Internationaler Antikriegstag in Dortmund: Wie bereits 2007 ist Dr. Eugen Drewermann in diesem Jahr wieder Hauptredner auf der Gedenkveranstaltung in der Mahn- und Gedenkstätte Steinwache

Eugen Drewermann während seines engagierten und frei gehaltenen Vortrags in der Pauluskirche am Antikriegstag 2016 Dortmund. Foto: Stille

Der DGB Dortmund-Hellweg hält weiter an der Idee eines Friedensfestivals anlässlich des Internationalen Antikriegstages fest. Es findet diesmal am Dortmunder Reinoldikirchplatz (Ostenhellweg) vom 28. bis 31. August 2017 (jeweils von 16 bis 19 Uhr) statt. Am 1. September um 16 Uhr findet dann die gemeinsame Gedenkveranstaltung zum Internationalen Antikriegstag im Innenhof der Mahn- und Gedenkstätte Steinwache statt.

Das Motto des diesjährigen Friedensfestivals lautet „Demokratie stärken“

„Das Festival ist heute ein Forum nicht nur für Gewerkschaften, sondern für alle Akteure, die gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Demokratiefeindlichkeit eintreten und Dortmund als Stadt des Widerstands positionieren wollen“, so die Vorsitzende des DGB für die Region Dortmund-Hellweg, Jutta Reiter gegenüber der Presse. Neben den DGB-Gewerkschaften und städtischen Stellen sind u.a. auch die Naturfreunde, die Falken, die BotschafterInnen der Erinnerung, die VVN und das Bündnis gegen Rechts dabei.

Das Wort ergreifen werden u.a. der Landesbezirksvorsitzende des DGB, Andreas Meyer Lauber, Dortmunds OB Ullrich Sierau und Schuldezernentin Daniela Schneckenburger. Das Motto des Friedensfestivals im Vorfeld der Bundestagswahl: „Demokratie stärken“.

Unterschiedliche Schwerpunktthemen wurden in den vergangenen Jahren neben Vielfalt, Demokratie und Toleranz gesetzt: Historischer Rechtsextremismus, Flüchtlinge, Erinnerungskultur, Minderheiten (u.a. Homophobie) wurden angesprochen. Die Respekt-Kampagne und die Aktion „Gelbe Hand“ der Gewerkschaften waren präsent. Gemeinsam mit der VVN wurde Rechte Gewalt thematisiert. Organisiert hat das Festival erneut DGB-Sekretär Ralf Beltermann.

In diesem Jahr mit dabei sind neben Liedermacher Fred Ape auch Benjamin Eisenberg, Enno König, Jens Neutag, Helmut Sanftenschneider, Sevgi & Merhaba, Özgur Cebe, Robert Griess, Kowibo, Microphone Mafia und Hauptmann Manz.

Wie schon 2007 ist in diesem Jahr Dr. Eugen Drewermann wieder Hauptredner auf der Veranstaltung in der Dortmunder Gedenkstätte Steinwache

Dortmund hat nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs über Jahrzehnte den Internationalen Antikriegstag begangen. Doch irgendwann war die Tradition eingeschlafen. Anlässlich der „Nationalen Antikriegstage“ der Neonazis („Nie wieder Krieg nach unserem Sieg“) waren AntifaschistInnen entschlossen, sich gegen den Missbrauch des Tages zu wenden. Demzufolge fand 2007 die erste Gedenkveranstaltung (dazu der DGB hier) in der Steinwache statt – damals mit Dr. Eugen Drewermann als Hauptredner. Seitdem führt der DGB-Dortmund, in Kooperation mit unterschiedlichen Partnern, die Gedenkveranstaltung zum Antikriegstag im Innenhof der Mahn- und Gedenkstätte Steinwache durch. Bei der ersten Veranstaltung, war Dr. Eugen Drewermann mit einer beeindruckenden Rede der Hauptakteur des Antikriegstages. 2017 ist er abermals Hauptredner und wird in seinen Ausführungen Bilanz ziehen, was in Sachen Krieg und Frieden in den vergangenen zehn Jahren geschehen ist, wie sich die Welt entwickelt hat.

Grafik via DGB Dortmund-Hellweg.

Dass Drewermanns Bilanz positiv ausfällt, darf wohl nicht erwartet werden. Man braucht sich zu diesem Behufe doch nur einmal in der Welt umzuschauen: friedlicher ist sie gewiss nicht geworden. Nicht zuletzt mit Blick auf die zahlreichen Konflikte und Kriege weltweit, die auch dazu geführt haben, dass in der Stadt Dortmund rund 9000 Geflüchtete aufgenommen werden musste.

Ein Jahr zuvor hatte Eugen Drewermann – auch am Antikriegstag – eine bemerkenswerte Ansprache (dazu hier mehr) in der vollbesetzten Dortmunder Pauluskirche gehalten.

Die Veranstaltung [Flyer siehe hier]  in der Mahn- und Gedenkstätte Steinwache findet am kommenden Freitag von 16 bis 17.15 Uhr statt.

Dortmund: Ideen zur Weiterentwicklung der Demokratie von sechs Politikern und dem Publikum diskutiert

V.l.n.r.: Torsten Sommer, Max Zombek, Ulla Jelpke, Marco Bülow, Markus Kurth, Gunther Niermann und hinten Klaus Wegener ( Präsident der Auslandsgesellschaft NRW Dortmund e.V.).
Foto: Claus-D. Stille

Vergangenen Mittwoch bestand für interessierte Bürgerinnen und Bürger die Gelegenheit, vier Bundestagsabgeordnete und zwei für den Bundestag kandidierende Politiker aus Dortmund zu elementaren Themen unserer Demokratie und zu Ideen zur Weiterentwicklung der Demokratie in der nächsten Legislaturperiode zu befragen. Nämlich zu Transparenz, Lobbyismus und Bürgerbeteiligung. In die Auslandsgesellschaft an der Steinstraße eingeladen hatte der Verein „Mehr Demokratie NRW“ und die überparteiliche Initiative „Demokratie +“. In dieser öffentlichen Podiumsdiskussion sollte es um nichts weniger als um Ideen zur Weiterentwicklung unserer Demokratie gehen. Zu Gast waren Ulla Jelpke (DIE LINKE), Torsten Sommer (Piraten), Max Zombek (FDP), Steffen Kanitz (CDU), Markus Kurth (Grüne) und Marco Bülow (SPD).

Essenziell: das Parlament ist der Gesetzgeber

Das Publikum machte im Verlauf des Abends deutlich, wie wichtig es ihnen ist, mit Politikern möglichst vieler Parteien gleichzeitig zusammen zu treffen. Wie in diesem Rahmen am Mittwoch. Während manch Politiker auf dem Podium beklagte, dass zu wenige Menschen speziell den Weg zu ihrer Partei fänden. Der Sozialdemokrat Marco Bülow rief etwas ganz Essenzielles in Erinnerung: der Bundestag ist der Gesetzgeber, nicht die Bundesregierung. In der Praxis der letzten Jahre werde da eigentlich die vorgeschriebene demokratische Praxis ins Gegenteil verkehrt. Die Regierung, bzw. die Ministerien machten Gesetze, welche das Parlament dann durchstimmen solle. Hart kritisierte Bülow das rasante Durchpeitschen von Gesetzen durch den Bundestag. Als eklatantes Beispiel führte Bülow die Abstimmung über den Syrien-Einsatz der Bundeswehr an.

Der Moderator des Abends, Gunther Niermann, räumte den Politikern jeweils eine Minute dreißig ein, um einführend zu den Themen zu sprechen. Im Anschluss konnten aus dem Publikum Fragen gestellt werden.

Lobbyismus muss nicht verboten, für die Bevölkerung aber transparent gemacht werden

Der Vertreter der Piraten-Partei, Torsten Sommer, erinnerte mit Verweis auf den Ablauf der ACTA- oder TTIP-Verhandlungen daran, wie wichtig ein Mehr an Transparenz vonnöten sei. Die dürfe nicht aus 40 000 Seiten Papier bestehen, sondern müsse nachvollziehbar ist. Wirtschaftslobbyisten seien den Verhandlungen zu 99 Prozent, Nichtregierungsorganisationen jedoch nur zu einem Prozent beteiligt gewesen.

Lobbyismus müsse nicht verboten werden, sondern für den Bürger erkennbar sein. Was man nun über die Hausausweise für den Bundestag versuche zu leisten, wäre ein Anfang.

Da sah Marco Bülow (SPD) kaum anders. Er führte als Beispiel die Praxis in den USA an, wo jeder erfahren könne, welcher Lobbyist Zugang zu welchem Abgeordneten habe. In puncto Zugang zu den Abgeordneten herrsche hierzulande ein Ungleichgewicht. RWE leiste sich beispielsweise allein 15 Mitarbeiter in Berlin für Lobbyismus. Da sei der Bürger und manch kleine Organisation im Nachteil. „Das muss sich ändern.“ Transparent müsse gemacht werden, wer an welchem Gesetz mitgearbeitet habe. Durchaus könne das auch ein Konzern mit entsprechender Kompetenz sein. Aber das müsse dann auch aufscheinen.

CDU-Bundestagskollege Steffen Kanitz meinte hingegen, die Einführung eines Lobbyregisters sei unpraktikabel. Schließlich könne jeder Abgeordnete auch auf der Straße, im Zug oder im Restaurant von Lobbyisten angesprochen werden. Was auch gut für Abgeordnete wäre. So lernten sie die Interessen der Bürgerinnen und Bürger kennen. Ein „praktikabler Weg“ betreffs Transparenz wäre wichtig. Es bestünden natürlich Interessen. Die müsse ein Abgeordneter aber im „Sinne des Allgemeinwohls“ ausgleichen.

Für Ulla Jelpke ist ein Lobbyregister dennoch unverzichtbar. Die Kontakte der Abgeordneten müssten öffentlich zugänglich sein:„Kontakte haben wir alle. Das ist keine Schande.“ Marco Bülow erinnerte daran, dass die Einführung eines Lobbyregisters an der CDU scheiterte und die FDP hätte es nicht im Programm. Piraten, Linke und Grüne seien dafür.

Portal des Reichstages, Sitz des Deutschen Bundestages in Berlin; Foto: Claudia Hautumm via Pixelio.de

Der junge FDP-Bundestagskandidat Max Zombek räumte durchaus Lobbyismus-Probleme in Deutschland ein, hält aber mehr gesetzliche Regelungen für unnötig. Für Volksentscheide sei er offen. Des Weiteren plädierte Zombek für mehr „Open Government“ und Open Society“.

Angesprochen wurde außerdem die Problematik der Parteispenden. Ulla Jelpke (DIE LINKE) wies daraufhin, dass ihre Partei als einzige Partei im Bundestag per Beschluss Unternehmensspenden ablehne. Einzelspenden von Personen würden sorgfältig geprüft.

