Aus die Maus. Der Blick von unten auf die da oben. Von Żaklin Nastić – Rezension

Wer will fleißige Handwerker seh’n, … so heißt ein bekanntes Kinderlied. Ist Politik eigentlich auch ein Handwerk? Klaus von Dohnanyi diente als Minister unter den Kanzlern Brandt und Schmidt und war lange Jahre Erster Bürgermeister der Hansestadt Hamburg. Sein Credo: „Politik ist ein Handwerk“

Stümper und verkappte Lobbyisten im Bundestag

Politiker wären demnach (auch) Handwerker? Na, mal schön langsam mit den jungen Pferden! Schauen wir doch nur einmal in den Deutschen Bundestag. Da ist es schwer wirkliche politische Handwerker auszumachen. Was übrigens für nicht wenige dort vertretenen Bundestagsabgeordneten aus fast allen Parteien zutrifft. Stattdessen fallen uns dort inzwischen einige Stümper und Pfuscher auf, die dank eines Mandats in die oberste demokratische Vertretung gelangen konnten. Etliche dieser dort sitzenden Menschen sind als Volksvertreter verkappte Lobbyisten, die entsprechende Interessen vertreten. Die der Wählerinnen und Wähler? Da kommen hier und da Zweifel auf.

Und zwar nicht erst seit Außenministerin Baerbock in puncto Ukraine-Unterstützung auf einer Konferenz in Prag sagte: […]„Wir stehen so lange an eurer Seite, wie Ihr uns braucht’, dann möchte ich auch liefern, egal was meine deutschen Wähler denken, aber ich möchte für die ukrainische Bevölkerung liefern.“ […]

Nun, die Wählerinnen und Wähler müssten inzwischen (eigentlich) durchgeholt haben, dass sie sich betreffs Politikern und Abgeordneten kaum auf deren Versprechungen verlassen können. Franz Müntefering (SPD) sagte einmal unverblümt:

„Es ist unfair, Politiker an ihren Wahlversprechen zu messen.“ Doch das Wahlvolk ist bekanntlich vergesslich.

Anbei:

Schadet es Politikern, Wahlversprechen zu brechen?

[…] Aber wenn Politiker regelmäßig Wahl- und sonstige Versprechen brechen: Schadet ihnen dies? Könnte dies ihre Macht gefährden? Der Schriftsteller, Diplomat und politische Philosoph Niccolò Machiavelli (1469-1527) meint in seinem berühmten Werk „Der Fürst“, dies sei kein Problem:

Denn die Menschen sind so einfältig und gehorchen so sehr dem Eindruck des Augenblicks, dass der, welcher sie hintergeht, stets solche findet, die sich betrügen lassen.“

Als Beispiel führt Machiavelli Papst Alexander VI. an:

Alexander VI. tat nichts anderes als zu betrügen, sann auf nichts anderes und fand immer solche, die sich betrügen ließen. Nie besaß ein Mensch eine größere Fertigkeit, etwas zu beteuern und mit großen Schwüren zu versichern, und es weniger zu halten. Trotzdem gelangen ihm alle seine Betrügereien nach Wunsch, weil er die Welt von dieser Seite gut kannte“ (Beide Zitate aus „Der Fürst“, Kapitel XVIII, „Inwiefern die Fürsten ihr Wort halten sollen“).[…] Quelle: Aus einem Beitrag der NachDenkSeiten von Udo Brandes.

Żaklin Nastić ist für die Partei DIE LINKE im Bundestag. Eine engagierte Politikerin, wie sie nicht oft anzutreffen ist

Darüber dass Żaklin Nastić für Partei DIE LINKE in den Bundestag gewählt worden ist sollten wir indes froh sein. Erst recht darüber, dass sie überhaupt in die Politik gegangen ist.

Sie gehört nicht zur in den letzten Jahrzehnten verstärkt im Bundestag vertreten Generation von Akademikern etc. mit einer sogenannten „Drei-Saal-Karriere“: „Kreißsaal – Hörsaal – Plenarsaal. Ohne Kenntnis des Lebens da draußen. Diesen Abgeordneten fehlt in der Regel das Gefühl die wirklichen gesellschaftlichen Probleme wahrzunehmen. Erst recht abgeschnitten werden sie von diesem wenn sie unter der gläsernen Kuppel des Reichstagsgebäudes zu Stuhle gekommen sind.

Der aus geerdeten Verhältnissen – aus der Dortmunder Nordstadt, die immer wieder als sozialer Brennpunkt benannt wird – stammende ehemalige Bundestagsabgeordnete Marco Bülow empfand diese Entwicklung bedenklich. Als er erstmalig in den Bundestag gekommen war, sei das noch nicht so extrem gewesen. Bülow erklärte vor einiger Zeit auf einer Veranstaltung, woher das Nichtwahrnehmen sozialer Probleme vieler Abgeordneten rühre: „84 Prozent der Bundestagsabgeordneten sind Akademiker, 16 Prozent Nichtakademiker.“ (aus meinem damaligen Bericht)

Bülows Credo: „Die Bevölkerung ist mein Chef.“

Letzteres dürfte auch Żaklin Nastić so sehen.

Was Links-sein bedeutet

Żaklin Nastić versteht sich noch als eine wirklich Linke. Warum schreibe ich das? Weil offenbar viele sich als links bezeichnende Menschen – eingeschlossen gewisse Abgeordnete und Funktionsträger der Partei DIE LINKE – inzwischen gar nicht mehr wissen, was Links-sein überhaupt bedeutet. Es bedeutet, sagt etwa Sahra Wagenknecht, sich in der Politik für die Menschen zu engagieren, die es schwer haben. Für die, die nicht mit dem goldenen Löffel im Mund geboren wurden, die sich täglich bewähren und hart kämpfen müssen. Sowie sich für eine friedliche Außenpolitik – schlicht: den Weltfrieden einzusetzen.

Armut ist ŻaklinNastić bekannt

Żaklin Nastić ist 1980 in einem Dorf bei Gdansk in Polen geboren, hat polnische, deutsche, kaschubische und jüdische Wurzeln sowie die deutsche und die polnische Staatsbürgerschaft. Sie kam 1990 nach Hamburg, lebte auf Flüchtlingsschiffen im Hafen und wuchs in einem sogenannten sozialen Brennpunkt am Rande Hamburgs bei ihrer alleinerziehenden Mutter auf. Armut ist ihr sehr wohl bekannt.

Über sich und ihre politische Arbeit hat sie nun ein Buch geschrieben: „Aus die Maus. Der Blick von unten auf die da oben“.

Gleich im ersten Satz der Vorbemerkung schreibt Nastić nicht um den heißen Brei herum: „Die Welt ist im Eimer. Wir wissen nicht mehr weiter. Es fehlen starke Persönlichkeiten, die sich gegen alle Widerstände durchsetzen. Es mangelt an Führern. (In Deutschland ist der Begriff belastet, darum spricht man lieber von Leader.) Keine Visionen, nur Verwaltung. Es regiert der Sachzwang: Krisen, Kriege, Konflikte, Klimakatastrophe …“

Engagement ist anstrengend. Viele Menschen sagen: Es ändert sich ja sowieso nichts. Żaklin Nastić schreibt, sie verstehe die Ermüdung. „Auch die Verbitterung. Mir geht es bisweilen ebenso. Ich möchte dann allem den Rücken kehren und wütend erklären: Macht euren Mist doch allein, ich muss mir das nicht antun! Aber das ist unmöglich. Wir Menschen sind gemeinschaftliche Wesen, keine Einzelgänger. Wir brauchen uns. Wir sind auf die Stärke der Gemeinschaft angewiesen. Das ist in erster Linie eine Klassenfrage. «Wer im Stich lässt seinesgleichen lässt ja nur sich selbst im Stich«, dichtete Bert Brecht im «Solidaritätslied«.

«Seinesgleichen« – die Meinung vertritt Żaklin Nastić „nicht nur Klassenbruder und Klassenschwester. Wie eben auch die Menschenrechte für alle gelten – sie sind unteilbar“. (S.11)

Żaklin Nastić wendet sich gegen dieDiffamierungvon Kämpfernfürden Frieden

Gegen die Diffamierung des „Manifests für Frieden“ – veröffentlicht im Februar 2023 von ihrer Fraktionskollegin Sahra Wagenknecht und der Publizistin Alice Schwarzer – als rechtsoffen, aus der vermeintlicher linken Ecke sowie durch Presseartikel stellt Żaklin Nastić Worte des vormaligen Vorsitzenden der SPD und später der LINKEN. Lafontaine habe nämlich erklärt im Friedenskampf gebe es keine Gesinnungsprüfung. Niemand werde gefragt: «Welches Parteibuch hast du?» oder «Wen hast du gewählt«?

Und sie zitiert den unlängst verstorbenen Hans Modrow, der sich auf seinen zur See fahrenden Bruder berief: Wenn wir einen Schiffbrüchigen aus dem Meer retten, interessiert uns nicht, ob er weiß, schwarz oder gelb ist – es ist ein Mensch!

Schluss mit dem Ukrainekrieg!

Zum Krieg in der Ukraine hat die Bundestagsabgeordnete eine klare Meinung: „Damit muss Schluss sein! Es ist ohne Bedeutung, wer und warum einer oder eine Frieden fordert. Wichtig ist, dass die Waffen zum Schweigen gebracht werden!

Żaklin Nastić erinnert an Willy Brandts Worte: «Frieden ist nicht alles – aber ohne Frieden ist alles nichts!«

Und auch die Worte des 1914 ermordeten französischen Sozialisten Jean Jaurés ruft sie auf, welcher „den Kriegshetzern vor dem Weltkrieg den richtigen Satz“ entgegen geschmettert hatte: «Der Kapitalismus trägt den Krieg ins sich wie die Wolke den Regen.«

Żaklin Nastić über ihre Arbeit und ihren Anspruch daran

In ihrem Buch behandelt Żaklin Nastić ihre politischen Tätigkeitsfelder. Sie stellt darüber hinaus auch nichts weniger an als Überlegungen, „wie wir in der derzeitigen Phase den Übergang von dem System, das keineswegs schon hinüber ist, in das andere System, dessen Konturen noch nicht erkennbar sind, meistern können“. (S.20)

Obwohl, gibt sie zu bedenken, die kapitalistische Ausplünderung der globalen Ressourcen zu Karl Marx Zeiten noch in weiter Ferne lag, habe dieser schon zu seinen Zeiten die «gesellschaftliche Menschheit« beschworen, die Welt nicht nur zu erkennen und zu interpretieren. «Es kömmt darauf an, sie zu verändern«, habe Marx seinerzeit beschieden.

Żaklin Nastić gibt sich entschlossen und zuversichtlich:

„Wir alle sind Teil der gesellschaftlichen Menschheit. Und wir stehen in der Pflicht, die Welt zu verändern – wir können es auch.

Und das beginnt nicht erst vor unserer Haustür, sondern bereits in unseren vier Wänden.

Dort darf die Veränderung nicht enden.“

„Wir sollten nie vergessen, woher wir kommen“, fordert Nastić

Żaklin Nastić schreibt im Kapitel „Wir sollten nie vergessen, woher wir kommen“ u.a. über die Ankunft mit ihrer Mutter in Deutschland. Erst landeten sie auf einigen Flüchtlingsschiffen in Hamburg, dann in einer Hochhaussiedlung. Dort sei geschlagen, geschossen und gedealt worden. Selbst innerhalb der Wohnungen war Gewalt keine Seltenheit. Die Kriminalitätsrate sei hoch und der Schufa-Score niedrig gewesen. „Wer beim Versandhändler bestellte, konnte nicht sicher sein, dass die Ware auch geliefert wurde. Die Postleitzahl war verräterisch.“

Das prägt.

Solche Siedlungen werden in der Regel „soziale Brennpunkt“ oder „Problemviertel“ genannt. Die Autorin: „Das sind freundlichere Bezeichnungen als etwa «Ghetto«. Dieses Wort ist in der deutschen Sprache belastet.“ Wir wissen warum.

Der Jugoslawien-Krieg

Auch der Krieg in Jugoslawien politisierte Żaklin Nastić. Sie protestierte gegen die militärischen Auseinandersetzungen in dem zerfallenden Bundesstaat und gegen die Einmischung der NATO.

Als sie 1998 erstmals in Jugoslawien war schockierte sie die Not, „die die vom Westen verhängten Sanktionen insbesondere in Serbien angerichtet hatten“. (S.28)

Nachdem der völkerrechtswidrige Krieg mit den NATO-Bombardements in Serbien vom Zaun gebrochen worden war, weilte sie wieder dort: „Ich sah die zerstörten Häuser, die gesprengten Brücken und ausgebrannten Wohnungen: Kriegsbilder, die dich als Achtzehnjährige bislang nur aus Geschichtsbüchern und Filmen kannte“, erinnert sich Żaklin Nastić.

Dies alles habe sie politisiert.

Ihr wurde klar, dass es in der kapitalistischen Gesellschaft Klassen gibt. Was weder in der Schule gelehrt worden sei noch in der Zeitung zu lesen gewesen war.

Nastić erinnert daran, wie sich „ein ungedienter Steinewerfer aus Frankfurt am Main in seiner Funktion als Außenminister und williger Zögling von US-Madeleine Albright – formally known as Jana Korbelová – das deutsche Volk ans Gewehr gerufen [hatte]“ (S.37)

„Wortgewaltig hatte der grüne Joschka Fischer mit der Losung «Nie wieder Krieg und nie wieder Auschwitz« eine deutsche Beteiligung am NATO-Krieg gegen Jugoslawien durchgesetzt.“

Zehn Jahre nach Ende des Kalten Kriegs habe die BRD ihre „unkriegerische Unschuld“ verloren, so die Politikerin.

Damit es nicht der Vergessenheit anheimfällt merkt sie an, dass die Jugoslawien am 29. April 1999 beim Internationalen Gerichtshof in Den Haag Klage gegen die BRD und neun weitere NATO-Staaten eingereicht hatte. „Wegen Völkermords, wegen des Verstoßes gegen das Interventionsverbot und wegen Missachtung des Souveränitätsgegebots (die gleichen Gründe übrigens, weshalb der Westen Russland mit Sanktionen überzogen hat).

Allerdings lief die Klage ins Leere, weil Jugoslawien auf Betreiben des Westens aus der UNO ausgeschlossen worden war. Das Verfahren wurde ohne Entscheidung in der Sache wegen Nichtzuständigkeit des Gerichtes in Den Haag wieder eingestellt.

Wer sich noch erinnert, wird wissen, dass damals auch einige Strafanzeigen in Deutschland beim Generalbundesanwalt eingereicht worden waren. Da war nämlich die Vorbereitung eines Angriffskrieges noch gemäß § 80 StGB strafbar. Ermittlungen unterblieben, weil die jugoslawische Staatsführung das friedliche Zusammenleben der Völker auf dem Balkan gestört habe. 2017 war dann der dieser Paragraph aus dem Strafgesetzbuch gestrichen worden.

Serbien der alleinige Täter?

Alle wichtigen deutschen Medien hätten seinerzeit Serbien allein als Täter in diesem Krieg benannte. Aber das war einseitig. Żaklin Nastić schreibt über die wohl einzige Ausnahme in der medialen Befassung mit diesem Krieg: „Die ARD beispielsweise zeigte in einer Dokumentation («Es begann mit einer Lüge« WDR 2001), dass die deutsche Öffentlichkeit massiv belogen worden war, um die dritte Bombardierung Belgrads in einer Jahrhundert zu rechtfertigen.“ Der Film und dessen Macher seien dann aber angegriffen und diffamiert worden.

Żaklin Nastić: 1999 war die Zeitenwende.

Żaklin Nastić hat sich mit diesem Krieg schon befasst bevor sie 2017 in denn Bundestag einzog. Weil der Vater ihrer beiden Kinder Serbe ist. Darüber hinaus hat sie Slawistik studiert, was die Region Südosteuropa einschloss und ihr so viele Erkenntnisse brachte.

Interessant, dass die Autorin ab Seite 42 die Geschichte bis in die Gegenwart der immer umkämpften Region (einschließlich der des Kosovos (u.a. „Die Schlacht auf dem Amselfeld 1389) beleuchtet, was auch heutige Zusammenhänge besser einzuordnen hilft und verstehen lässt.

Dokumentation parlamentarischer Arbeit

Das Buch ist Seite für Seite äußerst informativ für die Leserinnen und Leser. Wichtige Interviews mit der Autorin, Reden in Parlamentsdebatten und kleine Anfragen ihrerseits sind im Buch enthalten. Was uns Lesern einen Überblick über den enormen Arbeitsumfang und die Tätigkeit einer Bundestagsabgeordneten verschafft, die ihr Mandat im Auftrag ihrer Wählerinnen und Wähler im Rahmen und im Namen der Demokratie hoch engagiert ernst nimmt.

Ich denke, nicht zu hoch zu greifen, wenn sich mir der Eindruck vermittelt: Politik ist ein Handwerk, wie weiland das politische Urgestein Klaus von Dohnanyi bekannte und nach wie vor lebt. Und Żaklin Nastić versteht dieses (ihr) Handwerk. Wer will fleißige (politische) Handwerker finden, der muss beispielsweise hochachtungsvoll auf Żaklin Nastić sehen.

Nicht weniger interessant ist das Kapitel „Irak, Iran und Naher Osten sowie weitere Krisenherde“ (ab S.63)

Ebenso „Menschenrecht, geteilt“ (S.105)

Darin schreibt die Autorin über die „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“, die der Bundestag 2017 feierte, weil sie siebzig Jahre zuvor in die Welt gesetzt worden war.

Die Einschätzung von Żaklin Nastić: „Die dreißig Artikel klingen gut, aber haben einen Makel: Sie sind rechtlich nicht bindend – nicht justiziabel, also nicht einklagbar.“

Völkerrecht und Ukrainekrieg

Und auch das wohl uns alle auf den Nägeln brennende Thema kommt in „Das Völkerrecht und der Ukrainekrieg“ bringt die Politikerin ausführlich und sachlich aufs Tapet. (S.127)

Unter anderem dokumentiert sie eine Kleine Anfrage, welche sie Anfang Februar 2023 gemeinsam mit ihren Fraktionskollegen Sevim Dagdelen und Andrej Hunko betreffend den Sachverhalt an die Bundesregierung gerichtet hatte.

„Schüsse ins Blaue bringen nichts“, erklärt Żaklin Nastić dazu. „Man muss immer viele Pfeile im Köcher haben.“

Aus diesem Grund fragten die genannten Abgeordneten Bundesregierung „welche Kenntnisse sie über die Verletzung der Menschenrechte durch ukrainische Institutionen habe. Es sind zweiundzwanzig Fragen an der Zahl. Gewiss interessant für die Leser. Weil sie derlei nicht in den Medien finden werden.

Quo vadis, Linke

Das hoch informative Buch schließt mit einem Kapitel, dass nicht nur Żaklin Nastić brennend interessiert: „Quo vadis, Linke“ (S.161)

Die Autorin zeichnet die Geschichte der Partei nach. Dann geht sie hart mit ihr ins Gericht. Wir erinnern uns: Eingangs des Buches stellte ich die Frage was eigentlich Links-sein bedeute.

Nastić wird diesbezüglich deutlich: „Doch statt sich mit vereinten Kräften gegen die asoziale Politik der Regierungsparteien zu stellen und um andere Mehrheiten in der Gesellschaft zu kämpfen, statt unser Profil als Antikriegs- und Menschenrechtspartei zu schärfen, ziehen es einige vor, sich dem politischen Mainstream anzupassen.“ (S.165)

Und die Linkenpolitikerin urteilt ohne Rücksicht auf Verluste: „Ich beobachte eine Mischung aus egoistischer Profilierungssucht, aus Opportunismus und Lust am eigenen Untergang. Wofür steht eigentlich diese Partei, fragen sich darum viele Wählerinnen und Wähler und wenden sich ab oder anderen Parteien zu. Eine Partei ist kein Selbstzweck.“

Man kann nur hoffen, dass sich auch Politikerinnen und Politiker der Partei DIE LINKE dieses Kapitel im Buch von Żaklin Nastić zu Gemüte führen.

Gegen Ende ihres Buches schreibt Żaklin Nastić der Linkspartei mahnende Worte ins Stammbuch: „Wenn die Linke ernst genommen werden will, braucht sie mehr Souveränität und weniger Servilität. Beim Katzbuckeln macht sie sich kleiner, als sie ist.“

Und auch hier ist ihr unbedingt zuzustimmen: „Wenn sie sich ihrer Sache allerdings nicht mehr sicher ist, sollte sie gehen, bevor die Wählerinnen und Wähler sie dorthin schicken, wo der Pfeffer wächst. Wenn die Linkspartei ihrer gesellschaftlichen Aufgabe nicht gerecht werden sollte, wird es heißen: Aus die Maus!“

Żaklin Nastić zeigt sich allerdings überzeugt, dass in dieser kapitalistischen Ausbeutergesellschaft mehr denn je eine konsequente linke politische Kraft mit Rückgrat und Kopf gebraucht wird, die für Frieden, soziale Sicherheit und eine streitbare Demokratie kämpft.“

Nun ist die Partei am Zug. Sonst richten es die Wähler.

Eine starke Stimme aus der Opposition!
»Zu sagen was ist, bleibt die revolutionärste Tat« Rosa Luxemburg

Żaklin Nastić ist unzufrieden mit dem Zustand der Gesellschaft, der Welt und ihrer Partei. Als Menschenrechtspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion hat sie ebenfalls tausende Gründe zur Klage. Doch Jammern und Barmen helfen nicht weiter, sagt sie, Tränen trüben nur den Blick. In einer sachlichen Bestandsaufnahme setzt sie sich polemisch mit der Gegenwart auseinander, insbesondere damit, wie hierzulande mit moralischen Kategorien Außenpolitik gemacht wird. Sie spricht über die rot-grüne Regierungspolitik, die opportunistischen Verrenkungen ihrer Partei, die Heuchelei von Christdemokraten und Liberalen. Sie tut dies kritisch. Aber nicht defätistisch und resignativ, sondern – trotz berechtigter Empörung – immer in der Überzeugung, dass Veränderung möglich ist. Dazu braucht es aber Mehrheiten, für die sie streitet. Auf der Straße wie im Parlament.


Zaklin Nastic

Żaklin Nastić, 1980 in einem Dorf bei Gdansk in Polen geboren, hat polnische, deutsche, kaschubische und jüdische Wurzeln sowie die deutsche und die polnische Staatsbürgerschaft. Sie kam 1990 nach Hamburg, lebte auf Flüchtlingsschiffen im Hafen und wuchs in einem sogenannten sozialen Brennpunkt am Rande Hamburgs bei ihrer alleinerziehenden Mutter auf. Armut ist ihr sehr wohl bekannt. 2000 machte sie das Abitur und studierte anschließend Slawistik. Sie hat zwei Kinder. Seit 2008 politisch engagiert bei den Linken, war sie seit 2011 Kommunalpolitikerin und seit 2017 Abgeordnete der Hamburgischen Bürgerschaft, bis sie 2017 in den Deutschen Bundestag gewählt wurde. Dort ist sie Menschenrechtspolitische Sprecherin der Fraktion und vertritt die Fraktion als Obfrau im Verteidigungsausschuss.

