DiEM25 wird sechs Jahre alt!

Der 9. Februar 2016 war ein großartiger Tag.  Nur mit dem starken Gedanken gerüstet, dass die Europäische Union ohne mehr Demokratie zerfallen würde, versammelten wir uns in der Berliner Volksbühne – und DiEM25 war geboren.

Sechs Jahre später können wir leider feststellen, dass die meisten unserer Vorhersagen eingetreten sind. Nicht nur, dass  Europa auseinanderbricht,  unser Planet selbst ist auf dem Weg zum Untergang. Unsere Aufgabe ist enorm. Wir konnten in den letzten sechs Jahren aber die richtige Infrastruktur aufbauen, um diese beispiellosen Herausforderungen zu bewältigen. Das verdanken wir zum großen Teil unseren Mitstreiber*innen.

  • In Griechenland zum Beispiel ist unsere MERA25-Partei mit 9 Abgeordneten im Parlament vertreten, und gibt den Stimmlosen im Land eine Stimme.
  • In Deutschland haben wir aus demselben Grund gerade MERA25 gegründet.
  • Letztes Jahr haben wir mit unserem Tweetstorm zum Green New Deal for Europe mehr als 15 Millionen Menschen erreicht.
  • In den vergangenen Jahren haben wir für Julian Assange und die Pressefreiheit gekämpft und tun dies auch weiterhin.
  • Und gerade jetzt reisen wir, trotz der Pandemie, sicher durch Europa, um uns mit unseren Mitgliedern zu treffen, und über die nächsten Schritte in diesen Ländern zu beraten.

Und schließlich haben wir, wie vielleicht gelesen wurde, zusammen mit unseren Mitgliedern ein neues Manifest und Organisationsprinzipien erarbeitet, das bald veröffentlicht werden wird.

Diese neue Ausrichtung wird unsere Ziele für die Zukunft sowie die Art und Weise, wie wir sie verfolgen, bestimmen. An unserem Hauptziel aber wird sich nichts ändern: die Schaffung einer postkapitalistischen Zukunft in ganz Europa und darüber hinaus.

Um mehr über unsere nächsten Schritte zu erfahren und unseren sechsten Jahrestag mit uns zu feiern, laden wir ein, am nächsten Livestream  unseres Koordinationskollektivs teilzunehmen. Wir werden eine Bilanz unserer Erfolge und Misserfolge der letzten sechs Jahre ziehen und über spannende Zukunftsperspektiven sprechen. Nehmt daran teil!

Am Mittwoch, dem 9. Februar 2022, um 18 Uhr MEZ live auf YouTube.
Wir sehen uns dort!

Carpe DiEM25!

Yanis Varoufakis und Srećko Horvat

> DiEM25 Mit-Begründer

Quelle: DiEM25

Der Musiker und Theatermacher Tjerk Ridder aus Utrecht erhielt den „Le Prix de Partage Européen“ für seinen Beitrag zur Vernetzung Europas

Im Jahre 2010 ging der niederländische Musiker, Theatermacher und Autor Ridder mit dem Projekt „Trekhaak Gezocht!“ („Anhängerkupplung gesucht!“) von seiner Heimatstadt Utrecht aus auf eine ganz besondere Tour. Mit einem Campinganhänger.

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Peter Bijl und Tjerk Ridder mit Hundedame Dachs vor ihrem Wohnwagen auf dem Gelände der Zechen Zollverein Essen im Jahre 2010; v.l.n.r. (Foto: Claus Stille)

Ohne Zugmaschine. Die musste er sich jeweils unterwegs suchen. Und somit Leute finden, die ihn und seinen Eriba-Campingwagen anhaken und ein Stück des Wegs ziehen. Dem Ziel, Istanbul, entgegen. Dieses Projekt sollte die Metapher „Man braucht andere, um voranzukommen“, transportieren. Dazu hier, hier und hier etwas. Mein Foto (unter diesen Zeilen) von der Aufführung von „Anhängerkupplung gesucht!“ auf der Zeche Zollverein in Essen im Hintergrund  das Stadtbild von Utrecht, wo 2010 die Tour ihren Anfang nahm.

Später folgten weitere bemerkenswerte Projekte des Holländers. Er begab sich auf die „Spuren der Freiheit“. Tjerk Ridder hat zu diesem Behufe mit vielen unterschiedlichen Menschen aus diversen EU-Ländern über ihre persönliche Freiheit gesprochen. Später 20140628_201447

während einer theatralen Begegnung auf der Ruhrtriennale erzählte und sang Tjerk Ridder über diese berührenden wie inspirierenden Erfahrungen auf den Spuren des vereinten Europa und mit den Menschen, die es bevölkern.“ Ridder konnte aus einer Vielzahl an Begegnungen mit den unterschiedlichsten Menschen in den Niederlanden und Nachbarländern interessante Meinungen gewinnen und mithin interessante persönliche Lebensweisheiten aufzeichnen. Aus dem unterwegs Erlebten konzipierte er eine reflektierende theatrale Performance. Hier mein Bericht darüber.

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Die Band mit Tjerk Ridder. Verdienter Premierenapplaus seinerzeit in Utrecht. Foto: Stille

Und abermals schloss sich diesem Projekt ein weiteres an. Ridder wandelte zusammen mit Esel Lodewijk auf den Spuren von Martinus. Und ging der Frage nach: „Was bedeutet den Menschen das Teilen und Solidarität heute?

Mit allen aus seinen Projekten entstandenen Theateraufführungen gastierte Tjerk Ridder in seinem Heimatland. Mit „Anhängerkupplung gesucht!“ auch in Deutschland. Zu „Anhängerkupplung gesucht!“ erschien zusätzlich auch ein Buch.

255376966_5145518332141564_5432610504960593066_nHeute gab Tjerk Ridder via Facebook bekannt:

„Gestern war ich ins Rathaus von Utrecht eingeladen und es wartete eine große Überraschung; ich erhielt von Bürgermeisterin Sharon Dijksma ‚Le Prix de Partage Européen‘! Drei weitere, in Italien, Frankreich und Ungarn, erhielten diesen Preis für ihren Beitrag zur Vernetzung Europas! Was für eine schöne Anerkennung und Ermutigung, danke an alle die dazu beigetragen haben!“

Verdient, Tjerk Ridder! Mein Blog gratuliert herzlich! Hartelijk gefeliciteerd!

   

Der Preis. Foto: via Tjerk Ridder/Facebook

Beitragsbild: Via Tjerk Ridder/Facebook

#weareinthistogether – Gemeinsamer italienisch-deutscher Appell an die Regierungen aller Mitgliedsstaaten und an die EU-Institutionen

Die Coronavirus-Pandemie und ihre Folgen für unsere Gesellschaften und Volkswirtschaften stellen für uns alle eine in der Geschichte der Europäischen Union beispiellose Herausforderung dar. Wir sind froh, dass in unseren beiden Ländern die Ausbreitung des Virus nun besser unter Kontrolle ist. Eine Reihe von Beschränkungen des öffentlichen Lebens und der Wirtschaftstätigkeit konnten bereits aufgehoben werden. Dies bedeutet jedoch nicht, dass ein Ende dieser Krise in Sicht ist. Wir treten jetzt in eine neue Phase ein. Unternehmen jeder Größe sind von einer völligen Einstellung oder Verlangsamung ihrer Aktivitäten hart getroffen worden. Eines sollte klar sein, wenn wir über den Neustart unserer Volkswirtschaften in Europa diskutieren: Diese Krise trifft alle Länder gleichzeitig, und kein einziges Land befindet sich in dieser Krise aufgrund schlechter wirtschafts- oder finanzpolitischer Entscheidungen der Vergangenheit, sondern aufgrund einer schrecklichen Pandemie. Deshalb müssen wir die Last dieser Krise in Europa gemeinsam schultern. Deshalb wiederholen wir unsere Forderung nach der Ausgabe von Europäischen Gesundheitsanleihen mit einem klaren und definierten gemeinsamen Ziel und vorbehaltlich gemeinsam vereinbarter Leitlinien. Ohne Lastenteilung würden wir nicht nur die Stabilisierung des Gesundheitssystems und die wirtschaftliche Erholung einiger Länder riskieren, wir würden den gesamten Binnenmarkt und damit unser Projekt der Einigung Europas gefährden.

Es besteht kein Zweifel daran, dass die Erholung unserer Volkswirtschaften eine noch nie dagewesene Menge an öffentlichen Geldern erfordert. Gleichzeitig gehen die Steuereinnahmen unserer Staaten aufgrund der Wirtschaftskrise dramatisch zurück. Selbst wenn der daraus resultierende Anstieg der öffentlichen Neuverschuldung gerechtfertigt ist, wäre es unverantwortlich, die Einnahmenseite der öffentlichen Haushalte zu vergessen. Steigende Steuern sind kein guter Hüter der wirtschaftlichen Erholung. Deshalb sollten wir uns in erster Linie darauf konzentrieren, Ressourcen zu generieren, indem wir Steuerdumping, Steuerbetrug und Geldwäsche eindämmen. In der Vergangenheit hat ein Mangel an europäischer Einheit die Fortschritte in Richtung einer gemeinsamen Steuerpolitik und eines entschlossenen Kampfes gegen Finanzkriminalität begrenzt.

Angesichts des Ausmaßes dieser Corona-Krise und der steigenden Staatsverschuldung fordern wir eine umfassende Nulltoleranz-Politik gegenüber Geldwäsche, Steuerbetrug und Steuerdumping in Europa. Eine solche Nulltoleranz-Politik sollte aus fünf Schlüsselaktionen bestehen:

  1. Europa braucht einen gemeinsamen effektiven Mindeststeuersatz auf Unternehmenseinkommen. Wenn die internationalen Bemühungen im Rahmen der OECD nicht wie vorgesehen bis Ende dieses Jahres zu einer Einigung kommen, muss die EU einen eigenen effektiven Mindeststeuersatz festlegen. Dieser Satz sollte auf der Grundlage einer gemeinsamen konsolidierten Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage (GKKB) auf große Unternehmen angewandt werden. Diese sollten auch Gewinne und gezahlte Steuern auf Länderbasis öffentlich offenlegen, wie von der Europäischen Kommission vorgeschlagen und vom Europäischen Parlament unterstützt.
  1. Während der Corona-Krise haben digitale Geschäftsmodelle Marktanteile von traditionellen Unternehmen gewonnen. Diese Triebfeder in Richtung Digitalisierung kann durchaus nützliche Innovationen fördern. Gleichzeitig ist der Wettbewerb nicht fair, wenn große digitale Unternehmen in Europa kaum Körperschaftssteuern zahlen, während traditionelle Unternehmen dies tun. Deshalb sollte Europa einen gemeinsamen Ansatz für die digitale Besteuerung einführen, der sicherstellt, dass die in Europa erzielten Gewinne auch in Europa auf fairer Basis besteuert werden. Bis eine Unternehmenssteuerreform in Kraft tritt, sollte der von der Europäischen Kommission vorgeschlagene und vom Europäischen Parlament unterstützte Vorschlag einer Digitalbesteuerung so schnell wie möglich in Kraft treten.
  1. Fehlende Ressourcen und mangelndes gegenseitiges Vertrauen zwischen den europäischen Steuerverwaltungen sind die Grundlage für einen groß angelegten grenzüberschreitenden Steuerbetrug bei der Mehrwertsteuer in Höhe von rund jährlich 50 Milliarden Euro sowie der Dividendenarbitrage. Es ist höchste Zeit, dass die derzeit blockierten Mehrwertsteuerreformen von den Mitgliedsstaaten verabschiedet werden und dass eine europäische Antwort auf die Dividendenarbitrage erarbeitet wird.
  1. Der Steuerwettbewerb in Europa ist im Begriff, sich von der Besteuerung von Kapitaleinkommen auf die Besteuerung der persönlichen Einkommen auszuweiten. Non-Dom-Regime, Pauschalsteuerzahlungen, Sonderbehandlungen bestimmter Einkommensarten in bilateralen Steuerabkommen, Freihäfen, goldene Visa und Staatsbürgerschaften haben das Potential, die umfassende und progressive Einkommensbesteuerung in den Mitgliedsstaaten zu schwächen. Europa muss eine Rahmenregelung entwickeln, um die progressive Einkommensbesteuerung vor Sonderregelungen zu schützen.
  1. Die Eindämmung des durch kriminelle Aktivitäten verdienten Geldes ist sowohl für die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger als auch für ehrliche Unternehmen ein Gewinn. Die Bekämpfung der Geldwäsche wird auch zusätzliche öffentliche Einnahmen generieren. Nach Angaben der EU-Kommission belaufen sich die entgangenen öffentlichen Einnahmen auf sage und schreibe 160 Milliarden Euro pro Jahr. Nach Angaben von Europol wird nur 1% des kriminellen Geldes beschlagnahmt. Italien hat gezeigt, dass die Mitgliedsstaaten in diesem Bereich durch rechtspolitische Reformen erfolgreich sein können, die in ganz Europa kopiert werden sollten. Aber auf jeden Fall braucht Europa auch eine effektive Geldwäsche-Aufsichts- und Regulierungsbehörde. Für die groß angelegten Fälle von Finanzkriminalität sollte im Rahmen von Europol eine europäische Finanzpolizei geschaffen werden.