Parteispenden ohne Einfluss auf die Politik? Gelächter im Saal

FDP-Mann Zombek rief mit seiner Äußerung, er könne sich nicht vorstellen, dass mittels Parteispenden Einfluss auf Politik genommen würde, Gelächter im Saal hervor. Marco Bülow hielt diese Annahme dann auch für reichlich naiv. Er persönlich stehe sehr kritisch den Parteispenden – die ja auch seine Partei erhalte – gegenüber. Natürlich hätten gesponserte Parteifeste und Parteitag „ein Geschmäckle“. Und war sich sicher: niemand spende aus reinem Idealismus für eine Partei. Dass man sich als Unternehmen etwa davon auch etwas verspreche, sei verständlich – es müsse dem Bürger nur klar sein, wer da Geld spende. Für Heiterkeit sorgte zwischendurch ebenfalls Steffen Kanitz mit seiner Meinung, er sähe in den Abgeordneten „kein Spielball großer Interessen“. Auch Max Zombek bleibt später dabei: Käuflichkeit von Politik ist für ihn unvorstellbar.

Indes erinnert sich Marco Bülow an seine Anfangszeit im Bundestag daran, dass man bei sehr viel auf einen einprasselnden Lobbyismus schon einer gewissen Beeinflussung ausgesetzt ist.

Direkte Demokratie als „wichtiges Instrument“

Nicht nur Ulla Jelpke hält direkte Demokratie für ein ganz „wichtiges Instrument“ zur Ergänzung der parlamentarischen Demokratie. Sie fordert jedoch die Senkung der Hürden dafür. Auch ist sie dafür, dass Menschen ohne deutschen Pass – „die ihren Lebensmittelpunkt hier haben“ – die Möglichkeit erhalten sich entsprechend demokratisch einzubringen. Das Wahlrecht müsse auf 16 Jahre sinken.

Mehr direkte Demokratie – „mit der Tendenz, dass das Grundgesetz nicht angetastet wird“ – redete auch Marco Bülow das Wort. Aber die Bevölkerung sollte auch die Möglichkeit erhalten, bei Anhörungen im Bundestag dabei zu sein.

Von der Entscheidung für mehr Formen direkter Demokratie, gab Torsten Sommer bedenken, bis zu deren Einführung in die Praxis, könnten aber noch einige Wahlperioden in Bund und Ländern vergehen.

Markus Kurth, Bündnis 90/Grüne, hält ebenfalls Lobbyismus nicht per se für schlecht, ist aber für mehr Transparenz. Die Einführung des Lobbyregister wäre eine erster Schritt. Auch seine Partei hält direkte Demokratie für vernünftig. Nur müsse gesehen werden, dass schon jetzt immer mehr sozial abgehängte Menschen – etwa in der Nordstadt – schon jetzt das politische Interesse verloren hätten und nicht mehr wählen gingen.

Dem Volk mehr aufs Maul schauen

Mit Luther gesagt, warf ein Herr im Publikum ein: müsse man dem Volk mehr aufs Maul schauen. Er sei dafür „öfters Bürgerversammlungen wie diese“ zu organisieren. „Sonst wird die Politik immer abgehobener.“

Die Frage des Fraktionszwangs und ein übler Anwurf

Als die Sprache auf das Problem „Fraktionsdisziplin“, was aber wohl eher die Problematik „Fraktionszwang“ meinte, kam, richteten sich einige Blicke sogleich auf Marco Bülow. Der Sozialdemokrat im Deutschen Bundestag ist dafür bekannt, dass er seinem Gewissen – was ja im Grundgesetz gefordert wird – folgend, nicht immer mit seiner Fraktion stimmt. Das Gewissen dürfe man nicht abgeben, wenn man in eine Fraktion gehe.

Dass Markus Kuth später sich nicht nur verkneifen wollte, zu finden, Marco Bülow sei in der falschen Partei, sondern dessen Gewissensentscheidungen auch noch als „inflationär“ und „Geschäftsmodell“ diffamierte, nahm ihm der Sozialdemokrat „schon übel“ und „mehr als frech“. Schließlich müsse Bülow habe man jedes Mal mit den Konsequenzen seitens Fraktion und Partei zu rechnen.

Kurth dagegen, obschon er einst gegen Hartz IV stimmte, sieht sich in erster Linie der Partei für die stehe verpflichtet.

Aufruf an die Bürgerinnen und Bürger sich politisch zu engagieren

An diesem Mittwochabend in der Auslandsgesellschaft NRW in Dortmund war man – so das Fazit –

sich Ideen zur Weiterentwicklung der Demokratie nähergekommen.

Mitveranstalter Henke von Mehr Demokratie bedankte sich bei allen Beteiligten und rief die Bürgerinnen und Bürger auf, Mitglieder von Parteien zu werden oder sich anderweitig politisch zu engagieren. Ulla Jelpke wie auch Steffen Kanitz hatten zuvor schon auf die Möglichkeiten hingewiesen, über lokale Bundestagsabgeordnete an von den regelmäßig von ihnen veranstalteten Wahlkreisfahrten teilzunehmen, um sich über die Arbeit des Bundestages und der Abgeordneten zu informieren.

Wieder Bewegung im Todesermittlungsverfahren Oury Jalloh. Generalstaatsanwaltschaft entzieht Staatsanwaltschaft Dessau das Ermittlungsverfahren

Ob dem wirklich so war, wird sich hoffentlich in Bälde herausstellen. Foto: Peter Donatus

Die Causa ist – und das ist noch weit untertrieben – unerquicklich und der Umgang damit ein Skandal sondergleichen. Oury Jalloh war (Informationen via Wikipedia).

„ein in Deutschland lebender Sierra Leoner. Er kam durch einen Brand in einer Gefängniszelle im Keller des Dienstgebäudes Wolfgangstraße 25 des Polizeireviers Dessau in Sachsen-Anhalt ums Leben. Der in diesem Zusammenhang der Körperverletzung mit Todesfolge angeklagte Dienstgruppenleiter des Polizeireviers sowie ein weiterer der fahrlässigen Tötung bezichtigter Polizist wurden am 8. Dezember 2008 vom Landgericht Dessau-Roßlau freigesprochen.[3] Am 7. Januar 2010 wurde der Freispruch für den Dienstgruppenleiter vom Bundesgerichtshof aufgehoben.[4] Der Freispruch für den zweiten Polizisten war inzwischen rechtskräftig geworden. Am 12. Januar 2011 begann vor dem Landgericht Magdeburg die neue Hauptverhandlung. Am 13. Dezember 2012 wurde der Dienstgruppenleiter wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe in Höhe von 120 Tagessätzen in Höhe von 90 Euro (10.800 Euro) verurteilt. [5]

Aufgrund eines im November 2013 auf private Initiative angefertigten Gutachtens, das die These der Selbstverbrennung durch Oury Jalloh (an allen Vieren gefesselt!; Anm. C.S)) in Frage stellt,[6] hat die Staatsanwaltschaft Dessau-Roßlau im April 2014 ein neues Ermittlungsverfahren zur Klärung der Todesursache eingeleitet.[7]

(mein älterer Beitrag hier in voller Länge)

Bleibt festzuhalten: an diesem Fall ist etwas faul. Offenbar gibt es noch weitere Todesfälle in Dessau, welche Fragen aufwerfen.

Jetzt, wie u.a die „Initiative Oury Jalloh“ mitteilt, tut sich endlich wieder etwas in diesem unerquicklichen Fall:

„Generalstaatsanwaltschaft entzieht Staatsanwaltschaft Dessau das Ermittlungsverfahren im Fall Oury Jalloh“

Veröffentlicht am Mittwoch, 16. August 2017

Die Pressemitteilung der Generalstaatsanwaltschaft (Generalstaatsanwaltschaft – Pressemitteilung Nr.: 004/2017

Naumburg (Saale), den 16. August 2017

(GenStA NMB) Staatsanwaltschaft Halle übernimmt weitere Prüfung
im Todesermittlungsverfahren Ouri Jallow)

Links zu Presseveröffentlichungen finden Sie via „Initiative Oury Jalloh“  hier.

Update vom 22. August 2017

Ein ergänzender Beitrag via KenFM: Video „Tagesdosis“ (vom 21.8.2017)  und als Text (Kommentar von Susan Bonath)

Bessie Gräfin von Brühl – Ein kurzer Nachruf. Die vielseitige, hochsensible Künstlerin hat uns am 9. August 2017 verlassen …

Es war vergangenen Sonntag gegen 22 Uhr. Ich schaute mal kurz in Facebook hinein. Und lese da die Meldung eines Fb-Freundes via TAXI: „Bessie Brühl. 8. 7. 1959 – 9. 8. 2017. Wir sind erschüttert“

Ein Schock! Vor drei Tagen war also Maria Elisabeth Annaberta Desiree Gertrud Henriette Gräfin von Brühl, wie sie in voller Länge qua Geburt hieß, von dieser Welt abgetreten. Wir kannten uns nicht persönlich. Leider! Waren uns nie über den Weg gelaufen. Gern hätt‘ ich sie mal getroffen. Ich kannte Bessie Brühl – wenn man das im weitesten Sinne überhaupt wagen kann, so auszudrücken – über ihre Kolumnen „2 Augen für die Nacht“. Welche sie regelmäßig für „TAXI Magazin für Soziales und Kultur“ (Schweiz), für das ich auch hin und wieder Beiträge verfasse, schrieb. Ich mochte ihre Kolumnen. Und verpasste keine. Sie kamen ungeschminkt daher. Nahmen sozusagen kein Blatt vor den Mund. Freilich wusste ich um den desolaten Gesamtzustand von Bessie Brühl. Aber, dass sie jetzt so plötzlich – denn keine Kunde von einer Verschlechterung ihres Zustandes war über das TAXI zu mir gedrungen – einfach fort war und es nun keine Kolumne von ihr mehr zu lesen geben würde! Vor Kurzem hatte ich noch im TAXI 149 ihr jüngste Kolumne mit dem Titel „Dr. Brinkmann, bitte kommen … Teil 13 gelesen. Ob der Redaktion noch eine weitere vorliegt ist mir nicht bekannt.

Ich unterbrach den aufgezeichneten Film, den ich im Augenblick der Todesnachricht zu schauen gerade noch im Begriff gewesen war. Bessies Tod berührte mich. Ich schaute das Video, welches sie in jüngeren Jahren und in einer wohl auch für sie insgesamt besseren Zeit (1985) mit einem

Gesangsvortrag am Klavier während einer Freiluftveranstaltung zeigte. Dann eines (von 2013), worin Bessie Brühl (wohl während ihrer Wiener Zeit) äußerlich schon stark verändert – nach einem Unfall war sie körperlich angeschlagen – aufgezeichnet ist.

