassungsschutzes, BfV, sowie des Bundeskriminalamtes, BKA. (ebd.)

Vor diesem Hintergrund rechtfertigt es sich nicht, Deutschland als Avantgarde einer weltumspannenden justiziellen Redlichkeit herauszustreichen (Miosga: „Weltrecht … heute in Deutschland erstmals …“). Nicht mal indirekt. Unvertretbar ist das schon deshalb, weil der seinerzeitige Innenminister Wolfgang Schäuble, CDU, sich ausdrücklich dazu bekannte, aus Folter gewonnene „Erkenntnisse“ im Rahmen seiner ministeriellen Befugnisse auszuwerten. (8, 9)

Der deutsche „Verfassungsminister“ setzte sich damit ideell über unser Grundgesetz und über die Ächtung der Folter seitens der Vereinten Nationen hinweg. Weder erinnerte ihn Kanzlerin Merkel an deutsche Staatsräson, noch erwies sich die Tagesschau seinerzeit als öffentliche Kontroll- und Protestinstanz.

Auf weitere Hindernisse für deutsche Selbstgerechtigkeit, zum Beispiel die schäbige Rolle des vormaligen Kanzleramtsministers und heutigen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier (Affären: Kurnaz! Zammar! el Masri!) sowie auf deutsche Gleichgültigkeit gegenüber der US-Foltertradition (KZ Guantanamo, zahlreiche „Black Sites“, u. a. in Deutschland, Polen, Italien, Rumänien, Afghanistan) soll hier gar nicht erst im Detail eingegangen werden.

Man mag zu Herrn Baschir al Assad stehen wie man will; man mag seine Wiederwahl unter Kriegs- und sonstigen einschränkenden Bedingungen (10) für undemokratisch und gefingert halten und seine Amtsführung für kriminell: Er ist gegenwärtig der Einzige, der seinem Land ein multireligiöses und multiethnisches Zusammenleben dank laizistischer Regierungspraxis ermöglicht und das auch beibehalten will – im Unterschied zu dem islamistischen Terroristen-Geschmeiß, das ihn unter Oberhoheit der USA und ihrer Vasallen ersetzen soll.

Im Umsturzfalle würde dieses Pack ein neuerliches Blutbad unter den Minderheiten in Syrien anrichten und das Land in einen islamistischen Gottesstaat verwandeln –der Allgemeinen Menschenrechts-Charta zum Hohn. Aus eben diesem Grund „stehen noch viele Syrer hinter Assad“ (11). Auch seine Rehabilitation in der arabischen Welt hat längst begonnen. (12, 13) Ohne ihn ist eine friedliche Lösung in und für Syrien auf absehbare Zeit nicht denkbar. (14)

Moderierte Desinformation

Das alles hätte eine gute, einordnende Anmoderation berücksichtigt – und Entsprechendes hätten eine Barbara Dickmann oder ein Hanns-Joachim Friedrichs geboten, und zwar in astreinem Deutsch. Frau Miosga beschränkt sich hingegen grundsätzlich auf die Vorwegnahme (in anderen Worten) dessen, was in der anschließenden Filmreportage nochmal kommt.

Laut Staatsvertrag sollen die Nachrichtensendungen der ARD-aktuell „zur Völkerverständigung beitragen“. Den Auftrag verfehlen Tagesschau und Tagesthemen gründlich, weil sie die transatlantische Hetzpropaganda assoziierend in ihre Moderationstexte, Reportagen, Nachrichten und Kommentare übernehmen. TS und TT liefern besonders üble Tendenzberichterstattung, wenn Informationen über Syrien und damit in Zusammenhang Stehendes gegeben werden sollen. (Nachrichten über die massenmörderische Wirkung der völkerrechtswidrigen deutschen (EU-)Sanktionen sowie die Finanzierung von Weißhelm- und anderen Terroristen in Syrien verschweigt ADR-aktuell grundsätzlich).

Qualitätsjournalismus

Dass Frau Miosga eine Meisterin der kruden Vergleiche, verhunzten Sprachbilder und verkorksten Sätze ist, soll hier nur der Vollständigkeit halber noch angemerkt werden. Dergleichen Qualität ist eben ein Nachweis dafür, dass das Peter-Prinzip auch in der redaktionellen Hierarchie der ARD-aktuell gilt.

Man hat der Moderatorin wohl beigebracht, kurze Sätze zu formulieren zwecks besserer Verständlichkeit. Das kriegt sie auch hin, und wie! Ihr zufolge werden „die Täter vor Gericht bestraft“. Das ist neu. Bisher wurden Täter hierzulande nur vor Gericht gestellt und von selbigem zu einer Strafe verurteilt. Bestraft wurden sie erst in einem nachfolgenden Akt, in den extra dafür vorgesehenen Vollzugsanstalten. Sprachliche Genauigkeit setzt gedankliche Genauigkeit voraus, und bekanntlich gibt nur ein Schelm mehr, als er hat.

Dass Frau Miosga die Formel „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ verwendet, rundet den Gesamteindruck von ihren knapp neun Zeilen Kappes ab. Zum wiederholten Mal sei daran erinnert: Das gemeinte Verbrechen wurde erstmals (nach der Befreiung Deutschlands von der NS-Diktatur und unmittelbar vor Beginn der Nürnberger Prozesse) im Jahr 1946 zu einem gesonderten, eigenständigen Straftatbestand gemacht: in englischer/amerikanischer Sprache als „crime against humanity“, auf Französisch „crimes contre l’humanité“ und auf Russisch „Преступления против человечества“. Das rechtfertigt es aber nicht, diese Nomenklatur der Weltkrieg-II-Alliierten wörtlich und in deshalb versautes Deutsch zu übersetzen – und dessen langjähriger Gebrauch wiederum rechtfertigt nicht, bei der sinnwidrigen Gewohnheit zu bleiben.

In unserer Sprache, nach unserem Verständnis werden Verbrechen eben nicht „gegen“ jemanden (bzw. „gegen“ etwas) begangen bzw. verübt, sondern „an“ jemandem. Für die mehrdeutigen fremdsprachigen „humanity“, „l’humanité“ und „Человечество“ stehen im Deutschen zwei Wörter mit sehr unterschiedlicher Bedeutung: „Menschheit“ (real) und „Menschlichkeit“ (ideell). Weil man gemäß deutschem Denken ein Verbrechen an Menschen verüben kann, nicht aber gegen ein Ideal, muss es im hier besprochenen Fall selbstverständlich „Verbrechen an der Menschheit“ heißen.
Moderatorinnen und Moderatoren, die ihren Kopf außer zur Haarpflege auch zum Denken verwenden, wissen das alles selbstverständlich.

Der NDR-Rundfunkrat ist dazu da, die Erfüllung des Programmauftrags und die Beachtung der Programmgrundsätze sowie der Programmrichtlinien zu überwachen und gegebenenfalls durchzusetzen. Er sollte die sich häufenden audiovisuellen Angriffe der ARD-aktuell auf die intellektuelle Integrität ihres Publikums endlich stoppen und ihre als Nachrichtensendung getarnte Kränkung des gesunden Menschenverstands unterbinden. Die ARD-aktuell-„Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ sind Weiße Folter (15). Auch die ist aber in Deutschland verboten.

Höflich grüßen
Friedhelm Klinkhammer, Volker Bräutigam

Quellen und Anmerkungen:

(A) https://www.bmeia.gv.at/europa-aussenpolitik/europapolitik/eu-aussenpolitik/europaeische-nachbarschaftspolitik-enp/
(B) https://www.imi-online.de/download/IMI-Studie2012-12_web.pdf
(C) Vgl. Verwirrung um Assoziierungsabkommen mit Syrien, euractiv,14.10.2009.
(D) https://syriensgeschichteundgegenwart.com/2015/08/03/baschar-al-assad-vom-freundlichen-augenarzt-zum-schlaechter-von-damaskus-in-nur-zwei-monaten/
(E) Kaim, Markus: Interventionsoptionen. Käme es zu einer Militärintervention, stünde Deutschland in der Pflicht, in: Internationale Politik, Mai/Juni 2012, S. 72-76.

