Dortmund: Deutsche Stiftung Denkmalschutz überreichte zum Zeichen ihrer Verbundenheit mit St. Reinoldi eine Bronzetafel

Regine Vogt, Karin Lehmann, Michael Küstermann (Mitte vorn), Heike Proske und Susanne Kideys (v.l.n.r). Fotos: C. Stille

Nicht zum ersten Mal erhielt die Stadtkirche St. Reinoldi in Dortmund Unterstützung seitens der Deutschen Stiftung Denkmalschutz (DSD). Zum Zeichen ihrer Verbundenheit mit St. Reinoldi überreichte die Institution, vertreten durch Karin Lehmann und Regine Vogt (beide Ortskuratorium Bochum-Dortmund der DSD), am Mittwoch in der Stadtkirche eine Bronzetafel. Die 10 mal 17 Zentimeter große Tafel mit einer Dicke von drei Millimeter soll noch rechtzeitig vor dem Deutschen Evangelischen Kirchentag (19. – 23. Juni 2019 in Dortmund) an der seitlichen Außenfassade von St. Reinoldi in Nähe eines renovierten Kirchenfensters angebracht werden.

Im September 2017 erhielt die Reinoldi-Gemeinde einen symbolischen Scheck der Deutschen Stiftung Denkmalschutz – inzwischen sind die mit dem Geld finanzierten Arbeiten abgeschlossen

Karin Lehmann erinnerte rückblickend daran, dass sie am 14. September 2017 an die Reinoldi-Gemeinde einen symbolischen Scheck der Deutschen Stiftung Denkmalschutz über 260 000 Euro für die Renovierungs- und Instandsetzungsarbeiten der Reinoldikirche, „unserer geschätzten Stadtkirche im Herzen Dortmunds“, überreicht hatte. Inzwischen sind die Arbeiten abgeschlossen. Vertraglich zwischen der Kirchengemeinde und der DSD festgelegt worden sei damals, dass in Erinnerung an die finanzielle Unterstützung der DSD eine Bronzetafel „gut sichtbar an exponierter Stelle des geförderten Objektes angebracht wird“. Auf der Tafel steht: „Gefördert durch die Deutsche Stiftung Denkmalschutz mit Hilfe der Glücksspirale.“ Interessant zu erfahren: 9,8 Prozent der Spieleinnahmen von Westlotto fließen in regelmäßig an die DSD.

Karin Lehmann erklärte: „Historische Bau-, Boden-, Gründenkmale zu erhalten, das ist das Ziel und die Aufgabe der Deutschen Stiftung Denkmalschutz.“

Die Stiftung sei die größte private und unabhängige Initiative für den Denkmalschutz in Deutschland, so Lehmann. Sie besteht seit 1985. Bisher sei es gelungen, mehr als 5500 Denkmale in ganz Deutschland durch die Hilfe der DSD zu erhalten.

Karin Lehmann wies darauf hin, dass die Stiftung nicht nur Denkmale erhalten helfe, sondern Denkmale auch erlebbar mache. Etwa beim Tag des offenen Denkmals und während der sogenannten Monumente-Reisen (Monumente ist die Zeitschrift der DSD).

Superintendentin Heike Proske: „Das Engagement der Stiftung macht deutlich, welche historische Bedeutung die Kirchen, besonders aber St. Reinoldi für die Stadt haben“

Heike Proske, Superintendentin des Kirchenkreises Dortmund, bedankte sich herzlich für die Verbundenheit der DSD und deren Unterstützung bei der

St. Reinoldi Dortmund. Foto: Stille

Renovierung von St. Reinoldi. Sie fand, dass passe gerade sehr gut, da die Stadt Dortmund gerade die Reinoldikirche zum Denkmals des Monats Juni benannt habe. Die Reinoldikirche, habe sie in ihrem guten halben Jahr, das sie jetzt hier sei, festgestellt, sei nicht nur fußläufig von vielen Menschen bestens erreichbar und werde tagtäglich von ihnen passiert. Das Gotteshaus diene auch als Identifikationspunkt, an welchem man sich auch verabrede. Wenn der Westenhellweg abends zu bestimmter Zeit die Öffentlichkeit quasi abgebe, nehme diese die Kirche auf. Und innen sei es dann schon mal belebter als draußen. Dank der ganzen Pfarrstelle von Herrn Küstermann und einer landeskirchlich geförderten Pfarrstelle sowie vielen Ehrenamtlichen sei es möglich die Kirche oftmals zu öffnen – sowohl für normale Besuchende als auch sehr viele Veranstaltungen. An die VertreterInnen der DSD gerichtet, sagte Superintendentin Heike Proske: „Das Engagement der Stiftung macht deutlich, welche historische Bedeutung die Kirchen, besonders aber St. Reinoldi für die Stadt haben.“

Pfarrer Michael Küstermann lobte die an einem vollkommen renovierten Fenster vorgenommenen Bauarbeiten als großartige Leistung

Pfarrer Michael Küstermann hat bereits – wie von der DSD gefordert – „einen hervorgehobenen Ort“ für die Anbringung der Bronzetafel (Dübel und Befestigungsschrauben sind praktischerweise bereits mitgeliefert) ins Auge gefasst. Der wird sich also in der Nähe eines der vollkommen renovierten Kirchenfensters befinden. Küstermann sagte, an diesem sei eine großartige Leistung durch Bauarbeiten vollbracht worden. Man habe die Bestätigung bekommen, dass es bis dato nicht bekannt sei, dass es jemals gelungen wäre, ein Fenster dieser Größenordnung zu restaurieren. Das ursprüngliche Fenster von Professor Stockhausen (eingesetzt nach dem Zweiten Weltkrieg) habe nicht mehr restauriert werden können. Nun sei es den Steinmetzen gelungen, die ganze Glasstruktur wieder in eine neue Steinarbeit hineinzubekommen. Es habe einer äußerst filigranen Ausarbeitung bedurft.

Architektin Susanne Kideys: Wiederherstellung des Fensters „ganz hervorragend“ gelungene Arbeit

Die Architektin des Kirchenkreises, Susanne Kideys, berichtete Pfarrer Küstermanns Ausführungen fachlich ergänzend von den Schwierigkeiten und den damit notwendig gewordenen aufwändigen Arbeiten an dem betreffenden Fenster. Die ganze Verglasung habe herausgenommen werden

Das vollkommen renovierte Kirchenfenster in St. Reinoldi.

müssen. Das Maßwerk des Chors war in außergewöhnlichen schlechtem Zustand. Alle Maßwerke (so bezeichnet man in der Architektur die filigrane Arbeit von Steinmetzen in Form von flächigen Gestaltungen von Fenstern) mussten entfernt werden, weil sie viel Ersatzmörtel enthalten hätten. Das Gefüge und die Festigkeit konnte nicht mehr garantiert werden. Die Steinbögen der Fenster waren brüchig, die Windeisen für deren Befestigung korrodiert. Die Fenster mussten aufwändig bearbeitet werden. Das ganze Maßwerk sei dann in einer großen Halle der Firma Megalith Bau-Hammer GmbH in Hagen ausgebreitet und nummeriert ausgebreitet worden. Gemeinsam mit der Denkmalbehörde habe man feststellen müssen, dass 80 – 90 Prozent der Teile wegen fehlender Substanz so nicht hätten wieder eingebaut werden können. Kideys bezeichnete die Wiederherstellung des Fensters seitens der damit betrauten Steinmetze als„ganz hervorragend“ gelungene Arbeit. Spezialisten sagten, so wusste Susanne Kideys zu sagen, dass einen ein Maßwerk in dieser Größenordnung – sei es als Steinmetz oder Denkmalpfleger – wohl nur einmal im Leben begegne.

Susanne Kideys gab darüber hinaus einen Überblick über die gesamten Sanierungsarbeiten. Sie zählte die Neueindeckung des Chorraumes und die Restaurierung der kleinen Dachgauben, der Fassade und der teilweisen Erneuerung der Verglasung auf. Wie bei Sanierungsarbeiten an Bauwerken dieser Art üblich, habe man im Zuge der Arbeiten weitere Schäden der Kirche entdeckt. Nun sei aber alles weitgehend fertig geworden. Insgesamt sind zirka 1,6 Millionen Euro in das Kirchenbauwerk geflossen. Rechtzeitig vor dem Kirchentag sind die letzten Gerüste nun abgebaut.

Nächste große Baumaßnahme in St. Reinoldi – der Bau einer neuen Orgel – beginnt gleich nach dem Kirchentag

Pfarrer Michael Küstermann nannte als nächste große Baumaßnahme den Bau einer neuen Orgel für St. Reinoldi. Sie soll Ende 2020 fertig sein. Die Bauarbeiten sollen unmittelbar nach dem Kirchentag beginnen. 2020 werde man zwölf Jahre Arbeit „als Aufgabe unserer Generation“ an diesem großen Restaurierungsprojekt hinter sich gebracht haben, schätzte Pfarrer Küstermann ein.

Dortmunder „Talk im DKH“: Mit Imamin Rabeya Müller kontrovers und konstruktiv über den Islam in der Gesellschaft diskutiert.

Auf dem Podium: Moderator Aladin al-Mafaalani, Imamin Rabeya Müller und Comedian Özan Cosar (v.l.n.re). Fotos: Claus Stille

Am Freitagabend dieser Woche stand einmal mehr ein „Talk im DKH“ auf dem Plan. Dieser fand aber wegen einer parallel stattfindenden Veranstaltung nicht im Dietrich-Keuning-Haus, sondern in der Aula des Helmholtz-Gymnasiums auf der Münsterstraße statt. Der Direktor der Schule, Dr. Dirk Bennhardt, zeigte sich erfreut darüber, diesen „Talk im DKH“ in seinem Hause stattfinden lassen zu dürfen. Das diesmalige Thema: „Der Islam – eine missverstandene Religion?“ Bereits am Nachmittag, so informierte der kommissarische Leiter des DKH, Levent Arslan, das Publikum, war darüber mit hundert SchülerInnen intensiv diskutiert worden.

Kaum ein Thema wurde in den letzten 11 Jahren sooft in den Talkshows „aufgerührt“ wie der Islam

Davon, dass das Thema mit ziemlicher Sicherheit kontrovers würde diskutiert werden. war auszugehen. Und zwar in doppelter Hinsicht. Bot allein schon der vielschichtige daherkommende Islam allerhand Stoff zur Diskussion – würde erst recht die Tatsache, dass zu diesem Talk mit der 1957 geborenen deutschen Muslima Rabeya Müller aus Köln eine Imamin eingeladen war – gewiss kritische Fragen aufwerfen.

Der kommissarische Leiter des DKH (links) und der Direktor des Dortmunder Helmholtz-Gymnasium (rechts).

Die zum Islam konvertierte Rabeya Müller griff gleich zu Anfang ihres Referats kritisch auf, dass zahlreiche Talkshows in den letzten elf Jahren im deutschen Fernsehen kaum ein Thema – nicht selten in Verbindung mit dem Stichworten Integration oder Migration – sooft „aufgerührt“ worden ist wie der Islam. Das habe aber eben nichts mit dem Islam zu tun.

Dann war der Islam auf Dauer halt einfach da

Müller sprach von einem für sie schmerzlichen Erlebnis während ihrer Studienzeit. Da sei sie einmal zu spät zu einer Vorlesung gekommen. „Da meinte der Professor, dass die Putzsachen weiter hinten wären.“ In den 1980er und 1990er Jahren allerdings habe sie durchaus miterleben dürfen, „dass sich das allmählich

Imamin Rabeya Müller während ihres Referats.

gelegt hat“. Irgendwie sei „der Islam zwar nicht akzeptiert in dem Sinne, aber auf Dauer war er halt einfach da.“

Mit 9/11 „war es plötzlich irgendwie so als würde eine Welt zusammenbrechen“

Dann sei aber der 11. September gekommen. Rabeya Müller: „Da war es plötzlich irgendwie so als würde eine Welt zusammenbrechen.“ Auch im interreligiösen Dialog, den man schon damals gepflegt habe. Damals habe sie etwas respektlos vom Tee-und-Börek-Dialog gesprochen. Den diskutierenden Herren hätten seinerzeit die Damen Tee und Börek serviert und hinterher habe man dann festgestellt: „Es war nett, dass wir miteinander gesprochen haben.“ Nie sei es in irgendeiner Weise an die Substanz, „ans Eingemachte“, gegangen. Nach 9/11 habe es allerdings doch Leute gegeben, „die denn interreligiösen Dialog, den Humanismus, Das-füreinander-verantwortlich-da-Sein ernst genommen hätten. Christen hätten damals Hilfe angeboten: „Wenn es euch dreckig geht und wenn ihr Angst habt – wir haben ein Ferienhäuschen, da könnt ihr ein paar Wochen untertauchen.“ Und Müller erinnert sich an eine Demonstration viele muslimische Frauen aus ihrem Zentrum, welche „gegen diese Gewaltakte“ der Terroristen gerichtet war. Der WDR, der filmte, habe genau in dem Moment die Kamera ausgemacht, als die Musliminnen ins Bild kamen. Müller: „Jetzt kann man von natürlich von Verschwörungstheorie reden. Aber ich glaube das fing an sich immer weiter fortzusetzen.“

Moderator Aladin al-Mafaalani hatte eingangs davon gesprochen, was sich in unserer Gesellschaft nach 9/11 zu entwickeln begann: Eine diffuse Angst vor einer Islamisierung – bis hin zu Erscheinungen wie PEGIDA und AfD. In der islamischen Welt dagegen beklage man eine „Verwestlichung“. In Indien, wo Mafaalani

Moderator Aladin al-Mafaalani.

weilte, gar grassiere beides. Der Soziologe vertrat in der Diskussion dann die Ansicht, dass Muslime heute hierzulande noch nie so gut integriert waren wie heute, aber ein kleiner Teil von ihnen gleichzeitig noch nie so schlecht integriert ist wie heute. Auch sei Intellektualität noch nie so extrem gut wie heute. Rabeya Müller erklärt dazu, wir litten heute unter der verfehlten Integrationspolitik der 1980er und 1990er Jahre.

Rabeya Müller: Ein Satz wie „Der Islam gehört nicht Deutschland“ hat eine tiefe Wunde gerissen

Viele Muslime hätten die Staatsangehörigkeit und zahlten hier ihre Steuer. Dennoch stoße man sie immer wieder vor den Kopf. Und in unseren Tagen habe ein Satz wie „Der Islam gehört nicht zu Deutschland“ habe „einfach eine tiefe Wunde gerissen“. Habe man einen bestimmten Migrationshintergrund in einem bestimmten Land und sage man sich womöglich: Dort bin dann aber was. Da dürfte die Referentin an die Türken und Deutschtürken gedacht haben.

Rabeya Müller: „Was sollen denn aber meine Kinder und Enkelkinder, gebürtige deutsche Muslime, machen? Ihr ältester Sohn habe ihr einmal gesagt: „Das ist ein schmaler Grat, sich entweder in irgendeiner Weise versuchen zurechtzufinden oder sich zu radikalisieren.“ Rabeya Müller: „Er hat es als seinen persönlichen Dschihad betrachtet sich nicht zu radikalisieren.“ Die Kinder ihres Sohnes hätten plötzlich mit den gleichen Vorurteilen zu tun wie er einst. Ein Enkel der Imamin sei aus der Schule nachhause gekommen und habe berichtet: „Die sagen, ich kann nicht Deutscher sein, weil ich Muslim bin.“

Comedian Özcan Coşar klinkte sich ein und beklagte, dass man etwa seine Tochter im Kindergarten noch immer unter „die türkischen Kinder“ einordne. Als positives Beispiel führte der Künstler Finnland an. Dort, so habe er gelesen, nenne man dorthin gezogene Migranten vom ersten Tage an „Neufinnen“. Das erfolgreichste Gymnasium in Europa befinde sich in Finnland. Dort hätten achtzig Prozent der Kinder einen Zuwanderungshintergrund. Nebenbei bemerkt: Am Helmholtz-Gymnasium lernen 98 Prozent Muslime, wie Aladin al-Mafaalani erfragte. * Der Comedian warf die Frage ein: „Wo ist das Minarett?“

Für die Unterhaltung mit Köpfchen zuständig: Özcan Coşar.

Schwäbisches Kraftwerk“ sorgte zum wiederholten Maße für köstliche Unterhaltung

Mit originellen, die Lachmuskeln der BesucherInnen strapazierenden Comedy-Beiträgen verstand Özcan Coşar, bekannt als „Schwäbisches Kraftwerk“, das Publikum zum nun schon wiederholtem im „Talk im DKH“ Mal köstlich zu unterhalten.

Zijah Jusufovic: Wie kann man im Namen Gottes ein Kind Gottes töten?

Der in Bosnien gebürtige Künstler Zijah Jusufovic, der während des Krieges in Jugoslawien in der BRD lebte, dann wieder in die Heimat gegangen war, um wegen einer dort festgestellten Radikalisierung seiner Landleute nun fest hier zu leben, brachte seine Sicht auf den Islam feinfühlig und „ganz aus seiner Sicht“ zu Gehör. Allahu Akbar“ sei für ihn „das schönste Wort“. Heute werde das Wort jedoch von Terroristen zum Töten missbraucht. Wie könne man im Namen Gottes ein Kind Gottes töten? Algebra etwa sei im Namen des Gottes erfunden

Kein Töten im Namen Gottes (gestaltet von Zijah Jusufovic).

worden. Kaffee sei so erfunden worden. Chirurgie sei erfunden worden, um den Menschen zu helfen. „Zum Leben retten. Nicht zum Töten. Universitäten zum Weiterbilden. Nicht zum Töten.

Alle müssten wir hier in Deutschland näher zusammenrücken – zusammenleben

Jedem dieser Themen hat Zijah Jusufovic ein Bild entgegengestellt. So z.B. bei Algebra: „Algebra erfinden – ALLAHU AKBAR – oder töten“, darunter drei

Künstler Zijah Jusufovic.

Patronen. Die Rechten glichen in ihrem Denken nicht zuletzt dem der islamistischen Terroristen, stimmte Özcan Coşar zu. Burka-Verbote – ob man diese Bekleidung nun mag oder nicht – und die ganze Hetze in den Medien dazu vergifteten die Gesellschaft. Muslimische Jugendliche fühlten sich provoziert und reagierten nicht weniger fragwürdig. Alle müssten wir hier in Deutschland näher zusammenrücken – zusammenleben. Auch um Vorurteile auszuräumen.