Zaklin Nastic

Aus die Maus

Der Blick von unten auf die da oben

192 Seiten, 12,5 x 21 cm, broschiert

sofort lieferbar

Buch 16,– €

ISBN 978-3-360-02756-6

eBook 12,99 €

ISBN 978-3-360-50193-6

„Die Heldenreise des Bürgers. Vom Untertan zum Souverän“ Von Raymond Unger. Rezension

Richard David Precht beschrieb eine philosophische Reise mit dem Titel „Wer bin ich – und wenn ja wie viele?“. Nun, dieser Titel kann auf den ersten Blick dazu verführen in Lächerlichkeit abzugleiten und dementsprechende Späßchen damit zu treiben.

Derweil ist die Frage „Wer bin ich?“ doch bitterernst zu nehmen. Fragen wir uns doch einmal wer wir sind? Da kämen wir doch gewiss ins Schleudern.

Abgesehen davon: So viele Menschen werden sich diese Frage vermutlich gar nicht stellen. Entweder sie kommt ihnen überhaupt nicht in den Sinn oder sie ahnen immerhin: diese Frage könnte mich verunsichern. Vielleicht weil sie fürchten, ihre Welt könnte einstürzen. Bei nicht wenigen Menschen baut sich rasch eine kognitive Dissonanz auf. Also – dürften sie, sich schützend, sagen: Finger weg davon! Wenn sie sich überhaupt etwas sagen, beziehungsweise in der Masse über sich und die Welt nachdächten. Was der Bauer nicht kennt, frisst er nicht.

Zu lesen an einer Säule des Apollontempels im Orakel von Delphi stand „Erkenne dich selbst!“ Der antike Dichter Pindar gab in seinen „Pythischen Oden“ den Rat „Werde, der du bist!“. Friedrich Nietzsche griff das auf und wählte für seine Schrift „Ecce homo“ den Untertitel „Wie man wird, was man ist“.

Platt könnten wir es so ausdrücken: Ehe man wird, was man ist, ist man verwirrt. Erst recht heutzutage. Eine Krise jagt die andere. Zuletzt verdüsterte die ausgerufene Corona-Pandemie unser Leben mit all ihren irren und wirren, auch die Menschenrechte verletzenden dagegen verordneten Maßnahmen. Zuvor ängstigte uns die Finanzkrise. Nun angesichts des Ukraine-Krieges beschleicht uns die Angst, wir könnten uns schon im 3. Weltkrieg befinden. Der Historiker und Friedensforscher Daniele Ganser sagte vor Kurzem bei seinem Vortrag in Dortmund (welchen ihm zuvor die Stadt Dortmund hatte verbieten wollen): Warum, nicht einmal eine Krise auslassen?

Ja, wenn das so einfach wäre!

Der Staat wird immer autoritärer. Droht ein neuer Totalitarismus? Ängste zuhauf. Urängste werden getriggert. Wir werden mit dem Klima-Aktivismus der vermeintlich Woken drangsaliert, ja geradezu (nicht nur verbal) terrorisiert und auch noch zur Verhunzung unserer Sprache angehalten.

Vom unmündigen Untertan zum Souverän

Raymond Unger beschreibt in seinem Buch „Die Heldenreise des Bürgers. Vom Untertan zum Souverän“ auf interessante und fesselnde Weise wie uns unser Weg vom unmündigen Untertan zum Souverän werden lassen kann. Zugegeben: Ein beschwerlicher Weg. Der, wenn er aber ohne Umkehr – trotz auftauchender Hürden – gegangen wird, dazu führen kann, dass wir werden, wer wir sind.

Nicht zuletzt hat uns der Umgang mit uns Bürgern in der Corona-Zeit zu unmündigen Kindern gemacht (machen sollen?). Immer wieder wurde uns weisgemacht, es ginge um den Kampf Gut gegen Böse. Auch jetzt wieder in puncto Ukraine-Krieg: Total gut? – Ukraine (S.103) und Total böse? – Russland (S.117)

Der Autor führt uns auf diesem Weg über die Seiten seines Buches zur möglichen Individuation über die Analyse der jeweiligen Krisen (Kapitel I – Die Krise): Politikkrise (S.17), Coronakrise (S.42) und Ukrainekrise (S.82).

Dann nimmt er uns weiter mit auf die Reise (Kapitel II), die der Vorbereitung dient (S.137): Haus aufräumen, Monomythos (S.142), Zwei Seelen (S.148) und uns diverse Abenteuer (S.155) beschert, die so einfach nicht zu bestehen sind. Dagegen „sich sofort konkreten politischen Lösungsansätzen zuzuwenden“, sei schwer, weiß der Autor.

Erst das Haus aufräumen, dann politisch werden

In „Die Reise“ nimmt Unger u.a. Bezug auf viele Zuschriften und Reaktionen auf seine bisherige Arbeit. Darunter finden sich interessante und durchaus nachvollziehbare Vorschläge betreffs politischen und medialen Reformen.

Der Autor begrüßt diese und viele weiteren Lösungen, gibt jedoch Folgendes zu bedenken: „Dass ich mit meinen psychologischen Ansätzen dennoch Denkern wie Jordan B. Peterson folge – erst das Haus aufräumen, dann politisch werden -, hat natürlich mit meiner persönlichen Vita und meinen Kompetenzen zu tun. Abgesehen davon greift eine simple Tatsache: Unreife Individuen bleiben unreife Individuen, auch wenn sie sich zu einer Gruppe zusammenschließen und sich eine politische Agenda geben.“ (S.138)

Unger meint: „Seit 1945 hat es vermutlich keine Zeit gegeben, in der sich dieses Ausagieren so mustergültig abgebildet hat wie auf den Regierungsbänken der derzeitigen Ampelkoalition“.

Was er damit sagen will: „Wer seine wahren Motive, Ängste und seinen psychologischen «Schatten« nicht kennt, agiert sich auf politischer Bühne lediglich aus, um seinen Schmerz und seine Angst zu befrieden.“

Und mit folgender Feststellung trifft Raymond Unger wahrlich den Nagel auf den Kopf S.139):

„Das ausgewiesene neurotische und fachlich völlig ungeeignete Charaktere in die höchsten Ämter des Staates und an die Parteispitzen gewählt werden, um fortan auf politischer Bühne hemmungslos ihre eigenen Ängste auszuagieren, ist symptomatisch für den Zustand der deutschen Gesellschaft.“

Bevor wir uns jedoch darüber zu Recht echauffieren, sollten wir aber auch nicht vergessen durchzuholen, was uns Raymond Unger auf ein in seinem Buch gebrachtes Zitat (S.139) hin des Begründers der Existenzpsychologie und Logotherapie Viktor E. Frankl (1905-1997) zu sagen hat:

„Sind die «Unanständigen« erst einmal oben, stehen sie als vermeintliche Ursache der Misere im Fokus. Dennoch führt diese Fokussierung zu einer Täuschung über die wahren Hintergründe der Gesellschaftskrise: Nicht unfähige Politiker sind das Problem, sondern infantile und gleichgültige Bürger, die derartige «Eliten« tolerieren.“ (S.140)

Dazu fällt mir ein, was Stéphane Hessel, der in seiner seinerzeit in Frankreich und Deutschland regelrecht gehypten Streitschrift „Empört euch!“ (haben die Menschen eigentlich daraus etwas gelernt?) schon zu bedenken gegeben hatte: „Das Schlimmste ist die Gleichgültigkeit“ (hier).

Im Unterkapitel „Haus aufräumen“ konstatiert Unger derzeit vorhandene „überbordende Probleme und Bedrohungen“.

Der Autor hat richtig erkannt: «Der „mündige Bürger“ hat sich das Heft des Handelns aus den Händen nehmen lassen. Hinter der Erosion westlicher, freier Gesellschaften steht eine unselige Trias aus Infantilisierung der Bürger, Propaganda seitens oligarchischer Netzwerke und dem Verlust weltanschaulicher Werte. Um den Weg in eine freie und mündige Gesellschaft zurückzufinden, wären demzufolge drei Dinge nötig:

1. Nachreifung des Individuums

2. Aufdeckung manipulativer Lobbynetzwerke

3. Bewusstmachung eines weltanschaulichen Kulturkampfes« (S.137)«

Im Kapitel III – Die Wandlung (S.199) schreibt Unger über Weltbilder und psychologische und politische Zu- und Umstände. Er erfuhr auf seinem Lebensweg: „Die wichtigste Konklusion des Heldenmythos lautet: Ein kreatives, erfülltes und authentisches Leben ist ohne die Führung durch das höhere (göttliche) Selbst unmöglich.“ Zu dieser Kernaussage kämen alle psychologischen Schulen, die für seine Arbeit von zentraler Bedeutung seien, so der Autor.

Gnade der Unwissenheit

In „Die Verantwortung“ beschreibt Unger an sich selbst und in Bezug und Sicht auf andere Künstler, deren Werk und Leben sein eigenes Werden zum Künstler mit allen anfänglichen Irrtümern, schmerzlich erlittenen Tiefen und endlich kommenden Höhen.

Etwa wie er seinerzeit wohl eher zuversichtlich, weil naiv, von Hamburg nach Berlin gegangen war, um fortan dort zu leben und als Künstler zu arbeiten, seine Werke in den renommiertesten Galerien zu präsentieren, um bald dort auszustellen und sie schließlich auch zu verkaufen. Unger mit einigem Abstand dazu: „Das ist lange her, und meine damalige Zuversicht kann ich heute nur als Gnade der Unwissenheit bezeichnen.“ Ein wahrliches Abenteuer muss das gewesen sein! Was wäre, wenn Unger nicht in dieses Leben in Berlin sozusagen hinein gestolpert wäre?

Das alles ist sehr authentisch, weil ungeschminkt erzählt. Spannend und den eigenen Geist des Lesers erhellend ist all das von der ersten bis zu letzten Zeile. Es fehlt anscheinend kein relevantes Thema, das der Autor nicht beackert hat.

Auf dem Höhepunkt politischer Krisen sind wir vermutlich noch nicht. Weshalb wir die Einladung des Autors auf die „Heldenreise“ zu gehen unbedingt annehmen sollten. Beherzigen wir seinen Tipp, sich als mündiger Bürger rechtzeitig auf das Abenteuer der persönlichen Individuation einzulassen.

Einiges des von Raymond Unger Beschriebenen habe ich auf die eine oder andere Weise selbst erlebt. Ich hätte dessen Buch deshalb gern in meinen früheren Jahren zur Hand gehabt…

Was ich ebenfalls nur unterschreiben kann: „Nur eine erwachsene Position, die die inhärenten Zielkonflikte allen politischen Handelns mitdenken kann, bietet Schutz vor kopflosem Ausagieren, in dem nur neue und größere Probleme entstehen. Wer politisch sinnvoll wirken möchte, sollte zunächst mit seinen persönlichen „Drachen“ unter dem eigenen Bett gekämpft und Frieden geschlossen haben.“

Es ist m.E. durchaus nicht zu hoch gegriffen Raymond Ungers brillant verfasstes, lesenswertes Buch gewissermaßen als aufs Heute übertragenes „Sapere aude!“ zu verstehen. Immanuel Kants 1784 geprägten Leitspruch der Aufklärung „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen“ darf man bei der Lektüre diese empfehlenswerten Buches jedenfalls durchaus im Hinterkopf haben.

Mit dem vorliegenden Buch schließt sich ein Kreis einer großen Trilogie von knapp 1400 Seiten. Nachdem dieses Buch mein erstes ist, das ich von Raymond Unger gelesen habe, habe ich Lesehunger auf dessen Vorgänger bekommen.

Über den Autor

Raymond Unger, Jahrgang 1963, lebt als politischer Autor und bildender Künstler in Berlin. Er ist als Kunstmaler in eigenem Atelier tätig, schreibt Essays und Bücher und hält Vorträge zu den Themen Kunst, Psychologie und Politik.

In seinen großen Gesellschaftsanalysen „Die Wiedergutmacher“ (2018, Europa Verlag), „Vom Verlust der Freiheit“ (2021, Europa Verlag) und „Das Impfbuch“ (2021, Scorpio Verlag) untersucht Unger die moralischen Übersteuerungen deutscher Politikansätze in der Klima-, Migrations- und Pandemie-Problematik.

Der ehemalige Therapeut besitzt 20 Jahre medizinische Berufserfahrung. Anfang der 1990er-Jahre leitete er eine Naturheil- und Psychotherapiepraxis in Hamburg und bekleidete eine Dozentur für Naturmedizin an einer Hamburger Fachschule für Heilpraktiker. Als Kunstmaler erhielt Raymond Unger 2011 den internationalen Lucas-Cranach-Kunstpreis für Malerei. Seine großformatigen Ölgemälde befinden sich in Privatsammlungen in Moskau, Genf, Salzburg, Düsseldorf, Hamburg und Berlin. In seiner Eigenschaft als Kunstmaler und Autor bekam er 2014 eine Einladung des Präsidenten der Europäischen Kommission José Manuel Barroso zur dritten Generalversammlung NEW (Narrative for Europe). Die Einladung erging an ausgewählte Intellektuelle, Wissenschaftler und Künstler, die sich durch Haltung, Engagement oder Tätigkeit für die Zukunft Europas einsetzen. Ungers Buch basiert auf der Erfahrung seiner eigenen „Heldenreise“, die der Autor in Die Heldenreise des Künstlers und in seiner Familienbiografie Die Heimat der Wölfe beschrieben hat.

Die Heldenreise des Bürgers

Vom Untertan zum Souverän

eBook

19,99 €

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Gebundenes Buch

Gebundenes Buch

Herausgeber ‏ : ‎ Europa Verlag; 1. Edition (3. April 2023)

  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Gebundene Ausgabe ‏ : ‎ 408 Seiten: 25,00 Euro
  • ISBN-10 ‏ : ‎ 3958905447
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3958905443
  • Abmessungen ‏ : ‎ 14.2 x 4.2 x 21.5 cm

„Corona – Legenden und Wahrheit“ Von Klaus-Dieter Rückauer. Rezension

Im Ermangelung eines Beipackzettels ein paar Zeilen vorweg. Sollten Sie, liebe Leserinnen und Leser noch nicht so gut informiert sein – aus Gründen von Verdrängung oder in Folge Kognitiver Dissonanz, was jeweils durchaus menschlich und verständlich wäre – nehmen sie, so sie Bluthochdruck haben, ihre entsprechende Tablette vor der Lektüre ein.

Denn hin und wieder könnte Sie das hier von Klaus-Dieter Rückauer Niedergeschriebene in Wallung versetzen. Er sagt einfach, was war.

Aber es ist nötig, dass Sie die hier vorgestellte Broschüre lesen und gerne auch andere Mitmenschen zum Kauf (Preis: nur 6 Euro!) empfehlen bzw. weitergeben.

Drei Jahre Corona-Zeit – ein düsterer Lebensabschnitt

Die drei Jahre Corona-Zeit waren düster und beängstigend. Nicht nur weil man uns seitens der Regierung und ihnen als servile Komplizen dienende Medien – die auch noch Staatsknete (unser Steuergeld!) dafür kassierten, um uns tagtäglich rund um die Uhr Angst vor einem vermeintlich schlimmen Killervirus zu machen. Das gelang schon deshalb, weil ein Virus nun einmal unsichtbar ist. Da ließen wir uns freilich von sogenannten Experten entsprechende Horrorgeschichten erzählen, die es ja wissen mussten und uns dies uns glauben machen konnten. Gestandene Fachleute hingegen – etwa ein Professor Sucharit Bhakdi, der in seiner Laufbahn zirka 11 000 Ärzte ausgebildet hat – oder ein frühzeitig kritischer und warnender Wolfgang Wodarg wurden als Schwurbler diffamiert.

Angst machende (sollende?) Bilder aus Bergamo

Fürchterlich Angst machte man uns ja beispielsweise mit den Bildern aus dem italienischen Bergamo, die quasi in Dauerschleife in unseren Glotzen liefen: Nächtens fuhren da Militärlastkraftwagen durch die Gegend, die anscheinend massenweise Leichen – an Corona verstorbene Menschen – transportierten. Erst später war zu erfahren (aus neuen Medien), dass die italienische Regierung angeordnet hatte, diese Toten in Krematorien zu verbrennen statt Erdbestattungen vorzunehmen. Feuerbestattungen sind jedoch in Italien traditionsgemäß selten, weshalb es nur wenige Krematorien gibt und man die Armee zu Hilfe rief, um diese Toten in die wenigen Krematorien zu transportieren. Es handelte sich in der Regel um sehr alte Menschen. Überdies gibt es in der Region starke Luftverschmutzungen, was den Ausbruch von Atemwegserkrankungen begünstigt. Dass diese alten Menschen starben hatte noch andere Ursachen. Kranke wurden quasi auch in Altenheime verbracht und sich dort mehr oder weniger selbst überlassen, weil das oft aus Osteuropäerinnen bestehende Pflegepersonal aus Angst vor einer Corona-Ansteckung zurück in ihre Heimatländer gefahren war. Wir aber sahen die Bilder der Armeewägen, die anscheinend in Massen Corona-Tote, die wie die Fliegen gestorben sein mussten, transportierten. Diese Angst verfing bei vielen Menschen. Sollte wohl auch verfangen. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Heraufziehender Totalitarismus. Der Leviathan setzte seine grimmige Maske auf

Diese Zeit konnte durchaus Anklänge eines möglicherweise heraufziehenden Totalitarismus ahnen lassen.

Menschen, darunter wirkliche Experten, die die teils irren, widersinningen und wirren zwecks Bekämpfung dieses Virus und dem angeblichen Schutz davor in Anschlag gebrachten Maßnahmen von Anfang kritisierten (und fachlich wie sachlich begründeten, warum sie das taten) wurden als Schwurbler verunglimpft, von Medien und Politik diffamiert. Manche verloren sogar ihre Stellen.

Man kann es so sehen: Der Staat hatte die grimmige Maske des Leviathans aufgesetzt. Leviathan bezeichnet in der politischen Theorie von Thomas Hobbes (1588–1679) den allmächtigen Staat und Souverän, der in der Lage ist über ein bestimmtes Territorium, Städte und Dörfer und die dortige Bevölkerung zu herrschen.

Angeblich ging es um unseren Schutz. Der Kognitionsforscher Rainer Mausfeld sagte kürzlich in der Diskussion nach einem seiner Vorträge: „Um Gesundheit ging es nicht.“

Einleitend zu seiner Broschüre „Corona – Legenden und Wahrheit“ schreibt Klaus-Dieter Rückauer: «Seit dem Zweiten Weltkrieg war kein Ereignis dermaßen eingreifend in das Leben des Einzelnen als auch der Gesellschaft wie die Maßnahmen wegen SARS-Co V2. Ohne Übertreibung waren sämtliche Bereiche des Lebens betroffen: Psyche, Gesundheit, Freiheit, Recht, Wirtschaft, Bildung, Beruf, Beziehungen, Sozialleben, Politik, traditionelle Werte; und die Haltung gegenüber Krankheit und Tod.«

Und weiter:

«Diese schwerwiegenden Veränderungen werden auf unbestimmte, aber fraglos lange Zeit stark nachwirken; manche werden (unguten) Bestand haben. Sie sind bei genauer Betrachtung nicht die Folge des Virus, sondern der politischen Verordnungen und Verbote. Dies jetzt ehrlich zu analysieren und die nötigen Konsequenzen aus den Erkenntnissen zu ziehen, ist eine Frage der Rechenschaftspflicht der Verantwortlichen und auch ein Gebot der Redlichkeit.«

Der Text Rückauers hat den großen Vorteil, dass er das Wesentliche zusammenfasst, dass es über all die in der Kritik stehenden Vorgänge um Corona zu wissen gibt.

Darunter finden die Leser eine „Vielzahl von Informationen, die der Öffentlichkeit nicht bekannt gegeben, für eine zutreffende Sicht aber unumgänglich sind“.

«Für das Nachdenken und Verstehen dieser wesentlichen Eingriffe in unser Leben brauchen wir diese Kenntnisse und Erkenntnisse. Kritik an den getroffenen Entscheidungen und an dem Umgang mit den Menschen ergibt sich daraus zwangsläufig. Die Feststellungen sind thematisch gruppiert«

Die Themen sind: Tests, Politik, Wissenschaft, Medien, Lockdown, Zahlen, Impfung, Pathologie, Gesellschaft, Juristen, Ärzteschaft.

Etwaig aus ihren Schützengräben aufspringende „Schießschartenaugen“ (ich habe mich dieses Begriffs von Weltwoche-Herausgeber und Chefredaktor Roger Köppel bedient), welche diese Broschüre sofort als Schwurbelei abtun oder noch schlimmer, gar als Verschwörungsideologie diffamieren, hält Autor Klaus-Dieter Rückauer schon einmal prophylaktisch entgegen:

«Jede der hier gemachten Aussagen steht nicht auf dem Niveau privater Meinung, ist keine unbewiesene Behauptung, sondern ist durch Studien, Statistiken und Fakten konkret nachgewiesen und für jeden zugänglich.«

Selbst wenn wir inzwischen konstatieren, dass selbst unsere sogenannten Qualitätsmedien und vorsichtig selbst die von unseren Zwangsbeiträgen finanzierten öffentlich-rechtlichen Medien einen kritischen Blick auf die Corona-Maßnahmen werfen und auch inzwischen sogar über Impfschäden – die einst ein gewisser Karl Lauterbach in Abrede gestellt hatte – berichten: Die Wichtigkeit und Nützlichkeit der hier zu besprochenen Broschüre ist nicht hoch genug einzuschätzen.

Rigorose Aufklärung des Corona-Skandals tut Not

Schließlich haben sich die an höchster Stelle verantwortlich gewesenen Personen für die in Kritik stehenden Corona-Maßnahmen entweder leise vom Acker gemacht, oder sie hoffen, dass Gras über ihre Fehlleistungen und Schandtaten wächst. Dass diese Gefahr tatsächlich besteht ist nicht aus der Luft gegriffen. Wir wissen aus Erfahrung vom Umgang mit anderen Skandalen wie vergesslich unsere Gesellschaft ist. Zumal es ja hierzulande auch längst so gut wie keinen Journalismus mehr gibt, welcher im Sinne der Vierten Macht agiert.

Rigorose Aufklärung des Corona-Skandals tut Not. Bedenklich, dass es bislang nicht gelungen ist einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss zu schaffen.

Wo sollte auch die Mehrheit dafür herkommen? Schließlich waren fast alle politischen Kräfte involviert und haben sich schuldig gemacht. Auch die Kirchen und die Gewerkschaften haben schändlich versagt. Journalist und ZDF-Urgestein Peter Hahne ist empört und sagte in einer BILD-Sendung vor allem betreffs der unwürdigen Behandlung von Kindern und Alten in der Corona-Zeit: „Ich will Handschellen klicken hören.“

Am Rande: Neulich hörte ich im Radio ein Schwimmlehrerin über die Corona-Zeit und ihre Arbeit sprechen. Da sagte sie, dass es bei Notfällen, Kinder betreffend, angezeigt sei, keine Herzdruckmassage zu machen, sondern die Mund-zu-Mund-Beatmung anzuwenden. Seit Corona gebe es aber eine Richtlinie, die es in solchen Fällen den Helfern zubillige eine Mund-zu-Mund-Beatmung zu unterlassen, wenn sie den Verdacht hätten, das Kind könnte mit Covid infiziert sein. Die Schwimmlehrerin: Die Richtlinie sei nach wie vor in Kraft.