(1) https://www.democracynow.org/2007/3/2/gen_wesley_clark_weighs_presidential_bid
(2) http://www.balqis.de/de/8gruende.html
(3) https://www.washingtonpost.com/blogs/fact-checker/post/hillary-clintons-uncredible-statement-on-syria/2011/04/01/AFWPEYaC_blog.html
(4) https://www.amnesty.ch/de/ueber-amnesty/publikationen/magazin-amnesty/2008-4/usa-lassen-in-syrien-foltern
(5) https://www.deutschlandfunk.de/george-w-bush-blick-zurueck-am-70-geburtstag-100.html
(6) https://www.anstageslicht.de/fileadmin/_processed_/csm_el_masri_netz500px_02_bc42a25416.jpg
(7) https://www.ecchr.eu/fileadmin/Publikationen/Folter_und_die_Verwertung.pdf
(8) https://www.heise.de/tp/features/Alles-in-Ordnung-3404094.html
(9) https://www.wallstreet-online.de/diskussion/500-beitraege/1027026-1-500/schaeuble-will-informationen-nutzen-auch-wenn-sie-durch-folter-erpresst-wurden
(10) https://www.zdf.de/nachrichten/politik/syrien-assad-wahl-102.html
(11) https://www.freiewelt.net/nachricht/viele-syrer-stehen-nach-wie-vor-hinter-assad-10070664/
(12) https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/krieg-in-syrien-versoehnen-sich-die-araber-mit-al-assad-17326992.html
(13) https://www.cashkurs.com/gesellschaft-und-politik/beitrag/syrien-assads-rehabilitation-in-der-arabischen-welt
(14) https://www.deutschlandfunk.de/parlamentswahl-in-syrien-nur-scheinbar-alternativen-zu-assad-100.html
(15) https://de-academic.com/dic.nsf/dewiki/1496908

Das Autoren-Team:
Friedhelm Klinkhammer, Jahrgang 1944, Jurist. 1975 bis 2008 Mitarbeiter des NDR, zeitweise Vorsitzender des NDR-Gesamtpersonalrats und des ver.di-Betriebsverbandes sowie Referent einer Funkhausdirektorin.
Volker Bräutigam, Jahrgang 1941, Redakteur. 1975 bis 1996 Mitarbeiter des NDR, zunächst in der Tagesschau, von 1992 an in der Kulturredaktion für N3. Danach Lehrauftrag an der Fu-Jen-Universität in Taipeh.

Friedhelm Klinkhammer (li.) und Volker Bräutigam (re.) währender der Medienkonferenz der IALANA in Kassel. Foto: Claus Stille

Anmerkung der Autoren:
Unsere Beiträge stehen zur freien Verfügung, nichtkommerzielle Zwecke der Veröffentlichung vorausgesetzt. Wir schreiben nicht für Honorar, sondern gegen die „mediale Massenverblödung“ (in memoriam Peter Scholl-Latour). Die Texte werden vom Verein „Ständige Publikumskonferenz öffentlich-rechtlicher Medien e.V.“ dokumentiert: https://publikumskonferenz.de/blog

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Walk Of Death – 28101943 auch in diesem Jahr. Spendenkampagne läuft. Militärstiefel als Leihgabe erbeten

Die von den europäischen Kolonialstaaten in den von ihnen einstmals kolonialisierten Ländern Afrikas und an deren Menschen verübten Verbrechen wirken bis heute nach. Vieles ist jedoch verdrängt. Einiges wird verschwiegen. Manches bricht allerdings wieder auf. Vieles davon ist der Allgemeinheit mit ziemlicher Sicherheit völlig unbekannt. Nicht mal in den Schulen wird es gelehrt. Es sind die Nachfahren der einst Kolonialisierten, die heute wieder daran erinnern. Die sich in der Pflicht sehen, die Geschichte ihrer Vorfahren – deren nicht erzählten Schicksale – auf den Tisch zu bringen. An sie zu erinnern. Hier mein Beitrag  (mit Hinweis auf ein Buch von Matilda Thee Great) vom letzten Jahr.

Spendenkampagne via „gofundme“

Eine Erinnerung an besagte Schicksale wird auch in diesem Jahr am 28. Oktober stattfinden. Um die diesjährige Aktion zu finanzieren, hat Mathila Thee Great eine Spendenkampagne über „gofundme“ initiiert.

Aufruf an Berliner Theater oder Filmproduktionen: Militärstiefel bzw. Soldatenschuhe möchte die Initiatorin gern für die Aktion ausleihen

Darüber hinaus sucht die Initiatorin des Walk Of Death – 28101943 Militärstiefel bzw. Militärschuhe, die sie gerne für den Tag ausleihen möchte. Ich denke, hier wären – mit freundlichem Ersuchen – Berliner Theater bzw. das Filmstudio Babelsberg oder andere Filmproduktionen angesprochen, die gewiss dergleichen in ihrem Bestand haben.

Es ist eine gewissermaßen versteckte Geschichte, die lange oder bleibende Denkmäler verdient

Der Walk Of Death ist einer der Schrecken der Weltkriege und Verbrechen des Kolonialismus, der in den letzten 79 Jahren nie von weißen Historikern in das Weltgeschichtsbuch geschrieben wurde.

Es geschah am 28. Oktober 1943, als Afrakan-Kolonialsoldaten am 21. Juni 1942 in Tobruk, Libyen als Kriegsgefangene von den deutschen Truppen gefangen genommen wurden. Benjamin Satiba Makgate, geboren am 01.01.1906, in Boomplaas, Lydenburg, das in der Provinz Mpumalanga in Süd-Afraka liegt, war Teil der 2. Division der südafrikanischen Soldaten, die eingezogen wurden, um sich den alliierten Streitkräften anzuschließen.

In seinem Tagebuch hielt er akribisch die Qualen des Krieges fest und wie die afrakanischen Kolonialsoldaten den Holocaust als Kriegsgefangene in Fronstalags/Konzentrationslagern 133, 153, 171 und 221 in Europa (Deutschland, Frankreich, Italien) überlebten, wo er nach Kriegsende bis Kriegsende blieb.

Matilda, Autorin des Fremden Ichs, ist die Enkelin Von Benjamin, der nach Europa kam, um die Wahrheit wiederzuentdecken, die in seinem Tagebuch geschrieben steht. Stattdessen fand sie eine absichtliche Entfernung der Existenz der Division ihres Großvaters in der Geschichte. Es ist daher zu ihrer Aufgabe geworden, das Denkmal einzufordern, das ihr Großvater und seine Kameraden verdienen. 2020 organisierte Matilda einen Spaziergang zum Gedenken vom Alexanderplatz zum britischen Soldatenfriedhof in Berlin.

Poesie, Rap, Musik und afrikanische Rituale vermittelten die Botschaft, dass diese Nöte nicht vergessen wurden. In diesem Jahr werden wir soll der Marsch zu drei verschiedenen Botschaften in Berlin führen.

Es geht um die Umschreibung und Entkolonialisierung der Geschichte, indem wir die Wahrheit sagen, die durch die weiße Vorherrschaft verborgen wurde, die die Kultur und den Geist der Gefallenen respektiert.

Weitere Informationen, einschließlich Details aus dem letzten Jahr, finden Sie unter oder kontaktieren Sie die Organisatoren unter info@walk-of-death.com

Quelle: Walk Of Death

Walk Of Death – Untold Truth Of The Afrakan Colonial Soldiers (28. Oktober 1943)

Die Segnungen der Vorfahren sind größer als die der lebenden Menschen.

In diesem Jahr markiert es 83 Jahre des Endes der Kriege, wir sind gesegnet mit der Entdeckung der unerzählten Wahrheit der Afrakan Colonial Soldiers. Die Entdeckung unserer schwarzen Welt, die in der Zeit begraben wurde und derzeit von neuen revolutionären Stimmen aus der Ferne zu Ihnen gebracht wurde, die weltweit rufen.

Walk of Death ist einer der Schrecken von Weltkriegen und Verbrechen des Kolonialismus, der ein langes oder dauerhaftes Denkmal verdient. Es geschah vor 78 Jahren, als mehr als 33.000 Soldaten aus Süd-Afrakan und andere Soldaten aus Afrakan-Staaten als Kriegsgefangene in Tobruk, Libyen, gefangen genommen wurden.

Mein Großvater: BMT4379 -Benjamin Satiba Makgate war unter diesen großen Männern und er notierte die Ereignisse ihrer Gefangenschaft in seinem Tagebuch.

Sie lebten in den FRONSTALAGS Nummer 133, 153, 171 und 221 in Deutschland, Frankreich und Italien.

In diesem Moment haben die Europäer, insbesondere das deutsche Volk, Angst vor dem Wort FRONSTALAGS, das sie an ihre Verbrechen erinnert. Es stellt sich heraus, dass die Weltgeschichte, die von weißen Historikern geschrieben wurde, blind und geistig unsolide ist, wenn es um Afrakan-Helden, die wahren Helden und Veteranen von Kriegen geht. Afrakan-Soldaten wurden während des Todesweges gekreuzigt und einige überlebten die Tortur in Europa und die weiße Welt hat sie nie im Fernsehen übertragen. Denken Sie daran, dass unsere Afrakan-Geschichte von weißen Historikern auf einer weißen Seite mit einer weißen Tinte geschrieben wurde, daher war es jahrhundertelang schwierig, sie zu erzählen.

Denken Sie daran, dass es während des verheerenden 1. Weltkriegs begann, Afrakan Colonial Soldiers trugen dazu bei, den Krieg zu beenden, der dem Kontinent Elend verursachte. Afraka ist eine Bienenbiene, die wegen ihres eigenen Honigs gequält wurde.

Unsere Urgroßväter, Großväter, Väter und Onkel wurden eingezogen, um sich den Streitkräften anzuschließen und in beiden Kriegen als Kanonenfutter ausgestellt. Mehr als zwei (2) Millionen Afrakan-Soldaten starben und sie hatten keine angemessenen Bestattungen und es gab keine Entschädigung für ihre Familien.