Da Steuerpolitik normalerweise einen einstimmigen Beschluss aller EU-Mitgliedsstaaten erfordert, sind Fortschritte in Richtung Steuergerechtigkeit notorisch langsam. Auch die gemeinsame Entscheidungsfindung in Fragen der Sicherheitszusammenarbeit ist schwierig. Aber es gibt Handlungsspielraum. Maßnahmen zur Unternehmenstransparenz und zur Bekämpfung der Geldwäsche werden mit Mehrheitsbeschluss getroffen. Darüber hinaus könnte die Europäische Kommission Artikel 116 AEUV als Rechtsgrundlage für mögliche zukünftige Steuergesetzgebungsvorschläge heranziehen, wenn der Wettbewerb im Binnenmarkt verzerrt wird und zuvor keine Einigung zwischen den Mitgliedstaaten erzielt wurde. Das Niveau des Steuerwettbewerbs in der Europäischen Union ist so hoch, dass die neue Europäische Kommission bereits angedeutet hat, diese Option, die dem Europäischen Parlament gleiche Entscheidungsbefugnisse garantieren würde, ernsthaft zu prüfen. Es ist höchste Zeit, diese Option zu nutzen. Zu guter letzt sollten die Mitgliedstaaten die Zusammenarbeit in globalen und multilateralen Institutionen fördern, um internationale Entscheidungen für die Zusammenarbeit im Steuerbereich zu unterstützen.

Diese Krise erfordert entschlossene Entscheidungen für Fairness und Effizienz auf der Einnahmenseite der öffentlichen Haushalte. Die Zeit zum Handeln ist jetzt gekommen.

Quelle:

#weareinthistogether

Petition: hier

Ist die EU noch zu retten? Wo sind zur Zeit die „Pro-Europäer“? Niederländischer Finanzminister übt sich in Zynismus

Jens Berger, Redakeur der NachDenkSeiten. Foto: C. Stille

Wo sind sie denn? Wo laufen sie denn eigentlich, jetzt in der Corona-Krise, die vor Bläue mit goldenen Sternen einst nur so geleuchtet habenden Pro-EUler von Pulse of Europe, die vor einiger Zeit noch auf Straßen und Plätzen mit EU-Fahnen auftauchten?

Das fragt sich auch NachDenkSeiten-Redakteur Jens Berger:

„Aber wo sind eigentlich zur Zeit die “Pro-Europäer”, die bei jedem anderen Thema das blaue Banner mit den goldenen Sternen schwenken und Kritikern der real existierenden neoliberalen EU vorwerfen, “Anti-Europäer” zu sein? Jetzt wäre es wirklich an der Zeit, für Europa zu kämpfen … gegen Merkel, gegen Scholz und für die Solidarität. Aber vielleicht ging es besagten „Pro-Europäern“ ja auch nie um die Solidarität und vielmehr um den Machterhalt von Merkel und Scholz und ein Fortbestehen der real existierenden neoliberalen EU? Dann kommt die Kontaktsperre natürlich wie gerufen, hat man so doch wenigstens eine gute Ausrede, warum man jetzt nicht für Europa auf die Straße geht.“

Still ruht der See …

Aber der niederländische Finanzminister macht Wellen, dass seinem portugiesischen Amtskollegen verständlicherweise der Kragen platzte. Der Zeitung Die Presse (Österreich) gilt Wopke Hoekstra als „ein Mann der klaren Worte“. Nun ja. Zynisch und arrogant beschied Hoekstra kürzlich, als die EU-Finanzminister über von der Corona-Pandemie schwer betroffene gewünschten Euro-Bonds bzw. Corona-Bonds sprachen, seinem portugiesischen Amtskollegen:

„Warum haben manche EU-Länder nach der jüngsten Finanzkrise, die 2008 begann, ihre Finanzen und Haushalt nicht in Ordnung gebracht?“

Eine ausgemachte Frechheit! Haben doch gerade die damals an diese Länder gerichteten Sparbefehle – nicht zuletzt vom üblichen Verdächtigen Deutschland – erteilt die Misere, etwas im kaputtgesparten italienischen Gesundheitswesen maßgeblich mit herbeigeführt?

Die Sicht des Finanzexperten der Linksfraktion im Deutschen Bundestag, Fabio De Masi: „Der Widerstand gegen Corona-Anleihen ist unbegründet“

„Bundeskanzlerin Merkel und Finanzminister Scholz riskieren eine neue Euro-Krise mit extremen Kosten für Deutschland. Das ist verantwortungslos“, kommentiert Fabio De Masi, deutsch-italienischer Finanzpolitiker und stellvertretender Vorsitzender der Fraktion DIE LINKE, die Debatte um Corona-Anleihen im Vorfeld des Treffens der EU-Finanzminister. De Masi weiter:

„Der Widerstand gegen Corona-Anleihen ist unbegründet. Corona-Anleihen dienen nicht der Vergemeinschaftung von Altschulden. Wer Italien zwingt, in die Krise zu kürzen, macht die Krise teurer und tödlicher – auch für Europa.

Die Europäische Investitionsbank (EIB) könnte eine Corona-Anleihe begeben und die Europäische Zentralbank (EZB) diese Anleihe kaufen. Die EZB kauft bereits heute Anleihen der EIB. Das Zins- und Haftungsrisiko für Deutschland wäre faktisch null, da die EZB in Euro nie Pleite gehen kann. Diese Finanzierung von Staatsausgaben durch die EZB wäre zulässig, da die EIB kein Staat, sondern eine Bank ist.

Das Verbot der Staatsfinanzierung durch die EZB in den EU-Verträgen schafft ein künstliches Insolvenzrisiko. Dabei kann ein Land eigentlich in eigener Währung nie Pleite gehen. In den USA und jedem anderen Währungsraum wäre es undenkbar, dass die Zentralbank die Staatsanleihen der eigenen Regierung nicht akzeptiert.

Wird dieses Problem nicht behoben, wird der Euro nicht überleben. Faktisch setzt sich die EZB bereits über dieses Verbot hinweg, da sie im Rahmen des Pandemic-Bond-Programms angekündigt hat, unabhängig vom jeweiligen Kapitalschlüssel notfalls Staatsanleihen zu kaufen. Diese werden Banken und Fonds jedoch auf dem Sekundärmarkt abgekauft. Das ist überflüssig.

Der ESM ist in seinem Volumen begrenzt und aufgrund der Kürzungsauflagen ungeeignet. Er erhöht überdies die Staatsverschuldung von Ländern wie Spanien und Italien und schafft damit das Risiko einer neuen Eurokrise.“

Die Europäische Union ist Friedensnobelpreisträger. Zu Unrecht. Sie hat demokratische Defizite. Und deren Mitglieder sind offensichtlich untereinander unsolidarisch. Was wird aus ihr werden? Ist sie noch zu retten? Sie braucht Leader – Frauen und Männer der klaren Worte (allerdings nicht solcher, wie sie dem Niederländer Hoekstra über die Lippen gekommen sind), denen Taten folgen, die einer solidarischen, demokratischen, wirklichen europäischen Gemeinschaft gut Gesicht stehen würden. Wo sind sie denn, wo laufen sie denn? Wir brauchen eine EU der Menschen!

Was DiEM25 dazu sagt, bringt Yanis Varoufaks zum Ausdruck

Inzwischen die Meldung: „Die EU-Finanzminister haben sich bisher nicht auf Hilfen für finanziell schwächere Länder in der Corona-Krise einigen können“ Quelle: Tageblatt, Luxemburg

#Euroleaks endlich veröffentlicht: Eurogroup June 27, 2015, in Brussels. So skandalös, zynisch und intransparent ging es in Brüssel zu. Der damalige griechische Finanzminister Yanis Varoufakis schnitt mit

Am 14. März 2020 hat die Bewegung Demokratie in Europa 2025 (DiEM25) die vollständigen Audiodateien von Yanis Varoufakis’ Treffen der Eurogruppe im Jahr 2015 veröffentlicht: euroleaks.diem25.org!

„Im Jahr 2015 nahm Yanis Varoufakis an dreizehn Treffen der Eurogruppe teil. Nach den ersten drei Treffen der Eurogruppe wurde klar, dass keine Protokolle erstellt werden!

Diese Art von intransparentem Handeln einer nicht gewählten Gruppe von Politikern, die unser aller Leben beeinflussen, ist inakzeptabel.

Deshalb wird DiEM25 am 14. März die Aufzeichnungen der Treffen der Eurogruppe ab 2015 veröffentlichen.

Zwei besondere Aspekte sollten hervorgehoben werden:

  1. Die neue rechte griechische Regierung von Nea Dimocratia versucht zum wiederholten Mal, Yanis Varoufakis die Schuld an SYRIZAs gescheiterter Wirtschaftspolitik zuzuschieben, der versucht hat einen besseren Vertrag für Griechenland zu erzielen. Etwas das sinnvoller war als das wiederholt gescheiterte, auf Austeritätsmaßnahmen ausgerichtete Memorandum der Troika. Kurzum, sie beschuldigen den einzigen, der sich gegen die Absurdität der Austeritätspolitik gestellt hat, der Ergebnisse der Austeritätspolitik!
  2. Die europäische Gemeinschaft ist nach wie vor in massiven Sparprogrammen gefangen, die in vielen Ländern zu einer Renaissance des Rechtspopulismus geführt haben. Mit all den Folgen, die an der griechisch-türkischen Grenze zu beobachten sind: Unmenschlichkeit und Fremdenfeindlichkeit.

Die Entscheidungen von damals haben nicht nur die griechische Bevölkerung, sondern alle Europäer nachhaltig beeinflusst.

Was wir mit der Veröffentlichung der Aufnahmen erreichen wollen, ist nichts weniger als die Demokratisierung der EU! Nur durch Transparenz ist es den gewählten Parlamentariern möglich, grundlegende Entscheidungen zu treffen.

DiEM25 hat als gesamteuropäische Organisation ein besonderes Interesse daran, das Vertrauen der Bürger Europas in seine Institutionen wiederherzustellen und Europa endlich zu dem zu machen, was es bisher nicht war: Eine Gemeinschaft, die den Völkern Europas dient und eine bessere Zukunft für alle Bürgerinnen und Bürger schafft, nicht nur für die Finanzinstitutionen und mächtigen Interessengruppen. Der Brexit ist vollzogen und wir müssen dafür sorgen, dass sich die Europäische Union nicht weiter in kleinlichen Streitigkeiten verliert, aus denen kein einzelnes Land als Sieger hervorgeht.

In den letzten Jahren ist viel Vertrauen verloren gegangen. Mit dieser Initiative wollen wir von DiEM25 den Euroskeptikern nicht in die Hände spielen, sondern dafür sorgen, dass das Vertrauen und der Glaube der Menschen durch mehr Transparenz und Demokratie zurückgewonnen wird.

Euroleaks ist ein Weckruf an alle Politiker in Europa, um den Bürgern Europas wieder zu dienen und sie über alle wichtigen Entscheidungen, die sie betreffen, aufzuklären.

Die Menschen in Europa haben das Recht zu wissen, was hinter verschlossenen Türen beschlossen wurde und wie es sie auch heute noch in ihrer Lebensituation persönlich betrifft. Damit es in Zukunft besser gemacht wird und diese Fehler für die Zukunft zu vermieden werden. Nur so können wir Europa und die EU retten!“

Beitragsbild: via DiEM25

Quelle: #Euroleaks DiEM25

Quelle: euroleaks.diem25.org

Die Erklärung von Yanis Varoufakis

Friedens- und Konfliktforscher Henrik Paulitz in Dortmund: Zur Militarisierung der EU und der betriebenen Spaltung der Gesellschaften

Henrik Paulitz, Leiter der Akademie Bergstraße. Foto: C. Stille

In Abständen komme ich immer wieder aus gutem Grund auf alarmierende Äußerungen von Egon Bahr zurück. Sie haben meiner Meinung nach erst recht in diesen Tagen und weiterhin Bestand. Berichtet hatte seinerzeit darüber die Rhein-Neckar-Zeitung am 04.12.2013:

„Hitler bedeutet Krieg“, habe sein Vater 1933 zu ihm gesagt. Als Heranwachsender habe er das nicht geglaubt. Und so sei das jetzt wieder: „Ich, ein alter Mann, sage euch, dass wir in einer Vorkriegszeit leben.“ Und die jungen Leute, sagte er, würden es ihm nicht glauben.

Henrik Paulitz ist Leiter der Akademie Bergstraße für Ressourcen-, Demokratie- und Friedensforschung. Der Friedens- und Konfliktforscher ist u.a. Autor der Bücher „Anleitung gegen den Krieg“ und „Kriegsmacht Deutschland? Am Montag dieser Woche war er zu Gast bei der ersten gemeinsamen Veranstaltung in diesem Jahr von Nachdenktreff, Attac Dortmund und DGB Dortmund Hellweg in der Auslandsgesellschaft in Dortmund.