Kurzbiografie von Bessie Gräfin von Brühl (via Café Concerto Wien)

„geb. 1959 als Maria Elisabeth Annaberta Desiree Gertrud Henriette Gräfin von Brühl,
keimte in einer halbadligen Künstlerfamilie mit Hang zur Dramatik.

Nach intensiven Fluchttätigkeiten ab dem 4. Lebensjahr – Arbeit als Filmkomponistin, Synchronsprecherin, Theatermusik u. Tourneen traf sie anlässlich ihrer 1. Solo-LP in Wien bei ihrem Auftritt in d. Fernseh-Sendung „Live aus dem Alabama“ den „Ostbahnkurti“ und Günther Brödl, der sie und ihren Song „Blaua Montag“ als Gast für die nächste Live-LP einlud.
Es folgten gemeinsame Tour-Auftritte und künstlerische Zusammenarbeit mit G. Brödl samt Freundschaft („Samtfreundschaft“)

Bessie Brühl blieb in Wien „bappen“, spielte und komponierte für Filme, Wiener Theater, schrieb f. d. Wiener Frauenverlag, veranstaltete die ersten „Wiener Erotikwochen“ und entdeckte ihre Liebe zur Wiener Unterwelt.
In der „Oberwelt“ wurde sie mehrmals für „Playboy“ fotografiert, welche Fotos jedoch nie erschienen, weil diverse Artdirektoren zu Tode kamen …

1992 zog sie in die Schweiz, lebte in besetzten Häusern, tourte, komponierte, spielte und schrieb – und arbeitete in der Gastronomie, als Regisseurin und Privatlehrerin.

Nach einem schweren Unfall seit 1999 wieder in ihrer Heimatstadt München, schreibt sie seltsame Kochbücher, als Ghostwriter und für Undergroundmagazine.“

Bessie Brühls Kolumnen sind erhalten und nachzulesen

Das TAXI über die Autorin:

„Bessie Gräfin von Brühl schreibt in der Kolumne regelmässig und polarisierend über ihren Alltag und ihre Befindlichkeit. Einerseits als Alkoholikerin, andererseits als hochsensible Musikerin, Autorin und Komponistin.
Die Kabarettistin, Musikerin, Autorin und Komponistin.“

Wer ihre Kolumnen nachlesen möchte, der wird hier (auf Kolumnen klicken und dann unter „2 Augen für die Nacht“ auswählen) fündig. Ich kann es nur empfehlen. HaPe Muff (© Film, Foto by muffart.com) hat dieser Tage noch ein paar Videos vom letzten Auftritt der Bessie von Brühl in der Schweiz aus dem  September 2016 in Luzern auf You Tube (u.a. hier und hier) eingestellt. Vielen Dank dafür!

Hier schon einmal einer ihrer Texte, sozusagen als Vorgeschmack. Dieser Kolume vorangesetzt schreibt Bessie Gräfin von Brühl:

ich hab den Tod gesehn. Gestern im Biergarten unter den Kastanienbäumen.

Er sass in einem roten Rollstuhl und ass spanischen Wein mit Oliven. ..“

Wir sind erschüttert“, heißt es auf dem Facebook-Eintrag vom Taximagazin. In dem „Wir“ fühle ich mich mit eingeschlossen. R.I.P., Bessie Brühl …

Am 4. August 2017, wenige Tage also vor Bessie Brühls Tod, entstand das Video ( von Uli Bez) vom Vortrag des Gedichts „In kleinen miesen Momenten“ . Es ist höchstwahrscheinlich die letzte Aufnahme von der Künstlerin.

 

Neu im pad-Verlag: Aufstand der Massen? Rechtspopulistische Mobilisierung und linke Gegenstrategien

Protest am Heumarkt. Foto via Pixelio.de: Berthold Bronisz

Ein gewisse Empfänglichkeit von Bürgerinnen und Bürgern für rechte Ideologien, einhergehend mit Ausländerfeindlichkeit, hat es in der BRD immer gegeben. Das drückte sich zu bestimmten Zeiten auch an den Wahlurnen in vermehrten Stimmen für die NPD oder Republikaner aus. Doch opportun, rechtsdrehendes Gedankengut öffentlich und in Medien zu äußern war das freilich nach 1945 nicht. Doch verschwunden war es nie. Derlei Gerede blieb zumeist von den alkohol- und rauchgeschwängerten Dunstglocken über Stammtischen gedeckelt oder wurde hinter zugezogenen Gardinen bzw. hinter vorgehaltenen Händen getuschelt. Erst die rassistisch gefärbten, niedergeschriebenen Ergüsse „des geistigen Brandstifters Sarrazin“ (S. 5) machte bislang Zurückgehaltenes bis in bürgerliche Kreise hinein in größerem Maße salonfähig.

Der Schoß war fruchtbar noch

Die Autoren der Broschüre „Aufstand der Massen? Rechtspopulistische Mobilisierung und linke Gegenstrategien“, Peter Rath-Sangkhakorn und Werner Seppmann, halten es allerdings „trotz der großen Zustimmungswelle die Sarrazin auslöste, für eine Fehleinschätzung“ (S.6 oben), dessen „Aktivitäten als ursächlich für die aktuelle Rechtsentwicklung anzusehen“. Vielmehr sei dessen Erfolg „selbst nur Symptom einer mal schleichenden, mal offensichtlichen Rechtsentwicklung seit den ‚Wendezeiten‘.“

Sarrazin habe zunächst verunsicherte, mittelständische Existenzen erreicht. Zugleich aber „ein Publikum weit über die den Kreis einer ‚gefestigten‘ Rechten hinaus“ (S. 6 Mitte) erreicht. Da schon hätten sich „die Konturen eines rechts-populistischen Blocks“ abgezeichnet. Was aber durchaus „keine Neukonstituierung“ dargestellt habe: „Es trat nur zu Tage, was latent schon vorhanden war: Der Schoß war „fruchtbar noch, aus dem das kroch“ (Bert Brecht).

Ursachen der Rechtsentwicklung

Die Autoren arbeiten sehr gut heraus, dass die Ursachen für die Rechtsentwicklung bei weitem nicht allein bei Sarrazin und der heraufgekommenen AfD zu suchen sind. Vielmehr sei das in einer nach 1990 forcierten Neoliberalisierung der Gesellschaft und auch der wiederum damit in direktem Zusammenhang stehenden Finanz- und Weltwirtschaftskrise zu verorten. Entwicklungen, aus welchen die AfD bestens Nektar ziehen konnte. Eine auseinanderfallende Gesellschaft und eine nicht zuletzt durch die Agenda 2010 zunehmende Prekarisierung und die damit verbundene „Produktion“ von immer mehr gesellschaftlichen Verlierern und an den Rand gedrängten, in und von den Jobcentern gedemütigten und gegängelten, Menschen taten das Übrige. Die 2015 nach Deutschland gekommen Flüchtlinge verstärkte die Ängste vieler Menschen. Was der AfD wie gerufen kam. Die AfD bietet scheinbar einfache Lösungen. Das verfängt. Obwohl kaum Menschen das Wahlprogramm dieser Partei lesen. Täten sie es, begriffen deren Wähler, dass diese Partei mitnichten ihre Interessen vertritt.

Linkspartei und Gewerkschaften in der Kritik

Ungeschickt, kritisieren die Autoren, auf die gesellschaftlichen Entwicklungen, wie auf die AfD, reagierten auch Linkspartei und Gewerkschaften. Auf Seite 19 lesen wir:

„Grundsätzlich gilt – und das lehrt die Erfahrung aus den sozialen Kämpfen der Vergangenheit – dass wer den den herrschenden Kräften etwas was abringen will, den Kapitalismus grundsätzlich in Frage stellen muss! Orientiert man sich vorrangig auf die Perspektive des Mitregierens und richtet man seine Politik am Horizont möglicher Koalitionspartner aus, gerät man schnell in den Ruf, selbst zu ‚denen da Oben‘ zu gehören, denen nicht zu trauen ist. Man wird vom Modergeruch des Leichnams Sozialdemokratie affiziert, wenn man glaubt um ‚Regierungsfähig‘ zu werden, in der Friedensfrage (Nato-Mitgliedschaft) oder hinsichtlich des Hartz-IV-Skandals ‚Kompromisse‘ eingehen zu müssen.“

Darüber hinaus wird auf Seite 31 thematisiert, dass es an entsprechenden Informationen fehle, warum es Arbeitslosigkeit gibt und sich gesellschaftliche Armutszonen trotz der ständig in Regierungsmund geführter Aufschwungsentwicklung ausbreiteten.

Doch wer sollte diese Aufklärung der Menschen übernehmen? Viele Menschen seien nicht zuletzt durch den „Hartz-Schlag“ (S. 36), der „eine soziale Abstiegsautomatik installiert“ habe, stigmatisiert und „auf eine schiefe und rutschige Bahn des sozialen Abstiegs gesetzt“. Dieser dem „zugrunde liegende Zwangsmechanismus funktioniert auf der Grundlage der arbeits- und sozialrechtlichen Konterreformen der Schröder/Fischer-Regierung“ reibungslos. Sie bewirkten Armut per Gesetz bedeuteten gleichzeitig auch Diskreditierung per Gesetz.

Die etablierten Parteien haben ihren Anteil an der Entwicklung

Beim Lesen der Broschüre wird klar, dass nicht nur die SPD (Agenda 2010) zusammen mit den Grünen mit ihrer Regierungspolitik, sondern auch die Unionsparteien mittels Äußerungen über die Jahrzehnte hinweg Rechtsentwicklungen zumindest befeuert haben. Beispielsweise wird der bayrische Ex-Ministerpräsident Edmund Stoiber zitiert, welcher einst von einer „durchrassten Gesellschaft“ gesprochen hatte.

Auch müsste die FDP hier genannt werden. Sie kommt in der Broschüre jedoch nicht vor. Guido Westerwelle hat mit Blick auf Hartz-IV-Empfänger in einem Beitrag für die „Welt“ von „anstrengungslosem Wohlstand“ und „spätrömischer Dekadenz “ gesprochen.

Rechtsextremismus auch Antwort auf Unglaubwürdigkeit etablierter Politik

Auf Seite 44 wird herausgearbeitet, „dass der Rechtsextremismus auch eine Antwort auf die Unglaubwürdigkeit der etablierten Politik, auf die Sprachlosigkeit derer Repräsentanten angesichts des elementaren sozialen Wandels und der tiefgreifenden gesellschaftlichen Positionsverschiebungen ist.“

AfD-Wähler hätten dagegen das Gefühl „ernst genommen“ zu werden.

Dazu käme, dass es bei den etablierten Parteien eine „Profillosigkeit gegen rechts“ gebe. Rechtsextreme wie rechts-konservative Parteien hätten „die gleiche schweigende Mehrheit der Deutschen im Auge, die sie für sich gewinnen oder behalten wollen“.

