„Gesichter der Arbeit“ – Fotografien aus Industriebetrieben der DDR des exzellenten Fotografen Günter Krawutschke in der DASA in Dortmund

In der DASA (Deutsche Arbeitschutzausstellung) ist noch bis zum 28. März 2021 die Ausstellung „Gesichter der Arbeit“ mit Fotografien des Bildjournalisten Günter Krawutschke zu sehen. DASA-Direktor Gregor Isenbort machte für Nordstadtblogger einen Führung durch die interessante Schau. Sie zeigt Arbeitswelten in Ostberliner Großbetrieben und von Arbeiter*innen eines exzellenten Fotografen, der ein Auge für den richtigen und wichtigen Moment sowie für das Wesentliche hat.

Nicht zuletzt gut aufgehoben ist die Ausstellung „Gesichter der Arbeit“ mit Fotografien von Günter Krawutschke in der DASA. Aber gut vorstellen könnte man sie sich ebenfalls im Hoesch-Museum.

Gaskokerei Lichtenberg. Foto: Günter Krawutschke

Überhaupt ist Dortmund ein passender Ort für eine solche Ausstellung. Schließlich ist Dortmund eine Stadt in der Arbeit und Arbeiter*innen eine große Rolle spielen. Beziehungsweise spielten: denn im Zuge des Strukturwandels sind viele hier traditionell angesiedelt gewesene Arbeitsorte weggefallen und die dazugehörigen Malocher größenteils verschwunden.

DASA-Direktor Gregor Isenbort zu den Bildern: „Es ist eigentlich nicht Ost und nicht West. Es ist Arbeit in den Siebzigern“

Der Fotograf Günter Krawutschke hat die nun auch in Dortmund gezeigten Schwarz-Weiß-Aufnahmen als Bildreporter des Berliner Verlags zu DDR-Zeiten in Ostberliner Industriebetrieben gemacht. Sehen wir einmal von den auf diesen Fotos abgebildeten, nicht selten veralteten und meist auf Verschleiß gefahrenen, Maschinen ab, könnten diese 1971 und 1986 entstandenen Aufnahmen von Arbeitern in Blaumännnern bei harter Arbeit durchaus auch in ähnlicher Form in der BRD in den 1960er und 1970er Jahren entstanden sein. Dass sei Gregor Isenbort, seines Zeichens Direktor der DASA, in den Sinn gekommen, als der die Fotos erstmalig in Berlin gesehen habe. Allerdings fallen auf Krawutschkes Fotos die vielen Arbeiterinnen, die an Maschinen oder anderen Arbeitsplätzen in Arbeitsanzügen oder in Kittelschürzen abgebildet sind, auf. Denn in der DDR waren viele Frauen auch in Berufen und an Arbeitsplätzen tätig, die einst als Männerberufe gegolten hatten. Zu den Bildern sagte Isenbort:

Auszeichnung. Foto: Günter Krawutschke

„Es ist eigentlich nicht Ost und nicht West. Es ist Arbeit in den Siebzigern.“ Es gehe somit auch der Ausstellung nicht darum „DDR-Bashing zu machen, sondern einfach nur souveräne Menschen in ihrer zum Teil schwierigen Umgebung zu zeigen“.

Der Arbeitsplatz in der DDR hatte einen anderen Stellenwert als in der BRD

Die Ausstellung dürfte (und sollte) viele Menschen hier im Ruhrgebiet anziehen, die selbst einst einmal in großen Industriebetrieben gearbeitet haben. Aber freilich auch darüber hinaus auch andere interessierte Menschen, auch Schüler*innengruppen, denn sie ist auch zeitgeschichtlich von Interesse. Darüber hinaus erzählen sie auch etwas andere Geschichten aus dem Leben der Menschen in der DDR als manch westliche Medien, da diese zumeist das Negative an und in der DDR in den Vordergrund ihrer Artikel stellten bzw. teilweise noch immer stellen. Gemäß dem, was der einstige Bundesjustizminister Klaus Kinkel forderte, indem er auf dem 15. Deutschen Richtertag 1991 die Versammelten aufrief, auch mit Hilfe des Strafrechts „das SED-Regime zu delegitimieren“. In diesem Sinne wurde dann oftmals das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Und das Leben von DDR-Bürger*innen – gewollt oder nicht – entwertet. Aber die Menschen in DDR arbeiteten nicht nur teils schwer, sie lachten, feierten und liebten auch – Kurz: sie lebten! Der Arbeitsplatz – der Betrieb – hatte allerdings einen anderen Stellenwert als in der BRD. Es wurden kollektive Veranstaltungen organisiert. Große Kombinate und Betriebe hatten angeschlossen Kantinen, Kulturhäuser, Lebensmittelgeschäfte Betriebskliniken, Kindergärten und auch Ferienlager. „Betriebe waren in der DDR mehr als Orte der Arbeit. Sie waren – unter sozialistischen Vorzeichen – zentrale ’soziale Räume‘ und standen im Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens“, wird im Ausstellungskatalog Klaus Schröder aus „Der SED-Staat. Geschichte und Strukturen der DDR“ zitiert.

Günter Krawutschke fotografierte bei vielen offiziellen Anlässen

DASADirektor Gregor Isenbort, der durch die Ausstellung führte, empfiehlt eine aufmerksamen, vorurteilsfreien Rundgang durch diese interessante Fotoausstellung des Deutschen Technikmuseums Berlin: „Die Interpretation der Bilder liegt eigentlich immer beim Betrachter.“ Günter Krawutschke (*1940) hat sein Material der Stiftung Deutsches Technikmuseum überlassen.

Der Fotograf war bei vielen offiziellen Anlässen für die Berliner Zeitung in Betrieben zugegen. Fotos zeigen beispielsweise den Besuch des zuvor aus dem Gefängnis entlassenen Generalsekretärs der Kommunistischen Partei Chiles, Luis Corvalán mit mit dem SED-Generalsekretär Erich Honecker in einem Berliner Betrieb vor versammelter, zusammengetrommelter Arbeiterschaft in einer großen Werkhalle. Viele Arbeiter schauen kritisch.

Gregor Isenbort: Krawutschke ist „ein exzellenter Fotograf“ mit dem Gespür für den richtigen Moment

Oft führten Aufträge der Redaktion Günter Krawutschke in verschiedene Berliner Betriebe, um dort Arbeiter*innen an deren Arbeitsplätzen zu porträtieren. Auf den Bildern sieht man, dass er stets ein Blick für das Wesentliche hatte. Und immer wieder, erzählte Direktor Isenbort, habe er auf den Auslöser seiner Kamera gedrückt, wenn er etwas sah, dass er für wichtig oder außergewöhnlich hielt. Auch wenn er dafür keinen Auftrag hatte und wusste, dass die Bilder erst mal etwas für die Schublade waren.

Krawutschke hat auf Fotos auch auf dem Weg zum Auftragsort gemacht. Er wusste: „Viele davon wären in der Zeitung gar nicht erst gedruckt worden.“ Als er die ersten kleinen Ausstellungen auf die Beine stellte, zeigte er sie dann. Gunter Krawutschke im Interview, das im Ausstellungskatalog zu finden ist: „Wenn ein Foto nicht in gesteigertem Maße die Richtlinien der Politik kritisierte, war so etwas okay. Es gab eben unzählige Nischen in der DDR, so auch für Fotografen.“

Man sehe den Bilder, die ja nicht gestellt gewesen seien, sondern „relativ schnell entstanden sind“ an, so Gregor Isenborts Einschätzung, dass Krawutschke „ein exzellenter Fotograf ist“. So fing er gewissermaßen Stillleben ein und nahm Details an Gebäuden und fotografierte Maschinen. Und immer wieder einfühlsam, Menschen. Wobei es eben darauf ankomme, weiße Isenbort, „den einen Moment richtig einschätzen zu können“. Was heraussteche: „Er hat die Arbeitsumgebung der Leute ziemlich gut aufgenommen.“ Auf einem Foto aus dem Jahre 1972 sind Arbeiter*innen bei der Pausengymnastik zu sehen. Gregor Isenbort dazu: „In westdeutschen Betrieben gibt es seit den Zweitausendern die Idee der ‚bewegten Pause‘.“

Reparatur. Foto: Günter Krawutschke

Schlimme Arbeitsbedingungen sichtbar gemacht

In einem Kombinat in Berlin-Lichtenberg wo sehr viel mit Schwermetallen gearbeitet wurde, hat Krawutschke fotografiert. Das Foto zeigt eindrücklich, welch schlimme Arbeitsbedingungen dort geherrscht haben mussten. Auf dem im VEB (Volkseigener Betrieb) Elektrokohle Berlin gemachten Foto sind die belastenden Umweltstoffe um einen Arbeiter herum beinahe direkt mit Händen greifbar. Krebserregende Feinstäube etc. Der Berliner Kultursenator Klaus Lederer dazu im Ausstellungskatalog: „Im Gesicht des ‚Brigadeführers‘ bei Elektrokohle Lichtenberg (EKL) versteht man die betriebsinterne Abkürzung ‚EKel‘ sofort. ‚Lenchen Möller ist zutiefst liebenswert und gar nicht komisch, mit ihrem Kamm und dem Graphitstaub auf der Kittelschürze.“

Gerd Voss, Brigadier, Elektrokohle Berlin. Foto. Günter Krawutschke
Lenchen Möller. Foto: Günter Krawutschke

Isenbort: „Der Fotograf, das sieht man, hat eine echte Sympathie für die arbeitenden Menschen. Er zeigt die Sachen auch unideologisch“

Dennoch seien die Menschen nicht als Opfer und als leidend, sondern in Würde und selbstbestimmt, abgebildet, findet DASA-Direktor Isenbort. Krawutschke nehme trotz alledem so ein bisschen den Druck heraus. Und entspreche damit eben so gar nicht dem DDR-Bild des Westens, wonach in der DDR alles grau und fürchterlich gewesen sei. Man bekomme eben selbstbewusste Menschen zu sehen. Isenbort: „Der Fotograf, das sieht man, hat eine echte Sympathie für die arbeitenden Menschen. Er zeigt die Sachen auch unideologisch.“ Dem DASA-Direktor schwebt vor, in Zukunft vielleicht mal eine Ausstellung unter dem Titel „Arbeit und Fotografie“ zu machen. Denn so etwas, dass Günter Krawutschke gemacht habe, finden man eigentlich heute so nicht mehr. Das fehle. Heute scheine die Arbeitswelt durch die Digitalisierung oft sehr sauber. Dabei müsse man wissen, dass es noch immer tausende Betriebe gibt, wo noch hart körperlich unter zum Teil nicht sehr guten Bedingungen gearbeitet werde.

Empfehlenswert auch der Ausstellungskatalog, der neben den Fotos auch spezielle Details sowie ein Interview mit Günter Krawutschke enthält

Der Ausstellungskatalog (zu erwerben für 26 Euro) ist Besuchern der Ausstellung sehr zu empfehlen, welche an speziellen Details interessiert sind. Der Kultursoziologe Bernd Lindner ist darin mit folgendem Satz aus „Widersprüchliche Bildwelten“ zitiert worden: „In der DDR ist neben der künstlerischen und sozialdokumentarischen Fotografie auch eine qualitativ hochwertige Reportagefotografie zu Alltagsthemen entstanden. Sie ist bisher noch viel zu wenig gewürdigt worden.“

Der Katalog enthält neben Günter Krawutschkes Fotos weitere interessante Texte sowie ein Interview mit ihm. Im Interview erfahren wir, dass die französischen Realisten wie Robert Doisneau, sowie der US-Amerikaner Bruce Davidson große Vorbilder für Krawutschke waren. Zur Fotografie kam er über seinen Vater, der mit einer 6 x 9 Plattenkamera fotografierte. Günter Krawutschkes erstes Bild machte er mit einer Pentacon-Kamera aus dem Fenster der elterlichen Wohnung in der Marienburger Straße 4 in Berlin-Prenzlauer Berg. Ab 1962 war er Kamera-Assistent beim Deutschen Fernsehfunk, wo er viel über den Umgang mit Kameras lernte.

Die in der DASA noch bis zum 28. März 2021 zu sehende Ausstellung ist ausnahmslos und vollumfänglich zu empfehlen. Starke Arbeits- und Arbeiter*innen Fotos eines exzellenten Fotografen, der eine Auge für das Wesentliche und den einen Moment besitzt.

Beitragsfoto: © Andreas Wahlbrink

Bildjournalist Günter Krawutschke

Lebensdaten

( 1940 – )

Werdegang

1962-65 Kamera-Assistent beim Deutschen Fernsehfunk der DDR

1966-70 Bildjournalist beim Neuen Deutschland

Ab 1970 dto. bei der Berliner Zeitung

1972 Facharbeiter Photograph

1974-78 Fernstudium HGB Leipzig

  • Die Bilder der Ausstellung sind Teil eines umfassenden Fotoarchivs, das in den letzten beiden Jahrzehnten der DDR entstanden ist. Sie sind ein einzigartiges Dokument der ostdeutschen Industriearbeiterschaft vor dem Fall der Mauer. Das Deutsche Technikmuseum erwarb 2018 einen großen Teil dieses fotografischen Werks mit über 17.000 Negativen und vielen Originalabzügen.
  • Zu sehen ist die Ausstellung bis zum 28. März 2021 zu den Öffnungszeiten der DASA (Montag-Freitag 9-16 Uhr und Samstag-Sonntag 10-18 Uhr). Bis zum 30. Dezember 2020 ist der Eintritt frei.