Schwarze Familien wurden durch europäischen und westlichen Militarismus, Allianzen, Imperialismus und Nationalismus auseinandergerissen, wo Afraka nicht als Opfer seiner eigenen Ressourcen und seines Reichtums Teil der Kriege sein sollte.

Wir haben dieses Trauma als Nachkommen großer Männer geerbt, die durch weiße Vorherrschaftssysteme entmenschlicht wurden.

Wir stehen vor einem psychologischen Problem, weil sich die Nachkommen der Afrakans/ Afrakan in diesem Moment in einem minderwertigen mentalen Zustand befinden, der durch diese Verbrechen des Kolonialismus verursacht wurde und sich sehr gut in ihren Seelen niedergelassen und sie gelähmt hat.

Wir haben Angst, die historischen Narrative zu ändern. Wir kümmern uns sehr um die Gefühle des ehemaligen Kolonisators als um unser Trauma und unsere entkolonisierende Geschichte.

In unserem Leben müssen wir ihnen gedenken, indem wir sie von den Toten auferwecken, kilometerweit in ihren Schuhen gehen und uns den Nachkommen der Kolonisatoren tohonor stellen und die weißen Laken lösen, die unsere schwarze Größe jahrhundertelang bedeckten. Lasst uns Walk Of Death – Untold Truth Of The Afrakan Colonial Soldiers – daran erinnern und respektieren, denn jeder Tag unseres Lebens ist eine Seite unserer Geschichte.

„Wir gehen immer noch den Weg des Todes mit unseren Urgroßvätern, Opas, Vätern und Onkeln, die während der Weltkriege gekämpft haben. Malen wir den Himmel mit ihren Namen.“

Quelle: Matilda Thee Great/Walk Of Death

 

Aktion im Jahre 2021. Screenshot: C. Stille

Morgen Gedenkdemonstration für Oury Jalloh, der vor 17 Jahren in einem Polizeirevier in Dessau verbrannte

Vor 17 Jahren verbrannte Oury Jalloh in einer Zelle der Dessauer Polizei. Wurde verbrannt, muss es wohl eher richtig heißen. Denn es gab mehrere Brandversuche, Feuerexperimente, unternommen von internationalen Brandexperten – zuletzt 2021, hier mein Bericht, die sehr nahe legen, dass Jalloh sich nicht selbst angezündet haben kann. Als Schuldige kämen dann nur Polizeibeamte in Betracht. Hier finden Sie alle meine bisherigen Berichte zum Fall Oury Jalloh.

Bild von einem früheren Gedenkmarsch in Dessau. Foto: Peter Donatus

Alljährlich wird zum Protest nach Dessau aufgerufen. Am 7. Januar 2005 verbrannte Oury Jalloh in einer Polizeizelle in Dessau. An Händen und Füßen an eine Matratze gefesselt. Angeblich habe er sich mit einem Feuerzeug selbst angezündet. So kann das aber nicht gewesen sein, haben bisherige Versuche gezeigt. Und wo überhaupt kam das Feuerzeug her – wie konnte es trotz Untersuchung des in polizeiliches Gewahrsam genommenen Mannes aus Sierra Leone in die Zeller gelangen? Auch nach langen 17 Jahren ist sein Tod bis heute nicht aufgeklärt. Das ist eine Schande! Jalloh, wurde nur 36 Jahre alt. Er war Vater, Freund – ein Mensch aus Sierra Leone, der mit Duldungsstatus in Deutschland lebte.

Nach dem letzten Brandgutachten werden Forderungen nach einer Wiederaufnahme der Untersuchen laut. Warum wurde all die Jahre soviel vertuscht?

Empörend: die Polizei wie auch der Staat haben in diesem Fall versagt. Ähnlich wie im NSU-Komplex und bei den Ermittlungen zum Berliner Weihnachtsmarkt-Attentat. Und noch viel früher beim Anschlag auf das Münchner Oktoberfest. Da wird vertuscht und gelogen, um Schaden vom Staat abzuwenden. Aber genau das Gegenteil tritt ein, wenn keine abschließende und letztlich aufklärende Ermittlung und die Bestrafung der Täter erfolgt.

27801650-ein-graffiti-in-greifswald-1mezczfj90a7Im Fall Oury Jalloh wurde bislang lediglich der Dienstgruppenleiter jener Nacht, in welcher Jalloh im Dessauer Polizeirevier  in Gewahrsam war in der ersten Revision 2012 wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe von knapp 11.000 Euro verurteilt wurde. Ihm wurde vorgeworfen, er hätte Jalloh hätte besser überwachen müssen. Stattdessen hatte er diese abgestellt, so dass der Brand erst zu spät bemerkt werden konnte.

Diejenigen, welcher morgen in Dessau des Todes von Oury Jalloh gedenken und gegen die empörende Nicht-Aufklärung protestieren und klagen weiter an: „Oury Jalloh – das war Mord“. Siebzehn Jahre nach dessen Tod werden sie nicht müde, akribische Aufklärung und Bestrafung der Täter zu fordern.

Im Lichte der aktuellen Bestandsaufnahme sowie des jüngsten Brandgutachtens steht zum 17. Todestag Jallohs nun erneut die Forderung nach einer Wiederaufnahme der Mordermittlungen auf der Tagesordnung.

Informationen über Anreisemöglichkeiten nach Dessau für den 7. Januar 2022 hier.

#OuryJallohDaswarMord

Anreiseplattform hier auf Facebook.

Offener Brief

von Mouctar Bah, Freund von Oury Jalloh, an Generalbundesanwalt, Justizminister und Innenministerin

Anlässlich des 17. Todestag von Oury Jalloh fordert Mouctar Bah, enger Freund von Jalloh und Aktivist, von der neuen Bundesregierung eine lückenlose Aufklärung. Sein Einsatz ist unermüdlich und unentbehrlich. Ohne ihn und die Aktiven der Initiative Oury Jalloh wäre sein Fall heute sicher kein Thema mehr. Seinen offenen Brief, mit dem er nach einem neuen Gutachten erneut appelliert, haben zahlreiche, namenhafte Personen und Organisationen aus Wissenschaft, Kultur, Medien und Zivilgesellschaft unterschrieben.

Mouctar Bah
Freund von Oury Jalloh
und Aktivist in der Initiative in Gedenken an Oury Jalloh
Dessau, 6.1.2022

BREAK THE SILENCE – OFFENER BRIEF

An Herrn Generalbundesanwalt Peter Frank,
an Herrn Justizminister Marco Buschmann,
an Frau Innenministerin Nancy Faeser,

Unser Bruder Oury Jalloh wurde am 7. Januar 2005 von deutschen Polizisten in einer Polizeizelle in Dessau-Roßlau verbrannt. Er wurde ohne Gerichtsbeschluss festgehalten und an Händen und Füßen an eine feuerfeste Matratze gefesselt. Fast 17 Jahre sind seit seinem grausamen Tod vergangen. Doch von Beginn an stellte die ermittelnde Polizei und staatliche Behörde die Lüge auf, er habe sich selbst angezündet. Noch heute halten sie trotz gegenteiliger Evidenz an dieser Behauptung fest. Daher kämpfen wir, Oury Jallohs Familie, Freund*innen und viele Aktivist*innen seit fast 17 Jahren für Aufklärung, Gerechtigkeit und dafür, die Wahrheit aufzudecken. Mit diesem offenen Brief wende ich mich anlässlich des Todestags daher heute an Sie.

Neues, unabhängiges Gutachten

Im November 2021 wurden die Ergebnisse eines weiteren, unabhängigen forensischen Gutachtens veröffentlicht, das von der Initiative in Gedenken an Oury Jalloh organisiert wurde. In Zusammenarbeit mit internationalen Expert*innen aus Film, Performance und Wissenschaft wurde dabei tatortgetreu die Zelle 5 des Dessauer Polizeireviers rekonstruiert. Die  durchgeführten Bewegungs- und Brandversuche bestätigten erneut, dass Oury sich nicht selbst angezündet haben kann.

Im Einzelnen führen die Versuche zu folgenden Schlüssen:

●              Oury Jalloh hatte in der Vier-Punkt-Fixierung nicht den ausreichenden Handlungsspielraum, um die feuerfeste Matratze selbst anzuzünden.

●              Es wurde mit Sicherheit Brandbeschleuniger verwendet (möglicherweise ca. 2,5l Benzin).

●             Die Zellentür muss offen gestanden haben, um eine ausreichende Luftzufuhr für die tatsächlich Branddauer von einer halben Stunde zu gewährleisten.

Nur unter diesen Parametern war es möglich, das Brandbild des Tatorts vom 07.01.2005 zu rekonstruieren. Dies untermauert die auf forensisch-wissenschaftlicher Grundlage gewonnenen Fakten: Oury Jalloh wurde in der Zelle 5 in der Dessau-Roßlauer in Polizeigewahrsam gefoltert und umgebracht.