Herauskristallisieren die beiden Autoren auf Seite 53: „Das faschistische Gedankengut wurde in den Nachkriegsjahrzehnten nicht wirklich überwunden, sondern nur verdrängt.“

Und sie zitieren Adorno:

„Was die Menschen sagen, und in etwa auch, was sie wirklich denken, hängt weitgehend vom geistigen Klima ab, in dem sie leben; ändert sich dieses Klima, passt sich sich der eine schneller an als der andere.“

„Eine unmittelbare faschistische Gefahr“ sehen die Autoren indes gegenwärtig nicht. Verbreitete „Skepsis über die Zukunftsfähigkeit des Kapitalismus werde durch die Belanglosigkeit „postdemokratischer“ Politikrituale, die Einbindung des politischen Widerspruchsbegehrens in inhaltsleere Politikinszenierungen neutralisiert“.

Eine Gefahr immerhin wird darin gesehen, dass es („wie vor 1933“) gelingen könnte „Massenprotest umzulenken“ und den „Verzweifelten Orientierungsmöglichkeiten zu bieten, ohne die bestehende Gesellschaftsstruktur zu gefährden“. „Dass sie diese Effekte zu erzielen in der Lage ist, hat die AfD schon jetzt unter Beweis gestellt! Auch 1933 ‚erfolgte die Machteroberung durch die faschistische Partei mit der aktiven Unterstützung oder wohlwollenden Duldung der in der bürgerlichen Demokratie herrschenden Gruppen‘ (K. Kliem/J. Kammler/R. Griepenburg)“.

Warnend geben Sanghkakorn und Seppmann zu bedenken:

„Es ist – gelinde gesagt – naiv, aus dem leidlichen Funktionieren des Verfassungsstaates in einer politischen Schönwetterperiode auf die universale Geltung von demokratischen Prinzipien zu schließen.“

Sie treten damit Jürgen Habermas und dem von ihm gegen Rechts als Abwehrmechanismus ins Feld geführten „Verfassungspatriotismus“. Dieser sei „kaum mehr als die ideologische Spiegelung einer „Wohlstandsgesellschaft“, die ihren Zenit schon lange überschritten hat.“

Partielle Korrekturen reichen nicht. Eine große soziale Bewegung wird gebraucht

Partielle „Korrekturen“ würden an der gesellschaftlichen Situation nichts ändern, heißt es. Wohlhabende müssten „in angemessener Weise an den Gemeinschaftsausgaben beteiligt werden“.

Ein Bollwerk gegen den rechten Formierungsblock könne letztlich nur eine große soziale Bewegung sein, welche mehr als nur Aufklärungsarbeit leiste und deshalb „neue Lebensperspektiven und eine realistische Zuversicht“ vermitteln müsse.

Derweil ist ein große soziale Bewegung – obwohl dazu keine Alternative bestehe -, die das leisten könne nicht Sicht. Ein Verzicht auf überschreitendes Denken, die Unentschlossenheit, die linke Kräfte heute bei der Entwicklung einer sozialistischen Alternative samt gesellschaftsverändernden Konzepten als Voraussetzung ihrer Durchsetzung an den Tag lege, spiele und arbeite den restaurativen Kräfte in die Arme“.

Auf der Rückseite der Broschüre lesen wir:

„Die vor allem unter Rot-Grün forcierte sozialdarwinistische Politik – Stichwort Agenda-Politik – war das neoliberale Treibhaus, in dem der Zustand der Verwirrung und Desorientierung in Politik und Gesellschaft befördert wurde. Das inhumane Weltbild der neuen Rechten stellt die ‚alternativlose‘ Fortsetzung einer visionslos gewordenen Politik dar, die Symptome statt Ursachen und Opfer statt Täter bekämpft.“

Gleichzeitig wirft die Broschüre freilich die Frage auf – bzw. beantwortet diese – warum von den negativen gesellschaftlichen Entwicklungen in Folge eines rücksichtslosen Neoliberalismus nicht die linken Kräfte profitieren.

Unbedingte Leseempfehlung!

Die Broschüre:

Peter Rath-Sangkhakorn/Werner Seppmann

Aufstand der Massen?

Rechtspopulistische Mobilisierung und linke Gegenstrategien

72 Seiten, 5 Euro

pad-Verlag – Am Schlehdorn 6 – 59192 Bergkamen / pad-Verlag@gmx.net

ISBN 978-3-88515-282-8

Buch zur Tagesschau „Die Macht um acht“ mit ernüchterndem Fazit der drei Autoren

Die Tagesschau begleitet mich, wie sicherlich viele meiner LeserInnen ebenfalls, bereits viele Jahrzehnte. Zu DDR-Zeiten war die ARD-Nachrichtensendung gewiss nicht nur für mich ein wichtiges Korrektiv zu den im Lande verfügbaren Medien. Das DDR-Pendant „Aktuelle Kamera“ konnte man getrost vergessen, denn Hurra-Meldungen und Propaganda gaben einander die Hand. Die Zeitungen betreffend wurde gelernt zwischen den Zeilen zu lesen. Abends um acht wurde – außer im „Tal der Ahnungslosen“, Dresden und Umgebung, wurde die Tagesschau eingeschaltet. Da konnte man sein Nachrichtenbild einigermaßen vervollkommnen und sich eine eigene Meinung zum Weltgeschehen sowie zu den Vorgängen eignen Lande bilden.

Mein Verhältnis zur Tagesschau bekam einen Knacks

Wann bekam mein Verhältnis zur Tagesschau (nebenbei bemerkt auch zur ZDF-Nachrichtensendung) einen Knacks? Im Wesentlichen war das vor und während der Ukraine-Konflikt der Fall. Und später dann zusätzlich betreffs der für mich fragwürdigen Berichterstattung über die Vorgänge und den Krieg in Syrien. Ich nehme mal an, liebe LeserInnen, Sie wissen, was ich da meine. Um den deutschen Journalismus steht es anscheinend im Allgemeinen nicht gut.

Laut einer Reuters-Medienanalyse haben nur noch 40 Prozent der Deutschen Vertrauen in Journalisten. Was zu denken geben sollte. Viele Rezipienten der Tagesschau machen ihrer Kritik ob deren Nachrichtendarbietung immer öfters Luft. Keineswegs in flegelhafter Weise, sondern sachlich begründet und in hoher Kenntnis der betreffenden jeweiligen Materie.Man schaue nur einmal in die Foren von tagesschau.de.

Die Tagesschau, das „Flaggschiff der ARD“ wird ihrem Anspruch kaum noch gerecht

Die Tagesschau, täglich etwa von 10 Millionen Menschen gesehen, gilt als „Flaggschiff der ARD“ und gibt sich als verlässlich, neutral und seriös.

15 Minuten lang informiert die Tagesschau über die vorgeblich wichtigsten Ereignisse des Tages.

Diesen doch sehr hoch angesiedelten Anspruch hinterfragen Uli Gellermann, Volker Bräutigam und Friedhelm Klinkhammer detailliert und gründlich. Uli Gellermann ist der Herausgeber der kritischen Internetplattform „RATIONALGALERIE – Für Nachdenker und Vorläufer“. Volker Bräutigam und Friedhelm Bräutigam wurden über ihre zahlreichen Programmbeschwerden bekannt (hier).

Das Fazit der drei Autoren in ihrem Tagesschau-Buch „Die Macht um acht“ ist ernüchternd

„Sie gehen der Geschichte der Tagesschau nach, beleuchten Vermittlung und Auswahl von Nachrichten, kommentieren die Berichterstattung zu zentralen aktuellen Themenschwerpunkten wie dem Krieg gegen Syrien und dem Konflikt um die Ukraine, stellen die viel zu unbekannten „Programmbeschwerden“ als Möglichkeit des Zuschauerprotests und der demokratischen Auseinandersetzung mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk dar.

Ihr Fazit ist ernüchternd. Sie halten die Tagesschau weder für verlässlich noch für neutral, nur für bedingt seriös und bestenfalls für schlau. Nach diesen 15 Minuten weiß man, was die Regierung denkt; was die Republik denken soll und was zu denken unter den Tisch fallen kann.“

Cover des Buches via PapyRossa.

So heißt es in der Information zum von Gellermann, Bräutigam und Klinkhammer gemeinsam verfassten Buch „Die Macht um acht“.

Den Kollegen von Weltnetz.tv hat Uli Gellermann dazu etwas in Kamera und Mikrofon gesagt.

Was mich angeht, ist die Tagesschau längst nicht mehr das, was sie für mich einst und lange Zeit gewesen war: ein seriöser Nachrichtenlieferant. Nachrichten sind nämlich dazu gedacht, Informationen zu verbreiten anhand deren Inhalts sich die Rezipienten selbst eine Meinung zu bilden imstande sind. Leider macht die Tagesschau mit dem von ihr Vermeldetem ein ums andere Mal selbst Meinung. Das wäre jedoch nur im Kommentar vertretbar.

Die Autoren

Uli Gellermann, *1945, Journalist und Filmemacher. Hat als Creative Director gearbeitet. Verantwortet die Website rationalgalerie.de.

Friedhelm Klinkhammer, *1944, Jurastudium in Hamburg. Dreieinhalb Jahrzehnte angestellt beim NDR. Langjähriger IG Medien / ver.di-Vorsitzender und Gesamtpersonalratsvorsitzender im NDR.

Volker Bräutigam, *1941, Journalist. 14 Jahre bei Tageszeitungen, danach beim NDR in Hamburg, dort u. a. zehn Jahre Redakteur bei der Tagesschau und weitere zehn Jahre in der Kulturredaktion von N3. Seit 2001 freier Autor.

Buchempfehlung: „Lustig ist anders“ Ein deutsch-amerikanisches Lesebuch von Lutz Jahoda und Reiner Schwalme (Zeichnungen)

Das Cover des Buches (via Lutz Jahoda).

Es ist eine Binse. Menschen sind äußerst vergesslich. Politik nutzt diese Vergesslichkeit nicht selten aus. Von der Einheitseuphorie 1990 erfasst, wurde von den Menschen manches im Eifer des Gefechts nicht bedacht und vieles nicht bemerkt. Aber es gibt immer Zeitgenossen, die sich vielleicht kurzzeitig täuschen lassen, jedoch bald schon bemerken, dass da etwas schief läuft. Lutz Jahoda, Schauspieler, Entertainer, Sänger, Moderator und Autor – vergangenen Juni feierte er seinen 90. Geburtstag (hier) – ging Zeit seines Lebens wachen Auges und mit geschärftem Gehör durchs Leben. (Ich empfehle meinen LeserInnen dessen Autobiografie und die Romantrilogie „Der Irrtum“.) Das Multitalent dürfte einstigen DDR-BürgerInnen zwangsläufig eher bekannt sein als den Menschen jenseits der Elbe, im Westen Deutschlands. Letztere sollten Nachholbedarf anmelden.

