In den Jahren, in denen wir in die Corona-Zeit hineingerutscht wurden, ist uns schier Unfassbares geschehen. Was ist uns nicht alles zugemutet wurde. Hand aufs Herz: Wer von uns hätte sich derlei zuvor ausmalen können? Eine dunkle Wolke schwebte fortan über unseren Köpfen.
Ängste befielen, begleiteten uns
Welche Angst war stärker: die vor einem gewiss existierenden Virus, oder die Angst vor den Maßnahmen, welche uns tagtäglich – als wie irr- und widersinnig sie sich auch herausstellen mochten – von Politik und ihr nachplappernden Medien übergeholfen – befohlen – wurden, um uns angeblich vor diesem Virus und dessen Weitergabe an andere zu schützen?
Der geschätzte Kognitionsforscher Rainer Mausfeld („Warum schweigen die Lämmer?“) schätzte kürzlich in der Diskussionsrunde nach einem seiner Vorträge ein: „Um Gesundheit ging es nicht.“
Ist nun alles wieder in Ordnung? Mitnichten!
Nun,wo die Corona-Pandemie (als Pandemie konnte sie nur eingestuft werden, weil 2009 die Kriterien dafür geändert worden waren) sozusagen vorbei ist, können wir doch wohl nicht einfach so weiterleben wie vor ihr – oder? Zwar stellen sich nun immer mehr Bedenken, die etwa betreffs der mRNA-Impfungen, von einstmals anerkannten Experten schon früh geäußert worden waren als richtig heraus – weswegen sie plötzlich als Schwurbler und Verschwörungstheoretiker diffamiert worden waren – als richtig heraus. Inzwischen wird nun auch in den Mainstream-Medien über Impfschäden berichtet. Aber ist nun alle wieder in Ordnung? Mitnichten!
Schließlich hatte man unsere Grundrechte eingeschränkt. Verstöße gegen Corona-Maßnahmen sind mit Geldstrafen bedacht worden. In Slowenien werden übrigens diese Strafgelder inzwischen wieder zurückgezahlt. Bei uns geschieht nichts dergleichen.
Unsere Gesellschaft ist tief gespalten (worden)
«Machen wir uns doch nichts vor: Unsere Gesellschaft ist tief gespalten (worden)«, schrieb ich in meiner Rezension zu „Autor*innen- Kollektiv: COVID-19 INS VERHÄLTNIS SETZEN. Alternativen zu Lockdown und Laufenlassen #coronaaussoehnung“: «Nicht zuletzt verstärkt durch die rasante Implementierung des unsere Gesellschaften zerstörenden Neoliberalismus. Die Schere zwischen Arm und Reich klafft besorgniserregend auseinander. Doch damit nicht genug. Seit anderthalb Jahren gibt uns die Corona-Krise sozusagen den Rest. Es zeichnet sich nach dieser düsteren Zeit, in welcher auch die Demokratie beschädigt wurde, indem unsere verbrieften Grundrechte unverhältnismäßig eingeschränkt worden sind, ab, dass das Virus allein diese Spaltung nicht verursacht hat, sondern vielmehr die dagegen ergriffenen Maßnahmen dafür verantwortlich sind. Eine Aussöhnung der in der Corona-Krise Verstrittenen wird notwendig werden.«
Corona wirkte wie ein Brennglas
Wenn man das überhaupt so sagen kann, hat die Corona-Krise immerhin ein „Gutes“ gehabt: Sie hat unserer Gesellschaft, unserer Gesellschaftsordnung die imaginär vorhandene Maske (die man uns ironischerweise in Form eines Mund-Nasenschutz-Masken auch noch physisch verordnete) vom Gesicht gerissen. Alles was nicht stimmt in unserer Gesellschaft wurde krass offenbar. Der König stand nackt da. Corona wirkte wie ein Brennglas, durch welches sichtbar wurde, was alles nicht stimmt mit und bei uns. Selbst das vergessen geglaubte Blockwartwesen erstand erschreckender Weise wieder auf.
„Wir sind in den Fluss Lethe gestiegen“, den Fluss des Vergessens
Jan David Zimmermann, Schriftsteller, akademisch ausgebildeter Wissenschaftsphilosoph und Wissenschaftshistoriker aus Wien, schreibt in seiner „Einleitung: Der Fluss des Vergessens“ zu seinem Buch „Lethe. Vom Vergessen des Totalitären“ – Politische Essays 2021-2022“: „Wir sind in den Fluss Lethe gestiegen und haben trotz einer sprachlichen Erinnerungskultur, trotz sprachlicher Achtsamkeit in vielen Belangen, trotz einer immensen Akademiesierung vergessen, was das Totalitäre ausmacht und wie wir es erkennen (können), wenn es mit anderen Vorzeichen auftritt und wie es sich Schritt für Schritt etabliert.“
Eine Erklärung zum Buch: „Der Fluss Lethe wird in der griechischen Mythologie als Fluss des Vergessens bezeichnet. Wer sein Wasser kostet oder in ihm badet, der verliert die Erinnerung.
Genau dies ist mit uns als Gesellschaften in den letzten Jahren während Corona passiert. Die meisten in der Gesellschaft haben vergessen, wie das Totalitäre aussieht, nur weil es in einem neuen Gewand wiederkam. Haben vergessen, wie es sich in der Sprache manifestiert und sie vereinfacht, sie verengt, sie radikalisiert. Wie die Sprache dabei eskaliert. Und wie es funktioniert, Menschen gegeneinander aufzustacheln.
Das Erschreckende daran ist, dass wir ja seit Jahrzehnten eine breite Erinnerungskultur besitzen, was Totalitarismen betrifft, dass wir jahrelange Debatten und Diskussionen um Antidiskriminierung, Sprachsensibilität, Formen der Ausgrenzung, Mobbing und dergleichen geführt haben. Es hat alles nichts gebracht.
Die meisten von uns haben vom Wasser der Lethe gekostet und die eigenen moralischen Wertvorstellungen, die Kritikfähigkeit und vielfach auch ihre Menschlichkeit vergessen.
Die Politik hatte mit einem Mal kein Korrektiv mehr, sondern wurde vom Großteil der Kunst- und Kulturszene, der etablierten Medien, der Universitäten und Akademien und großen Teilen der Bevölkerung unterstützt.“ […]
Die Motivation Zimmermanns das Buch zu verfassen: Das „Gelernte“ in der Corona-Krise unmissverständlich auf die Gegenwart anwenden
Jan David Zimmermann schreibt über seine Motivation das Buch „Lethe“ zu verfassen: Ihm sei klar gewesen, «dass ich das „Gelernte“ in der Zeit der Corona-Krise unmissverständlich auf die Gegenwart anwenden muss, sonst war all das Lernen, all die kritische Lektüre, all das Bücher-Wälzen umsonst, sonst reihe ich mich ein in die Riege jener, die sich vor der dreckigen Praxis fürchten. Am Ende zählt, die Theorie zum notwendigen Zeitpunkt zur (Denk-)Praxis werden zu lassen; ein Lackmustest der schonungslosen Art.«
Schlüsseltexte des Autors, die zuvor in anderen Medien erschienen sind
In Zimmermanns Buch sind Schlüsseltexte, von Juni 2021 bis November 2022 auf seinem Blog „Megamaschine“, in der Berliner Zeitung und im Stichpunkt Magazin erschienen sind. Zimmermann: „So wie sich die gesellschaftliche Lage immer weiter zuspitzte, so reagierte auch ich immer stärker mit spitzer Feder auf die mich fassungslos machenden Entwicklungen. Es sind dies Zeitdokumente, auf die ich selbst in Zukunft noch häufig zurückgreifen werde, und als solches ist auch dieses Buch als Gesamtes zu bewerten.“
Ein wichtiges Buch mit klugen Texten! Jeder sollte es lesen. Weil es ein Zeitdokument ist. Denn wie gesagt: Wir sind vergesslich. Steigen wir nicht in den Fluss Lethe!
Hervorzuheben und nicht hoch genug muss gelobt und anerkannt werden, dass sich der Autor besonders mit Sprachkritik und Wissenschaftskritik sowie mit Geschichte und Macht befasst hat. Vielleicht haben die Menschen wieder vergessen oder verdrängt welche verbalen Entgleisungen es bei Politikern und Journalisten während der düsteren Corona-Zeit gegeben hat.
Dem Rezensenten zeigte es alarmierend, wie hauchdünn der Firnis ist, welcher sich über unserer Zivilisation befindet. Und auch, dass unsere Demokratie offenbar nicht mehr als eine Friede-Freude-Eierkuchen-Veranstaltung ist, die sofort Risse bekommt und abzukippen droht, wenn sie in kniffliger Zeit doch dringend gebraucht würde. In Fensterreden wird Demokratie oft im Mund geführt. In der Corona-Zeit wurde sie samt Grundrechten mit Füßen getreten. Selbst die Opposition – zumindest in Deutschland – schwieg weitgehend, sprang denen die Hilfe gebraucht hätten nicht bei.
Eine Demokratie-Krise existiert bereits Des Längeren
Aber die Demokratiekrise gibt es nicht erst seit Corona so, sondern vor langer Zeit hatte das bereits Colin Crouch erkannt, der von einer Postdemokratie sprach. Crouch meinte damit ein politisches System, dessen demokratische Institutionen zwar weiterhin formal existieren, das von Bürgern und Politikern aber nicht länger mit Leben gefüllt wird.
Ebenfalls vor Corona und nach der frühen Einschätzung von Crouch hatten wir es längst mit einer Fassadendemokratie (ähnlich Potemkinschen Dörfern), die nur noch den Anschein gibt, es sei alles in bester Ordnung. Interessant dazu der Band «Megamanipulation – Ideologische Konditionierung in der Fassadendemokratie«, welchen Ullrich Mies herausgegeben hat.
„Eine Betrachtung der Sprache der Krise“
Die hervorragenden Texte von Jan David Zimmermann befassen sich nicht mit konkrete Argumenten z.B. für oder gegen Impfungen, sondern dem Autor ging es in erster Linie darum, wie in der Corona-Zeit mit Sprache umgegangen wurde. Wie die Sprache eskaliert ist, wie politisch und medial mit Sprache verfahren, wie Argumente strukturiert und wie mit Sprache Handlungen vollzogen oder Handlungen unterbunden wurde. (S.9)
Der Autor hat nicht mehr aber eben auch nicht weniger geleistet als: „Eine Betrachtung der Sprache der Krise.“
Und weiter: «Das kritische „Wehret den Anfängen gilt nicht nur den gesellschaftlichen Phänomenen, sondern gerade auf für die Art und Weise, wie wir mit Sprache umgehen, welche Metaphern wir verwenden, welche Wörter wir gebrauchen aus der Politik entnehmen und welche Argumente wir übernehmen.
Denn die Kräfte, die sich mit Sprache auseinandersetzen (Literatur, Philosophie, Kunst) haben sich viel auch damit beschäftigt, was die Sprache einleiten kann, wo sie hinführen kann, was sie anzeigt, was sie antizipiert: Wie wir miteinander oder übereinander sprechen, welche Begriffe wir verwenden, welche Beziehungen wir für unsere Freunde, insbesondere aber für unsere Feinde verwenden.«
Angeblich progressive Kräfte, die Warner der Spracheskalation haben versagt
Jan David Zimmermann erinnert daran, dass eine so verstandene Sprachkritik jahrzehntelang eine „selbstauferlegte Aufgabe der Literatur gewesen war. Und zu Recht sei die „eskalierende Sprache der Rechtspopulisten“ kritisiert worden.
Betreffs Corona stellt Zimmermann fest, dass „diese angebliche progressiven Kräfte, die Warner der Spracheskalation, jedoch kläglich versagt“ hätten. Ernüchtert bescheinigt der Autor: „Renommierte Koryphäen der österreichischen und deutschen Literatur haben den Lackmustest eben nicht bestanden.“ Ehrlich erschüttert habe den Autor: «Sie haben die entgleiste Sprache nicht thematisiert, sie nicht benannt und gerade nicht das selbst auferlegte „Wehret den Anfängen“ ernst genommen“ […]
Ebenso enthalten im Buch sind Zimmermanns wissenschaftskritische Blog-Texte. Darin sei es ihm um eine Kritik daran gegangen, „wie wir in Politik, Medien oder überhaupt in der Gesellschaft über Wissenschaft sprechen“.
Geschichtsvergessenheit, Angst, Apokalypse und Ausnahmezustand, Wissenschaftsmissbrauch
Weiters behandelt der Autor Geschichtsvergessenheit und Zeitlosigkeit (S.11) sowie aber darauf folgenden Seite die Angst: „Leider ist der erste banale, aber fundamentale Grund für das Vergessen des Totalitären: Angst. Die Angst um das eigene Leben, die Angst um das Leben anderer Menschen.“
Angst, gesteht der Autor zu, sei zwar in vielen Momenten nachvollziehbar und temporär „durchaus hilfreich“. Sie könne jedoch „weder ein Erkenntnis- noch ein Lebensprinzip darstellen“.
Problematisch allerdings sei, dass sich insbesondere Deutschland und Österreich aber seit Anfang 2020 bezüglich Angst und Panik in einen Ausnahmezustand befänden. In diese Angst hätten sich Menschen eingenistet und vergraben. Weiter trügen bestimmte Menschen zuweilen in öffentlichen Verkehrsmitteln Masken, ließen sich testen und liefen im Freien mit der FFP2-Maske herum.
Angst folgt auf Angst. Die Menschen kommen nicht zur Ruhe. Nun haben wir es mit dem Krieg in der Ukraine zu tun, „der tausende ukrainische und russische Todesopfer pro Tag fordert, der die Gesellschaften in Europa durcheinanderwirbelt, der die Bedrohung eine Atomschlags wieder real werden lässt“. (S.14)
Hinzu kommt die Energieproblematik. In „Apokalypse und Ausnahmezustand“ (S.15) befindet der Autor: „Der Zeithorizont, den wir vor uns haben, er ist wie der eine 90jährigen Greises: Man ist froh, wenn man noch ein paar Monate zu leben hat oder zumindest ein weiteres Jahr übersteht.“
In „Der Fluss und die Finsternis“ (S.17) gibt Zimmermann den Lesern zu Bedenken: „Obwohl wir so viele Beispiele aus der Vergangenheit haben, die uns als Mahnung bewusst waren und uns gezeigt haben, wie die Sprache eskaliert, wie Wissenschaft missbraucht wird, wie Medien mit Framing, Auslassung und Manipulation Propaganda betreiben und immer erst im Nachhinein die Skandale aufdecken, so ist dennoch das Vergessen über uns hereingebrochen wie eine ewige Nacht.“
«Covid hat eine sich lange abzeichnende Tendenz endgültig entfesselt, und letztlich sind die Themen egal, mit denen sich Autoritarismen durchsetzen (wollen) …«
Eine Einschätzung, die man unterschreiben kann: «Covid hat eine sich lange abzeichnende Tendenz endgültig entfesselt, und letztlich sind die Themen egal, mit denen sich Autoritarismen durchsetzen (wollen). Es wird schließlich darum gehen, ob man den angeblich „abgesicherten Werten“ entspricht: Also dem, was von den Herrschenden vorgegeben ist, und die definieren, ob man auch wirklich konform ist.“
„Land in Sicht?“
Die Einleitung schließt ab mit „Land in Sicht?“. Zimmermann wünscht sich, „dass wir den Fluss Lethe verlassen haben, wenn dieses Buch in den Regalen steht, auch wenn ich weiß, dass es nicht von heute auf morgen passieren wird“. Er hofft, dass dann die Zeit großer Spracheskalationen vorbei sein wird, weiß aber, dass dies eher ein frommer Wunsch denn eine realistische Einschätzung der politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen ist.“
Wie richtig Jan David Zimmermann damit liegt, zeigen die derzeitigen Sprach- und andere Eskalationen plus unsäglicher Propaganda rund um die Ukraine-Kriegs-Problematik.
Zimmermann nimmt an, „dass das Jahr 2023 im Zeichen der Aufarbeitung stehen wird, aber die Vorkommnisse seit 2020 werden uns mit Sicherheit noch Jahrzehnte, womöglich Jahrhunderte beschäftigen.“ Der Mann ist Realist und alles andere als ein Träumer.
Auch bezüglich dessen muss Zimmermann unbedingt zugestimmt werden: „Wir sind in einer Umbruchzeit, Corona war eine tiefe Zäsur. Die Gesellschaft ist zerrüttet, traumatisiert und gespalten. Aber Vieles ist nun offenkundig geworden, scheint jedoch roh und überdeutlich in seiner entfleischten Blöße vor uns zu liegen. Wenn wir aber nicht hinsehen, wenn wir nicht schonungslos hinsehen, wird uns das noch teurer zu stehen kommen, als es ohnehin schon geschehen ist.“
Das walte Hugo!
Wichtige Institutionen sind allesamt am Ende. Umdenken nötig
Ebenfalls ist jenes zu unterschreiben. „Die Institutionen verschiedenster Art (künstlerisch, medial, politisch, wissenschaftlich, schulisch usw.) sind allesamt am Ende.“
In vielen, wenn nicht gar in allen Bereichen müssten wir völlig umdenken, meint Zimmermann völlig zu Recht.
Und schließt seine Einleitung im Jänner 2023 so: „Erst dann ist eine Krise vielleicht auch wirklich eine Chance und nicht nur politisches Gerede zur Verschleierung der eigenen Verfehlungen.“
Der Schriftsteller, Journalist und Wissenschaftsforscher Jan David Zimmermann (Foto unten: @Jan D. Zimmermann, Freier Autor), versammelt in chronologischer Reihenfolge seine wichtigsten Textbeiträge, von Sprachliche Eskalation über Raum und Ausgrenzung bis hin zum Offenen Brief an die Organisatoren des Bachmann-Preises.
Absolute, unbedingte Leseempfehlung
Ein Sachbuch, dass m.E. in jedes Bücherregal gehört. Haben wir doch alle die düstere Corona-Zeit durchlitten. Ein Buch, das dringend hat geschrieben werden müssen. Jan David Zimmermann hat es getan. Dafür gebührt ihm Dank. Es ist ein Zeitdokument, das auch in Jahren nach Bestand haben dürfte und dementsprechend rezipiert werden wird. Absolute, unbedingte Leseempfehlung!