Imamin Rabeye Müller: Die einen wissen zu wenig über ihre Religion, die anderen hätten nie ein Blick ins Grundgesetz geworfen

Das Problem, das so viel unserer muslimischen Geschwister haben, so Rabeya Müller, ist, „dass sie so hilflos Angriffen gegenüberstehen, hat damit zu tun, dass wir viel zu wenig über unsere eigene Religion wissen“. Und, dass man sich untereinander viel zu wenig auseinandersetze. Ebenfalls dringend in Richtung Mehrheitsgesellschaft zu bedenken gab die Imamin: „Wir müssen aufhören tägliche Probleme zu theologisieren.“ Ein Verbrechen sei ein Verbrechen. Dafür gebe es ein Strafgesetzbuch. Muslime wie nicht Nichtmuslime müssten aufhören sich gegenseitig als Problem zu betrachten. Es gelte Hand in Hand zu gehen. Das Grundgesetz sei gut und dahinter müssten wir alle stehen.

Gerade die dritte und vierte Generation muslimischer Jugendlichen hierzulande lebten „in einer islamischen Erziehung die weitesgehend geprägt sei von Tradition“. Die jedoch hätten oft nichts mit der Religion zu tun. Davon hätten sie oft so gut wie keine Ahnung. Wie übrigens – bemerkte die Imamin am Rande – auch diejenigen in unserer Gesellschaft, die immer davon schwafelten, unsere Verfassung müsse geschützt werden, zumeist nie einen Blick ins Grundgesetz geworfen hätten.

Und junge Muslime zögen sogar von Europa aus in einen – wie sie meinen – zur Verteidigung ihrer Religion und zum Schutz des Koran in einen Heiligen Krieg, ohne zu wissen was im heiligen Buch der Muslime steht.

Sich mit unterschiedlichen Meinungen innerhalb der eigenen Religionsgemeinschaft auseinandersetzen

Die Imamin findet: „Wir haben innerislamisch einfach wirklich den Auftrag uns auch mit unterschiedlichen Meinungen innerhalb unserer eigenen Religionsgemeinschaft auseinanderzusetzen.“ Die Ereignisse der Silvesternacht von 2015 in Köln im Hinterkopf habend, habe man anzustoßen versucht mit anderen muslimischen Gruppierungen etwas Vernünftiges über das Frauenbild im Islam zu veröffentlichen. Die hätten freilich vorwiegend aus Männern bestanden und die überhaupt kein Interesse daran. Stichwort: Ängste vor Machtverlust.

Als Müller von ihrer Gemeinde zur Imamin gewählt worden war, erzählte sie, tauchte ein Bild von ihr im Netz auf, wo Männer hinter ihr beteten und löste einen Aufschrei aus. Rabeya Müller dazu: „So als hätten wir ein Verbot von Frauen in Ämtern, als hätten wir eine Ordination die das verbietet.“

Ein kleiner Eklat

Just in dem Augenblick da Rabeya Müller über Frauen als Imaminnen sprach, machten sich zwei männliche Jugendliche in der ersten Reihe eifrig Notizen, beziehungsweise studierten Texte (vermutlich aus dem Koran) auf einem Smartphone. Warum wurde in der Fragerunde klar: Sie forderten von Rabeya Müller, sie möge doch die Hadith (Erzählung, gesammelte Aussprüche, die dem Propheten Mohammed zugeschrieben werden) nennen, welche Frauen als Imaminnen gestatte. Da hatten die Schüler des Immanuel-Kant-Gymnasium und des Stadtgymnasiums die Imamin zunächst gewissermaßen auf dem falschen Fuße erwischt. Ja, so Müller, diese Hadith gebe es auf Arabisch, doch im Moment habe sie die nicht griffbereit. Überdies sei es im Islam so, dass man ihr nicht beweisen müsse, dass etwas erlaubt ist, sondern, dass etwas verboten ist.

Moderator al-Mafaalani hatte seine liebe Not, die Jugendlichen, die weiter nach bohrten, Beweise aus dem Koran einforderten, dass es Imaminnen geben dürfe, in ihrer Hartnäckigkeit zu stoppen. Ein kleiner Eklat. Rabeya Müller wiederum wollte es nicht hinnehmen, dass der 15-Jährige ihre Reputation infrage stellte. Der Schüler zog sich vorlaut auf das Recht auf „Meinungsfreiheit“ zurück. Comedian Özcan Coşar hatte übrigens noch die entsprechende Stelle im Koran zu weiblichen Vorbetern gefunden. Die beiden jungen Muslime indes waren bereits gegangen.

Sich nicht über andere erheben

Die Imamin gab etwas Grundlegendes zu bedenken: „Sich besser zu fühlen als jemand anderes, als ein Mensch ein anderer Hautfarbe, als ein Mensch einer anderen Religion, des anderen Geschlechts, eines anderen sozialen Status – das heißt laut Koran nach dem satanischen Prinzip zu handeln.“

In diesem Sinne denke Müller, „dass es sehr viele Leute gibt, die versuchen Musliminnen und Muslime zu diskriminieren und den Islam zu diskreditieren – etwas wogegen wir uns gemeinschaftlich wehren sollten.“ Und zwar egal ob man immer einer Meinung sei oder eben unterschiedliche Ansichten habe. Sie kritisierte, dass manche „in den muslimischen Reihen“ immer forderten, wir müssten die Scharia einführen und so leben wie zu Zeiten des Propheten: „Ich finde das immer etwas schade, weil die Leute, die das hauptsächlich behaupten, immer im Auto kommen statt auf’m Kamel.“

Scharia, der Weg zur Quelle

Es sollte gewusst werden, dass Scharia „Der Weg zur Quelle“ heißt und eben nicht islamisches Recht, wie immer wieder gesagt werde. Rabeya Müller unterstrich und bat darum folgendes nicht zu vergessen: „Wer mit dem Strom schwimmt, also durchaus traditionell – Mainstream -, der erreicht die Quelle nie.“ Die Muslime müssten endlich aufhören die Jugendlichen in eine Zwickmühle zu bringen, sich zu entscheiden entweder ‚anständige‘ Musliminnen und Muslime zu sein oder in dieser verwestlichten Welt zu leben.“ Dafür habe der Koran in Sure 10 Yunus (Jonas) einen sehr guten Ratschlag parat: „Gott ist wütend über die, die ihren Verstand nicht benutzen.“

Den Koran aus der Zeit seiner Entstehung heraus verstehen

In der Diskussion auf dem Podium machte Rabeya Müller auch mehrfach deutlich, dass der Koran immer auch aus der Zeit seiner Entstehung heraus verstanden

Foto: C. Stille

werden müsse. Was u.a. auch Aufrufe zur Gewalt und der Tötung von Ungläubigen – wie immer wieder von Islamkritikern ins Feld geführt – beträfe. Dies habe zu Mohammeds Zeit nur gegolten, wenn man angegriffen wurde.

Der Koranvers, der angeblich erlaubt Frauen zu schlagen, kann vielmehr ganz anders ausgelegt werden

Als Frauenzentrum habe man auch sehr intensiv über den Koranvers 4:34 gearbeitet, „der ja, so die Imamin, „angeblich das Schlagen von Frauen legitimiert“. Da habe es muslimische Männer gegeben, die froh waren, nicht zu einem Geschlecht gehören, das schlagen darf. Die meisten jedoch hätten sich trotzdem geziert – „geärgert darüber, dass man Frauen nicht schlagen darf?“ -, interpretierte Aladin al-Mafaalani das und Imamin Müller bejahte das. Schließlich könnte der Vers aber auch dahingehend ausgelegt werden könnte, dass man getrennter Wege geht, wenn man sich gestritten hat und nicht mehr zusammenfindet.

Zuviel Integration von Übel?

In der Fragerunde machte sich eine künftige Lehrerin Sorgen, dass ein Zuviel an Integration auch Probleme aufwerfe. Als Beispiel nannte sie eine Begebenheit auf einem Dortmunder Amt. Da hatte sich ihr gegenüber ein Mann darüber erregt, dass die Angestellte am Schalter Kopftuch trug. Würde man ihr als Lehrerin mit Migrationshintergrund etwa wegen ihrer schwarzen Haare auch mit Vorbehalten entgegentreten?

Fazit: Nach kontroverser Diskussion hoffnungsvolle Aussichten

Trotz zuweilen kontroverser Diskussion während diesem „Talk im DKH“ wurde auf dem Podium auch der Hoffnung Ausdruck verliehen, dass nicht zuletzt

hinsichtlich des diskutierten Themas „Der Islam – eine missverstandene Religion?“ in Zukunft durchaus ein positiver Trend erwartbar erscheint. So Aladin al-Mafaalani aus einem Blick in die Vergangenheit schließend.

Mehr Geschichtsunterricht mahnte Imamin Rabeya Müller an. Und Comedian Özcan Coşar erwartet mehr gegenseitigen Respekt – auch wenn jemand eine andere Meinung sei. Özcan Coşar erachtete es für ebenfalls wichtig auch mit AfD-Anhängern zu sprechen. Ansonsten fühlten die sich doch nur in ihrer Sicht bestätigt. Das Fazit von Zijah Jusufovic ist ebenfalls positiv: „Ich glaube wir sind auf einem guten Weg.“

Zu Rabeya Müller

Eine der ersten Imaminnen in Deutschland. Sie ist Religionspädagogin, Islamwissenschaftlerin und Theologin. Mehrfach ausgezeichnet, u.a. Trägerin des Toleranzrings der Europäischen Akademie der Wissenschaften und Künste. Gemeinsam mit anderen AutorInnen hat sie 2008 den Europäischen Schulbuch-Award der Frankfurter Buchmesse gewonnen.

*Update vom 27. Juni 2018: Es stellte sich inzwischen heraus, im Dortmunder Helmholtz-Gymnasium lernen 98 Prozent der SchülerInnen mit Migrationshintergrund. 80 Prozent von ihnen sind Muslima bzw. Muslime.

13. Nacht der Religionen und Kulturen in der Dortmunder Pauluskirche einmal mehr grandios

Pastor Friedrich Laker begrüßt die Gäste. Fotos: Claus Stille

Einmal mehr gestaltete sich die nun bereits 13. Nacht der Religionen und Kulturen (findet jedes Jahr an Pfingsten statt) in der Pauluskirche in der Dortmunder Nordstadt für die BesucherInnen zu einem unvergesslichen Erlebnis. Pfarrer Friedrich Laker begann seine Begrüßung mit einem interessanten Versprecher, der für Heiterkeit sorgte: „Pfingsten ist ja das Geist des Festes“, merkte den Lapsus und korrigierte sodann: „das Fest des Geistes“. Laker: „Geist des Festes, passt eigentlich auch.“

Pfarrer Friedrich Laker: Der Geist verbindet die Menschen aus verschiedenen Kulturen“

„Die alte Geschichte in der Apostelgeschichte, erzähle, so Laker zum Sinn des Pfingstfestes, „das den entmutigten Jüngern, die sich versammelt hatten voller Angst und Mutlosigkeit, dass sie plötzlich und überraschend etwas erlebten womit sie wirklich nicht rechnen konnten, nämlich, dass der Geist über sie fuhr.“ Es erschienen ihnen Zungen wie von Feuer, die sich verteilten; auf jeden von ihnen ließ sich eine nieder. Sie wurden mit dem Heiligen Geist erfüllt und begannen, in fremden Sprachen zu reden, verstanden aber einander. „Der Geist verbindet die Menschen aus verschiedenen Kulturen. Er braucht eigentlich gar nicht eine bestimmte menschliche Sprache. Oder man könnte sagen, er spricht die verschiedensten Sprachen, aller Lebensarten, aller Lebensformen auf diesem Planeten. Der Geist Gottes verbindet alles im großen Kosmos. Leider wird er von Religionen oft eingezwängt und eingeengt, durch Dogmen, Ideologien – auch von den Kirchen. Eingequetscht in ein bestimmtes Interesse hinein – oft ein Machtinteresse, das dahinter steht.“ Dem versuche seine Kirche entgegenzuwirken, indem man sich von jeglichem Dogma befreie und sich öffne. Es interessiere vielmehr, was die Menschen selber spürten und erführen, wovon sie überzeugt seien auf ihrem Weg. Laker wies auf das große Kunstwerk von Leo Lebendig hinter ihm, der Säule der sechs Weltreligionen, „Flying Column“ (Die Himmelssäule der Weltreligionen) und kündigte zugleich für später ein neues, noch unter einem Tuch verstecktes, Kunstwerk Lebendigs an.

Bahai-Jugendtanzgruppe für „Einheit in Vielfalt“ und Liebe – Gegen Rassismus, Ausgrenzung und Gewalt

Die Jugendtanzgruppe der Bahai.

Eröffnet wurde das Programm von der einmal mehr beeindruckenden Jugendtanzgruppe „Steps To World Peace“ der Bahai. Deren Tänze erzählten höchst professionell und sehr ausdrucksstark ausgeführt Geschichten über Rassismus, Armut, Gewalt, Ausgrenzung sowie Liebe. Es ging darum, wie eine der Tänzerinnen erklärte, „Probleme unsrer heutigen Gesellschaft darzustellen und Lösungsansätze anzubieten.“ Die Bahai-Religion (Ursprung 1844 im Iran), übrigens die jüngste der Weltreligionen, erfahren wir, lege großen Wert auf die Kindererziehung und deshalb zugrunde, dass jedes Kind über Fähigkeiten und Talente verfüge, die mithilfe der Erziehung entfaltet werden könnten. Der Religion gehe es um „Einheit in Vielfalt“ In der Bahai-Religion heißt es dazu:

„Betrachte den Menschen als ein Bergwerk, reich an Edelsteinen von unschätzbaren Werte. Nur die Erziehung kann bewirken, dass es seine Schätze enthüllt und die Menschheit daraus Nutzen zu ziehen vermag.“

Pfarrer Laker stellt den jungen Bahai Fragen zu ihrer Religion.

Jede Religion käme vom selben Gott, informierte eine der Tänzerinnen über die auf den vorangegangenen Religionen aufbauende, die die Menschheit chronologisch aufeinander folgend moralisch erzögen, Religion der Bahai. Bahá’u’lláh, dem Religionsgründer, sagte eine der Tänzerinnen, hätte die Aufgabe verkündet, „die Menschen zu vereinigen“. Pastor Laker:

„Hochinteressant. Zumal wir ja in einer Zeit leben, wo wir immer mehr merken, dass wir diese Einheit weltweit brauchen, die den Frieden bringt.“

Das Zimmaorkestra mit Klezmer-Lidele-Jazz-Klängen mit berührendem Moment

Das Zimmaorkestra.

Der erste musikalische Höhepunkt des Abends in der Pauluskirche wurde vom „Zimmaorkestra“ mit feinen Klezmer-Lidele-Jazz-Klängen bestritten. Besonders berührte die Anwesenden bestimmt der Titel „Der Streifenwagen“. Worin es um die leider bei uns obligatorischen Streifenwägen geht, die zur Sicherheit vor jüdischen Einrichtungen stehen.

Begeisternd und das Publikum von den Kirchenbänken reißend: Die Living Worshippers

Nach „fliegendem“ Umbau kamen die „Living Worshippers“, eine chistlich-afrikanische Gospel-Band mit kamerunischen Wurzeln, ins Spiel, die das Publikum nicht nur zum Mitsingen des Refrains des ersten Titels animierte, sondern auch sonst von den Kirchenbänken zu reißen verstand. Die sympathische Band, November 2014 von Studenten aus Kamerun gegründet, will das Reich Gottes durch Lobpreis und Anbetung kommen lassen. (Video: C.-D.Stille)

Enthüllung des QuALL von und mit dem Künstler Leo Lebendig aus Asseln und Rosen für die Weltreligionen

Enthüllung des QuALL.

Die mit Spannung erwartete Aktion mit dem nicht nur in der Pauluskirche bekannten Künstler Leo Lebendig aus Asseln erregte Aufmerksamkeit und Staunen: Das unter der „Flying Column“ (Himmelssäule der Weltreligionen) – der diesmal das Wort FRIEDE hinzugefügt war – verdeckt gewesene Etwas wurde bald vom schwarzen Tuch befreit. Und da lag nun der mit Sauerstoff gefüllter Gummiball mit der weißen Aufschrift QuALL!

Leo Lebendig dazu: „Das ist natürlich ein Witz, weil das QuALL so klitzeklein ist, dass man es nicht sehen kann. Und das sei schwarz und ohne Licht nicht zu sehen.“  Deshalb habe man es für das Publikum eigens vergrößert und mit dem „Stoff des Lebens, dem Sauerstoff gefüllt“.  (Quall, ein philsophischer Ausdruck für Geist) Im Zusammenhang mit dem QuALL habe ihm das Motto der Asselner Lutherkirche vom Pfingstsonntag gefallen: „Es soll nicht durch Hehr oder Kraft, sondern durch meinen Geist bestehen, spricht der HERR Zebaoth“ (Sach 4,6; LUT).

Leo Lebendig habe mit dem QuALL versucht, „das Klitzekleine, das in uns jeden steckt und in jedem Lebewesen, dieses klitzekleine QuALL, sichtbar zu

Die Religionssymbole bekommen Rosen angeheftet.

machen, um in uns die Gewissheit zu verschaffen, dass wir die Bedingungen für das, was wir gerne alle erleben wollen. Was ich hier in einem Wort diese Jahr in die Friedenssäule gehängt habe – nämlich Frieden. Frieden und Liebe realisieren können.“ Nach der Aufdeckung es QuALL heftete Leo Lebendig an jedes in der Friedenssäule symbolisierte Zeichen der Weltreligionen eine Rose aus seinem Asselner Garten. Ein erhebender Augenblick.

Speisen und Getränke bei herrlichem Wetter im Kirchgarten

In der großen Pause – wie schon zuvor vor dem Einlass zur Veranstaltung konnten die Gäste draußen im Kirchgarten Getränke und leckere türkische Speisen (zubereitet von der Alevitischen Gemeinde e.V. Dortmund) erstehen und bei wundervoll angenehmem Wetter genießen.