Struktureller Rassismus

Spätestens seit den Black Lives Matter-Protesten wurde die Dimension von Anti-Schwarzem Rassismus auch hierzulande stärker thematisiert. Doch eine verstärkte Solidarisierung mit Oury Jalloh blieb seitens der Politik weiterhin aus. Wer in Deutschland #JusticeforGeorgeFloyd fordert, ohne die Aufklärung für ihn und weitere Schwarze Menschen zu fordern, verkennt die Realität gesellschaftlicher Macht- und Ungleichheitsverhältnisse in Deutschland.

Auch der Afrozensus, die erste statistische Befragung zu Schwarzen Lebensrealitäten in Deutschland, verdeutlicht den unzureichenden Schutz und Umgang mit Rassismus als eines der größten gesamtgesellschaftlichen Probleme in Deutschland. Die BI_PoC Communities in Deutschland und alle aktiven Unterstützer*innen wissen: Rassismus in Deutschland ist allgegenwärtig.

Bei der unabhängigen, selbstorganisierten Recherche- und Aufklärungsarbeit konnte die Initiative in Gedenken an Oury Jalloh darüber hinaus feststellen, dass die ermittelnden  Behörden, Gerichte und Politiker*innen neben dem Mord an Bruder Oury Jalloh (2005) auch die Morde an Hans-Jürgen Rose (1997) und Mario Bichtemann (2002) im selben Polizeirevier in Dessau-Roßlau übersehen und vertuschen wollten. Um die Dimension der Fälle zu verdeutlichen, wird seit der Veröffentlichung dieser Erkenntnisse im Oktober 2018 deshalb vom „OURY- JALLOH-KOMPLEX“ gesprochen.

2017 haben UN-Expert*innen in ihrem Bericht die rassistischen Strukturen in Deutschland stark problematisiert und zum Aufbau unabhängiger Ermittlungsstrukturen geraten. Hier wurde auch die Initiative in Gedenken an Oury Jalloh genannt. Mit großer Sorge wurde neben dessen Ermordung auch die ungeklärten Todesfälle weiterer Schwarzer Menschen in Deutschland wie Christy Schwundeck, Laye-Alama Condé oder N’deye Mariame Sarr adressiert. Seit der Einberufung der „UN- Dekade für Menschen afrikanischer Herkunft 2015-2024“ ist jedoch wenig geschehen.

Die Strukturen innerhalb von Justiz, Politik und Polizei sind Teil des Problems

Die Ermittlungen im Fall von Oury Jalloh wurden 2017 von der Staatsanwaltschaft Halle eingestellt und 2018 von der Generalstaatsanwaltschaft in Naumburg bestätigt. Zudem lehnte 2019 nicht nur der Landtag Sachsen-Anhalt einen Untersuchungsausschuss im Fall von Oury Jalloh, sondern auch das Oberlandesgericht (OLG) Naumburg den Antrag auf Klageerzwingung von der Rechtsanwältin der Familie Oury Jallohs ab. Sie wird daher Anzeige gegen die zuständigen Oberstaatsanwälte der Generalstaatsanwaltschaft Naumburg wegen Strafvereitelung im Amt stellen, und fordert sogleich die sofortige Wiederaufnahme der Ermittlungen wegen Mordes gegen die bereits namentlich bekannten Polizeibeamten des Dessauer Reviers.

OURY JALLOH – DAS WAR MORD! – BREAK THE SILENCE!                                                    

Mouctar Bah

Bei weiteren Fragen zur unabhängigen Aufklärung, wenden Sie sich bitte an:
Initiative in Gedenken an Oury Jalloh
Pressekontakt: de/en +49 152 10792107
https://initiativeouryjalloh.wordpress.com/
Mail: initiative-ouryjalloh@so36.net

Mitunterzeichnungen

Zusammen mit der Initiative in Gedenken an Oury Jalloh und vielen Unterstützer*innen stehe ich hinter der Familie.

Die bisherige Bundesregierung hat die Wahrheit nicht aufgeklärt, sich aktiv dagegen gestellt und damit an der Behauptung der Selbstanzündungsthese mitgewirkt und diese aufrechterhalten. Es ist klar, dass die Morde und polizeiliches Verschulden und Vertuschen aufzudecken und anzuerkennen, weitreichende politische Konsequenzen hätte. Im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung heißt es jetzt, dass die Arbeit gegen Rassismus, insbesondere den gegen Schwarze Menschen gestärkt werden soll. Diese Erklärung ist bindend und bedeutet auch, den Fall Oury Jallohs nun endlich aufzuklären.

Es führt kein Weg daran vorbei: Die Generalbundesanwalt und Politiker*innen der neuen Bundesregierung, müssen sich der Verantwortung stellen. Denn wer dafür sorgt, dass der OURY-JALLOH-KOMPLEX von staatlicher Seite unaufgeklärt bleibt, und die wissenschaftlich bestätigten Faktenlage nicht anerkennt, ist Teil des Problems!

Unterzeichner*innen:

Personen

  • Achan Malonda, Musikerin & Aktivistin

  • Aidan Riebensahm, Expert:in für dekoloniale und postkoloniale Theorien und Strategien

  • Aileen Puhlmann, Leitung Lemonaid & ChariTea e.V.

  • Aisha Camara, Kommunikationsberaterin, Moderatorin

  • Alice Hasters, Autorin und Journalistin

  • Amewu, Musiker

  • Amina Aziz, Autorin

  • Aminata Belli, Journalistin und Moderatorin 

  • Amira Haruna,Bloggerin 

  • Anab Awale, Co-Leiterin der Koordinierungsstelle bei Decolonize Berlin e.V. und ISD Mitglied

  • Anna Dushime, Journalistin und Podcasterin

  • Armand Zorn, Mitglied des Deutschen Bundestags, SPD-Fraktion

  • Aslı Özarslan, Filmemacherin

  • Atahan Demirel, Politischer Aktivist

  • Austen P. Brandt, Pfarrer und Antirassismustrainer 

  • Ayesha Khan, Autorin

  • Bafta Sarbo, Vorstand Initiative Schwarze Menschen in Deutschland 

  • Betânia Ramos Schröder, Mitbegründerin von Afrobas, BasilNilê e.V. Mitglied und Mitbegründerin der Initiative Pawlo-Massoso e.V.

  • Biplab Basu, Berater, ReachOut Berlin 

  • Blaise Francis, Rechtsanwalt

  • Boaz Murinzi Murema, Vorstand Bantu e.V. und EIRENE e.V.

  • Celina Bostic, Musikerin

  • Charlotte Njikoufon, 1. Vorsitzende – Kone Netzwerk zur Förderung Kommunikativen Handelns e.V.

  • Jan aka Chaoze One, Musiker

  • Canan Turan, Filmwissenschaftlerin und Filmemacherin

  • Christelle Nkwendja-Ngnoubamdjum, Autorin, Aktivistin

  • Ciani-Sophie Hoeder, Journalistin, Gründerin Rosa Mag

  • Dr. Daniel Loick, Philosoph, Amsterdam

  • David Mayonga, Moderator

  • Deborah Krieg, Bildungsreferentin

  • Dr. Céline Barry, Vorstandsmitglied des FG DeKolonial e.V

  • Dr. Felix Axster, Koordinator Standort Berlin des Forschungsinstituts Gesellschaftlicher Zusammenhalt

  • Dr. Jeanette Ehrmann, Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Arbeitsbereich Politische Theorie und Ideengeschichte am Institut für Politikwissenschaft der Justus- Liebig-Universität Gießen

  • Dr. Mahret Ifeoma Kupka, Kuratorin

  • Dr. Manuela Bauche, Historikerin, Freie Universität Berlin

  • Dr. Maria Alexopoulou, Historikerin, Zentrum für Antisemitismusforschung (TU Berlin)/ Universität Mannheim

  • Dr. Mariam Popal, Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft, Universität Bayreuth

  • Dr. Marion Kraft, Autorin

  • Dr. Miriam Schroer-Hippel, Sozialwissenschaftlerin

  • Mirrianne Mahn, Stadtverordnete, Frankfurt 

  • Dr. Noa K. Ha, postkoloniale Stadtforscherin

  • Dr. Onur Suzan Nobrega, Soziologin

  • Dr. Sina Arnold, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin

  • Dr. Sué González Hauck, Rechtswissenschaftlerin

  • Dr. Yasemin Shooman, Historikerin

  • Dr. Harpreet Cholia, Soziologin

  • Eleonore Wiedenroth-Coulibaly, Autorin

  • Emilene Wopana Mudimu, Sozialarbeiterin, Co-Leiterin Kingz Corner

  • Emilia Zenzile Roig, Politikwissenschaftlerin, Center for Intersectional Justice 

  • Emre Telyakar, Stadtverordneter, Frankfurt

  • Enrico Ippolito, Autor

  • Fatma Aydemir, Schriftstellerin und Journalistin

  • Fatma Çelik, Geschäftsführerin von ndo e.V.