Dortmunder Malerin Bettina Brökelschen mit Ausstellung „Jüdisches Leben in New York“ im Kulturzentrum „Alte Schmiede“

Die Ausstellung „Jüdisches Leben in New York“ mit Werken der Dortmunder Malerin Bettina Brökelschen wird am Sonntag, 18.10.2020 um 15 Uhr, im Kulturzentrum Alte Schmiede in Dortmund-Huckarde eröffnet.
Kulturdezernent Jörg Stüdemann spricht die einführenden Worte. Ein Grußwort des Oberbürgermeisters Ullrich Sierau wird digital vor Ort zur Verfügung gestellt.
Die Schauspielerin Tirzah Haase wird etwas über das erste Kennenlernen mit der Künstlerin berichten.

Die Ausstellung wird ab dem 18.10.2020 für einen Monat gezeigt und kann
freitags von 17:00 Uhr bis 19:00 Uhr und nach telefonischer Absprache unter
Mobil: 01731933459  besichtigt werden.


Kulturzentrum Alte Schmiede (im Gewerbepark “Hansa”) – Hülshof 32, 44369 Dortmund

Bettina Brökelschen zur Ausstellung


„Diese Ausstellung habe ich 2 Jahre lang erarbeitet, um zu lernen und mich darüber mit anderen Menschen auszutauschen. Das Thema “Jüdisches Leben” begleitet mich schon seit meiner Schulzeit und wie viele andere habe ich auch jüdische Freund*innen und Bekannte. Dennoch habe ich mich meines Erachtens bisher viel zu wenig mit dem Thema auseinander-gesetzt. Das möchte ich nun ändern. Gemeinsam mit einer Freundin aus Brooklyn habe ich die Idee zu dieser Ausstellung entwickelt. Wir glauben, der beste Weg zu einem friedlichen Miteinander ist der, sich gegenseitig kennen zu lernen und so einander immer besser zu verstehen. Ich wünsche mir, dass die Bilder nicht auseinandergerissen werden, sondern später an einem Ort dauerhaft zu sehen sind. Deshalb habe ich sie der Jüdischen Gemeinde in Dortmund geschenkt.“

Jutta Geißler-Hehlke, Vorsitzende des Fördervereins der Dortmunder Mitternachtsmission e.V., zur Person der Künstlerin und ihrem Projekt:

Endlich wieder eine wichtige Ausstellung von Bettina Brökelschen, der weit über Dortmund bekannten und von vielen unterschiedlichen Menschen geliebten und bewunderten Künstlerin.

Ihre Beliebtheit kommt durch ihre Empathie, ihre Zuwendung zu den Menschen und ihre Kunst, mit Pinsel und Farbe, Kohle, Buntstiften und vielen anderen Materialien ihre und die Gefühle anderer auszudrücken. So können jeder und jede sich mit unterschiedlichen Kunstwerken identifizieren und sich dort zu Hause fühlen oder infrage stellen.

Sie hat sich besonders stark und ohne Honorar mit ihren Werken für Randgruppen eingesetzt. In den neunziger Jahren z.B. mit einem Malprojekt mit Kindern aus der Nordstadt, in Kunstaktionen für die Obdachlosenhilfe. In „DO-bunt“, der Name war Programm, hat sie Künstler aufgerufen, Bilder zu malen von Menschen mit unterschiedlichen Überzeugungen, Religionen und Hautfarben,- respektvoll und ohne Ausgrenzungen.

Aus diesen Überzeugungen beteiligte sie sich auch für den Förderverein der Dortmunder Mitternachtsmission e.V. an den Versteigerungen „MissionArt“ 1 +2 und stellte in der Stadtkirche St. Petri „Menschen in der Linienstraße“ aus, um die Besucher für die Gefühle und Situation von Prostituierten zu sensibilisieren.

Sie kuratierte eine Ausstellung mit 61 Künstlern für die AIDS-Hilfe, der Erlös diente dazu, die Einrichtung des „Café Plus“ zu unterstützen und sie entwarf ehrenamtlich Grußkarten und Tassen für unterschiedliche Einrichtungen.“

Fotos/Gemälde: Bettina Brökelschen, Ausstellungskatalog

Pay Day Africa fordert: Die bedingungslose Rückführung der Raubkunstobjekte aus Benin (Nigeria) sowie die Rückführung aller anderer kolonialen Raubbeute aus Afrika. Aktion vorm Rautenstrauch-Joest-Museum am kommenden Samstag in Köln

Das Bündnis Pay Day Africa meldet: „Es geht weiter!“

Nach dem gelungenen zweitägigen Event anlässlich des Welttags gegen Sklaverei am 22. & 23.August 2020 (hier mein Bericht vom ersten Tag) geht die neue internationale Bewegung PAY DAY AFRICA in die nächsten Phasen. Im Rahmen des diesjährigen Akwaaba-Festivals 2020 veranstaltet Pay Day Africa eine Mahnwache vor dem Kölner Rautenstrauch-Joest-Museum, um für die bedingungslose Rückführung kolonialer Raubkunst aus dem Museum zu protestieren.

Das Akwaaba-Festival 2020

Das Akwaaba-Festival 2020 selbst wird durch ein Kooperationsbündnis veranstaltet:

Bündnis14 Afrika, Pamoja Afrika e.V., Awernes, Volkshochschule Köln, Rautenstrauch-Joest-Museum Köln und DTVK e.V.

Aktuell sollen bis zu 97 Raubkunstobjekte aus dem uralten Königreich Benin im heutigen Nigeria im Besitz des Kölner Museums sein. Auf der Homepage des 2012 mit dem Museumspreis des Europarates ausgezeichneten Rautenstrauch-Joest-Museums ist u. a. zu lesen:

Wichtige Teile der frühen Afrika-Sammlung stellen wertvolle Metall- und Elfenbeinobjekte aus dem Königtum Benin im heutigen Nigeria dar. Sie wurden von der Familie Rautenstrauch in London erworben, nachdem eine englische Strafexpedition 1897 Benin geplündert hatte und man durch den Verkauf der erbeuteten Metall- und Elfenbeinobjekte die Kosten der Militäraktion abdecken wollte.“ (hier mehr)

Tatsächlich hatten die Briten 1897 das historische Königreich Benin überfallen, geplündert und in Brand gesetzt. Bei dieser Invasion der Briten wurde der König, Oba Ovonramwen, festgenommen, entmachtet, entwürdigt und nach Calabar (auch im Niger-Delta Nigerias) abgeschoben. Er starb dort im Exil.

Bis zu 6.500 Kunstschätze der Benins, auch religiöse Objekte, wurden gestohlen und befinden sich immer noch in zahlreichen Museen in Groß-Britannien, Deutschland, den USA und anderen Teilen der Welt, unter anderen auch im Rautenstrauch-Joest-Museums in Köln. Nach §259 des deutschen Strafgesetzbuchs ist Hehlerei – selbst der Versuch – strafbar:

Wer eine Sache, die ein anderer gestohlen oder sonst durch eine gegen fremdes Vermögen gerichtete rechtswidrige Tat erlangt hat, ankauft oder sonst sich oder einem Dritten verschafft, sie absetzt oder absetzen hilft, um sich oder einen Dritten zu bereichern, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“

Köln ist multikulturell, weltoffen und antirassistisch – „kein Veedel für Rassismus!“ Die noch andauernde Beschlagnahmung unrechtmäßig erworbener fremder Eigentürmer im Rautenstrauch-Joest-Museum widerspricht ganz klar diesem Image der modernen weltoffenen Domstadt.

Daher fordert Bündnis Pay Day Africa:

Die bedingungslose Rückführung der Raubkunstobjekte aus Benin (Nigeria) sowie die Rückführung aller anderer kolonialen Raubbeute aus Afrika.

Die Errichtung moderner Museen mit Einbruchdiebstahlschutz in Benin City und anderen Orten Afrikas – dies ist nicht als sogenannte „Entwicklungshilfe!“, sondern als Ansprüche auf RESTITUTION anzusehen.

Einen Runden Tisch zur Aufarbeitung des kolonialen Erbe Kölns.

Des Weiteren startet Pay Day Africa demnächst diesbezüglich eine Online-Petition sowie eine Petition beim Kölner Stadtrat.

Information: Pay Day Africa ist in Social Media vertreten: Facebook, Instagram, Twitter, YouTube

Mahnwache zur Rückführung kolonialer Raubkunst vor dem Rautenstrauch-Joest-Museum

Datum: 12. September, 2020

Uhrzeit: 10:00 – 12:00 Uhr

Ort: Rautenstrauch-Joest-Museum, Cäcillienstrasse 29-33, 50676 Köln

Quelle: Pressemitteilung Bündnis Pay Day Africa Köln

Pay Day Africa zu Besuch bei „Köln stellt sich quer“: “ I have a Dream“ Kundgebung am Neumarkt. Die Veranstaltung war am 28.08.20 und es ging um Rassismus. Es spricht Peter Donatus

 

Dortmund: Erinnerung an die von den Nazis zerschlagene jüdische Sportbewegung mit Übergabe des Makkabi-Meistertrikots von Max Girgulski – Gedenken an die Novemberpogrome im Opernhaus

Die vom faschistischen Hitler-Regime verübten Novemberpogrome jährten sich in diesem Jahr zum 81. Mal.

Daran, dass damals auch die jüdische Sportbewegung zerschlagen wurde, erinnerte eine Gedenkveranstaltung am Sonntagvormittag im Deutschen Fußballmuseum. Einen ganz besonderen Höhepunkt stellte die Übergabe des Meistertrikot von Max Girgulski aus dem Jahr 1936/37 an das Museum dar.

Am Sonntagnachmittag fand die obligatorische Gedenkveranstaltung zur Pogromnacht im Opernhaus am Platz der Alten Synagoge statt.

Jüdische Fußballer waren in der Pionierzeit des Fußballs bestimmend. Die Nazis verbannten diese Tatsache aus dem Bewusstsein der Menschen

Jüdische Vereinsheime wurden in Brand gesetzt, Sportplätze beschlagnahmt. Die jüdischen Vereine erhielten ein Betätigungsverbot.

Der Direktor des Deutschen Fußballmuseums Manuel Neukirchner strich heraus, dass dem Museum der ganze jüdische Fußall sehr wichtig sei, weshalb man auch sehr froh über das übereignete Trikot von Max Girgulski sei. Jüdische Fußballspieler und Funktionäre jüdischer Herkunft seien nämlich gerade in der Pionierzeit des Fußballs sehr bestimmend gewesen. Neukirchner nannte stellvertretend Kurt Landauer und Walter Bensemann, die den DFB, den FC Bayern mitbegründet haben. Sowie herausragende Nationalspieler wie Gottfried Fuchs (erzielte die meisten Tore – zehn – in einem Spiel) und Julius Hirsch. Geschichte, beklagte Neukirchner, die leider vergessen ist. Weil die Nazis es ganz gezielt betrieben hätten diese Geschichte aus dem Bewusstsein der Menschen zu verbannen. Die so entstanden Lücken, sei das Fußballmuseum bemüht, zu schließen.

Der Direktor des Deutschen Fußballmuseums: Fußball spiegelt auch unsere Geschichte wider

„Das Trikot ist ein wunderbares Geschenk für das Deutsche Fußballmuseum“, sagte dessen Direktor Manuel Neukirchner. Der Fußball spiegele auch unsere Geschichte wider. Viele LehrerInnen, die mit ihren Klassen das Museum besuchten, lobten: „Was ihr mit eurer Ausstellung schafft, erreichen wir nicht mit unseren Geschichtsbüchern.“ Darin erzählte Biografien von Fußballern, welche in Konzentrationslagern zu Tode kamen, machten den SchülerInnen bewusst, was damals geschah.

Dasselbe gelte für den Frauenfußball, schwenkte Neukirchner in die jüngere Geschichte, „der bis 1970 vom DFB verboten“ gewesen war.

Auch deutsch-deutsche Geschichte interessiere die SchülerInnen sehr. Etwa das Spiel 1974 BRD gegen die DDR „mit dem berühmten Sparwasser-Tor“ und die TV-Kommentare des BRD- und des DDR-Kommentators.

Der Fußball transportiere eben auch gesellschaftliche Themen. Unter anderem stehe das im entsprechenden Kulturauftrag.

Dazu trage nun das Meistertrikot von Max Girulski bestens bei.

Die Tochter von Max Girgulski, Susana Baron, war eigens aus Chile angereist

Dafür dankte der Museumsdirektor der Tochter des Fußballers, Susana Baron. Sie war eigens mit Familienmitgliedern aus Chile nach Dortmund angereist.

Die Trikot wird als Exponat in die Abteilung „Vorgeschichte der Bundesliga“ aufgenommen, wo es einen Ehrenplatz bekommen soll. Neukirchner: „Es ist das einzig erhaltene Trikot in Deutschland für die jüdische Sportbewegung.“ Max Girgulski hatte es als er nach Buenos Aires emigriert ist mitgenommen, weil ihm dieser Fußball so wichtig war. Girgulski galt als ein hervorragender und hochbegabter Fußballer , der für Eintracht Frankfurt gespielt hat.