Die Begeisterung für das ausgezeichnete Transorient Orchestra ging beinahe ins Frenetische über

Ein ganz besonderen Pfiff (den eine der Instrumentalistinnen in der Tat berückend beherrschte) musikalisch-brillanter Art zauberte das perfekt aufeinander abgestimmte, bestens aufgelegte „Transorient Orchestra“ (Träger des WDR-Jazzpreises 2017 in der Kategorie Musikkulturen) über und in

Das Transorient Orchestra vereint ausgezeichnete, virtous aufspielende Instrumentalisten.

die Köpfe des Publikums im zweiten Programmteil ins Schiff der Pauluskirche. Eine Ausschüttung des, mit Fug und Recht, musikalisch-hoch qualifiziert zu nennenden Geistes der besonderen Art an diesem Pfingstsonntag in der 13. Nacht der Religionen und Kulturen. Zu erleben waren MusikerInnen, welche ihre Instrumente (Gitarrre, Violine, Oud, Sopransaxophon, Flügelhorn, Bass, Darbuka, Schlagzeug) hochgradig perfekt beherrschen. Beifallsstürme auch zwischen den Stücken bei den Soli, nach den Titeln und am Schluss ins beinahe Frenetische übergehend. (Video: C.-D. Stille)

Grandioser Abschluss der 13. Nacht der Religionen und Kulturen mit Imran und Hanif Khan der Saxophonistin Catrin Groth. Abendsegen mit dem Pastorenehepaar Sandran und Friedrich Laker

Den musikalischen Abschluss des grandios zu nennenden, über fünfstündigen und dennoch kurzweiligen, Abends kann der Chronist hier nicht beschreiben, da er die Veranstaltung bereits hatte verlassen müssen (hierzu ein Video via Friedrich Laker/Facebook). Aber gewiss waren Imran Khan, einer der versiertesten jüngeren Sitarspieler der indischen Musik, Hanif Khan, der aus einer

großen indischen Musiker-Dynastie stammend sowie die Saxophonistin Catrin Groth zusammen ein nicht minder enthusiasmierender Act. Hernach war der Abendsegen mit dem Pastorenehepaar Sandra und Friedrich Laker geplant. Muslimische Musiker oder Gesprächspartner waren diesmal nicht mit von der Partie, weil derzeit Ramadan ist.

Noch mehr Fotos von der Veranstaltung

 

Dortmund: Mittelalterliches Fest zum Reformationstag – Zwölf Stunden nonstop Programm

Am 31.10.1517 schlug Martin Luther seine 95 Thesen an die Türe der Schlosskirche zu Wittenberg. Der Thesenanschlag in Wittenberg gilt als Beginn der Reformation. 500 Jahre später – im Luther-Jahr 2017 – wird auf vielfältige Weise daran erinnert. So auch in Dortmund.

Zwölfstündiger „Luther-Marathon“ in der und um die Pauluskirche

Am gestrigen Reformationstag stemmte die Pauluskirche auf der Schützenstraße zu diesem Behufe gar einen zwölfstündigen, sozusagen, Luther-Marathon. Schon vor 12 Uhr waren die Türen zum Kirchgarten aufgetan worden. Rund um die Kirche tummelte sich allerlei Volk zum anberaumten mittelalterlichem Fest in entsprechender Kleidung. Einzelne BesucherInnen aus der Jetztzeit wirkten fast mehr und mehr wie Fremdkörper.   Das Fest stand unter dem Motto:

„Lasset uns versammeln, frey, fröhlich und frohen Mutes!“

Auf dem Markt rund um die Kirche: Handwerker, ein Foltermönch, eine „Weyssagerin“, das Mäuseroulette und ein Schminkstand für Kinder

Mittelalterliches Marktreiben. Fotos: Stille

Die Festbesucher bestaunten wie hinter einem flackerndem Feuer im Kessel von einem Handwerker Leder verarbeitet wurde. Gleich daneben ein Stand mit anregenden Getränken und Mittelchen – hergestellt nach alten Rezepten. Etwas gruselig ging es bei einem Mönch zu, der Waffen und Folterwerkzeuge ausstellte und ohne seine Begeisterung dabei im Geringsten zu verbergen dessen Wirkungsweise erläuterte. Große Kinderaugen wurden gemacht, als ihnen ein mittelalterlich gewandeter Mann zeigte, wie man mit Feuersteinen Funken schlagen kann, um ein Feuer zu entfachen. „Da kannst du in der Schule mal ein kleinen Vortrag halten, wie das geht“, gab der Herr einem begeisterten Jungen mit auf dem Weg, dem das gerade gelungen war. Im Zelt um die Ecke thronte eine „Weyssagerin“ in ihrem von einem Fell belegten Sessel und wartete in ihrem Zelt, aus welchem oben Rauch aus einem Öfchen aufstieg, auf potentielle Kundschaft. Ein Schmied bearbeitete kunstvoll Metall und versetzte eine Besucherin in Erstauen: „Dass es so etwas noch gibt heutzutage!“ Wiederum daneben warteten Schmuckstücke keltischer Art darauf den Besitzer zu wechseln.

An Stand „Mäuseroulette“ verkündete ein Schild vorerst: „Mäusepause“

Gleich gegenüber schminkte eine junge Mittelalterfrau mit feschem grünen Hut Kinder nach deren speziellen Wünschen. „Eine Meerjungfrau? Oder doch etwas anderes?“, fragte sie eine noch schwankende Kleine.

Speis‘ und Trank im Kirchgarten

Die Taverne im Kirchgarten füllte sich Stunde um Stunde mehr mit durstigen BesucherInnen. Besonders angetan zeigten sich nicht wenige von ihnen vom süffigen – der Chronist kann es bestätigen – „Herr Käthe“-Bier, das vom Fass ausgeschenkt wurde, aber auch in Flaschen zum Mitnehmen erhältlich war. Das obergärige Vollbier wird von der Brauerei Thombansen in Lippstadt mit den Zutaten aus den Malzsorten Pilsener, Roggen, Dinkel und Weizen-Eigenrauchmalz

Kinderschminkstand.

hergestellt. Nach einer Rezeptur, welche dem Trunk – die Erklärung der Brauerei – eine für das Mittelalter typische dunkle Bierfarbe und einem Hauch von Raucharoma gibt. „Herr Käthe“, ein für ein Bier ungewöhnlicher Name, ist als kleine Verbeugung vor Luthers Frau Katharina „Käthe“ von Bora gedacht. Die soll ja den Überlieferungen nach im Hause Luther die Hosen angehabt und die Wirtschaft geschmissen haben, weshalb sie von ihrem Mann respektvoll „Herr Käthe“ genannt wurde.

Andere Gäste bevorzugten Kräuterlikör, Apfel- oder roten Glühwein.

Gleich vis-á-vis neben dem Seiteneingang zur Pauluskirche ward mit deftiger Suppe und leckeren Bratwürsten für eine gute Grundlage für den Besuch in der Taverne gesorgt.

Die Mittelalterwelt-Folk-Band bestach durch enorme Professionalität

Um 15 Uhr herum spielte das Ensemble „Triskilian“ zunächst im Freien auf, um dann hernach ein Konzert im Inneren der Kirche zu spielen, das für

Die Mittelalterwelt-Folkband „Triskilian“.

große Begeisterung sorgte. Die professionellen Instrumentalisten waren eigens aus den fernen Städten Aschaffenburg und Heidelberg ins Ruhrgebiet gereist. Und das Publikum war fasziniert von der enormen Professionalität ihres Spiels. Die drei: Dirk Kilian (Gesang, Sackpfeife, Nyckelharpa, Drehleier, Cister, Harfe, Nay), Jule „Sonnenklang“ Bauer ( Gesang, Schalmei, Flöte, Nyckelharpa, Tzouras, Rahmentrommel) und „Herzblutmusikerin“ Christine Hübner (Percussion, Gesang, Rahmentrommel, Darbuka, Riqq, Davul, Daf, Tamburello, Cister) stimmten sich während ihres virtuosen Musizierens fabelhaft und mittels winzig kleiner Gesten bis aufs Feinste aufeinander ab.

Die Zuhörer wurden von „Triskilian“ mit auf eine musikalische Reise in das klangreiche Mittelalter genommen. Die musikalische Zeitreise der Musiker durch verschiedenste Kulturwelten führt von Irland, Schweden, England, Deutschland über Italien und Frankreich bis nach Galizien, Kastilien, Portugal und den vorderen Orient. Auch die Ud oder auch Oud (eine Laute), die Jule Bauer liebevoll als „die Urgroßmutter unserer Gitarren“ bezeichnete, wurde gespielt. Über die Kreuzzüge und den Gewürzhandel, erfuhren die ZuschauerInnen, sei neben anderen auch dieses Instrument wie u.a. auch die Mathematik aus dem Orient in unsere Gefilde gelangt. Besonders unter die Haut ging den BesucherInen gewiss ein von „Triskilian“ dargebotenes Lied der Mystikerin Hildegard von Bingen (1098 – 1179).

Käthes nächtlicher Traum mit dem Blick 500 Jahre weiter in unsere Gegenwart im Theaterstück „Käthes Reformation heute“

Das Ehepaar Luther (links: SandraLaker als Käthe, rechts, rechts: Friedrich Laker als Luther.

Die Triskilians wirkten als Spielleute auch im sich etwas anderen Gottesdienst „Talk to Heaven“ mit. In dessen Rahmen diesmal das Schauspiel „Käthes Reformation heute“ gegeben wurde. In dessen Mittelpunkt Luthers Frau Katharina von Bora (Käthe) steht.

Der plötzlich im Kirchenschiff auftrumpfende Ablassmönch Johann Tetzel wird von Martinus Luther und den Kirchenbesuchern postwendend des Gotteshauses verwiesen. Zum Stück: Im nächtlichem Traum hat „Herr Käthe“ erfahren, wie es um die Welt und die Kirche 500 Jahre nach der Reformation steht: Immense Ausbeutung der Natur durch den Menschen, welche zu schlimmen Naturkatastrophen führt, Kriege, die Flüchtlinge zur Folge haben und unermessliches Tierleid, verursacht durch Massentierhaltung. Unterstützt wurde die Erzählung der Käthe durch Videoeinblendungen.

Käthe (Sandra Laker) spricht sich gegenüber ihrem zunächst skeptischen Doktor Martinus Luther (Friedrich Laker) im Stück dafür aus, Menschen aus allen Kreisen der Bevölkerung in die Reformation einzubeziehen, um diese so zu erweitern und mit allen Kräften zu verteidigen.

Thesenanschlag-Mitmachaktion vor dem Hauptportal der Pauluskirche

Thesenanschlag

Im weiteren Verlauf des Dortmunder Luther-Marathons hatten die Festbesucher nach Luther, Käthe und Melanchthon Gelegenheit vorbereitete Thesen an die Kirchentüre zu schlagen. Viele BesucherInnen nahmen sie wahr und hatten auch im weiteren Verlauf des Abends noch die Möglichkeit das zu tun.

Projektion auf dem Kirchturm: Glauben bewahren und verändern“

Aber schon wartete das nächste Highlight auf die Festbesucher: Von einem gegenüberliegendem Haus auf der Kirchenstraße projizierte ein Beamer gegen 18 Uhr 30 in großen Lettern (die sicher auch von weiter weg zu sehen waren) den Reformationsspruch „Glauben bewahren und verändern“. Auch andere Dortmunder

Einige Thesen.

Kirchengemeinden beteiligten sich an dieser Aktion.

Bis zum Tagesende …

Des Weiteren war noch eine Feuerschau, ein weiterer Auftritt der Mittelalter-Folk-Band „Triskilian“,

Auf den Kirchturm projizierter Spruch.

die Wiederholung des Theaterstücks „Käthes Reformation heute“ und ein zweiter Thesenanschlag vor dem Hauptportal der Pauluskirche geplant.

„Rechtspopulismus und Angst vor dem Islam“ – Veranstaltung in Dortmund mit dem Soziologen Prof. Dr. Wilhelm Heitmeyer

Foto: C. Stille

Foto: C. Stille

Gewiss ist es nicht falsch, eine verstärkte Ablehnung des Islam in der Bevölkerung mit den Anschlägen von 9/11 in Zusammenhang zu bringen. Zuvor dürfte dieser Religion aber auch nicht gerade mit großem Wohlwollen begegnet worden sein. Der Islam wurde hierzulande eher mit Desinteresse bedacht. Selbst Türkinnen und Türken sind kaum bewusst als Muslime wahrgenommen worden. Das änderte sich nach den Anschlägen von New York schlagartig, welche von muslimischen Attentätern verübt worden sind. Der Islam wurde danach meist mit Terrorismus assoziiert. Und Islamismus mit dem Islam gleichgesetzt. Muslime weltweit – auch in Deutschland – standen quasi unter Generalverdacht. Auch wenn das von offizieller Seite so nie so vertreten worden war: es fehlte an differenzierenden Darstellungen, den Islam und die Muslime betreffend. Weshalb der Eindruck, Islam gleich Islamismus und Terror – vor allem aufgrund der unsäglichen Politik der USA unter Präsident George W. Bush und seinem „Krieg gegen den Terror“ (der doch nur immer neuen Terror und neue Terroristen gebar) – der frühere Feind Kommunismus ward durch denen neuen, den Islam abgelöst – zusätzlich noch durch bestimmte Medien auf fahrlässige Weise verstärkt und so im Unterbewusstsein der Menschen befördert worden ist. Entstanden ist auf diese Weise über einen längeren Zeitraum ein vergiftetes gesellschaftliches Klima. Rechtspopulisten und Ausländerfeinde nutzen es für ihre Zwecke.

„Die Ablehnung des Islam ist in der Bevölkerung weit verbreitet.Dazu kommt, dass jetzt viele Flüchtlinge vor allem aus muslimischen Ländern im Nahen Osten und aus Afrika nach Deutschland gekommen sind. Die Migrationsbewegung stellt die deutsche Gesellschaft vor große Herausforderungen. In dieser Situation greifen rechtspopulistische Gruppierungen antimuslimische und ausländerfeindliche Klischees auf und instrumentalisieren sie. Die Veranstaltung geht der Frage nach, was getan werden kann und muss, um Rechtspopulismus und Islamfeindlichkeit zu begegnen – mit offenem Blick für aktuelle Problemstellungen im Miteinander der Religionen und Kulturen“, schreibt das Christlich-Islamische Forum NRW in seiner Einladung zu einer interessanten Veranstaltung am Mittwochabend in Dortmund.

Der bekannte Soziologe Prof. Dr. Wilhelm Heitmeyer wird zum Thema „Rechtspopulismus und Islamfeindlichkeit in einer entsicherten Zeit“ referieren. Anschließend stehen er und Vertreter der Landtagsfraktionen bzw. Parteien zum Gespräch bereit.

Mit dabei sind Andrea Asch (MdL, Die Grünen), Marc Herter (MdL, SPD), Christian Leye (Die Linke, Landessprecher) und Ahmad Aweimer (Dialog- und Kirchenbeauftragter des Zentralrats der Muslime in Deutschland). Angefragt sind Henning Rehbaum (MdL, CDU) und Dr. Joachim Stamp (MdL, FDP).

Zugegen sein werden ebenfalls Pfarrer Ralf Lange-Sonntag (Referent der Evangelischen Kirche von Westfalen für Fragen des christlich-islamischen Dialogs) und Pfarrer Friedrich Stiller (Referatsleiter im Evangelischen Kirchenkreis Dortmund).

Angesichts der heutigen Welt und des Rechtsrucks bekommt die Auschwitz-Überlebende Esther Bejarano Angst. Sie hat den Aufstieg der Nazis erlebt und erkennt gewisse Parallelen zum Erstarken rechter Kräfte heute. Foto: C. Stille

Angesichts der heutigen Welt und des Rechtsrucks bekommt die Auschwitz-Überlebende Esther Bejarano Angst. Sie hat den Aufstieg der Nazis erlebt und erkennt gewisse Parallelen zum Erstarken rechter Kräfte heute. Foto: C. Stille

Friedrich Stiller: „Die anhaltende Ablehnung des Islam in der Mehrheit der Bevölkerung ist seit langem ein gesellschaftliches Problem. Wenn das jetzt von Populisten in Stimmen umgesetzt wird, bekommen wir ein noch größeres Problem.“

„Wir müssen engagiert auf die Probleme aufmerksam machen und für den Dialog werben nüchtern und in aller Offenheit“, fügte der evangelische Pfarrer hinzu.

Der Vortrags- und Gesprächsabend „Rechtspopulismus und Angst vor dem Islam“ mit Vertretern der NRW-Fraktionen und Parteien findet am Mittwoch, den 8. Februar, ab 18.30 Uhr in der Abu-Bakr-Moschee, Carl-Holtschneider-Str. 8.a in Dortmund. Der Eintritt ist frei.

Update vom 17. Februar 2017

Hier finden Sie einen Bericht über die Veranstaltung meines Nordstadtblogger-Kollegen Clemens Schröer.

 

Eugen Drewermann am Antikriegstag in Dortmund: „Mit wirklichen Individuen ist kein Krieg zu machen“

Eugen Drewermann während seines engagierten und frei gehaltenen Vortrags in Dortmund. Foto: Stille

Eugen Drewermann während seines engagierten und frei gehaltenen Vortrags in Dortmund. Foto: Stille

Eugen Drewermann hielt am vergangenen Donnerstag in der Dortmunder Pauluskirche anlässlich des Antikriegstags 2016 einen Vortrag. Ein gern gesehener Gast dort.

Der bekannte Kirchenkritiker, Theologe, Therapeut, Psychologe und Autor zahlreicher Bücher und Schriften ist seit Jahrzehnten auch ein anerkannter und gern gehörter Redner auf Friedensdemonstrationen. Geschätzt wird er für seine brillante Klarheit und Tiefsinnigkeit in den frei gesprochenen Vorträgen.
Sein Thema diesmal: „Friede ist eine Form der Freiheit – Oder von den Gründen des Krieges und ihrer Überwindung!“

Unser schlimmster Gegner: der Krieg

Keinen tieferen Gegner hätten wir, begann Eugen Drewermann, als das, was man als Krieg bezeichnet. „Solang er wütet ist die Botschaft von der Erlösung der Welt mit jeder Zeitung, die täglich erscheint widerlegt.“

Der Einzelne könne wohl nach Max Weber den Weisungen der Bergpredigt zu handeln. Wer jedoch Verantwortung trage, so zitiert Drewermann Weber weiter, „kann unmöglich den Weisungen Jesu im 5. bis 7. Kapitel des Matthäus-Evangeliums folgen“. Wer nicht verstehe, wie Max Weber einst sagte, „dass oft aus guten Taten böse Folgen sich zeitigen und oft aus bösem Tun gute Wirkungen, ist politisch ein Kind.“

Gott lässt keinen Krieg zu

Wann, fragte Drewermann, finden wir zurück zu der Einheit des Vertrauens, dass Gutes nur entstehen kann aus einer rechten Gesinnung? Wir müssten Lügen, um die Wahrheit herauszufiltern.