Steigen wir nicht in den Fluss Lethe! Oder – wenn schon geschehen: hüpfen wir rasch wieder hinaus aufs Trockene und richten uns auf. So schmerzlich es auch ist: Wir dürfen nicht vergessen, was war. Der Demokratie willen und den künftigen Generationen wegen zur Mahnung, dass nicht wieder geschehe, was geschehen ist. Was wir in großer Zahl geschehen ließen!
Viele Menschen wähnen sich als durchaus in Freiheit lebend. „Einigkeit und Recht und Freiheit“ tönt es im „Lied der Deutschen“. Wie frei aber sind wir wirklich? Setzten wir uns einmal ruhig hin und ließen es uns einmal genau durch den Kopf gehen, stellten wir – wären wir ehrlich zu uns – mehr und mehr fest, dass es mit unserer Freiheit soweit nicht her ist. Erinnern wir uns doch nur an die dunklen Corona-Komplex-Tage?
Und auch sonst: Von was wir nicht alles abhängig sind! Am freiesten dürften wir in den frühsten Kinderjahren gewesen sein. Doch schon bald werden wir – zunächst von den eigenen Eltern – erzogen. Da steckt das Wort «ziehen« drin. Man zieht an und biegt uns. Sicher meinen es unsere Eltern in den meisten aller Fälle gut mit uns. Doch es kann durchaus passieren, dass man uns dabei auch verbiegt. Man sagt ja, dass in den ersten Kinderjahren (vielleicht bis zum Alter von drei bis vier Jahren) schon vieles in uns geprägt wird und ausgeprägt ist, das (auch) unseren weiteren Weg bestimmt. Das ist nicht unwichtig zu wissen. Da können auch bereits Weichen falsch gestellt worden sein. Einiges mag später noch korrigiert werden können – manches aber kaum.
„Wahre Freiheit“, schreibt Monika Donner in ihrem jüngsten, bemerkenswerten Buch „FREIHEUT“, in der Einleitung, „dass der ständig in der Vergangenheit oder Zukunft herumirrende Verstand nicht das Kommando hat, sondern lediglich ein nützliches Werkzeug ist.“ Und weiter: „Bei wirklich freien Menschen ist der innere Chef eine Mischung aus Intuition und Liebe. In dieser Freiheit haben wir als kleine Kinder unbewusst gelebt.“
Doch – wie wir weiter oben angemerkt haben – hat man uns im Laufe des Lebens erzogen und verbogen. Nicht zuletzt durch die Erziehung, die darauf abzielt, letztlich einen wie auf imaginären Schienen spurenden Staatsbürger zu schaffen, der möglich loyal zum Staat und zu den jeweiligen Arbeitgebern zu sein hat. In Bildung und Gesellschaft läuft heute mehr denn je falsch. Der Kindheitsforscher Michael Hüther meint sogar Kindern gehe es aktuell so schlecht wie nie zuvor. Aber das nur am Rande.
Die in der Kindheit unbewusst genossene Freiheit bewusst zurückholen
Monika Donner ist nun weiters in der Einleitung der Meinung: Als Erwachsene könnten wir uns diese in der Kindheit unbewusst genossene Freiheit bewusst zurückholen. Die Autorin dazu: „Das nennt man Erleuchtung, ein anderes Wort für Freiheit.“ An dieser Stelle heulten erfahrungsgemäß manche Buddhisten oder Christen auf. Weil sie dächten, „dass man für Erleuchtung hart arbeiten muss oder nur durch einen Messias erlöst werden kann“. Beides sei grundlegend falsch. „Schließlich sind wir innerlich schon frei respektive erleuchtet.“ Statt aufzuheulen merkte ich als Atheist jedoch heftigst auf. Und das schon in der Einleitung! Hatte ich es mit einem Esoterik-Wälzer zu tun? Doch halt, schärfte ich mir, tief Luft holend, ein: Geduld fassend. Weiterlesen.
Monika Donner kämpft schon seit 2008 für Freiheit und Menschenrechte
„Freiheit ist da, um realisiert und gelebt zu werden. Im Alltag. Bewusst. Ungeniert. Verantwortungsvoll“, so Monika Donner.
Donner kämpfe, informiert sie, schon seit 2008 für Freiheit und Menschenrechte. Einer breiteren Öffentlichkeit sei es aber erst bekannt geworden, als sie „zu einem Flaggschiff des Widerstands gegen die illegalen Corona-Maßnahmen wurde“.
Nach dem Erscheinen ihres Buches Corona-Diktatur – Wissen, Widerstand, Freiheit – Bestseller ab Mitte 2021, habe sie viele Vorträge gehalten und auf etlichen Demonstrationen in ganz Österreich zu tausenden, in Wien zu zehntausenden Menschen gesprochen. Monika Donner: „Und das mir, wo ich doch seit der Nahtoderfahrung im Jahr 2021 eher zurückgezogen lebe und am liebsten in der freien Natur bin.“
Definitiver Wendepunkt im Leben ist der 22.01.2022: Monika Donner verlässt nach 32 Jahren im Bundesdienst das österreichische Verteidigungsministerium ihrer erkannten Lebensaufgabe wegen
Als definitiven Wendepunkt in ihrem Leben nennt die Autorin den 29.01.2022 auf der Demo in Klagenfurt. Donner: Der Andrang, die positiven Reaktionen der Demonstranten ihr gegenüber hätten ihr im Herzen klargemacht, dass sie, um ihre von ihr erkannte Lebensaufgabe erfüllen zu können, „den ohnehin torpedierten Job“ im österreichischen Verteidigungsministerium aufgeben müsse. Drei Tage später stimmte sie 32 Jahren im Bundesdienst, der einvernehmlichen Auflösung des Dienstverhältnisses zu.
Viele Menschen gestanden ihr, sie gebe ihnen Kraft und Mut. Aber Monika Donner beschied ihnen: „Ich gebe euch gar nichts! Denn wenn ich euch meine Kraft und meinen Mut gäbe, hätte ich sie ja selbst nicht mehr.“
Seither weckt Donner Kraft und Mut in vielen Menschen. Sie steht auf den Standpunkt: „Kraft und Mut sind die Grundenergien der Freiheit. Sie ist bereits in uns. Es geht «nur« darum, sich dieser geschickt versteckten Realität bewusst zu sein: Wir sind keine Schafe. Den Schafspelz, in dem viele Menschen stecken, können sie jederzeit als solchen erkennen und ablegen. Zum Vorschein kommt dann der Tiger, das wahre Selbst.“
Um diesen Prozess erleichtern zu helfen, habe sie das Buch geschrieben, schreibt Monika Donner. Auf dem Cover ist ein Tiger abgebildet, der aus dem Schafspelz hervortritt, welchen er abstreift …
Ich bin eine Seite weiter somit einigermaßen beruhigt: Also ein Guru respektive eine Gurvi, wie man die weibliche Entsprechung eines Guru im Sanskrit nennt, möchte die Autorin also nicht sein.
Wir müssen also – allenfalls sachte geführt von der Autorin – selber Leselust und Hirnschmalz darauf verwenden, den Tiger in uns zu entdecken, den Schafspelz abzuwerfen und den Tiger freizulassen. Es liegt an uns. Packen wir es an …
Wegweiser zum Buch
Einen „Wegweiser durchs Buch“ (S.11) gibt uns Lesern eine gute Orientierung. Demnach ist dessen erster Teil des hier zu besprechenden Buches der Hauptteil. Beleuchtet wird darin hauptsächlich das Negative in der äußeren Welt. Der bisherigen Realität sollte „achtsam ins Auge“ geblickt werden. Bevor der Tiger „aus seinem äußeren Käfig ausbreche, müsse er diesen zuvörderst erst einmal erkennen „und seine Chancen realistisch abwägen“.
Analysiert werde die „Dressur zum Gehorsam im sozialen System“. Anhand von vier einschneidenden Situationen werden die schädlichen Wirkungen des Systems vertieft. Benannt werden: „religiöse Urlüge der Fremderlösungen, Urkatastrophe Erster Weltkrieg, Corona-Diktatur und Ukraine-Krieg.“
Donner: „Behandelt werden aber jeweils auch die aus den Mustern ableitbaren Lösungsansätze. Sie sind so einfach, kurz und bündig, dass einem schlagartig bewusst wird, warum das uns umgebende System aus einem dichten Gestrüpp aus Lügen besteht, das vor Angst zittert.“
Als Ziele, des als von der Autorin als unerlässlich bezeichneten Abschnitts werden genannt:
— Durchschauen der Unterdrückungsmuster
— Erkennen des individuellen Handlungsbedarf
— Behandeln von Krisen als Chancen zur Verbesserung
Im zweiten Teil Buches erhalten wir Hilfe zur Erlangung innerer Freiheit. Es geht schlicht um „das bewusste Ablegen des Schafspelzes, der unseren inneren Käfig darstellt“.
Als „durchwegs zeitgleich erreichbar“ werden folgende Ziele aufgeführt:
— Dich selbst erkennen
— Den Tiger in dir befreien
— Äußerlich selbstbestimmt leben
Zu Bedenken gibt Monika Donner, dass „sich die gesellschaftlich geprägte Dominanz des Denkens zwar oftmals kontraproduktiv bis selbstzerstörerisch auswirkt“, was jedoch kein Grund sei, den Verstand zu verurteilen. Richtig benützt sei dieser nämlich ein sehr gutes Werkzeug für die rationale Umsetzung unserer Herzensvisionen“.
Von der Urlüge der Fremderlösung
Von der Urlüge der Fremderlösung war schon die Rede. Die Autorin nennt sie (S.43) „Die älteste Lüge vermutlich aller Religionen“. Damit hat sie gewiss Recht. Denn so werden Menschen schon über Jahrhunderte hinweg letztlich ruhiggestellt. Dass bloß keiner gegenüber der Obrigkeit aufbegehrt! Also ist es von höchster Wichtigkeit selbst zu handeln.
Da fällt mir eine sprichwörtliche Aufforderung ein: „Hilf dir selbst, so hilft dir Gott“. Könnte das Monika Donner akzeptieren? Immerhin schreibt sie (S.47) „Gott ist Energie“. Und: „Gott ist die schöpferische Urkraft des Lebens, das Eine, ein für das bloße Auge unsichtbare Energiefeld hinter und in allen Dingen. Das heißt, dass Gott die Energie in allen Dingen ist, die alles miteinander verbindet.“
Foto: R. Schlöbe
„Urverbrechen an den Deutschen“
Wie wir eigentlich ständig immer wieder manipuliert, hinter die Fichte geführt und sogar frech belogen werden, macht die Autorin anhand auch der „Urverbrechen an den Deutschen“ (S.59) deutlich. Etwa an der Betrachtung des Ersten Weltkriegs, der rund 40 Millionen Tote und Verwundete gekostet habe. Auch nach Monika Donners Recherchen – wie schon zuvor bei anderen Autoren gelesen – muss hinter die allzu schön passende Einschätzung des australischen Historikers Christopher Clark („Die Schlafwandler“), man sei sozusagen in den Ersten Weltkrieg hinein schlafgewandelt, ein dickes Fragezeichen gemacht werden. Was wir über die Schuld der Deutschen am Beginn des Ersten Weltkriegs offiziell hören, sei frei erfunden. Donner: „Korrekt ist nur, dass das junge deutsche Kaiserreich den Krieg formal begonnen hat. Das Wesentliche wird uns verschwiegen: die alles entscheidende Vorgeschichte. Der Erste Weltkrieg sei nämlich bereits ab 1906 in London akribisch geplant und von dort militärstrategisch vorbereitet und dann diplomatisch ausgelöst worden, um das seinerzeit in allen Bereichen fortschrittliche deutsche Kaiserreich und mit ihm Österreich-Ungarn zu vernichten. Es habe eine besonders niederträchtige Täter-Opfer-Umkehr stattgefunden. Denn das eigentliche Opfer sei das deutsche Kaiserreich.
Donner: Die anglo-amerikanische Auslösung des Ersten Weltkriegs sei die raffinierteste verdeckte Operation der bisherigen Menschheitsgeschichte gewesen: „Wer sie versteht, durchschaut auch jede andere verdeckte Operation mit Leichtigkeit.“
Ich frage meine Leser: Und haben wir etwas verstanden? Nein, behaupte ich. Sonst würden wir bemerkt haben wie der Ukraine-Krieg gefingert und herbei provoziert worden ist.
Und wahr: der erste große Krieg war zugleich der Auftakt zum Zweiten Weltkrieg, die europäische Urkatastrophe. Nebenbei: Manche vertreten heute auch die Meinung – las ich kürzlich – es könne, beide Kriege zusammenfassen, von einem zweiten dreißigjährigen Krieg sprechen. Die Autorin stellt fest: „Ohne dieses historische Basiswissen kann das Erwachen des deutschen Monsters ab 1933 nicht korrekt verstanden werden, geschweige denn begriffen.“
Womit Monika Donner aber Hitlerdeutschland, das unbestritten unfassbare, in der Menschheitsgeschichte einzigartige Verbrechen begangen habe, keineswegs entschuldigen will. Dem Dritten Reich sei dafür zu Recht die volle Verantwortung zuzuschreiben gewesen.
Kriege haben eine Vorgeschichte und brechen nicht einfach so aus
Kriege brechen eben nie einfach aus – sie werden gemacht. Auch haben sie eine Vorgeschichte. Meistens haben Kriege auch eine lange Vorbereitung. So sei es eben auch beim Ukraine-Krieg gewesen. Der sei eben mitnichten erst am 24.3. 2022 mit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine ausgebrochen. Sondern bereits 2014 (nach dem Maidan-Putsch). Es wurde ein menschenverachtender Krieg (mit ca. 14 000 Toten) gegen russische Minderheiten in der Ostukraine seitens einer unrechtmäßige Kiewer Regierung entfacht.
Monika Donner (S.131) : „Somit ist der Ukraine-Krieg ein weiterer Intelligenz- und Charaktertest, den viele Menschen im Westen nicht bestehen. Aus der anglo-amerikanischen Perspektive ist der unveränderliche Zweck das Erringen der Weltherrschaft.
Ein hochspannendes Kapitel im Buch! Was hier jedoch nicht länger ausgeführt werden kann. Lesen Sie einfach das Buch.
Monika Donner erwähnt (S.132), dass diese Ziele – zum Erringen der Weltmacht – älterer Herkunft sind und nie aufgegeben worden sind. Ich kann Ihnen nebenbei sehr das Buch „Der Schlüssel zur Weltherrschaft“ von Halford John Mackinder empfehlen (hier meine Kritik), auf dessen Inhalt die Autorin auch eingeht.
Die strategische Analytikerin warnte schon früh vor dem heute stattfindenden Krieg in der Ukraine-Krieg
Bei diesen Themen – das spürt man – profitiert Monika Donner von ihrer früheren Tätigkeit als strategische Analytikerin. Ihre Analysen erbrachten schon um 2015 herum, dass dieser heute stattfindende (und von westlichen Politiker heute tagtäglich immer noch mehr angeheizte) Krieg sehr wahrscheinlich ist. Vom österreichischen Staat wurde das nicht Ernst genommen. Und wir als Leserinnen und Leser ziehen aus den akribischen erstellten strategischen Analysen ebenfalls Nutzen. So wir denn wollen. Es liegt an uns.
Monika Donners Buch enthält wichtiges Rüstzeug für uns
Mit dem Erwerb des Buches ist uns ein wichtiges Rüstzeug in die Hand gegeben. Das Buch enthält auch Übungen via derer wir uns und unsere Gedanken, unser Innerstes und unser Denken einer Überprüfung unterziehen können. Uns vergewissern können, auf welchem Level der Erlangung von Freiheit wir angekommen sind. Wenn das Buch ausgelesen ist, empfehle ich, es immer in greifbarer Nähe aufzubewahren. Dann können wir bei Bedarf darin nachschlagen.
Es ist mit großer Herzenswärme und Engagement geschrieben. Mit philosophischen und spirituellen Anklängen und aus zutiefst selbst gemachten, prägenden Erfahrungen. Ein Gewinn für uns Leserinnen und Leser in vielerlei Hinsicht. Die Vorträge von Monika Donner sind ebenfalls gut nachgefragt. Was zeigt, dass ein hoher Bedarf dafür besteht, zu eigener innerer und äußerer Freiheit zu gelangen. Frei heut – das muss kein bloßer Wunschgedanke bleiben. Freilich müssen wir dazu etwas tun. Bereit sein, den Tiger vom Schafspelz befreien. Wenn der Tiger erst einmal geweckt ist, dann können wir spüren, dass es gelingen kann. Und erste positive Erfahrungen mit der Kraft des Tigers können nur beflügelnd für uns sein.
Das von Monika Donner vorgelegte, in Buchform gegossene Rüstzeug, um zu umfassender Freiheit zu gelangen, können wir dringend gebrauchen. Auch wenn es manchem wohl nicht gleich einleuchten mag. „Wir sind keine Schafe.“, schreibt die Autorin einmal. Wer von uns Rainer Mausfelds Buch „Warum schweigen die Lämmer?“ gelesen oder den gleichnamigen Vortrag auf You Tube gesehen hat, weiß, warum das so ist. Muss es denn so bleiben?
Wer bisher gemeint hat und vielleicht noch immer meint, in Freiheit zu leben, müsste vergessen haben, was man uns während des Corona-Kompexes mit Grundgesetz- und Freiheitseinschränkungen und anderen Leids angetan hat! Ähnliches – vielleicht unter anderen Vorzeichen – kann wieder geschehen. Dagegen sollten wir gewappnet sein. Befreien wir uns von der Urlüge der oft geglaubten Fremderlösungen, wird in Monika Donners lesenswertem Buch gewissermaßen an uns appelliert. Diesem Glauben, diese trügerische Hoffnung sollten wir schnellstens fahren lassen. Verinnerlichen wir doch einfach, möchte ich dessen eingedenk hier einwerfen, was in der Internationale postuliert wird:
Auszug aus der 2. Strophe (Deutscher Text (Emil Luckhardt, 1910)
Es rettet uns kein höh’res Wesen, kein Gott, kein Kaiser noch Tribun Uns aus dem Elend zu erlösen können wir nur selber tun! […]
„FREIHEUT“ kann ein wichtiger Anstoß sein. Es ist kann in der Tat – wie proklamiert – das Handbuch für den Tiger in dir (uns) sein.