Andreas Eberhardt: Das Deutsche Fußballmuseum steht für wichtige Erinnerungskultur

Andreas Eberhardt (Vorstandsvorsitzender der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft), sprach betreffs der Arbeit des Museums davon, dass hier lebendige Erinnerungskultur geleistet werde. Wir benötigte in Zeiten, die sich nicht unbedingt zum Besseren gewandelt haben, unterstrich Eberhardt, dringend gesellschaftliche Vorbilder vor allem für die Jugend.

„Es gibt schon seit längerem Alarmzeichen, wie präsent Judenhass in diesem Land ist“, sagte Mark Dainow

Mit Mark Dainow, dem Vizepräsidenten des Zentralrates der Juden in Deutschland, war einer der höchsten Repräsentanten jüdischen Lebens hierzulande zu Gast im Deutschen Fußballmuseum. Dainow rief die schlimmen Ereignisse des 9. November 1938 in Erinnerung. Für die Nazis sei das der Auftakt zur Shoa gewesen. Danach habe es für die Nazis kein Halten mehr gegeben, hätten sie doch bemerkt, wie gering „der Widerstand gegen ihren teuflischen Plan“ in der Bevölkerung war.

Mark Dainow.

Müsse das damalige Geschehen nicht allgemein bekannt sein heute, fragte Dainow und gab die Antwort sogleich die Antwort darauf: „Anscheinend leider nicht.“ Dies sei ihm schon lange vor den furchtbaren rechtsterroristischen Morden in Halle klar gewesen. Mark Dainow gab in seinem Grußwort zu bedenken: „Es gibt schon seit längerem Alarmzeichen, wie präsent Judenhass in diesem Land ist. Offenbar sind Teile der Gesellschaft vergessend und unwissend. Viele wüssten offenbar auch nicht, dass von den Nationalsozialisten verfolgte und ermordete jüdische Spieler wie Julius Hirsch Stars des deutschen Fußballs waren.“ Und er forderte: „Wir dürfen uns im Kampf gegen dieses Vergessen und Unwissen nicht beirren lassen.“ Dainow zitierte Helmut Kohl: „Wer die Vergangenheit nicht kennt, kann Gegenwart nicht verstehen und Zukunft nicht gestalten.“

Antisemitische und rechtsradikale Täter nicht länger als „Einzeltäter“ verharmlosen

In ihrem Impulsvortrag „Fußball und Antisemitismus“ sprach Prof. Stefanie Schüler-Springorum (Leiterin des Zentrums für Antisemitismusforschung der TU Berlin), selbst leidenschaftlich fußballbegeistert, über die Entwicklung des Antisemitismus im Deutschen Fußball. Sie bestätigte darin das Vergessen jüdischer Fußballspieler nach dem Zweiten Weltkrieg und erinnerte daran, dass Vertreter des jüdischen Fußballs nach 1945 nicht wirklich willkommen waren hierzulande. Vertreter des DFB und der Vereine seien schließlich aktiver Teil des NS-Regimes gewesen. In Sachen Vergangenheitsbewältigung sei lange nichts unternommen worden. Im Gegenteil: Als die deutsche Mannschaft 1954 Weltmeister geworden sei, hätte man das Gefühl vermittelt: „Wir sind wieder wer!“

Prof. Dr. Stefanie Schüler-Springorum.

Wenn früher und auch jetzt wieder Taten aus der rechten und neonazistische Ecke begangen wurden und werden und darüber dann immer wieder die Rede von „Einzeltätern“ gehe, dann so Schüler-Springorum, könne und wolle sie das weder länger hören. Aber erst recht nicht mehr hinnehmen. Auch nicht die antisemitischen und rechtsradikalen Ausfälle in deutschen Stadien und auf allen Ebenen des Fußballs. Beispielsweise gegen RB Leipzig.

Alon Meyer bezüglich Antisemitismus: „Wie müssen ins Agieren kommen!“

Während einer Diskussionsrunde mit Experten aus Sport und Gesellschaft über Antisemitismus im heutigen Sport redete u.a Alon Meyer, Präsident von Makkabi Deutschland, über den traurigen Ereignissen Fußballalltag, wo antijüdische Schmierereien nur ein Teil davon darstellten, Tacheles. Er rief in Form einer „dringlichen Bitte“ dazu, dass auch das Museum sich an das Publikum richten möge, dass nicht den Weg in Museen finde. Zu diesem Behufe müssten Schulen verstärkt angesprochen werden, um deren SchülerInnen möglicherweise auch verpflichtend ins Fußballmuseum zu bringen, um sie u.a. betreffs des Themas Antisemitismus zu sensibilisieren. Nicht nur Prävention und Ansprache sei wichtig: „Wie müssen auch ins Agieren kommen!“ Gegen rassistische und antisemitische Taten in den Fußballstadien und auch davor müsse entschieden und resolut vorgegangen werden. Auch mit Verbandsausschlüssen und Stadionverboten müsse unter Umständen gearbeitet werden. Darüber war sich die Runde einig.

Erhebender und feierlicher Augenblick: die Enthüllung des Makkabi-Meistertrikots von Max Girgulski

Ein erhebender und feierlicher Augenblick an diesem Sonntagvormittag war dann die Enthüllung des Makkabi-Meistertrikots von Max Girgulski durch dessen Tochter.

Max Gilgurskys Sohn Rony hielt das Trikot nach dem Tod des Vater in Ehren. Dessen Schwester Susana Baron, die seit ihrer Heirat in Chile lebt, verwahrte das Meistertrikot des Vaters nach ihm.

Bis sie vom Interesse des Dortmunder Fußballmuseums am Trikot erfuhr und sich entschloss ihm Trikot des Vaters dauerhaft zu überlassen.

Susana Baron erzählte vom Lebensweg ihres Vaters: „Er wäre sicher stolz, dass sein Trikot nun im Deutschen Fußballmuseum ausgestellt wird. Es ist der richtige Ort. Ich hoffe, das Trikot meines Vaters dient insbesondere den jungen Ausstellungsgästen als Erinnerung, dass sich die Geschichte von Ausgrenzung, Verfolgung und Ermordung nie wiederholen darf.“

Susana Baron.

Girgulski war in den 1920er Jahren ein talentierter Nachwuchsspieler von Eintracht Frankfurt, der unmittelbar nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten den Verein verlassen musste und in den folgenden Jahren mit dem jüdischen Verein Bar Kochba erfolgreich an den Deutschen Makkabi-Meisterschaften teilnahm. Infolge der immer massiveren Ausgrenzung und Verfolgung wanderte Girgulski 1938 nach Argentinien aus. Nach Deutschland kehrte er nie wieder zurück.

Beitragsbild: Susana Baron und Manuel Neukirchner. Und alle anderen Fotos (Quelle: Deutsches Fußballmuseum)

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SONNTAGNACHMITTAG: GEDENKVERANSTALTUNG AM PLATZ DER ALTEN SYNAGOGE

Am Sonntagnachmittag fand die traditionelle Gedenkveranstaltung im Opernhaus des Theaters Dortmund am Platz der Alten Synagoge statt. Sie war sehr stark besucht.

Darbietung Jugendlicher zum Gedenken an die Pogromnacht auf dem Platz der Alten Syngoge vorm Opernhaus Dortmund. Foto: O. Schaper

Bürgermeisterin Birgit Jörder erinnerte an die schrecklichen Ereignisse von 81. Jahren. Die Erinnerung zeige, so Jörder im Opernfoyer, wie schnell Vorurteile in offene Gewalt umschlagen können, „begleitet vom Schweigen einer großen Mehrheit“. Weshalb man mit Sorge auf einen wieder wachsenden Antisemitismus schaue.

Bürgermeisterin Birgit Jörder: Das, was wir als sicher geglaubt haben, ist nicht sicher

Jörder: „Dass in diesem Jahr eine jüdische Einrichtung in Deutschland massiv angegriffen worden ist, beweist, dass der deutsche Lernprozess über den Antisemitismus nicht vorbei ist – und mit dem Anschlag von Halle wieder von vorne anfängt.“ Und weiter mahnte sie: Deshalb gedenken wir heute mit dem Versprechen, uns allen Angriffen auf unsere Gesellschaft entschlossen entgegenzustellen.
Wir gedenken mit dem Auftrag aktiv zu werden in einer Zeit, in der einige Politiker sich im bürgerlichen Gewand staats- und rechtstreu geben, aber gezielt gegen die Gebote der Menschlichkeit verstoßen.
Und wir gedenken mit der Botschaft, dass die demokratische Mehrheit wachsam bleiben muss und es keinerlei Toleranz geben darf, wenn Menschen aufgrund ihres Glaubens angegriffen werden.“

Dieser Gedenktag sage eben auch: „das, was wir als sicher geglaubt haben, ist nicht sicher.“

Zwi Rappoport dankt der Dortmunder Stadtgesellschaft für den Kampf gegen Rechts, kann jedoch nicht verstehen, dass regelmäßig Naziaufmärsche erlaubt werden

Zwi Rappoport, Vorsitzender Landesverband der jüdischen Gemeinde von Westfalen Lippe und Vorstand der Jüdischen Kultusgemeinde Groß-Dortmund, sprach vom von den Nazis erzwungenem Abriss der Dortmunder Synagoge – noch vor dem 9. November. Auch er thematisierte die zunehmenden antisemitischen Ausfälle in der Gesellschaft.

Er kritisierte, dass hierzulande eine wirkliche Entnazifizierung nicht stattgefunden habe. Bis in höchste Ämter hätten es frühere Nazis nach 1945 in der BRD wieder geschafft.

Maskierten Judenhass in der Gesellschaft, skandalisierte Rappoport, nehme „die Kleinstpartei Die Rechte“ dankbar auf. Dass die demokratische Stadtgesellschaft dagegen massiv angehe, registriere die jüdischen Gemeinschaft positiv.

Mit Unverständnis reagiere man dagegen darauf, dass Gerichte regelmäßig Naziaufmärsche mit dem Verweis auf die Meinungsfreiheit erlaube. Sogar den Neonaziaufmarsch ausgerechnet am 9. November in Bielefeld.

Oberstaatsanwalt Andreas Brendel berichtet bewegt von seiner Bearbeitung von NS-Verbrechen

Kritik an der Justiz konnte Oberstaatsanwalt Andreas Brendel (Leiter der „Zentralstelle NRW für die Bearbeitung von nationalsozialistischen Massenverbrechen“) als Vertreter der Staatsanwaltschaft Dortmund nicht auf seine Arbeit beziehen. Brendel gestand jedoch zu, dass die Justiz nach 1945 vieles vernachlässigt und manches falsch gemacht habe.

Bewegt von seinen Eindrücken bezüglich seiner Ermittlungen und Einvernahmen von überlebenden Zeugen von NS-Verbrechen, etwa Massakern, im Ausland schilderte er Begegnungen mit ihnen beispielsweise in Frankreich.

Jüdisches Gebet und Kranzniederlegung auf dem Platz der Alten Synagoge

Im Anschluss an die Redebeiträge hielt Kantor Arie Mozes ein jüdisches Gebet.

Die musikalischen Beiträge der Gedenkveranstaltung im Opernfoyer führte das „duo soleil levant“ (Sandra Wilhelms und Gereon Kleinhubbert) aus.

Bürgermeisterin Birgit Jörder und Rabbiner Baruch Babaev bei der Kranzniederleung. Foto: O. Schaper.

Auf dem Platz der Alten Synagoge am Gedenkort für die das einstige jüdische Gotteshaus wurden zum Abschluss der Gedenkfeier Kränze niedergelegt.

Dortmunder Jazzclub „domicil“ bekommt Ausstellung im MKK zum 50. Geburtstag

Von links Günter Maiß (domicil e.V.), MKK-Direktor Dr. Jens Stöcker, domicil-Geschäftsführer Waldo Riedl, Prof. Oliver Langbein (FH Dortmund), Ausstellungsmacher Cornelius Uerlichs und Udo Wagener (Vorstand domicil e.V.) vor der Kassettenwand. (Fotos: C. Stille)

Der Dortmunder Jazzclub domicil ist heute die erste Adresse für Jazz in der Region. Dessen Ursprünge liegen in einem Keller-Club. In diesem Jahr feiert das domicil in der Hansastraße seinen 50. Geburtstag. Das Museum- für Kunst und Kulturgeschichte (MKK) widmet dem benachbarten Jazz-Club zum Jubiläum eigens eine Ausstellung. Das MKK präsentiert diese Exposition vom 5. September bis 27. Oktober 2019. Damit wird die Arbeit des international renommierten und von Musikern aus aller Welt geschätzten Jazzclubs. Der Eintritt ist frei.

Aus einem Keller wurde ein Jazzclub und für viele aus einem Traum Realität

Im Mittelpunkt steht der Jazzclub selbst: Ende 1968 wurde das domicil als gemeinnütziger Verein von Jazzmusikern und Enthusiasten dieses Genres gegründet und Anfang 1969 ins Vereinsregister eingetragen. Bereits am 14. März 1969 fand im Keller der Kindertagesstätte in der Leopoldstraße das erste Konzert statt. In bemerkenswert kurzer Zeit war es einer Handvoll ehrenamtlicher Aktiver mit wenig Geld, dafür aber mit unbändigen Willen und großen Anstrengungen gelungen aus einem Keller einen Jazzclub zu machen: das domicil. Damit bekam Dortmund erstmals eine feste Spielstätte für Jazzmusik. Für viele Jazzliebhaber war aus einem Traum Realität geworden.