Wir müssten grausam handeln, um die Menschlichkeit zu befördern. Wir müssten morden, um das Leben zu retten.

Oft höre Drewermann Menschen fragen, warum Gott Krieg zulasse. Warum also an ihn glauben? Die Wahrheit aber sei: Gott lasse keine Krieg zu. Er rede in unserem eigenen Herzen. In einer Deutlichkeit, dass wir viel an Verdrängung, an Propaganda, an Umerziehung brauchten, das alles zu überhören. Die Rede kam auf die Zerrissenheit des Menschen.

Die Geschichte von Kain und Abel unser aller Geschichte

Noch keine drei Seiten sei die Bibel alt, als sie davon berichte was aus uns wird, wenn wir den Hintergrund des Vertrauens der Einheit mit der Macht, die möchte, dass wir sind, den Garten Eden verlieren. Und unter einem Gefühl lebten, wie auf der Flucht sein zu müssen.

Und so kam Eugen Drewermann auf die Geschichte von Kain und Abel zu reden.

Im gewissen Sinne sei die unser aller Geschichte.

Menschen nämlich, die sich verstoßen und nicht geliebt fühlten, versuchten aufs Äußerste liebenswert zu sein, in dem sie die Erwartungen anderer erfüllten und übererfüllten.

Wir, in wechselseitiger Konkurrenz stehend, müssten oft versuchen besser dazustehen als der andere.

Immer sei vor uns jemand, der heller ins Licht getreten ist als wir selber. Der werfe auf uns einen langen Schatten. Diesen müssten wir beseitigen, um selber wieder zugelassen zu werden.

Wir müssen andere Menschen oder Völker entmenschlichen, um sie töten zu können

Was sei denn an Napoleon groß, außer der Ziffer der Ermordeten? Jeder Krieg basiere darauf, andere sozusagen zu entmenschlichen, indem man sie als Unmenschen, Barbaren, Ratten und Ungeziefer erscheinen lässt oder als Terroristen bezeichnet.

Aggressivität wird gegen die Entmenschlichten geschürt. Wie umerziehbar der Mensch doch ist, gab Eugen Drewermann in Erinnerung an Erich Maria Remarques „Im Westen nichts Neues“ seinen Hörerinnen und Hörern zu bedenken. Wie erschreckend einfach Durchschnittsbürger wie etwa sie, die vor ihm im Kirchenschiff sitzenden, doch zu schrecklichen Untaten zu bringen seien! Wie es möglich wurde, wie im Roman beschrieben, dass Männer schon nach nur fünf Wochen Drill auf dem Kasernenhof bereit waren, die von ihren Herrschern zu Gegnern bestimmten Menschen brutal zu töten. Und sie als Soldaten auch noch empfanden Großes fürs Vaterland zu tun! Wie sie einem Vorgesetzten gehorchten, der bis vor kurz noch einfacher Postbote gewesen war.

Man musste ihnen nur weismachen: Unsere Gruppe ist besser als die Gegengruppe. In jedem Krieg verführe man nach dem Muster: Unmenschen müssen getötet werden. Das Gebot „Du-sollst-nicht-töten“ werde so erschreckend leicht vergessen gemacht.

Aus Krieg wurde „Humanitäre Intervention“

Schlimmer noch: Führte man früher auch noch dem Namen nach Kriege, geschieht gleiches heute unter der euphemistischen Bezeichnung „Humanitäre Intervention“. Vernebelnder Begriff. Zynisch.Wir gehen, so führte Eugen Drewermann aus, nun inzwischen wie die Ärzte chirurgisch an den Krebs heran und schneiden ihn heraus. Und retten damit vorgeblich Leben. Das klingt gut.

Unterwerfung und Gehorsam machen es möglich

Doch wahr ist ebenfalls: Ohne Unterwerfung des Individuums unter das Kollektiv ist Krieg – wie immer man ihn auch nennen möge – nicht ins Werk zu setzen. Drewermann sprach das bekannte Milgram-Experiment an. Da wurden Menschen dazu gebracht, anderen Menschen Stromschläge zu versetzen. Als Strafe für Fehler. Sie taten es. Erhöhten auf Anweisung – manchmal kurz zögernd zwar, aber dann doch – gar die Voltzahl!

Und ein weiteres Beispiel führte Eugen Drewermann an: Den US-Bomberpiloten einst bei Günter Jauch in dessen RTL-Talkshow zu Gast, welcher eine Atombombe auf Nagasaki abgeworfen hat. Wie konnte der Mann in den letzten Jahrzehnten bloß leben? Der Bomberpilot hatte Jauch kalt geantwortet: Jeder Soldat der Welt hätte doch dasselbe getan. Befehl ist Befehl. So ähnlich auch die Antworten von Nazi-Kriegsverbrechern einst bei den Nürnberger Prozessen auf die Fragen der Ankläger. Eugen Drewermann: Genau so ist es: Der Gehorsam ist es!

Man kann im Verkehrten nichts richtig machen“

Wie also Kinder so erziehen, dass das Denken mit dem Gefühlen übereinstimmt und die Gefühle mit dem Denken? Nur so könne die Schizophrenie beendet werden. Unbedingten Gehorsam gibt es nicht! Gott solle gefolgt werden. Hitler war kein Gott. Dennoch folgten ihm unsere Kirchen staatstragend bereits ab 1935, sagte Drewermann. Es ist die alte Crux: Immer werden wir dazu genötigt Dinge zu tun von denen wir sicher sind, dass sie falsch sind. Drewermann eindringlich: „Man kann im Verkehrten nichts richtig machen .“

Wir haben Herz und Geist

Und auch wahr: Mit wirklichen Individuen ist kein Krieg zu machen.

Wir Menschen sind keine Insekten. Wir haben Herz und wir haben Geist. Beides macht uns zur Person. Wagen wir das zu sein, sind wir als Soldaten untauglich.

An Jesu sei zu lernen: In seiner Not ist ein Einzelner in seinem Glück unendlich viel mehr wert als die ganze Masse. Eugen Drewermann: „Das zersetzt die Vorbereitungen zum Krieg.“

Nach Albert Camus: „Stalin kann nicht vergessen machen, dass es Dostojewski und Tolstoi gab.“

Die da drüben, bekämen wir beigebogen, sollen Unmenschen sein. „Nur weil Putin regiert in Moskau?“, fragte Eugen Drewermann.

Und hielt mit Albert Camus dagegen: „Stalin kann nicht vergessen machen, dass es Dostojewski und Tolstoi gab.“

Diplomatie sei die Devise. Ignorierten wir die Bedürfnisse anderer, könne es kein Ausgleich geben

Wenn jeder aber glaube er hat recht, dann macht das den Krieg möglich.

Nur wer besser mordet solle im Recht sein? Drewermann redete den Menschen ins Gewissen: Wenn die Geschichtsbücher das schreiben, lügen sie Wahrscheinlich hat der bessere Mörder doppelt unrecht. Wie bereits 1520 (!) Erasmus von Rotterdam gewusst habe.

Frauenrechte? Wirtschaftsinteressen stehen hinter den Kriegen: „Wenn Sie etwas anderes lesen, so ist es eine Lüge.

Als Motiv für Kriege werde oft eine Verantwortung benannt, die man habe. Beispielsweise die Frauenrechte in Afghanistan durchzusetzen. Eugen Drewermann dazu: Er frage sich, wie lange die Leute im Pentagon damals an dieser Lüge überlegt haben, die Taliban hätten den afghanischen Frauen erst die Burka angezogen. Er selber sei in denn 1970er in Afghanistan gewesen und sei Frauen in der Burka begegnet. Aber die Leute glaubten es. Gerade Feministinen hätten dieser Lüge Glauben geschenkt und dafür sogar militärische Einsätze befürwortet!

Klar, gab Drewermann zu: „Länder müssen sich auch in der Frage des Zusammenlebens von Mann und Frau und deren Rechte weiterentwickeln. Aber das müssen sie selber tun.“

Nicht hinzunehmen sei, wie sich die US-Soldaten nicht nur in Afghanistan daneben benommen haben, um ihnen vorgeblich menschliche Werte zu bringen! Gar Demokratie! Wirtschaftsinteressen stünden stets dahinter. „Wenn Sie etwas anderes lesen, so ist es eine Lüge. Es gehe um Öl. Pipelines oder wichtige Rohstoffe, wie etwa dem Koltan, das in unseren Smartphones steckt und hauptsächlich im Kongo vorkommt. Das Todesurteil für die Taliban sei deren Ablehnung einer durchs Land geplanten Pipeline gewesen. Von wegen Frauenrechte und westliche Werte!

Eugen Drewermann: Güte wäre unendlich mehr als Gerechtigkeit

Ein weiterer Punkt im Vortrag: Schuld bei Gott werde nachgelassen statt bestraft. Übertragen auf Umgang mit Geld sollten wir in diesem Sinne nicht

Die Dortmunder Pauluskirche am Abend. Foto: Stille Schützenstraße aus gesehen.

Die Dortmunder Pauluskirche am Abend. Foto: Stille Schützenstraße aus gesehen.

nur an das gequälte und gedemütigte Griechenland denken. Schulden gelte zu reduzieren zum Bezahlbaren hin.

Kriege vermeiden, helfe nicht zuletzt Güte obwalten zu lassen. Eugen Drewermann regte an: „Ließen wir die Vorstellungen vom gerechten Gott, von der Gerechtigkeit unseres eigenen Staatswesens hinwegfallen, gäbe es auch keine mehr zu rechtfertigenden Kriege mehr und wir träten hinein in eine Welt der Güte. Güte wäre unendlich mehr als Gerechtigkeit. Eine Erlösung gar.

Die Angst überwinden

Auf die Bergpredigt anspielend, sagte Drewermann, er höre oft von Menschen, denen man – wie auch immer – sozusagen auf die rechte Wange geschlagen habe, dass sie nicht einmal daran denken könnten, nun auch noch linke hinzuhalten.

Doch er gibt denen stets zu denken und den ihm Zuhörenden auf den Weg: „Wenn wir es nicht lernen Angst zu überwinden, werden wir immer wieder hineinfallen in Absicherungsmechanismen bis hinein in die Militarisierung der Gesellschaft. Zeitungen hetzen uns in Angst. Auf den Bahnhöfen sollten uns Kameras Sicherheit suggerieren. „Achten Sie auf ihr Gepäck“, ertöne es aller naselang in manchmal drei verschiedenen Sprachen. Alles der Sicherheit wegen. Die permanente Überwachung nehme zu. Der Sicherheit wegen.

Es gelte nach den Bedürfnissen des anderen zu fragen. Nicht ihn und andere Gruppen zu stigmatisieren und auszugrenzen.

Unsere innere Identität in Vertrauen, wäre die Antwort auf die Gefahr des Todes.

Eugen Drewermann hat die Sehnsucht nach Frieden nahegebracht

Vielen der Besucherinnen und Besuchern des wiederum interessanten Vortrags Eugen Drewermanns dürfte dessen Inhalt – kristallklar vermittelt – tatsächlich die Sehnsucht nach Frieden nahegebracht haben. Wie der Gast aus Paderborn die Hoffnung geäußert hatte, dass dies geschehen sein möge. Drewermann versprach ohne zu zaudern wiederzukommen zu wollen in die Pauluskirche, wo er schon mehrfach sprach. Da brauchte Gastgeber Pfarrer Friedrich Laker nicht lange bitten. Das Publikum stimmte mit kräftigem Applaus weiteren Einladungen zu. Kritisch anzumerken wären ein paar für die Ohren des Publikums schmerzhafte Rückkopplungen, welche im Verlaufe des Abends aufgetreten waren.

Die Kollegen von Regenbogentv.de haben Drewermanns Vortrag aufgezeichnet:

Die musikalisch Gestaltung der Veranstaltung oblag der Gruppe CANTICO.

Ahmad Mansour in Dortmund zum Thema „Antisemitismus unter Muslimen: Woher kommt der Hass?“

Referierte in Dortmund: Ahmad Mansour; Fotos: Claus Stille

Referierte in Dortmund: Ahmad Mansour; Fotos: Claus Stille

Rappelvoll war der Goße Saal der Auslandsgesellschaft NRW in Dortmund am vergangenen Donnerstag. Personenschützer standen parat. Leider konnten in Ermangelung zusätzlicher Plätze nicht alle Hörerinnen und Hörer eingelassen werden. Zu Gast war Ahmad Mansour aus Berlin. Er sprach zum Thema „Antisemitismus unter Muslimen: Woher kommt der Hass?“
Der arabische Israeli Ahmad Mansour ist u.a. Mitglied der deutschen Islamkonferenz gewesen. Der Diplompsychologe und Autor berät in Berlin zivilgesellschaftliche Initiativen im Umgang mit der Radikalisierung und dem Antisemitismus bei Muslimen.
Seit 2004 lebt er in Deutschland.

Antisemitismus „kein speziell muslimisches Problem“

Bevor Mansour zu seiner Lebensgeschichte kam, stellte er klar – wohl um eventuellen Missverständnissen vorzubeugen: Antisemitismus ist ein „herkunftsübergreifendes Phänomen“ und „kein speziell muslimisches Problem“.

Hintergründe und Leben

20160225_200409Ahmad Mansours Vater noch war 1946 in Palästina, Tira, geboren worden. Im Unabhängigkeitskrieg des jungen Staates Israel gegen arabische Länder. Mansours Oma war mit seinem späteren Vater ständig auf der Flucht. Tira wurde damals täglich bombardiert. Das entstandene Trauma habe er „uns unartikuliert und unausgesprochen weitergegeben“. Ahmad Mansour Grußmutter erzählte ihm alles kurz vor ihrem Tod. Mansour wurde in einer „typisch arabisch-israelischen Familie“ groß.

Heute sind ein Million Araber Teil Israels. Mansour: Größtenteils lebten Juden und Araber friedlich miteinander. In deutschen und europäischen Medien würde jedoch meistens nur über Konflikte berichtet. Das junge Ahmad hatte damit eigentlich nichts zu tun. Zwar habe er gelernt, dass Juden ihre Feinde seien. Der Großvater hatte ihm vom Landraub seitens der jüdischen Israels und von persönlichen wirtschaftlichen Verlusten dadurch erzählt.

Vom gemobbten Streber zum religiösen Mahner und Antisemiten

Eine persönliche Krise erlebte Mansour mit dreizehn Jahren. Er galt in der Schule als Streber und wurde gemobbt. Schließlich traf er einen Imam. Und war begeistert von ihm ausgewählt worden zu sein. Auf der Koranschule lernte Mansour Hocharabisch, erhielt Islamkunde und hörte etwas über Geschichte. Er erwarb Freunde, die in nicht mobbten. Er bekam Aufgaben, Missionen und erhielt Orientierung. Die Schulkameraden, die ihn früher anfeindeten hätten auf einmal aufgehorcht und gar Angst vor ihm gehabt, weil er nun der religiöse Mahner war. Plötzlich konnte er muslimische Schwestern wegen zu enger Jeans, zu offen getragener Haare kritisieren. Oder die Brüder wegen des Rauchens ermahnen – weil all das haram ist. Der Antisemitismus, erinnert sich Ahamad Mansour sei geblieben. Aus dem Islamunterricht wurde eine Ideologie des Hasses. Genutzt habe man die Religion, um eine Ideologie zu machen. Die Juden sollten nicht dafür gehasst werden, weil sie das Land der Palästinenser geraubt hatten, sondern „weil sie von Gott verflucht sind“. Die Verse des Koran seien nicht kritisch und im „ihrem lokal-historischen Kontext“ betrachtet, sondern verallgemeinert worden. Auf diese Weise lernte Ahmad Mansour: Juden sind unsere Feinde. Sie wollen den Islam bekämpfen und die Welt beherrschen. Sogleich merkte Mansour aber an: Niemand solle nun denken, dass diese Denkweise keinesfalls von allen Araber oder allen Muslimen gepflegt werde.

Fünf Jahre seines Lebens verbrachte Mansour so. Dann ging er zum Psychologiestudium nach in das westlich geprägte Tel Aviv.

Warum Ahmad Mansour Psychologie studieren wollte

Jede dritte Israeli habe bereits einen Krieg erlebt. Sein Vater gar dreißig in seinem Leben. Ahmad Mansour sagte, er habe damals Glück gehabt: bis er vierzehn Jahre alt war, blieb er von Kriegen verschont. Erst als Saddam Hussein Kuweit eroberte, änderte sich das. Der Westen hatte dem irakischen Diktator ein Ultimatum für den Fall, wenn er nicht Kuweit verlasse, gesetzt. Hussein seinerseits drohte mit einem Angriff auf Israel. In Mansours Dorf verteilten israelischen Soldaten Gasmasken. Das Schlafzimmer musste gegen eventuelle Chemiewaffenangriffe abgedichtet werden. Mansours Schule schloss. Im Januar 1991 um zwei Uhr nachts habe man Explosionen gehört. Sirenen gingen. Die Gasmasken wurden aufgesetzt. Die Familie versammelte sich im abgedichteten Zimmer. „Dann kam Stille“, so Ahmad Mansour. Minuten später hörte man die Nachbarn schreien. „Ich dachte, das ist der Tod.“ Aber nein: Es seien die Nachbarn gewesen. Die feierten auf den Dächern ihrer Häuser. „Weil sie endlich erleben durften, dass ein arabischer Führer in der Lage war, Israel anzugreifen.“ Den Hass der Palästinenser habe er aus ihrer Geschichte heraus verstehen können. Aber die Nachbar seien die selben Personen gewesen, die sich in den Supermärkten um die letzte Thunfischdose gestritten hatten. Auch sie hatten Gasmasken. Und auf einmal interessierten sie nicht die vermeintlichen Chemiewaffen, sondern feierten den Angriff?! Obwohl Mansour damals sehr antisemitisch gewesen sei, habe er in dem Moment nicht verstanden, „wieso Menschen in der Lage sind, Angst zu neutralisieren, kleinzuschreiben“, des Hasses wegen. Der Grund dafür sich für ein Psychologiestudium zu entscheiden.