Ein deutsch-amerikanisches Lesebuch

Nun – in Sorge wegen politisch bedenklicher und gefährlich zu nennender gesellschaftlichen Entwicklungen hierzulande wie in der Welt – hat Lutz Jahoda abermals ein Buch verfasst. Es trägt den Titel Lustig ist anders: Ein deutsch-amerikanisches Lesebuch. Politpoesie und Prosa von Lutz Jahoda“.

Es enthält 447 unterhaltsame, auf- und (hoffentlich!) zu eigenem Handeln anregende informative und einige Polit-und andere Schweinereien in Erinnerung rufende Seiten Politpoesie und Prosa aus der Hand Lutz Jahodas, mit 91 den Nagel krachend auf den Kopf treffender Zeichnungen des 80-jährigen Reiner Schwalme (Eulenspiegel). Eigentlich sollte der Titel wohl „Lustig war gestern“ (mit Fragezeichen von Schwalme drüber) lauten. Doch man fand diesen Titel eine „anfechtbare Behauptung“: „Wann war es jemals durchgehend lustig in Deutschland?“ Entweder bereits aus eigener Betrachtung heraus selbst erkannt oder erst nach der Lektüre des Jahoda-Schwalme-Buchs in Auge und Hirn gesprungen: 27 Jahre nach der sogenannten Wiedervereinigung der beiden Deutschländer muss konstatiert werden: Lustig ist anders. Und wir als LeserInnen dürfen uns am Ende des Buches, uns dabei ehrlich machend, fragen: Wurde aus vergangenen Fehler etwas gelernt?

Statt eines Vorworts“, heißt es ziemlich am Anfang des Buches erläuternd:

„Reime mit und ohne Häme,

einfach nur Politprobleme:

Unmut, metrisch gebündelt.

Denn weder die Jungen

und erst recht nicht die Alten

hätten es jemals für möglich gehalten,

dass Deutschland noch einmal zündelt.“

Darauf umseitig folgend eine treffliche Illustration mit einem auf einen Handrücken gestützten, nachdenklichen Reiner Schwalme im Selbstporträt, die alle derzeitigen Übel als Kranz um ihn herum anzeigt: Aufrüstung, Kriege, Finanzkrise, IS-Terror, Neonazis, Ohnmacht, Protest und Aufruhr – mit mittig untendrunter einer Merkel, die statt der obligatorischen Raute ein Fragezeichen in Händen hält. Bombig!

Ja, viele DDR-Bürger ahnten es anfangs nicht:

Der Kapitalismus sah, kam und siegte ohne Rücksicht auf Verluste peu á peu. Deshalb für mache Menschen unbemerkt. Er konnte das, weil das Gegensystem, welches – wie Westgewerkschafter sich noch erinnern – bei Tarifverhandlungen immer imaginär mit am Tisch gesessen hatte, war erledigt (worden). Jetzt konnte der Kapitalismus wieder ungeniert Raubtier sein. Jahoda bekennt:

„Es stand schon einmal besser um David gegen Goliath. Da war eine Menge versemmelt worden, noch ehe Gorbatschow sich von Reagan übertölpeln ließ. Das System, mit dem wir es seit der Wende zu tun haben, trägt das aus den USA importierte keep smiling oberflächlicher Herzlichkeit vor sich her, das sich allerdings rechnen muss. Ist dies nicht der Fall, und geht es gar um höhere Beträge, kann das Lächeln schnell einfrieren und das Herz zu Stein werden.

Die Welt weiß, was 1989 in Berlin geschah. Was sie nicht weiß, dass ein Land und dessen jubelnden Bewohner mit Bravour über den Tisch gezogen wurden.“

All das nachdem, wie der Autor des Buches weiter hinten notierte nach dem Aufbegehren der Menschen in der DDR, „angeregt durch Gorbatschows Glasnost und Perestrojka und angeregt durch Honeckers Widerstand“ (…), „Schabowski, der unterbelichtete Unglücksvogel“, der Schieflage einen entscheidend letzten Tritt mit seiner Fehlmeldung einer sofortigen Grenzöffnung für alle Bürger der DDR (versetzt hatte), und Helmut Kohl wurde der Lorbeerkranz des Einheitskanzlers aufgesetzt.“

Und Lutz Jahoda zitiert einen Betroffenen, der später äußert:

„Während ich noch begeistert das Bundesfähnchen schwenkte, hatten die mir schon das Oberleder von den Schuhen geschnitten.“

Einst wirklich Gutes an der DDR sei rasch diffamiert und delegitimiert worden. (Wir erinnern uns: der damalige Bundesjustizminister Klaus Kinkel hatte sogar eine „Delegitimierung der DDR“ als „Unrechtsstaat“ verlangt.) Während von den Bundesdeutschen vergessen worden sei – wie wir Seiten später lesen werden – „mit welch übler Ansammlung an Unrecht der Bonner Bundesstaat Deutschland seinen Anfang nahm“ (Gründung des BND mit CIA-Hilfe, bestückt mit Angehörigen der SS, des SD und der Gestapo sowie Hans Globke (Kommentator der Nürnberger Rassegesetze) zum Staatssekretär des Bundeskanzleramtes zu machen. Auch wirtschaftlich habe es um die DDR besser gestanden, als man in der Presse zu lesen und von der Politik zu hören bekam. Und warum, fragt Jahoda: halte man die wirklichen Einheitskosten bis heute unter Verschluss?

Lafontaines Empfehlungen wurden in den Wind geschlagen

Oskar Lafontaines Empfehlungen, so der Autor, seien seinerzeit während dessen Krankenhausaufenthalt nach einem Messeranschlag auf ihn, in den Wind geschlagen und somit das wirtschafts- und sozialpolitische System der BRD ad hoc der DDR übergestülpt worden. Jahoda:

„Bumm, Radetzky, sagte ich und sah mich bald einig mit Lafontaines späteren Worten, dass Wahrheit nicht immer populär sei, und dass die Vernunft die Einheitseuphorie unterschätzt und die ins Feld geführten Argumente überschätzt habe.“

Währungsreform in den Westzonen, Blockade Westberlins und der Marshall-Plan

Lutz Jahoda erinnert an einen für die Entwicklung der beiden deutschen Staaten nicht unerheblichen Vorgang: An eine via Rundfunk verkündeten Währungsreform für die drei westlichen Besatzungszonen:

„Von Montag an, dem 21 Juni 1948 werde nur noch die die DM als allein gültiges Zahlungsmittel gelten.“

Kurz danach habe zwar auch die sowjetische Besatzungszone reagiert, „allerdings nicht mit jenem Geld dienen“ können, das in den USA für die Westdeutschen gedruckt worden war.“ Ein Missverhältnis habe sich ergeben und die Blockade Westberlins sei erfolgt. Die Amerikaner reagierten mit der Versorgung der Frontstadt mit Lebensmitteln und Heizmaterial aus der Luft. Daraus sei nicht zuletzt „jene Dankbarkeitsbindung“ entstanden, „die sich für das vereinigte Deutschland nachteilig auswirkt“. Wir finden auch einen Hinweis im Buch darauf, dass der berühmte Marshall-Plan alles andere als uneigennützig für Washington war.

Eine „Elegie Ost“ beinhaltet eine „Kurzbeschreibung christlich-demokratischer Einverleibung“:

„Wir hätten es eigentlich wissen müssen,

und wenn schon nicht wissen so zumindest erahnen.

Wir verkauften unser reines Gewissen

für hundert Mark West

Und Discounter-Bananen.

Ein Vierteljahrhundert danach wird

erhoben:

Zu tadeln sei nichts – nur noch zu loben,

gemäß Weisung der

Zeitungskonzerne.

Noch gibt es den Euro,

da bückt man sich gerne

und besonders tief vor jenen ganz oben.“

Thematisiert wird auch das Über-den-Tisch-Ziehen von Gorbatschow

Jahoda: „Längst weiß die Welt, dass Gorbatschows Entgegenkommen am 31. März 1991 purer Leichtsinn war.“ Die bedingungslose Auflösung des Warschauer Paktes und der Abzug der auf DDR-Gebiet stationierten sowjetischen Besatzungstruppen, „während die USA und die NATO sich schamlos osterweiternd ausdehnte“. Jahodas bitteres Fazit:

„Gorbatschows Versäumnis hat Wladimir Putin gegenwärtig auszubaden.“

Eine bedenkliche Entwicklung wird Punkt um Punkt nachgezeichnet

Der Autor zeichnet die nahezu von Jahr zu Jahr seit 1990 sich immer bedenklicher gestaltende Entwicklung bis in unsere Tage nach. Die düstere Adenauer-Zeit, die Flick-Affäre, schwarze Kassen und der widerliche Trick mit den angeblichen jüdischen Vermächtnissen bei der CDU und deren Spendenaffäre. Und den LeserInnen wird es von gelesener Zeile zu gelesener Zeile wie Schuppen von den Augen fallen: das läuft auf eine mögliche Katastrophe hinaus. Danach, so Jahoda sei mit Angela Merkel, als unbescholten geltende „aus dem Osten und damit frei von allen Sünden des Westens“ zur CDU-Chefin gemacht worden. Die dann fünf Jahre später Bundeskanzlerin wurde. „So nahm ein neues Elend seinen Lauf“, lautet das treffliche Urteil Lutz Jahodas. Europa, dichtet er ist „Auf schiefer Bahn“, sei „schäbig auf- und abgestiegen zum Dienstobjekt der Vereinigten Staaten!“ Kriege – auch mit deutscher Beteiligung – wurden wieder möglich.

Arm und Reich driftet immer mehr auseinander. Das für Deutschland eigentlich so wichtige gute Verhältnis zu Russland ist ruiniert und auf Kalten-Kriegs-Niveau. Doch selbst da war es besser: Man denke nur an die Entspannungspolitik der Regierung Brandt, die Kohl einst sogar fortsetzte. Müssten – so leuchtet’s achtungblinkend einen aus den Zeilen des Buches heraus an – Deutschland und seine Medien nicht endlich ihre Blindheit gegenüber den Kriegsverbrechen der Vereinigten Staaten (Rationalgalerie) aufgeben und die auferlegte „beschämende Untertänigkeit“ aufgeben? Und das Zitat von Noam Chomsky will im Buch versammelt auch zum NachDenken animieren: „Die USA sind ein Schurkenstaat, und Europa ist extrem rassistisch.“

Manchem mag es vielleicht zu viel des Guten sein. Lutz Jahoda zitiert sehr oft Ulrich Gellermanns Internetplattform RATIONALGALERIE, wo er selbst hin und wieder kommentiert. Jedoch ist dort nun einmal wirklich oft Interessantes, Standpunktfestes, zu lesen, das den Rezipienten bereichert. Andere  LeserInnen könnte bemängeln, dass das Buch Kritik an der DDR weitgehend ausspare. Nun, das wäre wohl zu ausufernd geworden. Zumal doch in diese Richtung vieles aus bekannt vorausgesetzt werden kann. Wo Jahoda die bedenklichen Wahlerfolge rechtspopulistischer Parteien in Europa thematisiert, ist ihm ein Fehler bei Geert Wilders (Partij voor de Vrijheid) unterlaufen. Er verortet den Blondschopf in Belgien, dieser aber ist Niederländer.