Militarisierung der EU seitens der Eliten Westeuropas

Seit Jahren bemühen sich Eliten Westeuropas, die EU auch militärisch zur Großmacht zu entwickeln. Auf Augenhöhe mit den USA und China sollen die eigenen Interessen weltweit durchgesetzt werden. Zu diesem Zweck verfolgt die EU schon lange eine Strategie, die auf die Ausweitung des Einflussgebietes und den Aufbau umfassender militärischer Fähigkeiten setzt. Ausweitung des Rüstungshaushaltes, neue Militärstrukturen und ein europaweiter Rüstungsmarkt bedeuten, dass EU sich zu einer militärischen Ordnungs- und Kriegsmacht entwickeln soll. Nicht Landesverteidigung, sondern weltweite Ressourcenkontrolle ist Leitbild der Aufrüstung Deutschlands. Anhand aktueller Bezüge (Syrien; Vorschlag der deutschen „Verteidigungs“ministerin; Saudi-Arabien, Jemen) wird der Referent die militärischen Interessen Deutschlands innerhalb der EU heraus arbeiten.

Ausgangspunkt Syrien-Krieg

Als Ausgangspunkt des Referats hatte Henrik Paulitz den Anfang des Syrien-Krieges gewählt. Er warf die Frage in den Raum, wie es überhaupt möglich sein konnte, dass die Terrororganisation IS ohne Weiteres mit ihren ungepanzerten Pickups hatten die Landesgrenze überschreiten können. Ohne dass etwa die syrische Landesabwehr aktiv wurde – was man eigentlich habe erwarten können – hatten sie große Teile des Landes besetzen können.

Wissen wir was Kriege bedeuten?

In unserer Gegenwart würde, so Paulitz, hauptsächlich Krieg gegen die Infrastruktur der betroffenen Länder geführt. Ganze Städte und Dörfer würden quasi dem Boden gleichgemacht: „Ein Krieg gegen die Zivilbevölkerung findet statt.“

Fragen: Was mache eigentlich die Landbevölkerung? Und wer ist eigentlich schuld am Krieg? Wer ist gut, wer ist böse?

Sinnvoller sei, meinte Henrik Paulitz, zu fragen: „Was geschieht im Krieg?“

Die Öffentlichkeit wird über die tatsächlichen Ziele deutscher Außen- und Sicherheitspolitik im Grunde belogen

Der Referent zitierte Prof. Herfried Münkler (führender Berater der Bundesregierung). Der habe festgehalten: „Das größte Problem der deutschen Außenpolitik ist die Diskrepanz zwischen ihrer Ausrichtung und ihre öffentlichen Darstellung.“

Paulitz dechiffrierte: „Hochinteressant, dass einer der führenden Berater der Bundesregierung mit anderen Worten sagt: die Öffentlichkeit wird belogen.“ Man schenke der Öffentlichkeit keinen reinen Wein darüber ein, was die tatsächlichen Ziele der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik sind.

Des Weiteren habe Münkler erklärt, in den heutigen Kriegen würden sich die militärischen Kräfte „nicht aneinander reiben und verbrauchen“, sondern sich gegenseitig schonen und stattdessen die Gewalt gegen die Zivilbevölkerung richten. Das sehe man in Syrien.

Dem Zyklus der Zerstörung folge meist der Wiederaufbau.

UN-Generalsekretär António Guterres: EU-Staaten habe bezüglich Libyens eine Rolle zu spielen

Paulitz nahm dankenswerterweise aktuell auch Bezug auf Berliner Libyen-Konferenz vom vergangenen Wochenende. Und machte dabei auf einen Aspekt aufmerksam, den viele von uns vielleicht gar nicht wahrgenommen haben. UN-Generalsekretär António Guterres habe nämlich betreffs der EU gesagt, die EU-Staaten würden in den einzelnen aufgeführten „Spuren“ (es sind insgesamt drei Spuren) betreffs der Zukunft Libyens betreffenden Vereinbarungen und deren Umsetzung eine Rolle zu spielen haben. Eine eindeutige Zuweisung, die für den Wiederaufbau des Landes ebenso geltend, sei das, liest Henrik Paulitz aus dieser Äußerung heraus.

Energieknappheit? Es gibt ein globales und strukturelles Überangebot an Erdöl

Immer wieder, so Paulitz, werde das Bild vermittelt, dass Energie (sprich: Erdöl und Erdgas) knapp sei. Dabei gebe es in Wirklichkeit ein globales und strukturelles Überangebot an Öl. Die Förderländer drückten damit auf die globalen Märkte. Libyen und andere Länder hätten vor einigen Jahren in diesen Markt hineindrängen wollen.

Eine künstliche Verknappung des Angebots werde (konkret seit Gründung der OPEC, die das und der Preisstabilisierung organisieren soll) werde immer wieder herbeigeführt. Erinnern wir uns: immer werden mit militärischer Gewalt Ölförderanlagen zerstört oder die Förderung oder Lieferung behindert. So werde das Angebot künstlich verknappt. Und der Preis eines verknappten Gutes steige bekanntlich.

Schluss machen damit Staaten in gut und böse einzuteilen?

Der Referent meinte, seines Erachtens sei es sinnvoll, Schluss mit dem ewigen Streit gute Staaten und böse Staaten zu machen. Stattdessen solle man doch lieber darauf konzentrieren was in Kriegen geschieht, was die eigentlichen Kriegsziele sind. Und Kriege dadurch zu delegitimieren, indem man zum Thema macht, was in Kriegen systematisch im großen Stil passiere.

Wird Deutschland zu einer führenden Militärmacht?

Ein zentrales Thema des Vortrags: Wird Deutschland zu einer führenden Militärmacht?

Immer mehr sei ja die Rede von einer nötigen verstärkten Übernahme von internationaler Verantwortung seitens Deutschlands die Rede. Was freilich auch heiße, sich verstärkt militärisch zu engagieren. Ein zunehmende Militarisierung deutscher Außenpolitik habe ja seit 1992 beobachtet werden können. Im Grunde gehe es ja um die Durchsetzung (deutscher) Wirtschaftsinteressen, die Sicherung freier Märkte und die Sicherung von Bodenschätzen. Zu diesem Behufe fänden eben auch Kriege statt.

Bestimmte Kräfte monierten immer wieder, dass die deutschen Bundesregierung in der Vergangenheit diesbezüglich zu wenig getan habe. Sogar der inzwischen verstorbene Friedensforscher Prof. Dr. Andreas Buro habe der deutschen Außenpolitik seinerzeit „Ansätze von „Taubenpolitik“ attestiert. Die Bundesregierung in ihrer Außenpolitik changierte also zwischen Militarisierung und Zurückhaltung.

Dies, so Paulitz weiter, solle sich nun künftig ändern. Bezüglich einer weiteren Militarisierung der Außenpolitik werde Druck von verschiedenen einflussreichen Seiten auf Deutschland ausgeübt. Es heiße sogar, Deutschland habe gar keine Möglichkeit zu wählen, sogar schlichtweg die Verpflichtungen als Mittelmacht zu erfüllen und die Kosten dafür zu tragen.

Auf Staaten und Regierungen wird Druck ausgeübt

Henrik Paulitz: Unter derartigen Druck stünden weltweit Staaten und Regierungen, eine militärische Außenpolitik zu machen, auch wenn die gar nicht ihrem eigenen Willen entspreche. Paulitz zitierte den einstigen ExxonMobile-Chef und ehemaliger Außenminister der USA Rex Tillerson:

„Wir üben also Druck aus. Und können mit einem Regler die Stärke wählen.“

Paulitz: „Ich würde sagen, der Regler steht momentan auf fünf oder sechs. Mit der nachdrücklichen Forderung an Länder weltweit die Resolutionen des UN-Sicherheitsrats nicht zu beachten.“

Politik sei freilich erpressbar. Große Konzerne könnten mit Standortverlagerungen drohen.

Ebenso könne mit Terroranschlägen gedroht werden. Sowie mit der Destabilisierung Europas.

Selbst der ehemalige deutschen Außenminister Sigmar Gabriel habe in einer Rede – bezugnehmend auf einen Beitrag in der New York Times – gesagt, wonach die Welt zu einer Kampfbahn werde – man würde die sogenannte regelbasierte Welt verhindern und quasi zu einer neuen Weltordnung kommen, in der der Stärke sich durchsetzt.

Die Bundeswehr bald die größte Armee Westeuropas?

Es ginge sogar die Rede davon, die Bundeswehr zur stärksten Armee der Europa zu machen. Paulitz zitierte den großem Insiderwissen ausgestatteten Prof. Gunther Hellmann von Goethe Universität Frankfurt/Main habe gesagt, die Bundeswehr wird in sechs bis acht Jahren die stärkste (westeuropäische) Armee Europas sein. Gleichzeitig würde die Öffentlichkeit darüber belustige, sie nicht in der Lage Krieg zu führen, rüste man die Bundeswehr hintenherum auf.

Henrik Paulitz: Die Politik verstärkt aus der Sündenbockrolle entlassen

Was könne man tun? Henrik Paulitz: „die Politik verstärkt aus der Sündenbockrolle entlassen.“ Denn sie böte sich ja als „Prellbock der öffentlichen Kritik“ und schütze sozusagen „diejenigen, die hinter den Kulissen die Strippen ziehen“ und „diese Kriege eben einfordern“. Es sei doch so: Die Öffentlichkeit solle sich an den Parteien und der Bundesregierung abarbeiten. Um gegen diese Nötigungen und Erpressungen anzugehen, rät Paulitz diesem Druck auf Staaten in den Blick zu nehmen und an den Pranger zu stelle, anstelle der Staaten und die Regierungen, die diesem Druck ausgesetzt seien.

Die Besserverdienenden gegen zunehmende Militarisierung gewinnen?

Diese ganze Militarisierung werde sehr teuer werden. Weiter empfiehlt Paulitz sich mit Besserverdienenden ins Benehmen zu setzen: die hätten doch gewiss keine Interesse an dieser extremen Verteuerung – spricht: an steigenden Steuerzahlungen. Diesen Vorschlag verteidigte Paulitz auf eine kritische Nachfrage aus dem Publikum, was das denn bewirken solle, so: Die Besserverdienenden hätten in der Regel größeren Einfluss auf die Politik.

Paulitz befürchtet: Offenbar wird eine Polarisierung und Spaltung der Gesellschaften geplant, um Europa wieder kriegsfähig zu machen

NATO nahe Autoren hätten geäußert, in den kommen Jahren würden außen- und sicherheitspolitische Fragen auf Deutschland zukommen, von denen das Land noch nicht einmal zu träumen wage – womöglich nicht einmal in seinen Alpträumen. Paulitz: „Diese Leute scheinen bereits zu wissen, worüber die deutsche Öffentlichkeit in einigen Jahren diskutiert.“ Sie gehen davon aus, derartige Debatten könnten das Land zerreißen.

Man plane offenbar eine Polarisierung der hiesigen Gesellschaften Deutschlands und den anderen Ländern der EU. Und habe offenbar ein Interesse daran Menschen auseinanderzudividieren, Gesellschaften zu spalten und zu destabilisieren. Und auf diese Weise unter Umständen Europas sozusagen wieder kriegsfähig zu machen.

Versöhnung zum Zwecke der Verhinderung von Kriegen

Henrik Paulitz: „Warum gibt es eigentlich immer die Aufforderung sich nach dem Krieg zu versöhnen? Dann, wenn alles geschehen ist und Menschen Schlimmstes erlitten hätten. Die Überlegung wäre: „Es wäre wichtig zum Zwecke der Verhinderung von Kriegen, sich vor Kriegen zu versöhnen und Spaltungen der Gesellschaft entgegenzuwirken. Um nicht in eine Spirale der Gewalt zu geraten.

Nicht jede Argumentation des Referenten leuchtete dem Publikum ein

Kritische Fragen aus dem Publikum schlossen sich dem Vortrag an. Eingängig bzw. logisch waren einigen ZuhörerInnen bestimmte Darlegungen des Referenten offenbar nicht in jedem Fall. Vor allem deshalb, weil eindeutig die Einflussnehmer auf die Staaten im Referat nicht eindeutig kenntlich (gemacht) wurden. Andere Aspekte fanden wiederum Zustimmung.

Einer Dame erschien es offenbar zu einfach, nicht mehr von „guten“ und „bösen“ Staaten sprechen zu sollen. Was sei denn eigentlich mit der UN-Charta, wonach man ja nicht einfach in ein Land einfallen, noch ihm Gewalt androhen dürfe.

Die Antwort des Referenten – wonach die UN-Charta ja auch Kriege legitimieren könne – konnte die Fragestellerin nicht befriedigen. Sie hätte sich wohl ein eindeutige Antwort derart: Angriffskriege sind verboten, Punkt, erwartet.

Henrik Paulitz zeigte sich auf eine weitere Nachfrage – gewiss damit verblüffend – gar nicht sicher darüber, dass sich die kommende Übung „Defender 2020“ – obwohl tatsächlich (die Stoßrichtung der US-Truppenbewegung nämlich) einiges dafür spricht –

gegen Russland richte. Wiederum, sagte Paulitz, müsse allerdings schon damit gerechnet werden, dass „offenkundig“ ein Krieg in Europa geplant werde. Nur könne nicht gesagt werden, welche Zwecke er hat, noch auf welchen Territorien dieser Krieg stattfinde.