In nicht einmal zwei Tagen fand Mansour an der Uni jüdische Freunde fürs Leben

1996 trat er sein Studium an der Universität Tel Aviv an. In der, wie damals meinte, „vom Teufel besessenen Stadt“ mit freizügig gekleideten Frauen und Alkohol trinkenden Menschen – suchte aber fand er keinen einzigen arabischen Studenten, der mit ihm Psychologie studieren wollte. Mansour: „Ich war alleine unter Juden. Unter Feinden!“. Schnell habe er allerdings gemerkt, es waren keine Feinde. Sondern Menschen wie alle anderen. Sein Weltbild begann zu wanken. Ahmad Mansour fand jüdische Freunde fürs Leben. Nicht einmal zwei Tage habe das gedauert. Mit einigen dieser Freunde steht der mittlerweile in Deutschland lebende Mansour noch heute in Kontakt. Er bekannte Glück gehabt zu haben in den Jahren der Hoffnung studieren gekonnt zu haben. Das Oslo-Abkommen, Friedensabkommen mit Jordanien, Arafat kehrte aus dem Exil zurück – ein Frieden zwischen Israel und den Palästinensern schien möglich. Heute ist die Realität eine andere. Aber Mansour schränkte ein: Auch bei heutigen Besuchen in Israel erlebe er, dass Juden und Araber in seinem Geburtsland durchaus friedlich und in Koexistenz leben können. Vor drei Jahren sei er das erste Mal mit seiner Frau in Israel gewesen. Diese sei überrascht gewesen, weil sie dort auf ein ganz anderes Israel-Bild traf, als dies, was die Medien hierzulande im Allgemeinen so vermittelten. Was nicht bedeute, dass dort alles super laufe, dass da nicht Menschen auch Unrecht getan werde.

Der Weggang nach Berlin nach einem schlimmen Erweckungserlebnis

Im Jahr 2014, erzählte Ahmad Mansour, habe er erstmals erlebt wie groß der Hass sein kann. Mit dem Lesen von Weltliteratur wuchsen die Zweifel an dem, was sein Imam ihm früher vermittelt hatte. In den Jahren da Israels Premier Yitzhak Rabin ermordet wurde und die zweite Intifada stattfand und die Hoffnung auf Frieden schwand, arbeitete Mansour in Israel. Ein Bus, der Linie, die er täglich benutzte wurde in die Luft gesprengt und ebenfalls ein Café, das er oft besuchte traf ein Anschlag. Dann ein schlimmes persönliches Erlebnis auf einer Autobahn: Ende 2003 fuhr er auf einer Autobahn in Tel Aviv. Wie immer war Stau. Mansour wartete an der Ampel auf Grün. Plötzlich stiegen Menschen aus ihren Autos und liefen in die entgegengesetzte Richtung davon. Aus den Augenwinkeln sah er, dass „ein Palästinenser, eine Zigarette rauchend, mit einer Kalaschnikow“ auf Menschen schießt. Er wird von einem Soldaten erschossen. Ein Erweckungserlebnis für Ahmad Mansour: „Das ist nicht mein Krieg, nicht das Leben“, das ich führen wollte, sagte er sich da. Er kündigte die Arbeit. Ein paar Wochen später war er in Berlin.

Dort lernte er großartige Menschen, Araber und andere, die ihm bei den ersten Schritten in der Stadt halfen. Mansour berichtet „von sehr gut gebildeten Menschen“, die er in der deutschen Hauptstadt traf.

Vom Hass eingeholt

Leider aber sei auch auf Menschen mit arabischem und türkischem Migrationshintergrund getroffen, die genau diesen Hass lebten, dem er hatte fliehen wollen. „Frauenunterdrückung, Antisemitismus der übelsten Art, gar Verehrung von Hitler“ habe er angetroffen. Und „Schwarzweißbilder“ betreffs des Nahostkonflikt wurden gemacht. Zwei Semester habe es an der Humboldt – Universität gedauert, bis jemand mit Ahmad Mansour gesprochen hat.

Pädagogen sind mit dem Antisemitismus überfordert. Konzepte fehlten

Im Jahr 2007 gründete Mansour das HEROES-Projekt gegen Unterdrückung im Namen der Ehre. Themen am Anfang waren Gleichberechtigung, Frauenrechte, Jungfräulichkeit und Sexualität. Jugendliche zu erreichen, die aus patriarchale Verhältnissen kommen, das stand im Vordergrund. Sie auszubilden und zu befähigen, Altersgenossen als Vorbild zu dienen, war ein Ziel. Die Lehrerinnen und Lehrer in den Schulen, fand man heraus, waren hinsichtlich des Antisemitismus unter Jugendlichen überfordert: „Pädagogische Konzepte gab es nicht.“ HEROES probierte aus, welche zu erarbeiten. Zusammen mit den Jugendlichen sah man Filme, die sich mit der Schwarzweißsicht auf den Nahostkonflikt befassten. Wissen wurde vermittelt. Über die Juden und Israel. Um Vorurteile abzubauen. Der Musiker Hellmut Stern, ein Holocaust-Überlebender, wurde eingeladen. Über vier Stunden habe der „mit den Jungs, die sonst nur fünfundvierzig Minuten aushalten, am Stück diskutiert. Nie zuvor hatten sie einen Juden persönlich gesprochen, den sie nun in der Person von Stern als „menschlich“ erlebten. Da, so Mansour, habe er verstanden, „dass wir vor allem in den Schulen einen Riesenfehler machen“. Man habe es schließlich mit Jugendlichen zu tun, die in der dritten Generation in Deutschland leben. „Sie haben unsere Schulen besucht. Und trotzdem waren wir nicht in der Lage ihnen etwas zu vermitteln“, gab Mansour zu bedenken, „was das Thema Antisemitismus angeht“. Der Antisemitismus der Jugendlichen speise sich „aus dem Nahostkonflikt“ und beziehe Nahrung „aus Verschwörungstheorien“. Man gehe zurück bis in die Französische Revolution und behaupte Freimaurer und die ihrer Meinung nach weiter bestehende Illuminatiorden hätten „nun, nachdem sie die das Christentum entmachtet haben, auch den Islam“ entmachten. Sie hätten den Staat Israel gegründet. Von dem gehe alles Übel in der Welt aus.

Das sind deutsche Zustände“

Dass diese Einstellungen unter muslimischen Jugendlichen in Deutschland entstehen können, erklärte Mansour damit, dass der Koran nicht „im lokal-historischen Kontext“ gelesen und verstanden werde. Was unbedingt auch in der Verantwortung von Imamen liege, die dies – Ausnahmen bestätigten die Regel – nicht vermittelten. Als Mansour den Antisemitismus unter Muslimen vor einiger Zeit in der Deutschen Islamkonferenz angesprochen habe, habe man ihm gesagt: „Das gibt es bei uns nicht.“ Zwei Stunden später sei der Berliner Rabbiner Daniel Alter von drei mutmaßlich arabischstämmigen Jugendlichen in Berlin-Friedenau zusammengeschlagen worden, „weil er Jude war und Kippa trug“. Eine Lehrerin in Hamburg sei kürzlich nach einem Vortrag in Hamburg zu ihm gekommen und erzählt, dass sie muslimische Jugendliche ablehnten, seit sie einmal vergessen habe ihr umgehängten Davidsstern zu verbergen. Ahmad Mansour: „Das sind deutsche Zustände.“ Er verlangte für das Thema Antisemitismus eine breite gesellschaftliche Debatte und diesbezüglich größere Anstrengungen seitens der Kultusministerien.

Der Referent nannte aber auch ein positives Beispiel: In Duisburg hat Mansour vor mehreren Jahren mit Jugendlichen gearbeitet. Zunächst hassten sie ihn, weil er Israel aus seinen Erlebnissen anders schilderte, das der von Vorurteilen geprägten Sicht zuwider lief. Dann jedoch fuhr man zusammen nach Auschwitz. Diese Jugendliche arbeiten inzwischen selber an Schulen und leisten Aufklärungsarbeit. Ihre Schulleiterin hatte sich damals gegen die Auschwitz-Fahrt ausgesprochen. Wohl aus Angst, sie könnten dort irgendetwas tun, was problematisch wäre. Diese Jugendlichen seien nie als Teil Deutschlands wahrgenommen worden. Ein großer Fehler. Vielmehr müsse man viel Geld in die Hand nehmen, pädagogische Konzepte entwickeln und Lehrer schon während der Ausbildung dazu befähigen mit schwierigen, auch aktuell-politischen, Themen umzugehen. Im Grunde können es gelingen, die Jugendlichen über deren Lehrer zu begeistern und zu eignen Gedanken zu befähigen. „Erreichen wir diese Jugendliche nicht in der Schule, erreichen wir sie nie“, weiß Ahmad Mansour:

„Tun wir das nicht, tun das andere.“ Wie wir wissen, sind Salafisten und Islamisten oft die besseren Sozialarbeiter.

Wie Islamisten Jugendliche beeinflussen: „Da geht die Post ab!“

Im Anschluss zeigte Ahmad Mansour Videos, die Zeugnis davon ablegten, wie Jugendliche heute mit schwierigen Konflikten umgehen. Unter anderem Rapper, deren Texte alle üblichen gegen Israel, die Juden und die USA gerichteten Vorurteile beinhalten. Überdies existierten einschlägige Seiten in sozialen Netzwerken, die rund eine halbe Million Mitglieder („Killuminati“ auf Facebook) verzeichneten. „Wenn Jugendliche das sehen, da geht die Post ab.“

Ahmad Mansour kritisierte die derzeitige israelische Regierung

Mansour stellte noch einmal klar, dass es ihn nicht darum gehe, ein positives Israel-Bild zu malen. Zum Beispiel finde auch er die israelische Politik der letzten Jahre und die Netanjahu-Regierung kontraproduktiv und nicht in der Lage einen Frieden zwischen Israel und Palästina zu erreichen. Hinter Israel-Kritik, behauptete Mansour, verstecke sich oft Antisemitismus. Er habe etwa bei einer Preisverleihung an ihn durch eine Düsseldorfer Synagoge – wie es in einem jüdischen Gotteshaus üblich ist – eine Kippa getragen. Als Pressefotos damit von ihm auftauchten, habe es gleich geheißen: „Verräter, Zionist, du hast deine Seele verkauft.“ Dabei, sagte Mansour sei nichts was mit Israel in Verbindung stehe in dieser Synagoge zu finden gewesen: „Diese Synagoge hat nichts mit Israel zu tun. Da waren deutsche Juden in einer deutschen Synagoge.“

Den Koran ins Heute holen. Politiker ahnungslos

Islamische Radikalisierung, das erlebe Mansour tagtäglich in Deutschland. Dem entgegen zu wirken, das sei ein nationale, humanistische und demokratische Angelegenheit. „Wir verschlafen das“, obwohl es „punktuell gute Projekte gibt“. Eine innerislamische Debatte müsse her. Es brauche Vorbilder. Kritische Fragen müssten gestellt werden. Der Koran müsse ins Heute geholt werden. Auch die Politik sollte sozusagen endlich in die Puschen kommen. Kanzleramtsminister Peter Altmeier habe ihm bei „Anne Will“ entgegnet, eine islamische Radikalisierung nicht ausmachen zu können. Mansour: „Wo leben diese Politiker? Auf einem anderen Globus?“

Fragen und Impulse aus dem Publikum

Im Anschluss an den interessanten Vortrag Ahmad Mansours konnten aus dem Publikum heraus Fragen gestellt werden, die ihrerseits nicht minder interessant waren. Impulse gaben etwa ein evangelischer Theologe und ein pensionierter Lehrer. Mansour merkte in einer seiner Antworten an, dass Integration etwa derzeit bei Flüchtlingen nicht ausschließlich damit mit einem Integrationspapier (der CDU) getan sei, dass Arbeit und Sprachvermittlung setze, oder das die SPD das Grundgesetz auf Arabisch übersetzen ließ. Untereinander diskutiert wurde selbst dann noch, als Ahmad Mansour bereits den Saal verlassen hatte. Er musste seinen Zug nach Berlin erreichen.

Fazit

Ahmad Mansour hat sich Mühe gegeben, eine weitgehend als differenziert zu bezeichnende Betrachtung des Themas des Abends abzuliefern. Die freilich zwangsläufig vom eignen Lebensweg gefärbt sein musste. Eine Besucherin kritisierte im Gespräch nach dem Ende des Vortrags den ihrer Ansicht nach etwas einseitigen Blick des Referenten auf den Palästina-Konflikt. Und eine verharmlosende, bzw. fehlende Beschreibung der Situation der Palästinenser und deren nicht hinzunehmende oft schikanöse Behandlung seitens israelische Sicherheitsorgane. Sowie das Beschweigen der Angriffe Israels auf Gaza und deren verheerenden Auswirkungen als unverhältnismäßige Reaktion auf den Raketenbeschuss der Hamas auf israelische Ortschaften.

Ahmad Mansour gab den Besucherinnen und Besuchern seines Vortrags in der Auslandsgesellschaft eine hoffnungsvolle Aussicht mit nach Hause: Wenn wir muslimische Jugendliche, wie die aus anderen Kulturkreisen, endlich als „unsere Jugendlichen“ begriffen und auch als solche behandelten, könnte die Gesellschaft insgesamt davon profitieren.

Ein Sachbuch von Ahmad Mansour zum Thema:

Generation Allah. Warum wir im Kampf gegen religiösen Extremismus umdenken müssen“; erschienen bei S. Fischer

„Salafistische und jihadistische Szenen in Deutschland – Anziehungskraft, Rekrutierung, Akteure“ – Ein Vortrag von Claudia Dantschke an der Fachhochschule Dortmund

Referierte zum politischen Salafismus und Djihadismus; Fotos: C. Stille

Referierte zum politischen Salafismus und Djihadismus; Fotos: C. Stille

Gestern hatte die Fachhochschule Dortmund zu einer weiteren interessanten Veranstaltung im Rahmen „Offene Fachhochschule – Vortragsreihe Salafismus als Jugendkultur, Salafismus als jugendkulturelle Provokation, eingeladen. Gastreferentin war die jetzt in der Extremismus-Prävention arbeitende ehemalige Journalistin Claudia Dantschke aus Berlin. „Dantschke studierte Arabistik an der Universität Leipzig und schloss als Dolmetscherin und Übersetzerin aus demArabischen und Französischen ab. Von 1986 bis 1990 arbeitete sie als Fremdsprachenredakteurin in der arabischen Redaktion der DDR-Nachrichtenagentur ADN.[1] Seit 2002 ist Dantschke Mitarbeiterin des Zentrums Demokratische Kultur“ (Quelle: Wikipedia). Bekannt geworden ist Claudia Dantschke u.a. durch ihre geschätzte Mitarbeit bei AYPA-TV (dazu mein älterer Artikel in der Istanbul PostAYPA-TV). AYPA-TV hat seine Arbeit inzwischen ins Internet verlagert. Claudia Dantschke hat, wie sie gestern informierte, leider keine Zeit mehr journalistisch zu arbeiten.

Ihr gestriger Vortrag stand unter dem Titel „Salafistische und djihadistische Szenen in Deutschland – Anziehungskraft, Rekrutierung, Akteure“.

Zum Hintergrund der vierteiligen Vortragsreihe merkt die Fachhochschule Dortmund an:

„Der Salafismus, eine erzkonservative theologische Auslegung des Islam, die einen eng umgrenzten Korpus an Texten wortgenau in die Tat umsetzen möchte und sich im Spannungsfeld zwischen konservativem Islam und politischem Islamismus bewegt, ist mittlerweile in den deutschen Mainstreamdebatten angekommen. Beim Salafismus handelt sich um eine radikale Gegenposition des gesellschaftlichen Mainstreams, von dessen Attraktivität sich nicht nur muslimische Jugendliche angesprochen fühlen. Salafistische Angebote sind im Internet ohne Probleme zu finden und liefern einfache Antworten auf die komplexen Fragen des Lebens rund um Identität, Religion, Moral und Werte.“

Sprach das Grußwort: Prodekan Prof. Dr. Marcel Hunecke.

Sprach das Grußwort: Prodekan Prof. Dr. Marcel Hunecke.

Das Grußwort am gestrigen Abend sprach Prodekan Prof. Dr. Marcel Hunecke, seines Zeichens Psychologe. Er hob die Wichtigkeit einer interkulturellen Perspektive und Notwendigkeit der Reflexion dessen hervor. Hunecke sprach, eingehend auf einen Artikel in der Zeitschrift „PSYCHOLOGIE HEUTE“, die darin hergestellte Kombination von Sozialarbeit und Salafismus an.

Stellte die Gastreferentin vor: Dekan Prof. Dr. Ahmet Toprak.

Stellte die Gastreferentin vor: Dekan Prof. Dr. Ahmet Toprak.

Dekan Prof. Dr. Ahmet Toprak kennt Claudia Dantschke schon länger. Sie hatte einmal ein Interview mit ihm geführt. Toprak unternahm es die Referentin, welche auch als Publizistin tätig ist, vorzustellen. Ahmet Toprak informierte darüber, dass Dantschke in Berlin die Beratungsstelle „HAYAT“ (Leben) leitet. Toprak nannte die Referentin „eine ausgewiesene Expertin“.

Symbolik, Evolution und grüner Vogel

Evolution bis hin zum grünen Vogel.

Evolution bis hin zum grünen Vogel.