Pandemie-Planspiele

Wir müssen von einem weltweiten Skandal sprechen. Musste es nicht schon irritieren, dass quasi alle Länder das selbe Corona-Bekämpfungsregime umsetzten? Manche härter – darunter Deutschland, Österreich und Italien, andre etwas gebremster, wie z.B. Schweden und Bulgarien.

Und hätte es nicht stutzig machen müssen, dass bereits in früheren Jahren vor der Pandemie Planspiele stattgefunden hatten? «Hochrangige Vertreter der G7-Staaten haben mehrfach mit der Johns-Hopkins-Universität, Bill & Melinda-Gates-Stiftung, Rockefeller Foundation, Open-Society-Foundation von Georges Soros und dem Weltwirtschaftsforum Szenarien durchgespielt, die der Vorbereitung auf eine Pandemie dienen sollten.« (S.8)

Klaus-Dieter Rückauer: «Das letzte Szenario (Event 201) fand im Oktober 2019 statt; hier wurde eine Pandemie mit Corona-Viren durchgespielt. „201“ im Titel bezieht sich darauf, dass diese Pandemie im Januar beginnen würde. Und seltsam: sie begann ganz zufällig im Januar 2020, und das auch noch mit Corona-Viren …«

Rückauers Hinweis: «Paul Schreyer beschreibt diese vor der Öffentlichkeit verborgen gehaltenen Vorgänge detailliert seinem Buch „Chronik einer angekündigten Krise“.«

Ich empfehle meinen Leserinnen und Lesern Paul Schreyers Buch wärmstens! Hier finden Sie meine Rezension zum Buch.

Im Hinterkopf behalten: Pandemie-Definition 2009 abgeschwächt

Bedenken und im Hinterkopf behalten sollten wir auch, dass die WHO-Kriterien für eine Pandemie 2009 geändert wurden. Im April 2009 hat die WHO die Definition der Pandemie abgeschwächt und die Passage, in der eine „beträchtliche Zahl von Toten“ vorausgesetzt wird, weggelassen.

Die Vermutung liegt nahe, dass in der Corona-Krise und betreffs der Durchsetzung von Corona-Maßnahmen auch mit psychologischen Operationen gearbeitet worden ist

Klaus-Dieter Rückauer nimmt etwa auch Bezug auf Noam Chomsky, der 10 Strategien der Manipulation definiert hat:

«Gut erkennbar, wurden (und werden bis heute) mindestens diese angewandt, v.a. 6 und 9:

2. Erzeuge Probleme und liefere die Lösung

3. Stufe Änderungen ab (Salami-Taktik)

4. Aufschub von Änderungen

6. Reflexionen durch Emotionen ersetzen

9. Wandle Widerstand in schlechtes Gewissen um.

All dies hat zu einer tiefen Spaltung der Gesellschaft geführt.

Ständig wurde eine Ausnahmezustand behauptet – worin bestand er eigentlich? Hat irgendwann mal irgendjemand überzeugend erklärt und begründet, worin das Exzeptionelle dieser Infektion bestehen soll, aus dem sich die ganz außergewöhnlichen und unmäßigen Restriktionen bis hin zur Aufhebung von Grundrechten auch nur halbwegs rechtfertigen ließen?« (S.19)

Das Skandalöse wird allein schon in Form von aufgezählten Stichpunkten deutlich und gibt zur heftigen Entrüstung über die Maßen Anlass:

«Klaus-Dieter Rückauer schreibt über die Untauglichkeit der PCR-Tests und Masken, Doppelstandards und Geheimverträge, Denunziationsermunterungen, traumatisierte Kinder und das Gefahrenpotential von mRNA-Impfstoffen. Zugleich warnt er vor der Gefahr einer Wiederholung auf dem Hintergrund der geplanten Machterweiterung der Weltgesundheitsorganisation (WHO).«

Es ist in der Tat zum Aus-der-Haut-fahren, noch einmal zusammengetragen zu erfahren, was Menschen in Verlaufe von drei Jahren angetan wurde! Von wegen: Die Würde des Menschen ist unantastbar.

Der pad-Verlag schreibt: «In der vorliegenden detaillierten Analyse des „Hygiene“-Krieges gegen die eigene Bevölkerung prangert der Freiburger Kinderchirurg und Medizinprofessor die gigantischen Fehler, Versäumnisse, Lügen und Übergrifflichkeiten der Corona-Politiker, ihrer Meinungsmacher und Mitläufer an.«

Weiter: «Er analysiert und kritisiert die Angst- und Zensurkampagnen, beleuchtet die psychologischen Hintergründe. Die Arbeit ist ein wichtiger Beitrag zur bislang verweigerten parlamentarischen Untersuchung und fehlenden Bereitschaft zur Aufarbeitung der Fehler, der einseitigen Experten-Technokratie und der maßlosen autoritären Übergriffe einer fehlgeleiteten Politik, einer gewissenlosen Pharma-Lobby, einer schlecht informierten und verantwortungsscheuen Ärzteschaft.

Rückauer analysiert und kritisiert die Angst- und Zensurkampagnen, beleuchtet die psychologischen Hintergründe.

Und er fordert eine sorgfältige, ehrliche und umfassende Aufarbeitung und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Gerade für die „Verantwortlichen in Politik und Ärzteschaft“, die millionenfach sehenden Auges gegen den „Nürnberger Kodex“ verstoßen haben, „müsste es einen Prozess wie den damaligen von Nürnberg“ geben. Die politischen Hintergründe zu damals seien zwar verschieden, „aber der Verstoß gegen ethische Prinzipien und das Verbot von Menschenversuchen sind eindeutig.“«

Was Rückauer vor allem meint und juristisch geahndet sehen möchte: Die Verletzung des elementaren Grundsatzes des Hippokratischen Eides der Ärzte „Primum non nocere“. Was übersetzt betreffend der Behandlung von Patienten bedeutet: „Zuerst einmal nicht schaden“

Das vollständige Zitat lautet „primum non nocere, secundum cavere, tertium sanare“ – übersetzt: „Erstens nicht schaden, zweitens vorsichtig sein, drittens heilen“.«

Was bleibt zu sagen? Unbedingte Leseempfehlung!

INHALT: Tests / Politik / Wissenschaft / Medien / Masken / Lockdown / Zahlen / Impfung / Pathologie / Gesellschaft / Juristen / Ärzteschaft / Über den Autor *Staffelpreis bei Direktbestellung ab 5 Expl.: 5.–€ / St.

pad-Verlag – Am Schlehdorn 6 – 59192 Bergkamen / pad-Verlag@gmx.net

Aus der Schriftenreihe des Forum Gesellschaft und Politik e.V.

Redaktion: Thomas Kubo & Peter Rath-Sangkhakorn

Die vorliegende Veröffentlichung erscheint in Zusammenarbeit mitInitiative für eine evidenzbasierte Corona-Information“ (ICI)

Über den Autor

Prof. Dr. Klaus-Dieter Rückauer wurde in Stuttgart geboren. Er ist Facharzt für Chirurgie und Kinderchirurgie mit weiteren Qualifikationen u.a. in Viszeralchirurgie und Chirurgischer Intensivmedizin. Er war Leiter der Kinderchirurgie am Universitätsklinikum Freiburg.

Durch die Erfahrungen als Assistentensprecher, im Fakultätsrat und Personalrat des Klinikums sowie die ehrenamtliche Mitarbeit in der Ärztekammer über mehr als zwei Jahrzehnte gewann er vielfältige Einblicke in die strukturellen und personellen Bedingungen ärztlicher und pflegerischer Tätigkeit.

In der Auseinandersetzung mit den dabei erlebten Problemen entwickelten sich die Überlegungen, die Anlass zu seinem Buch „Heilen oder Managen: Wandel in der Medizin“ (2021) gaben.

Seine Erfahrungen als Arzt veröffentlichte er 2023 in „Staunendes Erinnern: Aus einem Chirurgenleben“. Vier Jahrzehnte beruflichen Umgangs mit Menschen bieten eine Vielzahl von Erlebnissen unterschiedlichster Art, in denen Charakter anschaulich zum Ausdruck kommen. Dies besonders, weil durch Krankheiten Wesensmerkmale einer Persönlichkeit akzentuiert werden. In der Begegnung mit Menschen, die sich in einer Ausnahmesituation – oft genug mit existenzieller Bedrohung – befinden, kommt Außergewöhnliches zutage. Und auch im scheinbar Alltäglichen können bemerkenswerte und bedenkenswerte Geschehnisse Anlass zu Staunen und Besinnlichkeit sein.

Anlass der vorliegenden Ausarbeitung „Legenden und Wahrheit“ war seine einsame Position zur Sichtweise auf Corona in der Ärztekammer, deren Mitgliedern er seine Ausarbeitung weitergeleitet hat. Sie ist in weiten Teilen auch eine Anklageschrift gegen einen Medizin-Betrieb, der sich untertänig gläubig anpasst und dessen ethische Orientierung zur Monetik verkommen ist.

»LETHE. Vom Vergessen des Totalitären« Politische Essays 2021 – 2022 von Jan David Zimmermann. Rezension

In den Jahren, in denen wir in die Corona-Zeit hineingerutscht wurden, ist uns schier Unfassbares geschehen. Was ist uns nicht alles zugemutet wurde. Hand aufs Herz: Wer von uns hätte sich derlei zuvor ausmalen können? Eine dunkle Wolke schwebte fortan über unseren Köpfen.

Ängste befielen, begleiteten uns

Welche Angst war stärker: die vor einem gewiss existierenden Virus, oder die Angst vor den Maßnahmen, welche uns tagtäglich – als wie irr- und widersinnig sie sich auch herausstellen mochten – von Politik und ihr nachplappernden Medien übergeholfen – befohlen – wurden, um uns angeblich vor diesem Virus und dessen Weitergabe an andere zu schützen?

Der geschätzte Kognitionsforscher Rainer Mausfeld („Warum schweigen die Lämmer?“) schätzte kürzlich in der Diskussionsrunde nach einem seiner Vorträge ein: „Um Gesundheit ging es nicht.“

Ist nun alles wieder in Ordnung? Mitnichten!

Nun,wo die Corona-Pandemie (als Pandemie konnte sie nur eingestuft werden, weil 2009 die Kriterien dafür geändert worden waren) sozusagen vorbei ist, können wir doch wohl nicht einfach so weiterleben wie vor ihr – oder? Zwar stellen sich nun immer mehr Bedenken, die etwa betreffs der mRNA-Impfungen, von einstmals anerkannten Experten schon früh geäußert worden waren als richtig heraus – weswegen sie plötzlich als Schwurbler und Verschwörungstheoretiker diffamiert worden waren – als richtig heraus. Inzwischen wird nun auch in den Mainstream-Medien über Impfschäden berichtet. Aber ist nun alle wieder in Ordnung? Mitnichten!

Schließlich hatte man unsere Grundrechte eingeschränkt. Verstöße gegen Corona-Maßnahmen sind mit Geldstrafen bedacht worden. In Slowenien werden übrigens diese Strafgelder inzwischen wieder zurückgezahlt. Bei uns geschieht nichts dergleichen.

Unsere Gesellschaft ist tief gespalten (worden)

«Machen wir uns doch nichts vor: Unsere Gesellschaft ist tief gespalten (worden)«, schrieb ich in meiner Rezension zu „Autor*innen- Kollektiv: COVID-19 INS VERHÄLTNIS SETZEN. Alternativen zu Lockdown und Laufenlassen #coronaaussoehnung“: «Nicht zuletzt verstärkt durch die rasante Implementierung des unsere Gesellschaften zerstörenden Neoliberalismus. Die Schere zwischen Arm und Reich klafft besorgniserregend auseinander. Doch damit nicht genug. Seit anderthalb Jahren gibt uns die Corona-Krise sozusagen den Rest. Es zeichnet sich nach dieser düsteren Zeit, in welcher auch die Demokratie beschädigt wurde, indem unsere verbrieften Grundrechte unverhältnismäßig eingeschränkt worden sind, ab, dass das Virus allein diese Spaltung nicht verursacht hat, sondern vielmehr die dagegen ergriffenen Maßnahmen dafür verantwortlich sind. Eine Aussöhnung der in der Corona-Krise Verstrittenen wird notwendig werden.«

Corona wirkte wie ein Brennglas

Wenn man das überhaupt so sagen kann, hat die Corona-Krise immerhin ein „Gutes“ gehabt: Sie hat unserer Gesellschaft, unserer Gesellschaftsordnung die imaginär vorhandene Maske (die man uns ironischerweise in Form eines Mund-Nasenschutz-Masken auch noch physisch verordnete) vom Gesicht gerissen. Alles was nicht stimmt in unserer Gesellschaft wurde krass offenbar. Der König stand nackt da. Corona wirkte wie ein Brennglas, durch welches sichtbar wurde, was alles nicht stimmt mit und bei uns. Selbst das vergessen geglaubte Blockwartwesen erstand erschreckender Weise wieder auf.

Wir sind in den Fluss Lethe gestiegen“, den Fluss des Vergessens

Jan David Zimmermann, Schriftsteller, akademisch ausgebildeter Wissenschaftsphilosoph und Wissenschaftshistoriker aus Wien, schreibt in seiner „Einleitung: Der Fluss des Vergessens“ zu seinem Buch „Lethe. Vom Vergessen des Totalitären“ – Politische Essays 2021-2022“: „Wir sind in den Fluss Lethe gestiegen und haben trotz einer sprachlichen Erinnerungskultur, trotz sprachlicher Achtsamkeit in vielen Belangen, trotz einer immensen Akademiesierung vergessen, was das Totalitäre ausmacht und wie wir es erkennen (können), wenn es mit anderen Vorzeichen auftritt und wie es sich Schritt für Schritt etabliert.“

Eine Erklärung zum Buch: „Der Fluss Lethe wird in der griechischen Mythologie als Fluss des Vergessens bezeichnet. Wer sein Wasser kostet oder in ihm badet, der verliert die Erinnerung.

Genau dies ist mit uns als Gesellschaften in den letzten Jahren während Corona passiert. Die meisten in der Gesellschaft haben vergessen, wie das Totalitäre aussieht, nur weil es in einem neuen Gewand wiederkam. Haben vergessen, wie es sich in der Sprache manifestiert und sie vereinfacht, sie verengt, sie radikalisiert. Wie die Sprache dabei eskaliert. Und wie es funktioniert, Menschen gegeneinander aufzustacheln.

Das Erschreckende daran ist, dass wir ja seit Jahrzehnten eine breite Erinnerungskultur besitzen, was Totalitarismen betrifft, dass wir jahrelange Debatten und Diskussionen um Antidiskriminierung, Sprachsensibilität, Formen der Ausgrenzung, Mobbing und dergleichen geführt haben. Es hat alles nichts gebracht.

Die meisten von uns haben vom Wasser der Lethe gekostet und die eigenen moralischen Wertvorstellungen, die Kritikfähigkeit und vielfach auch ihre Menschlichkeit vergessen.

Die Politik hatte mit einem Mal kein Korrektiv mehr, sondern wurde vom Großteil der Kunst- und Kulturszene, der etablierten Medien, der Universitäten und Akademien und großen Teilen der Bevölkerung unterstützt.“ […]

Die Motivation Zimmermanns das Buch zu verfassen: Das „Gelernte“ in der Corona-Krise unmissverständlich auf die Gegenwart anwenden

Jan David Zimmermann schreibt über seine Motivation das Buch „Lethe“ zu verfassen: Ihm sei klar gewesen, «dass ich das „Gelernte“ in der Zeit der Corona-Krise unmissverständlich auf die Gegenwart anwenden muss, sonst war all das Lernen, all die kritische Lektüre, all das Bücher-Wälzen umsonst, sonst reihe ich mich ein in die Riege jener, die sich vor der dreckigen Praxis fürchten. Am Ende zählt, die Theorie zum notwendigen Zeitpunkt zur (Denk-)Praxis werden zu lassen; ein Lackmustest der schonungslosen Art.«

Schlüsseltexte des Autors, die zuvor in anderen Medien erschienen sind

In Zimmermanns Buch sind Schlüsseltexte, von Juni 2021 bis November 2022 auf seinem Blog „Megamaschine“, in der Berliner Zeitung und im Stichpunkt Magazin erschienen sind. Zimmermann: „So wie sich die gesellschaftliche Lage immer weiter zuspitzte, so reagierte auch ich immer stärker mit spitzer Feder auf die mich fassungslos machenden Entwicklungen. Es sind dies Zeitdokumente, auf die ich selbst in Zukunft noch häufig zurückgreifen werde, und als solches ist auch dieses Buch als Gesamtes zu bewerten.“

Ein wichtiges Buch mit klugen Texten! Jeder sollte es lesen. Weil es ein Zeitdokument ist. Denn wie gesagt: Wir sind vergesslich. Steigen wir nicht in den Fluss Lethe!

Hervorzuheben und nicht hoch genug muss gelobt und anerkannt werden, dass sich der Autor besonders mit Sprachkritik und Wissenschaftskritik sowie mit Geschichte und Macht befasst hat. Vielleicht haben die Menschen wieder vergessen oder verdrängt welche verbalen Entgleisungen es bei Politikern und Journalisten während der düsteren Corona-Zeit gegeben hat.

Dem Rezensenten zeigte es alarmierend, wie hauchdünn der Firnis ist, welcher sich über unserer Zivilisation befindet. Und auch, dass unsere Demokratie offenbar nicht mehr als eine Friede-Freude-Eierkuchen-Veranstaltung ist, die sofort Risse bekommt und abzukippen droht, wenn sie in kniffliger Zeit doch dringend gebraucht würde. In Fensterreden wird Demokratie oft im Mund geführt. In der Corona-Zeit wurde sie samt Grundrechten mit Füßen getreten. Selbst die Opposition – zumindest in Deutschland – schwieg weitgehend, sprang denen die Hilfe gebraucht hätten nicht bei.

Eine Demokratie-Krise existiert bereits Des Längeren

Aber die Demokratiekrise gibt es nicht erst seit Corona so, sondern vor langer Zeit hatte das bereits Colin Crouch erkannt, der von einer Postdemokratie sprach. Crouch meinte damit ein politisches System, dessen demokratische Institutionen zwar weiterhin formal existieren, das von Bürgern und Politikern aber nicht länger mit Leben gefüllt wird.

Ebenfalls vor Corona und nach der frühen Einschätzung von Crouch hatten wir es längst mit einer Fassadendemokratie (ähnlich Potemkinschen Dörfern), die nur noch den Anschein gibt, es sei alles in bester Ordnung. Interessant dazu der Band «Megamanipulation – Ideologische Konditionierung in der Fassadendemokratie«, welchen Ullrich Mies herausgegeben hat.

Eine Betrachtung der Sprache der Krise“

Die hervorragenden Texte von Jan David Zimmermann befassen sich nicht mit konkrete Argumenten z.B. für oder gegen Impfungen, sondern dem Autor ging es in erster Linie darum, wie in der Corona-Zeit mit Sprache umgegangen wurde. Wie die Sprache eskaliert ist, wie politisch und medial mit Sprache verfahren, wie Argumente strukturiert und wie mit Sprache Handlungen vollzogen oder Handlungen unterbunden wurde. (S.9)

Der Autor hat nicht mehr aber eben auch nicht weniger geleistet als: „Eine Betrachtung der Sprache der Krise.“

Und weiter: «Das kritische „Wehret den Anfängen gilt nicht nur den gesellschaftlichen Phänomenen, sondern gerade auf für die Art und Weise, wie wir mit Sprache umgehen, welche Metaphern wir verwenden, welche Wörter wir gebrauchen aus der Politik entnehmen und welche Argumente wir übernehmen.

Denn die Kräfte, die sich mit Sprache auseinandersetzen (Literatur, Philosophie, Kunst) haben sich viel auch damit beschäftigt, was die Sprache einleiten kann, wo sie hinführen kann, was sie anzeigt, was sie antizipiert: Wie wir miteinander oder übereinander sprechen, welche Begriffe wir verwenden, welche Beziehungen wir für unsere Freunde, insbesondere aber für unsere Feinde verwenden.«

Angeblich progressive Kräfte, die Warner der Spracheskalation haben versagt

Jan David Zimmermann erinnert daran, dass eine so verstandene Sprachkritik jahrzehntelang eine „selbstauferlegte Aufgabe der Literatur gewesen war. Und zu Recht sei die „eskalierende Sprache der Rechtspopulisten“ kritisiert worden.

Betreffs Corona stellt Zimmermann fest, dass „diese angebliche progressiven Kräfte, die Warner der Spracheskalation, jedoch kläglich versagt“ hätten. Ernüchtert bescheinigt der Autor: „Renommierte Koryphäen der österreichischen und deutschen Literatur haben den Lackmustest eben nicht bestanden.“ Ehrlich erschüttert habe den Autor: «Sie haben die entgleiste Sprache nicht thematisiert, sie nicht benannt und gerade nicht das selbst auferlegte „Wehret den Anfängen“ ernst genommen“ […]

Ebenso enthalten im Buch sind Zimmermanns wissenschaftskritische Blog-Texte. Darin sei es ihm um eine Kritik daran gegangen, „wie wir in Politik, Medien oder überhaupt in der Gesellschaft über Wissenschaft sprechen“.

Geschichtsvergessenheit, Angst, Apokalypse und Ausnahmezustand, Wissenschaftsmissbrauch

Weiters behandelt der Autor Geschichtsvergessenheit und Zeitlosigkeit (S.11) sowie aber darauf folgenden Seite die Angst: „Leider ist der erste banale, aber fundamentale Grund für das Vergessen des Totalitären: Angst. Die Angst um das eigene Leben, die Angst um das Leben anderer Menschen.“

Angst, gesteht der Autor zu, sei zwar in vielen Momenten nachvollziehbar und temporär „durchaus hilfreich“. Sie könne jedoch „weder ein Erkenntnis- noch ein Lebensprinzip darstellen“.

Problematisch allerdings sei, dass sich insbesondere Deutschland und Österreich aber seit Anfang 2020 bezüglich Angst und Panik in einen Ausnahmezustand befänden. In diese Angst hätten sich Menschen eingenistet und vergraben. Weiter trügen bestimmte Menschen zuweilen in öffentlichen Verkehrsmitteln Masken, ließen sich testen und liefen im Freien mit der FFP2-Maske herum.