Geschichte des Jazz in Dortmund

Bereits in den sogenannten Goldenen Zwanzigern (gemeint war etwa der Zeitabschnitt von 1924 bis 1929) war Dortmund nicht nur die Stadt der Montanindustrie, sondern auch eine Metropole des Jazz. In zahlreichen Lokalitäten vor allem des heutigen Brückstraßenviertels gehörte Jazz zum festen Bestandteil des Musikprogramms. Auch im Vergnügungspark Fredenbaum waren regelmäßig Jazzkonzerte – zu denen die Gäste auch tanzten – angesagt.

Die Nazis verboten den Jazz offiziell. Mit der Begründung Jazzmusik sei „entartet“. Jazzliebhaber fanden jedoch immer wieder Gelegenheit, ihre Musik trotz des Verbots zu hören.

Nur wenige Jahre brauchte es nach dem Ende des 2. Weltkrieges und Jazz wurde wieder salonfähig. Es war vor allem der 1949 gegründete Hot-Club Dortmund, der das Jazz-Leben der Stadt prägte. Er lockte viele nationale und internationale Stars nach Dortmund.

Dessen Schließung im Mai 1962 bedeutete eine Zäsur für den Jazz in Dortmund, keineswegs aber sein Ende. Doch der Wunsch nach einer festen Spielstätte wurde immer lauter.

Der domicil-Verein wurde 1968 gegründet und sein erster Vorsitzender Glen Buschmann

Es waren hauptsächlich der Journalist Werner Panke und der Lehrer Albert Schimanski, die die Interessen der Jazzmusiker und der Fans dieser Musikrichtung kanalisierten. Diese Bemühungen führten 1968 zur Gründung des domicil-Vereins. Erster Vorsitzender war Glen Buschmann, damals Dozent und später Leiter der Musikschule Dortmund.

Großformatiger Zeitstrahl visualisiert in der Ausstellung Anfänge und Entwicklung des domicil

In der am 5. September öffnenden Ausstellung im MKK wird ein großformatiger Zeitstrahl die Anfänge des domicils vom Kellerclub und dessen Entwicklung zu einer Spielstätte visualisieren, die heute über die Jazzmusik hinausgeht und in den vergangenen Jahren stets zu den Top-100-Jazzclubs weltweit gekürt wurde.

Dabei wird die Entwicklung des domicil mit lokalen, nationalen und internationalen Ereignissen verbunden.

Vom Pressegesprächs zur Ausstellung im MKK

Während eines Pressegesprächs am vergangenen Dienstag informierten die Organisatoren über die Ausstellung, die sich zu der Zeit im Studio des MKK noch im Aufbau befand, aber schon einmal in Augenschein genommen werden durfte. Der Kurator der Ausstellung, Prof. Oliver Langbein, gab sich erfreut, dass sie zustande gekommen ist. Ohnehin seien das domicil und das MKK Anlieger der selben Straße und fast unmittelbare Nachbarn, „die eigentlich schon immer freundschaftlich umeinander rumgeschlichen sind“.

Sehr praktisch hat Langbein die Zusammenarbeit mit den Studenten an diesem Projekt empfunden. Denn hier sei nicht nur einfach etwas entworfen worden: „Man kann viel entwerfen, wenn man das dann aber selber machen muss, hat das einen Lerneffekt.“ Hier wird eben auch angewendet. Und man sehe, ob funktioniere, was man sich ausgedacht habe. Hinzugenommen zum Projekt hat Prof. Langbein mit Bedacht Cornelius Uerlichs, seinen ehemaligen Studenten und Mitarbeiter, der ein guter Designer und der Musik verbunden sei.

Im Mittelpunkt der Ausstellung befindet sich eine kleine Bühne

Das große Schlagzeug und andere Instrumenten werden auf der Bühne platziert. Auf der Bühne kann auch etwas stattfinden. Um sie herum sind alle

Registrierkasse: Zu den Ausstellungsobjekten gehört die ehemalige Registrierkasse des domicils, die anfangs während der Konzerte lautstark klingelte. Von rechts: MKK-Direktor Dr. Jens Stöcker, Prof. Oliver Langbein (FH Dortmund), domicil-Geschäftsführer Waldo Riedl, Udo Wagener, Michael Kalthoff-Mahnke und Günter Maiß (domicil e.V.) und Ausstellungsmacher Cornelius Uerlichs.

für eine Show nötigen Dinge verteilt. Geöffnete die Cases stehen herum. In denen sich Technikequipment befunden haben können. Damit man sieht, was passiert hinter der Bühne, was passiert nebenher und vorher; ein paar Meter weiter im Ausstellungsraum: wie das Booking gehandhabt wurde, wie überhaupt Musiker engagiert wurden. Der ganze Kosmos dieses Musikgeschäftes, die Atmosphäre soll für die Museumsbesucher erfahrbar gemacht werden. Übrigens, war zu erfahren, dass das domicil bei vielen KünstlerInnen sehr beliebt ist. So kam es durchaus schon vor, dass KünstlerInnen dem domicil betreffs der Gage entgegenkamen, weil ihnen der Club so sympathisch ist. Bemerkenswert auch die Kassettenwand in der Ausstellung. Da sieht man Musikkassetten mit Demobändern, welche MusikerInnen ans domicil geschickt haben und womit sie sich um einen Auftritt dort bewarben. Nicht weniger interessant eine aus Flightcases gebaute Bar davor.

Denn eigentlich, gab domicil-Geschäftsführer Udo Wagener zu bedenken, ist ja das eigentliche Konzert letztlich der kleinste Teil ist. Musik auswählen, der Soundcheck, der Auf- und Abbau – all das dauere ja oft länger als das ganze Konzert. Wobei freilich das Konzert der eigentliche Höhepunkt ist. All das andere bekommen ja das Publikum zur Show gar nicht mit.

In 50 Jahren domicil haben sich 6700 Dokumente angesammelt

Als das domicil gegründet wurde, erzählte Vereinsvorsitzender Udo Wagener sei zwar nicht dabei, aber bereits in dem Alter gewesen, wo er sich für Musik interessiert habe.

Für die Ausstellung infrage kommende Dokumente habe man zuhauf in einem Archiv in der Güntherstraße finden können. Die mussten gesichtet und teilweise digitalisiert werden. 6700 Dokumente haben sich in 50 Jahren domicil angesammelt.

In mühevoller Kleinarbeit hätten viele Vereinsmitglieder die Materialien durchgesehen. Alles wurde geordnet und der Fachhochschule zur Verfügung gestellt, um aus den vorliegenden Materialien ein Konzept zu entwickeln, wie all das in der Ausstellung am Besten zu Präsentieren sei.

Das Ehrenamt hat eine hohe Bedeutung für das domicil

Günter Maiß (domicil e.V.) hob hervor, welch hohe Bedeutung das Ehrenamt für das domicil habe. In der Ausstellung würden die Locations des Jazzclubs und auch die vielen Flyer und die Designs ein Thema sein. Und Stühle aus drei Generationen werden auch zu sehen sein. Der hier schon erwähnte große Zeitstrahl soll auch einen Bezug zur Musikgeschichte herstellen. Mit Verweisen auf das neue FZW und das Konzerthaus. Damit werde verdeutlicht, „nicht nur das domicil hat sich verändert, sondern auch Musikstadt Dortmund hat andere Formen angenommen“, sagte Günter Maiß. Maiß erinnerte daran, dass der kleine Kellerclub Anfang der 1970er Jahre – „mit vielen Stunden von Ehrenamtlichen geschmissen wurde“- mit unglaublich vielen Veranstaltungen, „was heute wohl gar nicht mehr gestemmt werden könnte“. Im Jahre 1975 sei der Kellerclub quasi eingebrochen. „Die Power war zu Ende. Der Verein war fast bankrott.“ Mittlerweile habe sich das Musikgeschäft des domicil ziemlich professionalisiert. Ehrenamtliche arbeiteten zu. Der in der Ausstellung gezeigte Schreibtisch sei der, wo früher in Zeiten ohne Google das Booking stattgefunden habe mit Karteikästen, die die Kontaktdaten von Künstlern enthielten.

Eintauchen in die Welt des domicil

Einschneidende Ereignisse in der Geschichte des domicils waren die Aufnahme des Clubs in die institutionelle Förderung der Stadt Dortmund 1998 und der Umzug 2005 in ein ehemaliges Kino mitten in der City. Die finanzielle Unterstützung durch die Stadt bot erstmals eine wirtschaftliche Planungsgröße. Mit dem Umzug beendete das domicil sein „Kellerdasein“ und verschaffte sich neue räumliche und technische Möglichkeiten. Eindrucksvoll ist die zur zeitlichen Entwicklung laufende Aufzählung hunderter Musikerinnen und Musiker, die sich im domicil das Mikro in die Hand gaben. In Bildern und teils bislang unveröffentlichten Tondokumenten (Konzertmitschnitten, Interviews) erleben die Ausstellungsbesucher ein Stück Club- und Jazzgeschichte: Zu hören sind Chet Baker, Archie Shepp, Jimmy Giuffre, Arturo Sandoval, Joe Pass, Albert Mangelsdorff, Enrico Rava, Django Edwards, Elvin Jones, Bill Frisell, Joe Zawinul, David Murray, Robert Glasper, Kamasi Washington, Rolf & Joachim Kühn, Lizz Wright, Betty Carter, Pharoah Sanders, Vienna Art Orchestra, Hermeto Pasocal, Bill Evans, Airto, Udo Lindenberg, Allan Holdsworth, Götz Alzmann, Heinz Sauer und viele andere.

Die Ausstellung verdeutlicht, was auf der Bühne unsichtbar bleibt: Das domicil war und ist ein Verein, der getragen wird vom bürgerschaftlichen Engagement seiner ehrenamtlich tätigen Mitglieder. Zwar wurde für den Veranstaltungsbetrieb und den gastronomischen Bereich eine gemeinnützige GmbH geschaffen, das Ehrenamt bleibt aber eine tragende Säule des Clubs und prägt das bunte Vereinsleben der „domicil-Familie“. Ob der Umbau

Presseartikel aus den vergangenen 50 Jahren.

des Kellers an der Leopoldstraße, der Umzug in die City oder der Alltagsbetrieb im Club: Ohne Tausende Ehrenamtsstunden, ohne den Willen und die Tatkraft seiner Mitglieder wäre das domicil in seiner bekannten Form undenkbar. Dieser Aspekt wird durch Interviews mit Ehrenamtlichen gewürdigt.

Die Ausstellungsgestaltung nimmt Bezug auf das Kerngeschäft des domicils: die Konzerte und Veranstaltungen. So dienen eine Bühne sowie Flightcases (Transportkisten für Musikerequipment) als Gestaltungselemente. Abgerundet wird die Ausstellung durch einige Hör- und Videostationen mit Musikerportraits und Konzertmitschnitten. Ehrenamtler geben Auskunft über ihre Motivation und ihren Bezug zu dieser in NRW einmaligen Kulturinstitution.

Zwei Jahre Vorbereitung

Im Oktober 2017 trafen sich Vereinsmitglieder, um über Aktivitäten im Geburtstagsjahr 2019 zu beraten. Ein illustratives Buch zur Geschichte des domicils ist bereits im März dieses Jahres erschienen (bei Klartext, Preis 24,90 EUR). Seit Frühsommer tourt ein zur mobilen Jazzbühne umgebauter Sprinter der Fachhochschule Dortmund durch Dortmunder Stadtteile und Quartiere. Die Ausstellung ist ein weiterer Höhepunkt. Das Jubiläumsjahr

Günter Maiß am Schreibtisch für das Booking.

findet seinen krönenden Abschluss am 2. Weihnachtstag mit der traditionellen Jazzmatinee im Dortmunder Opernhaus.

Für die Ausstellung kooperieren die ehrenamtlichen Mitglieder des domicil e.V. mit Masterstudierenden im Fachbereich Design der Fachhochschule Dortmund unter der kuratorischen Leitung von Prof. Oliver Langbein und Cornelius Uerlichs. Die Texte in der Ausstellung stammen von Michael Kalthoff-Mahnke, Günter Maiß, Waldo Riedl. Die Fotos stammen von Kurt Rade, Oskar Neubauer, Mark Wohlrab, Werner Panke, Günter Maiß u.a.

Die Ausstellung „domicil – ein halbes Jahrhundert Forum Jazz und Creative Music in Dortmund“ wird am 5. September um 19 Uhr im Museum für Kunst und Kultur erröffnet

Die Ausstellung mit dem Titel „domicil – ein halbes Jahrhundert Forum Jazz und Creative Music in Dortmund“ wurde in Zusammenarbeit von Studierenden der Fachhochschule Dortmund/Fachbereich Design unter Leitung von Prof. Oliver Langbein und ehrenamtlichen Mitgliedern des domicil-Vereins entwickelt und realisiert. Die Ausstellung wird am 5. September 2019 um 19 Uhr im Museum für Kunst und Kultur Dortmund (MKK), Hansastraße 3, 44137 Dortmund, eröffnet.

Birgit Jörder, Bürgermeisterin der Stadt Dortmund, Udo Wagener, 1. Vorsitzender des domicil e. V., und Professor Oliver Langbein, FH Dortmund, werden die Gäste begrüßen. Im Anschluss daran können Sie sich bei einem Ausstellungsrundgang in die szenische Umsetzung des 50. domicil-Geburtstages eintauchen.