Zum Buch
Tiger, zieh den Schafspelz aus! Freiheut ist das Handbuch für den Tiger in dir. Es enthält das geistig-seelische Rüstzeug für ein freies und selbstbestimmtes Leben, das du heute schon führen kannst. Dazu ist es hilfreich, der Realität ins Auge zu blicken: Seit langer Zeit wird ein vielschichtiger Krieg gegen die uns angeborene Freiheit geführt. Beleuchtet werden sowohl die arglistigen Muster als auch die daraus ableitbaren Lösungen. Die Pläne psychopathischer Unterdrücker und darauf aufbauende Prognosen verdeutlichen, dass jeder einzelne Mensch akuten Handlungsbedarf hat. Wir haben die historisch einzigartige Chance, durch Selbsterkenntnis und Selbstbefreiung augenblicklich in die Selbstbestimmung zu kommen. Auch zum Wohle der Gemeinschaft. Hierzu enthält das Buch eine einzigartige Kombination aus psychologischen und spirituellen Erkenntnissen, einfachen Methoden und realen Beispielen. Dadurch werden Motivation, Kraft und Mut zur praktischen Umsetzung vermittelt.
Über die Autorin
Monika Donner wurde 1971 in Linz geboren. Sie ist mit Jasmin Donner verheiratet. Monikas Berufe entsprechen ihrer vielseitigen Persönlichkeit: Autorin, Juristin, diplomierte Lebensberaterin und strategische Analytikerin. Bis 2022 war sie als Ministerialrätin im öffentlichen Dienst tätig, zuvor als Offizier der 4. Panzergrenadierbrigade. Seit 2008 kämpft sie, mitunter erfolgreich, für Freiheit und Menschenrechte.
Monika Donner
FREIHEUT
Herausgeber : Monithor; 1. Edition (24. November 2022)
Dreißig Jahre Wiedervereinigung beging – feierte? – man im Jahre 2020. Im September 2020, rechtzeitig vor dem 3. Oktober dieses Jahres, brachte der Westend Verlag das Buch der beiden hervorragenden Autoren Daniela Dahn und Rainer Mausfeld mit dem Titel „Tamtam und Tabu. Die Einheit: Drei Jahrzehnte ohne Bewährung“ heraus. Hier finden Sie meine Besprechung.
„Niedervereingung“ oder Konterrevolution?
Wiedervereinigung des in Folge des Zweiten Weltkriegs in zwei Länder gespaltenen Deutschlands? Na ja: Die DDR trat dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland bei. Nicht alle Deutschen schrieen damals Hurra. Der Journalist Ralph T. Niemeyer (im Moment firmiert er in Russland als Vertreter einer „Exilregierung“ Deutschlands), spricht von einer „Niedervereingung“. Welcher, wie wiederum andere sagen, in der DDR eine Konterrevolution vorausging. An welcher im Grunde schon ab Gründung der DDR im Jahre 1949 gearbeitet wurde. Wie auch immer: Der DDR und ihren Bürgerinnen und Bürgern wurde 1990 das BRD-System mit allen Konsequenzen daraus übergestülpt. Es kam zwar die von vielen DDR-Bürgern begrüßte D-Mark und die stets herbeigesehnte Reisefreiheit plus einer lockenden Warenwelt – aber eben nicht nur der Kapitalismus mit allen Vorteilen, sondern auch mit seinen sämtlichen Übeln. Der Kapitalismus, der von der DDR hinter sich gelassen worden war, um einen Sozialismus aufzubauen. Der freilich keiner war. Letztlich erfolgte 1990 ein Rollback. Also doch eine Niedervereingung?
Daniela Dahn: Das Wahlergebnis von 1990 entsprach nicht der Erwartung aller DDR-Bürger
Daniela Dahn gab aber schon im vorigen Buch zu bedenken: „Die Mär, wonach im März 1990 so gut wie alle DDR-Bürger so schnell wie möglich mit Westgeld im blühenden Westgarten leben wollten, stimmte schon vor der Wahl (Anmerkung C.S. 1990) nicht, das Wahlergebnis entsprach ihr nicht und die Folgen der Wahl erfüllten solche Hoffnungen nicht. Und dennoch hat sie sich bis heute gehalten.
Der eigentliche Wunsch bestand bis zuletzt darin, Eigenes in die Einheit einzubringen. Der Meinungsumschwung war einem Diktat aus Desinformation, Zermürbung und Erpressung geschuldet. Der Kampf um Mehrheiten hat der Mehrheit geschadet. Sie war einer Pseudo-Entscheidung zwischen zahlungsunfähiger Wirtschaft und dem Heilsversprechen der D-Mark ausgesetzt worden. Die Leute glaubten, um ihren Besitzstand zu wahren, sei es erst einmal das Beste, die Kräfte des Geldes zu wählen. Sie lieferten sich den Finanzstarken aus, in der Hoffnung, dadurch selbst stark zu werden. Sie wollten das Kapital und wählten die Kapitulation.“
In Kürze steht das Datum 3. Oktober einmal mehr an. Und der Westend Verlag wartet mit einer neuen, erweiterteten und überarbeiteten Taschenbuchausgabe von „Tamtam und Tabu. Meinungsmanipulation von der Wendezeit bis zur Zeitenwende“ – wieder mit aktualisierten Texten von Daniela Dahn und Rainer Mausfeld auf und schreibt dazu:
„1990 gilt als das wichtigste Jahr der Nachkriegsgeschichte. Alles scheint gesagt – doch die Tabus überdauern. Dahn und Mausfeld nehmen sie ins Visier. Das Buch untersucht, wie die öffentliche Meinung in kurzer Zeit in eine Richtung gewendet wurde, die einzig den Interessen des Westens entsprach. Es ist an der Zeit, dieses Narrativ über die Wende zu erschüttern.“
Verspielte Chancen
In ihrer Einstimmung zum Buch erinnert die Autoren noch einmal an die sich im Jahr 1990 geboten habenden Chancen „sowohl für eine internationale Friedensordnung wie auch für eine erneuerte Demokratie, die dann diesen Namen verdiente.“
„Heute“, merken Dahn und Mausfeld an, „wissen wir, dass diese Chanchen aus geopolitischen Interessen und denen der Kapitaleigner gezielt blockiert und somit verspielt haben.“ Und stellen die berechtigte Frage: „Warum war dies, entgegen den großen Hoffnungen der Bevölkerung so leicht?“ Und hinterdrein liefern sie auch gleich die Antwort: „Die Leichtigkeit, mit der eine kleine Minderheit von Besitzenden Macht über eine große Mehrheit von Nichtbesitzenden ausüben kann, gleiche einem >>Wunderwerk<<, bemerkte zur Zeit der Aufklärung der große schottische Philosoph David Hume.“
Hume habe erkannt, dass das Augenmerk nicht nur auf die rein physische Macht, die es auf den Körper abgesehen hat, zu legen sein, „sondern auf die Formen der Macht, die auf die Psyche zielen“
Weiter: „Wer über Mittel verfügt, mit denen sich auf der Klaviatur des menschlichen Geistes spielen lässt, dass Meinung und Affekte in geeigneter Weise gesteuert werden können, verfügt über einen Einfluss, der kaum noch als Macht erkennbar ist und gerade darum eine besondere Wirksamkeit entfalten kann.“
Apropos Formen der Macht, die auf die Psyche zielen, schiesst mir sogleich in den Kopf: Sind vielleicht nicht ähnliche Mittel in Zeiten der Corona-Krise, anlässlich der Covid-19-Pandemie ge- und benutzt worden? Wobei hier hauptsächlich mit der Angst vor einem Virus, das es sicher gibt, aber eben unsichtbar ist, gearbeitet wurde.
Schon im vorangegangenen Buch der beiden Autoren wurde uns Lesern ja auseinandergesetzt, wie es im Verlauf der Ereignisse von 1989/90 gelungen war, „die Stimmung eines Großteils der DDR-Bevölkerung in wenigen Wochen in die vom Westen gewünsche Richtung zu lenken“. Schon Walter Lippmann habe sich (wie bei ihm nachzulesen ist) mit Machttechniken befasst, durch die sich die >>verwirrte Herde auf Kurst halten lässt<<. Lippmann hatte eine sogenannte >>Elitendemokratie<< angestrebt.
Dahn/Mausfeld: „Heute ist die Elitendemokratie das Standartmodell kapitalistischer Demokratien.“
Wir, möchte ich einwerfen, erleben es gerade heute wieder wie zuvor schon in der Corona-Krise nun abermals betreffs des Ukraine-Kriegs, wie „emanzipatorische Alternativen, die die Stabilität der herrschenden Machtordnung zu gefährten drohten, aus dem öffentlichen Denkraum verbannen konnte“.
Wir werden heute überdies Zeuge, wie die Wände der Meinungskorridore immer weiter zusammengeschoben werden und Denkverbote manifestiert werden.
Ukraine-Krieg und Zeitenwende
Die Beiträge Daniela Dahns zusammengebracht zu haben verdanken wir dem Westend Verlag. Erfreulich auch dessen Anregung, die Taschenbuchausgabe mit einem Gespräch der Autoren über den Ukraine-Krieg zu beginnen.
Die andere Gespräche – nun auch in der Taschenbuchausgabe abgedruckt – liegen zwei Jahre zurück.
Rainer Mausfeld stellt eingangs fest: „Die Geschehnisse in der Ukraine und der durch die militärischen Angriffe Russlands ausgelöste Krieg haben zu einem zivilisisatorischen Regress geführt, denn Dimensionen wohl erst in den kommenden Jahren sichtbar werden..“
Die EU, so Mausfeld, habe bei der Bewältigung der Ukraine-Krise „in einem historischen Ausmaß versagt“. Sie werde zu den großen Verlierern dieser Krise zählen.
Europäische Stabilität und Friedensordnung sowie den Wohlstand der Bürger habe sie den imperialen geopolitischen Zielen der USA untergeordnet.
De facto seien damit die Staaten der EU zu Satellitenstaaten der USA und deren Befehlsempfängern geworden.
Da stellt sich freilich die Frage, ob das nicht schon zuvor so gewesen ist. Mindestens was Deutschland anbetrifft, das wieder einmal als Vasall agiert. Selbiges trifft für die deutsche, transatlantisch vasallenhaft auffallend gleichtönende Mainstream-Presse zu, wie ich finde.
Daniela Dahn beklagt: „Für das Versagen der Politik werden jetzt weltweit Bürger sanktioniert. Das Versprechen von Freiheit und Demokratie soll uns genügen, den Gürtel enger zu schnallen, weniger mobil zu sein, zu frieren, bescheidener zu essen, in den armen Ländern noch mehr zu hungern – ja, zu verhungern.“
Und weiter: Diese nie für möglich gehaltene Erfahrung ist nach den verpassten historischen Chancen für einen gemeinsamen demokratischen Aufbruch Anfang der 90erJahr besonders bitter.“
Dahn hält die für einstige Wendezeit angewandte Betrachtungsmethode von Tamtam und Tabu für weiter tauglich: „Was wird auch jetzt aufgebauscht, was verschwiegen? Deutschland nutzt die Gelegenheit und befreit sich von seinen einstigen Befreiern. Der Wille, alle Bedenken fallen zu lassen, ist atemberaubend.“
Rainer Mausfeld skandalisiert, dass Bundeskanzler Scholz die „Situation einen massiven Zivilisationbruches euphemistisch als >>Zeitenwende<< bezeichnet.
Mausfeld schreibt, wir befänden uns in einem „ökonomischen Weltkrieg“ sowie in einem „militärischen Stellvertreterkrieg in welchen USA und NATO längst Kriegsteilnehmer seien.
Daniela Dahn sieht durchaus die Vorgeschichte dieses Krieges. Die vielen Provokationen gegenüber Russlands, verurteilt aber den Angriffskrieg als völkerrechtswidrig, welcher jedoch keinesfalls alternativlos anzusehen sei.
Auch Mausfeld geht auf die Vorgeschichte des Krieges ein. Wirft jedoch die Frage auf, warum über „Putins Vorschlag für einen Vertrag zwischen der russischen Föderation und den USA zu reden, der seit Dezember 2021 auf der Seite des russischen Außenministeriums für alle einsehbar war“, nicht eingegangen worden sei. „Neutralität der Ukraine, Autonomie für den Donbass, das Krim-Referendum bleibt gültig und die NATO zieht ihre Atomwaffen aus den einstigen Atomwaffen aus den einstigen Sowjetrepubliken zurück.“ Und findet: „Damit hätte die Welt leben können, selbst die Ukraine.“
Beide Autoren sind in ihren Meinungen nicht immer hunderprozentig denkungsgleich, aber wiederum auch nicht sehr weit auseinder.
Dahn meint , dass der Keim für den jetzigen Krieg von den USA lange vor der Präsidentschaft von Putin gelegt worden sei. Sie verweist dazu auf 2004 getätigte Äußerungen von Zbigniew Brzezinski im Wall Street Journal Putin sei >>Moskaus Mussolini<<. 2008 dann habe er ihn mit Hitler vergleichen, „weshalb Russland ökonomische zu schwächen und zu einem Pariataat zu machen sei“.
Alles in allem interessante Gespräche und Analysen der beiden Autoren. Uns wird vor Augen geführt, wie wieder einmal die großen Medien dazu beigetragen haben, „tiefere historischen Ursachen dieser Krise aus dem öffentlichen Bewusstsein zu tilgen“ (Rainer Mausfeld).
Es wird von einer „Generalmobilmachung aller großer Medien“ gesprochen. Was „einer Entzivilisierung der politischen Debatte“ und einer weitgehenden Zerstörung des demokratischen Diskurses gleichkäme. Dies sei eine selbst zu den Hochzeiten des Kalten Krieges nicht gekannte Verengung des Debattenraumes und eine aggressive Ächtung von Dissens.
Daniela Dahn hält dringend geboten über ein friedliches Miteinander nachzudenken.“Unsere einzige Möglichkeit aus der Defensive zu kommen“, so schreibt sie, „bleibt die faktenbasierte Analyse, vor allem der eigenen Seite. Diese schwere Waffe wird nicht geliefert, man muss sie sich selbst zugänglich machen. Zweifel, Korrektur und Sorgfalt erhöhen die Treffsicherheit.“
Diesem, der Aktualität geschuldeter, deshalb wichtiger, Einstieg in das Buch rund um die sogenannte „Zeitenwende“ folgt noch einmal ein Rückgriff auf die Zeit, in welcher während der Wende bis hin zur deutschen Einheit mit allen publizistischen Mittel daran gearbeitet wurde, die DDR-Bürger sozusagen aufzugleisen. Sie entsprechend zu manipulieren.
Historisches
Wie Manipulation im Einzelnen geschah, das hat Daniela Dahn im Kapitel „Volkslektüre. Eine Presseschau“ (S.39) aufgeschrieben. Da wurde die alte DDR-Führung mehr oder weniger geschickt diffamiert. Da wurde dann auch schon einmal nach Strich und Faden gelogen. Nur ein Beispiel aus dem Spiegel Das (inzwischen) ehemalige Nachrichtenmagazin „gibt vor zu wissen, Honecker sei ‚Eigner von vierzehn Luxuskarossen‘ gewesen. In Wahrheit“, so rückt Daniela Dahn es gerade, „besaß der SED-Chef und Staatsratsvorsitzende privat nicht ein Auto. Da hätte auch gar keinen Sinn ergeben, waren doch die sich selbst ghettosierenden Spitzenfunktionäre aus Sicherheitsgründen nur im Dienstwagen mit Fahrer unterwegs. Ob Honecker in seinem Jagdrevier auf mal in Margots Wartburg durch den Wald preschen durfte, ist nicht überliefert.“
So wurde die DDR Dreck beworfen, dass es nur so spritzte. Immerhin, so erinnert uns Daniela Dahn, ermahnt der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker „als Erster die westdeutsche Publizistik, sie solle die Vorgänge in der DDR ’nicht für hiesige Zwecke instrumentalisieren‘.“
„Die hiesigen Zwecke sind für die Konservativen der Erhalt und die Festigung des Status quo in der BRD.“
Vergebliche Ermahnungen: man tat freilich weiter so. Kohl nutzte seine ihm in den Schoss gefallene Chance koste es was es wolle. „Die Birne“, wie er seinerzeit genannt wurde, wäre nämlich ohne den Fall der DDR weg vom Fenster gewesen. Riesige Summen ließ er einsetzen, damit die Menschen in der DDR so wählten, wie es ihm passte. Propaganda- und Fahnenmaterial wurde in die strauchelnde DDR gekarrt. Den Slogan „Wir sind das Volk“ wurde in „Wir sind ein Volk“ umgeschrieben. Heute würde man das Ganze wohl Nudging nennen – die DDR-Menschen wurden dahin geschubst, wohin man sie haben wollte.
Auch das macht Daniela Dahn klar: Es gab durchaus auch kritische Medien in der Noch-DDR. Doch wurden diese kaum noch gelesen. Alles wurde von Westpresse überschwemmt, DDR-Verlage wurden von Westverlagen aufgekauft und so weiter.
Es ist den Leserinnen und Lesern wirklich zu empfehlen, das akribisch zusammengetragene und von Daniela Dahn für das Buch aufbereitete Material mit den dazu gehörigen Stimmen und Quellen sehr gründlich zu studieren und zu verinnerlichen. Auch das Kapitel „Die Währungsunion war organisierte Verantwortungslosigkeit“ (S.115) ist unverzichtbar und für ganze weiter erfolgte Entwicklung exorbitant wichtig. Langsam, Buchseite für Buchseite lupft Daniela Dahn die über die ganzen wenig rühmlichen, in den Zeiten von Wende und DDR-Anschluss begangenen Missetaten gekippte süße, schleimige Friede-Freude-Eierkuchen-Einheitssoßen-Schicht an. Und manch übler Dunst steigt da aus dem auf die DDR abgekipptem Kladderadatsch auf.