Dantschke sprach zunächst über die Symbolik von Rechtsextremen, die sie benutzen, um bestimmte Verbote zu umgehen (18, 88, oder altgermanische Runen) und darüber, was Rechtsextreme und Salafisten unterscheide. Die Referentin machte das an einem Evolutionsbild deutlich, das beginnend von der Darstellung eines Kleinkindes in einem Symbol in Form eines grünen Vogels des Paradieses gipfelt. Dieses Symbol sei jedoch ein rein islamisches, kein radikales, islamistisches oder djihadistisches. Djihadisten greifen islamische Symbole des Mainstreams auf und füllen diese mir ihren eigenen radikalen Inhalten. Das Vorgängersymbol, die höchste Stufe dieser „Evolution“ zeigt einen Kämpfer mit Waffe. Werde man in diesem Kampf als Mudschahid zum Märtyrer, fliege sozusagen die Seele in Form dieses grünen Vogels ins Paradies. Und zwar auf die höchste Stufe. Des Weiteren sprach Dantschke über die Einteilung des Salafismus und seiner Strömungen. Da gibt es eine puristische, im religiösen Sinne fundamentalistisch zu nennende Szene. Sie hängen der konservativen Islaminterpretation an: „Du musst so leben wie der Prophet Mohammed und die ersten drei Nachfolgegenerationen.“ Diese Menschen seien, so Dantschke, jedoch religiös verpflichtet – lasse man sie ihre Form Religionsausprägung leben – die herrschende Staatsordnung zu achten. Auch wenn diese von ihren Ansichten abweicht. Diese Szene wird nicht vom Verfassungsschutz beobachtet, weil nicht verfassungsfeindlich. Dantschke: „Ich vergleiche das manchmal ein bisschen mit den Amish-People in den USA.“ Die Puristen verträten die Ansicht jede Herrschaft ist besser als Chaos, weshalb diese nicht hinterfragt und hingenommen werde. In der Beratungsarbeit seien die Puristen z.T. wichtige Partner in der Auseinandersetzung mit Jugendlichen, die den Djihadisten folgen und auf dem Absprung zum IS nach Syrien seien. Während in bestimmten arabischen Ländern die Puristen in der Mehrheit seien, geht Dantschke aus eigener Erfahrung davon aus, dass sie hierzulande eine Minderheit bildeten. Zahlen gibt es jedoch keine, denn alle existierenden Zahlen zum salafistischen Milieu stammten ausschließlich von den Sicherheitsorganen, die die Puristen nicht beobachten..

Nicht jeder Salafist ist gleich militant

Der politische Salafismus unterteile sich noch einmal. Die Mehrheit geht missionarisch und ideologisch vor. Gegen die Gesellschaft, gegen Demokratie gerichtet. „Sie wollen aber das Ziel nicht durch Gewalt und Terror erreichen“, sagte Claudia Dantschke, „sondern von unten durch Mission und Überzeugung“. Ein kleinerer Teil des politischen Salafismus sei aber auch in bestimmtem Falle dazu bereit, Gewalt auszuüben. Freilich hüteten sie sich, zum Kampfe aufzurufen, weil dies ja justitiabel wäre. Sie begreifen aber Gewalt als legitim, wenn der Islam und die Muslime angegriffen würden und legen damit die Rechtfertigungsgrundlage für diejenigen, die nicht mehr nur reden, sondern handeln – die Djihadisten. Die Behörden ordnen 7900 Personen der salafistischen Szene zu. Es gibt aber darüber hinaus ein riesiges „Dunkelfeld“, meint Dantschke. Nach eigner Erfahrung schätzt sie das ganz nahe Umfeld auf 10 bis 20 000 Personen. Was aber durch nichts belegt sei. Allerdings sei nicht jeder Salafist gleich militant. Jeder siebte (1100 Personen; davon 420 „Gefährder“) gilt als militant. Die Mehrheit sei jedoch „ideologisch geprägt, antidemokratisch, demokratiefeindlich“.

Wer sozusagen schnell zu den 72 Jungfrauen will, lässt sich auf eine Warteliste setzen“

Nach Syrien ausgereist sind wohl 790 Personen (Multiplikator für die Dunkelzahl 2 – 4) aus Deutschland. Dantschke: „Wahrscheinlich sind 1500 weg. 120 der Ausgereisten sind tot. Mindestens 20 kamen bei Selbstmordanschlägen ums Leben. Rückkehrer soll es 270 geben. Davon 70 mit Kampferfahrung. Man weiß: Viele kommen desillusioniert und traumatisiert zurück. Wer im IS-Gebiet ankommt, weiß Dantschke, kommt erst einmal ins Auffanglager. Es werde abgefragt, welche Fähigkeiten oder Kompetenzen die Kämpferinnen und Kämpfer mitbringen und auch was sie machen möchten. Einer will vielleicht an die Front, der andere zur Polizei. Ein anderer ist womöglich ein guter Manager, der den Staat mit aufbauen will. „Wer sozusagen schnell zu den ‚72 Jungfrauen‘ will, lässt sich auf eine Warteliste setzen“.

Es wird über Emotionen gearbeitet

Verbreitet wird die salafistische Ideologie in sogenannten Islam-Seminaren. Claudia Dantschke spielte einige YouTube-Clips ab, wo Prediger und auch Menschen zu Wort kommen, die über das, was sie in diesen „Islam-Seminaren“ erleben, in den höchsten Tönen schwärmen. Es werde, so kommentierte Dantschke, „hier unheimlich über Emotionen gearbeitet“. Als eine andere Form der Einflussnahme seitens der politischen Salafisten stellte die Referentin die Ansprache auf der Straße vor. Viele Jugendliche, die oft von ihrer Religion wenig bis nichts wissen, sollen auf den „richtigen Weg“ geführt werden. Die wiederum würden dann ihrerseits auf die Straße geschickt, um andere Jugendliche vom vermeintlich falschen Weg abzubringen und zu bekehren.

O Schwester, bedecke dich!“

Zielt diese Art von „Streetwork“ in erster Linie auf männliche Jugendliche, wendet sich die Aktion „O Schwester, bedecke dich!“ explizit an Mädchen. Wir kennen das: Mädchen, für die ihre Identität Muslima sehr wichtig ist, tragen oft ein Kopftuch, unterscheiden sich aber Schulter abwärts in der Kleidung nicht von den anderen Mädchen. Manchmal tragen sie auch Schmuck oder schminken ihr Gesicht. „Für sie ist es wichtig Kopftuch zu tragen“, sagte Claudia Dantschke, „vielleicht ist es auch Familientradition.“ Sie sagten, als gute Muslima muss ich das Kopftuch tragen, „erklären können sie es aber nicht“. Dantschke: „Sie sind oft nicht in ihrer Religion sprechfähig.“ Hier setzen die Salafisten ein. Sie erklären – auch anhand von Bildern – die muslimische Frau muss alle Rundungen verhüllen. Heißt, den Hidschab tragen. Nur Hände, Füße und Gesicht (umstritten) dürfen zu sehen sein. Der Hidschab darf nicht durchsichtig und auch nicht parfümiert sein, nicht am Körper anliegen.

Die Rundungen, Brust, Oberschenkel und Hintern dürfen sich nicht abzeichnen. Also scheidet auch das Tragen von Hosen aus. Die Salafisten fragten dann: „Du willst doch eine gute Muslima sein?“ Und schon hätten sie oft ein Bein in der Tür. Es entsteht für diese Mädchen so etwas wie „eine Mobbingsituation“. Es werde Scham und Schuld impliziert. Aber gleichzeitig haben die Salafisten auch eine Lösung parat. „Komm zu uns, wir zeigen dir wie eine richtige Muslima zu sein hat!“ Manche Mädchen können sich dem entziehen, andere aber nicht.

Bist du Muslim?“

Die arabischen und türkischen Jungs, die auf der Straße angesprochen werden, kriegen die Salafisten schon über die Frage: „Bist du Muslim?“ Sie werden natürlich mit einem Ja antworten, da das „Muslim sein“ ein wichtiger Teil ihrer Identität ist. Doch bei Fragen, wann sie das letzte Mal in der Moschee waren, kommen die, die vielleicht die Fastenzeit gerade mal drei statt dreißig Tage durchgehalten haben, für gewöhnlich schon ins Schleudern. Ein „Einfallstor“, sagte Claudia Dantschke. Auch hier entsteht Schamhaftigkeit und Schuld bei den Jungen. Dann werden Flyer und CDs von Pierre Vogel, Sven Lau oder noch radikaleren Predigern verteilt oder auf eine Jugendgruppe hingewiesen. Und manch ein Junge beißt dann schuldbewusst wegen seiner religiösen Defizite an. In den Jugendlichen, die mit dieser Missionsaufgabe betraut werden, erwächst Stolz, dass ihnen von Erwachsenen Vertrauen entgegengebracht wird. Vielleicht das erste Mal. Und so sind sie sehr engagiert und sehr überzeugend. Dantschke: „Jugendliche, bei denen gerade ein offenes Fenster ist, die unsicher sind und nach Orientierung suchen“, sind besonders empfänglich für derlei missionarische Ansprache der z.T. ebenso alten Salafisten. Es finde eine Art, wie Dantschke es sarkastisch ausdrückte, „salafistische Sozialarbeit“ statt. Es gehe im Selbstverständnis dieser „Sozialarbeiter“ darum, „die Jugendlichen aus dem dekadenten System Demokratie herauszuholen“. Dahinter stehe eine Lesart, die man allerdings nicht allein von den Salafisten, sondern auch von anderen konservativ-religiösen Leuten anderer Religionen hören könne. Eingedenk dessen: Ein mit Moral und Ethik ausgestatteter Mensch werde man erst „durch die Lenkung von Gott“. Die Demokratie sei sozusagen von Übel, „weil der Menschen sich an die Stelle Gottes gesetzt hat“, gab die Referentin zu bedenken. Oftmals sind sogar die Eltern der Jugendlichen – wenn auch nicht begeistert – damit zufrieden. Sollen die Kinder doch beten. Besser als saufen und kiffen! Zu spät bemerken sie oft, wo die Jugendlichen da hinein geraten sind. Die salafistischen Einflüsterer schwören die Jugendlichen geschickt auf die Zeit im Paradies ein. Das Hier und Jetzt sei doch nur eine Zwischenwelt. Und Reichtum ein Scheinvergnügen. Die Belohnung warte im Paradies. Der materielle Reichtum werde gewandelt in eine andere Orientierung und die Hoffnung darauf, was im Paradies kommt. Die Jugendlichen gehen in keine Diskothek mehr, hören keine Musik, treffen sich nicht mit Mädchen. Sie versuchten diesen strengen Weg zu folgen. Claudia Dantschke: „Wenn man sie dann fragt, wie stellst du dir denn das Paradies vor, antworteten sie: da habe ich dann alles, da habe ich Weiber, da kann ich trinken, da kann ich Party machen, da habe ich Highlife …“ Dies sei eine „ganz plakative Vorstellung vom Paradies, über die Mainstream-Muslime gewiss den Kopf schütteln“.

Sehr bedenklich: Das Predigernetzwerk „Die wahre Religion“

Als sehr bedenklich bezeichnete Claudia Dantschke das in NRW ansässige Predigernetzwerk „Die wahre Religion“ um Abou Nagie, Abu Dujana und Abu Abdullah, die in Hinterzimmern und separaten Veranstaltungen Jugendliche ideologisieren und damit radikalisieren. Sie erinnerte an die Ausschreitungen in Solingen und Bonn im Mai 2012. Bekannt wurde das Netzwerk mit der kostenlosen, an sich harmlos daherkommenden und überhaupt nicht radikal anmutenden Verteilung von Koran-Exemplaren innerhalb der Straßenaktion „LIES!“. Gegendemonstrationen mit der Verteilung des Grundgesetzes hält Dantschke für kontraproduktiv. „Damit bestätigt man genau das Narrativ, das die Jugendlichen überhaupt erst mal dorthin geführt hat, nämlich die Verschwörung von Politik, Sicherheitsapparat, staatlichen Lehrern und Medien gegen den Islam und die Muslime.“ Eine Gegenaktion sollte ihrer Meinung nach von sunnitischen Gläubigen kommen, die sich neben den „Lies!“-Stand stellen und Koran-Stellen heraussuchten und laut vorläsen, worin es um das Gemeinsame der Religionen geht. Etwa die Barmherzigkeit von Allah. Damit könnte gegen salafistische Selbsterhöhung angegangen werden und die Religionshardliner unter Umständen verwirren.

Der „Pop-Djihad“

Es hat sich vor diesem Hintergrund ein, wie es Claudia Dantschke zu nennen pflegt „Pop-Djihad“ entwickelt. Auch gezeigt an einem Plakat, das einen Salafisten zeigt, der einem Weihnachtsmann einen Kinnhaken versetzt. Dieser stehe für westliche Kultur, Demokratie, Christentum, für alles Dekadente. Diese Jugendkultur sei eine radikale Subkultur und komme aus Westeuropa, erklärte Dantschke, und sei nicht aus dem Nahen Osten „eingeschleppt worden“. Die Jugendlichen seien hier geboren und sozialisiert worden. Sie haben in irgendeiner Form Frust in ihrem Leben oder emotionale Ausgrenzung erfahren. Erreicht werden könnten heute Jugendliche bis sogar in ein abgelegenes ostdeutsches Dorf. Ganz einfach via Chats im Netz und über die jugendkulturellen Medien. Auch von dort gingen Jugendliche zum IS nach Syrien. Sogar Mädchen.

Vom Outfit her sehen die Jugendlichen gar nicht aus wie klassische Salafisten etwa in Pluderhosen und Kaftan. Zu diesem „Pop-Jihad“ (Quelle: Tagesspiegel) gibt es nämlich auch die passenden hippen Klamotten. Die Gruppen ähneln mit ihrem Outfit eher einer Jugendgang mit Bart. Ungestutzt, wie bei Mohammed. Sweatshirts mit speziellen Symbolen oder Militarylook. Claudia Dantschke projizierte Bilder von T-Shirts. Eines könne man verbieten. Aber nur, weil es dem Verein „Tauhid Deutschland“ zuzuordnen ist und der im März 2015 verboten wurde. „Tauhid“ selbst ist der Begriff für das islamische Verständnis des „Monotheismus“ und wäre als religiöser Begriff nicht angreifbar. Ebenso T-Shirts mit dem Glaubensbekenntnis. Oder das T-Shirt mit dem Shahada-Finger. Claudia Dantschke hält die Erklärung mancher Medien, dies sei das Handzeichen des IS für problematisch. „Zeigefinger der rechten Hand noch oben, heißt nichts anderes als ich bezeuge den Tauhid, dass nur Allah der Souverän ist.“ Die IS-Leute instrumentalisierten wie zuvor Al-Qaida dieses Zeichen, zögen dies zu sich, um für sich in Anspruch zu nehmen, als einzige „den wahren Islam“ zu vertreten. „Ein Handzeichen bei Massenveranstaltungen schafft Gruppenidentität“, so waren es zunächst die Muslimbrüder, die dieses religiöse Handzeichen politisiert haben.

Supermuslim und Supermuslima und der Löwe Osama

Die Kids wüchsen ja mit den ganzen US-amerikanischen Comic-Streifen auf. So wird Superman zum Supermuslim. Auf YouTube fände man hochprofessionell gemachte Supermuslim-Filme, hergestellt von einem Deutsch-Türken.

Für Frauen, die den Hidschab nicht schmücken dürfen, gibt es Handtaschen mit einer neuen Stilisierung von Tauhid, mit einem zum Schwert gemachtem T, oder mit dem Emblem der „Supermuslima“. Juristisch ist das alles nicht zu verbieten. Mit dem Schriftzug „mein kleiner Löwe“ auf einem Babystrampler kommt der Löwe als das Tier der Djihadisten zu Ehren. Das mutet witzig an. „Ist aber gar nicht witzig“, gibt Claudia Dantschke zu bedenken: „Osama bin Laden, Osama übersetzt heißt Löwe.“ Mit dem Bild der Löwin bzw. des Löwen werde sowohl bei Al-Qaida als auch beim IS gearbeitet. Was implizieren diese T-Shirts und Strampler also: „Wir sind die Löwen des Islam.“

Dieser „Pop-Djihad“ sei also überhaupt nichts Harmloses. Es ist nichts anderes „als die mit den Mitteln der Popkultur an die Jugendlichen herangebrachte radikale Ideologie und Menschenverachtung“.

Es gibt charismatische radikale Prediger, die ihre Predigten aufzeichnen und auf YouTube einstellen. „Doch“, fragte Claudia Dantschke in den vollbesetzten Hörsaal hinein, „welcher Jugendliche folgt schon so einer einstündigen Aufzeichnung mit Standbild bis zum Ende?“ Wohingegen kurze rasant geschnittene hippe Videos auf YouTube Jugendliche fesselten. Da ist wieder die Popkultur. Die gleiche radikale Botschaft ist so viel leichter herüberzubringen.

Wenn sich die zum IS Ausgereisten bei den Eltern melden

Mit den zum IS Ausgereisten bestünde Kontakt. Sie melden sich fast alle bei den Eltern oder alten Freunden, die noch nicht ausgereist sind. Sie posteten sogar Fotos. Da würden dann graue Leichen oder welche mit schwarzen Gesichtern gezeigt. Vielleicht sind die Leichen vom Wüstensand grau. Es handelt sich um Leichen der Feinde: Assad-Kämpfer oder Kurden. Kommentiert werden diese Fotos dann so: „Siehst du diese schwarzen Leichen, siehst du von den Sündigen die Gesichter, wie sie schwarz werden.“ Das ist der Beweis für sie, dass diese Toten nun in der Hölle sind. Dem setzen diese Jugendlichen dann andere Bilder gegenüber – Großaufnahmen vom Gesicht der gefallenen Freunde, auf denen vermeintlich ein Lächeln zu sehen ist. „Siehst du das Lächeln in seinem Gesicht? Er hat schon im Tod das Paradies gesehen“. Das exklusive Versprechen sowohl der politischen als auch der djihadistischen Salafisten an die Jugendlichen, ihnen den Einzug ins Paradies und damit ewiges Glück garantieren zu können, wenn diese nur ihrem Weg folgen, während alle anderen auf ewig in der Hölle die schlimmsten Qualen erleiden müssen, ist sehr wirkungsmächtig und soll durch diese nach Deutschland geposteten Bilder untermauert werden.

Gegen Ende ihres Vortrags wies Dantschke darauf hin, dass wir es nicht mit einem „männlichen Problem“ zu tun haben. „Auch für Mädchen ist das Thema sehr attraktiv.“ Und die Referentin warnte: „Faktisch ist keine Familie in Deutschland davor gefeit, dass ihr Kind sich radikalisiert. Wir haben Ausreisen aus der Ganz-Deutschland.“ Gemeinsam hätten diese Jugendlichen, dass sie „religiöse Analphabeten“ seien. Sie erlebten Islam oder Christentum meist nur als Familientradition. Es gäbe ja auch Christen, die nicht erklären könnten was Pfingsten ist. Die Jugendlichen seien auf der Suche nach Erklärungen. Was ist denn eigentlich Islam? Die Prediger sprächen ihre Sprache, auch in Deutsch und nicht über ihre Köpfe hinweg. Sie böten Erklärungen entlang des Lebensalltages der Jugendlichen. Und wenn die Jugendliche das Gefühl bekämen: „Das ist es! Das kann ich nachvollziehen, das kann ich praktizieren, das gibt mir was – dann ist das für diese Jugendliche der wahre Islam.“ Dann hülfe es auch nicht sie zum nächsten Imam zu schleppen, damit der ihm was über „den richtigen Islam“ erzähle. Wenn der Jugendliche emotional getroffen ist, dann ist das für ihn der Islam. In der salafistischen Gemeinde habe er zudem jemanden, der ihn an die Hand nimmt. Und Struktur ins Leben bringt. Allein schon fünf Mal Beten am Tag erfüllt diese Aufgabe. Viele der Jugendliche sehnen sich danach, dass irgendwer sich endlich mal um sie kümmere und ihnen Orientierung gibt. Und mit der salafistischen Ideologie kann man sich von den Eltern abgrenzen. Was ja doch typisch für Jugendliche jedweder Generation war und ist. In der Gruppe erlebt er Gemeinschaft, Akzeptanz unabhängig der Herkunft oder des Reichtums seiner Familie und vermeintliche Gerechtigkeit. Nach dem Motto: Ich bin der wahre Muslim, wer ist mehr?