Die Ausstellung wird sorgfältig vorbereitet.

Wanderausstellung des „Deutschen Städtebaupreises“ gastiert in Dortmund. Die Stadt hat zum zweiten Mal den „Oscar des Städtebaus“ bekommen

Zur Ausstellungseröffnung: Silke Schulz, Margrete Bonneberg (beide Stadtplanungs- und Bauordnungsamt der Stadt Dortmund; stellvertretend für alle beteiligten MitarbeiterInnen), Klaus Fehlemann (Geschäftsführer der DASL-Landesgruppe) und Lutger Wilde (Dezernent für Umwelt, Planen und Wohnen der Stadt Dortmund (v.l.) Foto: C. Stille

Der Deutsche Städtebaupreis des Jahres 2018 der Deutschen Akademie für Städtebau und Landesplanung (DASL) ging bekanntlich an das Projekt „PHOENIX – Eine neue Stadtlandschaft in Dortmund“. Der Sonderpreis wurde dem Projekt „Technische Universität Darmstadt – Campus Stadtmitte“ zuerkannt.

Der Deutsche Städtebaupreis wird alle zwei Jahre mit maßgeblicher Unterstützung der Wüstenrot Stiftung verliehen. Im Zuge einer Wanderausstellung, die Stadtrat Ludger Wilde kürzlich gemeinsam mit Klaus Fehlemann, dem Geschäftsführer der DASL-Landesgruppe NRW, in der
Berswordthalle eröffnet hat, werden nun die Ergebnisse des gesamten Wettbewerbs in Dortmund präsentiert. Die Exposition ist vom 17. Juli bis zum 12. August 2019 in der
Berswordthalle zu sehen. Im Anschluss daran, vom 14. August bis 9. September 2019, gastiert sie in der Sparkassenakademie NRW in Hörde.

Der mit 25.000 Euro dotierte Deutsche Städtebaupreis stand 2018 unter dem Motto „Orte der Bildung und Kultur im städtebaulichen Kontext“

Der mit insgesamt 25.000 Euro dotierte Deutsche Städtebaupreis hat die Förderung einer zukunftsweisenden Planungs- und Stadtbaukultur zum Ziel. Es werden in der Bundesrepublik Deutschland realisierte städtebauliche Projekte prämiert, die sich durch nachhaltige und innovative Beiträge zur Stadtbaukultur sowie zur räumlichen Entwicklung im städtischen und ländlichen Kontext auszeichnen. Dabei sollen die Projekte in herausragender Weise den aktuellen Anforderungen an zeitgemäße Lebensformen ebenso Rechnung tragen wie den Herausforderungen an die Gestaltung des öffentlichen Raumes, dem sparsamen Ressourcenverbrauch sowie den Verpflichtungen gegenüber der Orts- und Stadtbildpflege. Der Preis wird stets in zwei Sparten verliehen. Neben dem „klassischen“ Städtebaupreis gibt es einen Sonderpreis, der der Akzentuierung besonders dringlicher Anwendungsfelder im Städtebau und in der Stadtplanung dient. Im Jahr 2018 stand er unter dem Motto „Orte der Bildung und Kultur im städtebaulichen Kontext“.

Dortmund errang zum zweiten Mal des Deutschen Städtebaupreis. Das erste Mal wurde 1981 ein Baublock des Sozialen Wohnungsbaus im Sanierungsgebiet Dortmund Nord II ausgezeichnet

Dortmund bekam nach 38 Jahren zum zweiten Mal den Preis. Das erste Mal im Jahre 1981, Da war es der zweite Städtebaupreis, der überhaupt vergeben wurde. Ausgezeichnet wurde in Dortmund Nord der Baublock des Sozialen Wohnungsbaus nördlich des Hauptbahnhofs (Sanierungsgebiet Dortmund Nord II). Verantwortlich war das Büro für Architektur & Stadtplanung Stephan Goerner, Köln, erinnerte Klaus Fehlemann. Das Projekt mit den auffälligen tonnenförmigen Dachgauben befindet sich in der Heiligegartenstraße (zwischen Andreasstraße und Krimstraße).

Klaus Fehlemann ist „richtig glücklich, dass dieser Preis wieder nach Dortmund gekommen ist“

Klaus Fehlemann ist Geschäftsführer der Landesgruppe NRW der Deutschen Akademie für Städtebau und Landesplanung (in der heutigen Form

Aufsteller der Ausstellung. Foto: C. Stille

gegründet 1920) und Vertreter des Auslobenden des Deutschen Städtebaupreises. Nächstes Jahr wird dieser Preis 40 Jahre alt sein. Fehlemann sprach über die Geschichte der Akademie und stellte als wesentlich heraus, dass man sich für diese Akademie nicht bewerben könne. Man werde vorgeschlagen bzw. geworben. Die Akademie hat 400 Mitglieder (und ist auf diese Zahl beschränkt) im deutschsprachigen Raum. In Dortmund gehören der Akademie drei Personen an: Lutger Wilde, Ullrich Sierau und Klaus Fehlemann.

Der Preis, so Fehlemann, sei in dieser Art und Dimension der einzige in der BRD: „Seine Jury ist total unabhängig.“ Klaus Fehlemann zeigte „sich richtig glücklich, dass dieser Preis wieder nach Dortmund gekommen ist“.

Stadtrat Lutger Wilde ist stolz und glücklich, dass Dortmund den Oscar des Städtebaus bekommen hat

Stadtrat Lutger Wilde („Dezernent für Umwelt, Planen und Wohnen“) sagte, man sei ganz froh, Klaus Fehlemann als Geschäftsführer in der Stadt zu haben. Dadurch würden auch viele Impulse der DASL in die Stadt hineingetragen. Auch sei Fehlmann im Förderverein des Baukunstarchivs aktiv und sozusagen auch „ein Motor des Umbaus des ehemaligen Ostwallmuseums zum Baukunstarchivs“ gewesen.

Der Preis, schätze Wilde ein, sei schon etwas ganz Besonderes. Und wenn man das einmal mit dem bekannten Filmpreis vergleichen wolle, „dann ist das sozusagen der Oscar des Städtebaus“. Lutger Wilde: „Und wir sind immer noch stolz und glücklich, dass wir ihn bekommen haben.“

Der Stadtrat zitierte eingekürzt aus dem Text der Jury:

„Hohe stadträumliche Qualität, die durch selbstständige Verzahnung und neue Nutzungscodierung der beiden ehemaligen Industrieareale Phoenix West und Phoenix Ost mit dem Stadtteil Hörde und darüber hinaus mit der Gesamtstadt geschaffen wurde. Die Kombination aus urbanem historisch gewachsenen Kern, einem Gewerbe-, Freizeit- und Kulturstandort sowie einem hochattraktiven Wohn-, Arbeits- und Dienstleistungsstandort am See ist überregional einzigartig. Aufgrund der vielschichtigen Qualitäten erreicht Phoenix regionale Strahlkraft über das Stadtgebiet hinaus. Die Die kontinuierliche Zusammenarbeit aller Beteiligten an der neuen Dortmunder Stadtlandschaft Phoenix kann zurecht als Musterbeispiel für einen exzellenten Strukturwandel vom Industriezeitalter zur postindustriellen Stadt gewertet werden.“

„Alle Projekte“, ergänzte Klaus Fehlemann, „seien nicht etwa nur von Drohnen überflogen, Aufnahmen angefertigt und die Bilder dann elektronisch übermittelt, sondern von den Jurymitgliedern persönlich bereist und ausgiebig besichtigt worden“. Prämiert werden ausschließlich fertig gebaute Projekte.

Ein weiteres Zitat aus der Jurybeurteilung:

„2018 war mit über hundert eingereichten Arbeiten für die zwei ausgelobten Sparten eine sehr große Fülle an Projekten gegeben, aus der die Preise ebenso wie die ausgezeichneten und belobigten Projekte auszuwählen waren. Sie alle leisten auf höchst unterschiedliche Weise sehr qualitätsvolle Beiträge zu einer zukunftsweisenden Planungs- und Stadtbaukultur. Sie zeugen nicht nur von außerordentlicher Verantwortung gegenüber den komplexen städtebaulichen Herausforderungen, sondern auch von Leidenschaft und Ausdauer. Auch in diesem Sinne sind sie Ermutiger für Städte und Gemeinden“.

Eingereicht waren insgesamt 103 Projekte. Dortmund stand mit 73 Projekten in Konkurrenz

Aufsteller in der Ausstellung. Foto: C. Stille

Insgesamt wurden insgesamt 103 Projekte (74 in der Kategorie Deutscher Städtebaupreis) eingereicht, davon 29 für den Sonderpreis. Dortmund stand mit 73 Projekten in Konkurrenz. Aus einer “engeren Wahl“ sprach die Jury für sechs Projekte (zwei im Sonderpreis) eine Belobigung aus. Sechs Projekte, davon eins im Sonderpreis, erhielten eine Auszeichnung. Die Ausstellung präsentiert sie allesamt auf großen Roll-Out-Plakat-Wänden. Die Stadt Dortmund hat die prachtvoll bebilderte und mit vielen Informationen versehende Publikation „Phoenix – Eine neue Stadtlandschaft in Dortmund – Deutscher Städtebaupreis 2018“ mit einer Auflage von 4500 Exemplaren herausgebracht. Sie soll an diversen Orten ausgelegt sein bzw. verteilt werden.

Bis zum 12. August ist die Ausstellung in der Berswordthalle zu sehen, dann vom 14. August bis zum 9. September 2019 in der Sparkassenakademie NRW in

Aufsteller in der Ausstellung. Foto: C. Stille

Hörde

Die Ausstellung ist vom 17. Juli bis 12. August 2019 in der Berswordthalle, Südwall 2 – 4, zu sehen, im Anschluss daran vom 14. August bis 9. September 2019 in der Sparkassenakademie NRW
in Hörde, Hörder Burgplatz 1.

Über die Ausstellung hinaus wird eine Dokumentation in gedruckter Form in der Reihe „STADT BAUEN“ erscheinen.

Beitragsbild: Via Deutscher Städtepreis KNSY-Photographie Essen

Dortmund: Ausstellung zum Thema Gemeinwohl. BesucherInnen sind eingeladen sich in die Gestaltung des Kunstwerks „Gemeinwohl“ einzubringen

Wieder einmal hat sich die bekannte Dortmunder Künstlerin Bettina Brökelschen auf ein Experiment eingelassen, welches diesmal im Rahmen ihrer vom 16. bis 22. Juli 2019 dauernden Ausstellung „Gemeinwohl“ stattfinden wird. Zusammen mit den BesucherInnen ihrer Ausstellung will sie während dieser Zeit für den Bundesverband Gemeinwohldemokratie ein Symbol/Bild anfertigen, in welchem sich der Begriff „Gemeinwohl“ widerspiegelt.

Gemeinsam ein Kunstwerk zum Thema „Gemeinwohl“ erschaffen

Die BesucherInnen sind dabei herzlich eingeladen, sich in die Gestaltung dieses Werkes mit Anregungen einzubringen, um für den Begriff „Gemeinwohl“ein vielschichtiges und damit möglichst realistisches Symbol/Bild entstehen zu lassen._

Zur Vernissage der Kunstausstellung von Bettina Brökelschen im Torfhaus im Westfalenpark Dortmund am 16. Juli 2019 um 18 Uhr sind alle interessierten Menschen herzlich eingeladen. Die Gäste werden mit einführenden Worten von Günther Ziethoff begrüßt.

Am Sonntag, dem 21. Juli 2019, ab 15 Uhr sind dann alle Interessierten eingeladen an einer offenen Diskussionsrunde teilzunehmen, die sich mit den Begriffen „Gemeinwohl“ und „Gemeinwohldemokratie“ auseinandersetzt.

Ausstellungsdauer: 16. – 22. Juli .2019
Öffnungszeiten: Montag bis Sonntag von 11 bis 18 Uhr

Ausstellung „Justiz und NS-Zeit“ in Dortmund eröffnet. NRW-Justizminister Biesenbach: Mahnendes Gedenken unerlässlich, lebhafte Erinnerungskultur nötig

Begrüßung durch den Leitenden Oberstaatsanwalt Schmerfeld-Tophof der Staatsanwaltschaft Dortmund. Fotos: C. Stille

Der Leitende Oberstaatsanwalt Volker Schmerfeld-Tophof der Staatsanwaltschaft Dortmund hieß vergangenen Montag anlässlich der Eröffnung der Ausstellung „Justiz und NS-Zeit“ VertreterInnen der Justiz, Bürgermeister Manfred Sauer, der Bezirksregierung Arnsberg, der Polizei, der Bundeswehr und der Religionsgemeinschaften herzlich willkommen. Sinn und Zweck dieser Ausstellung sei, so Schmerfeld-Tophof, „die Erinnerung wachzurufen“. Junge Leute mögen sich sagen, dass sei doch Geschichte und habe mit ihnen nichts zu tun. Gerade aber in Zeiten, da „der Antisemitismus in Jahrhunderte gepflegter Manier“ wieder auflebe und in den in Europa und angrenzender Staaten rechtspopulistische Bewegungen und autokratisch geführte Regierungen die Unabhängigkeit der Justiz nicht nur infrage stellen, sondern teilweise bereits beseitigt haben“, müsse besonderes Augenmerk – mit einem Blick zurück in die Geschichte – auf diese bedenkliche Entwicklung gelegt werden.