Das Buch ist weiten Teilen durchaus ein Geschichtsbuch

Es porträtiert auch die gewesenen Bundespräsidenten. Wie lehrreich! Man vergisst ja bekanntlich schnell. Alle wichtigen Ereignisse bis dato – Untaten und Sauereien eingeschlossen – sind darin zu finden. Auch wird kein Hehl daraus gemacht, dass die Redaktion Tagesschau aktuell vermehrt journalistische Fauxpas begeht. Etwa Bestimmtes weglässt, somit vergessen lässt, was wie Jahoda in „Unschuldswalzer“ reimt, (…)„ist leichter als Lügen/Totschweigen schwächt den Verdruss!/Schweigen! Schweigen!/Was nicht erscheint, spart Verdruss!/Schweigen! Schweigen!/Kein Kommentar, Punkt und Schluss!“ Auch die Tagesschau bekommt noch gehörig auf den Hut. Sowie ARD-Korrespondentin Golineh Atai mit ihrer verzerrten Ukraine-Berichterstattung.

Ein Sack voll Interessantem ist im Buch zu finden. Hier kann und soll nur ein wenig davon gestreift werden. Auch um munter dazu zu animieren, dass Werk zu lesen.

Ich verspreche: man mag es, einmal aufgeschlagen, eigentlich kaum wieder aus der Hand legen.

Gewiss gibt es jede Menge Sachbücher, wo sich ähnliches wie in diesem – nur ausführlicher – Beschriebenes finden lässt. Doch die Kunst dieses Buches bzw. die dessen Autors nebst last but not least dessen Mitstreiters Schwalme besteht darin, in Kürze und in fesselndem, durchaus – trotz bitterer Tatsachen – auch in humorvoll-satirischer Form den Kern des zu transportierendem Inhalts zu vermitteln. Und vieles zusammenzufassen. Was erkennen lässt, wie Michael Lüders in anderer Hinsicht zu sagen pflegt: Alles hängt mit allem zusammen. Klar auch, dass noch Trump und das Elend und die Hintergründe für den Syrien-Krieg beleuchtet und einer Beurteilung unterzogen wird.

Gegen Ende des Buchs gibt es ebenfalls noch eine „Kummervolle Vorausschau auf das deutsche Wahljahr 2017“

Worin der Verwunderung Ausdruck verliehen wird, warum, obwohl 90 Prozent der Deutschen keinen Krieg wollten, 90 Prozent Parteien wählen, die gegen Kriegseinsätze nichts einzuwenden haben. In der Tat: Warum wählen viele Menschen gegen ihre Interessen? Und zwar nicht nur Kriegs- auch in wirtschaftlichen und sozialen Fragen.

Vorläufiges, traurig stimmendes Fazit im Buch:

„Das Elend politischer Dummheit ist groß.

Der Schaden lässt sich nicht leimen.

So werde auch ich das Gefühl nicht los:

Die Mehrheit wählt falsch. Was mach ich bloß?

Und weiß darauf nichts mehr zu reimen.

???“

Doch der Autor besinnt sich zu guter Letzt, will die LeserInnen nicht in depressiver Stimmung zurücklassen:

„Ja, die Fragezeichen sind berechtigt, und Nein so darf Geschichte nicht enden. Dass wir wieder einmal an Georg Büchner erinnern müssen, ist traurig, aber notwendig.

Zu Darmstadt im Sommer 1834, notierte er:

Friede den Hütten! Krieg den Palästen!“

Und Jahoda zitiert daraus. Nimmt das Zitat als „ein Schlusswort, das Herz und Verstand streichelt.“

An meine LeserInnen: Unbedingt zur Lektüre empfohlen! Und weiterempfehlen.

Ja, es ist ein Binse: Menschen sind vergesslich. Das Buch ruft vielleicht verschüttete Erinnerung zurück. Gut so.

Das Buch

Rückseite des Covers von „Lustig ist anders“ (via Lutz Jahoda).

Lustig ist anders

Lutz Jahoda/Zeichnungen Reiner Schwalme

Paperback

448 Seiten

ISBN-13: 978-3-7448-3766-8

Verlag: Books on Demand

Erscheinungsdatum: 14.06.2017 26,90 €, E-Book 9,99 €

Merkels Deutschland: Zweigeteilt, dreigeteilt ? Wie Stiefmutti das Land und die Leute zerlegt – Ein Interview mit Prof. Albrecht Goeschel

Bundeskanzlerin Angela Merkel, ein Spaltpilz? Foto: Tim Reckmann via Pixelio.de

Wir Menschen sind vergesslich. Nicht selten setzt Politik raffiniert darauf. Die Schlechterstellung von Menschen im sozialen Bereich vollzogen sich über letzten Jahrzehnte langsam. Sparschweinereien zulasten derjenigen, die keine oder kaum eine Lobby haben, einhergehend mit der allmählichen Zerstörung unserer Sozialsysteme, richten großen gesellschaftlichen Schaden an. Vieles – etwa die Auswirkung der Schuldenbremse – dürfte folgenden Generationen noch schwer auf die Füße fallen. Bundeskanzlerin Angela Merkel – aufbauend auf den „Reformen“ der Schröder-Fischer-Regierung spaltet die Gesellschaft geschickt und setzt weitere Verschlechterungen ins Werk. Zum Nutzen der Großkonzerne und den  ohnehin besser gestellten Menschen. Und die kleinen Leute bezahlen noch dafür! 

Prof. Albrecht Goeschel ist nicht dafür bekannt, mit notwendiger Kritik hinterm Berge zu halten. Gut so. Denn die Mainstream-Medien versagen in deren Aufgabe als Vierte Gewalt leider oft genug. Im Vorfeld der bevorstehenden Bundestagswahl empfehle ich das folgende Interview meinen LeserInnen deshalb besonders. Möge es eine große Verbreitung finden. Gegen die allgemeine Vergesslichkeit helfen, zum Aufwecken der Schlafschafe dienlich sein und vielleicht auch als Ansporn zum Handeln wirken. – Vielen Dank an Prof. Albrecht Goeschel, der dieses Interview zur Veröffentlichung auf meinem Blog freundlicherweise freigegeben hat.

„Interview* mit Prof. Albrecht Goeschel**

Frage:

Herr Professor. Vor diesem Interview haben Sie uns einen Beitrag zum Lesen gegeben, den Sie zusammen mit Rudolf Martens im Online-Magazin Makroskop veröffentlicht haben. Titel: „Sozialstaat als Krisenkanal: Die Austerity-Effekte in den Regionen“. Ehrlich: Verstehen wir nicht so ganz, ist das etwas gefährliches?

Der „Sozialstaat als Spaltkeil der Gesellschaft“ gehört

zum Grundkonzept des Merkel-Regimes.

Goe.:

Ja, das ist etwas gefährliches, weil es die Leute nicht wissen, weil es ihnen

die Verantwortlichen wohlweislich verschweigen und weil der „Sozialstaat als Spaltkeil der Gesellschaft“ zum Grundkonzept des Merkel-Regimes gehört.

Frage:

Dann würden wir doch jetzt gerne hören, was der „Sozialstaat als Krisenkanal in die Regionen“ tatsächlich für ein UFO ist .

Goe.:

Allora. Zuerst die Europa-Ebene: In der Vor-Krisen-EU hat es ein pluralistisches Neben- und Miteinander nationaler Sozialordnungen gegeben. Jede nationale Elite hat ihre Arbeitsleute nach Tradition und Gusto so weit ausgebeutet, wie diese sich das haben gefallen lassen. Unter dem Deckmantel der Krise und per Spardiktat des Merkel-Regimes wurden dann aber in den EU-Ländern „Sozial“-Staatsreformen erzwungen und nun herrscht in Europa eine einheitliche Klassengesellschaft der billigen Arbeit. Stichworte: Fiskalpakt, Macron-Reformen.

Außerdem hatten wir in der Vor-Krisen-EU eine polyzentrische europäische Raumordnung. Jede Elite konnte ihre Siedlungskultur, Naturschönheiten, Bodenschätze, Rohstoffe etc. soweit ausplündern und zerstören, wie es halt ging. Seit der Krise und kommandiert vom Merkel-Regime gibt es nun ein Kern-Europa als Zentrum und das Rest-Europa als Peripherie. Angeblichen Krisenländern diktiert das Zentrum nicht nur, dass sie ihre Infrastruktur, z.B. Seehäfen, Schienenwege, Flugplätze, Wasserwerke etc. privatisieren müssen. Das Zentrum will anderen Nachbarländern auch diktieren, dass sie Fremdbevölkerungen aufzunehmen haben. Stichworte: Griechenlandterror, Flüchtlingsquoten. Vor allem das Berliner Spardiktat konnte unter Mithilfe der europäischen Quisling-Regime nur deshalb so rasch und wirksam realisiert werden, weil eben alle europäischen Gesellschaften und Volkswirtschaften zumindest rudimentäre „Sozial“-Sicherungssysteme haben, in und mit denen die jeweiligen Regierungen dann indirekte Lohnsenkung und direkte Daseinsvorsorgeverschlechterung subito exekutieren konnten und können. Der Exportterror der Weltkonzerne aus Deutschland und das  angebliche Heilmittel Lohnsenkung und Sozialabbau in den Nachbarländern fressen sich als Familienverarmung und Jugendarbeitslosigkeit noch in die periphersten Regionen in Europa durch. Stichwort: Studiertenarbeitslosigkeit im EU-Süden.

Frage:

Das mit dem Sozialstaat als Krisenkanal, als „Sparknüppel“ haben wir jetzt kapiert: Die deutschen Vorbilder sind wohl „Hartz IV“ und die „Schuldenbremse“. Womit es noch hapert , ist die Sache mit der „Raumordnung“.

Goe.:

Diese Angelegenheit ist auch tatsächlich schwieriger nachzuvollziehen und zu durchschauen. Sozialkürzungen werden coram publico dekretiert und individuale realisiert. Sozialkürzungen kennen und merken die Leute. Verschlechterungen von Lebensverhältnissen, der Niedergang von Regionen werden nicht ausdrücklich beschlossen und umfassend durchgesetzt. Eine Ausnahme war die „Schuldenbremse“ von 2009 In der Regel werden der Niedergang von Regionen als Schadfolgen von Sparpolitiken, Wirtschaftlichkeitsverbesserungen, Deregulierungen, Privatisierungen, Profitstreben etc. billigend in Kauf genommen oder durch Unterlassen von Gegenmaßnahmen herbeigeführt. Stichworte: Bahn- und Postprivatisierung, Schul- und Krankenhausreformen, Quelle- und Schlecker-Pleite, Opel-Bochumkrise etc.