Auch das Treiben der Treuhand, die betreffs ihres Tuns dieser Bezeichung hohnsprach, wird von Daniela Dahn beackert und bis in die dunklen Seiten hinein beleuchtet.
Wir sollten uns erinnern, möchte ich hier zu diesem Thema einwerfen: Der Schriftsteller Rolf Hochhuth, der das Stück „Wessis in Weimar“ geschrieben hatte, schrieb rückblickend von einer „brutalen Enteignung der Ostdeutschen“ und einem „Gewaltakt namens Wiedervereinigung“. Es dürfte die größte Enteígnung gewesen sein, die die Welt je gesehen hat.
Wie die Willensbildung der DDR-Bürger beeinflusst wurde, zu erklären – um nicht zu sagen: darzulegen, wie sie sozusagen hinter die Fichte geführt wurden -, ist die ureigenste Aufgabe des Wahrnehmungs- und Kognitionsforschers Prof. Dr. Rainer Mausfeld im vorliegenden Buch. Im Kapitel „Wende wohin? Die Realität hinter der Rhetorik“ ab Seite 126 beschönigt er freilich nichts. Dennoch postuliert er: „Das Schweigen der Lämmer ist kein unabwendbares Schicksal.“ Aber müssen wir ehrlichkeitshalber hinzusetzen: Aber nicht mit einem Federwisch zu machen.
Mausfeld: „1989 hat das Volk sich selbst zum Sprechen ermächtigt und seine Stimme gegen die Zentren der Macht politisch wirksam werden lassen. Es hat den alten Hirten die Gefolgschaft aufgekündigt und sich neue gesucht, die seine Vertreibung ins Paradies, so das treffende Bild von Daniela Dahn, organisierten.“
Rainer Mausfeld spricht Wichtiges bis ins Heute an, wo doch eine Krise nach der anderen allmählich zu explodieren droht: „Die Frage, die wir uns stellen müssen ist also: Warum sind wir so blind für die zerstörerischen Folgen der kapitalistischen Weltgewaltordnung? Das Erfolgsrezept des Kapitalismus ist seit jeher, dass er uns zu einem Teufelspakt verführen will, er verspricht uns immerwährenden Fortschritt und eine kontinuierliche Verbesserung unserer Lebensstandards und sorgt zugleich dafür, dass wir unfähig sind, den dafür zu entrichtenden Preis überhaupt erkennen zu können.“
Daniela Dahn wiederum fragt im Kapitel „Ein Luxus anderer Art. Was bedeutet die Forderung nach einem Systemwechsel? (S.147). Und sie erkennt: „Frei (und demnach revolutionär) ist, wer das als falsch Erkannte umzukehren vermag.“ Aber muss auch einsehen: „Recht und Staat sind praktischerweise so konstruiert, dass sie die herrschende, angeblich nicht verfehlte, sondern fortschrittliche Funktionslogik in Gang halt.“ Dahn führt Kurt Tucholsky ins Feld: Politik ist die Durchsetzung wirtschaftlicher Interessen mit Hilfe der Gesetzgebung.“
Dahn schließt das Kapitel so: „Den eigentlich verbotenen politischen Streik hat ‚Fridays for Future‘ schon erprobt. Die Gemeinnützigkeit wird sich die globalisierungskritische Attac-Bewegung nicht nehmen lassen. Ist so etwas wie Generalstreiks wieder zeitgemäß? Wie schützt man soziale Revolutionen vor finanzierten und manipulierten Putschen und Umstürzen?
Die Verheißungen eines Systemwechsel, aber auch die Widerstände dagegen bewusster zu machen, hat letztlich einen Zweck: uns die Erfahrungen eines weiteren, folgenreichen Scheiterns zu ersparen. Denn dann wird die Erde sinken und verbrennen.“
Das keinen Moment langweilig werdende Buch geht aus mit hochinteressanten Fünf Gesprächen in Form einer fortgesetzten Telefonkonferenz als Anmerkungen und weiterführende Betrachtungen zu den verhergehenden Texten der beiden Autoren Daniela Dahn und Rainer Mausfeld (ab S.162).
Rainer Mausfeld sagt unter der Überschrift „Wie sich die verwirrte Herde auf Kurs halten lässt.“ (S.165)
„… was sich dazu sagen lässt, ist leider weniger erbaulich. Der Westen verfügt über eine einzigartiges Arsenal höchst raffinierter psychologischer Manipulationsmethoden. Das wird seit mehr als hundert Jahren mit großen Forschungsanstrengungen und verfeinert. In diesen psychologischen Techniken einer Bevölkerungskontrolle hat der Westen gegenüber dem Osten einen kaum vorstellbaren Forschungsvorsprung: (…) Kapitalistische Demokratien sind, wie man schon früh erkannte, wegen der freien Wahlen darauf angewiesen, bei den Wählern den Eindruck völliger Freiheit aufrechtzuerhalten und zugleich sicherzustellen, dass diese so wählen, wie sie wählen sollen. Das ist machtechnologisch nur mit höchstem Aufwand zu bewältigen.“
Ab S.175 ein weiteres wichtiges Thema im Gespräch: „Wendevorgänge und manipulierte Geschichtsschreibung über die DDR“! Wie funktionierte das? Daniela Dahn: „Wer die Gegenwart Gegenwart kontrolliert, kontrolliert auch die Vergangenheit.“ (S.177)
Rainer Mausfeld (199): „Der empörendste Befund ist eigentlich die siegestrunkene Hemmungslosigkeit, mit der eine frei Meinungsbildung der DDR-Bevölkerung behindert und blockiert wurde. Ganz ungeniert und offen wurde hier von außen massive Wahlbeeinflussung betrieben. Es lohnt sich das Ausmaß dieser Wahlbeeinflussung in Relation zu jüngeren tatsächlichen oder vorgeblichen Versuchen einer von außen kommenden Beeinflussung demokratischer Wahlen zu setzen, die im Westen größte Empörungen ausgelöst haben. Größer kann Heuchelei wohl nicht sein.“
Das fünfte Gespräch (S.211) geht „Über die Hoffnung auf eine Wende, die den Namen verdient“. Rainer Mausfeld spricht über den „Systemwechsel als Umkehrung des Ausgangspunktes“ (S.213), ein Zitat von Ernst-Wolfgang Bockenförde, welches Daniela Dahn betreffs der berechtigen Frage der Notwendigkeit eines Systemwechsels angeführt hat.
Und Daniela Dahn erkennt, dass für die Notwendigkeit dieses Wechsels inzwischen viele gut begründete Wortmeldungen gebe. Selbst von Konservativen, „die sich in faschistoide Verhältnisse befürchten.“
Im Abschnitt „Hat das Virus die Demokratie befallen?“ (S.219) sagen die Autoren: „Wenn es in diesem Buch um das Tamtam massenhafter Beeinflussung von Meinungen ging und um das Tabuisierten unerwünschten Widerspruchs, dann kommen wir am Ende an einem aktuellen Bezug nicht vorbei – die Corona-Krise.“
Daniela Dahn: „Ich unterstelle zunächst keinerlei Absichten. Das Virus war da, die Wirkung blieb nicht aus. Nun ist es interessant, wie die einzelnen Akteure mit der Situation umgegehen. (…) Ich mische mich nicht in die innen Angelegenheit der Medizin ein. Aber als Publizistin können mir grobe Nachlässigkeiten, Widersprüche und Unterlassungen in der Argumentation nicht entgehen.“
Und Rainer Mausfeld hat richtig ausgemacht (S.220): „Die Corona-Krise ist ja tatsächlich eine Multi-Krise. In ihr kreuzen und verbinden sich sehr unterschiedliche Krisen, die bereits länger erwartet wurden. Dazu gehört auch eine Systemkrise des globalisierten Finanzkapitalismus, die sich auch eine Systemkrise des globalisierten Finanzkapitalismus, die sich auf diese Weise fast unsichtbar gemacht hat und damit ihre Kosten wieder kurzerhand auf die Gemeinschaft umlegen kann. Covid-19 bringt lediglich wie eine Katalysator sehr grundlegende Probleme der gegenwärtigen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung zum Vorschein.“
Zu Bedenken gibt Mausfeld indem er auf Thomas Pynchons Worte (S.233) „Wenn sie es schaffen, dass du die falschen Fragen stellst, brauchen sie sich über die Antworten keine Sorgen zu machen.“ anspricht, dem er Recht gibt: „Unangemessene Vergleiche und unbegründete Spekulationen führten schon früh in der Corona-Krise zu falschen Fragen.“
Die Fragen jedoch, beklagt Rainer Mausfeld (S.234), die an die eigentlichen Wurzeln der Missstände gingen, seien im Lärm des medialen Tamtam kaum zu hören.
Stattdessen verzehrten sich die Energien berechtigter gesellschaftlicher Veränderungsbedürfnisse in Kämpfen einer gespaltenen Gesellschaft.
Mausfeld liegt damit richtig: „Damit ist jede Solidarität in der Spaltung verschwunden.“ Und resümiert: „Genau so funktioniert effiziente Stabilisierung von Macht.“
Und Daniela Dahn gibt zu bedenken: „Wenn die Menschheit nach den Erfahrungen mit dieser Pandemie nicht umdenkt, müsste man ihr diese Fähigkeit wohl absprechen. Ein Schluss – wert widerlegt zu werden.“
Fazit
Getroffen haben beide Autoren ins Schwarze. Es wird historisch Geschehen rund um die Wende (welche der Kabarettist Uwe Steimle vielleicht treffender „Kehre“ nennt) analysiert und Bedenkenwertes den Leserinnen und Lesern offeriert. Und nun haben wir die Scholzsche „Zeitenwende“, welche die Autoren auch kritisch Maß genommen haben. Wo sind wir nur hingekommen? Die Chancen, welche sich 1990 geboten hatten, haben wir vertan. Und jetzt stehen wir mit einem Bein im Krieg?
Liebe Leserinnen und Leser führen sie sich unbedingt auch die Faksimiles (ab S.236) zu Gemüte von Zeitungsseiten und Texten aus der beschriebenen Wendezeit zu Gemüte. Damals gingen sie wohl an vielen Menschen vorbei. Und es wurde hingenommen. Heute können wir noch einmal genau hinschauen. Was glaubten wir damals selbst, als wir dergleichen lasen? Kommt vielleicht heute – mit dem Abstand zu damals und dem Wissen aus diesen wichtigen Buch von heute – dann doch etwas Scham auf?
Und, greife ich damit zu hoch? Egal: Ich wünsche mir nach wie vor, das Buch würde Schulstoff!
„Das Jahr 1990 kann als einer der wichtigsten Momente der Nachkriegsgeschichte angesehen werden, da es einzigartige Chancen bot – sowohl für eine internationale Friedensordnung wie auch für eine erneuerte Demokratie, die dann diesen Namen verdiente“, postulieren Daniela Dahn und Rainer Mausfeld in der Einleitung zu ihrem kürzlich erschienen Buch.
Alles scheint gesagt. „Die Tabus überdauern. Die renommierte Essayistin und Mitbegründerin des „Demokratischen Aufbruchs“ in der DDR Daniela Dahn und der Kognitionsforscher Rainer Mausfeld nehmen sie ins Visier mit einem Blick auf bislang unterschätzte Zusammenhänge.
Daniela Dahn untersucht, wie in atemberaubend kurzer Zeit die öffentliche Meinung mit großem Tamtam in eine Richtung gewendet wurde, die den Interessen des Westens entsprach. Mit ihrer stringenten Zusammenschau Presseschau wird das offizielle Narrativ über die Wende erschüttert. Rainer Mausfelds Analyse zeigt die Realität hinter der Rhetorik in einer kapitalistischen Demokratie. Die gemeinschaftlichen Analysen werden in einem grundlegenden Gespräch vertieft und liefern einen schonungslosen Befund des gegenwärtigen Zustands der Demokratie.“ (Westend Verlag)
Daniela Dahn, war zunächst DDR-Fernsehjournalistin, 1981 kündigte sie und ist seither Schriftstellerin und Publizistin. Sie hat die Wiedervereinigung in Büchern kritisch begleitet. Gastdozenturen führten sie in die USA und nach Großbritannien, ihre Themen sind auch die globale Bedrohung der Demokratie und des Friedens. Sie ist Trägerin u.a. des Fontane-Preises, des Kurt-Tucholsky-Preises für literarische Publizistik und des Ludwig-Börne-Preises.
Rainer Mausfeld ist Professor an der Universität Kiel und hatte bis zu seiner Emeritierung den Lehrstuhl für Wahrnehmungs- und Kognitionsforschung inne. Mit seinen Vorträgen (u.a. „Wie werden Meinung und Demokratie gesteuert?“ und „Die Angst der Machteliten vor dem Volk“) erreicht er Hunderttausende von Zuhörern. Sein Bestseller Warum schweigen die Lämmer? erschien 2018 im Westend Verlag.
Schaue ich mir den deutschen Journalismus an, so überkommt mich Trauer, Abscheu und bisweilen auch schon einmal kaum zu bändigende Wut. Ich bin schwer enttäuscht von der sogenannten „Vierten Macht“. Der Journalismus, der ja demnach die Mächtigen, die Regierenden kontrollieren und wo notwendig, entsprechend hart kritisieren soll. Die Journalisten, sollen ebenfalls nach der Definition von vierter Macht, Wachhunde, watchdogs, im Dienste der Demokratie sein. Sollen. Sollten! Aber sind sie es denn (noch)? Klar: die berühmten Ausnahmen bestätigen die Regel.
In meinen Augen ist der Journalismus – mit hartem Einschnitt festzumachen mindestens ab der „Ukraine-Krise“ mit Maidan-Putsch und daraus resultierender Sezession der Krim, welche eben keine Annexion war (nach Strafrechtler Reinhard Merkel; im hier zu besprechendem Buch „Recherche“ uch S.164) – zwar auf den Hund gekommen. Aber statt watchdogs zu sein, sind zu viele Journalisten zu bloßen Bettvorlegern auf dem Parkett der Herrschenden (und zwar sowohl der wirklich Herrschenden wie der unter ihnen Regierenden) mit eingekniffenem Schwänzen und Maulkörben (die sie sich nicht selten selbst angelegt haben, um in den Redaktionen nicht anzuecken) mutiert.
Doch schlimmer geht immer: In der Corona-Krise haben sich die Mainstream-Medien gar von selbst (noch) gleich(er) ausgerichtet und machen statt kritischen Journalismus Propaganda, sozusagen als Regierungssprecher. Unsäglich. Ja, ja, die Ausnahmen – ich weiß schon! Man muss sie mit dem Elektronenmikroskop suchen.
„Vierte Macht“?
Apropos „Vierte Macht“! Im Interview der NachDenkSeiten zum hier zu besprechenden Buch „Recherchieren“ von Patrik Baab merkt dieser an: Wer die Chefebene erreicht hat, teilt häufig Umfeld und Lebenslage mit den Machteliten aus Politik und Wirtschaft. So bilden sich ähnliche Haltungen und Ansichten heraus. Im Ergebnis verengt sich der Diskurs tendenziell auf die Interessen der Machteliten und blendet die Interessen der abhängig Beschäftigten aus. So werden Journalisten zu affirmativen Intellektuellen, wie der italienische Philosoph Antonio Gramsci sagte, die den Interessen der Mächtigen folgen. Das Gerede von der „vierten Gewalt“ geht deshalb an der Sache vorbei. Journalisten sind Lohnschreiber, und leider manchmal Hofnarren unter Wegfall der Höfe. Das sage ich nicht von oben herab, sondern als ein Mensch, der seit 45 Jahren Teil des Geschehens ist.“
Die Gründe für den Niedergang des Journalismus indes sind vielfältig
Das Internet mit kostenlosen Inhalten ist nur einer dieser Gründe. Niemand will mehr so recht dafür zahlen. Man reagierte (spät) mit Paywalls. Die aber lehnen Viele ab, andere können oder wollen sie sich diese zu bezahlenden Inhalte nicht leisten. Das Annoncengeschäft bricht vielfach weg. Redaktionen werden aus Kostengründen ausgedünnt und, und und.
Tatsächlich, macht Patrik Baab klar, sind manche Probleme im Journalismus nicht neu. Darauf habe bereits Georg Lucács 1923 hingewiesen (S.216). So gelange mit der Ausbeutung in Redaktionen und der Verengung des Debattenraums im Wesentlichen jener Prozess der Verdinglichung auf eine Stufe. Die bestehe im Kern darin, dass auch Journalisten die Ergebnisse ihrer Recherche verkaufen müssen. Baab: „Was Lukács damit meint, dazu sagt der Volksmund schlicht: ‚Wes Brot ich ess, des Lied ich sing!‘. Ein paar Jahre später beschrieb es der amerikanische Schriftsteller Upton Sinclair so: ‚Es ist schwierig, einen Mann dazu zu bringen, etwas zu verstehen, wenn sein Gehalt davon abhängt, dass er es nicht versteht!’“
Dass beschreibe präzise das Problem, „dass ausgerechnet Journalisten, die sich in einem Anfall von Hybris gerne als ‚Vierte Gewalt‘ bezeichnen, äußerst beleidigt auf jede Art von Kritik reagieren. Weiter: „Entgegen dieser Selbstidealisierung üben sie meist keine wirksame Kontrolle der politischen und wirtschaftlichen Machtzentren aus. Vielmehr wirken sie durch ihre Nachrichtenselektion und -interpretation als Torwächter bei der Formulierung des öffentlichen Diskussionsraumes.“
Baab verweist auf Didier Eribon. Der „beschreibt diesen Verrat der Intellektuellen, an dem Journalisten entscheidenden Anteil hatten. Sie begannen, den Rückbau des Wohlfahrtsstaates zu legitimieren, schrieben sich das Projekt des Sozialabbaus auf die Fahnen, redeten Rentenkürzungen und der Agenda 2010 das Wort. Sie sprachen nicht mehr die Sprache der Regierten, sondern jene der herrschenden Machteliten.“ (S.218/217)
Was wir – möchte ich anmerken – nun auch (wieder) bereits zwei quälend lange Jahre in der Corona-Krise erleben.