Was tun?

Gefragt seien behutsame Pädagogik und Sozialarbeit. Hat man es mit einem Schrei nach Aufmerksamkeit, nach Liebe zu tun oder steckt bei Auffälligkeiten mehr dahinter? Herausfinden müssten das in einem ersten Schritt die Sozialarbeiter und die Pädagogen „mit ihrem Handwerkszeug“ – nicht der Staatsschutz, meint Expertin Dantschke.

Ein hochinteressanter, fesselnder Beitrag und kluge Fragen zum Schluss

Ein sehr informativer und vor allem plakativer Vortrag, lobte Dekan Prof. Dr. Mehmet Toprak, sei das gewesen. In der Tat hochinteressant und fesselnd. Lebendig vorgetragene Fakten und Erkenntnisse aus erster Hand machten dieses Referat aus. Anschließend wurden aus dem Publikum heraus nicht wenige interessante und kluge Fragen gestellt, welche Claudia Dantschke kompetent zu beantworten verstand. Wegen sozialer Ausgrenzung, zeigte sich die Referentin überzeugt, radikalisiere sich in Deutschland niemand. „Das sind zwar Push-Faktoren, aber keine Ursachen.“ Sie gab noch einmal ausdrücklich zu verstehen, dass sie an diesem Abend nicht vom Islam sondern ausschließlich vom politischen Salafismus und Djihadismus gesprochen habe. Wir hätten hier vier Millionen Muslime und massenhaft islamische Einrichtungen. Der Islam könne in einer Demokratie kompatiblen Form kennengelernt werden. Der Punkt sei nur, dass viele der Einrichtungen noch auf Arabisch oder Türkische predigten und statt die Jugendlichen anzusprechen sich vielleicht nur um den Bau der nächsten Moschee kümmerten. Was sie in den Schaubildern grün oder rot (gewaltlos/gewalttätig) gekennzeichnet habe, sei ähnlich im Rechtsextremismus. Müsse man sich nur mit dem NSU oder auch mit der NPD auseinandersetzen? Die NPD sei nicht gewalttätig. „Ihre Ideologie ist aber die Basis auf der bestimmte Leute gewalttätig sind.“

Die politisch-missionarischen Salafisten seien auch nicht gewalttätig. Aber die Ideologie, ihr Fundamentalismus kann von anderen Gruppen in Gewalt umgesetzt werden. „Politischer Salafismus ist eine der Ideologien der Ungleichwertigkeit“, meinte Dantschke.

Wo setzt Beratung an?

Im sozialen Umfeld wird angesetzt. Bei den individuellen Ursachen. Angesprochen auf die Rolle der Medien und ihre Darstellung des Islam äußerte sich die Referentin hoffnungsvoll. Auch betreffs der Meinungsfreiheit und Vielfalt. Trotz „bescheuerter Medien“ und „plakativer Talkshows, die quasi alles kaputtmachen, was wir vorher an Verständnis aufgebaut haben“.

Wie Dekan Toprak informierte, wird Claudia Dantschke in der nächsten Sendung von „Hart aber Fair“ zu sehen sein. Allerdings, so schränkte die Referentin ein, nur für fünf Minuten.

Dortmund: Talk to heaven – Hat der Mensch ein Recht auf aktive Sterbehilfe?

Sprachen am Sonntag in der Dortmunder Pauluskirche über Sterbehilfe (von links nach rechts) Dr. Christa Rogge, Pastor Friedrich Laker, Anja Rogge (Moderation) und Prof. Dr. Franco Rest; Fotos (2): C.-D. Stille

Sprachen am Sonntag in der Dortmunder Pauluskirche über Sterbehilfe (von links nach rechts) Dr. Christa Rogge, Pastor Friedrich Laker, Anja Rogge (Moderation) und Prof. Dr. Franco Rest; Fotos (2): C.-D. Stille

Sterben müssen wir alle mal. Doch darüber reden tun die wenigsten von uns. Den Tod schiebt man so weit wie möglich von sich. Das ist menschlich. Und verständlich. Denn der Tod macht den Menschen Angst. Noch mehr fürchten wir nur ein langes, schmerzvolles Dahinsiechen. Menschen die eine schwere und unheilbare Krankheit haben, denken schon mal über eine Selbsttötung nach. Rund um dieses Thema bewegte sich vergangenen Sonntag ein Gottesdienst der ungewöhnlichen Art in der Dortmunder Pauluskirche. Das in der Nordstadt liegende Gotteshaus gehört zur evangelischen Lydia-Gemeinde. Das Thema lautete: „Hat der Mensch ein Recht auf aktive Sterbehilfe?“

Food For Soul begleitete denn Gottesdienst musikalisch einfühlsam

Musikalisch begleiteten "Food for Soul" den Gottesdienst.

Musikalisch begleiteten „Food for Soul“ den Gottesdienst.

Musikalisch einfühlsam begleitete die Band FOOD FOR SOUL die Besucherinnen und Besucher des Gottesdienstes. Über 300 Auftritte in den letzten 8 Jahren hat „Food For Soul“ absolviert. Im Ruhrgebiet, dem Sauer- und dem Münsterland hat sich das Trio einen Namen gemacht. Am Sonntag waren sie nur als Duo präsent.

Von 1005 im Auftrag einer Krankenkasse Befragten möchten 70 Prozent die Möglichkeit haben sich  bei einer schweren Erkrankung sich selbst zu töten

Im Deutschen Bundestag stehen mehrere Gesetzesentwürfe zur Sterbehilfe zur Entscheidung an. Im November werden die Bundestagsabgeordneten darüber abstimmen. Aus einer repräsentativen Forsa-Umfrage, die von der Krankenkasse DAK-Gesundheit in Auftrag gegeben wurde, geht hervor: 70 Prozent der 1005 Befragten wollen bei einer schweren Erkrankung die Möglichkeit haben, etwa auf ärztliche Hilfe bei der Selbsttötung zurückzugreifen. 22 Prozent der Befragten lehnen dies für sich ab.

Realitätsnahes, berührendes Szenenspiel

„Talk to heaven, der garantiert andere Gottesdienst“ hat ein  brisantes  Thema aufgegriffen und in die Dortmunder Pauluskirche getragen. Zunächst wurde eine Szenenspiel aufgeführt. Es handelte von einer Frau „in den besten Jahren“. Vom Arzt erhält sie die schlimme Information: Sie muss bald sterben. Die Lunge ist voller Metastasen. Der behandelnde Arzt überweist die Frau an eine Kollegin, eine Palliativmedizinerin. Die Frau sieht zunächst nicht ein, dass sie das Sterben hinauszögern soll. Schließlich stimmt sie der Behandlung zu. Sie ist am Boden zerstört. Soll die schöne Zeit mit dem geliebten Ehemann nun bald zu Ende sein? Auch der Ehemann ist erschüttert. Als die Medizin immer weniger gegen die Schmerzen hilft, verabreicht die Palliativmedizinerin in Absprache und mit dem Ehemann der Patientin schließlich stärkere Medikamente. So dämmert die Frau letztlich in den Tod. Realitätsnah und berührend dargestellt.

Zwei kompetente Fachleute sprachen zur Thematik

Auf dem Podium hatten zwei kompetente Spezialisten Platz genommen. Es waren dies die Anästhesistin und Sterbebegleiterin Dr. Christa Rogge und einer der Mitbegründer der deutschen Hospiz-Bewegung, Dr. Franco Rest, sowie der evangelische Pfarrer Friedrich Laker. Moderiert wurde der Talk von Anja Rogge.

Ein trauriges Thema. Ja. Doch wie es eingangs des Gottesdienstes geheißen hattte: „Ohne Tränen hätte die Seele keinen Regenbogen.“

Wie zum Tode gelangen?

Zunächst verschaffte Dr. Franco Rest dem Publikum einen Überblick. Unterschieden, so Dr. Rest, würden verschiedene Formen um aus dem Leben zu scheiden. Zunächst die sogenannte aktive Sterbehilfe. Die sei gewissermaßen ein „Heilbehandlung durch Tötung“. Einen Menschen, den man sonst nicht mehr heilen kann, verspricht man „Du hast keine Schmerzen mehr, du hast keine Atemnot mehr, wenn du tot bist.“ In Deutschland ist das strafbar. In den Beneluxstaaten nicht. Die verbleibenden anderen Formen, erklärte, Franco Rest, gelten als durchaus erlaubt. Oder sogar gefordert für die Handlung der Ärzte sowie der Angehörigen. Dies sei dann indirekte Sterbehilfe zu nennen: „Das Sterbenlassen, das nicht mehr hindern eines Sterbens.“ Dann nannte er die assistierte Selbsttötung. Sowie sprach über die indirekte Sterbehilfe. Eine Medikamentengabe, die man möglicherweise bedarfsmäßig erhöhen muss. Der Mensch sterbe dann etwas schneller als er sterbe würde ohne diese Medikamente.

Entscheidung im November

Im November im Bundestag geht es um die Hilfe zur Selbsttötung unter Hilfe eines anderen. Angehörigen.Wenn ein Mensch einen anderen Mensch hilft, was er darf – und jeder darf sich selber töten – dann kann der derjenige, der Beistand leistet nicht bestraft werden. Infolgedessen ist die assistierte Selbsttötung nicht nur straffrei, sondern vielleicht sogar in gewissen Situationen etwas, das man in einer Partnerschaft oder Freundschaftsbeziehung tatsächlich erwartet: Dass der andere mir hilft, diesen Schritt den ich tun möchte auch wirklich zu gehen. Ein kleines Problemen stellten allerdings die Ärzte dar. Wenn die eine Assistenz in diesem Zusammenhang leisteten, dann setzten sie ihren Beruf aufs Spiel. Denn der Arzt ist ein Helfer und hat immer die Garantie für das höhere Gut zu gewähren, also für die Erhaltung des Lebens zu sorgen: Garantenpflicht. Also dürfe man in Deutschland von einem Arzt nicht erwarten, dass er ein tödliches Medikament verabreiche. Die Grenzen zwischen den erwähnten Möglichkeiten seien zum Teil fließend, gab Dr. Rest zu bedenken.

In der Spielszene sei es darum gegangen, mit dem Einverständnis der Angehörigen ein Medikament zu geben, dass eben die Nebenwirkung hat, dass jemand früher stirbt. Der Zweck sei allerdings die Schmerzfreiheit, die Bewältigung der Atemnot. Das Ziel sei nicht der Tod.

Dr. Christa Rogge: „Mit der Zeit gibt es eine gewisse Akzeptanz.“

Dr. Christa Rogge wusste aus der Praxis heraus zu bestätigen, dass es sich häufig so zutrage, wie in der Spielszene dargestellt. Die Patienten würden von der Diagnose überrascht werden. Und spürten dann: Warum gerade ich? Mancher empfinde gar Krankheit und Tod als Strafe. Dr. Rogge: „Wenn man dem Patienten die Angst vor den Schmerzen und vor der Würdelosigkeit wegnimmt, dann haben sie die Möglichkeit, sich allmählich damit abzufinden, sich damit auseinander zu setzen und werden allmählich ruhiger.“ Sehr häufig in der letzten Phase sei bei ihnen dann eine Art Desinteresse an dem hiesigen Leben zu konstatieren. „Man löst sich innerlich. Es läuft nicht geradlinig“, sondern der Prozess beinhalte Höhen und Tiefen. „Mit der Zeit gibt es eine gewisse Akzeptanz.“

Austherapiert – ein gruslig Wort

Die Moderatorin spricht an, was wohl häufig in der Praxis geschieht: Der Arzt sagt wie im Szenenspiel: „Für Sie gibt es keine Therapie mehr.“ Oder gar: „Sie sind austherapiert.“ Was ein „hartes Wort und gruselig“ sei. „Was heißt das denn?“, fragt Anja Rogge.

Dr. Christa Rogge daraufhin: „Ich hoffe, dass immer weniger Kollegen dieses Wort in Zukunft benutzen werden. Es ist einfach so, dass auch viele Kollegen darauf geeicht sind zu heilen. Statt eine palliative Behandlung durchzuführen.“ Sie erklärte: Das komme von Pallion – der Mantel. Bedeute also eine umhüllende, umsorgende Therapie. Um die letzte Strecke des Lebens trotz der tödlich verlaufenden Krankheit so lebenswert zu machen wie eben mölgich.

Was aber nun, warf die Moderatorin ein, wenn Patienten aber eben „Schluss machen“ wollten? Patienten „Wie reagiert da?“

Natürlich käme das vor, weiß die Anästhesistin Die Leute sagten dann, „Ich habe mir so und soviel Medikamente besorgt. Damit ich mich umbringen kann.“ Man wisse als Mediziner, dass man die dazu Entschlossenen nicht daran hindern kann sich umzubringen. Jedoch könne zunächst einmal vielleicht ein Versuch gemacht werten, um zu schauen, ob es nicht auch anders gehe. „Ob man nicht erst mal sehen kann ob man durch Schmerzmedikation die Phase erträglich macht, dass man die letzte Phase eben doch dazu nutzen kann in Ruhe noch einmal Zeit mit Angehörigen zu verbringen. Und eventuell noch Sachen zu regeln die man gerne geregelt haben möchte.“

In der Palliativmedizin, erfahren die Gottesdienstbesucher, sei das Gespräch eines der wichtigsten Mittel. Weil tausend Fragen kommen und Zuwendung wichtig ist.

Dr. Rest: „Wir können lindern“

Dr. Franco  Rest nahm noch einmal den Gesprächsfaden auf. Es ginge in zwei Richtungen bei den Patienten. Entweder in die Richtung „dass sie getötet werden möchten von jemand anders oder, dass sie sich selber töten möchten. Dahinter verberge sich nicht der Wunsch anschließend tot zu sein. Sondern eben nicht mehr so leben zu müssen, wie es einen die Krankheit aufzwinge. Da spielten besondere Ängste der Menschen eine Rolle. „Die erste große Angst ist die Angst vor Schmerzen und vor Atemnot.“ Da sage die Hospiz-Bewegung: „Wir können lindern.“

Wo ist jetzt die Persönlichkeit?“

Die zweite Angst sei die vor dem Verlust der Persönlichkeit und der Selbstbestimmung. Dr. Rests eigne Ehefrau ist an

Parkinson erkrankt und hat die Sprache verloren. „Wo ist jetzt die Persönlichkeit?“ fragte der Arzt, Sozialethiker, Dichter und Philosoph ins Kirchenschiff hinein, wo er seine Gattin von einer Person seines Vertrauens gut betreut weiß. „Wie kann der Patient sich selber noch verteidigen gegen die Krankheit aber auch gegen möglicherweise falsches Handeln des Ehemanns oder der sonstigen Umgebung?

Die Hospiz-Bewegung bemühe sich durch Einfühlung und intensiven Umgang mit dem Menschen. Um ein Durchhalten 24 Stunden am Tag und jede Woche sicherzustellen. „Und zwar so, dass die Persönlichkeit nicht verschwindet oder verkümmert.“

Wiederum andere Menschen wollten anderen nicht zur Last fallen. Die Belasteten entlasten. Familie, Ehepartner und sogar die Ärzte und Schwestern, denen sie meinten schlimme Plagen zuzumuten.

Dr. Franco Rest sprach an dieser Stelle von der „theologische Seite“.

„Es gibt eine Angst der Menschen, die allerdings nicht zum schnelleren Sterben führt, sondern dem Wunsch das Ganze noch hinauszuzögern. Weil man nämlich meint, man müsse noch eine Schuld abarbeiten. Manchmal geht Theologie falsch darauf ein. Hölle und Fegefeuer gibt es nach meinem Dafürhalten eben nicht“, so der Arzt.

Die Moderatorin hakt sich ein: „Was wenn das Leid zu groß ist? Man sich selber nicht mehr ertragen kann?“ Wenn ein Gesichtstumor etwa mit offenen Wunden dazu führt, sich selber nicht mehr im Spiegel ertragen zu können.

Dr. Rest sagte, er habe so etwas erlebt. Doch seien es letztlich wenige Menschen die nicht mehr durch Palliativmedizin erreicht werden könnten. Auf die Frage der Gesprächsleiterin spricht er die grundsätzliche Angst dieser Betroffenen vor dem Alleinsein an. „Erst recht wenn eine stinkende Wunde da ist. Ein offen gebrochener Tumor wo der Körper sich bereits zersetzt.“ Auch da gelte es zu erreichen, dass die Menschen um diese Patienten dableiben und nicht loslassen. „Dass sie aushalten, durchhalten: standhalten. Die deutsche Sprache habe da ein wunderbares Wort: Beistand. Heilen dagegen sei weniger passend, weil es sprachverwandt mit Hehlen sei. Es gehe auch um Begleitung. Aber man sollte wissen wann bei der Begleitung loszulassen ist. „Denn da geht ja keiner mit in den Tod. Die begleitet haben bleiben zurück. „Wir führen den Menschen nur bis zu diesem Scheideweg.“

Stille kann sehr laut sein

Noch einmal kam Dr. Rest auf seine Frau zu sprechen. Beide seien darauf angewiesen einander anzuschauen. „Die intensivste Kommunikation zwischen Menschen spielt sich in der Mimik ab und über die Haut. Unsere Haut ist eines der wichtigsten Kommunikationsmittel die wir haben.“ Er stelle das immer wieder bei seiner Frau fest. Egal ob er sie einreibe oder nur deren Hand halte. Nie vergessen habe er eine Patientin, die zuschlug, wenn man ihr Hand geben wollte. Eines Tages, erzählt Franco Rest, habe er eine junge Schülerin gebeten am Bett dieser Frau zu wachen. Die schlief nach Stunden des Dasitzens ein. Dabei fiel ihr die Hand in das Bett der Patientin. „Da passierte etwas womit niemand gerechnet hatte Die Patientin griff die Hand der Schülerin und hielt jetzt ihre Hand fest, wollte nicht gehalten werden, sondern halten.“

„Man lernt zum Beispiel“, fiel Rest am Beispiel seiner sprachlosen Partnerin ein, „dass Stille sehr laut sein kann. Früher habe ich das nicht geahnt. Stille kann klopfen, kann schreien, kann wüten Diese Stille zu lernen, diese Stille zu hören, diese Stille wahrzunehmen – ein ganz wichtiger Weg in extremen Situationen.“

Wo ist denn Gott denn?