  • Ferda Ataman, Publizistin

  • Ferat Ali Kocak, Antirassistischer Aktivist und Mitglied des Abgeordnetenhauses von Berlin

  • Gülşah Stapel, Kulturerbe und Erinnerungsforscherin

  • Hadija Haruna-Oelker, Autorin 

  • Hadnet Tesfai, Moderatorin

  • Hami Nguyen, Politische Bildungsreferentin

  • Hanna Diederich, Diplom-Sozialarbeiterin /-pädagogin

  • Harpreet Cholia, Soziologin

  • Hengameh Yaghoobifarah, Autorin 

  • Ibrahim Arslan, Aktivist, Überlebender Brandanschlag Mölln

  • Idil Baydar, Comedian

  • Idil Efe, Agentin für Diversität – Stadtmuseum Berlin

  • Isidora Randjelović, Leiterin Archiv RomaniPhen

  • Jasmina Kuhnke, Autorin 

  • Jasmin Giama-Gerdes, Politische Bildungsreferentin

  • Jean Peters, Gründungsmitglied des Peng Kollektivs und Journalist

  • Jeanne Nzakizabandi, Kuratorin

  • Jeff Kwasi Klein, Politischer Aktivist

  • Joshua Kwesi Aikins, Politikwissenschaftler, Universität Kassel

  • Karnik Gregorian, Journalist und Regisseur

  • Katja Musafiri, Journalistin 

  • Kutlu Yurtseven, Sozialarbeiter, Aktivist

  • Laura Cazés, Autorin, Speakerin

  • Leo Fischer, Autor

  • Lucia Muriel, Diplom-Psychologin

  • Mal Élevé, Musiker

  • Maria Alexopoulou, Historikerin, Universität Mannheim 

  • Max Czollek, Lyriker

  • Megaloh, Musiker

  • Melane Nkounkolo, Sängerin und Songwriterin

  • Motsi Mabuse, Choreographin, Wertungsrichterin

  • Nava Zarabian, politische Bildungsreferentin

  • Ngozi Odenigbo, Ärztin und Mitgebegründerin von Black in Medicine e.V.

  • Nikeata Thompson, Autorin, Moderatorin, Choreographin

  • Nuran Yiğit, Diplom-Pädagogin

  • Olivia Sarma, Bildungsreferentin, Vorstand VBRG e.V.

  • Olivia Wenzel, Autorin 

  • Özcan Karadeniz, Politikwissenschaftler

  • Dr. Patrice G. Poutrus, Historiker, Universität Erfurt

  • Pearl Hahn, Stadtverordnete Die Linke. Fraktion im Römer

  • Prof. Dr. Annita Kalpaka, Professorin für Soziale Arbeit, HAW Hamburg

  • Prof. Dr. Encarnación Gutiérrez Rodríguez, Soziologin, Justus-Liebig-Universität Gießen

  • Prof. Dr. Iman Attia, Professorin für Critical Diversity Studies, Alice Salomon Hochschule Berlin

  • Prof. Dr. Jin Haritaworn, Associate Professor, York Universität, Kanada

  • Prof. Dr. Karim Fereidooni, Rassismus- Bildungsforscher, Ruhr-Universität Bochum

  • Prof. Dr. Manuela Bojadžijev, Migrationsforscherin, Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung an der Humboldt-Universität zu Berlin

  • Prof. Dr. Natasha A. Kelly, Kommunikationswissenschaftlerin, Kade Gastprofessur Colorado College USA

  • Prof. Dr. Naika Foroutan, Sozialwissenschaftlerin, HU Berlin

  • Prof. Dr. Susanne Spindler, Fachbereich Sozial- und Kulturwissenschaften, Hochschule Düsseldorf

  • Prof. Dr. Sabine Hess, Universität Göttingen, Vorstandsmitglied des Rats für Migration

  • Raul Krauthausen, Schauspieler, Aktivist

  • Refpolk, Musiker

  • Ria Cheatom, Mitbegründerin von ADEFRA e.V.

  • Ridal Carel Tchoukuegno, Journalist

  • SchwarzRund, Autor*in und Wissenschaftler*in

  • Sebastian Fleary, Diplom-Pädagoge, Theaterpädagoge, freier Trainer für Empowerment, politische und politisch-historische Bildungsarbeit

  • Seda Başay-Yıldız, Rechtsanwältin

  • Sharon Dodua Otoo, Schriftstellerin 

  • Sharonda Quainoo, Illustratorin

  • Sheila Camaroti, AfroBraz – Frankfurt

  • Simone Dede Ayivi, Autorin und Theatermacherin

  • Siraad Wiedenroth, Geschäftsführerin ISD Bund e.V.

  • Tahir Della, Sprecher ISD Bund e.V. 

  • Tarik Tesfu, Moderator

  • Tayo Awosusi-Onutor, Autorin

  • Thelma Buabeng, Schauspielerin, Moderatorin

  • Tupoka Ogette, Vermittlerin für Rassismuskritik und Autorin

  • Dr Vanessa E. Thompson, Assistant Professor, Queens University 

  • Yezenia León Mezu, politische:r Bildungsreferent:in und Übersetzer:in

  • Zuher Jazmati, politischer Bildungsreferent, Campaigner

Organisationen

  • ADAN e.V. – Afro Deutsches Akademiker Netzwerk

  • ADEFRA e.V.

  • AfroPolitan Berlin

  • Allianz gegen Racial Profiling

  • BADU Berlin

  • BIPoC Gruppe der Universität Hildesheim

  • RomaniPhen Archiv

  • Bildungsstätte Anne Frank

  • CIJ – Center for Intersectional Justice

  • Copwatch FFM

  • Copwatch Leipzig 

  • Decolonize Berlin e.V.

  • Die Urbane. Eine HipHop Partei

  • Die Urbane. – eine HipHop Partei

  • Each One Teach One (EOTO) e.V.

  • FG DeKolonial e.V. – Fachgesellschaft für rassismuskritische, postkoloniale und dekoloniale Theorie und Praxis

  • Flüchtlingsrat Berlin e.V. 

  • glokal e.V.

  • Herkesin Meydanı- Platz für Alle

  • Initiative „Keupstraße ist überall“

  • Initiative 19. Februar Hanau

  • Initiative 6. April Kassel

  • Inter Bereich der Fachstelle Trans*Inter*Queer

  • Initiative Schwarze Menschen in Deutschland, ISD-Bund e.V. 

  • ISD Hannover

  • International Independent Commission on the Death of Oury Jalloh

  • KARFI – Schwarzes Kollektiv für Empowerment und rassismuskritische Bildung (Frankfurt a.M./Hannover/Hildesheim)

  • KGP – Kooperation gegen Polizeigewalt Sachsen

  • KOP (Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt)

  • Literarische Diverse Verlag

  • Microphone Mafia

  • Migration Hub Heidelberg

  • Mono & Nikitaman

  • NARUD e.V.

  • NDO – Neue deutsche Organisationen e.V.

  • Phoenix e.V. – für eine Kultur der Verständigung

  • Reach Out – ARIBA e.V.

  • Referat für Antirassismus der Humboldt-Universität

  • Romaniphen e.V.

  • RomaTrial e.V.

  • Rosa Luxemburg Initiative Bremen

  • Schwarze Schweiz Online Archiv

  • Seebrücke 

  • Side by Side Nordhessen e.V.

  • Sonnenblumen Community Development Group e.V.

  • Streikbündnis Achter Mai

  • SWANS Initiative

  • Ubuntu e.V.

  • United Colors Friedberg

  • Verband binationaler Familien und Partnerschaften – Geschäfts- und Beratungsstelle Leipzig

  • VBRG e.V. – Verband der Beratungsstellen für Betroffene von rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt

  • Verlagskollektiv edition assemblage

  • Youth against Racism

 

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Eingenordeter Journalismus

Der deutsche Journalismus ist – in meinen Augen jedenfalls – seit 2014 (Ukraine-Krise, Maidan-Putsch) gewaltig auf den Hund gekommen. Was Deutschland anbelangt arbeitet er längst nicht mehr im Sinne der vierten Gewalt. Wie immer und überall bestätigen Ausnahmen die Regel. Nun aber in zwei Jahren Corona-Krise ist anscheinend ein vorläufiger Tiefstand erreicht. Alle elektronischen Medien führen vom frühen Morgen bis tief in den Abend hinein Corona im Mund. Die Zeitungen stehen dem nicht nach. Da hilft nur Abschalten bzw. abbestellen. Alle Medien sind quasi als Regierungssprecher tätig. Das Corona-Regierungsnarrativ wird hoch und runter unkritisch nachgebetet. Doch damit nicht genug: Einzelne Medien stechen da noch übel heraus, indem sie die von der Regierung erlassenen Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung als zu lasch bezeichnen und eigene Vorschläge zur Verschlimmbesserung und ein härteres Kujonieren der Bevölkerung fordern und auf die Titelseiten knallen.

Ähnlich ging es bereits in der Ukraine-Berichterstattung vonstatten. Es zählte das Narrativ der Regierung. Das es oft an der Realität vorbeiging, interessierte den deutschen Journalismus nicht.

Damals brachte konnte uns und erst recht heute kann uns das auf den Gedanken bringen, betreffs der Medien, des Journalismus finde eine Gleichschaltung statt. Oh, böses Wort! Negativ konnotiert. Weil an die Nazizeit erinnernd. Das darf man heute weder sagen, noch schreiben. Böse, böse!