Und die Journalisten im Speziellen? Das ist auch eine Geschichte für sich. Sie stammen oft aus Akademiker- oder sonst wie gut situierten Haushalten. Sie wohnen in Stadtvierteln, in welchen Menschen mit gleichem Hintergrund bevorzugt leben. Sie besuchen die gleichen Szenekneipen. Die rezipieren die gleichen Medien. Übrigens sagt dies der Ex-SPD-Bundestagsabgeordnete Marco Bülow aus Dortmund, selbst gelernter Journalist auch von den über die Jahre frisch in den Bundestag gewählten Abgeordneten: „Als Bülow in den Bundestag kam, waren selbst allein in der SPD-Fraktion fast alle Akademiker gewesen. Doch ihre Eltern und Umfeld waren es nicht. Heute sehe es anders aus. Man kenne Probleme von Kindern aus Nichtakademikerfamilien überhaupt nicht, komme ja mit ihnen nicht in Berührung.
Diese Bundestagsabgeordneten bekämen nichts von gravierenden sozialen Problemen mit. In Berlin lebe man unter der Reichstagskuppel und somit in einer Blase. Marco Bülow: „Die Journalisten mit denn man es zu tun hat, die Lobbyisten mit denen man zu tun hat und die Kollegen mit denen man zu tun hat, die haben alle ein sehr gutes Auskommen und ihr Umfeld auch.“ Weshalb deren Fokus weg von den sozialen Problemen sei.“ (Dazu hier.)
Patrik Baabs Buch schreibt in seinem Buch (S.204): „Die Ähnlichkeit im Habitus zwischen dem journalistischen Milieu und denn Eliten sorgen für Nähe und Sympathie. Wer exklusive Informationen bekommen will, vermeidet Nestbeschmutzung.“ Und Baab zitiert Uwe Krüger: „Die Eliten suchen sich ihre Journalisten aus.“
Wobei hier meinerseits anzumerken ist: Das Gros der Journalisten heute dürfte nicht zu denen von Bülow erwähnten gehören, die „ein sehr gutes Auskommen“ haben. Eher ist das Gegenteil der Fall. Nicht wenige gehören quasi zum Prekariat.
„Die Gedanken der herrschenden Klasse sind in jeder Epoche die herrschenden Gedanken, d.h. die Klasse, welche die herrschende materielle Macht der Gesellschaft ist, ist zugleich ihre herrschende geistige Macht.“ (Karl Marx)
Von Journalisten – vor allem wenn sie Anfänger im Beruf sind – ist wohl kaum zu erwarten, dass sie heiße Eisen anfassen. Erst recht nicht von denen, die bei ihrem Redaktionsleiter schon einmal eine „heiße Geschichte“ versucht haben unter und damit ins Blatt zu bringen. Und der Redakteur ihm geraten hat: „Das schreibst du besser nicht.“ Beim nächsten Mal dürfte der voller Tatendrang und hohem Engagement angetretene Journalist so ein Thema „freiwillig“ auslassen. Er will ja vielleicht auch einmal eine Familie gründen, oder ein Häuschen im Grünen bauen – oder er ist schon dabei es abzuzahlen. Dann lieber spuren …
So werden manche mit hehren Zielen im Kopf gestartete, weiter aufzustreben gedenkende Journalist*innen womöglich eines Tages früher oder später auch lernen, was olle Karl Marx bereits zu Papier gebracht hatte: „Die Gedanken der herrschenden Klasse sind in jeder Epoche die herrschenden Gedanken, d.h. die Klasse, welche die herrschende materielle Macht der Gesellschaft ist, ist zugleich ihre herrschende geistige Macht.“
Es dürfte zumindest nicht von Nachteil sein, wenn kommende Journalist*innen den selben Stallgeruch haben, wie die leitenden Redakteure. Anders bei Christian Baron („Ein Mann seiner Klasse“), dem dieser nämliche Stallgeruch fehlte und er sich infolgedessen als Journalist durchbeißen musste.
„Recherchieren in Zeiten der Gegenaufklärung“
Im Kapitel „Recherchieren in Zeiten der Gegenaufklärung“ schreibt Baab (S.203) auf den Elitenforscher Michael Hartmann verweisend, dass dieser darauf aufmerksam macht, „dass im Journalismus die eigene Lebenswirklichkeit und die Herkunft eine entscheidende Rolle spielen. Die Spitzenvertreter der privaten Medienkonzerne stellen mit fast 77 Prozent Bürger- und Großbürgerkinder nach den Topmanagern der Wirtschaft die sozial zweitexlusivste aller Eliten. Daneben sorgen die drei großen Journalistenschulen in Hamburg, München und Köln – die zentrale Karriere-Maschinerie der Medien – für strikte soziale Selektion. Hartmann zitiert ein Studie, der zufolge sechzig Prozent ihrer Journalistenschüler aus den höchsten von vier Herkunftsgruppen (Akademiker in leitender Position) und keine Einziger aus der niedrigsten (Arbeiter sowie untere und mittlere Angestellte und Beamte) stammen. Zur Welt der Normalbevölkerung fehlt diesen Medienvertretern einfach der Draht:
>>Das entscheidende Problem in der Berichterstattung sind deshalb nicht eine bewusst verfälschte Darstellung oder böser Wille, sondern der durch die eigene Situation und Herkunft verengte Blickwinkel.<<“
„So entsteht eine verdeckte privatisierte Tyrannei, die dafür sorgt, dass Abweichler ausgegrenzt, gemobbt, mit arbeitsrechtlichen Verfahren überzogen oder von ihren Arbeitgebern gefeuert werden – nicht, weil sie gegen Gesetze verstoßen, sondern weil sie kontroverse Überzeugungen geäußert haben.“
Der Autor schreibt (S.218): „Der Debattenraum wird so zum Exekutionsfeld politischer Säuberungen. Dies lässt in den Institutionen ein Klima der Angst und Selbstzensur wachen, welches keines direkten staatlichen Eingriffs mehr bedarf.“ Und man darf beim nächsten Satz durchaus auch an erschreckende Vorgänge in Corona-Zeiten (Beispiel You Tube: Löschungen kritischer Inhalt und sogar ganzer Kanäle!) denken: „So entsteht eine verdeckte privatisierte Tyrannei, die dafür sorgt, dass Abweichler ausgegrenzt, gemobbt, mit arbeitsrechtlichen Verfahren überzogen oder von ihren Arbeitgebern gefeuert werden – nicht, weil sie gegen Gesetze verstoßen, sondern weil sie kontroverse Überzeugungen geäußert haben.“
Die aufklärende Vernunft bilde sich zurück zur rein instrumentellen, so Baab.
„Das Ergebnis dieser Identitätspolitik ist das weit verbreitete Mittelmaß, das heute in der Medienlandschaft zu beobachten ist. Es deckt sich mit den politischen Vorstellungen einer vom sozialen Abstieg bedrohten Mittelklasse, die sich an ihre Identifikation mit der Oberschicht klammert. Allerdings sind es die Denkverbote und ideologischen Trümmer des Neoliberalismus, welche das geistige Klima prägen.“ (S.219)
Baab zitiert den Kieler Wahrnehmungs- und Kognitionsforscher Rainer Mausfeld:
„Kurz: Wir leben in einer Phase der Gegenaufklärung, wie es sie in diesem räumlichen und zeitlichen Umfang, in dieser fast alle gesellschaftlichen Lebensbereiche tiefgehend umfassenden und in dieser unsere sozialen und ökologischen Lebensgrundlagen zerstörenden Weise seit den Zeiten der Aufklärung noch nicht gegeben hat – eine Phase der Gegenaufklärung, die es perfiderweise sogar geschafft hat, sich als Aufklärung zu tarnen.“ (Leseempfehlung Rainer Mausfeld hier im Blog)
Und Baab wiederum gibt zu bedenken: „Die Tendenz vieler Journalisten, ja der ganzen Branche, zur Selbstgleichrichtung hat fundamentale Bedeutung für den Fortbestand der Demokratie, lehrt doch die historische Erfahrung, dass die Presse als ‚Sturmgeschütz der Demokratie‘ meist wenig taugt.“ Das zielt auf das Versagen in der Weimarer Republik vorm Heraufziehen des Nationalsozialismus. Baab: „der – linksradikaler Tendenzen unverdächtige – Historiker Karl Dietrich Bracher attestiert dem Großteil der Intellektuellen bei der Zerschlagung der Weimarer Republik und der Machtübergabe an die Hitler-Diktatur jedenfalls nicht nur eine Art kampflose Kapitulation, sondern vielmehr tatkräftige Mitwirkung.“
Ein Werkzeugkasten zur Kritik der herrschenden Meinung
Der Status quo des Journalismus bietet kein Grund zum Jubeln. Im Gegenteil. Doch soll man resignieren, ihn noch weiter in den Abgrund abrutschen lassen? Aber nein doch! Zum Journalismus gehören gut ausgebildete Journalist*innen, welche ihr Handwerk verstehen. Von Patrik Baab ist soeben ein Buch im Westend-Verlag erschienen, das den Titel „Recherchieren“, Untertitel „Ein Werkzeugkasten zur Kritik der herrschenden Meinung“ trägt.
„Dieses Buch ist den Gedanken der journalistischen Aufklärung verpflichtet. Zu ihren Kernaufgaben zählen die Kritik und Kontrolle politischer Macht. In der Praxis jedoch wird die Presse häufig zum Apologeten der Mächtigen und zum publizistischen Verteidiger des Status quo. Statt Macht- und Gewaltverhältnisse aufzuklären, vernebelt sie oft die Interessen von Machteliten und wird so zum Helfer der Gegenaufklärung. Patrik Baab zeigt, wie Kritik und Kontrolle von Eliten wieder in den Mittelpunkt der Recherche rücken können. Baab bietet einen Werkzeugkasten mit Instrumenten der Aufklärung.“ Quelle: Westend-Verlag
Das Buch trägt heutigen Gegebenheiten Rechnung
Zu begrüßen ist, dass das Buch den heutigen Gegebenheiten Rechnung trägt. Es wendet sich eben nicht explizit nur an Journalisten. Schließlich verschwimmen inzwischen eh die Grenzen wer Journalist ist und wer nicht. Und Journalist ist keine geschützte Berufsbezeichnung. So richtet sich das Buch ausdrücklich auch an Blogger und Internet-Aktivisten, aber gleichermaßen an Studentinnen und Mitarbeiter von NGO’s oder Bürgerinitiativen und somit ebenso an alle, die Medien-Berichterstattung und Informationsgebung kritisch zu hinterfragen gedenken.
Das Buch bietet dazu eine Reihe von Werkzeugen mit einem Arsenal von Fragen, die dabei helfen, herauszufinden, wes Geistes Kind die Autoren von Texten sind und welche Fragen an Mächtige gerichtet werden sollten.
„Recherchieren heißt aufklären“
„Recherchieren heißt aufklären“ ist das erste Kapitel (S.9) überschrieben. Nur wo in den Medien wird noch wirklich recherchiert? Recherche kostet Geld und bindet Ressourcen. Weshalb viele Journalisten von einander abschreiben. Oft muss eine Story aus Aktualitätsgründen auch schnell rausgehauen werden. Sie muss Klicks generieren. Man muss vor der Konkurrenz damit draußen sein.
In puncto Aufklärung verweist Baab verständlicherweise auf Immanuel Kants Gedanken dazu. Jedoch ihn ausführlicher zitierend als das für gewöhnlich in den meisten Publikationen geschieht.
Menschen, die sich ernsthaft und ehrlichen Herzens für berufen erachten, den Journalismus als ihr künftiges Arbeitsfeld zu wählen, kommen m.E. an diesem Buch nicht vorbei. Ohnehin sollte Baabs Buch „Recherche“ in keiner Journalistenschule fehlen. Akribisch – dabei von eigenen Erfahrungen profitierend und wohl überlegt hat Patrik Baab den journalistischen Werkzeugkasten (S.24) Fach für Fach mit Werkzeugen bestückt, die für die Ausübung des Berufes unentbehrlich sind.
Klappt man den Werkzeugkasten auf und besieht sich die zutage tretenden einzelnen Fächer mit seinen auf den Seiten 24 bis 178 gründlich beschriebenen Werkzeugen darin, für den Beruf des Journalisten gewappnet. Selbstredend ist dabei zu bedenken. Übung macht den Meister. Und die dabei erlangte Erfahrung sorgt mit der Zeit für Sicherheit und Verbesserung des Selbstbewusstseins bei der Ausführung der Tätigkeit. Ganz oben im Werkzeugkasten liegen die sieben wichtigsten Fragen, die Journalisten immer zu berücksichtigen haben (S.30): Wer? Was? Wann? Wo? Wie? Warum? Woher die Meldung?
Es gibt Hilfestellungen, wie Themen zu finden sind, wie Quellen erschlossen und wie sie geprüft werden sollten (immer nach zwei voneinander unabhängigen Quellen suchen!) und die dann natürlich auch überprüft gehören. Und unerlässlich auch der Quellenschutz! Nicht zu vernachlässigen klug, auf Vorsicht bedachter Umgang etwa mit Whistleblowern und somit deren Schutz, von denen Material angeboten wird. Ein Journalist, der da gravierende Fehler macht, bekommt womöglich nie wieder dergleichen angeboten.
Ebenso gut zu bedenken ist dabei, was man zu Treffen mit Informanten mitnimmt und was nicht. Wir wissen: Smartphones können abgehört oder geortet werden!
Wie gehe ich mit Daten um? Wo speichere ich sie?
Ebenfalls, empfiehlt Baab, sollte man sich davor hüten betreffs eines Beitrags, lediglich mit Pressestellen – die ja nun einmal naturgemäß interessengeleitet sind – zu telefonieren. Oder lediglich vor dem Bildschirm sitzen, um zu Googeln. Der Autor weißt darauf hin, dass etwa Google unter Umständen mehr über uns erfährt, als wir von irgend etwas zu erfahren gedenken. Schließlich sind Daten das neue Gold.
Überhaupt gelte es immer und überall Augen und Ohren offenzuhalten und mit Leuten zu sprechen, persönliche Kontakte zu ihnen aufzubauen. Immer und überall Fragen stellen. Vor Ort sein! Vermeintlich fertige Beiträge seien immer nochmals zu überprüfen. Habe ich etwas vergessen? Oder könnte da und dort etwas noch verständlicher formuliert sein?
Des Weiteren wird auf die Wichtigkeit und Notwendigkeit hingewiesen von Vorgängen Memos zu fertigen oder wie Recherchen zu dokumentieren sind. Dazu gehört freilich auch was zwecks Publikation von Recherchen zu wissen ist. Und es wird darauf hingewiesen, die Reaktionen auszuwerten.
Sehr genau wird auch das Thema Interview behandelt. Wie bereite ich mich vor? Welches Equipment (Kamera, Aufnahmegerät etc.) ist vonnöten? Nicht unwichtig: Welche Kleidung ist für dieses oder jenes Interview angemessen? Und was ist bei der Interviewführung zu beachten? Wie reagiert man auf unterschiedliche Charaktere der Interviewpartner und deren etwaigen Reaktionen während des Interviews?
Sehr praktisch: Zu allen Werkzeugen und Themen gibt es im Anschluss jeweils Kästen, in welchen noch einmal alles Wichtige stichpunktartig zusammengefasst ist. Sucht man etwas, kann immer rasch nachgeschlagen und das Wichtigste mit einem Blick erfasst werden.
Ein wichtiges Buch in trüben Zeiten
Ein wichtiges Buch in trüben Zeiten, welche die Demokratie auf schwere Proben stellt. Gerade aber da wäre ein funktionierender, wachsamer Journalismus dringender denn je gefragt. Patrik Baab (S.223): „Danach wäre es die Aufgabe von Recherche, die Falschheit der Welt zu erkennen und auszusprechen; die dafür Verantwortlichen zu nennen und ihre sozialen Strukturen zu destabilisieren, ihren Verschleierungscharakter offenzulegen. Damit hat Recherche die Aufgabe, in Alternativen zur bestehenden Ordnung zu denken, sie als Menschen gemacht, erkennbaren Interessen folgend und von Menschen veränderbar darzustellen.“
Recherche, so Baab, könne ihrem Wesen nach als ein oppositionelles Konzept gelten. Recherche bedeute den Debattenraum (wieder!) zu erweitern und sich nicht auf Themen festzulegen, die rechte und neoliberale Think-Tanks setzen wollen, sondern die Grenzen des Sagbaren zu transformieren.
Dick unterstrichen gehört: „Deshalb wäre es an der Zeit , mit einem Perspektivwechsel auch den eigenen Standpunkt zu verändern. Tendenziell bedroht von sozialem Abstieg und Prekarisierung, wäre der Platz des Rechercheurs eigentlich an der Seite jener, die ebenfalls Prekarisierung und sozialen Abstiegsängsten ausgesetzt sind. Nicht an der Seite der Machteliten, sondern an der Seite der abhängig Beschäftigten, vom Klimawandel bedrohten, von Deklassierung betroffenen. (S.224) Nicht an der Seite derjenigen, die journalistische Arbeit entwerten und enteignen, sondern an der Seite derer, die in den Risikokaskaden zulasten des Faktors Arbeit etwas entgegensetzen wollen.“
Ein hochwichtiges Buch, das aktueller und in aller notwendigen Deutlichkeit nicht sagen könnte, was ist. Und darüber hinaus: Was geschehen müsste. Nur, wie kann dieser sich daraus ergebende, unbedingt nötige große Ruck durch den Journalismus und freilich – Roman Herzog, Gott hab ihn selig, der dies einst postulierte: darüber hinaus ein Ruck durch Deutschland ins Werk gesetzt werden?