Ergo dürfte Egon Bahr – Politiker wie er fehlen heute nebenbei bemerkt schmerzlich! – doch nicht falsch gelegen haben, dass wir in einer Vorkriegszeit leben.

Weiter konnte man in 2013 in der Rhein-Neckar-Zeitung lesen:

Der wichtigste Tipp Bahrs an die Schüler? „In der internationalen Politik geht es nie um Demokratie oder Menschenrechte. Es geht um die Interessen von Staaten. Merken Sie sich das, egal, was man Ihnen im Geschichtsunterricht erzählt.“ Das werden die Schüler sicher nie vergessen.

Und auch wir sollten das nicht tun.

Ausblick:

Am 11. Februar 19 Uhr kommt Jörg Kronauer, ein deutscher Journalist und Autor zur nächsten Veranstaltung des Friedensforums und „AG Globalisierung konkret“ in die Auslandsgesellschaft. Aus Anlass der Übung „Defender 2020“ spricht er zum Thema „Machtkampf gegen Russland“.

Am 17. Februar 19 Uhr spricht in Kooperation mit Crossover Dortmund Dr. Gregor Waluga zum Thema „Das BürgerTicket für den Nahverkehr“

Und außer der Reihe

Am Dienstag, dem 28. Januar um 19 Uhr findet eine Informations- und Diskussionsveranstaltung zum Thema „Mögliche Kommunalisierung von DEW21 in der Dortmunder Stadt- und Landesbibliothek, Studio B statt.

Friedensperspektive statt Kriegsplanung – Tagung in Essen

Von links: Michael Müller, Peter Brandt, Bernhard Trautvetter und Andreas Zumach.

Die aktuellen Kriege, die Hochrüstung und Eskalationsgefahren waren Thema von Teilen der Friedensbewegung am vergangenen Sonnabend in Essen. Die Tagung stand unter dem Titel „Friedensperspektiven statt Kriegsplanung“ und fand in den Räumlichkeiten der Volkshochschule Essen sowie im DGB-Haus statt.

Der Hintergrund

Knapp zwei Wochen vor der Tagung hochrangiger NATO-Militärs und Politiker (JAPCC Conference 2019) unter Beteiligung von Militärstrategen und der Rüstungsindustrie in der Messe Essen informieren ExpertInnen der Friedensbewegung auf der Friedenstagung über den Zusammenhang von Aufrüstung und Kriegsgefahr sowie über Möglichkeiten der Abrüstung und der Entspannung. Auch neue Konfliktgefahren als Folge des Klimawandels und der Eskalationsstrategie sind Thema.

Mit Vorträgen, Diskussionen, Workshops berieten sich Friedensaktivisten, was sie gemeinsam mit Aktivisten aus der Klimaschutz- und anderen Bewegungen tun können, um gegen Kriegsursachen aktiv zu werden, bestehende Konflikte zu deeskalieren und um einen Ausstieg aus der Rüstungsspirale zu erreichen.

Die Aufklärung über die Propaganda der Militärs, deren Strategieentwicklung auf den Essener NATO-Konferenzen, die Gefahr eines nuklearen Infernos und über die Verantwortung und Möglichkeiten der Friedensbewegung ist Ausgangspunkt für die nächsten Aufgaben und Schritte der Kräfte des Frieden standen auf der Tagesordnung mehrerer Workshops.

Schirmherr der Tagung war Konstantin Wecker. Er sandte ein Grußwort an die zahlreich erschienenen Tagungsteilnehmer aus nah und fern.

Eröffnungsplenum mit zwei Gästen

Nach Begrüßung der

Von links: Reiner Braun und Kathrin Vogler.

Tagungsteilnehmer und einer Einleitung seitens Joachim Schramm (Geschäftsführer DFG-VK-NRW) startete das Eröffnungsplenum mit Kathrin Vogler (MdB DIE LINKE) und Reiner Braun (Co-Präsident International Peace Bureau). Das Thema: „70 Jahre Nato –

Kalter Krieg, Weltpolizeianspruch und Eskalationsgefahr“.

Reiner Braun: Nato ist seit Gründung Aggressionsbündnis

Reiner Braun unternahm einen historischen Rückblick auf die 1949 von 12 Ländern gegründete Nato (1950 kam Westdeutschland, die Alt-BRD hinzu), welchen er mit aktuellen Fragestellungen der Zeit verband. Heute sind 30 Länder Mitglied in der Nato. Der Counterpart, so Braun, die Sowjetunion, ist nicht mehr da. Doch die Nato habe sich dennoch gen Osten ausgeweitet. Heute sei die Nato kein Nordatlantisches Militärbündnis mehr, das vielleicht noch für Zeit bis 1990 gestimmt habe. Braun: „Die Nato ist das Militärbündnis dieser Welt zur Sicherung von Ressourcen und Profiten.“ Es sei u.a. selbst mit Kolumbien, einem Bürgerkriegsland verbunden, wo Nato-Übungen stattfänden. Selbst mit Brasilien, dem größten Land Lateinamerikas buhlten der Faschist ((Bolsanaro) und die Nato um eine Zusammenarbeit.

Der entscheidende Erweiterungshorizont sei Asien. Es ginge fraglos dabei um den zweiten Hauptfeind der Nato, China, das eingekreist werden solle.

Dies werfe die Frage auf: „Ist eigentlich dieses Bündnis immer noch, oder war es jemals ein Verteidigungsbündnis?“ Er würde gerne behaupten, so Braun, dass die Nato schon seit ihrer Existenz ein Aggressionsbündnis war. Es sei immer gegen die Ergebnislage des Zweiten Weltkriegs vorgegangen.

Von Anfang an habe die Nato dazu gedient, die Sowjetunion wieder zu einem Russland zurückzudrängen. Auch, indem man die Länder des Ostblocks zu „befreien“ vorgab. Die Nato habe aktiv daran gearbeitet das die Linksregierungen in Frankreich und Italien beendet wurden. Auch habe die Nato in den 1950er und 1960er Jahren eine aggressive Atomwaffenstrategie (mit dem Ziel eines Ersteinsatzes (!) von Atomwaffen) verfolgt. Eine Nato-Direktive habe sogar den Titel „Atombombenziel Sowjetunion“ getragen. Eingezeichnet gewesen seien da auf einer Karte die 200 größten Städte und Orte der UdSSR. Der Vorwurf seitens der Nato betreffs einer atomaren Vorrüstung der Sowjetunion sei stets eine Lüge gewesen. Immer habe Moskau auf westliche Vorrüstung reagiert und nachgerüstet.

Nach 1990, so Reiner Braun, habe die Nato sehr schnell darauf gesetzt, das Feinbild Russland wiederzubeleben. Braun: „Heute geht es der Nato eindeutig darum Russland einzuzirkeln und einzugrenzen und China einzuzirkeln und einzugrenzen.“ Es gehe um nichts anderes als um eine westliche Dominanz in einer veränderten Welt zu bewahren. Das sei gefährlich, da sie zu einer Eskalationsspirale führe, zu der auch ein faktisch vertragsloser Zustand zwischen den großen Mächten gehöre. Das berge eine große Kriegsgefahr – sogar Atomkriegsgefahr – in sich. Dringend nötig sei ein Zurück zu „einer kooperativen Sicherheit, zu einer Politik der gemeinsamen Sicherheit, zu Abrüstung.“

Kathrin Vogler: Vogler: Wer Frieden wolle, muss „diese aggressive Nato“ überwinden

Die Bundestagsabgeordnete Kathrin Vogler erinnerte an einen Vorschlag des einstigen Nato-Generalsekretärs Manfred Wörner, der im Mai 1990 vom Aufbau einer neuen europäischen Sicherheitsstruktur, die die Sowjetunion und die Staaten des Warschauer Paktes umfassen sollte, gesprochen habe.

Damals sei auch Wörner davon ausgegangen, dass das (leider Gorbatschow nicht schriftlich) gegebene Versprechen, die Nato würde sich nicht über die damalige „kleine“ BRD hin gen Sowjetunion ausbreiten, gelte. Der Status quo sehe heute bekanntlich ganz anders aus: „Die anfängliche Euphorie verflog, der Drang nach Osten blieb.“

Vogler steht heute auf dem Standpunkt, dass eine angenommen statt gehabte Einbeziehung Russlands in die Nato nicht zu einer Entspannung beigetragen hätte. Zu sehr sei das westliche Interesse an einer Kontrolle Russlands (und seiner Bodenschätze). Auch wäre das heute eine „unheimliche Provokation“ des aufstrebenden Chinas. Vogler: Wer Frieden wolle, müsse „diese aggressive Nato“ überwinden. Andere internationale Institutionen müssten genutzt werden, um Sicherheit in Europa zu garantieren. Der Nato nämlich wohne von Grund auf eine strukturelle Gewalt in der Interpretation des Friedensforschers Johan Galtung inne. Des Weiteren würden Wirtschaft und Militär als zwei Seiten einer Medaille eingesetzt.

Reinhard Lauterbach: „Die Nato war von Anfang an ein Bündnis, das auf den Rollback ausgerichtet war“

Journalist Reinhard Lauterbach. Fotos: Stille

Sehr aufschlussreich an diesem Sonnabend war der Vortag zum Thema „Nato und Russland – Konfrontation oder Koexistenz“ des Journalisten Reinhard Lauterbach (junge Welt, Ex-ARD-Journalist), eines ausgewiesenen Osteuropa- und Russland-Kenners.

Lauterbach brachte eingangs seines hochinteressanten Referats einen Ausspruch des ersten Nato-Generalsekretärs Lord Hastings Ismay in Erinnerung wonach nach den Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs danach zu streben sei, die Amerikaner drin, Deutschen niederzuhalten und die Russen draußen zu halten. Die Nato habe von vornherein eine Stoßrichtung gegen Russland verfolgt, sagte Lauterbach.

Mit der keineswegs realistischen Annahme, die Russen (mit Bezug auf vom Westen fehlinterpretierten Äußerungen von Stalins) wollten (nach Europa) hinein. Lauterbach: „Die Nato war von Anfang an ein Bündnis, das auf den Rollback ausgerichtet war.“

Dieser sei aber jedoch durch eine militärischen Aufholprozess der Sowjetunion etwa durch die waffentechnische Überlegenheit relativiert und besonders durch die Brechung es amerikanischen Atomwaffenmonopols 1949 erschwert worden.

Ab 1989 seien die Hoffnungen auf diesen Rollback wieder genährt worden. Und eine Ausweitung schon 1988 in den USA erwogen worden, bevor es den Machtwechsel in 1989 Polen hin zur Solidarnosc gegeben habe. Dadurch sei die DDR quasi zu „einem überreifen Apfel“ geworden. Die DDR sei dann schließlich meistbietend sozusagen an die BRD verschenkt worden.

Im Winter 1989/90 habe Helmut Kohl seinem „Strickjackenkumpel“ Michail Gorbatschow zugesichert, dass die Nato an die Sowjetunion hinan rücke. Gorbatschow habe damals allerdings nicht die Klugheit besessen, sich das schriftlich geben zu lassen. Kohl habe erwogen, Gorbatschow das schriftlich zu geben. Doch der damalige US-Präsident Bush der Ältere aber sei Kohl über den Mund gefahren und gesagt: Es könne doch wohl nicht sein, dass man der Sowjetunion erlaube im letzten Moment den Hals aus der Schlinge zu ziehen und ihre geostrategische Niederlage doch noch zu vermeiden.

Im Aufteilungskrieg Jugoslawiens habe sich die BRD insoweit eingemischt, indem sie Slowenien und Kroatien als selbstständige Staaten anerkannte. Sie habe diese Abspaltungen großzügig mit Militärgerät aus NVA-Beständen ausgestattet. Die Russen hätten dem hilflos zusehen müssen. Die Bombardierung Restjugoslawiens war der traurige Höhepunkt. Daraus u.a. resultiere eine Enttäuschung Moskaus, die bis heute fortdauere, meinte Lauterbach.

Aus diesen und andere Gründen hält Reinhard Lauterbach eine Annäherung Russlands an die Nato für äußerst unwahrscheinlich. Was ja ohnehin einen Teil der Gründungsintension der Nato (die Russen draußen zu halten) zuwiderlaufe. Auch dächte Moskau nicht daran sich den USA unterzuordnen.

Resultierend aus vielen Enttäuschungen, so Lauterbach, zeige Russland dem Westen (in Form von neuen Waffensystemen) inzwischen die Zähne, um den Westen vor unüberlegten Aktionen zu warnen.

Lauterbach ist sich sicher: die Nato ist derzeit von ihrer derzeitigen Konzeption nicht fähig mit Russland zu kooperieren. Die Nato ist und bleibe eben ein Konfrontationsbündnis.

Das Engagement der Nato in den baltischen Ländern nannte Reiner Lauterbach eine „ständige Provokation“. Ein Interesse Russlands auf das Baltikum zuzugreifen sieht der Journalist nicht.