Man muss es aber auch nicht benutzen. Denn da bin mir nämlich ziemlich sicher: eine solche Gleichschaltung findet auch gar nicht statt. Das funktioniert subtiler. Gerade die Printmedien sind in unseren Tagen aus vielerlei Gründen klamm. Anzeigen sind weniger geworden. Und auch die Zahl der Abonnenten geht zurück. Der Weltenretter Bill Gates, der erstaunlicherweise als „Philanthrop“ durchgeht, rückt ausgewählten Medien über die Bill & Melinda Gates Stiftung schon einmal ein bissel Kohle rüber. Der SPIEGEL etwa erhielt von der Stiftung zweimal (2018 und 2021) über zwei Millionen Euro. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Das bringt natürlich das einstige Nachrichtenmagazin, das mal versprochen hatte zu sagen, was ist und gerade seinen siebzigsten Geburtstag feiert, keineswegs dazu, im Gates Sinne zu publizieren.

Wie bereits erwähnt: das läuft subtiler. Das hat auch mit einem seit Jahren grassierendem „Haltungsjournalismus“ zu tun. Das läuft betreffs so mancher Themen. Der Journalist Boris Reitschuster, dem man offenbar übelnimmt, dass er kritischen Journalismus auch gegenüber der Regierung macht (wie es ja sein sollte im Sinne der vierten Gewalt) und den man gerade aus der Bundespressepressekonferenz versucht herauszukanten (momentan käme er ohnehin nicht herein, weil dort 2 G gilt) twitterte einmal: „“Haltungsjournalismus“: Die #ARD#Tagesschau dreht sich die neue Kriminalitätsstatistik dreist so zurecht, dass sie ihr ins ideologische Konzept passt: Alle Gefahr kommt von Rechts. Chronik einer ÖR-Hütchenspielerei auf Kosten von uns Gebührenzahlern“.

Andererseits üben sich Medien in vorauseilendem Gehorsam. Sie wollen halt die Guten sein. Schließlich geht es ja in der Corona-Pandemie um Gesundheit.

Doch, dass man Journalisten auch anders auf Linie bringen kann, zeigt und ein aufgetauchtes Skandalvideo. Am dritten Januar dieses Jahres berichtete der Journalist Norbert Häring darüber: Der CEO des wichtigsten Schweizer Zeitungsverlags, der auch einige internationale Zeitungen herausgibt, hat sich laut einem nun veröffentlichen Video vor 10 Monaten damit gerühmt, dass er veranlasst habe, dass alle Zeitungen der Gruppe die Corona-Politik der nationalen Regierung unterstützen. Sein Dementi ist schwach und schreckt vor Ad-hominem-Attacken nicht zurück.“ 

Lesen Sie den ganzen Beitrag von Häring und schauen Sie sich das Video unter diesem Text an: „Wie ein Medienkonzern seine Journalisten auf bedingungslose Unterstützung der Pandemie-Politik festgelegt hat“.

Der CEO des Medienkonzerns Ringier Marc Walder bemerkte im Rahmen der Gesprächsreihe „Inspirational Talk“ der Schweizerischen Management Gesellschaft, Thema war „Digitale Transformation“:

„Wir hatten in allen Ländern, wo wir tätig sind – und da wäre ich froh, wenn das in diesem Kreis bleibt – auf meine Initiative hin gesagt: ‹Wir wollen die Regierung unterstützen durch unsere mediale Berichterstattung, dass wir alle gut durch die Krise kommen. Das mag Sie jetzt überraschen, aber ich will es an einem Beispiel festmachen. Auch die Blick-Gruppe, die jetzt in der Schweiz sehr prägend ist in der Covid-Berichterstattung, könnte deutlich härter – und vielleicht sagen einige von Ihnen: ‹Ja, macht’s doch bitte, die schlafen alle, die packen’s nicht› – sein. (…) Das nützt im Moment niemandem etwas. Wir müssen versuchen, dass die Politik, ob sie jetzt genug schnell, genug hart, zu wenig hart usw. agiert, das Volk nicht verliert. Und hier dürfen die Medien nicht einen Keil treiben zwischen der Gesellschaft und der Regierung.“

Auch die NachDenkSeiten haben sich heute mit diesem Skandalvideo befasst. Tobias Riegel beschließt seinen Beitrag „Video: Wie man Journalisten auf Linie bringt“ so:

„Sind überhaupt extreme Ausnahme-Situationen denkbar, in denen eine Symbiose von Staat und Journalismus gerechtfertigt sein könnte, um ein höheres gesellschaftliches Gut zu sichern? Möglicherweise ja – aber die Corona-Pandemie ist keine solche Situation.

Viele Mainstream-Journalisten, vermutlich auch solche von Ringier-Medien, werden nun rufen: „In unseren Redaktionen findet eine inhaltliche Bevormundung nicht statt!“ Zahllose Medienbeiträge zeigen aber jeden Tag das Gegenteil. Diese Gleichförmigkeit bei zentralen Themen entsteht entweder nach der im Video beschriebenen „Ringier“-Methode – oder diese Methode ist wegen vorauseilendem Gehorsam vieler Journalisten gar nicht nötig. Beide Varianten sind beunruhigend.“

In der Tat ist das beunruhigend. Aber kann sich noch darüber wundern? Wie ich bereits eingangs meines Beitrags hier schrieb: Der Journalismus ist gewaltig auf den Hund gekommen. Was uns alle dazu veranlassen sollte, einen sauberen, kritischen Journalismus im Sinne der vierte Gewalt vehement einzufordern. Dieses Beispiel – sicher kein singuläres, wie zu vermuten steht – erklärt uns in gewisser Weise auch, warum so viele Medien seit zwei Jahren bereits in der Corona-Krise auffallend gleich tönen bzw. sich so viele Artikel in verschiedenen Zeitungen dermaßen frappierend gleichförmig lesen. Will sagen: dann haben wir es vermutlich mit eingenordeten Journalisten eingenordeter Medien zu tun. Und es läuft bei uns, sie auf eine Linie zu bringen. Da braucht es nicht einmal mehr eine „Reichs-Pressekammer„. 

Beitragsbild: Gaby Stein via pixelio.de

Einfach göttlich! Als „Bulgare“ im türkischen Hamam

Vor vielen Jahren stellte mir ein Dortmunder Kollege eine Frage: „Warst du eigentlich schon einmal im Hamam?“

Ich überlegte …

Bei 39 Grad Juli Hitze im Schatten auf einem Balkon eines Neungeschossers in Izmir zu liegen ist kein Zuckerschlecken.

Selbst dann nicht, wenn dieses Hochhaus nicht inmitten des Verkehrsmiefs im Zentrum steht, sondern weit draußen im Stadtteil Örnekköy.

Gegenüber stand das halbfertige Betonskelett eines Gebäudes, welches als Altersheim geplant, aber dann nicht fertig gebaut worden war. Weiter hinten folgen dann noch ein paar zwei- bzw. dreistöckige Häuser.

2015-07-06-08.45.24Hinter denen kommt letzten Endes nur noch eine Moschee, die man vom Balkon aus zwar nicht sehen, ihren Muezzin aber zu den entsprechenden Tages- und Nachtzeiten hören kann.

Nämlich immer dann, wenn der gute Mann mit meist krächzender Stimme (ich vermutete, dass es sich bei ihm um einen starken Raucher handelte) die Gläubigen zum Gebet ruft.

Ziemlich weit oben, Richtung Berge, befindet sich dann nur noch ein kleiner Friedhof. Auch den konnte man vom Balkon aus nicht sehen.

Einmal (allerdings in der größten Mittagshitze!) ging ich aus Langeweile zu ihm hinauf, um mir die Grabsteine auf ihm anzusehen.

Ich fürchtete, so fertig war ich vom Aufstieg, für ewig dort bleiben zu müssen …

Die Berge beginnen nicht weit dahinter. Ihr sowieso schon spärliches Grün ist sommers zwar versengt. Aber immerhin wehte von dort aus hin und wieder ein Wind herunter und gelangte auch zu unserem Balkon, wenn ich dort apathisch – mich wie dabei wie ein uralter Hund mit heraushängender Zunge fühlend – mehr tot als lebendig vor mich hin hechelte. Und von erfrischenden Regentagen in saftig-grünen deutschen Landen (wo man diese ansonsten hasst!) träumte.

Der Wind allerdings geriet ab und an ebenfalls zum Problem: Wenn er nämlich gegen Abend unversehens auffrischte, warf er sich kräftig gegen offene Balkontüren und Fenster. Die krachten dann mit Wucht gegen die Wände. Und die einfachen Glasscheiben zerschellten: eine Arbeits- und Geldbeschaffungsmaßnahme für den Glaser.

Abwechslung in diesen „Balkon-Tagen“: Fehlanzeige. Selbst die in Abständen auf der nahen Straße vorbei brummenden Minibusse nebst den Gesichtern der darin zu sehenden Fahrer kannte man bereits auswendig.

Gegen einen von ihnen war ich jedes Mal versucht tätlich zu werden: Warum musste er jedes Mal vorm Haus seine penetrante Hupe betätigen?