Bereits 30 Schulklassen haben ihr Interesse an der Ausstellung angemeldet

NRW-Justizminister Peter Biesenbach stellte in seinem Grußwort die sachgerechte Aufarbeitung des Themas „Justiz und Nationalsozialismus“ besonders heraus. Er befand ein mahnendes Gedenken als unerlässlich. Der Minister wünschte der Ausstellung viele Besucher. Bereits 30 Schulklassen haben ihr Interesse an der Ausstellung angemeldet. Oberstaatsanwalt Andreas Brendels auf der Eröffnungsveranstaltung geäußerter Appell: Alle sind aufgerufen, zu verhindern, dass so etwas – wie das von den Nazis angerichtete Leid – noch einmal möglich wird. Er forderte eine lebhafte Erinnerungskultur.

Justizminister Biesenbach: Selbst im rot geprägten Dortmund hatte sich nur wenige Wochen nach Hitlers Regierungsantritt der Einfluss des NS-Regimes gefestigt

NRW-Justizminister Peter Biesenbach.

Der Minister der Justiz des Landes Nordrhein-Westfalen, Peter Biesenbach, MdL, erinnerte in seinem Grußwort daran, dass nicht nur schon am 8. März 1933 vor mehreren begeisterten Menschen die Hakenkreuzflagge am Dortmund Rathaus gehisst worden, sondern auch erstmals am Dortmunder Landgericht zu sehen gewesen war. So sei der Zuspruch der Dortmunder Justiz zum NS-Staat auch nach außen deutlich geworden. Kurze Zeit später, am 20. April 1933, habe die Stadt Dortmund Adolf Hitler das Ehrenbürgerrecht als Geburtstagsgeschenk verliehen. Im selben Jahr sei auf dem großen Hansaplatz eine öffentliche Bücherverbrennung inszeniert worden, „der besonders Werke aus der hiesigen Stadt- und Landesbibliothek zum Opfer fielen“. Biesenbach weiter: „Diese Geschehnisse sind ein unverkennbarer Beleg dafür, dass das NS-Regime selbst im damals traditionell rot geprägten Dortmund wenige Wochen nach dem Regierungsantritt Hitlers seinen Einfluss gefestigt hatte.“

Sachgerechte Aufarbeitung des Themas „Justiz und Nationalsozialismus“ sowie ein mahnendes Gedenken sind unerlässlich, befand Peter Biesenbach

Einer der traurigsten Höhepunkte des Wirkens der Nationalsozialisten in Dortmund sei die Deportierung von mehreren tausend Dortmunder Bürgerinnen und Bürgern, vor allem jüdischen Glaubens, gewesen, von denen mindestens 2200 in den Ghettos und den Konzentrationslagern umkamen.

Ein Blick auf die Justiz in Dortmund in Zeiten des Nationalsozialismus offenbare nach wie vor Erschreckendes. Eine berüchtigte Anordnung des kommissarischen Justizministers Preußen Hanns Kerrl hin wurde auch bald in Dortmund umgesetzt. Demnach hatten jüdische Richter, Staatsanwälte und Beamte ihre Beurlaubung zu beantragen. Wer dem nicht Folge leistete – das betraf auch Rechtsanwälte – sollte fortan kein Zugang mehr zu den Gerichten erhalten.

Eine menschenverachtende Justiz habe ihren Lauf auch in Dortmund genommen. Beispielsweise seien durch ein eingerichtetes Erbgesundheitsgericht im Zeitraum von 1934 bis 1945 zirka 3500 Menschen von der Anordnung der Unfruchtbarmachung betroffen worden. Die Sterilisationen aufgrund von „angeborenem Schwachsinn“ seien in den Städtischen Krankenanstalten Dortmunds vorgenommen worden.

Auch in Dortmund sei ein Sondergericht eingerichtet worden. Es habe in der Zeit von 1933 bis 1945 allein 181 Todesurteile gefällt. Das erste politisch motivierte Todesurteil sei bereits im Dezember 1933 verfügt worden. „Der vorsitzende Richter Ernst Eckardt war der blutigste der Dortmunder Richter“, so Justizminister Biesenbach: „Er war an mindestens 61 Todesurteilen beteiligt.“

In Dortmunder Haftanstalt „Lübecker Hof“, auch daran erinnerte Biesenbach, sei sogar im Jahre 1943 eine eigene Richtstätte installiert worden. Mehr als 300 Menschen seien dort hingerichtet worden.

„Gerade mit Blick auf die schrecklichen Entwicklungen in den Justizeinrichtungen in Dortmund während der NS-Zeit“ merkte Minister Biesenbach an, „erscheinen mir eine sachgerechte Aufarbeitung des Themas „Justiz und Nationalsozialismus“ sowie ein mahnendes Gedenken als unerlässlich.“

Diesem Ziel diene die am Montag eröffnete Ausstellung. Als bedenklich bezeichnete Biesenbach die schauerliche Tatsache, dass damals neunzig Prozent der deutschen Juristen hinter dem NS-Staat gestanden hätten. Er wünsche sich heutzutage nicht nur von den jungen Juristen, sondern von allen, dass die Verfassung geschützt werde. In der Lage seien sie dazu. So etwas wie zur NS-Zeit sei heute nicht möglich, meinte der Minister.

Rechtsdezernent Norbert Dahmen: Dortmund ist keine Stadt des Extremismus. Dortmund ist eine Stadt des Widerstands gegen Extremismus

In Vertretung des verhindert gewesenen Oberbürgermeisters der Stadt Dortmund, Ullrich Sierau, richtete der Rechtsdezernent der Stadt, Norbert Dahmen, das Wort an die Gäste. Er machte klar, dass die Stadt Dortmund Wert darauf lege, „weltoffen und vielfältig“ zu sein. Abermals sei das durch

Der Dortmunder Rechtsdezernent Norbert Dahmen.

das kürzlich ausgerichtete Stadtfest „DortBunt“ aus der Mitte der Zivilgesellschaft heraus unter Beweis gestellt worden. Dahmen sprach die Probleme „unserer Stadt mit Rechtsextremen“ offen an, unterstrich jedoch: „Dortmund ist keine Stadt des Extremismus“. Dortmund sei eine Stadt des Widerstands gegen Extremismus. Erst kürzlich am 25. Mai hätte über tausend DortmunderInnen gezeigt, „dass rechtsextremistisches Gedankengut in unserer Stadt keinen Platz hat“. Dahmen war neben anderen daran beteiligt, dass antisemitische Wahlplakate hätten abgehängt werden müssen. Ein Aktionsplan gegen Rechts sei in der Stadt Dortmund entstanden. Alle demokratischen Kräfte der Stadt Dortmund hätten sich dafür ausgesprochen. Dahmen: „Stadtgesellschaft, Politik und Stadtverwaltung, Polizei und Justiz gehen bei der Bekämpfung von Rechtsextremismus geschlossen vor.“

Die Zentralstelle Dortmund im Land NRW für die Bearbeitung von nationalsozialistischen Massenverbrechen hat bis heute 1482 Ermittlungsverfahren bearbeitet, berichtete Oberstaatsanwalt Andreas Brendel

Oberstaatsanwalt Andreas Brendel, Leiter der Zentralstelle Dortmund im Land NRW für die Bearbeitung von nationalsozialistischen Massenverbrechen, merkte in seinem Grußwort an, dass die Nachkriegsjustiz der BRD sicherlich bei der Aufarbeitung der angesprochenen Verbrechen des NS-Regimes vieles falsch gemacht, beziehungsweise vieles vernachlässigt hätte. Nach den Nürnberger Prozessen und der Strafverfolgung im Ausland (z.B. in der Sowjetunion und Polen) habe man es hierzulande nur noch mit wenigen Restverfahren zu tun gehabt. Brendel: „Zwischenzeitlich waren die mit Persilscheinen ausgestatteten Bundesbürger nicht nur vom Wirtschaftswunder erfasst, sondern auch von einer Schlussstrichmentalität.“ Im Jahre 1956 durch den sogenannten Ulmer Einsatzgruppen-Prozess habe diese einen Dämpfer erhalten. Im Sommer 1958 seien zehn Angeklagte wegen deren Beteiligung an der Tötung von mehreren tausend Juden durch das Schwurgericht des Landgerichts Ulm zu Freiheitsstrafen verurteilt worden. Dadurch sei bekannt geworden, welch schwerwiegende Verbrechen mit auch in Deutschland lebenden Tätern nicht verfolgt worden sind. Daraufhin habe man Herbst 1958 die Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltung in Ludwigsburg zur Aufklärung von NS-Verbrechen eingerichtet worden.

Oberstaatsanwalt Andreas Brendel.

Seit Beginn der 60er Jahre führt die Zentrale Stelle umfangreiche Vorverfahren durch und gibt die Verfahren sodann an die zuständigen Staatsanwaltschaften ab. Um diese Verfahren sachgerecht fortführen zu können, wurden in Nordrhein-Westfalen im Herbst 1961 Zentralstellen bei den Staatsanwaltschaften in Dortmund und Köln eingerichtet. Die Zentralstelle in Köln war für Taten innerhalb von Konzentrationslagern zuständig, die Zentralstelle in Dortmund für die Verfolgung von sonstigen nationalsozialistischen Gewaltverbrechen.

Sie hatte und habe, referierte Oberstaatsanwalt Brendel, auch heute noch die Aufgabe alle erreichbaren Erkenntnisse von außerhalb und innerhalb von Deutschland begangene Verbrechen sammeln, zu sichten und an die zuständigen Staatsanwaltschaften weiterzuleiten. Brendel berichtete: Bis heute habe allein die Zentralstelle in Dortmund 1482 Ermittlungsverfahren bearbeitet.

Vortrag des Leiters der Dokumentations- und Forschungsstelle „Justiz und Nationalsozialismus“ NRW

Der Leiter der Dokumentations- und Forschungsstelle „Justiz und Nationalsozialismus“ NRW, Stephan Wilms, hielt einen Vortrag über deren seit 30 Jahren währenden Arbeit. Er nahm die Anwesenden mit auf ein kleine virtuelle Führung durch die Wanderausstellung, welche erstmals im September 2016 auf dem 71. Deutschen Juristentag in Essen gezeigt wurde. Die Exposition besteht nun aus 6 Elementen mit 12 Tafeln. Diejenigen Besucherinnen und Besucher, die sich vertieft mit dem Thema „Justiz und Nationalsozialismus“ beschäftigen möchten, können sich mit Hilfe der Dokumentenhefte, die der jeweiligen Tafel beiliegen, eingehend informieren. Ergänzt wird dieses Angebot durch eine Vitrine, in der unter anderem das typische Handwerkszeug der Juristen ausgestellt ist. An einer Bildschirmstation werden kurze Filmaufnahmen gezeigt.

Die Verfolgung und Ahndung der Taten des NS-Regimes, referierte Wilms, sei in der jungen Bundesrepublik oftmals unzureichend gewesen. Richter und Staatsanwälte, die schon während der NS-Zeit in der Justiz Dienst taten, hätten ihre Karrieren im neuen Rechtsstaat zumeist unbehelligt fortsetzen können. Nach dem Ende der NS- Diktatur sei es zunächst nahezu unmöglich gewesen, das Geschehene offen und vorurteilsfrei aufzuarbeiten. Spätestens Mitte der 1980er Jahre habe hier ein breites Umdenken eingesetzt.

Die Wanderausstellung lädt dazu ein, sich mit der Rolle der Justiz im Nationalsozialismus zu beschäftigen. Sie bleibt aber nicht bei der Zeit des Nationalsozialismus stehen, sondern stellt auch gerade mit Blick auf die Justiz die Aufarbeitung des NS-Unrechts nach dem Kriegsende und seit der Gründung der Bundesrepublik bis in die heutige Zeit dar. Die in der Ausstellung aufgegriffenen Themen reichen insbesondere von der Machtergreifung der Nationalsozialisten über die personellen Kontinuitäten in der bundesdeutschen Nachkriegsjustiz und die Bemühungen um Wiedergutmachung (die es freilich ohnehin nicht geben könne, wie Stephan Wilms betonte) bis zu der in die heutige Zeit hineinreichenden strafrechtlichen Ahndung von nationalsozialistischen Gewaltverbrechen.

Die musikalische Begleitung der Veranstaltung hatte Marko Braun übernommen. Ausgewählt und interpretiert worden waren von ihm drei Musikstücke, welche drei Zeitbereiche, kennzeichnen sollten: Machtergreifung und Widerstand, Zeit des Vergessens und des Wirtschaftswunders sowie Zeit der Aufarbeitung

Öffnungszeiten

Mo. – Do. 10.00 – 15.00 Uhr Fr. 10.00 – 14.00 Uhr

Eine Wanderausstellung der Dokumentations- und Forschungsstelle

„Justiz und Nationalsozialismus“ Nordrhein-Westfalen

Eingangsbereich des Amtsgerichts und der Staatsanwaltschaft

Eingangsbereich des Amtsgerichts

der Staatsanwaltschaft Gerichtsplatz 1

44135 Dortmund

Der Eintritt zur Wanderausstellung und zu den Führungen ist frei.