Diesbezüglich muss ich aber dann doch etwas Wasser in den Wein gießen – was sich aber wohlgemerkt nicht auf das hervorragende Buch bezieht: Unsere Gesellschaft ist längst auf dem Pfad der Refeudalisierung (der Begriff „Refeudalisierung“ wird auf Jürgen Habermas‘ Strukturwandel der Öffentlichkeit (Habermas [1962]1990) zurückgeführt) und im weiteren Verlauf auf dem Holzweg des Neoliberalismus, respektive Marktradikalismus gebracht worden. Die Regierenden – bitter: am Schlimmsten die Sozialdemokraten mit ihrem Komplizen den Grünen unter Bundeskanzler Schröder, haben mit dem Sozialabbau und der Agenda 2010 die verheerendsten gesellschaftlichen Einschläge zu verantworten. Der Journalismus hat die Politik des Sozialabbaus und der Privatisierungen im Grunde unkritisch mitgetragen und sogar noch forciert.
Können wir da – ohne absolut schwarzmalen zu wollen – an einen Wandel glauben? Immerhin könnte uns noch die Umsetzung der teils gruseligen Vorstellungen eines Klaus Schwab vom „Great Reset“, die längst vom World Economic Forum ausgekocht sein dürften, das der Journalist Paul Schreyer „Politbüro des Kapitalismus“ nennt, drohen. Überdies, wie der Finanzexperte und Autor Ernst Wolff seit langem befürchtet, stehe uns ein schlimmerer Finanzcrash als 2007/2008 bevor.
Fazit
Wie dem auch sei, das hier ausdrücklich empfohlene Buch von Patrik Baab sollten all jene zuallererst lesen, die Journalisten werden wollen.
Weshalb es m.E. unbedingt in die Regale der Bibliotheken von Journalistenschulen gehört. Vielleicht neben das ebenfalls sehr empfehlenswerte Buch „Medienanalyse. Ein kritisches Lehrbuch“ von Sabine Schiffer. Ebenfalls im Westend Verlag erschienen. Auch Bloggern und Aktivisten von NGO’s, denen es bei der Recherche dienlich sein kann, ist „Recherchieren“ von Patrik Baab empfohlen. Aber auch Bürger*innen, Medienkonsumenten, den nebenbei zu anzuraten ist, mehrere, unterschiedliche Medien zu rezipieren – sofern sie die Zeit dazu haben, um sich ein besseres Bild zu machen.
Aber auch bereits, vielleicht schon seit Jahren, als Journalist*innen tätige Menschen, sollten durchaus einmal dieses Buch bemühen. Nicht zuletzt, um einmal zu überprüfen, ob man noch seinen einstigen Vorstellungen vom Beruf verpflichtet ist, oder hier und da doch einmal vom Wege abgekommen ist.
Patrik Baab ist Politikwissenschaftler und Journalist und hat u.a. an den ARD-Filmen „Der Tod des Uwe Barschel – Skandal ohne Ende“ (2007), „Der Tod des Uwe Barschel – Die ganze Geschichte“ (2008) sowie „Uwe Barschel – Das Rätsel“ (2016) mitgewirkt. Er ist Lehrbeauftragter für praktischen Journalismus an der Christian-Albrechts-Universität Kiel und an der Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft in Berlin.
Ich fürchte, unsere Demokratie ist in einer ziemlichen Krise. Und das schon seit längerem. Dass kann man erkennen, wenn man genau hineinsieht und hineinhorcht in unser Land. Wer das nicht sieht, profitiert womöglich von diesem Zustand. Oder ist blind und taub zugleich. Das Parteiensystem ist einigermaßen verkommen. Dass Parteien sich zuweilen das Land sozusagen unter den Nagel reißen, als gehöre es ihnen, hat schon sehr früh der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker kritisiert. Die Parteien seien „machtversessen“, beschied der Politiker ihnen. Hat sich seither etwas verändert? Ja, muss man glasklar konstatieren: Es ist noch viel schlimmer geworden! Heute tritt ja nicht einmal mehr ein Minister zurück, der nachprüfbar teure Fehler gemacht hat. Ja, Sie haben richtig gedacht: gemeint ist unseren Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU)! Aber die Liste bzw. die Latte von Verfehlungen von Politikern ist lang. Die jüngste Schweinerei ist die Maskenaffäre. Kritik – so sie sich denn überhaupt aus Presse und via anderer Medien erhebt – läuft ins Leere oder ist lediglich ein laues Lüftchen. Denn auch der Journalismus – Ausnahmen bestätigen die Regel – ist seit Jahren in bedenklich-grässlichem Zustand. Aber dies ist ein anderes Thema.
Ist BRD womöglich inzwischen zu einer Bananenrepublik verkommen? Oder nur auf dem Weg dahin? Zumindest müffelt es immer öfters faulig bananig. Wer ein Näschen dafür, der rieche. Neulich brabbelte jemand, Deutschland sei mindestens so korrupt wie Gambia. Nur ginge hierzulande freilich alles vornehmer, irgendwie galanter zu. Na ja, ich will Gambia nicht zu nahe treten…
Demokratie?
Mit der Demokratie ist es so eine Sache. Nehmen wir deren Definition, wonach diese Form Volksherrschaft bedeute, dann kommen wir schon ins Grübeln. Haben wir eine Demokratie? Hatten wir je eine? Fassadendemokratie ist da wohl eher die passendere Bezeichnung. Fakt ist: Die Wirtschaft hat mit der Demokratie ohnehin nicht viel am Hut. Nicht umsonst verweist Rainer Mausfeld auf Noam Chomsky: „Der Begriff kapitalistische Demokratie ist ein Widerspruch in sich. …. das ist eine Zwangsverbindung – beides passt nicht zusammen.“
Freilich weiß die Wirtschaft aber auf die Demokratie, auf die gewählten Regierenden sowie die Volksvertreter zu ihrem Nutzen Einfluss zu nehmen.
Der frühere SPD-Politiker Marco Bülow meldet sich mit neuem Buch zu Wort
Marco Bülow (geboren 1971), der frühere SPD-Bundesabgeordnete aus Dortmund, der nachdem er enttäuscht über die Entwicklung seiner Partei aus der SPD ausgetreten ist, hat sich wieder mit einem neuen Buch zu Wort gemeldet. Im September 2002 war er – in einem Brennpunktstadtteil aufgewachsen – das erste Mal mit sensationellen 57,8 Prozent der Wähler in seinem Dortmunder Wahlkreis direkt in den Bundestag gewählt geworden. Ende 2018 hatte Bülow nach 26 Jahren die SPD verlassen.
Seit seinem Austritt sitzt Bülow als fraktionsloser Abgeordneter im Parlament. Inzwischen er Mitglied der Partei Die PARTEI. Sein Buch darüber trägt den Titel: „Lobbyland“. Untertitel: „ Wie die Wirtschaft unsere Demokratie kauft“.
Gewidmet hat er es seiner Tochter:
„Für meine Tochter Kaya und die nachfolgende Generation:
Wir sind alle Vorfahren der Zukunft“
Das Vorwort zum Buch hat Bülows Parteikollege, der Abgeordnete des Europäischen Parlaments Martin Sonneborn geschrieben:
(…)“Lobbyismus und Korruption. Abgeordnete, die sich bei ihrer Tätigkeit im Bundestag (oder im EU-Parlament) nicht mehr an den Interessen der Bürger orientieren, sondern an denen der Finanz- und Großindustrie, an denen der spendenfreudigen Firmen in ihrem Wahlkreis. Mitglieder des Bundestags, die in erster Linie ihre eigenen Nebenverdienste im Blick haben (wenn nicht in einigen Fällen sogar eher das Mandat die Nebentätigkeit bedeutet), das eigene Wohl anstelle des Gemeinwohls. Fraktionszwang. Zu viele Politiker lassen sich Schneid und Überzeugung abkaufen, in dem Moment, in dem sie in den Bundestag einziehen. Eigentlich nur ihrem Gewissen verpflichtet, unterwerfen sie sich aus Bequemlichkeit oder Karrieregründen einer Disziplin, die in unserer Verfassung so nicht vorgesehen ist. Intransparenz. Eben erst hat die Groko Haram zum wiederholten Male die Einführung eines »exekutiven Fußabdrucks« verhindert, den Organisationen wie Lobbycontrol schon lange fordern und der aufzeigen soll, welche Interessengruppen an der Verfassung von Gesetzestexten beteiligt sind.
Als Marco Bülow Kontakt zu uns aufnahm, habe ich mich sehr gefreut. Ich kannte ihn als ehrlichen, empathischen und empörten Kämpfer gegen Lobbyismus, Korruption, Fraktionsdisziplin und Intransparenz. Außerdem als unbestechlichen Kopf, der früh die Gefährlichkeit des Klimawandels und der katastrophalen Ungleichverteilung des Reichtums in Deutschland erkannt hat und politisch dagegen angeht. Ich habe Politikwissenschaften studiert, schaue mir in der Süddeutschen und der FAZ nicht nur die Bilder an und interessiere mich für die politischen Verhältnisse, in denen wir leben. Trotzdem kenne ich viele Zusammenhänge nicht. Wie konnten unter einer rot-grünen Regierung die asozialen Hartz-IV-Gesetze durch den Bundestag gehen? Wie kam es zur ersten deutschen Beteiligung an einem Krieg, nachdem wir den letzten doch recht deutlich verloren hatten? Gibt es wirklich eine realistische Chance auf eine rot-rot-grüne Regierung in Deutschland? Wer macht in diesem Lande eigentlich die Politik? Nach fast 20 Jahren im Bundestag kann Bülow diese Fragen beantworten.“
Und Sonneborn schließt sein Vorwort mit diesem Satz, dem man ohne Weiteres zustimmen kann: „Wenn es in der SPD mehr Menschen wie Marco Bülow gäbe, hätten wir Die PARTEI niemals gründen müssen.“
Der Prolog (S.15) hebt mit »Monopoly, Monopoly, wir sind nur die Randfiguren in einem schlechten Spiel …« Klaus Lage, Text Diether Dehm an.
„DEM DEUTSCHEN VOLKE“ steht über dem Hauptportal des Reichstagsgebäudes. Die Glaskuppel verheißt Transparenz – Marco Bülow befindet nüchtern: „Eine Illusion. Viel Fassade und viel Schein. Es ist eine Glocke, eine abgeschottete Welt“
„ReichsTag
»DEM DEUTSCHEN VOLKE« – steht auf einer Länge von 16 Metern in großen Lettern über dem Hauptportal des Reichstagsgebäudes. Schon 1916 wurde diese Inschrift von der Berliner Bronzegießerei S. A. Loevy, einem jüdischen Familienunternehmen, hergestellt und angebracht. Seit 1999 krönt den Bundestag eine große gläserne Kuppel. 3000 Quadratmeter Glas, als Symbol für Transparenz und Offenheit. In der Kuppel stehend blickt die Bevölkerung ihren Abgeordneten symbolisch über die Schulter. Es gibt ein Gefühl von Nähe und Kontrolle. Direkt gegenüber: das Kanzleramt und drum herum ein Bienenschwarm von Menschen. Die Politik ist mittendrin. Eine Illusion. Viel Fassade und viel Schein. Es ist eine Glocke, eine abgeschottete Welt. Die Bevölkerung ist nur zu Besuch, so wie man eine entfernte Verwandte mal zum Kaffee einlädt. Der Widerspruch zwischen Darstellung und Handlung in der herrschenden Politik wächst. Einige ihrer Regeln und Strukturen sind so absurd, dass es mich überrascht, wie der Schein der Normalität überhaupt so lange gewahrt werden konnte. Risse in der Fassade gibt es. Einige Initiativen, einzelne Politikerinnen und Journalistinnen blicken immer wieder hinter die Kulissen und decken wahre Zustände auf. Aber ernsthafte Argumente und Kritik beeindrucken unter der Kuppel fast niemanden. Die Interessen der zukünftigen Generationen und der weniger privilegierten Menschen spielen hier im hohen Haus und in den Ministerien eine immer unwichtigere Rolle.“
Marco Bülow: „Die Bevölkerung ist meine Chefin“
Um so quasi das Kapitel „P-Day“ einzuleitend, schreibt Bülow:
„Können Satire, zugespitzte Darstellung, gnadenlose Aufklärung und vor allem Öffentlichkeit im Zusammenspiel die Fassade einreißen und das Fundament freilegen?“
Gelingt es mit seinem Eintritt in Die PARTEI an einem grauen Novembertag 2020 vor dem Reichstag?
„Die Bevölkerung ist mein Chef“, schrieb sich Marco Bülow schon eine Weile vor diesem Ereignis auf die Fahnen. Nachzulesen u.a. in meinem Beitrag über eine Veranstaltung in Dortmund.
Im Buch schreibt der Politiker: „Wir werden von der Bevölkerung gewählt und dafür bezahlt, dass wir sie vertreten. Deshalb möchte ich auch mit neuem Team, weiter »multiparteiisch« sein, übergreifend arbeiten, ohne die Scheuklappen der Parteitaktik. Denn: Die Bevölkerung ist die Chefin – nicht eine Partei- oder Fraktionsvorsitzende oder gar die Kanzlerin oder die Konzernchefin.“
Der Politiker ist ein Geerdeter
Diese Einstellung Bülows resultiert aus seinem Leben. Im Gegensatz selbst zu vielen Bundestagsabgeordneten der SPD entstammt er keinen Akademikerhaushalt. Auf Seite 18 lesen wird:
„Dagegen habe ich eine für das Ruhrgebiet typische Biografie. Mein Großvater hat unter Tage und dann als Stahlarbeiter gearbeitet, meine Eltern waren in der Pflege tätig. Ich bin derjenige, der von den Bildungsreformen und erpressten sozialen Zugeständnissen der siebziger und noch achtziger Jahre profitiert hat. So konnte ich mein Abi machen, durfte sogar studieren, auch wenn ich immer gejobbt habe.“ Das prägte den Dortmunder.
Im Bundestag angekommen – unter Rot-Grün – wird Bülow bald mit einer Realität konfrontiert, die ihn bald mehr und mehr irritiert und dann auch frustriert. Gerhard Schröder regiert nach Gutsherrenart. Marco Bülow erinnert sich: „Schröder führt damit eine Welle von selbsternannten Expertengremien und -runden ein. Ein sehr effizientes Mittel, gewählte Parlamente auszuschalten. Und da die Mehrheiten knapp sind, geht es bei Schröder mit der Drohung los, alles platzen zu lassen, wenn wir Abgeordnete nicht folgen. Damit wäre Rot-Grün am Ende, alle Möglichkeiten zu gestalten dahin. Es gäbe keine Energiewende und die Sozialpolitik dann wieder von Union und FDP.“
Die Abgeordneten sollen spuren, nicht viel fragen und schon gar nicht mit Kritik stören. Bülow schrieb vor Jahren über „Macht und Ohnmacht der Volksvertreter“ das viel beachtete Buch „Wir Abnicker“.
Schon damals machte er sich – wie man sich denken kann – damit keine Freunde. Schon gar nicht in bestimmten Kreisen der Partei. Auf Seite 36 seines aktuellen Buches zitiert Bülow aus dem 2010 erschienen Buch:
»Eine Demokratie muss wachsen, sie muss sich auf den Rückhalt der Menschen stützen und – vor allem – auf deren aktive Beteiligung. Denn selbst, wenn mancherorts irgendwann formal alle Kriterien für eine Demokratie erfüllt sind, verfügen in der Praxis häufig doch nur wenige Personen über die politische Macht – ein Problem, das sich immer öfter aber auch in gewachsenen Demokratien zeigt. (…) Demokratie lebt nur dann, wenn sich das Volk nicht darauf beschränkt, bei der Wahl die Stimme abzugeben. Zur Verantwortung jedes Einzelnen gehört es auch, die Repräsentanten und ihre Arbeit kritisch zu begleiten und sie auf
Ungerechtigkeiten und sinnvolle Änderungsmöglichkeiten hinzuweisen. Außerdem ist es wesentlich, die Demokratie weiterzuentwickeln. Eine Demokratie, die ihren Namen wirklich verdient, benötigt Mitbestimmung, Einmischung, Diskussionen.«
Die Postdemokratie lässt grüßen
Demokratie? Fassadendemokratie. Colin Crouch hat früh beschrieben wohin die Reise geht: Richtung Postdemokratie nämlich. Sind wir schon angekommen?
„Das Werk des britischen Politikwissenschaftlers Colin Crouch ist in dieser Frage schon fast zum Klassiker geworden“ führt Marco Bülow auf den Seiten 39/40 seines Buches aus. „Er benennt im Jahr 2000 die Phase und damit den Zustand der westlichen liberalen Demokratien erstmals als »Postdemokratie« (Crouch 2008). Dies lässt sich kurz so zusammenfassen: Die parlamentarische Demokratie mit geheimen Wahlen, Regierungsbildungen, der Gewaltenteilung, Parteienkonkurrenz und freien Medien ist noch völlig intakt. Doch hinter dieser funktionierenden Fassade entwickelte sich eine Machtstruktur, die sich vom eigentlichen demokratischen System entfernt hat. Eine kleine Gruppe oder Elite beherrscht und kontrolliert weitgehend die politischen Entscheidungen. Wahlkämpfe sind zu einem auch in den Medien personalisierten Spektakel verkommen. Politische Entscheidung werden hinter geschlossenen Türen und dort von wenigen und meist nicht demokratisch legitimierten Personen getroffen. Die Regierungen handeln Gesetze mit Lobbyisten und nicht mit den Parlamenten oder gar der Bevölkerung aus. Die Bevölkerung spielt dabei hauptsächlich eine passive, schweigende, ja sogar apathische Rolle. Eine Ohnmacht hat sie ergriffen, die zwar spürbar ist, aber deren Ursache von den betroffenen gesellschaftlichen Kräften nicht genau identifiziert wird. Der Einfluss privilegierter Eliten nimmt dagegen zu. Die Demokratie erleidet einen Substanzverlust. Crouch beschreibt diese Entwicklung sehr eindrücklich. Parteien tragen laut seiner Auffassung eine Hauptverantwortung, da sie sich diesem System angepasst, es sogar dahingehend beeinflusst hätten. An die Stelle von Programmdebatten, des Wettstreits von politischen Zielen und Visionen, treten seiner Ansicht nach immer mehr Personenkult, Richtlinienkompetenz und von Beratern und Marketing-Agenturen ritualisierte Diskussionen. Parteien degenerieren zu Dienstleistern, Klientelvertretungen und Kanzlerwahlvereinen. Auch die Medien und der Journalismus gehen diesen Weg mit. Statt seriöser Berichterstattung gibt es Infotainment, statt der großen politischen Auseinandersetzung zelebrieren sie Personaldebatten, beschäftigen sich mit Nebenschauplätzen und dem Streit um Nuancen.“
Hauptsache es sieht demokratisch aus? Nicht einmal das ist inzwischen m. E. mehr gegeben. Gut, dass Bülow das Buch geschrieben hat. Die Menschen sollten sich wirklich damit auseinandersetzen. Denn es pressiert!