Angst folgt auf Angst. Die Menschen kommen nicht zur Ruhe. Nun haben wir es mit dem Krieg in der Ukraine zu tun, „der tausende ukrainische und russische Todesopfer pro Tag fordert, der die Gesellschaften in Europa durcheinanderwirbelt, der die Bedrohung eine Atomschlags wieder real werden lässt“. (S.14)

Hinzu kommt die Energieproblematik. In „Apokalypse und Ausnahmezustand“ (S.15) befindet der Autor: „Der Zeithorizont, den wir vor uns haben, er ist wie der eine 90jährigen Greises: Man ist froh, wenn man noch ein paar Monate zu leben hat oder zumindest ein weiteres Jahr übersteht.“

In „Der Fluss und die Finsternis“ (S.17) gibt Zimmermann den Lesern zu Bedenken: „Obwohl wir so viele Beispiele aus der Vergangenheit haben, die uns als Mahnung bewusst waren und uns gezeigt haben, wie die Sprache eskaliert, wie Wissenschaft missbraucht wird, wie Medien mit Framing, Auslassung und Manipulation Propaganda betreiben und immer erst im Nachhinein die Skandale aufdecken, so ist dennoch das Vergessen über uns hereingebrochen wie eine ewige Nacht.“

«Covid hat eine sich lange abzeichnende Tendenz endgültig entfesselt, und letztlich sind die Themen egal, mit denen sich Autoritarismen durchsetzen (wollen) …«

Eine Einschätzung, die man unterschreiben kann: «Covid hat eine sich lange abzeichnende Tendenz endgültig entfesselt, und letztlich sind die Themen egal, mit denen sich Autoritarismen durchsetzen (wollen). Es wird schließlich darum gehen, ob man den angeblich „abgesicherten Werten“ entspricht: Also dem, was von den Herrschenden vorgegeben ist, und die definieren, ob man auch wirklich konform ist.“

Land in Sicht?“

Die Einleitung schließt ab mit „Land in Sicht?“. Zimmermann wünscht sich, „dass wir den Fluss Lethe verlassen haben, wenn dieses Buch in den Regalen steht, auch wenn ich weiß, dass es nicht von heute auf morgen passieren wird“. Er hofft, dass dann die Zeit großer Spracheskalationen vorbei sein wird, weiß aber, dass dies eher ein frommer Wunsch denn eine realistische Einschätzung der politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen ist.“

Wie richtig Jan David Zimmermann damit liegt, zeigen die derzeitigen Sprach- und andere Eskalationen plus unsäglicher Propaganda rund um die Ukraine-Kriegs-Problematik.

Zimmermann nimmt an, „dass das Jahr 2023 im Zeichen der Aufarbeitung stehen wird, aber die Vorkommnisse seit 2020 werden uns mit Sicherheit noch Jahrzehnte, womöglich Jahrhunderte beschäftigen.“ Der Mann ist Realist und alles andere als ein Träumer.

Auch bezüglich dessen muss Zimmermann unbedingt zugestimmt werden: „Wir sind in einer Umbruchzeit, Corona war eine tiefe Zäsur. Die Gesellschaft ist zerrüttet, traumatisiert und gespalten. Aber Vieles ist nun offenkundig geworden, scheint jedoch roh und überdeutlich in seiner entfleischten Blöße vor uns zu liegen. Wenn wir aber nicht hinsehen, wenn wir nicht schonungslos hinsehen, wird uns das noch teurer zu stehen kommen, als es ohnehin schon geschehen ist.“

Das walte Hugo!

Wichtige Institutionen sind allesamt am Ende. Umdenken nötig

Ebenfalls ist jenes zu unterschreiben. „Die Institutionen verschiedenster Art (künstlerisch, medial, politisch, wissenschaftlich, schulisch usw.) sind allesamt am Ende.“

In vielen, wenn nicht gar in allen Bereichen müssten wir völlig umdenken, meint Zimmermann völlig zu Recht.

Und schließt seine Einleitung im Jänner 2023 so: „Erst dann ist eine Krise vielleicht auch wirklich eine Chance und nicht nur politisches Gerede zur Verschleierung der eigenen Verfehlungen.“

Der Schriftsteller, Journalist und Wissenschaftsforscher Jan David Zimmermann (Foto unten: @Jan D. Zimmermann, Freier Autor), versammelt in chronologischer Reihenfolge seine wichtigsten Textbeiträge, von Sprachliche Eskalation über Raum und Ausgrenzung bis hin zum Offenen Brief an die Organisatoren des Bachmann-Preises.

Absolute, unbedingte Leseempfehlung

Ein Sachbuch, dass m.E. in jedes Bücherregal gehört. Haben wir doch alle die düstere Corona-Zeit durchlitten. Ein Buch, das dringend hat geschrieben werden müssen. Jan David Zimmermann hat es getan. Dafür gebührt ihm Dank. Es ist ein Zeitdokument, das auch in Jahren nach Bestand haben dürfte und dementsprechend rezipiert werden wird. Absolute, unbedingte Leseempfehlung!

Steigen wir nicht in den Fluss Lethe! Oder – wenn schon geschehen: hüpfen wir rasch wieder hinaus aufs Trockene und richten uns auf. So schmerzlich es auch ist: Wir dürfen nicht vergessen, was war. Der Demokratie willen und den künftigen Generationen wegen zur Mahnung, dass nicht wieder geschehe, was geschehen ist. Was wir in großer Zahl geschehen ließen!

»LETHE. Vom Vergessen des Totalitären« Politische Essays 2021 – 2022 von Jan David Zimmermann

Preise inkl. MwSt. zzgl. Versandkosten

Varianten

Hardcover

Paperback

Paperback: 16,99 €

Hardcover:

21,99 €

Erschienen bei ars-vobiscum.media

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Sisyphos lässt grüßen. Die Leiden der Linken und das Leiden an der LINKEN. Von Ekkehard Lieberam. Rezension

Die Gründung der Partei DIE LINKE 2007 ließ Hoffnung aufflammen. Das war auch einmal bei der PDS nach einer längeren Durststrecke der Fall gewesen. Zuletzt aber war die PDS jedoch – wie soll man sagen nach einigen Erfolgen aus vielerlei Gründen: abgesandelt. Dann taten sich in der neu gegründeten DIE LINKE engagierte Linke aus PDS, SPD und den Gewerkschaften, vereint und entschlossen gegen die Agenda 2010 zusammen, um den «Stein« einer kämpferischen linken Partei – dabei gegen den Sozialabbau der Schröder-Fischer-Regierung anrennend – den Berg hinan zu rollen. Unterdessen rollt er längst wieder nach unten.

Ekkehard Lieberam hat „Das Leiden der Linken und Leiden an der LINKEN akribisch über viele Jahre verfolgt und akribisch analysiert

Zur anschaulichen Verdeutlichung hat Ekkehard Lieberam, angelehnt an die Legende vom altgriechischen tragischen Helden Sisyphos, für seine Broschüre den Titel „Sisyphos lässt grüßen“ gewählt. Darin er „Das Leiden der Linken und das Leiden an der LINKEN“ akribisch analysiert hat. Lieberam will uns die Analogie aufzeigen „zwischen der Geschichte linker Parteien im kapitalistischen Deutschland und der Legende vom altgriechischen tragischen Helden Sisyphus“. Lieberam: „Sisyphos befördert einen großen Stein den Berg hinauf. Der Stein rollte zurück. Er rollt ihn wieder den Berg hinauf. Und wieder rollt er zurück. Ähnliches geschieht im Parteien- und Parlamentssystem mit linken systemoppositionellen Parteien.“

Abschreckendes Beispiel: Die Grünen

Was nichts Neues ist. Auch in Zeiten der BRD nicht. Wir hatten Zeit das an den Grünen zu studieren. Wobei unterdessen die Frage aufscheint, ob diese Partei überhaupt jemals links gewesen war. Immerhin mischte sie, wie es auch in der Broschüre heißt, seinerzeit das politische System Westdeutschland gehörig auf. Was den Altparteien, die ja trotzdem sie – deutlich unterschiedliche Interesse und Wähler mehr oder weniger gut vertraten als das heute in der parteipolitisch-ideologischen Einheitssoße der Fall ist – ansonsten jedoch in einem gewissen gesellschaftlichen Konsens agierten, ganz und gar nicht schmeckte.

Was letztlich dazu führte, dass die Grünen vom System „rundgelutscht“ (wie es ein Dortmunder Professor einmal auf einem Friedensratschlag in Kassel nannte) wurden. Die Grünen selbst zudem gingen daran, einen „Marsch durch die Institutionen“ anzutreten“.

Eine „1967 von Rudi Dutschke artikulierte Methode , die eine langfristige politisch-strategische Perspektive der damals noch hauptsächlich studentisch geprägten Protestbewegung in einem inhaltlich linkssozialistisch gemeinten Sinn, den später ideologisch zunehmend heterogenen Konzepten der sogenannten Neuen Linken folgend, anmahnte“. (Quelle: Wikipedia)

Der von den Grünen gegangene Weg im weiterem Verlauf dürfte allerdings wohl kaum den Beifall von Rudi Dutschke gefunden haben. Denn dieser Weg war ein gefährlicher Holzweg, den die Grünen beschritten und der sie von Joschka Fischer angeführt (doppeldeutig) in den Jugoslawien-Krieg und abermaligen Bombardierung Belgrads durch eine deutsche Armee und zu Olivgrünen mutieren ließ.

Und mit Regierungsämtern und Staatssekretärposten mit (ver)lockendem Salär lässt sich manche/r still stellen.

Wer diese verhängnisvolle Entwicklung der Grünen verfolgt hat, mussten ob des Weges der Partei DIE LINKE eigentlich etliche rote Alarmlampen aufgeleuchtet haben.

Wollte man das diese nicht sehen? DIE LINKE hat inzwischen längst gewisse Programmierungen aus der Zeit ihrer Gründung 2007 sowie beim Erfurter Parteitag 2011 aufgegeben. Bemäntelt wurde das so: „Seitdem hat sich die Welt weitergedreht.“

Ekkehard Lieberam hat diese Entwicklung genau verfolgt und einige Schriften dazu verfasst. Aus ihnen ist zu erfahren warum DIE LINKE gewisse Drehungen vollzogen hat.

Man lutschte sich quasi selbst rund und zurecht, um besser dem parlamentarischen Politikbetrieb zu entsprechen. Die Medien lutschten wieder fleißig mit – wie weiland bei den Grünen.

Man machte Anstalten sich der NATO-Politik anzunähern. „Selbst die NATO-Mitgliedschaft sollte hingenommen werden, wenn irgend wann damit eine Regierungsbeteiligung im Bund erreicht werden kann (so ihr Bundestags-Fraktionschef Dietmar Bartsch Ende 2019).“ Auch gegenüber Russland und China verhärtete sich DIE LINKE. Erst recht nach dem Einmarsch der russischen Armee in die Ukraine.

Erschreckend, ist ebenfalls, was Bodo Ramelow, Ministerpräsident von Thüringen kürzlich in einem FAZ-Interview äußerte: „Putin hat vollzogen, was Hitler nicht geschafft hat.“ Der Westexport der Linkspartei, der sich auch als Christ begreift. Ein Linker? Der Ramelow-Sager geschah allerdings erst in diesem Jahr, somit erst nach dem Erscheinen der zweiten Auflage dieser Lieberam-Schrift.

Akute Existenzkrise der Partei

Grund für deren Erscheinen sind die bedenklichen „Entwicklungen der Linkspartei im Zeichen der Anpassung an die Außenpolitik der Ampel und einer akuten Existenzkrise der Partei“, wie es eingangs der zweiten Auflage heißt.

Nicht zu vernachlässigen ist dieser Aspekt ist: „Wichtig für das Voranschreiten der Anpassung in der LINKEN war die Ausschaltung von Sahra Wagenknecht als Franktionsvorsitzende im Bundestag nach zwei Jahren Mobbing.“ (S.39)

Es ist die Rede von einer Kluft zwischen einer Tagespolitik, die sich aufs Mitregieren orientiert und sich dabei immer mehr der der regierenden Parteien im Bund annähert, und einer Programmatik, die die Partei als kämpferische systemoppositionelle Partei der Lohnabhängigen und aller Prekarisierten gegen das Kapital versteht, tritt diese Krise allerdings schon seit einiger Zeit in Erscheinung. Zu bewältigen ist sie nunmehr nicht mehr.“

Und weiter: „Mit der Bundestagswahl 2021, dem Erfurter Parteitag im Juni 2022 und der anhaltenden Zereißprobe um die Bundestagsrede von Sahra Wagenknecht am 8. September 2022 ist ein «point of no return« überschritten. Die entgegen gesetzten Positionen zum Sanktionswahnsinn gegenüber Russland, zu den Waffenlieferungen an die Ukraine und überhaupt zur NATO unter Funktionsträgern und in der Mitgliedschaft sind unvereinbar geworden. Die Fähigkeit der Parteiführung zur Erneuerung ist dahin.“

Als sich die Delegierten anlässlich des 8.Parteitags der am 16.Juni 2007 gegründeten Linkspartei vom 24. bis 26. Juni 2022 versammelt hatten, wollte Festredner Gregor Gysi ein «rechter Glückwunsch« zum Geburtstag nicht einfallen. Im Gegenteil: Er sah die Partei in einer «existentiellen Krise«. „Es gehe um «Rettung oder «Versinken in der Bedeutungslosigkeit«.

Rechtsruck in der Partei

Als beängstigend empfindet Ekkehard Lieberam in der Broschüre (S.7), „dass der Parteitag den NATO-Freunden in der Linkspartei einen legitimen Platz in der Partei eingeräumt hat“. Kritik an USA, NATO sowie an der Sanktionspolitik gegenüber Russland und an den Waffenlieferungen an die Ukraine sei weiter abgeschwächt worden.

Es habe ein Rechtsruck stattgefunden: „Der rechte Flügel (um Bodo Ramelow, Benjamin Hoff, Katina Schubert und Wulf Gallert) meldete sich deutlicher als je zuvor zu Wort und er verstärkte seinen Einfluss auf den Kurs der Partei.“

Nach Wolfgang Abendroth entsteht mit dem politischen Erfolg der Partei in ihr eine «Sozialschicht« von «Berufspolitikern und Parteiangestellten«

Lieberam nach ist bei der Linkspartei nur das zu beobachten, „was zögerlich mit der SPD und dann zielstrebig unter den Bedingungen des Parteienstaates mit der PDS geschehen war: einem erfolgreichen Anlauf folgt eine existentielle Krise, die ihre wichtigste Ursache in einer Abkehr vom ursprünglichen politischen Kurs der Partei hat“.

Betreffs der Ursache verweist Ekkehard Lieberam in seiner Schrift mehrfach auf Wolfgang Abendroth, der das in der von ihm verfassten Geschichte der deutschen Sozialdemokratie aufgedeckt habe. Demnach entstehe mit dem politischen Erfolg der Partei in ihr eine «Sozialschicht« von «Berufspolitikern und Parteiangestellten«. Diese entwickle eigene Interessen, welche sich grundlegend von denen der Lohnarbeiter unterscheiden. Sie sei «Träger er Integrationsideologie« und beeinflusse in diesem Sinne ihre Mitglieder und bestimme immer mehr das politische Verhalten der Partei. Die Partei entwickle sich von einer Oppositionspartei zu einer Staatspartei. Lieberam: „Unweigerlich gerät sie in Konflikt mit ihren Wählern und vielen Parteiaktivisten.“

Im Kapitel „Der Thüringer Rechtsaußen-Putsch“ (S.23) lässt Lieberam abermals Wolfgang Abendroth mit drei interessanten Phänomenen zu Wort kommen (aus dem Interview «Ein Leben in der Arbeiterbewegung«):

« Neben denjenigen in der Partei, die für die Politik leben, treten diejenigen, die von der Partei leben. Das sind Tausende. Der Ausbau des Parteienstaates und die fortwährende Erhöhung, der finanziellen Mittel, die aus der Staatskasse in die Kassen der Partei fließen, erweitern und festigen diese Sozialschicht.

« Politische Intelligenz ist von den Vertretern dieser Sozialschicht, die Träger der Integrationsideologie und -praxis sind, nicht zu erwarten.

« Der Gegensatz zwischen den Interessen der Lohnarbeiter und den Kapitalinteressen bleibt in der SPD virulent, auch wenn sie zur systemkonformen Parteien geworden sind. Ihre Existenz als Partei hängt davon ab, dass ihre Selbstdarstellung als Vertreterin der Lohnabhängigen eine gewisse Glaubwürdigkeit behält.

Haben wir dies verinnerlicht, sollten wir uns Folgendes sozusagen auf der Zunge zergehen lassen:

Der Autor schreibt (S.38): „Die Linkspartei ist noch mehr als die PDS das Sprungbrett für eine berufliche Karriere:

„Etwa 2300 Abgeordnete, Partei,- Parlaments- und Stiftungsmitarbeiter leben heute von der Partei. Dazu kommen noch einige hundert, die als Beamte ihre Anstellung im Staat der Partei verdanken (Parteienstaat). Von den 44 Mitgliedern im Parteivorstand sind gut 70 Prozent Berufspolitiker; auf dem Leipziger Parteitag im Juni 2018 waren es 40 Prozent der Delegierten.“

Dazu kommen noch staatliche Zuwendungen an Mitteln für Wahlen.

Ist der neue Anlauf zu einer sozialistische Partei sinnvoll?

Der Autor betrachtet den neuen Anlauf zu einer sozialistischen Partei mit Massenanhang nur dann als sinnvoll, wenn diese ein Parteienkonzept vorsieht, das dem Integrationsdruck des parlamentarischen Systems zu widerstehen vermag. Er gibt zu bedenken: „Ohne eine marxistisch orientierte Programmatik und Politik wird das nichts.“ (S.13)

Wie aber eine Herausbildung einer «Sozialschicht« von Berufspolitiker zu verhindern wäre („wie die Begrenzung von Gehältern auf das Maß eines Facharbeiters“), schreibt der Autor nicht. Regeln sind gut und schön. Aber man kann sie halt brechen, gebe ich hier zu bedenken, wenn die Welt sich mal wieder weiterdreht.

Allerdings empfiehlt Lieberam Erfahrungen der Partei von der Arbeit in Belgien und der KPÖ in Graz (Österreich) daraufhin genauer auszuwerten.

Ob ein neuer Anlauf – anhand der wenig Hoffnung machenden – bisherigen Bemühungen und Drehungen der Linkspartei und mit (Rück-)Blick auf den schlimmen Holzweg der Grünen überhaupt lohnenswert bzw. zielführend ist betreffs einer Verwirklichung linker Politik ist bleibt äußerst fraglich.

Friedrich Wolff 2020: «Aber sind wir noch eine sozialistische Partei?

Schon 2020, lesen wir in dem Heft, habe Friedrich Wolff in der gesellschaftlichen Debatte der Linken angemerkt: «Aber sind wir noch eine sozialistische Partei? Nach unserem Programm sind wir das, unserer Tagespolitik merkt man es jedoch nicht an. Das ist unser Problem. Der Wähler erkennt unseren sozialistischen Charakter nicht mehr. Wir haben ihn versteckt. Das führt auf die Dauer zu unserem Untergang.« (S.26)

Wir schreiben unterdessen das Jahr 2023. Ist der sozialistische Charakter wieder aus dem Versteck heraus geholt worden?

Grund für Optimismus sieht Ekkehard Lieberam indes nicht.

Und dass, obwohl der globale Kapitalismus einer sich verschärfenden Krise der Kapitalverwertung gegenübersieht, der den globalen Kapitalismus in eine multiple politische Krise stürtzte. Weder hätten linke Politik noch linke Parteien davon profitieren können.

Außer die belgische Partei van der Arbeit. „Ganz im Gegenteil“: Die Linken zeichneten sich weltweit hauptsächlich durch «Zerfall und Konfusion» (Domenico Losurdo) aus. (S.47)

Im in der Broschüre veröffentlichten Einführungsstatement auf der Hamburger Strategie-Konferenz der Linken am 22.6.2019 schließt Lieberam so: „Wir dürfen uns nicht scheuen, die Regierenden immer wieder im Klartext anzuklagen: der Kumpanei mit Rüstungskonzernen, Kriegspolitikern und Kapitalinteressen. Hin und wieder müssen wir deshalb auch wie einst August Bebel mit Nagelschuhen über das politische Parkett zu gehen.“

Meine Frage: Ist das denn zu erwarten?

Nutzung der Linkspartei als «Operationsbasis« für linke Politik

Ekkehard Lieberam hat den Anpassungsprozess der Linkspartei seit vielen Jahren genau verfolgt. Er ist sicherlich kein Traumtänzer. Dennoch plädiert er im Sinne von Wolfgang Abendroth (hinsichtlich der SPD in den 1950er Jahren) für die Nutzung der Linkspartei als «Operationsbasis« für linke Politik.

„In den ausgewählten Texten dieser hier vorliegenden Artikelsammlung“, schreibt der pad-Verlag, „weicht er aber auch nicht der Frage aus, dass die abhängig Arbeitenden im 21. Jahrhundert eine Linkspartei brauchen werden, die tatsächlich diese verdient.“ Dem ist nicht zu widersprechen. Dass sie aber eine solche bekommen werden, daran bestehen m. E. erhebliche Zweifel.

Interessant ist Broschüre allemal. Denn sie enthält wichtige Analysen der Entwicklung der Linkspartei. Was aber fangen wir nun damit an? Und: wird sie von der Linkspartei selbst rezipiert und von selbiger zum Anlass genommen, die nötigen Schritte zu unternehmen? Schließlich habe es nach der letzten Bundestagswahl, wie Ekkehard Lieberam schreibt, zwar Stellungnahmen zu den Ursachen des schlechten Abschneidens der Linkspartei seitens der beiden Parteivorsitzenden gegeben, aber es sei „ein Verharren in Allgemeinplätzen nicht zu übersehen“ gewesen.

Das derzeitige Parteiensystem wurde von den Parteien trotz früher Warnung von Richard von Weizsäcker ruiniert

Überhaupt – wenn mir die Anmerkung erlaubt ist – betrachte ich das Parteiensystem, die Parteiendemokratie als letztlich von den Parteien selbst ruiniert. Im Grunde ist es gescheitert. Der einstige Bundespräsident Richard von Weizsäcker hatte seinerzeit bereits gewarnt;

«Der frühere Bundespräsident Richard von Weizsäcker hat den Einfluss der Parteien in Deutschland kritisiert. Statt „um die Lösung der Probleme zu ringen“, instrumentalisierten sie diese für ihren Machtkampf, sagte Weizsäcker der „Bild“-Zeitung«. (Quelle: Spiegel)

Dazu gehört auch die Art wie die Kandidatenlisten in Hinterzimmern oder wo und wie auch immer ausgekungelt werden. Dies halte ich für mehr als fragwürdig. Dabei macht auch die Linkspartei leider keine Ausnahme.

Es sollte – wie es etwa es der frühere SPD-Bundesabgeordnete Marco Bülow aus Dortmund (inzwischen aus der SPD ausgetreten) sieht – mehr Direkte Demokratie und Bürgerräte geben. Anbei zu Marco Bülow hier und hier.

Auch sollten, so finde ich jedenfalls, Abgeordnete in Abständen gegenüber ihren Wählern Rechenschaft über ihre Arbeit ablegen müssen. Und wenn sie darin offensichtlich versagt haben, sollten die Wähler sie abberufen können. So etwas ist meines Wissens sogar in der Republik Kuba möglich.