Dann kamen noch – meist hintereinander – zwei uralte Busungetüme der Verkehrsbetriebe – und brausten den Berg hinunter – hoffentlich tun die Bremsen ihren Dienst, dachte ich ein ums andere Mal. Später, gemäß dem vom Fahrplan vorgegebenen Zeit – kehrten sie wieder zurück. Diesmal quälten sie sich unter furchtbarem Ächzen den Berg wieder hoch. Hinter sich her zogen die Ikarus-Busse pechschwarze Dieselabgasfahnen. Die Chauffeure taten mir leid: sie hatten knallrote verschwitzte Gesichter, ihre Köpfe erinnerten an überreife Tomaten. Wie viel Grad Celsius mochte wohl ein Thermometer an ihrem Fahrerplatz messen?

Ein Hundeleben, dachte ich gerade in meiner Langeweile inmitten der Hitze auf unserem Balkon und dachte in meiner Lethargie noch: Auch Hunde wollen leben! Da grummelte der Gong an der Korridortür. Was ich mit Befriedigung registrierte. Dieser Gong hatte nämlich ursprünglich fünf Klänge, die sich dann auch noch wiederholten. Das nervte mich. Zack, kam etwas Küchenpapier zur Dämpfung hinein. Und höre da: der Ton war nun erträglich.

Komm, wir gehen ins Hamam!“

Mustafa, mein Schwager, meinte es gut. Er war gekommen, um mir etwas Abwechslung in meinem eintönigen Urlaubsablauf zu verschaffen. „Komm“, überraschte er mich, „wir gehen ins Hamam!“ Bei neununddreißig Grad im Schatten?

Klar, ins Hamam wollte ich schon immer einmal. Schwitzend stimmte ich letztlich, unfähig zu denken dabei, zu. Obwohl ich wahrlich mit einem solchen Vorschlag nicht gerechnet hatte. Also los ging es. Wenn man so wollte: ein ungeplanter „Kalt“start!

Ab in den blau-weißen Dolmus (türk. gefüllt) vorm Haus, der sich Kilometer um Kilometer mit weiteren Fahrgästen füllte. Der Minibus – innen mit allerlei Tand geschmückt – wurde von einem jungen, schlaksigen Burschen gelenkt, der bei lauter Musik Gas gab, kuppelte, bremste und wieder Gas gab – wobei er noch sozusagen nebenbei Fahrgeld kassierte, Restgeld zurückgab und Gespräche am Handy führte, wobei er schon einmal beide Hände vom Lenkrad löste. Ein toller Hecht!

Holterdiepolter ging es durch schmale Gassen, scharf um Ecken. Hart in die Eisen und wieder auf’s Gas. Offenbar sah er sich als einen türkischen Schumacher …

Im „Alibey Hamam

blogger-image-756641308Wie durch ein Wunder kamen wir an der Endhaltestelle in Karşıyaka an. Mustafa lotste mich vom Minibus-Platz weg hinein in eine kleine Gasse. Gegenüber der Eisenbahnlinie samt Station. Plötzlich standen wir vor einem Eingang, welcher von einem Baldachin überdacht war. Über der braunen Holztür war zu lesen: „ALIBEY HAMAM“. Links verkündete ein Schild die Zeiten, für die Frauen „BAYANLARA“ und rechts der Tür ein weiteres Schild die Badezeiten für Männer „ERKEKLERE“.

Rasch nahm mich Mustafa am Arm beiseite und sagte zu meiner Überraschung: „Da drin wirst du Bulgare sein!“

Die Schweißperlen auf meiner Stirn vermehrten sich. „Bulgare?“ Mustafa erklärte es mir: „Wenn der Bademeister rauskriegt, dass du Deutscher bist, nimmt er ein höheres Eintrittsgeld.“

Da ging auch schon die Tür auf und anderer Herr trat auf die Straße hinaus. Wir gingen hinein, direkt zum Kassenhäuschen. Mustafa zischelte mir ins Ohr: „Du bist ein armer Verwandter aus Bulgarien! Da wird man es nicht wagen dir einen überhöhten Eintrittspreis abzuknöpfen.“ Zu dieser Zeit kamen tatsächlich viele kapakVestibül des Badehauses. Via Kapak

Bulgaren, türkischer Abstammung in die Türkei, wo sie nicht selten Verwandte hatten. Einmal sah ich damals sogar einen Trabant 601 mit bulgarischem Nummernschild durch Izmir fahren.

Ich willigte also ein. Gebrochen Türkisch sprach ich eh. Und ein paar Brocken Bulgarisch könnte ich nötigenfalls auch fallen lassen.

Geduscht und auf dem warmen, feuchten Marmorstein, „Göbektasi“ (Bauchstein), unterm den nur spärliche Lichtstrahlen durchlassenden Oberlichter über mir lag ich schon bald ausgestreckt.

Mit Mustafa spreche ich gebrochenes Türkisch und harre der Dinge, die da kommen mögen.

Da trat der Tellak, der Bademeister des Hamams, auf den Plan. Ein kompakter Mann mit dichter schwarzhaariger Brustbehaarung, ein Tuch um die Hüften, trat er an mich heran. Er hatte ein bisschen etwas von einem Schwarzbären. Als ich gerade freundlich Merhaba! (Hallo!) sagen will, unterbrach mich Mustafa, um für mich zu sprechen. Im allgemeinen Rauschen von Wasser und dem Klappern von Wassersschüsseln hörte ich nur ein paar Wortfetzen: „Bulgaristan“ und „Bulgaristan’da“. Bulgarien und aus Bulgarien.

Der Bär von Tellak nickte kurz und brummt etwas Unverständliches. Offenbar lag ihm nicht viel an einer Plauderei mit einem Bulgar-Türken. Auf dem Bauch liegend – den dünnen Lendenschurz, Pestemal genannt, um die Hüften – erwarte ich mein Schicksal. Zum Weglaufen war es nun zu spät. Es erinnerte mich ein wenig an eine Sitzung beim Zahnarzt. Der Unterschied zur „Behandlung“ im Hamam ist allerdings gravierend: der Zahnarzt pflegt nämlich, bevor er sein „Werkzeug“ zückt, bei Bedarf eine Betäubungsspritze zu verabreichen …

Aus den Augenwinkeln beobachtete ich ängstlich wie das Kaninchen vor der Schlange die Handgriffe des Furcht einflößend dreinblickenden Tellaks. Der kommt von irgendwoher mit einer Art Sack zurück, der über und über eingeseift ist. Durch – wie ich zugeben muss – geschickte Bewegungen diesen Seifensacks verteilte der Mann diesen mit Luft gefüllten Sack die Seife über meinen rückwärtigen Teil meines Körpers.

Dann richtete er seine „Werkzeuge“: sein zwei kräftigen schwarzbehaarten Bärenpranken gegen meinen Körper. Ich zuckte unter ihnen zusammen. Als wollte ich vor ihnen fliehen, versuchte ich mich in den warmen Marmorstein zu drücken. Doch der gab nicht einen Millimeter nach.

Meine Knochen knackten. Bald hier, bald dort. Ich vermochte gar nicht zu sagen, wo genau. Plötzlich spürte ich einen enormen Druck auf meinen Schulterblättern. Sekunden später weiter unten. Wollte der Kerl mir das Rückgrat brechen, weil er mit mir kein besseres Geschäft hat machen können?

Hätte ich doch nur mehr bezahlt, dachte ich.

Doch es war zu spät. Wie sooft im Leben sparte man eben an der falschen Stelle.

Der Bär indes walkte mich unbarmherzig weiter durch. Ohne Rücksicht auf Verluste, dass meine Schwarte nur so kracht.

Irgendwann begann er meinen Rücken mit einem Kese (rauer Peelinghandschuh aus Kokonseide oder Viskose) zu schrubben. Hautschuppen und Schmutz lösen sich von meinem Körper und rannen, vermischt mit Wasser und Schweiß über den Marmorblock zu Boden. Mittendrin brummt der Tellak – ohne seinen Pranken Ruhe zu gönnen – meinem Schwager etwas zu. Der übersetzt dies auf eine Art Tarzan-Türkisch (schließlich verstand ich ja als bulgarischer Türke nichts anderes): „Drehen du!“

In meinem Nacken knackte es bedenklich. Der Bademeister aber, unter seinen dicken Augenbrauen (ich musste an Waigel denken) mürrisch hervorlugend, schaute meinen Schwager an und rieb sich dann, während ich mich ängstlich umdrehte, seine in den Handschuhen steckenden mächtige eingeseiften Hände.

In meinen Körper gab es anscheinend keine Knochen mehr. Er sackte leblos wie ein Klumpen leblosen Fleisches klatschend auf den Marmorrichtblock. Abermals kam der Seifensack zum Einsatz. Ich war sogar froh darüber. Wahrscheinlich wäre die Prozedur uneingeseift überhaupt nicht durchzustehen.

Mit knallhartem Druck wurden jedes meiner Gliedmaßen einzeln durchmassiert. Mir schien es, als wollte mir der Tellak das Blut aus den Adern pressen.