Ein Kooperation zwischen der Nato und Russland sei an zwei Bedingungen geknüpft. Erstens käme da die hypothetische Annahme, dass deren Priorität Chinas gelte und Russland als den weniger gefährlichen Gegner einstufe, um Russland entgegenzukommen. Dies setze aber voraus, dass Russland in diese Falle hineintappe. Ein solches Szenerio sei zweitens unwahrscheinlich und langfristig nicht wirklich erfreulich. Eine alte Parole aus den 1980er gewönne wieder an Aktualität: „Kein Frieden mit der Nato“.

Andrej Hunko über die EU-Militarisierung und die Zurichtung der EU zu einem „imperialen Akteur“

Andrej Hunko (MdB DIE LINKE)

Andrej Hunko (MdB DIE LINKE) befasste sich mit dem Thema „EU-Militarisierung – Konkurrenz oder Partner der Nato?“

Mit dem Inkrafttreten des Lissabon-Vertrages sei zum ersten Mal in einigen Artikels dieses Vertrages, stieg Hunko in sein Referat ein, sozusagen die Perspektive einer EU-Militarisierung aufgemacht worden. Schließlich im September 2017 sei bereits im Lissabon-Vertrag erwähnte , kurz PESCO ((Permanent Structured Cooperation, deutsch: Ständige Strukturierte Zusammenarbeit) – heißt: bestimmte Staaten können ohne die anderen (vor allem auf den Militärbereich militärisch bezogen) voranschreitend zusammenarbeiten – aus der Taufe gehoben. Dazu gehöre auch die Entwicklung einer Euro-Kampfdrohne. Die Bundesregierung hat einen Leasingvertrag mit Israel zur Entwicklung einer Heron-Kampfdrohne geschlossen.

Hunko skandalisierte die kürzlich im Zusammenhang mit dem Drohnenangriff auf eine Ölanlage in Saudi Arabien die kürzlich von der Bundesregierung zusammen mit Großbritannien und Frankreich verkündete „uneingeschränkte Solidarität“ mit Saudi Arabien als „unfassbar“ und „erschreckend“. Vor allem deshalb, weil die Begründung (Iran sei für den Angriff verantwortlich) dafür „kein Bezirksgericht“ anerkennen würde.

Ein weiterer Skandal: Im EU-Haushalt sind Mittel vorgesehen, die für Militärisches eingesetzt werden sollen. Was eigentlich verboten ist, werde durch einen Trick gelöst: Dass 13 Milliarden Euro dort für einen sogenannten Verteidigungsfonds eingestellt sind, die unter „EU-Förderung“ (Industrieförderung) rubriziert sind. DIE LINKE findet das strittig und wird als Bundestagsfraktion, vertreten vom Völkerrechtler Andreas Fischer-Lescano, gegen diesen „Verteidigungsfonds“ klagen. Allerdings muss erst der EU-Haushalt beschlossen dann im Amtsblatt der EU veröffentlicht sein.

Andrej Hunko fürchtet, dass die EU immer mehr zu einem, wie er es nennt, zu einem „imperialen Akteur“, aufgebaut wird. Obwohl eine reale Bedrohung Europas etwa durch Russland oder den Iran nicht zu erkennen sei.

Warum „imperialer Akteur“? Hunko: Ein „imperialer Akteur“ unterwirft sich keinen internationalen Vereinbarungen (etwa dem Völkerrecht) – wie ja an der USA zu sehen sei. In allen Dokumenten der EU werde wohl Bezug auf die UNO genommen, dass aber die Formulierungen immer lauten: Man teile die Ziele oder den Geist der UNO usw.

Das sei selbst in der BRD zu konstatieren. Vor allem seitens von Außenminister Heiko Maas kaum vom Völkerrecht gesprochen werde, sondern stattdessen verwende man zunehmend einen Begriff, der sich „regelbasierte Ordnung“ nenne.

Auch gehe die ganze EU-Erweiterungspolitik Hand in Hand mit der Nato. Mal habe die EU die Nase, mal die Nato die Nase vorn.

Abschlussplenum

Der Journalist, UNO-Experte mit langjähriger Erfahrung, Andreas Zumach (Genf) nannte dort nannte fünf Herausforderungen: Das Ende des Kalten Krieges und der Blockaufteilung der Welt. Den sogenannten islamistischen Terrorismus und den darauffolgende global geführten sogenannten „Krieg gegen die Terrorismus“ unter Führung der USA mit all seinen schwerwiegenden Völkerrechtsbrüchen und innenpolitischen Verschärfungen. Den relativen Machtabstieg der USA, der seit dem Anfang der 1990er Jahre zu beobachten sei und sich seitdem beschleunigt hat. Und mit China der Aufstieg einer künftigen neuen Weltmacht. Und in diesem Zusammenhang die Forderungen politischer Parteien – außer der Linkspartei -, dass die EU nun auch ein globaler Player sein müsse. Wozu auch alle militärischen Instrumente gehören müssten. Dazu gehöre ein teilweises Konkurrenzverhalten zu den USA. Und die globale Erwärmung. Das schaffe neue Aufgaben für die Friedensbewegung.

Zumach warnte allerdings vor dem nicht selten gebrauchten (Ohnmachts-)Begriff der „neuen Unübersichtlichkeit“ – was ja wohl heißen solle: Man kann nichts mehr machen. Was nicht stimme. Denn alles könne durchaus klar benannt mit entwickelten Antworten bearbeitet werden.

Neue Abrüstungskonferenzen sollten seiner Meinung unter dem Dach der UNO in Genf ausgehandelt werden. Darauf müsse die Friedensbewegung auch die Bundesregierung drängen. Zumach warnte nachdrücklich vor einem möglichen Krieg mit dem Iran.

Der Friedensbewegung schlug er dringend vor, zu fordern, ein Verbot von Atomwaffenbesitz ins Grundgesetz zu schreiben. Schließlich gebe es ein Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages, das kommt nämlich zu dem Schluss, dass eine Beteiligung an Atomwaffenarsenalen andere Länder Deutschland nicht verboten sei.

Michael Müller, Bundesvorsitzender der Naturfreunde, ging auf die Kriegsgefahren in der Zukunft ein. Es stelle sich nämlich die Frage der „ökologischen Selbstvernichtung der Menschheit“. Damit würden Konflikte und Gewalt ausgelöst, die heute schon schwer vorhersehbar seien. Wenn die Klimaveränderungen etwa in 30 bis 40 Jahren da sind, seien diese „nicht mehr veränderbar“. Müller: „Wir müssen heute handeln, um morgen Kriege zu verhindern.“ Dies sehe er nirgendwo auf der Welt im Moment.

Die Auswirkungen des Klimawandels, gab Müller zu bedenken, betreffen am meisten die, welche ihn am wenigsten verursachen.

Es gehe nicht allein um die Klimafrage. Vielmehr gehe es um einen Endpunkt einer bestimmten Form wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Entwicklung.

Michael Müller: „Friedenspolitik muss heute wesentlich weiter als nur die Frage der Abrüstung und der Rüstungskontrolle gefasst werden.“

Die Friedensfrage werde zu einem zutiefst gesellschaftlichen Thema. Mit der Überwindung sozialer Spaltungen und dem Versuch eine globale Umweltkompatibilität zu erreichen. Müller: „Sonst legen wir heute die Wurzeln für Kriege in der Zukunft, deren Tragweite wir gar nicht überschauen können.“

Prof. Peter Brandt (Initiative „Neue Entspannungspolitik jetzt!“) erinnerte daran, dass durchaus an ein neues Sicherheitskonzept für alle Staaten gedacht worden sei. Zuletzt auch 1990 („Charta von Paris“. Stattdessen habe die Nato sich ausgeweitet. Brandt: „Russland befindet sich heute in einen

Von links: Michael Müller, Peter Brandt und Bernhard Trautvetter.

territorialen Status wie im 17. Jahrhundert.“ Er gab zu bedenken, dass die Grundlage von Entspannungspolitik mal gewesen sei, sich in den anderen hineinzuversetzen.

Peter Brandt dachte einen „realistischen Pazifismus“ (betreffs einer „defensiven Territorialverteidigung“ der EU) an. Das wiederum kritisierte Andreas Zumach: Setze das nicht einen konkreten Feind, eine potentielle Bedrohung voraus? Brandt betrachte seinen Vorschlag aber als Vorläufer einer europäischen Sicherheitsarchitektur.

Die Kampagne „Abrüsten statt Aufrüsten“, regte Michael Müller an, solle ergänzt werden. Und zwar in der Form, dass das Geld was für die Aufrüstung im Bundeshaushalt geplant ist, für den Klimaschutz ausgegeben wird. Es werde überlegt, im nächsten Jahr einen gemeinsamen der Kirchen, der Friedensbewegung, der Umweltbewegung und Gewerkschaften zu machen – zu Thema Arbeit, Frieden, Klima. Damit solle auf den Zusammenhang dieser Themen aufmerksam gemacht werden. Es komme auf eine breite Basis an: „Sonst haben wir alle keine Chance.“

Moderator Bernhard Trautvetter (Essener Friedensforum) kündigte nach dieser interessanten Tagung an, eine „Essener Erklärung“ auszuarbeiten.

Projekt unter Leitung von Dr. Sebastian Kurtenbach und Mirza Demirovic´ erforschte die Lebensbediungen von Roma in Plowdiw-Stolipinowo

Dr. Sebastian Kurtenbach. Archivfoto: Stille

Im April 2019 weilte eine Seminargruppe des B.A. (Bachelor of Arts) Studiengangs Soziale Arbeit an der FH Münster, zur Feldforschung in Plowdiw-Stolipinowo. Geleitet wurde der Aufenthalt in Bulgarien von Dr. Sebastian Kurtenbach und Mirza Demirović. Auf diese Zeit haben sie sich ein halbes Jahr intensiv vorbereitet. Geforscht wurde in drei Themengruppen zu Familie, Diskriminierung und Armut in einem der größten mehrheitlich von Roma bewohnten Stadtteil der Europäischen Union.

Auf ihren Blog „Transnationaler Raum – Fieldwork Polviv-Stolipinovo 2019“ heißt es:

„Durch diesen Blog wollen wir einerseits Eindrücke unserer Feldphase und andererseits Ergebnisse unserer Forschung einer interessierten Öffentlichkeit zugänglich machen. Dazu haben wir während der Feldforschungsphase im April 2019 regelmäßig aus Plowdiw berichtet, wozu Eindrücke aus dem Feld, Reflexionen zur Forschungserfahrungen und Gedanken zu unterschiedlichen Themen gehören. Ab Herbst 2019 stehen dann auch unsere Ergebnisse zum Download zur Verfügung.“

Im Rahmen des Roma Kulturfestivals „Djelem Djelem“ wurde kürzlich in Dortmund über die vorliegende Arbeit berichtet

Vom 3. bis 13. April 2019 befanden sich 15 Studierende der FH Münster im Rahmen eines Forschungsprojekts in Plowdiw, der zweitgrößten Stadt Bulgariens. Sie erforschten unter der Leitung von Dr. Sebastian Kurtenbach und Mirza Demirović die Lebensbedingungen von Roma im Vorort Stolipinowo. Das ForscherInnenteam forschte in drei Themengruppen zu Familie, Diskriminierung und Armut. Die Ergebnisse der Feldstudien wurden vergangene Woche im Dietrich-Keuning-Haus in Dortmund im Rahmen des Roma Kulturfestivals „Djelem Djelem“ zum ersten Mal der Öffentlichkeit präsentiert. Im Anschluss bestand die Möglichkeit mit Jugendlichen aus Plowdiw ins Gespräch zu kommen, die gemeinsam mit Jugendlichen aus Dortmund ihr transnationales Radioprojekt „Radio Plovmund“ unter dem Titel „Geschichten einer Jugendbewegung“ multimedial vorstellten.

Dortmund, speziell die Dortmunder Nordstadt, steht in vielfältiger Beziehung zu Stolipinowo. Denn in dort sind neben rumänischen Bürgern auch bulgarische Bürger ansässig geworden bzw. halten sich sporadisch dort auf, um Geld zu verdienen, das sie ihren Familien in beiden Ländern schicken. Unter ihnen befinden sich auch Roma.

Mirza Demirovic. Foto (bearbeitet) Klaus Hartmann.

Mirza Demirović, der die Gruppe Diskriminierung in der Feldforschungsarbeit leitete, regte an mehr über transnationale Zusammenhänge – besonders mit den Schulen – zu sprechen. Auch hält er einen regen Austausch zwischen beiden Städten für unverzichtbar. In Sachen Teilhabe findet er, müsse ebenfalls noch mehr geschehen.

Das sei um so wichtiger, da Demirović in Plowdiw aufgefallen sei, dass Dortmunder Rechte nach dorthin vernetzt sind und auch ab und an dort auftauchen und sich mit bulgarischen Rechten treffen. Die Sozial- und Aufklärungsarbeit, regte er an, müsse unbedingt ernster genommen und dementsprechend intensiviert werden.