Ekkehard Lieberam
„Sisyphos läßt grüßen“
Die Leiden der Linken und das Leiden an der LINKEN
Bestellanschrift: pad-verlag@gmx.net, 6,00 Euro

Redaktion Thomas Kubo & Peter Rath-Sangkhakorn

Lebenslauf von Ekkehard Lieberam

Ekkehard Lieberam, 1937 geboren in Braunschweig, Mitglied der SJD-Die Falken und der SPD. Im März 1957 wegen Einberufung zur Bundeswehr Übersiedlung in die DDR. Bis 1962 Studium der Rechtswissenschaft in Leipzig. 1971 dort Dozent für Verfassungsrecht der BRD. 1978 Akademieprofessor für Staatstheorie und Verfassungsrecht in Berlin. Ab 1987 Hochschullehrer am Institut für Internationale Studien der Karl-Marx-Universität Leipzig. 1991-1999 Mitarbeiter bzw. Referent der PDS/Linke Liste im Deutschen Bundestag.

Quelle: Verlag / vlb

Anbei: Ein Interview, welches Peter Rath-Sangkhakorn 2016 mit Ekkehard Lieberam führte: „Was ist denn eigentlich bei der Linkspartei los“

Beitragsfoto: Carsten Weber  / pixelio.de

„Rauhnächte“ von Arno Luik. Rezension

Laut Destatis-Pressemitteilung Nr. N 007 vom 2. Februar 2023 ist Krebs mit einem Anteil von 8 % an allen Krankenhausaufenthalten weiterhin der vierthäufigste Behandlungsgrund.

Viele von uns hören davon und hin – dann aber auch schnell wieder weg. Man verdrängt es verständlicherweise. Man hofft, es erwischt einen nicht. Was aber, wenn man plötzlich selbst die Diagnose „Krebs“ erhält? Der Journalist Arno Luik hat ein Tagebuch vorgelegt.

„Gestern war ich noch mitten im Leben, heute bin ich draußen und mit dem konfrontiert, was wir alle wissen, die meisten irgendwie verdrängen. Doch für mich nicht mehr möglich ist, dieses Wissen auszublenden: dass wir alle sterben müssen. Das Mistviech in meinem Körper hämmert mir dieses Wissen ja ohne Unterlass in den Kopf: Ich hab‘ Dich im Griff! Und ich würde es gerne anbrüllen: Komm raus, Du blödes Viech! Ob Bestrahlung, Chemo es zermürben, erwürgen?“ Nach seiner Krebsdiagnose, die Bestseller-Autor Arno Luik im vergangenen Spätsommer bekam, macht er das, was er noch nie tat: Er schreibt ein Tagebuch. Er notiert seine Innenansichten, den Schrecken, die Albträume, seine Sehnsucht nach Leben – aber plötzlich geht es um viel mehr als das persönliche Drama: um diese zerrissene, malträtierte Welt. Die so schön sein könnte, wenn die Regierenden nicht …

Der diese Zeilen schrieb ist Arno Luik. Ihn hat das „blöde Viech“ erwischt. Luik ist 1955 geboren. Er war Reporter für Geo und den Berliner Tagesspiegel, Chefredakteur der taz, Vizechef der Münchner Abendzeitung und langjähriger Autor der Zeitschrift Stern. Zudem ist er ein ausgewiesener und gefragter Bahnexperte. Was er in seinem Sachbuch „Schaden in der Oberleitung“ (auch als Taschenbuch zu haben) unter Beweis stellte. Jean Ziegler über das Buch: «Ein faszinierender Wirtschaftskrimi von höchster Brisanz“.

Wie fühlt man sich also mit diesem Viech im Körper? Darmkrebs! Schmerzen hat er nicht. Als wenn alles normal – wie immer wäre. Ist es aber nicht. Luik: „Heute auf dem Weg ins Krankenhaus spricht mich ein Obdachloser an: «Hast `ne Zigarette?«. Nee. «Hast `n Joint?« Nee. «Solltest du aber haben.« Ich hab Krebs. «Würd ich auch mal gern essen!«

Man möchte lachen. Das Lachen aber bleibt einem auf halben Weg im Halse stecken.

«Die Nächte zwischen Weihnachten (25. Dezember) und dem Fest der Heiligen Drei Könige (6. Januar) sind die sogenannten 12 heiligen Nächte – je nach Region auch als Rau(h)nächte, Rauchnächte, Glöckelnächte, Innernächte bzw. Unternächte bezeichnet. Die Anzahl der Nächte ist regional sehr unterschiedlich und kann von drei bis zwölf Nächte betragen. Mancherorts wird auch die Thomasnacht (21. Dezember) zu den Rauhnächten gezählt.« […] (Auszug via Vivat! Magazin)

Daran angelehnt enthält Arno Luiks Buch „Rauhnächte“ ebenfalls zwölf Tagebucheinträge. Es beginnt mit Merkwürdige Zeiten

Aufgewacht in einer anderen Welt, denn …

plötzlich geschah etwas, mit dem ich nie gerechnet hatte – und doch immer Angst davor hatte. Wahrscheinlich auch Sie. (S.7)

Und es endet mit Merkwürdige Zeiten

Ein Nachtmahr zum Neuen Jahr, von …

dem ich so sehr hoffe, dass er nur ein vorübergehender Albtraum war (S.185)

Seiner Stimme, wenn er nach der Diagnose mit Freunden und Bekannten telefoniert, merkte man offenbar nichts an. Ein Freund sagte ihm am Telefon, du klingst so fröhlich. Luik: „Wenn ich mit Freunden und Bekannte telefoniere, agiere ich wie ein altes Zirkuspferd, das sich in die Manege schleppt, aber dort, wenn der Applaus kommt, die vertrauten Gerüche in die Nüstern steigen, losgaloppiert wie ein junges Fohlen.“

Als er aber mit einem Techniker wegen eines defekten Kochfelds spricht, habe er das Telefonat fast tränenerstickt abbrechen müssen.

Dann ruft der Arzt an. Man habe den Krebs früh erwischt. Es könne jedoch sich, dass der bösartige Krebs schon in die Leber austrahlt.

Arno Luik (S.12): „Wenn ich nicht wüsste, dass ich krank bin, wäre ich gesund – so fühle ich mich.“

Vor Bekannten auf der Straße versteckt er sich so gut er kann.

Am Abend des 20. September 2022 hätte er eine Videokonferenz gehabt, angefragt als Bahnexperte. Er sagt per Mail wegen der Erkrankung ab. Schon „Sekunden später kommt die Antwortmail: Macht nichts, wir haben einen Ersatz für Sie. Kein Wort des Mitgefühls. Noch nie habe ich so direkt erlebt, wie ersetzbar man ist. Wie überflüssig“, schreibt Arno Luik in sein Tagebuch. Nicht die letzte Ent-täuschung die er erleben muss.

Als Rentner war er froh, «keine blöden Konferenzen« mehr zu erleben zu müssen. Und nun hat er plötzlich am 22. September 2022 zur „allerblödesten“ Konferenz, zur Tumorkonferenz gemusst.

Russland ist in die Ukraine einmarschiert. Luik hat aufgeschrieben: „Ich hier mit meinem persönlichen Drama und da eine Ankündigung, die – fast absehbar – im ganz großen Drama enden kann.“

„Ergebnis dieser Tumorkonferenz: Der Krebs hat nicht in die anderen Organe ausgestrahlt. Ich komme wahrscheinlich, na, vielleicht an der gefährlichen OP vorbei!“

Aber Bestrahlung und Chemo sind angesagt. Immerhin, so versichert man ihm: die Haare wird er bei dieser Art der Chemo nicht verlieren. Eine Perücke braucht er also nicht. Arno hatte bereits darüber nachgedacht. Vielleicht eine, die an den Afro-Look von Angela Davis erinnert?

Hut ab, sagt man sich als Leser schon sehr bald: Über die eigene Krankheit – noch dazu über d i e s e zu schreiben – noch dazu so schonungslos!

Zunächst skeptisch war Arno Luik schon. Ein Kollege riet ab: „Dann werden Sie für die Öffentlichkeit immer der Krebskranke sein.“

Arno Luik fährt in seine Heimat nach Königsbronn. Und er erinnert dort Erlebtes, die Familie und die gestorbene Schwester, für die er eine Grabrede geschrieben und auf dem Friedhof gehalten hatte und andere Begebenheiten.

Auch fällt ihm der in Hermaringen geborene Georg Elser, der später mit den Eltern nach Königsbronn gezogen war und als Schreiner arbeitete – der Attentäter, welcher Hitler im Bürgerbräukeller in München mit einer selbstgebauten Bombe hatte in die Luft sprengen wollen, ein. Und der fragwürdige, verschämte Umgang mit dem im KZ Dachau ermordeten Elser nach 1945 freilich auch. Warum ist Elser keiner Rede wert, während Stauffenberg immer hervorgehoben wird? (S.97/98)

Sehr empfehlenswert und äußerst informativ betreffs der Person Elser ist das sich anschließende Kapitel «Ich sprenge die Regierung in die Luft« (S.99)

Ein Text von Arno Luik und Kollegen Norbert Thomma, in welchem die Geschichte des Georg Elser erzählt wird.

Das garstig Vieh“, der Krebs, ist Luik immer gegenwärtig

Natürlich ist Luik der Krebs („Das garstig Vieh in mir“) tagtäglich und allnächtlich immer gegenwärtig. Wenn er hilflos vorm Computer sitzt, weil in seinem Kopf so viele Gedanken herumtollen, passend zu seiner Stimmung der Regen und die Düsternis draußen. Luik (S.36): „Ich mache keine Kompromisse mehr!“

Luiks Kommentar zur Weltfinanzkrise verboten. Zensur? Ach, wo!

Er erinnert: „Ein Kommentar zur Weltfinanzkrise 2008, der mir überaus wichtig war, durfte nicht erscheinen, das machte die Chefredaktion sekundenschnell klar: das Verbot habe nichts mit Politik zu tun, ich solle ja nicht von Zensur reden, es stimme einfach nicht, was ich behaupte.“

Der verbotene Kommentar trug den Titel „Die Diktatur des Kapitals“.

Luik empörte sich darüber, wie seitens Kanzler Schröder noch getönt wurde, man müsse unbeirrt an den alternativlosen „Agenda-2010-Reformen“ festhalten.

Der Sozialstaat sei zu teuer etc. etc.

Und dann war plötzlich noch und nöcher Kohle da, um den Finanzkrach nicht zu einer katastrophalen Wirtschaftskrise ausarten zu lassen?

Luik (S.40) im Kommentar, der nicht erscheinen durfte: „Und nun – so etwas gab es in der bundesdeutschen Geschichte noch nie – wurde der Finanzminister ermächtigt, 100 Milliarden auszugeben – ohne jemals das Parlament zu befragen, ohne sich zu rechtfertigen. So viel Macht hatte noch nie ein einzelner Minister. Anders ausgedrückt: Es herrscht nun, verblüffend offen, die Diktatur des Kapitals.“

„Es gibt keine Zensur. Es gibt Pressefreiheit. Ein hohes Gut. So heißt es in den Sonntagsreden der führenden Journalisten, der Chefredakteure – die oft enge miteinander verbandelt sind.

Das ist keine Polemik, nein. Es kommt ständig vor, dass Vertreter der sogenannten vierten Gewalt – die also Politik und Kapital auf die Finger klopfen, hauen sollen – zu Regierungssprechern mutieren, in die Propagandaabteilungen von DAX-Firmen wechseln, oft auch zur Deutschen Bahn.“

Journalismus, auf den Hund gekommen

Schon damals fing es an, dass der Journalismus auf den Hund zu kommen begann.

Arno Luik flicht ein (S.40): „Haben Sie das Gefühl, umfassend über den Ukrainekrieg informiert zu werden? Seine Geschichte? Seine Vorgeschichte? Die Rolle der USA? Der Nato?“

Luik lese vier überregionale Zeitungen und mehrere Wochenzeitungen, schreibt er. „Aber“, konstatiert er, „ich höre – bis auf sehr wenige Ausnahmen – das Gleiche.“

Und Luik notierte: „Uniformität. Einheitsdenken. Herdenverhalten. Diese «Konformität unserer Medien«, klagte mal Zeit-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo, «ist riesig, so riesig, dass sie «uns auch schadet«.

Gut, dass Arno Luik daran erinnert: „Es war ein CDUler, Paul Sethe, der am 5. März 1965 in einem Leserbrief an den Spiegel schrieb: «Pressefreiheit ist die Freiheit von zweihundert reichen Leuten, ihre Meinung zu verbreiten. Frei ist, wer reich ist. Das Verhängnis besteht darin, daß die Besitzer den Redakteuren immer weniger Freiheit lassen, dass sie ihnen immer mehr ihren Willen aufzwingen.«

„Heute sind es vielleicht noch 20 Leute“, so Arno Luik.

Noch Fragen?

Das böse Viech in ihm hält trotz alledem seine Stellung

Luik muss viel Zeit in Wartezimmern von Krankenhäuser sowie hauptsächlich in denen von Radiologie und Onkologie zubringen.

Sein so gewonnener Eindruck: „Es ist dort still. Traurig die Gesichter der Wartenden. Der Kranken. Haben sie Angehörige dabei, kann man unmöglich sagen, wer krank, wer gesund ist.“

Dagegen die so ganz andere Stimmung den Wartezimmern der Chirurgie. Da säßen Patienten mit Gipsbein oder Gipsarm. Da sei Lachen. Da sei Geschrei. „Das ganz normale Leben.“

In der Folge berichtet Luik – sich und uns Leser nicht schonend – über aufkommende Beschwerlichkeiten, die sich nun auch körperlich bemerkbar machende Schmerzen. Durchfall.

„Noch nie habe ich so intensiv gespürt, dass ich nicht mehr Herr in meinem Körper bin. Das garstige Viech in meinem Körper mit mir macht, was es will. Dass mein Gehirn machtlos gegen sein unheilvoll-quälendes Treiben. Dass ich hilflos dasitze, gekrümmt daliege.

Am 14. November 2022 dann die erste Chemo. Sein Spiegel zeigt ihm an, dass sein Gesicht hager geworden ist. Eine Nachbarin sagt ihm, er sehe gut aus. Arno Luik dazu: „Wenn das stimmt – die schöne Hülle täuscht, in mir ist ja dieses garstig Viech, das an mir nagt, Tag und Nacht.

Keine Entschuldigung von Kanzler Scholz an die Adresse Vietnams

Nachrichten im Radio: Bundeskanzler Olaf Scholz, der früher „leicht-marxistisch“ angehauchte Juso-Vize-Chef mit großem Wirtschaftsgefolge in Vietnam.

Arno Luik ist enttäuscht. Denn Scholz entschuldigt sich nicht für die BRD, die den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg der USA in Vietnam diplomatisch unterstützte und US-Deserteuren politisches Asyl verweigerte.

Auch nicht dafür, was der westdeutsche Konzern Boeringer unter dessen damaligen Geschäftsführer Richard von Weizsäcker (später Bundespräsident) der US-Armee massenhaft T-Säure verkaufte. Ein Bestandteil von «Agent Orange«, ein schreckliches Gift, das benutzt wurde um den Dschungel zu entlauben. Unzählige Menschen wurden verseucht, das Hautgeschwüre, Leberschäden, das Krebs hervorrief und fürchterlich Missbildungen bei Babys verursachte.

Statt Entschuldigungen ist von Scholz lediglich zu erfahren, wie er Vietnam, Opfer eines Angriffskriegs der USA, belehrt über den Bruch des Völkerrechts durch Russland wegen des Einmarschs in die Ukraine.

Arno Luik fragt sich: „Fällt diesem Kanzler nicht auf, wie diese Belehrungen auf Vietnamesen, die nur dank der Sowjetunion überlebt haben, wirken müssen? Hat dieser Mann, ein wenig klischeehaft gefragt, ein Herz aus Stein?“

Krebs, aber auch eine Chemotherapie ist nicht vergnügungsteuerpflichtig

Die Nebenwirkungen je nachdem ebenso wenig. Klar, da mag Hoffnung aufkommen – was auch sonst?! Aber im Nacken sitzt doch gewiss weiter die Angst. Arno Luik berichtet nach einer sechsstündigen Chemo-Sitzung (S.117): „Neben mir hing eine sehr junge Frau am Tropf. Dem Arzt erzählte sie von heftigen Problemen mit ihrer Chemo. Als ich gehen kann, sage ich zu ihr: «Ich wünsche Ihnen alles Gute!«. Sie: «Ich Ihnen auch.« Und dann weinte sie.“

Luik erinnert ein langes Gespräch mit Boris Becker

Als Journalist hat Arno Luik viele Interviews geführt. Aus der Zeitung erfährt er, dass Boris Becker noch vor Weihnachten aus dem Gefängnis entlassen wird.

Er erinnert sich, Ende 1989 ein langes und intensives – sich über eine Woche erstreckendes – Gespräch mit der Tennis-Legende gehabt zu haben.

Das Ende jenes Gesprächs ist auf den Seiten 118 und 119 im Buch abgedruckt. Interessant. Es zeichnet ein ganz anderes Bild von Boris Becker, wie wir es für gewöhnlich verinnerlicht (bekommen) haben.

Wir erfahren aus diesem aus traurigem Anlass geschriebenem Buch, dank eines Tagebuchs, das er nie hatte schreiben wollen, sehr vieles aus der Zeitgeschichte und von interessanten Zeitgenossen. Immer wieder stellt Luik Bezüge zum Heute her.

Parteilichkeit im Journalismus wie einst in der DDR auch im Journalismus des neuen Deutschland?

Er erinnert an den verstorbenen „Sprachpapst“ Wolf Schneider, „der so unbarmherzig wie großartige Sprachkritiker, Gründer der Henri-Nannen-Schule – für ein gutes Jahrzehnt die Kaderschmiede des guten Journalismus“.

Arno Luik fragt sich, ob Schneider, (…) „der ein «kriegerisches Verhältnis (O-Ton Schneider) zur scheinbar unaufhaltsam um sich greifenden Gender-Sprache hatte, da sie zu einer «lächerlichen Verumständlichung« des Deutschen führe – ob er verbittert, enttäuscht gestorben ist?“ (S.124)

Luik hebt Schneiders Standartwerk «Deutsch für Profis« hervor und findet, es müsste sofort Zwangslektüre für viele Journalisten hierzulande werden. Darin finde sich folgenes Zitat aus dem «Journalistischen Handbuch der untergegangen DDR: «Die Wortwahl wird parteilich vorgenommen.«

Dazu notierte Arno Luik: „Gilt diese Parteilichkeit, also : Staatsaffinität, seit zu vielen Jahren nicht auch für den Journalismus des neuen Deutschlands, das aus DDR und BRD entstanden ist?

Vor allem bei systemischen Fragen, etwa: Agenda 2010, Finanzkrise 2007/2008, Covid-Pandemie, Ukraine-Krieg, Aufrüstung der Bundeswehr. Hat sich da nicht längst ein abgehobener politisch-medialer Komplex gebildet – mit Akteuren, die sich gut finden, sich gegenseitig bestätigen? Eine, in meiner Sorge gehe ich nun vielleicht zu weit, demokratiegefährdende Komplizenschaft?“

Das schimpft sich heute Haltungsjournalismus.

Schneider, so beurteilt ihn Luik, sei eher ein Typ konservativer Herrenreiter und kein Systemlinker gewesen.

Wolf Schneider habe im ersten Kapitel seines Standartwerks konstatiert: «Die gute Sache: für Journalisten ist dies, den Bürger zu informieren und den Mächtigen auf die Finger zu sehen. Die Mehrzahl der in Deutschland gedruckten und gesendeten Informationen erfüllt diesen Auftrag nicht. Millionen Bürger werden durch den Hochmut oder die Gleichgültigkeit einiger tausend Journalisten vom Gros jener Informationen abgeschnitten, die sie wahrlich brauchen könnten, um ein aufgeklärter Volkssouverän zu sein.« (S. 124/125)

Ein hochspannendes und immer wieder berührendes Buch

Das Buch ist hochspannend, informativ und wieder und wieder tief berührend. Arno Luik erinnert sich, dass er in seinem Berufsleben viele Gespräche mit Kranken und Sterbenden geführt hat – das helfe ihm nun.

So viele alte und neue Themen finden darin Erwähnung, werden analysiert und bewertet.

Auch die unsägliche Bundesregierung aller Zeiten und deren unsägliche Politik kommt zur Sprache. Nebst den anderen derzeitigen Politdarstellern in anderen Ländern, die jegliches Format fehlen lassen und alles andere als intelligente Führungspersönlichkeiten sind. Luik hatte sich spontan gedacht, dass sich diese Riege (Putin, Selenskyi, Biden, Scholz, Baerbock, Lukaschenko, Habeck, Melnyk, Sunak, Macron, die Klitschkos usw.) eigendlich gemeinsam „die irre, anarchisch-wunderbare Komödie «Wasser«“ ansehen müsste. Sie sollten diesen Film vorgeführt bekommen (alle zusammen auf Tuchfühlung im dunklen Kinosaal), damit sie ihre letztendliche Lächerlichkeit vor der Geschichte erkennen. (…)

Wobei – man möge mich nicht steinigen dafür) mir allerdings unter den von Luik aufgeführten Personen aufstößt, dass m.E. Putin, die einzig intelligente von ihnen ist. Obwohl er für den völkerrechtswidrigen Ukraine-Krieg freilich – wie es Dr. Daniele Ganser kürzlich in seinem Ukraine-Vortrag beschied – freilich die Rote Karte verdient.

Am 11. Dezember schreibt er auf: „Diese verdammten Nächte, so lang, so quälend, so dunkel. (…) Gedanken können so brutal wehtun“

Unter dem 31. Dezember 2022 (S.181): „Die schlimmste Nacht bisher. Kein Schlaf. Schmerzen im Bauch. Ich fühle mich kotzelend. Sitze gekrümmt au einem Stuhl. Minuten später liege ich gekrümmt auf der Couch. Dann tigere ich durch die Wohnung, schreie leise auf.“

„In drei Monaten ist meine Chemo vorbei. Dann wird mein Körper durchgecheckt, es wird wieder eine Tumorkonferenz geben, dann weiß ich – wahrscheinlich, hoffentlich, vielleicht -, wie es um mich geht. Wie es mit mir weitergeht.

Es soll wieder so werden wie früher.

Es soll so sein wie früher.

Wiefrüherwiefrüherwiefrüherwie … „ (S.183

Das Buch läuft so aus: „Für mich, alter Träumer, vom Nachtmahr geplagt, ist diese neue Humanität die uralte Brutalität. Die unmenschlich bleibt, wenn auch viele Menschen, die gestern noch Friedensfahnen durch die Gegend trugen, mit der gleichen moralischen Inbrunst jetzt auf Panzer und Granaten setzen.“

Alles Gute, Arno Luik!