Einige Tafeln der Ausstellung

Prostitution in St. Petri Dortmund diskutiert. Fazit: Gegen Stigmatisierung eintreten. Andere respektieren

TeilnehmerInnen der Podiumsdiskussion. Fotos: Claus-D. Stille

Huren in der Kirche? Nicht nur auf den Bildern, Arbeiten von Bettina Brökelschen, welche Prostituierte darstellen, die in der Dortmunder Bordellstraße Linienstraße arbeiten und Einblicke in deren Arbeit geben. Dazu ein Bericht von Heike Becker-Sander auf Nordstadtblogger.de.

Sondern auch noch leibhaftig! In der Kirche! Warum eigentlich nicht? Sind sie als Prostituierte doch ebenfalls Mitglieder unserer Gesellschaft. Mag es den einen oder anderen nun passen oder nicht. Da ist in unserer Gesellschaft auch viel Heuchelei im Spiele. Es heißt, täglich besuchen ca. 1,2 Millionen Männer in Deutschland Prostituierte.

Am vergangenen Mittwoch fand eine Abendveranstaltung in der Dortmunder Petrikirche unter dem Titel „Alles Nutten, oder was? – Sind Prostituierte der Mülleimer der Gesellschaft?“ statt. Die Podiumsdiskussion war

Szene in der Linienstraße Foto via B. Brökelschen

außerordentlich gut besucht, sehr informativ und es ging ausgewogen, sachlich und respektvoll zu.

Der Hintergrund

Das Prostitutionsschutzgesetz (dazu ein älterer Beitrag von mir) wurde im vergangenen Jahr geändert. Was angeblich zum Schutz der Prostituierten ersonnen worden war – der sogenannte „Hurenpass“ – wirkt sich auf die Sexarbeiterinnen nachteilig aus. Bei dieser Veranstaltung wurde über Prostitution in Dortmund, dem besonderen „Dortmunder Modell“, das sich gegen Menschenhandel richtet, informiert und über die Würde von Prostituierten diskutiert.
Podiumsdiskussion mit VertreterInnen von der Kirche, einem Bordellbetreiber, mit Prostituierten, die in der Linienstraße arbeiten und der Mitternachtsmission. Mein besonderer Respekt – das schon mal vorweg geschoben gilt den beiden Prostituierten „Ina“ und „Anna“, dem Bordellgast, „Klaus“, sowie dem Ex-Leiter des zuständigen Kriminalkommissariats (Sitte) in Dortmund. Großen Dank gilt auch den Vertretern der in diesem Jahr 100 Jahre alt gewordenen Mitternachtsmission für deren so wichtige Sozialarbeit.

Pfarrerin Schürmann zu Prostitution und Kirche: In früheren Zeiten gehörte das zusammen in Form von Ablehnung und Stigmatisierung. Heute gehört das zusammen in Form von Solidarisierung und Rückbesinnung

„Agenzia, Anna, Maria, Magdalena, Helena, diese Frauen hätten in St. Petri fast Ewigkeitscharakter, sagte die das Publikum begrüßende Pfarrerin Christel Schürmann. Es seien nämlich die Frauen, die in den Altarbildern („Goldenes Wunder“) verewigt sind. Sie seien nämlich mit Familiengeschichte Jesu verbunden und spielten eine ganz besondere Rolle. Hinter jedem Namen stecke ja eine Geschichte.

Pfarrerin Schürmann: „Und genauso ist das mit Irina, Chantal, Coco, Sunny, Angelique und Heike. Sie all sind seit letzter Woche in St. Petri in Dortmund zu sehen. Auf den Bilder der Künstlerin Bettina Brökelschen, woran sie fast zwei Jahre gearbeitet hat. Auch diese Frauen, erklärt die Pfarrerin, hätten ihre ganz persönliche Geschichte: „Bilder von Frauen in dieser Kirche sind eigentlich nichts besonderes. Oder eben was ganz besonderes.“ Die Frauen auf den Altarbildern würden zwar immer häufig genannt. Um die von Bettina

Bild aus der Ausstellung von Bettina Brökelschen in der Petrikirche Dortmund. Foto via B. Brökelschen.

Brökelschen gemalten Frauen freilich ging es in dieser Abendveranstaltung in dem sich als Stadtkirche begreifendem Gotteshaus. „Um ihren Beruf, ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen, auch um ihre gesellschaftliche Anerkennung.“ Dazu gehöre auch Rechtssicherheit, Schutz vor Gewalt und Menschenhandel.“ Prostitution und Kirche. In früheren Zeiten gehörte das zusammen in Form von Ablehnung und Stigmatisierung. Heute gehört das zusammen in Form von Solidarisierung und Rückbesinnung. „Denn anders als viele denken, sprechen viele biblische Texte keineswegs abfällig von Prostituierten. Sondern wir könnten Geschichten lesen, wie zum Beispiel die von einer Tamar, die sich prostituiert, um zu ihrem Recht zu kommen. Und damit beschämt sie nicht sich selbst sondern alle anderen. Oder wir können von der Hure Rahab lesen, die zwei israelitische Kundschafter in ihrem Haus versteckte. Auch Jesus sei nicht zu vergessen, der mit Prostituierten an einem Tisch gemeinsam zum Essen saß. Der vorbildlich Gerechtigkeit lebte und damit im Kontrast stand zum Mangel der Gerechtigkeit vieler etablierter Menschen.

Keine Idealisierung von Prostitution

Dennoch solle dieser Abend in der Kirche nicht einer Idealisierung von Prostitution dienen, gab die Pfarrerin zu verstehen. Aber es solle geredet werden über Würde, über Gerechtigkeit, über gesetzliche Bestimmungen und über gesellschaftliche Ächtung.

Die Linienstraße hat zur Gründung der Dortmunder Mitternachtsmission beigetragen

Jutta Geißler-Hehlke, Vorstandsvorsitzende des Fördervereins der Mitternachtsmission, erinnerte daran, dass die Dortmunder Linienstraße nicht nur älter ist als die Dortmunder Mitternachtsmission, sondern dazu beigetragen habe, dass diese gegründet wurde.

Ex-Polizist Heiner Minzel über die Situation in der Linienstraße und den ständigen Kontrolldruck im Rahmen des Dortmunder Modells

In der Dortmunder Linienstraße befinden sich sechzehn Häuser , in denen 180 bis 200 Frauen der Prostitution nachgehen, erklärte der frühere Leiter des Dortmunder Sittendezernats (KK12) der Polizei , Heiner Minzel (zur ihm hier mehr).

Ex-Leiter des Dortmunder Sittendezernats Heiner Minzel.

Seitens der Polizei werde, berichtete Minzel, die Linienstraße regelmäßig kontrolliert und aufgesucht. Zwecks Gefahrenabwehr und zur Strafverfolgung. Im Hinblick auf illegalen Aufenthalt, Straftaten wie Menschenhandel oder auch Zuhälterei. In der ganzen Stadt Dortmund werde diesbezüglich seit Jahren ein Kontrolldruck ausgeübt. Es finde im Rahmen des Dortmunder Modells eine Zusammenarbeit mit den Ordnungsbehörden, der Staatsanwaltschaft aber auch mit den Bordellbetreibern statt. „Von daher gab es über die Jahre ein gewachsenes Miteinander“, sagte der pensionierte Polizist. Straftaten wie Menschenhandel oder Zuhälterei kämen nur noch in einem sehr geringen Maße vor. „Ausrotten wird man das nicht können“, gab Heiner Minzel zu bedenken. „Aber durch die Kooperation mit dem Runden Tisch Prostitution“ habe sich eine“fast entspannte“ Situation entwickelt.

Auch Bordellbetreiber Nedo Setka lobte das Dortmunder Modell.

Ina“ und „Anna“ kennen Bordellkunden „Klaus“: Er ist immer nett zu uns. Man hat immer füreinander viel Verständnis

Bordellgast „Klaus“, dessen Gesicht eine Donald-Trump-Maske verdeckte, erklärte er gehe in die Linienstraße, um ungehemmt, „hemmungslos“, seine Sexualität ausleben zu könne. Wenn er von Hemmungen spricht, meint er welcher der Art, die ihn befallen, wenn er eine Frau im Restaurant oder in der Disko anspreche. Es gebe halt Dinge in Sachen Sexualität, die man vielleicht mit

Bordellgast „Klaus“ mit Donald-Trump-Maske.

der Ehefrau, der Partnerin zuhause nicht gerne auslebe.

Den beiden anwesenden Prostituierten „Ina“ und „Anna“, verkleidet mit Perücken und Sonnenbrillen, ist „Klaus“ als Bordellkunde persönlich bekannt.

Zirka zwei Jahre kenne sie ihn, sagte „Anna“: „Er ist immer nett zu uns. Man hat immer füreinander viel Verständnis.“ Was auch diese Hemmungen angehe, von denen „Klaus“ gesprochen hatte. Man werde bei ihnen nicht nach Neigungen beurteilt oder gar dafür verurteilt. In den zwei Jahren, die man sich kennt, habe man auch etwas Zwischenmenschliches aufgebaut. „Klaus“ sei schon ein ganz netter. In Sachen „Hemmungslosigkeit“ hätten die Frauen schon ganz anderes erlebt. Über Einzelheiten wollten sie nicht sprechen in einer Kirche. „Anna“: „Wir können über alles reden.“ Später am Abend antwortete „Ina“ auf die Publikumsfrage, was sie täten, wenn Freier gewalttätig würde: „Wir verlassen unseren Raum und schreien.“ Im Haus wo sie arbeiteten sind 13 Frauen. Die eine oder andere werde das hören. Die kämen dann aus ihren Zimmern. Die Wirtschafterin wird gerufen. In schlimmeren Fällen auch die Polizei.

Jutta Geißler-Hehlke: Es kommt auf den Unterschied an

Der Moderator des Abends stellte klar, es ginge ja natürlich auch um die Frage, ob die Damen die Prostitution freiwillig oder gezwungen ausüben. Jutta Geißler-Hehlke, langjährige Chefin der Mitternachtsmission, kam bei ihrer Antwort darauf auf Feministin Alice Schwarzer zu sprechen. Die habe sie mal irgendwie ganz gut gefunden. Wenn Schwarzer jedoch jetzt über Prostitution spreche, mache sie keine Unterschiede: „Sie schmeißt alles in einen Topf. Sie macht keinen Unterschied zwischen Zwangsprostitution und Menschenhandel – das ist ein Verbrechen – und darf nicht unter Prostitution laufen. Und auch Kinder- und Jugendprostitution ist ein Verbrechen.“ Etwas anderes seien Prostitutionsmigrantinnen, die ihre Familie im Heimatland ernähren.“ Da müsse strikt getrennt werden, meinte Geißler-Hehlke. In Frauen die freiwillig der Prostitution nachgehen. Und welche die dazu gezwungen werden. Da müsse sie Bordellbetreiber Setka beipflichten. Im Rahmen dieses Dortmunder Modells, diesen Runden Tisches Prostitution, seien auch die Betreiber in der Linienstraße auf das Probleme aufmerksam geworden. „Und wenn da das Gefühl ist, da ist eine Frau, die wird gezwungen – das kann man nicht mit ein- oder zweimal sehen.“ Die Kolleginnen der Mitternachtsmission gehen dann mit Muttersprachlern dahin und fragen. „Die kriegen das raus. Im Laufe der Zeit sowieso.“ Auch die Betreiber hülfen dann, dass die Frauen da wegkommen von der Zwangsprostitution.“ Es komme also auf den Unterschied an.

Bordellbetreiber Nedo Setka: Der Prostituierten eine Stimme geben, dass sie sich sicher fühlt. Sich Pauschalisierungen entgegenstellen

Nedo Setko meinte, es gebe ganz bestimmt in der Linienstraße auch erzwungene Ausnutzung von Prostituierten – bei 180 Frauen, die dort arbeiteten. „Da sind etliche, die jung sind und nicht wissen was sie tun. Die auch überredet worden sind. Die aus osteuropäischen Staaten kommen.“ Aber das betreffe durchaus auch Frauen aus Deutschland zu. „Aber wenn wir uns der Sache nicht stellen, der Prostituierten eine Stimme geben, dass sie sich sicher fühlt – wie wir das in Dortmund seit Jahrzehnten machen – und das Vereine gibt wie die Mitternachtsmission, die sich auch gegen Pauschalisierungen stellen, dass jede Prostituierte drogensüchtig ist – dann haben wir verloren.“

Anna“: „Hurenpässe“ wirken wie ein Stempel auf der Stirn. „Das ist Stigmatisierung“

Foto via B. Brökelschen.

Das sogenannte, inzwischen gültige Prostituiertenschutzgesetz (dazu hier etwas), gestand eine der anwesenden Prostituierten, verstünden sie noch immer nicht. Ein Steuerberater helfe ihnen zwar dabei. Jedoch störe sie die mit neuem Gesetz obligatorisch vorgeschriebenen „Hurenpässe“ (darauf stehen persönliche Daten, ein Foto, „ist tätig nach dem Prostituiertenschutzgesetz“), die sie immer bei sich tragen müssen. „Das ist Stigmatisierung. Keine anderer Beruf brauche einen solchen Pass.“ Es werde als Diskriminierung empfunden. „Es ist wie ein Stempel auf der Stirn: Hure.“

Huren wirken durchaus auch therapeutisch

Moderator Dr. Friedemann Grenz konnte sich vorstellen, dass der Beruf der Hure auch durchaus therapeutische Aspekte beinhalte. Eine der jungen Damen bestätigte das. Es sei öfters der Fall, dass gestresst von der Arbeit sind oder „seelische Last haben“. „Dann wird gesprochen. Auch über ernsthafte Sachen.“

„Es gibt viele Männern, die allein, die alt sind. Für die sind wir auch da. Es gibt auch Männer, die körperliche Behinderungen haben. Die Komplexe haben. Und keine Frau. Oder sich nicht trauen, eine anzusprechen.“ Es ginge bei ihnen nicht immer nur um „Arbeit“, sprich: Sex.