Plowdiw ist Kulturhauptstadt des Jahres 2019

Der Fernsehkanal Arte zu seinem Video:

„In der Bewerbung plante Plovdiv noch seine bedeutende Roma-Minderheit in zahlreiche Projekte einzubinden und ein gesellschaftsschichten-übergreifendes Programm als Europäische Kulturhauptstadt 2019 anzubieten. Viel ist davon nicht realisiert worden. Kritiker und ehemalige Projektpartner sprechen gar von einer verpassten Chance.“

Diese Feststellung machte auch die Forschungsgruppe aus Deutschland vor Ort. Viele Roma, hieß es, wüssten nicht einmal, dass Plowdiw Kulturhauptstadt Europas ist, geschweige denn, dass sie Kenntnis über die im Rahmen dessen stattfindenden Veranstaltungen in der Altstadt besäßen. Stadtobere Plowdiws sagen allerdings etwas anderes. Jedoch die Realität sieht offenbar anders aus. Nach wie vor haben die Roma (wie leider überall) auch in ihre Heimat mit vielen Vorurteilen, Diskriminierung und sogar mit Gewalt gegen sie zu kämpfen. Die Roma wissen, sie sind eigentlich nur gefragt, wenn mal wieder Wahlen anstehen. Dann verspreche man ihnen das Blaue vom Himmel.

Hinweis 1: Zur erwähnten Feldstudie und den Einzelheiten des damit verbundenen Besuchs der Seminar Studiengangs Soziale Arbeit an der FH Münster lesen sie alles auf dem eigens eingerichteten Blog.

Hinweis 2: Ein Beitrag der Nordstadtblogger über den Besuch einer Delegation der Stadt Dortmund in Plowdiw finden Sie hier.

Hinweis 3: Weitere Beiträge im Zusammenhang mit Roma finden Sie hier und hier.

Beitragsbild: via Blog „Transnationaler Raum – Fieldwork Plovdiv-Stolipinovo 2019.

Fish-Bowl-Diskussion in Dortmund: Rechtspopulismus als neue politische Normaliät?

Auf dem Podium diskutierten (innerer Kreis v.l.n.r.) Prof. em Dr. Karin Priester (Wilhelms-Universität, Münster), Jutta Reiter (DGB), Ulrike Christl (Redakteurin eurotopics) und Dr. Dietmar Köster (MdEP SPD). Foto: Claus Stille

Die Veranstaltungsreihe „Populismus und Extremismus in Europa“ der Europa-Projektwochen des Europe Direct Dortmund greifen in Abendveranstaltungen für die breite Öffentlichkeit sowie in Workshops für Jugendliche gesellschaftsrelevante und politische Themen Europas auf. Sie laden zum partizipativen Lernen und gegenseitigen Austausch ein. Die Auftaktveranstaltung fand am vergangenen Donnerstag in Form einer Fish-Bowl-Diskussion in der Auslandsgesellschaft  Dortmund statt. Die Veranstaltungsreihe wird an drei Terminen im September fortgesetzt.

Jutta Reiter: Ein Thema, das „direkt am Puls der Zeit ist“

Das Thema der Veranstaltung war „Rechtspopulismus als neue politische Normalität? Das Europäische Parlament nach der Wahl“. Auf dem Podium diskutierten: Ulrike Christl (Redakteurin eurotopics), Prof. Dr. Dietmar Köster (Sozialwissenschaftler, MdEP SPD) und Prof. em Dr. Karin Priester (Westfälische Wilhelms-Universität Münster). Die Moderation oblag Jutta Reiter, Vorsitzende des DGB Dortmund-Hellweg. Eindeutige Ergebnisse

Jutta Reiter. Archivfoto: C. Stille

erbrachte die Diskussion zwar nicht, aber sie war dennoch höchst interessant.

Die Sessel für das Podium im großen Saal der Auslandsgesellschaft waren im Sinne des Fish-Bowl-Systems um Tische in der Mitte im Kreis angeordnet. Ein Sessel blieb für eventuelle DiskutantInnen aus dem Publikum reserviert, dessen Stühle ebenfalls im Kreis um das Podium angeordnet standen.

Jutta Reiter sagte, das Thema „Populismus und Extremismus in Europa“ sei wieder einmal ein Thema, das „direkt am Puls der Zeit ist“. Man habe in den letzten Jahren miterleben müssen, wie Europa sich verändert habe. Mitgliedsstaaten entfernten sich von europäischen Werten. Und nationale Interessen zielten darauf, „Werte und Grundrechte einzudampfen“.

Reiter fand besonders beunruhigend, dass ein Erstarken von Rechtsextremismus und rechtspopulistischen Parteien zu beobachten sei. Auch Deutschland sei ganz besonders betroffen. Schnell verschöben sich da Grenzen des Sagbaren und dann auch des Vorstellbaren. Das hätte man auch hierzulande immer wieder erlebt. Dagegen anzugehen koste unheimlich viel Kraft. Kraft, die man eigentlich auf Dinge richten würde, „die uns viel mehr in die Zukunft führen“.

Prof. Dr. Priester: „Rechtspopulismus und Rechtsextremismus zu definieren ist schwierig.“

Darauf von der Moderatorin angesprochen, wie denn die Begrifflichkeiten Rechtsextremismus und Rechtspopulismus einzuordnen seien und worin die Unterschiede bestünden, sprach Professorin Priester von einem schwierigen, aber sehr wichtigen Problem. Und es sei sehr umstritten.

Würde man zwanzig Wissenschaftler versammeln und dazu befragen, dürften wohl fünfzehn unterschiedliche Meinungen, Definitionen und Einschätzungen zutage treten, beschied Priester der Moderatorin. Allgemein durchgesetzt habe sich die Unterscheidung zwischen Populismus als Oberbegriff, den man unterscheiden könne in Krisenpopulismus und Rechtspopulismus. Und Rechtsextremismus.

Auch gebe es den Begriff Rechtsradikalismus, welcher eher in angelsächsischen Diskussion eine Rolle spiele. Populismus sei keineswegs Faschismus, wie manche glaubten. In Europa gebe es zig Parteien am rechten Rand, die rechtspopulistisch genannt würden, die aber keineswegs so extrem und offen für Rechtsextreme seien wie etwa die AfD.

Scharnierparteien zwischen Demokratie und Zersetzung

Karin Priesters These: „Es sind Scharnierparteien zwischen dem sogenannten Mainstream, der sich immer weiter verengt habe hin zur Mitte bzw. für die klassischen bürgerlich-konservativen Parteien. Oder für die sozialdemokratischen Parteien, „für die finstere Zeiten angebrochen sind“. Manche

Prof. Dr. Karin Priester (li. vorn). Foto: C. Stille

sagten, sie befänden sich in einer Krise oder im Niedergang.

Als Beispiel für eine typische Scharnierpartei nannte Priester die Rassemblement National (früher Front National) in Frankreich. Scharnier bedeute in dem Fall, man versuche eine Verbindung zwischen noch tolerierbaren Kräften innerhalb einer parlamentarischen Demokratie und Kräften, die sich eigentlich schon jenseits davon befinden. Der sogenannte „Flügel“ – der Rechten in der Rechten – in der AfD sehe in Ungarn und Viktor Orbans Partei Fidesz, der für eine illiberale Politik stehe, ein Vorbild. Jutta Reiter sprach hinsichtlich dieser Erklärung von einer „steilen These“.

Dass Menschen rechte Parteien wählen, hat politische, soziale und ökonomische Gründe

Priester: „Die politische Landschaft ist im Umbruch.“ Das Problem sei, „dass sich eine Art große Koalition, eine Art Mainstream – mehr linksliberal, mehr rechtsliberal gebildet hat, der zur Mitte hin tendiert.“ Was wohl damit zu tun habe, „dass irgendwelche klugen Wahlberater oder Spindoktoren behaupten würden, nur in der Mitte ließen sich Wahlen gewinnen.“ Dadurch sei am rechten Rand überall ein Vakuum entstanden.

Ist die AfD so erfolgreich, weil sie ein Vakuum am rechten Rand der politischen Gesellschaft füllt, während sich die etablierten Parteien an der Mitte orientieren? Foto: Leopold Achilles

Und in dieses Vakuum seien sofort Kräfte eingedrungen, die mit der CDU und den Bürgerlich-Konservativen unzufrieden seien. Es habe nur diverser Anlässe bedurft, um es zu füllen. Da sei die Banken- und Finanzkrise 2008 zu nennen. Wie damit seitens der Politik umgegangen worden sei, skandalisierte Priester. Ein „Herauspauken“ (Bailout) von EU-Mitgliedsstaaten, die in Schwierigkeiten geraten, sei nicht erlaubt. Genau das sei jedoch passiert.

Das habe viele Leute empört. Dann sei 2015 die sogenannte Flüchtlingskrise gekommen. Der Umgang damit habe der da eigentlich schon wieder im Niedergang befundenen AfD einen Riesenauftrieb gebracht. Warum Menschen rechte Parteien wählen würden, das habe politische, soziale und ökonomische Gründe. Wir lebten in einer Phase der Deindustrialisierung und Deregulierung – der Staat greife nicht mehr regulierend in die wirtschaftlichen Beziehungen ein.

Eine „Wählergeografie“ zeige die vom Niedergang betroffenen Regionen an. Wir könnten von dieser Karte quasi ablesen, wo die Rechtspopulisten in Europa Erfolge verzeichnen. Diese „eine große Spur“ führe von Großbritannien über Frankreich, über die Niederlande und den Ruhrpott  bis hin zu Lausitz und noch weiter. Sie zeige, wo die Rechtspopulisten sozusagen ihre Hochburgen hätten. Ganze Regionen gingen den Bach runter, merkte Karin Priester an, die Rechten kämen und würden einfache Lösungen versprechen.

Die Europawahl wurde zur Schicksalswahl erklärt. Dieses „Aufpushen“ sieht Karin Priester kritisch

Die Redakteurin von eurotopics, Ulrike Christl, berichtete von einer breitgefächerten europäischen Medienübersicht, die ihr tagtäglich vorliege und die sie für die Leser aufbereite. In Europa fänden sich nur noch wenige Flecken, wo rechte Parteien keine Rollen spielen würden. Ihr fielen da ad hoc nur Portugal und Irland ein, wo das nicht so sei.

Die Presse in den unterschiedliche EU-Staaten habe unterschiedlich stark kritisch oder weniger kritisch auf die Rechtsentwicklung reagiert. Die demokratischen Parteien hätte schließlich die Europa-Wahl zur „Schicksalswahl“ erklärt.

Das „Aufpushen“ der Europawahl zur „Schicksalswahl“ –  Frankreichs Präsident Macron sei dabei „einer der großen Motoren“ gewesen – sieht die aus Münster angereiste Karin Priester kritisch. Sie erinnere sich wie das zu ihrer Jugend gewesen sei, wo der Pfarrer von der Kanzel herab gepredigt hätte: „Wählt richtig.“

Dietmar Köster:  „Wir müssen endlich davon wegkommen, den Nationalismus zu bagatellisieren“

Prof. Dr. Dietmar Köster (re. vorn). Foto: C. Stille

Prof. Dr. Dietmar Köster wiederum hielt den Appell der demokratischen Parteien nicht rechtspopulistisch zu wählen hingegen für richtig, um die Existenzkrise der Europäischen Union nicht zu vertiefen. Er konstatierte in der EU eine verstärkte Renationalisierung. Davon sei auch Deutschland nicht auszuschließen.

In der Finanzmarktkrise „unter der Knute des deutschen Finanzministers“ seien die EU-Staaten zu einer Austeritätspolitik gezwungen worden. Renten wären gekürzt worden und Arbeitsplätze dabei verloren gegangen. So etwas stoße Menschen von der EU ab. Die soziale Ungleichheit habe massiv zugenommen. In den Mittelschichten gebe es eine große Verunsicherung und die Sorge vor sozialem Abstieg.

Deutschland habe sich in der Migrationsfrage gegen eine Änderung der Dublin-Regeln gestellt. Weshalb vor allem die EU-Mittelmeerstaaten mit den Geflüchteten alleingelassen worden seien. Köster: „Wir müssen endlich davon wegkommen den Nationalismus zu bagatellisieren.“ Die EU sei gegründet worden, um Frieden zu sichern und Nationalismus zu überwinden. Frankreichs früherer Präsident Mitterand habe einmal gesagt, Nationalismus bedeute Krieg in letzter Konsequenz.

„Abgekartete Spiele“ bei der Besetzung von EU-Posten befördern populistische Kritik

Dei neue EU-Komissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU). Foto: Leopold Achilles

Damit die in unseren Gesellschaften bestehenden Ungerechtigkeiten, die immer mehr Menschen beträfen, beendet werden könnten, meinte Karin Priester, bräuchte es den Druck von der Straße. „Die Oberen“ seien sonst der Meinung, so weitermachen zu können wie bisher. Der Protest der Gelbwesten in Frankreich habe bewiesen, dass der Protest der Straße etwas ändern könne. Immerhin habe Macron etwas eingelenkt.

Wenn es etwas richtiges an der populistischen Kritik an der EU gebe, dann habe man mit der Wahl der Kommissionspräsidentin ein probates Beispiel, gab Karin Priester zu bedenken. Dass seien „abgekartete Spiele“. Nun habe man aufgrund eines Deals – erpresst durch die Visegrad-Staaten, die den Niederländer Timmermans nicht als Kommissionspräsidenten hätten haben wollen – plötzlich Ursula von der Leyen gehabt. Eingefädelt habe es Macron.