Harter Tobak. Aber es ist doch Realität! Das Bülow gut erkannt und in der Wirklichkeit persönlich mitbekommen. Richard von Weizsäcker hatte früh gewarnt. Klar. Crouch beschrieb die bedenkliche immer klarer sichtbar werdende Realität. Bülow hat erlebt, wie ihm die Lobbyisten sein Bundestagsbüro einrannten. Immerhin führte er bald Buch, über die „netten“ Gäste. Andere Abgeordnete ließen ihre Kontakte im Dunkeln.
Marco Bülow stellt fest: „Doch mir wurde immer klarer, dass die Realität Crouch & Co. längst einholt“
„Der dêmos, des Volkes Herrschaft oder modern gesagt: die Beteiligung der Bevölkerung, wird ausgeschaltet“, beklagt Bülow.
Einfluss zu nehmen, so der Politiker bliebe nur noch die Wahl. Doch selbst die verliere an Wert.
Längst herrsche ein „DemokratieFrust“ (S.41). Zunächst habe er, Bülow, noch an neue Politiker, Reformen und eine erneuerte Sozialdemokratie und eine Kehrtwende geglaubt. Dann aber sah zunehmend realistischer: „Doch mir wurde immer klarer, dass die Realität Crouch & Co. längst einholt.“
Der kritische Bundestagsabgeordnete hat gut erkannt:
„Der Kapitalismus ist in der westlichen Welt eine Zweckgemeinschaft mit der Demokratie eingegangen, ein von Beginn an spannungsgeladenes, aber für den Kapitalismus anfangs notwendiges Bündnis. Im ansehnlichen Gewand einer sozialen Marktwirtschaft, die zeitweise auch in Ansätzen zu erkennen war – gerade als Kontrapunkt zum sogenannten realexistierenden Sozialismus autoritärer Prägung. Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks konnte diese Ausrichtung nach und nach verschwinden. Die soziale Marktwirtschaft wird immer mehr zu einem Mythos, einem Titel, der sich beruhigend anfühlt. Damit wird aber auch spürbar, dass die einst so zweckdienliche Demokratie an Profitabilität verliert – um gleich mal den passenden Jargon zu benutzen. Die Ökonomisierung aller Lebensbereiche quetscht weiteren Profit aus uns heraus, der angesichts des so notwendigen Wachstums immer spärlicher ausfällt. Angela Merkel bringt es mit ihrem Begriff der »marktkonformen Demokratie« sehr schön selbst auf den Punkt. Und genau diese Verformung ist sicher eine ganz wichtige Säule, wahrscheinlich sogar Basis für die Entwicklung zur Postdemokratie. So wichtig, dass ich dieser Entwicklung noch ein eigenes Kapitel widmen werde.“
Nach dem Anschluss der DDR fielen im neuen Deutschland die Masken
Wichtig, dass Marco Bülow auf den Zusammenbruch des Sozialismus hinweist und die sich daraus sicher ergeben habende Tatsache (die vielen Menschen sicher gar nicht klar ist), dass die BRD, ergänzt durch die einverleibte DDR, dann soziale Absicherungen der Arbeiternehmer gewissermaßen getrost fahren lassen konnte. Ich erinnere mich an den Ausspruch eines Gewerkschafters, wonach bei Tarifverhandlungen in Westdeutschland die DDR (und das Bild von ihren sozialen Errungenschaften) sozusagen imaginär immer mit am Tisch gesessen hätte, was den Verhandlern aufseiten der Gewerkschaften immer etwas in die Hände gespielt habe. Der Kapitalismus konnte im neuen Deutschland quasi sein wahres Gesicht allmählich enthüllen und Kurs auf den Raubtierkapitalismus (Oskar Lafontaine) nehmen. Um dann mit dem Ritt in den brutalen Neoliberalismus schließlich die Maske ganz fallen zu lassen. Die Regierenden hatte man entsprechend eingelullt. Und Leute wie Schröder, der Genosse der Bosse – nomen est omen – nahmen diesen Ball ohne zu mucken auf. Apropos Mythos „soziale Marktwirtschaft“: Heiner Geißler sagte einmal in einem Interview, die habe es doch in Wirklichkeit nie gegeben.
„Demokratie fällt nicht vom Himmel“
„Demokratie fällt nicht vom Himmel“, schreibt Marco Bülow (S.45) vollkommen richtig. „Sie verformt sich, entfernt sich vom dêmos, wenn sie einigen wenigen überlassen wird. Demokratie muss sich erden, immer neu erkämpft und gewagt werden. Es war mehr als der schon so bedeutungsvolle Satz, als Willy Brandt 1969 von »mehr Demokratie wagen« sprach (Erste Regierungserklärung, SWR Archivradio 1969). Es war ein Bekenntnis und eine Verpflichtung. Die Demokratie mag den Menschen. Sie ist ein Vertrauensbeweis. Sie schenkt uns die Freiheit zur Selbstbestimmung. Häufig mussten sich die Menschen überall auf der Welt ihre demokratischen Rechte teuer erkämpfen, manchmal Leib und Leben riskieren. Wir haben die Demokratie geschenkt bekommen. Sie sollte dazu anregen, sich zu beteiligen, die Freiheit zu genießen und zu nutzen.“
Die Parteien bluteten aus, konstatiert Bülow, ihnen fehle es an Nachwuchs. Allerdings, wendet er ein: „Die alte Leier von den desinteressierten jungen Leuten stimmt auch heute nicht.“ Vor der Pandemie seien die Straßen voll gewesen mit jungen Leuten. Da dürfte er auf Fridays for Future anspielen. Gewiss, das Engagement war überragend gut und machte Mut. Nur hat der Autor außer Acht gelassen, dass es sich bei den Fridays-Demonstranten vielfach um solche handeln dürfte, die aus Gymnasien und bildungsnahen Elternhäusern kommen. Wo ohnehin schon ein gewisses politisch-gesellschaftliches Interesse vorhanden ist und gelebt wird. Nur was ist mit den anderen, den Hauptschülern u.s.w.? Und warum gehen die „Fridays“ nicht zusammen mit der Friedensbewegung zusammen auch die Straße, wie es sich beispielsweise der gestandene Dortmunder Friedensaktivist Willi Hoffmeister – begeistert von dem Engagement der jungen Leute – wünscht? Schließlich ist weltweit das Militär – vorneweg die US-Army – der schlimmste Umweltverschmutzer!
Überhaupt auch im Kampf gegen die über die Jahrzehnte angestiegenen gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten wären da nicht jede Menge Synergieeffekte zu generieren? Nur brauchte es da Vermittler zwischen den einzelnen engagierten Menschen. Es ist ja stets immer alles so zersplittert. Und wir wissen auch: die Herrschenden zusammen mit den Medien fördern das. Aus gutem Grund ist Juno rund, sagte man früher einmal. Gerade Marco Bülow wäre derjenige, der den Vielen ohne Rückhalt im Parlament – hoffentlich mit Unterstützung der Partei Die PARTEI ein guter Koordinator sein könnte. Nicht zuletzt in Dortmund, bei der schon erwähnten Versammlung, bekannte er, Sprachrohr sein zu wollen, für die, die keine Lobby haben. Sofern er wieder in den Bundestag gewählt würde. Die Chancen dafür stehen vielleicht gar nicht so schlecht.
Wahlaufrufe – gut und schön: „Wo aber sind diese Stimmen, wenn die Demokratie untergraben und ausgehöhlt wird, wenn wir zu einer Lobbyrepublik verkommen? Und was ist mit denen die sich nicht mehr vertreten fühlen?
Wir stehen nun wieder vor einer Bundestagswahl. Politiker und Medien rufen zum Wohle der Demokratie zum Urnengang auf. Bülow dazu: „Vor einer Wahl – da sind sich alle Demokratinnen einig – ruft man mit voller Überzeugung auf, unbedingt wählen zu gehen. Alles andere ist zweitrangig. An diesem Aufruf beteiligen sich nicht nur Politikerinnen, sondern Prominente, Journalistinnen und alle, die zeigen wollen, was für aufrechte Demokratinnen sie sind.“ Gut und schön. Dann legt der Autor aber den Finger auf die Wunde (S.48): „Wo aber sind diese Stimmen, wenn die Demokratie untergraben und ausgehöhlt wird, wenn wir zu einer Lobbyrepublik verkommen? Und was ist mit denen die sich nicht mehr vertreten fühlen? Denen, die den Versprechungen von Politikerinnen grundsätzlichen nicht mehr glauben?“
Im Kapitel „Wahl oder Übel“ (S.48ff) macht sich der Autor darüber Gedanken:
Wenn die Wahl so verehrt wird, die Wählenden und die zu Wählenden sich aber gegenseitig immer mehr misstrauen und ignorieren, dann müssen alle Alarmglocken schrillen. Der Ethnologe, Historiker und Autor David Van Reybrouck formuliert es provozierend: »Wahlen sind heutzutage primitiv. Eine Demokratie, die sich darauf reduziert, ist dem Tode geweiht.« (Van Reybrouck 2016) Er nennt seinen Bestseller: »Gegen Wahlen – Warum Abstimmen nicht demokratisch ist«. Am Ende ist Van Reybrouck nicht gegen freie Wahlen, aber er listet hart und ernüchternd auf, wie sehr wir die Wahl in den westlichen Demokratien fetischisiert haben und damit den Einfluss der Bevölkerung und alle anderen Beteiligungsmöglichkeiten ausschalten. So absurd es klingen mag: Wahlen, wenn sie zum Ritual und Spektakel verkommen sind, fördern die Aushöhlung der Demokratie.“
„Elitendemokratie“
Mein Einschub: Zur sehr demokratisch sollte es wohl ohnehin nie zugehen. Da erinnere ich mich an einen früheren Chef, der mal in irgendeiner Diskussion einwarf: „Das wird mir aber zu demokratisch hier.“ So dachte man schon in den Entstehungszeiten der Demokratie etwa in Amerika. Im Grunde hatte man es da mit einer, wie es Rainer Mausfeld nennt „Elitendemokratie“ zu tun. In „Warum schweigen die Lämmer?“ macht Mausfeld deutlich, dass Demokratie von vornherein so angelegt war, dass sie an den bestehenden Verhältnissen nichts zu ändern vermochte.
Bei Bülow lesen wird: „Gerade nach den Revolutionen in Frankreich und den USA hat man sich bewusst für ein gewähltes repräsentatives System entschieden. Dazu der französische Politologe Bernard Manin: »Das Repräsentativsystem errichtete man im vollen Bewusstsein, dass die gewählten Vertreter angesehene Bürger sein würden und sein sollten, die sich sozial von ihren Wählern abhoben.« Er setzt sogar noch einen drauf: »Gegenwärtige demokratische Systeme sind aus einer politischen Ordnung hervorgegangen, die von ihren Begründern als Gegenentwurf zur Demokratie gedacht war.« (Spiegel Online, 25. 01. 2018)
Eine kleine Bombe. Die Bevölkerung hatte sich Mitbestimmung und Demokratie erkämpft, dennoch wollte man klare Unterscheidungen vor allem bei den Positionen, die diese Macht ausüben. Der arme und ungebildete Pöbel sollte weiter rausgehalten werden.“
Zu Mausfelds Buch notierte ich:
„Demokratie bedeutet also, dass sich die Interessen der Mehrheit durchsetzen. Ist das bei uns so? War das jemals so? Wahrnehmungs- und Kognitionsforscher Professor Rainer Mausfeld hat sich u.a. ausführlich mit der Demokratie wie wir sie kennengelernt haben beschäftigt. Und festgestellt: Schon im Mutterland der Demokratie, den Vereinigten Staaten von Amerika, war sie von vornherein so angelegt, dass sich durch sie nichts an den Machtverhältnissen ändern konnte. Das Mehrheit des Volkes mochte wählen wie es wollte, die Interessen der (Minderheit) der Reichen, der Oligarchen konnten nicht angetastet werden. Auch heute, auch bei uns, das im Grunde genommen so. Die repräsentative Demokratie hat gravierende Mängel. Das fängt ja schon bei der Auswahl und Aufstellung der KandidatInnen der einzelnen Parteien an. Auf die wir Wähler – und nicht einmal alle Mitglieder einer Partei – keinerlei Einfluss haben.“
Marco Bülow befasst sich mit Wählerverhalten, mit Protestwählern und Gruppen, die enttäuscht darüber, dass sich keine der Parteien ihrer Probleme annimmt, überhaupt nicht mehr wählen.
Dankenswerterweise schreibt der Autor auch über die skandalöse Missachtung es Bundestags betreffs Pandemiemaßnahmen und damit verbundenen Grundrechtseinschränkungen im Kapitel „Exekutierte Legislative“ (S.66) nachdem er über einen jungen Grünen-Abgeordneten geschrieben hat, der im Netz über das Abstimmungsverhalten und Gewissensentscheidungen informierte:
„Ein knappes Jahr später beschließt der Bundestag, dass die Regierung in Bezug auf die Corona-Pandemie und in Absprache mit den Ministerpräsidentinnen ohne die Parlamente weitreichende Entscheidungen allein treffen kann. Fühlt sich fast an wie im Kriegszustand. Kein Aufschrei, zarte Einsprüche der Opposition, volle Zustimmung natürlich bei Union und SPD. Mal eben wird das Parlament seines Grundrechts beraubt. Wofür? Alle Entscheidungen bei Corona wurden immer im Prozess und mit Vorbereitung getroffen, an der Dringlichkeit kann es also nicht liegen. Es wurde keine einzige Maßnahme wegen einer außerordentlichen Situation innerhalb kürzester Zeit beschlossen. Auch ein Parlament kann jederzeit sehr schnell auch außerregulär zusammengerufen werden. Das ist bei anderen, wesentlich unwichtigeren Angelegenheiten immer wieder geschehen.“
Wir erinnern uns? Heribert Prantl forderte damals in seiner SZ-Kolomne: „Der Bundestag muss seine Selbstverzwergung beenden. Und verdeutlichte: „Solange Corona-Politik ohne rechte parlamentarische Beteiligung gemacht wird, bleibt sie verfassungsrechtlich zweifelhaft und gesellschaftlich angreifbar. Der Deutsche Bundestag hat am 25. März den Löffel abgegeben.“
Wir erfahren, dass heute viele jüngere Politiker äußerst stromlinienförmig auch im Parlament agieren. Sie haben rasch verinnerlicht, was ihnen droht, wenn in ihrer Fraktion abweichende Meinungen vertreten und gar auch noch vom eigenem Gewissen getragenen Abstimmungen zum Ausdruck bringen. Um meinerseits hier eine Redewendung eines mir bekannten Professors hier zur Kenntlichmachung zu verwenden, die er damals auf die Grünen benutzte: Sie sind rundgelutscht. Womöglich gar im Vergleich zu früher war das nicht einmal nötig gewesen: Sie merken früh wie der Hase läuft. Was sicher auch damit im Zusammenhang steht, wie Marco Bülow an anderer Stelle schon kritisierte: Sie haben nie im Leben richtig und wenn, dann schon gar nicht lange, gearbeitet. Und somit so gut wie keine Lebenserfahrung. Berufspolitiker, die abgeschottet vom Volk, das sie zu vertreten vorgeben, unter der Glaskuppel des Reichstagsgebäudes Entscheidung mit treffen, die am Großteil des Volkes vorbeigehen.
„Ich frage mich, wen wir denn noch vertreten“
Marco Bülow ist nachdenklich geworden (S.103): „Ich frage mich, wen wir denn noch vertreten. Sauber geordnet sitzen die Landesverbände zusammen. Völlig dominant ist vor allem eine Alterskohorte: die 50- bis 60-Jährigen. Ein anderes Missverhältnis ist noch größer, auch wenn es nicht gleich ins Auge springt: In der Fraktion sitzen nur vier Abgeordnete mit Hauptschulabschluss. Sehr viele haben einen Uni-Abschluss, bei den Jüngeren sind es nahezu alle. Als ich 2002 neu in den Bundestag kam, war es schon auffällig, dass echte Arbeitnehmer rar gesät waren. Es wirkte noch anders, weil sich auch mehrere aktive Gewerkschaftsvertreter in der Fraktion wiederfanden, einige den zweiten Bildungsweg eingeschlagen hatten. Vor allem kannten viele die anderen Lebenswirklichkeiten, weil häufig die Eltern noch zur Arbeiterklasse gehört oder einen Lehrberuf ausgeübt hatten. Davon ist fast nichts geblieben. Ein ähnliches Bild ergibt sich sicherlich längst bei den Landesvorständen und dem Bundesvorstand.“
Marco Bülow verweist auf Hildgard Hamm-Brücher: „Die meisten Abgeordneten verstehen sich als Funktionäre ihrer Partei und gucken nicht über den Tellerrand. Sie können gar nicht mehr frei denken und handeln und vergessen dabei den Bürger“
Der Autor verweist auf eine großartige Politikerin. Leute wie sie finden sich eigentlich gar nicht mehr in der Politik: „Die liberale Vordenkerin Hildegard Hamm-Brücher sagte über Parteien: »Die meisten Abgeordneten verstehen sich als Funktionäre ihrer Partei und gucken nicht über den Tellerrand. Sie können gar nicht mehr frei denken und handeln und vergessen dabei den Bürger. Die Parteien haben den Machtanspruch über alles bis in die Kommunalpolitik. Außerdem wird kein Grundgesetzartikel so verhöhnt wie das Gebot, was ein Abgeordneter eigentlich soll. (…) Er ist nur seinem Gewissen verantwortlich.« (Cicero, 4/2007) Dem kann ich in Bezug auf den Machtanspruch und das Gewissen nur zustimmen. Aber sind Parteien wirklich so übermächtig, oder werden sie genau wie die Parlamente nur durch einzelne Personen bestimmt?“
Wenn man bei Bülow liest wie es auf Parteitagen zugeht und wie schwierig es ist mit Vorschlägen in Parteigremien und auch in der Fraktion durchzudringen, fragt man sich, wie er überhaupt solange in der SPD hat durchhalten können bei all dem Gegenwind. Da wird von Oben Druck ausgeübt, dass ja die „richtige“ Entscheidung fällt. Ein Olaf Scholz – der nun, sich dabei höchstwahrscheinlich völlig überhebend dabei – Kanzler werden will, muss da eine unrühmliche Rolle gespielt haben.