Regionalniedergang findet überwiegend

als Erosion statt, nicht als Eruption.

Regionalniedergang findet überwiegend als Erosion statt, nicht als Eruption. Die Leute merken es erst, wenn es längst passiert ist, ihr Haus immer weniger wert ist, die Geschäfte schließen, die Nachbarn wegziehen. Dann sind auch die Verantwortlichen, die man meist gar nicht kennt und für deren Taten man gar keine Bezeichnung hat, längst im vergoldeten Ruhestand. Kann sich heute noch jemand an den Postzerstörer Zumwinkel erinnern? Höchstens , dass er Steuern hinterzogen und sich eine Burg in Tenno am Gardasee gekauft hat.

Frage:

Und wie hängen jetzt der Sparknüppel „Sozialstaat“ und die Systemschande „Regionalniedergang“ zusammen ?

Goe.:

Erlauben Sie mir ein Beispiel: Zu den „wissenschaftlichen“ Vorkostern und Einflüsterern des Merkel-Regimes gehört auch eine Akademie für Irgendwas in Halle. Dort haben sich im vergangenen Jahr schon ein paar so genannte „Experten“ zusammen gerottet und ein Papier zusammen geschmiert, in dem sie aus Wirtschaftlichkeitsgründen „empfehlen“, 1600 der 1900 Allgemeinkrankenhäuser in Deutschland zu eliminieren. Das gäbe dann zwar einen enormen Einspareffekt für die Kassenkonzerne und eine regelrechte Gewinnexplosion für die Krankenhauskonzerne, in deren übrig gebliebenen 300 Kliniken dann die 20 Millionen Krankenhausfälle in Deutschland abbehandelt würden, die bisher in 1900 Krankenhäusern versorgt worden sind. Aber viele Regionen würden dabei ihren größten Arbeitgeber verlieren. Von den Qualen für die mindestens 2 Millionen Patientinnen und Patienten, die über 80 Jahre alt sind, ganz zu schweigen. Typisch für das Merkel-Regime wird sein, dass die nächste GroKo nach den Wahlen dann nicht 1600 Krankenhäuser, sondern vielleicht nur 1000 Krankenhäuser und das auf mehrere Jahre verteilt, liquidieren oder zu liquidieren versuchen wird. So zerstört man mit dem Sozialknüppel die Lebensverhältnisse in den Regionen. Ci siamo capiti ?

So zerstört man mit dem Sozialknüppel die

Lebensverhältnisse in den Regionen.

Frage:

Sie haben bei unserer Vorbesprechung angedeutet, dass sich einige Leute über den Beitrag in Makroskop aufgeregt haben. Wer und warum ?

Goe.:

Das sind seit den frühen 1980er Jahren immer die gleichen, z.T. sogar die selben Leute. Damals haben unser seinerzeitiges Institut* und ein paar weitere befreundete Institute begonnen, die Bedeutung der Sozialfinanzen und der Gesundheitsversorgung für die Regionen zu untersuchen. Vor allem die Forderungen der Sozialdemokratie nach Zentralisierung und Konzentration der Sozialversicherung, Zentralisierung der Gesundheitsversorgung etc. haben in diesen Jahren von uns schlechte Noten bekommen. Das haben schon damals die typischen Reform-Sozis, die sich an allen möglichen Universitäten etc. herumgetrieben haben, gar nicht leiden können. Einer der damaligen Lautsprecher hat sich auch jetzt wieder, beinahe posthum, über unseren Makroskop-Beitrag gegiftet. Er will einfach nicht, dass der von der GroKo, also SPD und CDU/CSU ausgekungelte „Gesundheitsfonds“ als das dargestellt wird, was er ist: Ein Mechanismus, mit dem bürokratisch-geräuschlos die stärkeren Regionen auf Kosten der schwächeren Regionen noch stärker gemacht  werden.

Gesundheitsfonds“: Ein Mechanismus, mit dem bürokratisch-geräuschlos mdie stärkeren Regionen auf Kosten der schwächeren Regionen noch stärker gemacht werden.

Frage:

Wie macht dieser Gesundheitsfonds das ?

Goe.:

Ganz einfach. Die Kassenkonzerne, über denen der Gesundheitsfonds installiert ist, kassieren in allen Regionen einen einheitlichen Beitragssatz ab – ohne Rücksicht auf Unterschiede in Wirtschaftskraft, Arbeitsmarkt, Bevölkerungstruktur, Gesundheitswesen und Erkrankungslage. Umgekehrt erhalten aber die Regionen aus den abkassierten einheitlichen Kassenbeiträgen sehr unterschiedliche Kassenleistungen wieder zurück – je nach dem, wie viele Gesundheitsberufe und Gesundheitseinrichtungen in den Regionen vorhanden sind. Nachdem die schwächeren Regionen meist auch die wenigeren Ärzte, Apotheken, Krankenhäuser etc. haben als die stärkeren Regionen , fließen in die schwächeren Regionen proportional weniger Kassenfinanzen zurück, als aus diesen schwächeren Regionen abgeschöpft worden sind. Die Differenz kommt den stärkeren Regionen zu Gute.

*) Studiengruppe für Sozialforschung e.V. – http://www.studiengruppe.com/projekte

Umgekehrt treffen die mit der Krisen- und Sparpolitik diktierten Verschlechterungen der Gesundheitsversorgung die schwächeren Regionen besonders. Die Leute dort sind auf die Sozialleistungen auch in der Gesundheitsversorgung stärker angewiesen. Eine saubere „Raumordnung“ ist das, in der die schwächeren Teilräume die stärkeren Teilräume subventionieren müssen.

Frage:

O.K. Das ist jetzt klar: Das Merkel-Regime zerlegt mit Hilfe von Sozialstaats-„Reformen“ Deutschland in seine Bestandteile. Ost gegen West, Abstiegsregionen gegen Aufstiegsregionen. „Marktgerechter Staat“ halt. Das hat aber doch nicht erst mit Merkel begonnen?

Marktgerechter Staat“

Goe.:

Da haben Sie recht. Merkel kann sich ihre Politik des obstinaten Schweigens und der dicken Backen vor allem auch deshalb mit Erfolg erlauben, weil die ewige Regierung Kohl und der Zigarren-Sozi Schröder schon vorgearbeitet haben. Stiefmutti hat hier ein reiches Erbe übernommen.

Losgegangen ist das in der Kohl-Ära mit der scheinbar bequemen Finanzierung der Sozialkosten des DDR-Anschlusses an die BRD nicht aus den Steuermitteln des Staates, sondern aus den Beitragsmitteln der Sozialversicherungen. Die Folge war dann wegen der steil ansteigenden Sozialbeiträge im Westen eine Massenflucht in die beitragsminimalen Minijobs in den westlichen Bundesländern. Seitdem ist der so genannte „Arbeitsmarkt“ in Deutschland zweigeteilt: Hochlöhne und Minijobs im Westen, Dauerarbeitslosigkeit und Vollzeitjobs im Osten. Vor allem aber wurden die Minijobs ein paar Jahre später von „Rot-Grün“ nicht nur massiv gefördert , sondern als eine Art Vorübung für „Hartz IV“ benutzt.

Frage:

Wir wollten eh schon nachfragen, was denn zu den Schreibtischuntaten „Riester-Rente“ und „Hartz IV“ zu sagen ist. Das sind doch die bedeutendsten Erbstücke der Schröder-Episode.

Goe.:

Nach meiner Einschätzung hat Merkel von Riester-Rente und Hartz IV enorm profitiert .Für die schlimmsten Sozialverrätereien braucht man sowieso die Sozialdemokraten. Konservative kriegen das nicht so hin, stoßen auf zu viel Widerstand. Merkel braucht also nur einfach so weitermachen wie Schröder. Mit der Riester-Rente ist die Angst vor der Altersarmut angeheizt worden – jetzt klammert sich die Sparbuch- und Eigenheim-Mitte ganz verzweifelt an Stiefmutti. Und wer nicht pariert, dem droht das System mit Einweisung ins „Hartz IV – Ghetto“. Lagerkommandeuse ist dort günstiger weise die Sozialdemokratin Nahles.

Die Riester-Rente hat zu einer Aufspaltung der Zwangsgemeinschaft der Rentenversicherten geführt.

Die Riester-Rente hat zu einer Aufspaltung der Zwangsgemeinschaft der Rentenversicherten geführt: Die Mehrheit der Versicherten muss mit steigenden Beiträgen oder sinkenden Leistungen eine gut verdienende Minderheit von Versicherten dabei subventionieren, dass sich diese Gutverdiener eine zusätzliche private Kapitalrente aufbauen können. So bringt man Niedriglöhner und Besserverdiener auch außerhalb der Betriebe gegeneinander auf.

Die Hartz IV – Quote im deutschen Osten liegt weitaus höher als im deutschen Westen, insbesondere höher als im deutschen Süden.

Über Hartz IV braucht man nicht viel zu sagen Jeder weiß, dass hier Millionen Menschen mittels des wundervollen Sozialstaats aus dem Sozialversicherungssystem in ein Fürsorgeguantanamo ausgegliedert worden sind und außerdem als Sündenböcke bzw. Angstmacher benutzt werden. Dabei kommt zur sozialen Spaltung noch eine regionale Spaltung: Die Hartz IV – Quote im deutschen Osten liegt weitaus höher als im deutschen Westen, insbesondere höher als im deutschen Süden.

Frage:

Merkel hat auch selber viel getan, um Land und Leute zu zerlegen – wie sehen Sie das?

Goe.:

Abgesehen von den paar lächerlichen Jahren mit der FDP-Komikertruppe (Brüderle, Rösler, Westerwelle etc.) hatte Merkel eine Traumpartnerin für die Zerstörung der Lebensverhältnisse durch Sozialreformen, für die Zerstörung der Raumordnung durch die „Sozial“-Sicherung: Die Sozialdemokratie, die alle Sozialsauereien sachkundig und eilfertig mitgestaltet hat.

Merkel hatte eine Traumpartnerin für die Zerstörung der Lebensverhältnisse durch Sozialreformen: Die Sozialdemokratie.