FragestellerInnen und DiskutantInnen aus dem Publikum auf dem Podium

Das Publikum nutzte die Gelegenheit, die eigenen Gedanken und Ideen in die Diskussion einzubringen. Foto: Claus Stille

Nach etwa einer Stunde hielt es einen grauhaarigen Zuhörer nicht mehr auf seinem Sitz. Er strebte dem freien Sessel auf dem Podium zu, setzte sich und stellte sich so vor:  „Ich bin, wie man sieht, Rentner.“ Er kam zu dem Schluss, er habe bislang nichts gelernt, was ihm nicht auch schon vorher aus den Radio- oder Fernsehnachrichten bekannt gewesen wäre. Der Herr nannte „zwei positive Vorurteile“, die er über das EU-Parlament habe.

„Erstens: Dort gibt es keinen Fraktionszwang, da zählen noch Argumente, da wird nur diskutiert. Und zweitens: Sie haben gute Vorschläge, aber nichts zu sagen.“ Wenn wie von Dr. Köster angeführt, eine von Wolfgang Schäuble federführend in der EU durchgesetzte Austeritätspolitik zum sozialen Niedergang geführt habe, müsse man sich „nicht wundern, wenn die Leute auf Europa schimpfen“.

Und wo sei eigentlich der Unterschied: Wir regten uns zwar zu recht auf, wenn die AfD-Leute sozusagen der Meinung seien, warum denn die Flüchtlinge an der Grenze nicht erschossen würden oder andere meinten: lasst sie ersaufen. Das sei erschreckend. Aber faktisch würden wir sie ersaufen lassen. Der Herr regte an, doch Missstände und andere Widersprüche zwischen dem Gesagten und dem Getanen der Regierung, die der AfD Munition liefere, zu bekämpfen. Dann würden denen doch die Argumente fehlen.

Kritische Meinungsvielfalt unter den zahlreichen TeilnehmerInnen

Es nahmen nacheinander noch weitere ZuhörerInnen auf dem Sessel auf dem Podium Platz und taten ihre Meinung kund bzw. stellten kluge Fragen.Ein Herr empfahl radikal, Nationalisten, die meinen würden alles besser machen zu können, doch einmal Verantwortung übernehmen zu lassen und abzuwarten, was passiere.

Eine junge Lehramtsanwärterin machte sich Sorgen um Kinder, „die weit am unteren Rand der Gesellschaft leben“, die wohl niemals in der Mittelschicht ankommen würden. Was solle sie denen sagen? Warum sollten die denn für die EU sein? Viele würden doch sicher später in Hartz IV landen.

Dr. Köster darauf: Man müsse sich wirklich fragen, ob wir einen ausgeglichenen Haushalt bräuchten oder Investitionen in die Zukunft. Auch für die von der Lehramtsanwärterin angesprochenen Menschen müssten mit der EU eine Lösung und Arbeitsplätze zu schaffen sein. Der Nationalstaat könne das allein nicht leisten.

Ein weiterer Gast, ein junger Mann, kam in die Runde. Er sprach Lebenslügen an. Etwa bei Arbeitsplätzen. Wir hätten einen Exportüberschuss von ca. 300 Milliarden Euro und Niedriglohnarbeiter aus ganz Europa „angesaugt“. Und eine Umverteilung von unten nach oben werde betrieben. Betreffs der Mittelschicht sei die Rede von Einkommen in der „Hunderttausender-Klasse. „Wahnsinn!“

Ein europäisches Volk in der Festung Europa oder der sozialen Union?

Wie wird sich die Europäische Union weiter entwickeln?

Und die SPD spreche immer von der Entlastung der Mittelschicht und vermittele so ein Bild der Täuschung. Auch das Thema Braindrain sprach der Herr an. Man hole – wegen angeblichen Fachkräftemangels hier – Ärzte aus Polen , deren Ausbildung den Staat dort viel Geld gekostet habe und die in ihrer Heimat 700 Euro verdienen würden, hierher, „damit die Leute nur drei Monate statt sechs Monate auf einen Arzttermin warten müssen“.

Ein darauffolgende Dame meinte, seit Frau Von der Leyen Kommissionspräsidentin geworden sei, stehe die EU für sie in der Gefahr eine „Militärgemeinschaft“ zu werden. Macron habe das schon länger im Sinn. Dagegen dürften auch Rechtspopulisten nichts haben. Und was sie betrübt: „Wir bauen die Festung Europa. Die soziale Union sehe ich gar nicht mehr.“

Prof. Dr. Karin Priester machte deutlich, sie halte es für „eine große, gewaltige Illusion“, dass wir jemals „ein europäisches Volk haben werden“. Wir müssten uns doch fragen, auf was Europa eigentlich einmal „final hinauslaufen“ solle. Ein Minister Macron habe ein Buch mit dem Titel „Für ein neues Reich“ geschrieben. Er meine eine „Reichskonstruktion“, was auf Lateinisch Imperium heiße. Sei das denn etwa gut?

Wünsche der Podiumsteilnehmer betreffs eines Europa, das die Menschen mitnimmt

Was sich die PodiumsteilnehmerInnen von einem Europa wünschten, das Menschen mitnimmt, das für Demokratie steht und für Vielfalt, wurden sie zum Schluss von Moderatorin Jutta Reiter gefragt. Ulrike Christl wünschte sich ein Europa, das sich in eine Richtung entwickelt, die die Welt insgesamt in die Zukunft führen kann.

Der Wunsch für die nahe Zukunft des Europaabgeordneten Dietmar Köster ist, dass der Brexit wieder rückgängig gemacht wird. Seine Vision sind die Vereinigten Staaten von Europa. Und, dass das Lohndumping gestoppt werde. Die Sozialunion sieht er auf dem Weg. Ebenfalls fordert er Investitionen in die Zukunft.

Prof. Dr. Karin Priester gab sich „ein bisschen in Nöten“. Sie habe ja gedacht zum Thema Populismus eingeladen gewesen zu sein. „Und wir haben nun die ganze Zeit über Europa gesprochen.“ Sie denke, dass es darauf hinauslaufe, dass Macron mit dem Nachfolger oder der Nachfolgerin von Bundeskanzlerin Merkel, die ja eine „Lame duck“ sei, ein Europa der unterschiedlichen Geschwindigkeiten aufzubauen versuchen werde – mit Frankreich und Deutschland an der Spitze.

Priester: „Wer über Populismus spricht, muss auch über Demokratie sprechen.“

Demokratischer Widerstand gegen rechte Tendenzen in Dortmund. Foto: Alex Völkel

Sie bekannte, sie hätte auch gerne über andere Themen gesprochen, die aber an diesem Abend unter den Tisch gefallen seien. Besorgt zeigte sich die Sozialwissenschaftlerin über einen um sich greifenden „kulturellen Backlash sowie  eine Renaissance konservativen Denkens“ etwa in der Familienpolitik und ein mögliches Aufkommen eines Klimas der Illiberalität.

Eminent wichtig findet Karin Priester das Problem der Demokratie. Was sei denn Demokratie? Etwa in Bezug auf den Brexit. Wenn wir diesen ablehnten sei das eine Sache, aber die andere ist: die Briten haben gewählt und sich dafür entschieden. Das müssen wir respektieren. Sollen wir die Leute solange wählen lassen, bis es „stimmt“?  Sie erinnerte an 2005 als die Franzosen und die Niederländer die europäische Verfassung abgelehnt hätten. Priester: „Wer über Populismus spricht, muss auch über Demokratie sprechen.“

Moderatorin Jutta Reiter fand die Diskussion interessant. Und das Publikum offensichtlich auch. Aber, so sei das eben bei Fish-Bowl-Diskussionen, erklärte Reiter, leider ohne eindeutige Ergebnisse.

Die Veranstaltungsreihe wird an drei Terminen im September fortgesetzt

Montag, 9. September, 18.30 Uhr:

Stella Schaller von der Berliner Denkfabrik adelphi stellt im Rathaus ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Thema „Rechtspopulismus und Klimapolitik“ vor. In ihrer Studie „Convenient Truths: Mapping Climate Agendas of Right-Wing Populist Parties in Europe“ hat sie erstmalig 21 europäische rechtspopulistische Parteien und deren Haltung gegenüber der Klima- und Energiepolitik analysiert. Auf den Vortrag folgt eine offene Diskussion.
Veranstaltungsort: Rathaus Dortmund, Saal Westfalia, Friedensplatz 1

Donnerstag, 19. September, 18.30 Uhr:

Weiter geht es mit einem Vortrag und anschließender Diskussion über Denkweisen und Verschwörungstheorien innerhalb aktueller antieuropäischer Strömungen. Referent Tom Uhlig von der Bildungsstätte Anne Frank wird über „Abgründe des Antieuropäismus” in linken wie rechten euroskeptischen Bewegungen referieren.
Veranstaltungsort: Rathaus Dortmund, Saal Westfalia, Friedensplatz 1

Mittwoch, 25. September, 18.30 Uhr:

Abschluss der Europa-Projektwochen bildet ein Vortrag mit anschließender Diskussion zum Thema: „Gründerstaaten im Sog des Populismus: Frankreich, Italien und das Regieren in der EU“. Der Politikwissenschaftler Dr. Andreas Marchetti geht dabei exemplarisch auf die Entwicklungen in Frankreich und Italien ein, zeigt aber auch auf, dass populistische Strömungen keinen unaufhaltsamen Trend darstellen müssen.
Veranstaltungsort: Großer Saal, Auslandsgesellschaft.de e.V., Steinstraße 48

Der Eintritt zu allen Veranstaltungen ist kostenlos. Eine Anmeldung ist erwünscht, aber nicht erforderlich unter Tel. +49 231 838 00 47 oder per E-Mail an eu-do@auslandsgesellschaft.de.

Auf dem 10. Afro Ruhr Festival: „Bald 60 Jahre Unabhängigkeit. Immer noch in den Fängen des Kolonialismus? – Podiumsdiskussion mit Experten

Moderator, Dr. Boniface Mabanza Bambu, Martial Ze Belinga und Dr. Dereje Alemayyehu (v.l.). Fotos: C. Stille

Ein interessanter Programmpunkt neben vielen kulturellen Höhepunkten auf dem 10. Afrika Ruhr Festival (28.6 bis 30.6.2019) im Dietrich-Keuning-Haus in Dortmund waren Vorträge und eine sich anschließende Podiumsdiskussion unter dem Titel „Bald 60 Jahre Unabhängigkeit. Immer noch in den Fängen des Kolonialismus?“. Ins Visier genommen waren diesbezüglich afrikanische Staaten

Die brillant und kenntnisreich vortragenden und bis in kleinste Detail überzeugend argumentierenden Experten, die Impulsvorträge hielten, waren Dr. Boniface Mabanza Bambu (Kirchliche Arbeitsstelle Südliches Afrika KASA), der Wirtschaftswissenschaftler Martial Ze Belinga und Dr. Dereje Alemayehu (Executive Coordinator der Global Alliance for Tax Justice).

60 Jahre Unabhängigkeit – Haben 17 afrikanische Ländern nächstes Jahr Grund zum feiern?

Im Jahre 2020 können 17 afrikanische Länder 60 Jahre Unabhängigkeit von ihren einstigen Kolonialstaaten feiern. Viele Afrikaner dürften allerdings der Meinung sein, dass diese Jubiläen weniger einen Anlass zum Feiern als vielmehr zum Nachdenken bieten. Wenn schon gefeiert wird, hätten gewiss einige afrikanische Staaten

Dr. Boniface Mabenza Bambu. Fotos: C. Stille

mehr als andere zu feiern, merkte eingangs der Moderator der Veranstaltung an.

Dr. Boniface Mabanza Bambu sprach davon, dass etwa Botswana ab der Unabhängigkeit einen Weg genommen habe, der möglicherweise Grund zum Feiern gibt. Der Umgang mit Ressourcen sei vonseiten der Eliten Botswanas von Anfang an klug geregelt worden. Sie schrieben fest, dass das Land an den Gewinnen etwa aus dem Abbau von Diamanten beteiligt wird und die multinationalen Konzerne besteuert werden.

Dagegen gebe es auf den afrikanischen Kontinent jedoch Länder die rohstoffreicher sind als Botswana, aber unterproportional wenig Nutzen für sich daraus ziehen könnten.