Zum Autor

Arno Luik, geboren 1955, war Reporter für Geo und den Berliner Tagesspiegel, Chefredakteur der taz, Vizechef der Münchner Abendzeitung und langjähriger Autor der Zeitschrift Stern. Gespräche von „Deutschlands führendem Interviewer“ (taz, Peter Unfried) sind in mehr als 25 Sprachen übersetzt worden; für sein Gespräch mit Inge und Walter Jens wurde Luik 2008 als „Kulturjournalist des Jahres“ ausgezeichnet. Für seine Enthüllungen in Sachen Stuttgart 21 erhielt er den „Leuchtturm für besondere publizistische Leistungen“ des Netzwerks Recherche. Zuletzt erschienen von ihm im Westend Verlag der Bestseller „Schaden in der Oberleitung – Das geplante Desaster der Deutschen Bahn“ (2019) und das Interview-Buch „Als die Mauer fiel, war ich in der Sauna – Gespräche über den Wahnsinn unserer Zeit“ (2022).

Arno Luik

Rauhnächte

Erscheinungstermin:03.04.2023
Seitenzahl:192
Ausstattung:Hardcover mit Schutzumschlag
Artikelnummer:9783864894190

Westend Verlag

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Drei kritisch-künstlerische Hefte mit Bildmontagen zum Corona-Komplex von Rudolph Bauer bei pad erschienen. Unbedingt empfohlen!

Es geschah erst vor ein paar Tagen. Die Maskentragepflicht entfiel nun sogar im öffentlichen Nah- und Fernverkehr. Auch in medizinischen Einrichtungen? Kürzlich machte ich die Probe aufs Exempel. Ich stiefelte maskenlos in die Praxis meines Hausarztes. Immerhin kam ich bis an den Tresen, wo die Sprechstundenhilfen die Patienten empfangen. „Setzen Sie bitte eine FFP-Maske auf“, beschied mir eine der Damen. „Warum immer noch“, fragte ich ketzerisch. Die Dame: „Weil wir uns damit gegenseitig schützen.“ Aha …

Via WDR, erfuhr ich, gilt noch „bis einschließlich 7. April eine eingeschränkte FFP 2 -Maskenpflicht für Besucher in voll- und teilstationären Pflegeeinrichtungen (u.a. Altenheime), Patienten und Besucher in Krankenhäusern, Patienten und Besucher in Reha-Einrichtungen, Patienten in Arztpraxen, Patienten in Zahnarztpraxen, Patienten in Dialyseeinrichtungen.“ (siehe auch: Bundesgesundheitsministerium)

Warum erst am 7. April und nicht schon eher wie anderswo? Das darf man sicher nicht hinterfragen …

Rudolph Bauer hat sich auf eine interessante Weise u.a. mit der Mund-Nasen-Masken-Tragepflicht, sowie mit der Corona-Politik und der (N)impfung kritisch-künstlerisch auseinandergesetzt. Er geht das Thema mit Bildmontagen und dazu passenden Zitaten an. Der pad-Verlag hat Rudolph Bauers Arbeiten in drei Heften veröffentlicht.

Zu den drei Ausgaben schreibt Rudolph Bauer:

Bildmontagen intervenieren bzw. korrigieren und verändern das Bestehende, Faktische – teils kritisch, teils parodistisch, satirisch und karikaturenhaft, teils auf heiter-spielerische Art, in ironischer Verkehrung. Sie ziehen in Zweifel und fordern dazu heraus, das, was existiert, nicht unwidersprochen hinzunehmen. Sie provozieren und nehmen Stellung. Bildmontagen bringen die Wirklichkeit in Bewegung. Sie zeigen sie als form- und gestaltbar, veränderbar. Sie lassen uns hoffen: Das Gewohnte, Regelhafte und Gewöhnliche wird didaktisch infrage gestellt und erschüttert, anders eingeordnet, in einem nicht erwarteten überraschenden Zusammenhang gebracht. Auf diese Weise erweitern Bildmontagen das Feld menschlicher Wahrnehmung und Erkenntnis. Es entstehen andere Bezüge, andere Wertungen, ein anderer Kosmos.“

Mit diesen Bildmontagen von Rudolph Bauer, teilt mir der Inhaber des pad-Verlags, Peter Rath-Sangkhakorn, habe man die Reihe „Edition Kunst“ gestartet. Überdies sei, so Rath-Sangkhakorn, gehe seine Zeit als 1-Mann-Verleger zu Ende. Mit eingestiegen bei pad ist Thomas Kubo.

#1 Anti-Maulkorb

Zum Heft „Anti-Maulkorb“ heißt es: „Bilder sagen mehr als tausend Worte. Die Mund-Nasen-Masken wurde als vermeintliches Mittel gegen die Ansteckung mit Covid-19 zum einheitlichen Kennzeichen der formierten Corona-Gesellschaft. Die die Maske schützt ihren Träger noch sein Umfeld. Im Gegenteil: Es gibt eindeutige Daten, die ein erhöhtes Risiko von Covid-19-Infektionen für die Träger von Masken belegen. Die Maske erschwert die freie Atmung, erhöht den Atemwiderstand und behindert das Ausatmen von Bakterien, Viren und Pilzen. Sie führt zu einem feuchten Milieu unter der Maske. Statt Erreger auszuatmen und auszuscheiden, werden diese unter «idealen« feucht-warmen Brutbedingungen gesammelt und wieder eingeatmet, was zu einem erhöhten Infektionsrisiko führt. Der durch das Maskentragen erhöhte Atemwiderstand führt zu einem Anstieg des CO2-Anteils der eingeatmeten Luft mit der Folge eines gesundheitlichen Risikos für Kinder, Menschen mit Vorerkrankungen und Schwangeren bzw. deren Fötus. Die medizinisch evidenzfreie Verordnung von Masken verfolgte deshalb ganz andere Ziele als die vorgegebenen.“

Interessantes Zitat von Franz Josef Strauß (S.50): „Das heutige politische Leben wird leider stark von anpassungsfähigen und geländegängigen Typen bestimmt.“ Strauß, ein Visionär?

Abgeschlossen wird das Heft (S.55) mit dem Text Warum … von Jesper-Larsson Träff.

Anmerkung: Ein kritischer Beitrag von Dr. Peter F. Mayer (tkp.at) zu der Wirksamkeit von FFP 2-Masken. Es sei hier darauf hingewiesen, dass von anderen Seiten weiter darauf beharrt wird, dass die FFP 2-Masken gegen Covid-19-Infektionen schützen. Etwa seitens des RKI.

Rudolph Bauer

Anti-Maulkorb

Bildmontagen

Edition Kunst #1

pad-Verlag Bergkamen

E-Mail: pad-verlag@gmx.de

Einzelpreis 9,– Euro

#2 Charakter-Masken

Zu diesem Heft lesen wir: „Karl Marx führt im ersten Teil seines Hauptwerks DAS KAPITAL die Kategorie der Charaktermaske ein. Er bezeichnete damit das Kennzeichen des entfremdeten Menschen, der im Kapitalismus eine Personifikation der ökonomischen Funktionen und Rollen, die durch die Gesellschaft bestimmt werden ist. Grundsätzlich aber müssen sie immer als Kapitalisten oder Lohnabhängige agieren, alles andere – auch persönliche Eigenschaften – sind Masken, die fallen, wenn es Ernst wird.

Die angsterfüllte und trockenen Hirnes praktizierte Corona-Politik offenbarte, wie Politiker und Wissenschaftler seit 2019 ihren Mangel an politischer Befähigung und Sachkompetenz durch antidemokratische Politik-Inszenierungen verdeckten und sich an ihren Schafen und Lämmern vergingen.

Die Bildmontagen sollen helfen und anregen, auf anderen Wege einen der vielen überfälligen Beiträge zur Aufarbeitung der Corona-Politik zu leisten.“

Den Bildmontagen angefügt (S.78) ist der Beitrag „Die Anatomie der Charaktermaske“ (aus Krisis 32; 2008) von Ernst Lohoff.

Rudolph Bauer

Bildmontagen

Charakter-Masken

Edition Kunst #2

pad-Verlag Bergkamen

E-Mail: pad-verlag@gmx.de

Einzelpreis 9,– Euro

#3 Ge(n)impft

Im dritten Heft wird Andreas Sönnichsen mit folgendem Satz zitiert: Hinter uns liegt eine „Pandemie mit einem epidemiologisch unbedeuteten Virus, aber massiven Kolateralschäden.“

Der pad-Verlag schreibt: «Auf dem Feld der Corona-Politik tummelten sich Mediziner, die keine Ahnung von Molekularbiologie hatten, Molekularbiologen und Virologen, die keine Ahnung von Immunologie hatten. Hinzu kamen ahnungslose Politiker und gewerbsmäßige Parlamentarier, die – bis hin zu ertragreichen Nebengeschäften -, die Corona-Politik als Feld der Profilierung für sich entdeckten. Kritischer Journalismus fand nicht statt. Im Gegenteil: Die Hauptmedien stellten sich in den Dienst der pharmazeutischen und digitalen Profiteure. Die unter Berufung auf die Pandemie eingeleiteten Maßnahmen der Freiheitsberaubung, der Testzwang sowie die so genannten Impfungen hatten keinerlei erkenn- und nachweisbar positiven Einfluss auf Zahl und Verlauf der Infektionen; sie korrelierten mit einer erhöhten Übersterblichkeit. Kranke, Alte, Pflegebedürftige und Sterbende wurden allein gelassen, Kinder und Jugendliche kaserniert, einsame Menschen wurden depressiv und in den Suizid getrieben. Die wirtschaftlichen Folgen, die durch Betriebs-, Geschäfts- und Schulschließungen sowie in der Unterhaltungs- und Kulturbrance verursacht wurden, sind katastrophal. Die Monetik der Geschäftemacherei wurde in der Regel zum hauptsächlich bestimmenden Moment ärztlicher Ethik.

Eine gewissenhaft kritische und verantwortungsvolle Aufarbeitung des Corona-Komplexes am Ende der Masken-, Test-, Überwachungs-, Erstinjektions- und Booster-Seuche ist bislang ausgeblieben.

Soll das so bleiben? Das vorliegende dritte Heft der Bildmontagen will anregen, den überfälligen NachDenk-Prozeß zu unterstützen und dafür zu sorgen, dass die Missstände aufgedeckt, die Entscheider zur Verantwortung gezogen und die Betroffenen von Nebenwirkungen sowie deren Angehörigen entschädigt werden.«

Rudolph Bauer

Bildmontagen

Ge(n)impft

Edition Kunst #3

pad-Verlag Bergkamen

E-Mail: pad-verlag@gmx.de

Einzelpreis 9,– Euro

Über den Autor (Foto via Weltnetz.tv):

Rudolph Bauer ist Politikwissenschaftler, Schriftsteller und Künstler. Einer der wenigen, die sich in Bild und Schrift auch künstlerischer Ausdrucksmittel bedienen, um ihr fachliches Wissen mit politisch-kritischem und gesellschaftlichem Engagement zu verbinden. Er war Professor für Wohlfahrtspolitik und Soziale Dienstleistungen an der Universität Bremen. Geboren 1939 in Amberg/Oberpfalz, studierte er nach dem Abitur u. a. die Fächer Politologie, Soziologie und Philosophie an den Universitäten in München, Erlangen, Frankfurt am Main und Konstanz. Berufliche Erfahrungen sammelte er u. a. als freier Mitarbeiter und Journalist bei Tageszeitungen und Zeitschriften, bei „konkret“ und der Frankfurter Studentenzeitung „Diskus“; als freiberuflicher Sozialforscher in Offenbach/Main; als Forschungsassistent und Vertretungsprofessor an der Universität Gießen; als Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Arbeitsgruppe für das Chinesisch-Deutsche Lexikon am Fremdspracheninstitut Nr. 1 der Universität in Beijing in der VR China; als Fellow in Philanthropy am Institute for Policy Studies der Johns Hopkins University in Baltimore/Mass. in den USA. Bauer ist Autor bzw. Herausgeber einer Vielzahl von wissenschaftlichen Publikationen.

Nach den pad-Veröffentlichungen „Vernunft in Quarantäne. Der Lockdown als Zivilisationsbruch und Politikerversagen“ und „The Great Reset – Der grosse Rückfall. Hygienegemeinschaft, Softtotalitarismus und Überwachungskapitalismus“ sowie einem Heft „Neue politische Lyrik: Von Covid-19 zu Putin-22“ publizierte pad im Vierfarbendruck Bauers ersten Hefte mit Bildmontagen und Collagen. Sie stehen in der Tradition von Künstlern wie John Heartfield, Kurt Schwitters, Hanna Höch, Franz Roh und George Grosz. Es Ausschnitte bekannter Pressebilder mit verstörend wirkenden „Montierungen“ nicht dazugehöriger, aber deshalb umso passender fremder Bilder. So entstehen Botschaften, scharf wie Rasierklingen und ätzend wie Salzsäure.

Mein Fazit: Ich empfehle alle drei Hefte unbedingt zur Lektüre. Sie sollten eine hohe Verbreitung finden. Machen Sie andere darauf aufmerksam.

Fotos: Claus Stille; Repros aus den drei Heften.

„Texte aus dem Todestrakt“ von Mumia Abu-Jamal – Rezension

Mumia Abu-Jamal sitzt seit über 40 Jahren in den USA im Gefängnis – zu Unrecht wegen eines Polizistenmords zum Tode verurteilt, wie seine Unterstützer sagen. Denn die ihm vorgeworfene Tat kann so, wie vor Gericht behauptet, nicht stattgefunden haben. Inzwischen ist er immerhin heraus aus der Todeszelle. Und in den Normalvollzug verlegt. Die Strafe ist in „Lebenslänglich“ geändert worden. Dazu gesagt werden muss: Er ist ein Schwarzer. Zwar gibt es in den USA keine Sklaverei mehr und die Rassentrennung ist aufgehoben. Sogar der erste schwarze Präsident überlebte zwei Amtszeiten: der „Friedhofsnobelpreisträger“ (Mathias Bröckers) und Drohnenmörder Barack Obama. Dennoch sind Schwarze weiterhin vielfältigen Diskriminierungen und Benachteiligungen ausgesetzt.

Mumia Abu-Jamal: „Isolationshaft ist Folter“

Auch die Isolationshaft von zum Tode verurteilten Menschen wird weiter praktiziert. Mumia Abu-Jamal in seinem Beitrag: „Sofortige Beendigung der Isolationshaft“ vom 05.09.2012 (S.126) heißt es: „Ihr denkt vielleicht, ihr wisst etwas über Isolationshaft – aber ihr wisst nichts darüber. […] „Ihr kennt das Wort, aber zwischen dem Wort und der Wirklichkeit liegt eine ganze Welt. Und die kennt ihr nicht. Man könnte vielleicht sagen, in dieser Welt gehe es zu wie auf einem anderen Planeten. Einem Ort, auf dem die Luft anders ist, das Wasser anders ist, die Natur und Flora und Fauna absolut nicht dasselbe bedeuten. So wie ihr das Wort «Folter« kennt, aber nicht wisst, wie Folter sich anfühlt. Isolationshaft ist Folter. Vom Staat betriebene und abgesegnete Folter. Manche von euch mögen das überspitzt oder übertrieben finden. Aber ich habe länger in Isolationshaft gelebt, als viele Amerikaner von heute überhaupt gelebt haben. Ich habe Männer gesehen, die von der zerstörerischen, vernichtenden Einsamkeit in den Wahnsinn getrieben wurden. Die ihre Arme aufgeschlitzt haben, bis sie kreuz und quer mit Schnitten übersäht ware. Die sich lebendig angezündet haben. Das ist nichts, wovon ich in Psychologiebüchern oder Zeitungsberichten gelesen habe. Ich habe es mit eigenen Augen gesehen, denselben, die gerade beobachten, wie ich diese Sätze niederschreibe. Ich habe Blut gerochen. Ich habe den ekelerregenden Rauch eingeatmet.“

Abu-Jamal schreibt weiter von einem Amerika, das „sein zweites Jahrhundert der Masseninhaftierungen beginnt und dabei sämtliche Rekorde der Repression bricht […]“. Und er weist daraufhin, das er sein Buch … aus der Todezelle beschrieben habe, „wie der U.S. Supreme-Court (sagen und schreibe im Jahr 1890) im Fall Medley verfügte, die Isolationshaft eines Menschen in den Todeszellen Colarados sei verfassungswidrig“. „So hat sich das Gesetz im Lauf eines Jahrhunderts zurückbewegt!“

Nach einer – wie Abu-Jamals damals fand, sogar eher konservativen Schätzung – saßen seinerzeit „mehr als 100 000 Menschen in Isolationshaft“. (S.128)

Abu-Jamal: „Das Imperium schlug zurück“

Überrascht muss man tatsächlich darüber sein, „dass Ende des 19. Jahrhunderts Schwarze nur eine kleine Minderheit unter den amerikanischen Gefangenen waren, und während ihre Zahl in den Jahren nach der Beendigung der Sklaverei wuchs, kam der rasantesten Anstieg der Inhaftierung Schwarzer erst im Gefolge der Bürgerrechts- und Black-Liberation-Bewegung, mit der Schwarze massenhaft gegen das System von weißer Vorherrschaft, Polizeibrutalität und rassistischer Strafjustiz aufgestanden waren. Abu-Jamal: „Das Imperium schlug zurück.“

Die Vereinigten Staaten seien im Wettbewerb, welcher Staat die höchste Zahl seiner eigenen Bürger inhaftieren kann, der unbestrittene Weltmeister.

„Weder China noch Russland noch irgendein anderes Land reichen daran auch nur von Ferne heran.“

Aber Mumia Abu-Jamal wollte nicht alles „nur in einem trüben Licht sehen“. Leidende Menschen hätten die Kraft, ihre trostlose Realität zu verändern. Sie müssten dafür kämpfen.

Mumia Abu-Jamal (S.129): „Wenn ihr den gefängnisindustriellen Komplex unerträglich findet – organisiert euch und kämpft!“

Empfehlung meinerseits zum Thema gefängnisindustrieller Komplex und Strafrechtsstaat in den USA: Loïc Wacquant „Bestrafen der Armen. Zur neoliberalen Regierung der sozialen Unsicherheit“ (Rezension)

Cornel West: „Revolutionäre Liebe und Schwarze prophetische Tradition“

Das Vorwort (S.10) zum Buch, geschrieben 2014 nach Gesprächen mit Johanna Fernández unter dem Titel „Revolutionäre Liebe und Schwarze prophetische Tradition“ stammt von Cornel West, der Mumia Abu-Jamal zunächst noch nicht persönlich begegnet war. Wohl aber sei dieser Gegenstand etlicher Diskussionen der National Black United Front (NBUF) gewesen, welcher West damals mit Pastor Herbert D. Daughtry von der House of the Lord Pentecostal Church in Brooklyn angehörte.

West erlebte Mumia in Philadephia vor Gericht in den 1990er Jahren beim Berufungsverfahren. Welches sich von A-Z wie Südstaatenjustiz angefühlt habe. Wo derselbe Richter, Albert F. Sabo, wie in Mumias urprünglichen Verfahren 1982 den Vorsitz innehatte.

West: „Ich erinnere mich noch gut, wie Richter Sabo immer schon mit einer verkniffenen, voreingenommenen Haltung den Gerichtssaal betrat. Im Gegensatz zu ihm kam Mumia mit einem Lächeln in den Saal, das deutlich machte, dass er ungebrochen und «ona move« war. Mumia war stärker, als wie es waren.

Persönlich hat Cornel West Abu-Jamal erst mit Körperkontakt kennenlernen dürfen, als dieser vom Todestrakt in den Normalvollzug verlegt worden war.

West: „Ich war zutiefst bewegt. Wenn jemand das hinter sich hat, was Mumia durchgemacht hat, sollte man erwarten, dass er restlos erledigt und kaputt ist und sich gerade noch so weiterschleppt. Aber wieder verließ Mumia den Raum mit diesem Lächeln, dieser Beharrlichkeit, dieser Haltung, dieser unglaublichen Entschlossenheit und schieren geistigen Disziplin.“ West hält Mumia für einen „der entniggeristiertesten Schwarzen, die sich heute finden ließen“. Während es zu einer «Reniggerisierung« der Schwarzen Klasse der Selbstständigen gekommen sei“. „Deren Angehörige haben jetzt Geld, Posten und Macht, aber die meisten von ihnen sind furchtsam, eingeschüchtert und haben Angst“, so West. Die Schwarze Mittelschicht, „unsere Journalisten, Akademiker, sie alle haben Angst: um ihre Karriere, ihre Posten, ihren Zugang zur Macht – sie haben sich den Insignien und Symbolen eines gehobenen Status unterworfen“. „Mumia dagegen blicke dem Terror ins Gesicht. Er kämpft weiter, er bleibt im Swing, er schreibt weiter, er liebt weiter. Selbst während all der Jahre im Todestrakt hatte Mumia Abu-Jamal keine Angst.“

Und Cornel West schließt mit gleich mehreren Auszeichnungen mit welchen er Abu-Jamal kennzeichnet und herzlich würdigt: Mumia sei ein ganz besonderer Bruder und dessen Schriften ein Weckruf. Er sei ein „Schwarzer Mann Jazz-Mann der alten Schule, Freiheitskämpfer, Revolutionär – seine Präsenz, sein Stimme, seine Wort sind für uns die Schrift an der Wand.

Der in Mumia Abu-Jamals Leben hart einschneidende Vorfall

Die Einleitung von Johanna Fernández und Michael Schiffmann (S.19) beginnt mit der Schilderung des Vorfalls, der das Leben Mumias – am 24.04.1954 unter dem Namen Wesley Cook in einer Sozialsiedlung in Nordphiladelphia geboren – Leben verändern sollte:

„Am 09.12.1981 kam es gegen vier Uhr morgens in einem Rotlichtviertel in der Innenstadt Philadelphias zu einem Vorfall, der noch lange hohe Wellen schlagen sollte. Ein weißer Polizist hatte einen Schwarzen Autofahrer angehalten und war mit diesem in eine tätliche Auseinandersetzung geraten. Kurz darauf kam ein weiterer Schwarzer über die Straße gerannt, Sekunden später fielen Schüsse. Als kurz darauf weitere Polizeibeamte am Schauplatz eintrafen, fanden sie dort auf dem Bürgersteig ihren sterbenden Kollegen und unweit von ihm den Mann vor, der über die Straßen gerannt und nun ebenfalls lebensgefährlich verletzt war. Einen Tag nach dem Vorfall heißt es in der Lokalzeitung Philadelphia Inquirer: «Polizeibeamter erschossen. Radioreporter angeklagt.«Bei dem Beamten handelte es sich um den 25-jährigen Streifenpolizisten Daniel Faulkner, bei dem Autofahrer um den Straßenhändler William («Billy«) Cook und bei dem Mann, der zum Tatort geeilt war, um den Bruder Cooks, den Radiojournalisten Mumia Abu-Jamal.“

Die Anklage agierte voreingenommen und auf vielfach fragwürdige, skandalös zu nennende Art und Weise

Die Anklage ist von vornherein davon ausgegangen, dass Mumia den Polizisten getötet hat. Es bestand von Anfang an eine Voreingenommenheit gegenüber Abu-Jamal. Es wurde fragwürdige „Beweise“ herangezogen und Zeugenaussagen, die nicht weniger fragwürdig waren. Auch ein angebliches Geständnis des schwer verletzten Angeklagten hat es in Wirklichkeit nicht gegeben. Eine das Geständnis betreffende Behauptung des Inspektors Alfonzo Giordano, Abu-Jamal habe ihm gegenüber zugegeben, Faulkner erschossen zu haben, war später spurlos aus dem Verfahren verschwunden. Dafür tauchten im Februar 1982 plötzlich neue Behauptungen von Polizisten und Sicherheitsleuten über ein Geständnis Abu-Jamals auf, das dieser bei seiner Einlieferung ins Krankenhaus gemacht habe. Alles in allem skandalöse Vorgänge. Der Richter in diesem Verfahren war ab Juni 1982 „Albert F. Sabo, der später mit 32 unter ihm gefällten Todesurteilen – davon 30 gegen Angehörigen ethnischer Minderheiten – als tödlichster Richter seit Wiedereinführung der Todesstrafe in die Geschichte Pennsylvanias eingehen sollte“. (S.27)

Abu-Jamals Verteidiger war seiner Aufgabe nicht gewachsen. „Als Abu-Jamal dann am 13.05.1982 selbst seine Verteidigung übernahm, nötigte ihm Richter Ribner Anwalt Jackson als «beratenden Rechtsbeistand« auf, obwohl nicht nur er sondern auch der Anwalt dies vehement ablehnte. Das bereits vorhandene Zerwürfnis zwischen Anwalt und Mandanten sei damit perfekt gewesen.