Den Frauen in erster Linie Respekt entgegenbringen, sie so annehmen wie sie sind

Es ginge bei der Arbeit der Mitternachtsmission in erster Linie, sagte Jutta Geißler-Hehlke, nicht darum die Frauen von der Prostitution wegzubringen, sondern ihnen Respekt entgegenzubringen. Es gelte die Frauen erst einmal so anzunehmen wie sie ist. „Wenn eine Frau aussteigen will, werden wir ihr dabei helfen. Und zwar nicht nach fünf Monaten oder einem Jahr, sondern sofort.“ Als die Mitternachtsmission vor hundert Jahren gegründet wurde, sei das anders gewesen. Da habe der Ausstieg der Frauen im Vordergrund gestanden. Was mit der damals vorherrschenden bürgerlichen Moral – und speziell der kirchlichen – zu tun gehabt hätte, erklärte Geißler-Hehlke.

Fragen und Bemerkungen aus dem Publikum

Das neue Prostituiertenschutzgesetz diene eher der Kontrolle und Bestrafung als es den Prostituierten nutze, meinte Andrea Hitke von der Dortmunder Mitternachtsmission

Andrea Hitzke von der Mitternachtsmission erläuterte zunächst das sehr umstrittene, seit letztem Jahr gültige Prostituiertenschutzgesetz (ProstSchG). Sie selbst war seinerzeit zu einer Anhörung in den Deutschen Bundestag nach Berlin gefahren. Aus Sicht von Experten und mit denen Hitzke konform ging, dient dieses Gesetz eher der Kontrolle und Bestrafung als das es Prostituierten nütze. Weil es sei „ein Stück weit stigmatisiere“. Beziehungsweise Prostituierte in Graubereiche abdränge, wo diese unter Umständen Gewalt ausgeliefert sein könnten. Jedoch, so Hitzke enttäuscht, seien fast alle Einwände der ExpertInnen von der Politik in den Wind

Die Vertreterinnen der Dortmunder Mitternachtsmission bei einer früheren Veranstaltung: Andrea Hitzke, Silvia Vorhauer und Petra Papirowski (v.L.n.r.). Fotos (2): Leopold Achilles

geschlagen worden. Auch Prostituierte aus Rumänien könnten, gab Hitzke zu bedenken, durch den „Hurenpass“ zuhause in Schwierigkeiten kommen: In dem Land ist Prostitution nämlich verboten.

Gewerkschafter: Die Gesellschaft müsse erst mal akzeptieren, das Prostitution ein Beruf ist

Ein Gewerkschaftsvertreter sprach aus eigener Sicht zum Gesetz. Die Prostitution sei eben kein Beruf wie jeder andere. Prostituierte hätten allein die Krankenversicherung betreffend Schwierigkeiten, müssten sich womöglich sogar zu horrenden Preis privat versichern. Trete ein Bordellbetreiber, wie Herr Setka als Arbeitgeber auf, mache er sich strafbar. „Es müsste doch erst mal die Gesellschaft akzeptieren, dass das ein Beruf ist.“ Er habe auch Prostituierte in die Gewerkschaft aufgenommen. Da gebe es schon ein Problem: „Was für eine Berufsbezeichnung haben die denn?“ In der Gewerkschaft habe man Bedenken gehabt. „Warum kann man denn da nicht hineinschreiben ‚Prostituierte‘?“ Keiner wollte das machen. „Wie sollen die ihre Rechte einfordern?“ Ein Wunsch des Gewerkschafters: Wenn doch nur die Gesellschaft mal so weit wäre, diesen Beruf zu akzeptieren!

Terre de Femmes: Prostitution ist keine Dienstleistung, sondern Gewalt an Frauen

Eine „Mitfrau“ von Terre de Femmes, angereist aus Berlin, berichtete, sie träten für das „Nordische Modell“ (wonach etwa in Schweden die Kunden der Prostituierten bestraft werden). Das deutsche Prostituiertenschutzgesetz, meinte die junge Frau, habe seine Wirkung verfehlt. Prostitution sei „auch keine Dienstleistung, sondern Gewalt an Frauen“. In Deutschland herrsche „organisierte Kriminalität in größtem Maße. Deutschland ist das Bordell

Europas geworden“.

Kriminalkommissar a. D. Heiner Minzel zum „Schwedischen Modell“: „Was Schweden macht – und das sage ich ganz deutlich – ist ein Treiben der Prostitution ins Dunkelfeld“

Kriminalkommissar a. D. Heiner Minzel schüttelte mit dem Kopf: Es sei schon gewagt, Deutschland als das Bordell Europas darzustellen. Die Polizei in der BRD hätte schon genügend Möglichkeiten – auch im Bereich Rotlicht – einzugreifen. Es brauche allerdings eine ständige Kontrolle und Ermittlungsdruck. „Weil sich im Rotlichtbereich viele Subjekte sammeln.“ Er wandte überdies ein: Auch Männer übten Prostitution aus. Die Stadt Dortmund stehe in Nordrhein-Westfalen mit dreizehn Strafverfahren an erster Stelle, was die Ahndung von Menschenhandel anbelangt. Zum „Nordischen Modell“ sagte Minzel: „Was Schweden macht – und das sage ich ganz deutlich – ist ein Treiben der Prostitution ins Dunkelfeld.“ Kein Opfer werde man finden, das als Hure eine Vergewaltigung anzeige. „Was nicht sein darf, wird auch nicht angezeigt.“

Anna“: „Es wäre schön, wenn die Gesellschaft uns eine Chance gibt“

Eine Ärztin erklärte den Huren ihren Respekt. Was forderten sie von der Gesellschaft? „Anna“: „Mehr Akzeptanz von der Gesellschaft.“ Ein einfaches Beispiel: Sie habe einen Handyvertrag abschließen wollen und wurde vom Verkäufer nach ihrem Beruf gefragt. Ihre Antwort: „Ich arbeite in der Linienstraße.“ Daraufhin habe der Verkäufer sie – im Geschäft voller Menschen – von unten nach oben angeschaut und gesagt: „Sie sehen aber gar nicht so aus.“ Und sie habe damals zurück gefragt: „Wie muss ich denn aussehen?“ Gleiche Schwierigkeiten treten auf, wenn sie eine Wohnung suchten. „Bei uns gehen die Türen einfach zu. Es wäre schön, wenn die Gesellschaft uns eine Chance gibt.“ Heftiger Beifall im Kirchenschiff.

Fazit des Abends

Jutta Geißler-Hehlke sprach auf eine Frage aus der Zuhörerschaft betreffs der Situation rund um die Prostitution von einer Normalität, die zur Kenntnis genommen werden müsse. Wichtig sei es die Situation mal anders und damit realistisch zu sehen „Wer Steuern zahlt muss die gleichen Rechte wie andere Menschen haben. Prostitution sei in Deutschland seit 1926 nicht verboten. Und seit 1966 steuerpflichtig.

Bordellbesitzer Setka: Vielleicht hat dieser Abend dazu beigetragen, dass diese Frauen nicht immer nur angreift, sondern auch ein Stück weit akzeptiert

Bordellbetreiber Nedo Setka.

Die zwei Frauen aus der Linienstraße Mädels wären am Anfang sehr zögerlich gewesen, Vertreterinnen zu dieser Podiumsdiskussion zu entsenden, erzählte Bordellbesitzer Nedo Setko.. Dann aber haben sich hätten sie sich aber „Ina“ und „Anna“ bereit erklärt an der Podiumsdiskussion teilzunehmen. Bordellbetreiber Setka: „Ich bin angenehm überrascht, wie selbstsicher die Mädchen auf dem Podium diskutieren und sehr stolz darauf. Als wir heute Abend nach hier hin abfuhren, hat jede Frau, die in der Linienstraße an ihrem Fenster gestanden hat, ihren Kolleginnen applaudiert.

Dieser Abend habe vielleicht etwas dazu beigetragen, dass man diese Frauen nicht immer nur angreift, sondern auch ein Stück weit akzeptiert.

Es gelte eine gesellschaftliche Debatte zu führen.

Wir sollten uns selbst einmal fragen, wie wir unser Verhalten betreffend agieren und wie tolerant wir zu Menschen sind, die uns persönlich fremd sind. Ein zutiefst menschliche und zwischenmenschliche Geschichte, die uns alle fordert. Einer Frau, die bezüglich der Situation im Bordell skeptisch bot Setko an die Telefonnummern auszutauschen: „Ich führe sie gerne in der Linienstraße herum.“

Moderator Dr. Friedemann Grenz: Jeder muss ein Beispiel setzen und den anderen respektieren

Das Schlusswort vom Moderator: Jeder von uns muss ein Beispiel setzen. Den anderen respektieren. Sonst können wir nicht erwarten, dass wir respektiert werden.

Ein Journalist: Warum gibt es eine Stigmatisierung? Der Artikel 1 GG regelt doch alles

Ein Journalist wunderte sich, dass es überhaupt eine Stigmatisierung gebe oder einen herabwürdigenden Blick auf Damen gibt, die diesen Beruf ausüben. Das sein doch mit einem einzigen Satz im Grundgesetz (Artikel 1 GG) geregelt: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Da stehe am Ende ein Punkt und eben kein Komma.

Hinweis: Die sehenswerte Ausstellung der Künstlerin Bettina Brökelschen in der Dortmunder Petrikirche ist nur noch zu sehen bis Donnerstag, 4. Oktober, jeweils Dienstag bis Freitag von 11 bis 17 Uhr, Samstag 10 bis 16 Uhr.

Ich bitte die schlechte Qualität einiger Fotos zu entschuldigen.

Links

http://stpetrido.de/cms/index.php/kirche/geschichte

http://helmutvoss.de/kirchen_dortmund_st_petri01.html

https://de.wikipedia.org/wiki/Goldenes_Wunder_von_Westfalen

Ausstellungstipp: TOUCHDOWN in der Bundeskunsthalle Bonn. Schau mit und über Menschen mit Down-Syndrom

Wolfgang und Robert Petkewitz, fotografiert für das Ohrenkuss-Heft VÄTER Foto: Martin Langhorst, Köln. 

Wolfgang und Robert Petkewitz, fotografiert für das Ohrenkuss-Heft VÄTER
Foto: Martin Langhorst, Köln.

Eine Ausstellung mit und über Menschen mit Down-Syndrom ist am 28. Oktober 2016 in der Bundeskunsthalle in Bonn eröffnet worden. In der Ausstellung TOUCHDOWN dreht sich alles um das Down-Syndrom. Gezeigt werden Spuren von Menschen mit Down-Syndrom in verschiedenen Zeiten und Ländern. Sowie in Filmen im Theater und der Gesellschaft.

Die Besucher der Exposition können erfahren, wie Menschen mit Down-Syndrom leben. Wie sie früher gelebt haben. Und wie sie in Zukunft leben möchten. Leserinnen und Leser des Magazins Ohrenkuss (hier mehr) dürften in dieser Hinsicht bereits bestens informiert sein. Die Ausstellung, die informieren und Fragen über Unterschiede und Gemeinsamkeiten stellen will, ist von Menschen mit und ohne Down-Syndrom gemacht und im Team erarbeitet worden. Bei Führungen können die Besucher mit ihnen ins Gespräch kommen. Es geplant, dass sie dann weiter wandert. Wohin ist noch nicht bekannt. Die Schau kam in Kooperation mit dem Forschungsprojekt Touchdown21 (dazu auch hier) zustande. Die Veranstalter sprechen von der ersten Schau dieser Art. Laut dpa betonte der Intendant der Bundeskunsthalle, Rein Wolfs, am vergangenen Freitag: „Es ist keine Inklusionsausstellung“. Die Schau verknüpfe auf einzigartigen Weise Kunst, kulturhistorische Aspekte und aktuelle Informationen zum Thema. Vorurteile sollen abgebaut und eine Debatte um gesellschaftliche Vielfalt befördert werden.

Das Ausstellungs-Team:

Dr. Katja de Bragança, Biologin und Humangenetikerin, Gründerin und Chefredakteurin von „Ohrenkuss … da rein, da raus“, dem Magazin, gemacht von Menschen mit Down-Syndrom, Dr. Heinz Greuling, Regisseur und Wissenschaftsjournalist, Rikola-Gunnar Lüttgenau, Historiker, Stellv. Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora.

Beirat:

Julia Bertmann, Autorin beim Magazin „Ohrenkuss …da rein, da raus“, sie hat das Down-Syndrom

Prof. Dr. Dr. Heinz Schott, Leiter des Instituts für Geschichte der Medizin an der Universität Bonn bis 2014 und Anne Leichtfuß, Online-Redakteurin, Übersetzerin für Leichte Sprache. Ausstellungsleiterin ist Henriette Pleiger (Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland).

Die Ausstellung „Touchdown“ ist noch bis zum 12. März 2017 in Bonn zu sehen.