Nun war der Theologe, der Pfarrer Friedrich Laker angesprochen. Was sage man als solcher auf die Fragen: „Warum ich? Wo ist Gott denn in der Situation?“

Darauf der evangelische Pfarrer. Er pflege dann die Menschen immer zu fragen: „Wo ist Gott denn jetzt für dich?“ Da Erlebe man manchmal nach einem kleinen Nachdenken überraschende oder nicht so überraschende Antworten. Antworten die naheliegend sind. Nämlich: „Ich erlebe Gott in der Natur. Ich erlebe Gott wenn ich Musik höre, die ich nun ganz anders höre als vorher.“

Am Anfang und am Ende des Lebens habe es so berührende Augenblicke. „Wo die Ewigkeit fast zu greifen ist. Freilich entschwindet sie wieder. Es ist wie der Himmel auf Erden. Sterbende sagten ihm nicht selten: „Mein Angehörige,r der jetzt mir beisteht dem bin ich so dankbar, er ist wirklich wie ein Engel. Ein Engel Gottes auf Erden. Und letztendlich gebe ich eine Kraft die ungemein stark ist. Die aber oft erst erkennbar ist, erkennbar wächst, wenn man sich auf den Sterbeprozess einlässt. Kraft der Hoffnung wider alles Leid, allen Schmerzes. Ein Trotz . Wenn ich an einen Gott glaube der abseits des Lebens sitzt. Ein Gott der irgendwann mal die Schöpfung entworfen hat und sich auf den Tod zurückzieht und beobachtet und eben eingreift oder nicht eingreift, der belohnt, der straft der eben den Himmel und die Hölle vorhält. Dieser Gott verbietet.“ Aber das sei ein Gott, der einen ein Stück weit beigebracht würde“ ist sich Friedrich Laker sicher. „Da hat unsere christliche Kultur, unsere christliche Theologie viel Schuld auf sich geladen. Indem man eben von diesem „Herrschergott“ gesprochen hat. Mitten im Leben, mitten im Sterben fände sich Trost. Nicht auf irgendeinem Thron. Plötzlich tröstet einen der Vogel, der draußen im Baum zwitschert. Die Blume die wunderschön blüht. Die schenkt Trost, nicht der Herrschergott, der angeblich da oben sitzt.

Pfarrer Friedrich Laker will Mut machen

Was wolle der Pfarrer den Leuten an diesem Sonntag mit auf den Weg geben? Vor allem möchte er allen Mut machen, sagte er voller Überzeugung, dass, was so die Erfahrungen zeigten, von uns allen gerade in den Schwachen die Kraft liege. Gerade in dem wovor wir erst mal Angst haben. Natürlich gehöre zum Leben ist ein Schutz. Jedes Individuum kämpft ums Überleben. Das Spannende und Entscheidende sei, wenn man sich drauf einlässt auf diesen Prozess des Sterbens – manchmal auch Zeit brauchte. Er plädiert: „Lasst euch Zeit, wenn es möglich ist!“ Dann könne man eine ungeheure Kraft entdecken. Im Sterbenden selber. Und bei den Angehörigen im Gemeinsamsein. Dem gegenseitigen Beistand. Auch der Sterbende gebe den Angehörigen Kraft. Vertrauen zu haben gegen die Angst, die natürlicherweise da sei. So werde auch die Erkenntnis wachsen, was richtig ist: „Das kann die Selbsttötung sein in gewissen Ausnahmefällen. Es könne auch sein, sich Zeit gegenseitig schenken zu lassen, um Abschied zu nehmen. Damit helfe man auch dem Sterbenden ins Reine zu kommen. Moderatorin sprach die passende Bibelstelle „Die Kraft ist in den Schwachen mächtig.“ an. Eine schönes Schlusswort von Friedich Laker: Letztendlich ist das eben die Kraft der Liebe Gottes, die unter uns gegenwärtig ist.“

Fazit

„Talk to heaven“ hatte einen „garantiert anderen Gottesdienst“ versprochen. Die Kirchenbesucherinnen und Besucher haben ihn bekommen. Über den Tod sprechen wir ungern. Lieber verdrängen wir. Das ist verständlich. In der Dortmunder Pauluskirche war er letzten Sonntag ins Zentrum des Interesses gerückt. Worden. Und darüber hinaus die Frage gestellt „Hat der Mensch ein Recht auf aktive Sterbehilfe?“ Die schlussendliche Beantwortung dieser Frage ist nicht einfach. Aber, dass darüber gesprochen wurde, dürfte am Sonntag in der Pauluskirche  einhellig begrüßt worden sein. Das Thema anzupacken war nicht nur mutig, sondern auch nötig.

Fotojournalist Andy Spyra mit beeindruckenden, apokalyptisch anmutenden Fotos bei der „Nacht der Religionen“ in Dortmund

Schlimmer als die Zerstörung von Häusern im Krieg sind die seelischen Zerstörungen der Menschen und bleibende Traumata; Foto: Henning Hraban Ramm  via Pixelio.de

Schlimmer als die Zerstörung von Häusern im Krieg sind die seelischen Zerstörungen der Menschen und bleibende Traumata; Foto: Henning Hraban Ramm via Pixelio.de

Der 1982 in Hagen geborene Fotograf Andy Spyra hat in vielen Ländern gearbeitet wo Kriege stattfanden beziehungsweise noch immer wüten. In die Schublade „Kriegsfotograf“ möchte der Hagen geborene und in Dortmund lebende Spyra keinesfalls gesteckt werden. Ihm kommt es darauf an mit der Kamera Schicksalen von Menschen nachzuspüren.

Bevorzugt Schwarz-Weiß-Fotografien

Anlässlich der „Nacht der Religionen 2015“ in der Pauluskirche in Dortmund hält Andy Spyra einen spannenden Vortrag über seine Arbeit in vielen Ländern des Mittleren und Nahen Ostens. Er spricht über interessante Begegnungen mit Menschen in Kriegs- und Krisengebieten. Dazu zeigte er einige seiner vielleicht ausdrucksstärksten Bilder. Allesamt Schwarz-Weiß-Fotografien. Spyra bevorzugt diese. In den meisten Fällen sind sie betreffs ihrer Aussage für die Betrachter ohnehin jedem Farbfoto haushoch überlegen. Oft vermögen sie sogar mehr an Inhalten vermitteln als der noch so ausgefeilteste Text dies tun könnte.

Es geht immer auch um Religion(en)

Spyras Bilder kommen sofort auf den Punkt. Sie haben die beste Wirkung auf den Betrachter. Andy Spyra ist natürlich – darüber hat er mit dem Pfarrer der Evangelischen Lydia-Kirchengemeinde Dortmund, Friedrich Laker im Vorfeld der Veranstaltung ausführlich gesprochen – an diesem Pfingstmontag aus gutem Grund in der Pauluskirche Weil es in den von Spyra bereisten Regionen immer auch um Religion(en) geht. Viele Menschen werden da spontan gleich an den Islam denken. Doch halt! Aber so einfach ist es nicht. Unsere Mainstream-Medien – auf tief abgesenktem Niveau angekommen -, machen dass alles für uns Rezipienten oft so einfach wirkt. Und die Zuschauer/Leser – leider in Vielzahl wohl eher unkritisches Medien-Konsumenten – springen schon fast automatisch darauf an: Islam gleich Krieg, gleich Terror. Punkt.

Andy Spyra im „islamischen Kerngebiet“

Spyra schaut da genauer hin. Und er sagt, er möchte da gar nicht als Experte – schon gar nicht für den Islam – gelten oder fungieren: „Da gibt es Leute, die das viel besser können als ich.“

Vielmehr möchte Spyra an diesem Pfingstmontag gerne „seine Erfahrung teilen über ‚meinen Nahen Osten und den Islam‘ über den es zwangsweise oft geht“. Bereist hat der Fotojournalist die Gebiete von Marokko bis Pakistan. „Islamisches Kerngebiet“, nennt Spyra diese Weltgegend. “ Neben Aufnahmen von dort zeigt Spyra in seiner kleinen Diashow welche aus Nigeria. Sowie aus Syrien und dem Irak.

Die Probleme ballen sich aus einer Mischung von Korruption, Armut und enormer Bildungsdefizite zusammen

Vordergründig geht es ihm also nicht um die Religion. Aber schon um den Kontext um sie herum. Er blickt auf die vergangenen 10 – 15 Jahre zurück. Da denke man an die Kriege im Irak, im Libanon und in Libyen – in fast allen muslimischen Ländern. Weshalb die Öffentlichkeit wohl auch die islamische Welt wie auf Knopfdruck (Medien!), den Islam als gewaltbereite Religion in Zusammenhang bringt. Doch als jemand, wie Spyra, der immer wieder vor Ort unterwegs ist und mit den Leuten spricht – „und aus einer distanzierten politischen Perspektive darauf schaut: „Ich sehe da gar nicht die Religion, ich sehe da eine Mischung aus Korruption, Armut und enorme Bildungsdefizite“, sagt der Fotograf. Ein Nährboden für Krieg und Dauerkrisen. Da hätten Rattenfänger wie von ISIS leichtes Spiel. Denen und andere terroristischen Vereinigungen spiele das in die Arme.

Oft beginnt es so: ein politischer Konflikt wird religiös aufgeladen und zu machtpolitischen Zwecken missbraucht

Spyras Reise hat 2007 in Kaschmir begonnen. Dort schwelte „ein politischer Konflikt, der religiös aufgeladen und zu machtpolitischen Zwecken missbraucht wurde“. Schreckliche Bilder! „Man stelle sich mal vor wie es wäre in so einer Region zu leben, gibt der Fotojournalist dem Publikum zu bedenken. „Und das noch aus den Augen eines Kindes sehen!“ Was wohl aus ihm wird, wenn es dereinst Fünfzehn ist, „wenn die Saat aus alledem aufgeht“ – man kann erahnen. Eine Spirale aus Armut Gewalt und wieder Gewalt, die sich immerfort weiterdreht.

Leben von weniger als zwei Euro am Tag und gefährliches Halbwissen

Schon blicken wir auf das Nächstschreckliche. Andy Spyra spricht von den Verhältnissen in Nordnigeria wo die Menschen von weniger als zwei Euro am Tag leben (müssen). „Da sind die Eltern froh, wenn die Kinder in eine Madrasa gehen können.“ Zu sehen ist ein kleines Mädchen, das von Boko Haram der Arm weg geschossen wurde. Es wird wie andere Kinder in der Koran-Schule wenigstens etwas Bildung erhalten. Kleine Schrifttäfelchen mit Koranversen sind im Bild zu sehen. Wenige Sätze, Koransuren, werden da auswendig gelernt. Was bringt das? Nicht einmal vom Islam werden sie viel wissen. Gefährliches Halbwissen wird das sein, was in den Köpfen der Kinder bleibt.

Anschläge „vermeintlich im Namen der Religion“

Und aus kleinen Jungen wie denen in Nigeria werden dann auch anderswo – wie ein Foto vom Tahrir-Platz in Kairo gleich wieder zeigt – junge zornige Männer, die radikale, islamistische Forderungen stellen. Andere gehen weiter. Sie zünden christliche Kirchen in Ägypten an. Ein Freund des Fotografen, kommentiert Spyra ein Foto, das einen Mann mit von einem Brand verstümmelten Hand zeigt, ist bei einem solchen Anschlag in Alexandria schwer verletzt worden. Ein Anschlag verübt „vermeintlich im Namen einer Religion“. Hier des Islam. Was wissen diese Leute vom Islam? Eine Spirale von Gewalt, die sich immer weiter auflädt, konstatiert Spyra. Irgendwann wisse dann keiner mehr, welchen Ursprung ein Konflikt überhaupt einst einmal gehabt habe.

Flüchtlinge ohne jegliche Perspektive

Dann springt er mit seinen Bildern auch schon nach Syrien. Und zeigt ein Foto, dass von oben ein riesiges Flüchtlingslager abbildet, wo aus dem Nachbarland Geflohene Aufnahme fanden. Ein weiteres Bild zeigt eine anscheinend schier endlose Schlange von Frauen. Sie stehen nach Wasser an. Mehrere Stunden. Es ist ihre täglich Aufgabe. Die Menschen sind völlig ohne Perspektive. Viele Kinder. „Die Hälfte der Bevölkerung ist unter 25 Jahre alt.“ Spyra: „Wenn ich mir meine Kindheit in einem dieser Lager vorstellen müsste … Da ist es doch leicht für die ISIS-Leute. Die brauchen doch nur durch solche Lager ziehen und sie werden junge Leute finden, die sie rekrutieren können.“ Er spricht vom Hauptkonflikt in der Region: den zwischen Schiiten und Sunniten. Jede Religionsgemeinschaft hat bereits eigene Kampfgruppen. Neben den bereits erwähnten, die Kurden, die Orthodoxen und auch die Jeziden. Die Menschen sind traumatisiert. Und Menschen um die Dreißig oder Vierzig hätten längst jegliches Vertrauen in staatliche Einrichtungen, etwa im Irak – soweit überhaupt noch vorhanden – verloren. Das wirke gewisse noch auf Jahre hinaus. Eine friedliche Zukunft, wer glaubt noch an sie? Als Betrachter von Spyras Fotos muss man nur in die Gesichter der Menschen, in ihre nicht selten wie erloschen, starr dahin blickenden Augen schauen.

Jede Konfession glaube (!), dass sie absolut im Recht sei. „Ist der Krieg einmal da, wird man ihn nicht wieder los“, so Spyra.

Hauptleidtragende in den Konflikten: die Frauen

Andy Spyra sieht die Frauen dieser Region als Hauptleidtragende in den Kriegen und Konflikten. Armut, Bildungsnotstand und Perspektivlosigkeit allenthalben. Lichtblicke auf einem Foto: Die leuchtenden Augen von Schülerinnen einer Mädchenschule. Aufgenommen in Afghanistan.

Selbst wenn politische Lösungen kommen: das Traumata der Bevölkerung wird bestehen bleiben

Doch schon erscheint ein wieder ein grausames Foto mit einem Knochenberg. „Sterbliche Überreste“, erklärt Spyra den geschockt dreinblickendem Publikum, „aus der Zeit des Völkermords an den Armeniern“ im Osmanischen Reiches auf dem Gebiet der heutigen Türkischen Republik. Auch ein Traumata: Die schrecklichen Ereignisse liegen hundert Jahre zurück. „Noch immer lebt das Traumata weiter.“ So, befürchtet Spyra, wird es auch in ähnlichen Fällen gegenwärtig in Syrien oder anderswo sein. „Dieser Dauerzustand von Krieg wird Jahrzehnte dauern, bis das verarbeitet ist. Politisch kann man das vielleicht in ein paar Jahren lösen“, schätzt Spyra, „aber die Traumata der Bevölkerung, der Vertrauensverluste – werden bestehen bleiben.“

Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch!“ – Hat Hölderlin recht?

Fast ist der Zuschauer während dieses Vortrags schon so auf das Schreckliche eingestellt, dass er nichts Positives mehr zu erwarten hofft. Doch dann: Hat vielleicht doch Friedrich Hölderlin recht?

„Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch!“ Andere Fotos; Ein koptischer Priester mit seinem salafistischen Kindergartenfreund, die gemeinsam und im Positiven einen gesamten Landstrich regieren. Ihnen ist der Fotograf begegnet. „Dialog der Religionen und Kooperation kann wunderbar funktionieren.“ Es sei nur eine Frage von Willen und Bildung, ist sich Spyra sicher. Und er erzählt von wundervollen Menschen, die er unterwegs traf. So den Bischof von Kirkuk. Ihm sei es gelungen das Christentum zu bewahren und sogar wieder neu zu definieren. Multiethnisch, multireligiös zu agieren: Im Libanon arbeitet eine Stiftung, der ist mithilfe von Geistlichen aller lokaler Religionen das vorher Undenkbare gelungen ist: Ein gemeinsames Kurrikulum mit einheitlicher Darstellung nationaler Geschichte. Anderswo hat Spyra einen schiitischen Geistlichen getroffen, der Flüchtlinge unterrichtet. Unweit von diesem Ort bekriegen sich diese Menschen.

Ein deutscher Mönch mit seiner „One-Man-Show“ – Leben, schlafen und beten in einem Gotteshaus

Dann spricht er von einem deutschen Mönch, der in 200 Flüchtlinge – wie Spyra sich ausdrückt .als „One-Man-Show“ betreute. Der Blick in die Kirche: Links leben und schlafen die Flüchtlinge. Rechts daneben beten Gläubige vorm Altar. Dazwischen eine provisorische Wand.

Was brauchen die Leute in der Region? „Bildung, Bildung, Bildung und die Vermittlung einer Vorstellung vom Sinn des Lebens. Und natürlich Perspektiven“, sagt Any Spyra fast beschwörend.

Pastor Friedlich Laker zeigte sich beeindruckt von der anderen Sicht des Fotografen auf die Region, die Menschen und deren Probleme. Es käme eben auf eine differenzierende Sicht an. Auf eine andere halt, welche uns die einschlägigen Medien tagtäglich anböten. Es reiche eben nicht, sich mit dem Einfachen – das viele von uns gern wollten – zufriedenzugeben. „Man muss halt genauer hinschauen.“ Das beträfe auch die Sicht auf die Religion(en).

Andy Spyra hat das getan. Und wird es weiterhin tun.  Für uns. Beeindruckende, vielfach apokalyptisch anmutende  Bilder. Differenzierendes Hinsehen. Vielleicht lernen wir Betrachter mit Spyras Aufnahmen im Hinterkopf künftig besser hinschauen? Es wäre dringend nötig.

Mehr über Andy Spyra hier.