Wenn man das liest, fühlt man sich an Filme erinnert, die ähnliche Schicksale wie das Mumias in Bezug auf Schwarze, die vor Gericht stehen, zum Inhalt haben.

Eine stümperhafte „Verteidigung“, die diese Bezeichnung nicht verdient

Alles in allem war die „Verteidigung“ völlig stümperhaft: „Jackson hatte kein Gutachten über die Ballistik am Tatort zur Verfügung und keines darüber, wie und in welchem Schusswinkel Abu-Jamal seine Verletzung zugefügt worden war. Und er hatte mit keinem einzigen der insgesamt 125 Zeugen gesprochen – nicht nur, weil ihm die Zeit gefehlt hatte, sondern auch, weil die Anklage die Herausgabe der Zeugenadressen verweigert hatte.“

So nahm das Unglück seinen Lauf, das Mumia Abu-Jamal in den Todestrakt brachte. Über einen Rechtsstaat, in dem so etwas geschehen kann – und Mumias Fall ist diesbezüglich wahrlich kein Einzelfall in God’s Own Country, als das sich die Vereinigten Staaten in ihrer Hybris begreifen – kann man nur den Kopf schütteln.

Oft werden Angeklagten unerfahrene oder juristisch wenig kompetente Pflichtanwälte zugewiesen. Es soll sogar vorkommen, dass diese während er Verhandlung an ihrem Platz einschlafen und der Richter das „übersieht“ und nicht sanktioniert. Auch sonderten Richter schon Schwarze aus der Jury aus.

„Selbst nach der Aufhebung von Abu-Jamals Todesurteil im Jahr 2001 dauerte es weitere zehn Jahre, bis die Staatsanwaltschaft auf ein neues Verfahren um das Strafmaß verzichtete und seiner Verlegung aus dem Todestrakt in den Normalvollzug zustimmte. Und erst viele weitere Jahre später taten sich dann neue rechtliche Chancen auf, über die im Nachwort zu diesem Buch berichtet wird.“ (ab S.197)

Schreiben im Knast

Artikel im Gefängnis zu verfassen gestaltete sich für Mumia Abu-Jamal schwierig. (S.34) Seine Kommentare verfasste er – sich dabei stets um eine schöne und lesbare Schrift bemühend – in dicht aufeinander folgenden Blockbuchstaben von Hand. Immer machte er zwei Durchschläge. Er musste deshalb großen Druck ausüben. Erschwerend war zusätzlich, dass man ihm nur eine Kugelschreibermine zugestanden hatte. Mumias Literaturagentin Frances Goldin berichtete damals von einer permanent geschwollenen rechten Hand, welche von seiner verkrampften Schreibhaltung herrührte.

„Während der ersten 18 Jahre im Todestrakt hatte er keinen Zugang zu einer Schreibmaschine.“

Zunächst übermittelten Aktivisten der Bewegung für seine Freiheit Mumias Kommentare an diverse Zeitungen und Zeitschriften. „Die Philadelphia Tribune und die ebenfalls in Philadelphia erscheinende, afroamerikanische Wochenzeiten Scoop USA zu den ersten Printmedien, die Abu-Jamals Gefängnisschriften veröffentlichen.“

Zu seiner geliebten Arbeit als Radiojournalist zurückkehren konnte Mumia Ende der 1980er Jahre. „Seit 1988 durfte er zweimal in der Woche ein Telefon benutzen und übermittelte damit seine Meditationen über Freiheit und seine Kommentare zum Weltgeschehen nach draußen, wo sie von diversen Radiostationen gesendet wurden.“

Später erweiterte Abu-Jamal seine Themenbreite. Er schrieb und sprach über die wichtigsten Ereignisse und Wendepunkte in der amerikanischen Gesellschaft und der Weltpolitik. Was in den im vorliegenden Band zu sehen ist. (S.35)

„Im Unterschied zu seinen ersten beiden Büchern von 1995 und 1996, … aus der Todeszelle und Ich schreibe, um zu leben, behandelt Abu-Jamal nun nicht mehr vorwiegend Themen, die mit der Todesstrafe, seinen eigenen Hafterfahrungen und dem gefängnisindustriellen Komplex zu tun haben, auch wenn vor allem letzteres Thema für ihn zentral bleibt. Wie vor seiner Verhaftung versteht er sich als «crusading journalist«, als politisch engagierter Journalist, der überall zur Stelle ist, wo es um Ausbeutung und Unterdrückung zu berichten gilt – aber auch dort, wo Schönheit, Hoffnung und Kampf um Freiheit zu finden ist.“

Interessante Textsammlung mit Beiträgen von Mumia Abu-Jamal

Ab Seite 36 des Bandes schließt sich ein interessante Textsammlung mit Essays von Mumia Abu-Jamal an. Es bietet uns Lesern eine einzigartige Perspektive auf die Gedanken Amu-Jamals zu Todesstrafe, Strafjustiz, Rassismus und den weltweiten Kampf zwischen Unterdrückung und Befreiung. „Zugleich“, heißt es im Band, „geht es aber auch darum, dem Alptraum, in dem Mumia bis heute lebt, endlich ein Ende zu machen.“

Zuweilen erfüllt einen das, was man liest, auch mit Empörung, ja Wut

Was wir da in „Weihnachten im Käfig“ (S.38) lesen, ist erschütternd und geht zu Herzen. Ja, im übertragenen Sinne in die Nieren. Zuweilen erfüllt einen das, was man liest, auch mit Empörung, ja Wut. Oder ist es denn zu begreifen, dass ein Beamter, nach dem man den angeschossenen, halbtoten Mumia, in den Polizeitransporter geworfen hatte, auch noch mit dem Funkgerät geschlagen hat? Und ihn dabei als „schwarzen Hurensohn“ beschimpfte. Mumia in dem ersten Text: „Wo sind die Zeugen für die Schläge, die eine zehn Zentimeter lange Narbe auf meiner Stirn hinterlassen haben?“ Selbst im Krankenhaus habe man ihn nochmals geschlagen, während er mit nur halber Lunge um Atem gerungen habe.

Wütend macht eine weitere Schilderung es seinerzeit Halbtoten: „Das nächste, was ich wahrnahm, war intensiver Schmerz und Druck in meiner ohne schon ramponierten Niere, während ein Polizist mit abgenommenen Namensschild und verdeckter Marke mit einem Grinsen im Gesicht auf den schnurrbärtigen Lippen in der Tür zum Flur stand. Warum grinste er und woher kamen die Schmerzen? Dann sah ich es: Er stand auf einem viereckigen Plastikbeutel, dem Behälter für meinen Urin! Und diesen Leuten soll ich vertrauen, Leuten, die mitten in einem öffentlichen Krankenhaus erneut versuchen, mich umzubringen?“

In den Texten (Das Überkapitel ist mit „Schwarze Revolutionäre im weißen Amerika“ überschrieben) erfahren wir viel über Weggefährten und über die Bewegung MOVE. Und damit über Polizeigewalt und vielfältiges Unrecht, welchem die Schwarzen in den USA ausgesetzt waren (und sind).

Vermögen wir Leser uns vorzustellen, wie es Gefangenen im Todestrakt ergeht? Wohl kaum.

Einschub meinerseits: Beim Schreiben dieser Rezension fiel mir wieder eine Sendung von vor vielen Jahren von Bio’s Bahnhof ein. Einmal hatte Alfred Biolek eine Frau aus Graz zu Gast, die seit Jahren in Kontakt mit einem Todeskandidaten eben in diesem Gefängnis, wo auch Mumia als zum Tode Verurteilter schmorte, in Huntingten, Texas stand. Ich nahm damals zu dieser Frau Kontakt (sie hatte das Publikum ermuntert, diesem Mann zu schreiben) auf und so schrieb ich diesem Mann – ebenfalls ein Schwarzer – einen Brief. Wie die Frau gesagt hatte, freue er sich jedes Mal auf Post. Leider verlor ich diesen Kontakt nach einigen Briefen, die hin- und hergegangen waren, wieder. Ob der Mann wohl noch lebt?

Lesen Sie aus „Live aus dem Todestrakt“ (S.69) einen Auszug, der im Klappentext des Bandes abgedruckt ist:

Erzählt mir nichts vom Tal der Todesschatten. Ich lebe dort. Im Landkreis Huntington, im Süden von Zentral-Pennsylvania, steht ein hundert Jahre altes Gefängnis, dessen Türme ein Gefühl der Vorahnung und eine düstere Stimmung dunkler Zeiten erwecken. Ich und 45 weitere Männer verbringen dort 22 Stunden am Tag in zwei mal drei großen Zellen. Die anderen zwei Stunden können wir draußen unter Aufsicht von in Wachtürmen sitzenden, bewaffneten Wärtern in einem von Stacheldrahtrollen umringten Käfig aus Maschendrahtzaun verbringen. Willkommen in Pennsylvanias Todestrakt.

Einzigartige Textsammlung

Was die Textsammlung in diesem Band anbelangt, so möchte es dabei belassen, nur die einzelnen Teilüberschriften hier zu erwähnen, ohne einen Teil besonders hervorzuheben. Denn alle sind sehr interessant und zum Verständnis von Mumia Abu-Jamals Leben und Handeln unverzichtbar. Mumias „Schreibe“ ist als hervorragend zu bezeichnen. Sie offenbart – neben dem unbedingt hervorzuhebenden Schreibstil auch eine exzellent gut Informiertheit und Geschichtskenntnis des Eingekerkerten und zeugt in hohem Maße davon, wie belesen Mumia ist. Vor Abu-Jamal ist vielfach der Hut zu ziehen. Über 40 Jahre im Gefängnis, davon lange vom auf ihn wartenden Tod durch die Hinrichtung bedroht. Woher nimmt der die Kraft, was speist seine Hoffnung auf Entlassung? Er ist jetzt 68 Jahre alt. Es hat gewiss nicht zuletzt mit seinem Schreiben und den Radiosendungen (für die Gefangenenplattform PRISON RADIO) zu tun, die er gestaltet. Sowie mit den Reaktionen darauf von außerhalb des Gefängnisses, aber auch seitens der Rückmeldungen anderer Gefangener in den Vereinigten Staaten, die ein ähnliches Schicksal wie Mumia Abu-Jamal zu erleiden haben. Es ist gewiss das Schreiben sowie die Reaktionen auf seine als Journalist und Autor hinter Gittern verfassten Texte, was ihn antreibt und ihm immer wieder Lebenskraft und Lebenswille verleiht.

Alle interessanten Teile der Textsammlung mit jeweils hochspannenden Unterthemen:

– Der gefängnisindustrielle Komplex der USA (S.103)

Mumia Abu-Jamal sitzt seit über 40 Jahren im Gefängnis – zu Unrecht zum Tode verurteilt, wie seine Unterstützer sagen. Denn die ihm vorgeworfenen Tat kann so, wie vor Gericht behauptet, nicht stattgefunden haben. Wurde an ihm ein Exempel statuiert? Seit über 30 Jahren verfasst Abu-Jamal, meist mehrmals pro Monat, für die Gefangenenplattform PRISONRADIO seine Beiträge zu aktuellen politischen und gesellschaftlichen Themen wie dem archaischen Charakter der Todesstrafe, den regressiven Tendenzen der US-Strafjustiz, Rassismus, dem Trump-Mob, der Klimakrise oder der Beziehung indigener Gesellschaften zur Ökologie. Die hier versammelten, transkribierten Essays erscheinen zum größten Teil erstmals auf Deutsch.

– Das bittere Erbe des endemischen Rassismus (S.131)

– Die weltweite Klassenherrschaft des einen Prozent (S.155)

– Lehren aus der Vergangenheit und Ausblick auf die Zukunft (S.194)

Werte Leserinnen und Leser, klappen Sie den Band nach Rezeption dieser wertvollen Texte nicht zu. Befassen Sie sich unbedingt auch mit dem Nachwort von Michael Schiffmann (S.197). So verschaffen Sie sich u.a. so auch einen Eindruck mit dem Hintergrund für die Situation am Tatort (S.201; auch via den beigefügten Tatortfotos der Polizei sowie den vom Journalisten Pedro P. Polakoff III. aufgenommenen Fotos.

Wir können nicht, wie es gegen Ende des Bandes heißt, vom Ende „der nunmehr 41-jährigen Saga des Falles Mumia Abu-Jamal“ sprechen: „Das Verfahren gegen ihn bleibt weiterhin, wie der konservative Jurist Stuart Taylor Jr. 1995 in der Zeitschrift American Lawyer schrieb, «grotesk unfair«, und dem Interesse der Gerechtigkeit sowohl für den getöteten Polizeibeamten Daniel Faulkner als auch für Abu-Jamal wäre auch weiterhin, wie es 2000 in dem Bericht von Amnesty International hieß, mit einem neuen Verfahren am besten gedient.“ (S.231)

Mit einer gewissen Hoffnung wird auf den Fall des Boxers Rubin «Hurricane« verwiesen, […] „der aufgrund einer internationalen Kampagne trotz zweimaliger Verurteilung wegen Mordes nach fast 20 Jahren Haft 1985 dennoch freikam“.

It’s not over until it’s over“

Das Kapitel „So oder so – ein schwerer Kampf“ (S.230) schließt so: „It’s not over until it’s over. Dieses Buch will einen bescheidenen Beitrag zu einer solchen internationalen Kampagne für Gerechtigkeit für Mumia Abu-Jamal leisten.“

Möge es das vielfach gelesen tun! Weshalb ich diesen Band unbedingt und wärmstens auch meinen Leserinnen und Lesern empfehlen möchte, die es weiterempfehlen mögen.

Mumia Abu-Jamal

Texte aus dem Todestrakt

Essays eines politischen Gefangenen in den USA

Übersetzt von Anette Schiffmann, Übersetzt von Michael Schiffmann

Erscheinungstermin:06.03.2023
Seitenzahl:224
Ausstattung:HCmsU
Artikelnummer:9783864893803

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Westend Verlag

Über das Buch

„Aus der Nation der Gefangenen – hier spricht Mumia Abu-Jamal.“

Mumia Abu-Jamal sitzt seit über 40 Jahren im Gefängnis – zu Unrecht zum Tode verurteilt, wie seine Unterstützer sagen. Denn die ihm vorgeworfene Tat kann so, wie vor Gericht behauptet, nicht stattgefunden haben. Wurde an ihm ein Exempel statuiert? Doch Abu-Jamal lässt sich nicht zum Schweigen bringen. Seit über 30 Jahren verfasst er Beiträge für die Gefangenenplattform PRISON RADIO zu aktuellen politischen und gesellschaftlichen Themen wie der Todesstrafe, den regressiven Tendenzen der US-Strafjustiz, Rassismus, dem Trump-Mob, Kapitalismus, Krieg und Klimakrise oder der Beziehung indigener Gesellschaften zur Ökologie. Die hier versammelten Essays erscheinen zum größten Teil erstmals auf Deutsch.

Informationen

„Ausnahmezustand“ von Wolfgang Bittner. Rezension

Wolfgang Bittner ist nicht nur ein hervorragender Schriftsteller, sondern auch genauer und kritischer Beobachter geostrategischer politischer Entwicklungen und dementsprechend mit Kenntnisreichtum ausgestattet ein glänzender Analyst.

Was er u.a. in seinem Buch „Der neue West-Ost-Konflikt. Inszenierung einer Krise“ faktenreich untermauern unter Beweis gestellt hat.

Nun ist ein weiteres interessantes Buch von ihm mit dem Titel „Ausnahmezustand“ und dem Untertitel „Geopolitische Einsichten und Analysen unter Berücksichtigung des Ukraine-Konflikts“ erschienen.

Was waren wir zuversichtlich um 1989 herum und gingen in die 1990er Jahre hinein mit der Überzeugung, nun würde alles gut! Vorbei die Konfrontation der Blöcke. In der DDR war es zur sogenannten Wende gekommen. Und auch die anderen Staaten des Ostblocks, die sich wie die DDR als sozialistisch verstanden hatten (heute wissen wir: einen Sozialismus hat es es bislang nicht gegeben) gingen quasi von der Fahne.

Das gemeinsame Haus Europa, von dem Michail Gorbatschow gesprochen hatte, würde anscheinend in Kürze Realität werden (können). Dachten wir! Dann zerbrach die Sowjetunion. Der Warschauer Vertrag löste sich auf. Die NATO nicht. Der erste große Fehler. Damals verständlicherweise freudetrunken, wissen wir heute warum. Der Westen hatte gesiegt, konnte aber ganz offenbar nicht aufhören zu siegen. Denn die NATO ist ja im Grunde gleichzusetzen mit der USA – deren Werkzeug sie ist, um ihre Macht auf der ganzen Welt sichern zu helfen und mögliche abtrünnig werden wollende Staaten jederzeit einhegen zu können. Und sei es mit Bomben.

Ja, die Hoffnungen von 1989 und 1990 waren nicht abwegig. Sie wären zu erfüllen gewesen. Ein Fenster entsprechender Möglichkeiten hatte sich geöffnet. Die Verantwortlichen im Westen haben es sich wieder schließen lassen. Man könnte auch die Meinung vertreten: Sie haben es zugeschlagen.

Fehler NATO-Osterweiterung

Einer der größten Fehler war, immer mehr Länder Osteuropas in die NATO aufzunehmen. Sogar westliche Politiker – auch aus den USA – warnten früh, auf diese Weise immer näher an Russland heranzurücken. Als absolute rote Linie galt vor allem Russland das Vorhaben auch noch das Nachbarland Ukraine in die NATO zu ziehen. Wir kennen die Vorgeschichte von 2014 mit dem von den USA („Fuck the EU“, Victoria Nuland) finanzierten Putsch in Kiew. Sowie dem Angriff der Putsch-Regierung mit dem Ansinnen, den russischsprachigen Ukrainern ihre Sprache zu verbieten und dem militärischem Angriff (als Antiterror-Einsatz verbrämt; mündete in einen Bürgerkrieg) auf die Donbass-Oblaste Lugansk und Donezk, wo sich die Menschen gegen die Vorhaben dieser Regierung sträubten. Etwa 14 000 Tote forderte das in acht Jahren im Donbass. In der Folge des Maidan-Putsches löste sich auch die Krim von der Ukraine und trat nach einem Referendum Russland bei.

Wolfgang Bittner macht klar, dass unverantwortliche, geschichtsvergessene und im Grunde als Vasallen der USA handelnde Politikerinnen und Politiker ohne jegliches Format die Chancen, welche uns 1990 – nicht zuletzt durch große Zugeständnisse der Sowjetunion (u.a. Abzug von 500.000 Soldaten) gegeben waren, verspielt haben.

Aus dem Klappentext

Doch damit nicht genug, wie wir im Klappentext lesen: „Die Chancen, die sich aufgrund von Willy Brandts Entspannungspolitik für ein friedliches Miteinander in Europa und darüber hinaus ergaben, wurden verspielt. Besonnenheit, Anstand und diplomatisches Fingerspitzengefühl scheinen gänzlich abhandengekommen zu sein. Dagegen wurden die Möglichkeiten obrigkeitlicher Überwachung und Reglementierung radikal erweitert und verfestigt. In jüngerer Zeit erlebte die Bevölkerung während der von der WHO ausgerufenen Corona-Pandemie einschneidende Eingriffe in die Grund- und Freiheitsrechte. So wurden die Friedensbemühungen früherer Generationen verraten und vergessen, viele der mühevoll erkämpften Rechte der arbeitenden Bevölkerung nach und nach abgebaut.

Dass es den USA mit ihrer Aggressions- und Sanktionspolitik gelungen ist, Russland von Westeuropa zu trennen, noch dazu unter Mitwirkung der europäischen NATO-Staaten, ist eine Jahrhunderttragödie. Bekanntlich hat der russische Präsident Wladimir Putin jahrzehntelang intensiv für eine Kooperation und einen einheitlichen Wirtschafts- und Kulturraum von Wladiwostok bis Lissabon geworben, zum Beispiel 2001 in seiner denkwürdigen Rede im Deutschen Bundestag. Aber jede Annäherung wurde strikt unterbunden und Russland mehr und mehr von der NATO eingekreist. Die Folgen dieser verantwortungslosen Politik, die allein den Interessen der USA dient, trägt die Bevölkerung Europas diesseits und jenseits der neu geschaffenen Frontlinie.“

Deutschland auf gefährlicher Rutschbahn – Weltuntergangsuhr ist auf 90 Sekunden vor Zwölf gestellt

Nicht nur das: Deutschland hat sich – nicht zuletzt noch zusätzlich mit der Zusage der Ukraine Leopard-Panzer zu liefern – Stück für Stück auf eine gefährliche Rutschbahn manövrieren lassen. Sind wir womöglich bereits im dritten Weltkrieg, fragte sich letztlich Sevim Dagdelen (MdB DIE LINKE). Zu denken sollte uns darüber hinaus geben, dass das Bulletin of the Atomic Scientists seine berühmte Weltuntergangsuhr unterdessen auf 90 Sekunden vor Mitternacht vorgestellt hat.

Kurzbeschreibung von der Buchrückseite:

„Die Welt steht kopf. Wohin man blickt, Krisen, Konflikte, Kriege. Der Autor geht der Frage nach, ob es für diesen entsetzlichen Zustand Verantwortliche gibt, und findet dazu deutliche Worte. Er hat zuvorderst die USA im Blick, die ihren Anspruch auf Weltherrschaft mit aller Macht zu erhalten suchen. Dazu nutzen sie die NATO und ihre subversiven Netzwerke. Während Japan im Pazifik als Frontstaat gegen China aufgerüstet wird, dient Deutschland im Westen als „Speerspitze“ gegen Russland. Die Bevölkerung wird nicht gefragt, vielmehr fehlinformiert und indoktriniert. Das trifft auch auf den Krieg in der Ukraine zu, dessen Vorgeschichte schlicht unterschlagen wird.