Ich zuckte ein ums andere Mal zusammen und stöhnte leise dabei. Und dann noch diese feuchte Hitze! Ich schwitzte gleich noch mehr, als ich daran denken musste, dass draußen vorm Hamam jetzt die extremste Sommerhitze herrschen würde.

Mein Versuch an etwas anderes zu denken schlug fehl. In meinem Kopf herrschte eine erschreckende Leere. Ein Blick auf meinen Schwager schien mir zu zeigen, dass er nun innerlich schmunzelte, wenn nicht sogar lachte. Da näherten sich des Tellaks Pranken meinem Hals. Erschrocken richtet ich mich auf. Versuchte es wenigstens. Wollte mir der Kerl jetzt an die Kehle? Vielleicht mochte er bulgarische Türken nicht? Unbarmherzig drückte mich der kräftige Kerl nieder. Mein nasser, malträtierter Rücken klatscht saft- und kraftlos auf den „Bauchstein“ zurück.

Zu meinem Erschrecken packte mich der Bademeister beim Kopf und nahm ihn in eine Art Zangengriff mit seinen stark behaarten Pranken. Ich wollte noch etwas sagen. In welcher Sprache? Ich erinnerte mich nicht. Jedoch brachte ich nur ein jämmerliches Röcheln heraus.

Der Tellak drehte meinen Schädel hin und her. Schließlich machte er ad hoc eine zackige Bewegung. Woraufhin in meinem Genick fürchterlich knackte. Ich befürchtete das Schlimmste.

Das Ausstreichen meiner Arme und Beine bekam ich schon kaum noch mit. Alles Leben war anscheinend aus meinem Körper herausgewalkt worden.

Wieder kommt der Kese, der Waschhandschuh zum Einsatz. Aufs Neue lösten sich Partikel von meiner Haut.

Schlussendlich klatschte der Bademeister, in tiefem Bass lachend und mit vor Befriedigung blitzenden Augen den Kese auf meinen Bauch und bedeutete mir mit einer Geste ich könne nun aufstehen.

„Es ist vorbei! Endlich! Allah!“ hätte ich beinahe gesagt. Ich hatte überlebt!

Wackelig, wieder auf meinen Beinen stehend, bedankte ich mich höflich: „Tessekür ederim!“

Der massive Bär nickte schwerfällig, rang sich ein ganz leichtes Lächeln ab, brummte wieder etwas Unverständliches und tappte aus der „Folterkammer“.

Nach einem anschließenden Dampfbad und einer Dusche legten wir eine Ruhezeit ein. Bei einem köstlichen Tee in einem winzigen Gärtchen im Hinterhof des türkischen Bades.

Angenehm überrascht registrierte ich ungläubig, wie meine geschwundenen Lebenskräfte allmählich wieder in meinen Körper zurückkehrten.

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Sonnenuntergang in Karşıyaka. Foto: C. Stille

Und als ich aus dem kleinen Badehaus inmitten des quirligen Karşıyaka hinaus in die unerbittliche Sommerhitze, welche mich wie ein dicker Wintermantel umfing, trete, erschien es mir, als sei ich soeben neugeboren worden. Dabei hatte ich vor Kurzem noch unter den kräftigen Pranken des Bademeisters befürchtet, mir schlüge darin mein letztes Stündlein. Wenn wir wieder zuhause wären, nahme ich vor, würde ich mir zum Sonnenuntergang ein kühles, süffiges Efes-Pilsen aufmachen …

Mein Kollege in Dortmund riss mich mit einer weiteren Frage aus meinen ins Jahr 1998 abgeschweiften Gedanken: „Und wie ist das denn nun so, im Hamam?“

Ich wusste von ihm, dass er bald Urlaub in der Türkei machen würde und wusste, dass sein Hotel auch ein Türkisches Dampfbad hat.

Ach weißt du“, begann ich und warf dabei leicht meine Arme in die Luft, „es ist einfach göttlich!“

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Straßenszene in einem alten Viertel von Alsancak. Foto: C. Stille

Hinweis: Neufassung meines am 29.05.2006 in der Istanbul Post erschienen Beitrags „Einfach göttlich. Als Bulgare im Türkischen Hamam“. Leider sind meine Beiträge in der Istanbul Post nicht mehr verfügbar.

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Schiffsanlegestelle in Karşıyaka mit Blick auf das gegenüberliegende Konak. Foto: C. Stille

Weiteres Foto via Larkabroad und Informationen hier, hier, und hier.

Beitragsbild: Eingang zum Alibey Hamam in den 1990er Jahren. Foto: C. Stille

Zur genaueren Information:

Hammam, ein geheimnisvoll und mystisch klingendes Wort. Was genau dahinter steckt? Eine traditionelle Badezeremonie aus der Türkei mit hohem Wellnessfaktor. Eintauchen, abtauchen und wohlfühlen lautet hier die Devise zur Entspannung für den Körper und die Seele. Lassen Sie sich auf die faszinierende Badezeremonie des Hammam ein und entdecken Sie den Wellness-Hochgenuss. Mit dem Baderitus des Hammam können Alltagssorgen schnell über Bord geworfen und neue Kräfte in aller Ruhe aufgetankt werden. Es erwartet Sie eine Kombination aus Körperreinigung, Dampfbad, sinnlichen Düften und einer wohltuenden Massage. Nicht nur an kalten und regnerischen Tagen ist der Hammam eine beliebte Oase zum Wohlfühlen. Jederzeit können hier die eigenen Kräfte harmonisiert werden.

Geschichte des Hammam

In der islamischen Tradition ist es auch heute noch üblich, die Badezermonie des Hammam regelmäßig mindestens einmal wöchentlich und vor speziellen Festtagen durchzuführen. Der Ursprung der Hammamkultur findet sich im Orient und hat sich über Jahrtausende entwickelt. Wer einmal nach Anatolien reist, kann hier die schönsten und ältesten Badehäuser finden.

Ein Hammam wird traditionell übrigens nicht nur zum Reinigen des Körpers und zur Entspannung genutzt, sondern dient vor allem auch als Kommunikationstreffpunkt. In einem Hammam kann in entspannter Atmosphäre geklatscht und getratscht werden. Dies unterscheidet die türkischen Badehäuser zu den meisten Hammam-Tempeln in Deutschland. Hier sind sie vor allem Orte der Ruhe.

Ein Dampfbad mit Geschichte und festen Ritualen

Im Hammam ist das zentrale Element des Rituals das Wasser. Wasser und Wellness sind unzertrennlich, beide sind ein Genuss und eine Reise fern des stressigen Alltags und der Hektik. Berge von Schaum und angenehme sinnliche Düfte entführen in den Orient und vor allem in die pure Entspannung. Bevor es losgeht, entkleidet man sich im „Camekan“, dem Umkleideraum und wickelt sich den „Pestemal“, ein Leinentuch, um die Hüften.

Die komplette Wellness Behandlung wird normalerweise von einem „Tellak“ durchgeführt und begleitet. Ein „Tellak“ ist ein Bademeister, der sich jedoch erst nach langer Erfahrung und dem Beherrschen aller Hammam-Rituale mit diesem Titel schmücken darf.

Hammam – Ablauf der Badezeremonie

Und so läuft die traditionelle Badezeremonie ab:

Zunächst wird ein Bad oder eine Dusche genommen, die zur puren Reinigung dient. Klares Wasser, ohne Seife, fließt über den Körper, um Schweiß und Körperdreck abzuwaschen.

Nun wartet der Besuch im Dampfbad. Dieses ist mit 45 °C angenehm temperiert. Während die Muskeln entspannen, öffnen sich durch die Wärme die Hautporen. Eine ideale Voraussetzung für das spätere Peeling, das dadurch intensivere Wirkung zeigen kann.

Nach circa 10 bis 15 Minuten lässt man lauwarmes Wasser über den Körper fließen und seift sich ein.

Noch einmal folgt der Gang ins Dampfbad.

Anschließend darf man sich auf eine warme Marmorplatte „Göbektasi“ legen. Mit einem speziellen Waschhandschuh dem „Kees“ wäscht der „Tellak“ mit professionellen Massagetechniken den Körper. Hautschuppen und tiefere Ablagerungen können dadurch vollständig entfernt werden, die Haut wird dabei auch durchblutet und wirkt rosig und frisch. Eine Haut wie Samt und Seide!

Nochmals wird der gesamte Körper mit duftendem Schaum umhüllt. Der „Tellak“ beginnt nun mit der Hammam-Massage. Jeder „Tellak“ hat eigene und spezielle Griffe. Während der Massage fällt es nicht schwer, einfach mal an gar nichts zu denken und sich nur auf sich selbst zu konzentrieren.

Beendet wird die Massage durch weitere warme Wassergüsse.

Um die komplette Zeremonie vollständig zu genießen, sollte man danach noch einige Minuten ausruhen, sich nochmal relaxt hinlegen und wer mag, kann noch einen köstlichen Tee trinken.

Quelle: Gesundheit.de

Mehr zum Thema: https://www.gesundheit.de/wellness/sanfte-medizin/kuren-und-medical-wellness/hammam

Hinweis: In diesem Text schreibt man Hammam. Das ist die arabische Form.

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