Was Kolonialismus bedeutete

Es sei aus seiner Sicht, so Dr. Mabanza, daran zu erinnern, was Kolonialismus bedeutete. Er zitierte zu diesem Behufe einen Staatsekretär des deutschen Reichskolonialamtes, der 1907 über Kolonialisierung gesagt habe:

Kolonisation heißt, die Nutzbarmachung des Bodens, seiner Schätze, der Flora, der Fauna und vor allem der Menschen zugunsten der Wirtschaft der kolonialisierenden Nation. Und diese ist dafür mit der Gegengabe ihrer höheren Kultur, ihrer sittlichen Begriffe und ihrer besseren Methoden verpflichtet.“

Dr. Mabanza: „Wir kommen aus dem Kontext einer deklarierten Überlegenheit. Und aus dieser Überlegenheit wird ein Recht abgeleitet, andere auszubeuten.“

Dieser „Logik“ hätten Dekolonialisierungsbewegungen versucht ein Ende zu setzen. Doch schon am Vorabend der Unabhängigkeit hätten die Kolonialmächte Mechanismen entwickelt, die ihnen ermöglichen sollten, den Zugriff sowohl auf die Ressourcen als auch auf Menschen aufrechtzuerhalten. So sei die Unabhängigkeit für die so viele gekämpft hatten, – u.a. Patrice Lumumba (im Gedenken an ihn trug Dr. Mabanza ein T-Shirt, dessen Aufdruck an ihn erinnerte) im Kongo – von vornherein auf formelle Verfahren reduziert worden. Boniface Mabanza:

Die Ausbeutung von Menschen und Ressourcen ist die gleiche geblieben, nur die Formen haben sich geändert.“

Anstelle der Kolonialverwaltungen seien Konzerne getreten, die die Vorherrschaft übernahmen.

Betreffs des Handels seien die afrikanischen entkolonialisierten Staat stets benachteiligt gewesen. Das setze sich heute erst wieder mittels der seit 2020 verhandelten „Freihandelsabkommen“ der EU und den Ländern Afrikas (EPA). Alles diese Instrumente hätten eines gemeinsam, so Mabanza: Sie sollten den Zugriff auf die Rohstoffe dieser Länder sichern. Gleichzeitig wurde und wird eine Industrialisierung (um die Rohstoffe vor Ort zu verarbeiten) in den afrikanischen Staaten verhindert. Momentan hätten sich die Elfenbeiküste und Ghana mit einem Exportstopp für Kakao zu Wort gemeldet. Mabanza: „Was hätte passieren können, wenn diese Länder von Anfang an die Möglichkeit gehabt hätten diese Rohstoffe und andere Rohstoffen vor Ort zu verarbeiten?“ Das habe man aber verhindert durch tarifäre und nichttarifäre Maßnahmen.

Hausgemachte Probleme und die Verhinderung einer Industrialisierung afrikanischer Länder seitens der Länder des Westens

Freilich wären damit noch nicht alle Probleme der Länder Afrikas gelöst gewesen, weiß Mabanza. Auf dem afrikanischen Kontinent gebe es hausgemachte Probleme, aber eben auch welche, die mit den postkolonialen Entwicklung der jeweiligen Ländern zu tun hätten.

Auch sei die wirtschaftliche Entwicklung in manchen dieser Länder zu wenig diversifiziert, weil sie sich auf Druck ehemaliger Kolonialstaaten auf bestimmte Produkte spezialisiert hätten (Blumen, Kaffee, Tee usw.). Für alles was verarbeitet werden müsse, seien sie auf die Staaten angewiesen, an welche sie ihre Rohstoffe liefern. Die verarbeiteten Produkte kämen dann zum teureren Preis zurück auf den afrikanischen Kontinent. Die entsprechenden afrikanischen Länder seien zu Absatzmärkten der Länder des Westens reduziert worden. Man denke nur an von der EU subventionierte und beispielsweise nach Ghana exportierten Tomaten, an Schweinefleisch oder Hähnchenteile. Die afrikanischen Bauern können mit diese Preisen nicht mithalten und gingen pleite. Was wiederum Flüchtlinge produziere.

Grundlegende Reformierung der Bildungssysteme blieb aus

Hinzu käme, gab Dr. Mabanza zu bedenken, dass ein koloniales Bildungssystem in afrikanischen Ländern nach wie vor zum Blick nach außen erziehe. Eine generelle grundlegende Reformierung der Bildungssystem – wenngleich es auch löbliche Ausnahmen gebe – sei ausgeblieben.

Allerdings wäre eine solche Entwicklung auch nicht möglich gewesen durch, wenn nicht bestimmten afrikanische Eliten da mitgemacht hätten, sagte Mabanza.

Den Menschen in Afrika müsse endlich vermittelt werden, dass nicht alles was von außen, aus dem Westen gut und passend für sie ist. Genauso aber auch, dass nicht alles, was zu den Traditionen gehört, automatisch gut ist.

Kritiker sagen: Der CFA-Franc spielt eine negative Rolle. Er induzierte ein System „freiwilliger Knechtschaft“, ist ein „imperiales Machtinstrument“ und hält afrikanische Länder bis heute in Abhängigkeit

Der Ökonom und Soziologe Martial Ze Belinga hielt seinen Vortrag mit dem Titel „Der CFA-Franc, eine hyperkoloniale Währung“ auf Französisch. Ze

Martial Ze Belinga.

Belinga spricht zwar Deutsch. Aber, sagte er entschuldigend, er habe es sehr lange nicht mehr benutzt. Er stützte sein Referat auf die Veröffentlichung des Buches „Kako Nubukpo, Martial Ze Belinga, Bruno Tinel & Demba Mussa Dembele (Hg.): Sortir l‘Afrique de la servitude monétaire. À qui profi te le franc CFA?“ (leider nur auf Französisch erhältlich: hier).

Ein anwesender Herr von der Auslandsgesellschaft NRW e.V. Dortmund erklärte sich freundlicherweise bereit, den Vortrag auf Deutsch zu übersetzen. Zusätzlich wurden Ausdrucke auf Deutsch von wesentlichen Teilen des Vortrags zum Mitlesen ans Publikum ausgeteilt.

Nach der Entlassung in die Unabhängigkeit blieben bis heute viele afrikanische Staaten in Abhängigkeit der einstigen Kolonialherren. Ein negative Rolle dabei spielt der CFA-Franc, erfuhren die interessierten ZuhörerInnen im voll besetzen Raum 204 des DKH. 14 ehemalige französische Kolonien benutzen seit 1945 eine Währung, die in der Kolonialzeit von französischen Kolonialherren eingeführt worden war. Kritiker sprechen von einen System „freiwilliger Knechtschaft“ und verurteilen den CFA-Franc als „imperiales Machtinstrument“. Wirtschaftswissenschaftler Martial Ze Belinga erklärte, wie der CFA-Franc afrikanische Länder, einstige Kolonien, bis dato in Abhängigkeit gefangen hält.

Die entscheidende Frage in Afrika sei: Wer ist abhängig von wem? Andererseits sei auch die Welt von Afrika abhängiger geworden als man annehme. Weiterhin seien, Ze Belinga, im Westen weiterhin negative Diskurse über Afrika im Umlauf.

Der CFA-Franc bedinge es, dass von den afrikanischen Ländnern erwirtschaftete Devisen in Frankreich deponiert werden: Afrikanische Länder haben exportiert, Devisen kassiert – diese müssen aber dann nach Frankreich (als Sicherheit für den Wechselkurs) geschickt werden.

Martial Ze Belingas Fazit: „Alternativen zum CFA-Franc müssen kreativ bleiben und offen für Optionen auf gemeinsame Währungen, lokale Währungen und Steuerwährungen sein. Das wichtigste ist die industrielle, sozial nachhaltige und ökologische Transformation. Dies bedeutet eine Abkehr von den klassischen Kriterien der nicht-interventionistischen Makroökonomie, die Annahme einer Dosis wirtschaftlichen Schutzes.“ Und weiter: „Die Afrikaner müssen auch die Werte, die ihnen wichtig sind, wie Ubuntu*, in ihre Institutionen integrieren, denn Geld vermittelt Werte. So wie der CFA-Franc die Kolonialbeziehungen (Zwangsarbeit, Rohstoffe usw.) vermittelt hat, müssen sich die Post-CFA-Währungen auf die alten monetären Vorstellungen des Kontinents (Nzimbu, Shat usw. und auf andere Erfahrungen der Welt stützen, um an afrikanischen Werten und Projekten in der heutigen Welt angepasten Währungsinstitutionen aufzubauen.“

Über den CFA-Franc lesen Sie bitte hier und hier mehr.

*Über Ubuntu hier mehr

Dr. Dereje Alemayehu: Die Länder des globalen Südens leiden am stärksten unter der Gewinnverschiebung multinationaler Konzerne

Dr. Dereje Alemayehu ist derzeit Executive Coordinator der Global Alliance for Tax Justice, war ander Gründung des Steuergerechtigkeitsnetzwerks

Dr. Dereje Alemayehu.

Afrika beteiligt und Vorsitzender des Globalen Bündnisse für Steuergerechtigkeit.

Dereje Alemayehu spricht sehr gut Deutsch. Dennoch bat er das Publikum vor eventuellen Fehlern in seinem Vortrag im Vorhinein um Verständnis. Mit seinem Bonmot „Deutsche Grammatik war immer ausländerfeindlich“, sorgte Dr. Dereje Alemayehu für zustimmende allgemeine Heiterkeit im Raume.

In seinem Vortrag erinnerte Alemayehu an den 100. Jahrestag der Berlin-Konferenz (auch Kongo-Konferenz genannt) im Jahre 1985, auf welcher der afrikanische Kontinent an westliche Kolonialmächte verteilt wurde. Damals sei Willy Brandt (Vorsitzender der Nord-Südkommission) gewesen.

Während einer Podiumsdiskussion habe deren Moderator den Präsidenten von Tansania Julius Kambarage Nyerere, Vorsitzender der Süd-Kommission („Nyerere-Kommission“)

gefragt, für was alles dem Kolonialismus die Schuld gegeben werden könne. Dereje Alemayehu erinnert sich noch heute genau an die Antwort: Julius Kambarage Nyerere, der wie ein guter Onkel wirkte, habe sinngemäß Folgendes geantwortet: Von hundert Jahren habe der Kolonialismus 70 Jahre regiert und 30 Jahre das unabhängige Tansania. Die Verantwortung liege demnach bei 70 zu 30.

NGOs, so Alemayehu, hätten einmal gefragt, wer für Geldabflüsse, resp. Ressourcenabflüsse, aus Afrika verantwortlich sei. Ressourcenabflüsse Die Masse dürfte antworten: korrupte afrikanische Länder. Dass Korruption ein ernstzunehmendes Problem sei, wolle er nicht bestreiten, räumte der Referent ein. Da gebe es auch nichts daran zu verteidigen. Allerdings stünde Korruption bei weitem nicht an erster Stelle, der Geldabflüsse. 2013 sei die UN-Kommsission für Wirtschaft dieser Frage nachgegangen. Das Ergebnis: Zu 60 Prozent resultierten Ressourcenabflüsse aus Afrika aus Handelstätigkeiten und wirtschaftlichen Tätigkeiten. Vierzig Prozent gingen auf das Konto von Korruption und Kriminalität. OSZE-Generalsekretär habe einmal in einem Bericht zu bedenken gegeben, dass für jeden Dollar, der als Entwicklungshilfe in die Entwicklungsländer kommt, drei Dollar als illegale Ressourcenabflüsse die Länder verlassen.

Ein Beispiel, das wir auch in Europa betreffs der Steuerzahlungen großer Konzerne kennten, wurde genannt: Ein Kiosk in Accra zahle mehr Steuern als ein großer Brauereikonzern in Ghana.

Ein weiteres Beispiel, dass einen die Haare zu Berge stehen lasse, sei die Tatsache, dass die britische Kanalinsel Jersey als größter Bananen-Exporteur nach Europa gelte. Und das, obwohl dort keine einzige Bananenpalme gedeihe!

Und noch etwas, dass bezeichnend ist und dem Fass den Boden ausschlage: Im Steuerparadies Cayman Islands seien an einer Adresse 18 000 Firmen registriert.

Es müsse doch gefragt werden, warum es solche Strukturen gibt.

Ginge es nach Transperency International wäre die Schweiz eines der saubersten Länder der Welt. Indes, wir wüssten es besser, warf der Referent in den Raum.

Bestechung sei nur ein Teil von Korruption. Wenn ein Polizist in Afrika bestochen werde, sei das sichtbar. Unsichtbar dagegen seien die Praktiken der großen Bonzen weltweit.

Die Schweiz verdiene mehr Geld an Kupfer als der Kupferexporteur Sambia, obwohl im Land der Eidgenossen kein Kupfer vorkäme. Steuerflucht, Steuerhinterziehung und vielfältiger Betrug seien ein weltweites Problem. Dr. Dereje Alemayehu mit seiner schmunzelnd hervorgebrachten Feststellung:

„Korrupte afrikanische Eliten haben die Schweiz nicht gegründet.“

Afrikanische Staaten seien mehr von Steuern abhängig als reiche Länder. Afrika sei heute ein Gläubigerkontinent gegenüber Westen.

Dr. Dereje Alemayehus Fazit:

Korruption ist eine Krankheit, aber bei weitem nicht die einzige. Hinzu kämen Steuerflucht und Steuervermeidung. Das System werde global von reichen Ländern beibehalten. Ressourcen würden abgesaug, was die Reichen immer reicher mache und die Kluft zwischen Arm und Reich stetig besorgniserregend vergrößere. Die Länder des globalen Südens leiden am stärksten unter der Gewinnverschiebung multinationaler Konzerne – auch aus Deutschland – und illegitimen Finanzströmen in Richtung der internationalen Finanzmärkte. Geld, das dringend für Bildung, Gesundheit und soziale Sicherung benötigt wird.

(Dazu passend ein Interview mit Dr. Dereje Alemayehu via africavenir2009/You Tube)