Angefangen hat das gleich nach dem Wahlsieg der GroKo-Parteien mit der Erhöhung der „Mehrwertsteuer“ im Jahr 2006 von 16 auf 19 Prozent,die vor allem die Einkommenschwachen seitdem erheblich belastet. Kurz darauf ist dann der „Gesundheitsfonds“ installiert worden, der die reichen

Auch die Schuldenbremse wirkt als Spaltkeil in die Gesellschaft hinein. Foto: Peter Frank via Pixlio.de

Regionen noch reicher und der die armen Regionen noch ärmer macht. Typisch für Merkels Heimtücke war dann, wie sie die weltweite Finanzkrise benutzt hat, um 2009 eine „Schuldenbremse“ in der Verfassung unterzubringen. Diese Schuldenbremse entzieht gerade den schwächeren Bundesländern und ihren Bevölkerungen die Finanzierungsbasis für die Daseinsvorsorge. Stichworte: Kitas, Schulen, Krankenhäuser, Wohnbauten, Freibäder, Wasserwerke, Straßen, Brücken etc. Mit der Schuldenbremse wurde Deutschland noch krasser in arme Bundesländer und in reiche Bundesländer zerlegt.

Und Merkel zerlegte weiter: 2010 dekretierte ihr Regime ein „Sparpaket“, mit dem Sozialleistungen gestrichen wurden und das in Westdeutschland vor allem den abgestiegenen alten Industrieregionen Ruhrgebiet und Saarland und Ostdeutsch-land insgesamt Milliarden Sozialtransfers, d.h. Kaufkraft entzog. Die als Ausgleich versprochene „Finanztransaktionssteuer“ gibt es bis heute in Deutschland nicht.

Nach der Bundestagswahl machte sich Merkels zweite GroKo dann 2014 so gleich daran, ihre Vorzugsklientele finanziell ordentlich zu privilegieren: Stichworte „Mütter-Maut“ und „Facharbeiter-Rente 63“. Die Kosten für diese Wohltaten für die GroKo-Milieus müssen seitdem von allen Rentenversicherten getragen werden. Ein schöner Beitrag zur künftigen „Altersarmut“.

Frage:

Grauenvoll Geht das noch lange so weiter ?

Merkel fingerte ihren „Flüchtlingsputsch“ und zerlegte damit

die Leute in Deutschland in zwei Gesinnungslager:

Gutmenschen“ und „Fremdenfeinde“.

Goe.:

Ja, das geht noch so weiter, weil Hinterhältigkeit und Heimtücke ja nicht befriedigen, sondern unstillbaren Machthunger erzeugen. Und so kam es, wie es kommen musste:Merkel fingerte ihren „Flüchtlingsputsch“ und zerlegte damit die Leute in Deutschland in zwei Gesinnungslager: „Gutmenschen“ und „Fremdenfeinde“. Merkel hat damit den linken Sektor moralisch-politisch erfolgreich paralysiert und den rechtskonservativen Sektor als rassistisch-neofaschistisch diskriminiert.. Sie gibt nun allein die Antworten auf die Fragen, die auch nur allein sie gestellt hat.

Frage:

Damit endlich mit diesem Interview Schluss gemacht werden kann: Welche Gegenmaßnahmen empfehlen Sie ?

Goe.:

Zunächst ist es ganz wichtig, den Leuten klarzumachen, dass der „Sozial“-Staat gerade unter dem Merkel-Regime eine Illusion, ein Täuschungsmanöver ist. Dass er die Arbeitnehmer auf dem Schleichweg der Beiträge ausplündert und die Besserverdiener unter ihnen privilegiert und den Hocheinkommen, Großvermögen, Weltkonzernen und der Finanzindustrie Steuern spart. Sodann ist es wichtig, in den Abstiegsregionen klar zu machen, dass sie dafür sorgen müssen, dass die Verwendung und die Verteilung von derzeit ca. 900 Milliarden Euro Sozialbudget viel entscheidender für ihren weiteren Abstieg oder ihre Erholung sind, als die lächerlichen paar Milliarden Finanzausgleich. Regionalpolitik muss sich in die Sozialpolitik einmischen. Die Zerstörung der Raumordnung durch die Sozialsicherung muss unterbunden werden. Zuletzt sollte man sich die so genannte gesellschaftliche „Mitte“ einmal genauer ansehen. Im Kapitalismus ist das jeweils der Rest, der übrig bleibt zwischen der Minderheit der Superreichen und Großprofiteure einerseits und der ausgegrenzten und käfiggehaltenen Reservearmee für den nationalen, europäischen und internationalen Konkurrenzkampf andererseits. Die „Mitte“, das sind jeweils wechselnde Arbeitnehmer- und Erwerbstätigengruppen, die man im Geschäftsmodell Deutschland gerade vorrangig braucht und die man so viel verdienen lässt, dass aus ihrem „Brutto“ die Niedriglöhne ihrer Konkurrenten und Konkurrentinnen aufgestockt werden können.

Merke:

Wenn Merkel der „Mitte“ schmeichelt, dann will sie, als verkleidete Stiefmutter, dieser „Mitte“, wie dem doofen Schneewittchen, einen Giftapfel andrehen.

Frage:

War das der Schlusssatz ?

Goe.:

Das war der Schlusssatz.

Danke für dieses Gespräch !

*

Das Interview führte eine Autorengemeinschaft der Accademia ed Istituto per la Ricwrca Sociale Verona.

Der vollständige Interviewtext liegt in der Verantwortung von Prof. Albrecht Goeschel i.S.d. Pressegesetzes.

Mail: mail@prof-goeschel.com

**

Prof. (Gast) Albrecht Goechel

Staatliche Universität Rostov

Präsidiusmitglied derAccademia ed Istituto per la Ricerca Sociale.

Alle Rechte bei:

Accademia ed Istituto per la Ricerca Sociale Verona 2017

Mail: mail@accademiaistituto.com“

Hinweis: Den eingangs von Prof. Goeschel erwähnten Beitrag  „Sozialstaat als Krisenkanal: Die Austerity-Effekte in den Regionen“ im Online-Magazin Makroskop finden Sie hier. Er ist allerdings kostenpflichtig.

ACCADEMIA ED ISTITUTO PER LA RICERCA SOCIALE: Alle Parteien machen mit – Merkels „Sozial“- Beitragsstaat

Pressemitteilung

Foto: Thorben Wengert via Pixelio.de

„Selbst die Wahrheitspresse spottet inzwischen über die Steuersenkungsideen der Berliner Einheitsparteien: „Alle wollen ein bisschen entlasten“ ätzt der Tagesspiegel.

In der Tat: Linke und Grüne genauso wie CDU, CSU und SPD summen Merkels steuerpolitischen Einschläferungssingsang von der „Mitte der Gesellschaft“ mit, die man entlasten müsse. Und selbst Parteien, die erstmals in der Berliner Glaskugel Platz nehmen möchten oder die ihre alten Plätze dort wieder haben möchten, machen mit.

Mit der Reduzierung der Steuererleichterungsdebatte auf die „Mitte der Gesellschaft“  ist das Thema Steuern allerdings am ganz falschen Ende aufgezäumt: Nämlich von der „Veranlagten Einkommensteuer“ her. Diese Steuerart machte aber im vergangenen Jahr gerade einmal 8 Prozent aller Steuereinnahmen des Staates aus – ist also Peanuts“. Im Vergleich: Über die Lohnsteuer finanzierten die abhängig Beschäftigten 26 Prozent der Steuerwegnahmen durch den Staat. Und über die Mehrwertsteuer finanzierte die inländische Bevölkerung 31 Prozent der Steuereinnahmen des Systems. Wenn also die Einheitsparteien sich auf die veranlagte Einkommensteuer versteifen und Merkel dafür als Obergrenze für Steuererleichterungen 15 Milliarden Euro vorgibt, dann ist klar: Hier wird eine Scheindebatte veranstaltet, hier wird das Publikum getäuscht. Es wird von Steuerbelastungen geredet, während die eigentlichen Belastungen von den hohen und steigenden Sozialbeiträgen ausgehen. Eine Rinnsal-Steuer wird groß aufgeblasen, damit das Sozial-Beitragshochwasser nicht wahrgenommen wird.

Vergleicht man die so genannte Einkommensteuer-Quote mit der Sozialbeitrags-Quote, d.h. das Aufkommen dieser Abgaben im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt, dann wird das Lieblingsthema der Parteipolitiker noch lächerlicher. 2015 betrug die veranlagte Einkommensteuer-Quote gerade einmal 1,7 Prozent, die vor abgezogene Sozialbeitrags-Quote hingegen knapp 17 Prozent – d.h. das zehnfache.

Und wenn man sich die Beitrags- und die Steuer-Quoten der zurückliegenden Jahrzehnte ansieht, dann werden die Einkommensteuer-Änkündigungen der Parlaments-parteien und Merkels „Mitte“-Geschwätz nachgerade zu einer politischen Unverschämtheit.

Die veranlagte Einkommensteuer, im Kaiserreich eingeführt und damals die wichtigste Steuer,ist mittlerweile zu einem Rinnsal verkommen. Dafür sind aber die Sozialbeiträge neben der Mehrwertsteuer und der Lohnsteuer zur wichtigsten Staatseinnahmenquelle geworden.

Grafik: Alle Rechte bei Accademia ed Istituto per la Ricerca Sociale Verona (Korrespondenzbüro Deutschland).
Kostenlose Wiedergabe ohne Veränderung und bei Urheber- und Quellennennung. Verona, Juli 2017.

Wenn man das Jahr 2016 betrachtet: Mit einem Mehrwertsteueraufkommen von 217 Milliarden Euro und einem Lohnsteueraufkommen von 185 Milliarden Euro bei insgesamt 705 Milliarden Euro Gesamtsteueraufkommen und mit nochmals über 600 Milliarden Euro Sozialbeitragsaufkommen gehört den Leuten längst der ganze Staat samt Sozial-Staat.

Das ist der Grund, weshalb das Regime und seine „Opposition“ die Schmierenkomödie „Einkommensteuergerechtigkeit“ aufführt. Die Leute, denen längst der ganze Laden gehört, sollen nicht merken, dass sich der Parteienstaat zwischenzeitlich bevorzugt aus den Sozial-Beiträgen finanziert. Der Fachbegriff dafür heißt „Versicherungsfremde Leistungen“. Dieser Begriff bezeichnet den Umstand, dass der Staat Aufgaben, die er mit Steuern finanzieren müsste, in die Renten-, Arbeitslosen-, Kranken- und Pflegeversicherung verlagert und von den zwangsversicherten Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen bezahlen lässt oder dafür die Leistungen kürzt. So ist das mit der so genannten „Wiedervereinigung“ gelaufen und so läuft das gerade mit den „Flüchtlingskosten“.

Aufgepasst also:

Wenn Merkel vom „Sozial-Staat“ redet, dann meint sie selbstverständlich ihren „Sozial“-Beitragsstaat und wenn Merkel von „Entlasten“ redet, dann meint sie selbstverständlich „Verlagern“ – von den Steuern auf die Beiträge.“

ACCADEMIA ED ISTITUTO PER LA RICERCA SOCIALE

Autorengemeinschaft Steuerkultur

Verant. i.S.d. Pressegesetzes: Prof. (Gast) Albrecht Goeschel