Wolfgang Bittner gibt Auskunft über die geopolitische Situation und stellt dar, warum Deutschland nach wie vor unter Vormundschaft der USA steht und wie die eigene Souveränität zurückerlangt werden könnte.“

Ein Buch, das allen zu empfehlen ist

Dieses Buch ist allen zu empfehlen, die verstehen wollen, wie es zum Ukraine-Krieg kommen konnte. Ja, wie er sozusagen (im Grunde genommen von Kreisen in den USA lange geplant und letztlich herbei provoziert wurde) zwangsläufig dazu kommen musste. Allerdings lässt Bittner auch aufscheinen, dass der Krieg vermeidbar gewesen wäre. Nicht zuletzt sollten Journalisten das Buch in die Hand nehmen. Doch diesbezüglich, dass sie es täten, hege ich erhebliche Zweifel. Sie werden es höchstens mit spitzen Fingern anfassen und zerreißen. Denn es handelt sich bei ihnen heutzutage fast durch die Bank um Gesinnungs- bzw. Haltungsjournalisten, die ihr Narrativ ideologisch (noch dazu wohl zumeist freiwillig!) betoniert haben und nicht daran denken, über die gezogene Abgrenzung auch nur zu blicken – geschweige denn sie zu überschreiten.

Zum Kapitel: Die Entwicklung zur „Speerspitze“ gegen Russland

Wie die Weichen gestellt wurden (S.23), Feindbild Russland (S.26), Deutschland schwächen, die USA stärken (S.31)

Der Ukraine-Konflikt (S.37) wird von Wolfgang Bittner ausführlich erörtert. Ebenso die Kriegsvorbereitungen (S.73).

Das Buch ist Ausfluss einer akribischen Beschäftigung des Autors mit den verschiedenen Themen rund um die jeweiligen Konflikte und einer Analyse von deren Ursachen. Leider erfahren wir über die auch anderen zur Verfügung stehenden Informationen in den Mainstream-Medien nichts. Weshalb dieses Buch m. E. in jeden Haushalt gehört. Nimmt man es genau, dann müsste vorgeschlagen werden, dass Buch auch im Schulunterricht beizuziehen.

Sie werden im Buch kein einziges Kapitel finden, dass nicht von höchster Wichtigkeit ist, als dass es zu vernachlässigen wäre.

Im Kapitel Resümee und Schlussfolgerungen (S.187) erinnert der Autor daran, dass Deutschland nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs als Brückenkopf der USA gegen die Sowjetunion Stellung gebracht wurde. Und nach dem Untergang gegen Russland.

Man sollte dabei im Kopf haben, dass die USA seit gut hundert Jahren eine Strategie verfolgen, Deutschland (wegen seiner hohen Technologie) und Russland (seiner Bodenschätze wegen) auseinanderzuhalten. George Friedman (Stratfor) hat das 2015 offen so formuliert: hier.

Überdies spielt freilich bei der Politik Washingtons der Kampf um das Herzland (Der Schlüssel zur Weltherrschaft) eine Rolle, wie es der Brite Halford John Mackinder 1904 ausgeführt hat: hier.

So wie es ist, kann es nicht bleiben

Einem klugen Analyst und wachen Beobachter, der Bittner ist, ist klar, dass „die deutsche Regierung ihre destruktive Politik [wird] nicht ewig weiterführen können“. Er zeigt sich sicher: „So wie es ist, kann es nicht bleiben. Das Grundbedürfnis der Menschen ist, in Frieden zu leben. Und er wachsende Leidensdruck könnte ein Übriges tun.“

„Nach wie vor“, findet der Autor, „sind die bahnbrechenden programmatischen Postulate der Französischen Revolution «Liberté, Egalité, Fraternité« nicht verwirklicht, sie müssen ins kollektive Gedächtnis zurückgerufen werden: Freiheit, Gleichheit, Mitmenschlichkeit!“

Und Bittner schließt: „Zu hoffen ist – wie auch immer die Geschichte sich entwickelt -, dass diese Vorstellungen dauerhaft durchgesetzt werden können. Sonst ist unsere Zivilisation, die schon länger nicht mehr Kultur genannt werden kann, am Ende.“

D’accord! Sie erinnern sich, lieber Leserinnen und Leser, dass die Weltuntergangsuhr inzwischen auf 90 Sekunden vor Zwölf gestellt worden ist …

Unbedingt zu empfehlen sind die Texte im abschließenden Kapitel „Dokumentation“ (S.193)

Sie finden dort Reden des russischen Präsidenten Putin, den Entschließungsantrag der Fraktionen SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP zu der Abgabe einer Regierungserklärung durch den Bundeskanzler zur aktuellen Lage am 27. Februar 2022, einen Auszug einer Rede des US-Präsidenten Joseph Biden vom März 2022 in Warschau, den «Neuen Krefelder Appell« vom November 2021 sowie eine Rede des russischen Außenministers Sergei Lawrow vor dem UN-Sicherheitsrat vom 22.September 2022.

Zum Autor

Wolfgang Bittner lebt als Schriftsteller und Publizist in Göttingen. Der promovierte Jurist schreibt Bücher für Erwachsene, Jugendliche und Kinder. Er erhielt mehrere Preise und Auszeichnungen und ist Mitglied im PEN. Von 1996 bis 1998 gehörte er dem Rundfunkrat des WDR an, von 1997 bis 2002 dem Bundesvorstand des Verbandes deutscher Schriftsteller. Ausgedehnte Reisen führten ihn nach Vorderasien, Mexiko, Kanada und Neuseeland, Gastprofessuren 2004 und 2006 nach Polen. Wolfgang Bittner war freier Mitarbeiter bei Zeitungen, Zeitschriften, Hörfunk und Fernsehen und hat mehr als 70 Bücher veröffentlicht, unter anderem die Sachbücher „Der neue West-Ost-Konflikt – Inszenierung einer Krise“ und „Deutschland – verraten und verkauft“ sowie den Roman „Die Heimat, der Krieg und der Goldene Westen“.

→ Wolfgang Bittner steht für Vorträge zur Verfügung. Veranstalter wenden sich bitte direkt an den Verlag.

Titel:Ausnahmezustand
Untertitel:Geopolitische Einsichten und Analysen unter Berücksichtigung des Ukraine-Konflikts
Autor:Wolfgang Bittner
Genre:Sachbuch
Aufmachung:Broschiert (mit Klappen)
Umfang:288 S., mit 37 Abb.
Format:13 x 21 cm
Erscheint am:16. Januar 2023
ISBN:978-3-943007-47-3 (gedruckte Ausgabe)
Preis19,90 € (gedruckte Ausgabe)

„Die Faust nicht nur in der Tasche ballen. Ein Willi Hoffmeister Buch“. Rezension

Persönlichkeiten wie Willi Hoffmeister werden wohl kaum nachkommen. Das hat viele Gründe. Einer davon: was man Arbeiterklasse nennen könnte, gibt es so nicht mehr. Und damit fehlt es auch an Masse, welche Vertreter der arbeitenden Menschen im Rücken haben müssen, wenn sie einen Kampf für die Rechte der arbeitenden Menschen führen wollen, der erfolgreich ist. Die Gesellschaft, die Menschen sind bis kleinste Einheiten gespalten.
Das ist nicht einfach so geschehen. Es ist nicht auf ein Naturgesetz zurückzuführen. Das wurde von regierenden Politikern und den hinter ihnen stehenden mächtigen Einflussgruppen in Konzernen und noch mächtigeren Akteuren des Finanzkapitals, welche die Politik vor sich hertrieben, bewusst ins Werk gesetzt. Der berühmte Frosch im Wasserkessel auf der Herdplatte wurde Jahr um Jahr mehr erhitzt. Heute haben wir es mit einer total gespaltenen Gesellschaft zu tun. Erst Corona. Jetzt der Ukraine-Krieg. Die Doomsday Clock, die Weltuntergangsuhr, ist inzwischen auf 90 Sekunden vor Zwölf gestellt worden! Sind wir schon im dritten Weltkrieg, wie sich kürzlich Linke-Politikerin Sevim Dagdelen in junge Welt fragte? Auf jedem Fall befinden wir uns durch unfähige Politiker und unvernünftige, ihnen in deren gefährlichen Dummheit nicht nachstehende unbedarfte und naive nur noch moralisierenden Journalisten auf eine gefährlich abschüssige Rutschbahn gebracht, auf den Weg in einen möglichen dritten Weltkrieg.

Das die Entwicklung in eine falsche Richtung lief, hatte Willi Hoffmeister längst registriert

Der Dortmunder Friedensaktivist, Gewerkschafter, Antifaschist und Kommunist Willi Hoffmeister musste diese gefährlich Eskalation nicht mehr erleben. Er verstarb im August 2021 im Alter von 88 Jahren in Dortmund. Der politisch stets hellwache Willi Hoffmeister hatte allerdings längst registriert, dass die Entwicklung in eine falsche Richtung lief. Er zeigte sich in den letzten Jahren angesichts der verschlechterten Beziehungen zum heutigen Russland äußerst besorgt. Er meinte, es wäre aktuell wieder eine Diskussion über die Rolle Russlands in der Welt angebracht und ein fruchtbarer Dialog mit Moskau unbedingt vonnöten. Die deutsch-russische Freundschaft müsse unbedingt wieder befördert werden. Und nun das: der Ukraine-Krieg!

Willi Hoffmeister nahm das Bundesverdienstkreuz stellvertretend für seine Mitstreiter entgegen

Sozusagen auf den letzten Drücker, weil bereits auf dem Totenbett liegend, war der überzeugte Gegner von Militarisierung und Krieg noch mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande geehrt worden. Der Verleihung des Bundesverdienstkreuzes erfolgte auf Vorschlag des DGB. Willi Hoffmeister äußerte Bedenken. So schrieb er seinerzeit an die DGB-Vorsitzende in Dortmund und Umgebung, Jutta Reiter:

War mein Wollen doch ein anderes Deutschland, ein vereintes, neutrales Land, ohne Militär, Rüstung und ohne alte und neue Nazis. Ein Land, in dem der Mensch und nicht das Kapital im Mittelpunkt steht.“
Er hat schließlich eingewilligt, die Ehrung entgegenzunehmen. Jedoch wollte er alle seine Mitstreiter in seinem langem Engagement stellvertretend auch mit gemeint und geehrt sehen. Spät war damit Hoffmeister »selbst von „offizieller Seite“», wie Markus Bernhard in seinem Nachruf in »unsere zeit» schrieb, für sein lebenslanges politisches Engagement gewürdigt worden.»

Nicht nur das Buch über ihn wird dafür sorgen, dass Willi Hoffmeister nicht vergessen wird

Willi Hoffmeister wird nicht vergessen werden. Dazu dürften nicht nur die Menschen sorgen, welche dem bescheidenen, aber stets ehrlich und entschlossen handelnden Menschen Willi Hoffmeister erlebt und auf seinem Weg auf die eine oder andere Weise begleitet haben. Sondern auch „Ein Willi Hoffmeister Buch“ mit dem Titel „Die Faust nicht nur in der Tasche ballen“, das 2022 vom Neue Impulse Verlag GmbH (Ulrich Sander / Felix Oekentorp (Hg.) herausgebracht wurde.

Willi Hoffmeisters Motto: Zusammenführen statt spalten

Ich lege dieses Buch meinen Leserinnen und Lesern – besonders der Jugend – ausdrücklich ans Herz. Empfehlen Sie das Buch gerne auch weiter an Freunde, Bekannte und Verwandte. Denn es zeichnet nicht nur den interessanten Lebensweg des Menschen Willi Hoffmeister nach, sondern kann nicht zuletzt auch als ein Geschichtsbuch gelten und gelesen werden. Wer Hoffmeister je getroffen hat – und ich tat das öfters – war immer wieder tief beeindruckt und von Respekt für den freundlich, herzlich und vorbildlich auftretenden Mann erfüllt. Sein Motto kann kurz und bündig so auf einen Nenner gebracht werden: Zusammenführen statt spalten.
Neben dem Buch möchte ich den verehrten Leserinnen und Lesern zusätzlich bzw. ergänzend meinen älteren Blogbeitrag „Urgestein der Dortmunder Friedensbewegung Willi Hoffmeister bei #Friedensfragen in der Auslandsgesellschaft NRW in Dortmund“ empfehlen. Das damalige Gespräch von Willi Hoffmeister mit Moderator Mark Brill wurde von WELTNETZ TV aufgezeichnet und kann hier abgerufen werden.

Willi Hoffmeister und seine Zeit“
In seinen einleitenden Worten zum Buch setzt Ulrich Sander „Willi Hoffmeister und seine Zeit“ ins Bild. Als Hintergrundbetrachtung zu Hoffmeister Leben unerlässlich. Zunächst les wir noch etwas zur Biografie: „Willi Hoffmeister, geboren 1933, stammt aus einem Dorf im Landkreis Lübbecke, weit östlich des Ruhrgebietes. 1947 bis 1950 absolvierte er eine Schreinerlehre, danach zwei Jahre Geselle. Seine hauptamtliche Tätigkeit war dann viele Jahre die des Stahlarbeiters in Dortmund.“
Dann folgt ein Rückblick betreffs historischer Vorgänge.

Willi Hoffmeisters Vorprägung

Willi Hoffmeisters Engagement für den Frieden erfuhr gewissermaßen eine Vorprägung. Bei Willis Geburt soll dessen Großvater, der kein Freund Hitlers war, gesagt haben: „Wieder ein Soldat für Hitler.“ Später musste Hoffmeister den Zweiten Weltkrieg erleben. Zuvor als Schüler hatte er es mit einem Lehrer zu tun, der ein über hundertprozentiger Nazi war und einem Lehrmeister , der bekannte, „sozial“ und national“ zu sein. Hoffmeisters Eltern waren links. Die Mutter spürte damals bereits: „Hitler bedeutet Krieg.“ Und wäre sie damals im Ort nicht als besonders hilfsbereit bekannt gewesen, hätte die Nazis sie wohl ebenfalls „wegholen“ lassen. Wie einer von deren Brüdern, der 1934 verhaftet wurde und bis 1945 im KZ eingekerkert war. Die Kinder erfuhren davon erst nach dem Krieg. Gleich nach dem Krieg traten die Eltern in die KPD ein. So erfuhr Hoffmeisters Lebensweg bereits früh eine Vorprägung. Im Jahre 1950 anlässlich des Deutschlandtreffens der Jugend in Berlin wurde Hoffmeister nicht zuletzt durch seinen Onkel Franz klargemacht: So etwas wie Krieg und Faschismus dürfe es nie wieder geben. Onkel Franz schärfte Willi ein: „Junge, tu alles, damit es nie wieder zu Faschismus und Krieg“ kommt.“ (S.10, Fettung im Buch). Dies war letztlich die Initialzündung, die ausgelöst hatte, dass Willi Hoffmeister sich bis zu seinem Tod immer wieder die Frage stellte: Was kann ich dafür tun?

Eine Nachbemerkung

Auf Seite 17 des Buches hat Ulrich Sander es für notwendig erachtet seiner Einleitung eine „Nachbemerkung“ hinzuzufügen.
Er spricht darin an, dass Russland ein halbes Jahr nach Willi Hoffmeisters Tod […][„seinen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine“ eröffnete. Das haben wir von der Friedensbewegung nicht für möglich gehalten, und wir verurteilen es. Und sicher hätte Willi es auch getan. Er hätte zudem – so wie wir heute auch – die Vorgeschichte, die aggressive Kriegsvorbereitung der NATO gegen Russland gebrandmarkt (Siehe Seite 199). […]

Ab Seite 17 werden „Willis Erinnerungen“ wiedergegeben

Als Leser erfahren Interessantes über den Sohn einer wenig begüterten Familie von Nazigegnern, über seine Zeit als Schüler, Schreinerlehrling, Mitglied der Freien Deutschen Jugend (FDJ) – wurde in der BRD verboten -, sowie als Bauer in der DDR (die dortige Organe allerdings schickten ihn wieder zurück nach Westdeutschland, weil er dort als Kommunist mehr bewirken könne), seine Zeit als Hafenarbeiter, wo er Schwerstarbeit hatte verrichten müssen, seinen Wechsel ins Stahlwerk, sein Wirken als Jungkommunist, Arbeiter bei Hoesch (25 Jahre lang), als Kleingärtner, Gewerkschafter (für Hoffmeister bedeutete Gewerkschaftsarbeit immer auch Friedensarbeit), als DKP-Gründungsmitglied 1968 (die KPD war 1956 in der BRD verboten worden), als Reisenden in der Sowjetunion und später Russlands, als Aktivist gegen Neonazismus, Bezirksvertreter und Aktivist der Hoesch-Friedensinitiative.
Ostermarschierer der ersten Stunde
Als Ostermarschierer (der erste Ostermarsch fand 1960 im Norden der BRD statt) trat Willi Hoffmeister erstmalig beim Ruhr-Ostermarsch am Ostersamstag 1961 in Erscheinung. Es war ein Tag des Protestes gegen das atomare Wettrüsten und gegen die Wiederholung faschistischer Verbrechen (S.12). Später war das „Urgestein der Friedensbewegung“, wie Hoffmeister später immer öfter genannt wurde, dann als Mitorganisator des Ostermarschs Rhein-Ruhr, wo er in erster Reihe mitlief. Unter anderem ihm ist es zu verdanken, dass der Ostermarsch nach der Wiedervereinigung Deutschlands nicht einschlief.

Tief beeindruckt vom Besuch Michail Gorbatschows bei HOESCH

Besonders tief hat sich der Besuch es damaligen KPDSU-Generalsekretärs Michail Gorbatschow bei HOESCH in Dortmund bei Willi Hoffmeister eingeprägt. (Lesen Sie, so Sie mögen meinen Beitrag „Vor 30 Jahren kam Michail Gorbatschow auf Einladung deutscher Betriebsräte nach Dortmund und sprach vor 9000 begeisterten Hoeschianern“)
Gorbatschow sprach damals am 15. Juni 1989 vor 9000 begeisterten Hoeschianern! Auch an die Teilnahme an den Fahrten der Arbeiterzüge in die Sowjetunion erinnert Willi Hoffmeister.

Hoffmeister ein «Revolutionär« und „im besten Sinne ein Wert-Konservativer“

Seiner Geburtstagsrede (S.159) zum 75. Geburtstag von Willi Hoffmeister setzte Reiner Braun, damals Geschäftsführer der IALANA, ein Zitat von Bertold Brecht voran:
»Die Schwachen kämpfen nicht.
Die Stärkeren kämpfen vielleicht eine Stunde lang.
Die noch stärker sind, kämpfen viele Jahre.
Diese sind unentbehrlich.»
Reiner Braun machte weiter deutlich (S.160): „Dass die Abschaffung der Atomwaffen zumindest in Ostermarsch-Ruhr-Aufrufen eine zentrale Rolle spielt, ist sicher auch maßgeblich Willis Verdienst. Nicht alle Friedensfreunde und Friedensfreunde hat er bei dieser Prioritätensetzung immer und sofort auf seiner Seite.“ und Braun befindet: „In diesem Punkt war aber der »Revolutionär» Willi Hoffmeister im besten Sinne ein Wert-Konservativer.“
Hoffmeister erlebt immer Höhen und Tiefen in seiner Friedensarbeit
Willi Hoffmeister bekannte, immer Höhen und Tiefen in seiner Friedensarbeit erlebt zu haben. Man kann sich das gut vorstellen. Schließlich war der Friedenskämpfer bei den Kommunisten. Und deshalb sei er „in Gewerkschaftskreisen nie gerade gefördert“ worden. Auch nicht in der IG Metall. „Nach kräftigem Wirken meiner lieben Freunde von der SPD“ ist er mal das der betrieblichen Vertretung geflogen. Dennoch war Gewerkschaftsarbeit in Verbindung mit dem Engagement für den Frieden immer ein Bestandteil seines persönlichen Wirkens. Darin war und ist Hoffmeister immer anerkannt worden. So bekam er auch den Spitznamen „Friedenswilli“. Darauf ist er stolz. Zu recht.

Hoffnungen in Fridays For Future, die sich nicht erfüllten

Ich erinnere mich noch gut daran, dass Willi Hoffmeister äußert angetan war von der Bewegung Fridays For Future (FFF). Endlich engagierten sich wieder junge Leute für eine gute Sache! Ein erfreuliches Aufbäumen der Jugend sei diese Bewegung, wie er es sich manchmal gewünscht hätte selbiges in der Friedensfrage zu erleben. Der Friedensaktivist regte an einmal darüber nachzudenken, was alleine nach dem 2. Weltkrieg an Hinterlassenschaften an Weltkriegs – Munition und chemischen Waffen allein in Ost- und Nordsee versenkt worden ist. Welche Gefahren da schlummerten! Er wünschte sich sehr, dass FFF auch den Kampf gegen das Militär und das Agieren der USA (schließlich gilt allein das US-Militär als der größte Umweltverschmutzer auf der Welt) in ihren Protest einbezieht. Willi Hoffmeister seinerzeit: „Aufrüstung und Krieg sind eine der größten Umweltverschmutzer auf der Erde. Wer das nicht kapiert und mitaufnimmt, der vergibt sich etwas im Erfolg dieser Sache. Wir sollten alles dafür tun: Und wenn sich jeder ein Schild malt mit der Aufschrift „Abrüsten ist der größte Umweltschutz.
Ein Wunsch des 2021 verstorbenen Friedensaktivisten, der leider bislang nicht in Erfüllung ging.
Ich wünsche dem Buch „Die Faust nicht nur in der Tasche ballen“ viele Leserinnen und Leser. Ja, es sollte auch im Schulunterricht behandelt werden. Auf der Buchrückseite lesen wir: „Ein ungewöhnliches Buch ist dies »Die Faust nicht nur in der Tasche ballen».

Das Buch handelt von einem wahrem Vertreter der Arbeiterklasse, einem Gewerkschafter, Antifaschisten, Friedenskämpfer und Kommunisten.“
Ob Persönlichkeiten wie Willi Hoffmeister wohl künftig noch nachkommen steht in den Sternen. Schließlich gibt es so etwas wie eine Arbeiterklasse kaum noch. Aber es gibt jede Menge Probleme, der sich Menschen annehmen müssen. Gerade jetzt werden sie gebraucht. Denn wir stehen am Abgrund …

Die Faust nicht nur in der Tasche ballen“ – Ein Willi Hoffmeister Buch
Von Ulrich Sander und Felix Oekentorp
ISBN 9783000724954,
Neue Impulse-Verlag Essen,
200 Seiten, 16,80 €)
Es ist erhältlich im Buchhandel oder auch beim Alois Stoff Bildungswerk der DFG-VK NRW
Bestellungen an DFG-VK_Bildungswerk_NRW@t-online.de

Willi Hoffmeister. Foto: Claus Stille

Willi Hoffmeister am Gedenk-Obelisken für die von den Nazischergen ermordeten sowjetischen Zwangsarbeiter des Stalag 326 in Stukenbrock. Foto: Claus Stille