Im Hauptkapitel „II. Es ist die Lobby, Baby!“ unter „1. Die Lobbyvertretung“ zitiert der Autor abermals Colin Crouch, der auch damit richtig lag:
» In einer Postdemokratie, in der immer mehr Macht an die Lobbyisten der Wirtschaft übergeht, stehen die Chancen schlecht für egalitäre politische Projekte zur Umverteilung von Wohlstand und Macht sowie die Eindämmung des Einflusses mächtiger Interessengruppen. Bei diesem Konzept der Demokratie stehen folgende Aspekte im Vordergrund: die Wahlbeteiligung als wichtigster Modus der Partizipation der Massen, große Spielräume für Lobbyisten – wobei darunter vor allem die Lobbys der Wirtschaft verstanden werden – und eine Form der Politik, die auf Interventionen in die kapitalistische Ökonomie möglichst weitgehend verzichtet. Für die wirkliche, umfassende Beteiligung der Bürger und die Rolle von Organisationen außerhalb des Wirtschaftssektors interessieren sich die Befürworter dieses Modells allenfalls am Rande.«
Marco Bülow nimmt kein Blatt vor dem Mund. Im Grunde kann man sagen, in diesem Lande setzten sich Interessen der Wohlhabenden und Konzerne durch, die über eine starke Lobby verfügen. Bülow bringt es auf den Punkt: „Eine Reihe von Entscheidungen, die im Sinne der oberen Klassen waren, wurden gegen jene der unteren Klassen durchgesetzt.“
Marco Bülow setzt weiter nach (S.109): „Es passt ins Bild, dass Anfang 2021 ein Buch der investigativen Journalistin und Bestsellerautorin Julia Friedrichs mit dem Titel »Working Class« erschienen ist. Die Klassen sind zurück. Eigentlich waren sie nie ganz weg, nur aus dem öffentlichen Bewusstsein verbannt. Friedrichs beschreibt anhand von Beispielen den langfristigen Prozess in Deutschland, dass trotz Jobs, trotz der Wohlstandsjahre immer mehr Menschen kaum von ihrer Arbeit leben können, kein Vermögen besitzen und für Krisenzeiten keine Rücklagen haben. Sie haben nicht von den langen Wachstumszeiten profitiert. Der Spiegel (26. 02. 2021) greift die Frage auf und macht daraus einen Artikel mit Julia Friedrichs und Olaf Scholz mit der Hauptfrage: Vertritt die SPD noch die Arbeiterklasse? Eine rhetorische Frage. Die Antwort darauf gibt auch die Studie von Elsässer und Schäfer, aber ebenso die Arbeiter selbst. Bei den Europawahlen wählten von ihnen nur 15 Prozent die SPD. Gleichauf mit den Grünen und hinter der Union und der AfD (»Tagesschau«, ARD, 26. 05. 2 019). Dieser Punkt ist wichtig, denn die Menschen, die sich von Wahlen, Parteien und teilweise der Demokratie abwenden, haben von den konservativen und liberalen Parteien sicher nicht so viel erwartet wie von den sozialeren Parteien. Sie mussten feststellen, dass sie über keine wirkliche Alternative mehr verfügen.“
Im Unterkapitel „2. Die Lobbyrepublik“ (S.110) lässt der Autor den Schriftsteller Günter Grass zu Wort kommen:
„» Ob es die Pharmaindustrie, die Banken oder die Autoindustrie sind, ihre geballte Macht, die weder von der Verfassung noch vom Volk, dem eigentlichen Souverän, legitimiert ist, bestimmt mehr und mehr bis in die Gesetzgebung hinein die Politik. (…) Sie sind der Staat im Staate.« Günter Grass 2008 vor der SPD-Bundestagsfraktion.“
Bülow befasst sich auch mit der Entstehung von Lobbyismus und damit, ob es auch guten Lobbyismus gibt. Man müsse immer genau schauen, so Bülow wer dahinter stecke und wer davon profitiere. Momentan, informiert der Bundestagsabgeordnete (S.114), gebe (…) „6000 Lobbyisten in Berlin, also bald zehnmal so viele wie Parlamentarier. Den absolut größten Teil bilden sicherlich die profitorientierten Lobbyisten“.
Die Gruppe der „Lobbytarier“
„Wie eng verzahnt sind die Lobbyisten mit der Politik?“, fragt Bülow. Und referiert: „Profitlobbyisten haben oft die besseren Kontakte, weil sie schon lange in Wechselbeziehung zu den wichtigsten Politikern stehen. Es gibt immer mehr Politiker, die ihr Mandat als Sprungbrett nutzen, um dann als Lobbyist in die Wirtschaft zu gehen. Häufig dienen sie schon während des Mandats willfährig einer oder mehreren Lobbys, um dort in Zukunft eventuell unterzukommen. Und logischerweise kommen dafür am ehesten die Lobbys in Frage, die einflussreich und lukrativ sind, und nicht die gemeinwohlorientierten Gruppen, die deutlich schlechter bezahlen. Ich nenne diese wachsende Gruppe der Politiker »Lobbytarier«.“
Dem Kapitel über die „Die Lobbytarier“ hat Bülow ein Zitat von Upton Sinclair vorangesetzt:
» Es ist schwierig, jemanden dazu zu bringen, eine Sache zu verstehen, wenn sein Gehalt davon abhängt, dass er sie nicht versteht. «
Legale Sauereien und saftige Skandale
Bülow weiter: „Die Politik wird privatisiert, sie wird ökonomisiert. Wenn Mann und Frau immer weniger Politik gestalten können, Argumente immer weniger ausrichten, dann bleiben die kreativen und idealistischen Köpfe zunehmend weg, dann muss sich Politik anders auszahlen. So werden die Parteien und Parlamente immer mehr von Machtpolitikerinnen und Opportunistinnen beherrscht. Ökonomische Interessen gehen dann vor Inhalte, Karriere vor Kodex. Wir züchten uns längst eine Generation Amthor, die zwar Moral und Wasser predigt, aber Schampus und Unmoral lebt. Eine Kaste, die vielleicht noch mit Werten startet, aber dann mehr auf Eigennutz als auf Gemeinwohl getrimmt wird. Kein Wunder, dass die Grenzen zwischen Interessenvertretung, Lobbyismus und Korruption verschwimmen. Man macht, was man darf.“ In der Tat: vieles, was wir Bürger als Sauerei empfinden ist ja legal!
Viele uns bekannte Skandale bearbeitet Marco Bülow im Buch. Ob es nun Cum Ex und Cum-Cum ist. Wirecard natürlich u.sw. Wirkliche Konsequenzen für die Schuldigen? Fehlanzeige. Alles zulasten der Steuerzahler. Und freilich der Dreh-Tür-Effekt. Wo Politiker ihr im Amt erlangtes Wissen in den Dienst von Konzernen oder Banken stellen.
Für welche Pille entscheiden wir uns?
Bülow schreibt auch von der „Lobby-Matrix“ und zitierte aus dem Film „Matrix“: » Die Matrix ist allgegenwärtig, sie umgibt uns. (…) Es ist eine Scheinwelt, die man dir vorgaukelt, um dich von der Wahrheit abzulenken.«
Es passiert ja so vieles vor unseren Augen. Doch wir sehen nichts.
Wer den Film kennt, wird sich auskennen von was Bülow hier schreibt (S.142): „Wollen wir die bittere Pille schlucken und hinter die Kulissen schauen, unsere Naivität abstreifen und nicht mehr länger verdrängen? Uns ist klar, dass wir nicht auf das Paradies blicken werden. Oder werfen wir die blaue Pille ein und hoffen weiter darauf, dass andere es schon für uns richten werden?“
Unbedingte Lese- und Handlungsempfehlung!
Ein Buch, das alle lesen sollten, die sich als Bürger für die Demokratie interessieren. Eine Demokratie, die schon ziemlich angeknackst ist. Marco Bülow berichtet über seine Erfahrung als Politiker und Mitglied des Bundestages. Er hat uns die Augen geöffnet. Über Skandalöses Kunde gegeben. Aber auch Hoffnung in uns geweckt. Geben wir es doch zu: Wir fühlen doch längst mehr oder weniger alle ein Bauchgrummeln, wenn wir an den Zustand unserer Demokratie und unser Land denken. Ohne, dass jeder von uns etwas – und sei es noch so wenig und anscheinend unbedeutend (wir hören ja oft den Spruch: Da kann man doch sowieso nichts machen) – etwas unternimmt, wird sich nichts ändern und alles eher noch schlimmer werden. Marco Bülow hat sich nichts weniger vorgenommen, als die schon lange nicht mehr hinnehmbaren Verhältnisse umzustoßen. Dazu gehört es, den Parlamentarismus zu demokratisieren, aber auch Bürgerräte zu befördern, um auch die außerparlamentarische Demokratie zu stärken. Kurz: Er möchte im Verein mit möglichst vielen das scheinbar Unmögliche ins Werk zu setzen.
Marco Bülow ist fest entschlossen, weshalb er im Buch sicher auch Bertold Brecht zitiert: »Wenn die Wahrheit zu schwach ist, sich zu verteidigen, muss sie zum Angriff übergehen«
Das Bekenntnis des Marco Bülow
„Ich würde mich als einen radikalen Realisten, einen idealistischen Demokraten ohne Illusionen beschreiben. Aber ich bleibe auch Sozialdemokrat, egal wo ich mich engagiere. Damit kann man hadern, wie auch mit meiner neuen Partei. Da komme ich auf Martin Sonneborn zurück, der gern darauf hinweist, dass es Die PARTEI gar nicht geben müsste, wenn die SPD und die anderen Parteien ihre Arbeit machen würden. Oder sie könnte wirklich mit ein wenig Spaß und Satire einige Debatten beleben und eine Randerscheinung bleiben. Die PARTEI zeigt auf, wie absurd die herrschende Politik ist und welche Missstände es gibt. Mit ihren Mitteln. Es gibt weitere Wege und andere Mittel, also let’s do it. Klar ist, das Alte zerfällt, und das Neue muss in die Welt. Dafür brauchen wir Ideale, Aktivismus, die Bewegungen auf der Straße. Der Widerstand muss vielfältig sein. Wir brauchen auch die Satire und die Disruptoren. Im Zusammenspiel kann es gelingen, die Fassade einzureißen, die Parlamente zu hacken und die unfairen Spielregeln zu ändern. Ich habe Fehler gemacht, bin Irrwege gegangen, kenne meine Grenzen, aber ich will einfach mit Herz und Power weitermachen. Der Informatiker und Künstler Jaron Lanier schreibt in seinem Buch »Wem gehört die Zukunft«: »Ich erhoffe mir für die Zukunft, dass sie auf radikale Art wunderbarer sein wird, als wir sie uns jetzt vorstellen können, bewohnt von Menschen, die ihr Schicksal selbst in die Hand
nehmen« (Lanier 2013). Also denke groß, sei mutig, lebe wunderbar. Mache neue Spielregeln. Zieh aber vielleicht auch die Argumente in Erwägung, die dir erst mal nicht gefallen. Und hab Spaß an und in der Politik – das ist immer noch nicht verboten.
Und im Übrigen bin ich der Meinung, dass der Profitlobbyismus zerstört werden soll.“ (S.195)
Das Buch
Marco Bülow
Marco Bülow. Foto: Claus Stille
Lobbyland
Wie die Wirtschaft unsere Demokratie kauft
192 Seiten, 12,5 x 21 cm, brosch. mit Abbildungen
Das Neue Berlin – eine Marke der Eulenspiegel Verlagsgruppe Buchverlage
Buch 15,– €
ISBN 978-3-360-01378-1
eBook 9,99 €
ISBN 978-3-360-50173-8
Der Verlag zum Buch
»Dem deutschen Volke« lautet die Inschrift über dem Portal des Reichstagsgebäudes in Berlin. Doch die Bevölkerung ist in unserer heutigen Form der Demokratie ein Akteur ohne besonders großen Einfluss. Abgeordnete, die die Interessen der Menschen vertreten? Pustekuchen! Lobbykontakte und elitäre Netzwerke sind entscheidend. Monopoly ist ein extrem gerechtes Spiel dagegen. – Wir müssen die Spielregeln unserer Demokratie ändern! Wir brauchen mehr Basis, mehr außerparlamentarische Bewegungen, brauchen Volksvertreter, die nicht ihrem korrumpierten Gewissen verpflichtet sind. Dann haben wir auch die Möglichkeit, die Corona-Krise als Chance zu nutzen und die Millionen Menschen von Fridays for Future, die für eine bessere Politik demonstrieren, nicht der Klimaschutzlobby zum Fraß vorzuwerfen.
Marco Bülow, geboren 1971 in Dortmund, ist Journalist und Politiker. Er hat Journalistik, Geschichte und Politikwissenschaft an der Universität Dortmund studiert, wo er 1992 die Juso-Hochschulgruppe neu gründete. Seit 2002 ist er direkt gewähltes Mitglied des Deutschen Bundestages. Hier war er von 2002 bis 2005 stellvertretender Sprecher der Gruppe der jungen Abgeordneten in der SPD-Bundestagsfraktion. Von 2005 bis 2009 war Bülow umweltpolitischer Sprecher und von 2009-2013 stellvertretender energiepolitischer Sprecher der SPD-Fraktion. Bei der Bundestagswahl 2017 wurde er erneut direkt gewählt. Im November 2018 trat Bülow nach 27 Jahren aus der SPD aus. Er nutzt seitdem seine Möglichkeiten als fraktionsloser Abgeordneter, um auch Bewegungen in den Bundestag zu holen. Seit Herbst 2019 lädt Marco Bülow regelmäßig Mitglieder der Klimabewegung und Parlamentarier*innen unter dem Motto »Re:claim the House« in den Bundestag ein, um den Dialog zwischen Bevölkerung und Politik zu fördern. Er ist Mitgründer der gemeinnützigen Progressiven Sozialen Plattform »plattform.PRO«, einem überparteilichen Zusammenschluss von engagierten Menschen, die eine progressive, zukunftsfähige Politik befördern wollen. Seit Herbst 2020 ist Marco Bülow Mitglied der PARTEI und damit ihr erster Abgeordneter im Bundestag. Im Zentrum seiner Politik stehen neben der Umweltpolitik vor allem sein Engagement gegen einseitigen Profitlobbyismus, für mehr Transparenz und eine Sozialwende.
Dreißig Jahre Wiedervereinigung. Mag feiern wer will. Das bleibt allen unbenommen. Doch weil – zumindest bei mir – bei dem dem Gedanken feiern zu sollen, ein bitterer Beigeschmack aus meinem Inneren aufsteigt, neige ich mehr die Betrachtung des Journalisten Ralph T. Niemeyer für diesen Tag als passend zu erachten. Nämlich von einer „Niedervereinigung“ zu sprechen und so eine differenzierende Sicht kundzutun. Niemeyer, der bei der historischen Pressekonferenz von Schabowski dabei gewesen war, als die Grenzöffnung bekanntgegeben wurde, postete sie am 3. Oktober 2020:
„Die DDR war so, daß ich der erste gewesen wäre, der in ihr sie kritisiert hätte. Sie war aber auch von der Art, daß ich der erste sein will, der sie nun, 30 Jahre nach ihrem Ende, verteidigt. Verteidigt gegen all diejenigen Westdeutschen, welche in der DDR die letzten gewesen wären, die sie kritisiert hätten. Niedervereinigung oder Einverstanden mit Ruinen….das war die Frage. Die Wiedervereinigung war der Umtausch guter Realitäten in bessere Möglichkeiten. Die Wiedervereinigung war für nicht wenige der Umtausch real existierender Unmöglichkeiten gegen nicht existierende Möglichkeiten. Die Ostdeutschen haben Freiheit gewollt und Freizeit bekommen. Manche zuviel. Der Traum von der unerreichbaren Geliebten Freiheit hätte, wie alle Träume von Geliebten, auch für die Ostdeutschen vielleicht besser nicht wahr werden sollen. Als die DDRler ihre Traumfrau Marktwirtschaft zur Frau bekamen, mussten sie dafür auch die Schwiegermutter Kapitalismus in Kauf nehmen. Als die Ostler ihre Mutti DDR gegen ihre Geliebte BRD eintauschten, mussten sie die übliche Erfahrung machen, daß die Geliebte als Mutti meist nicht so gut ist. Nach dem Fall der Mauer wurde aus dem Rechtsstaat Bundesrepublik ein Staat der immer recht hat. Die DDR, sagen ihre Kritiker, sei ein Unrechtsstaat gewesen. Mit dem Beitritt zur Bundesrepublik kam dann ein Rechtsruck. Die Wiedervereinigung war der Umtausch zahlloser Rechte, die man nicht einklagen konnte, gegen zahllose Rechte, die man einklagen muß. Unter den vielen Rechten, die die Ostdeutschen nach der Wiedervereinigung bekamen ist besonders das Recht des Stärkeren hervorzuheben. Zu den vielen neuen Rechten, die die Ostdeutschen bekamen, kamen dann noch die neuen Rechten hinzu. Ein Grund, weshalb die DDR untergegangen ist : weil sie ausgerechnet bei der Zahl der Fernsehapparate mit der Bundesrepublik mithalten wollte und es auch geschafft hat. Nach der sanften östlichen Revolution, die zum Untergang der DDR führte, kam die brutale westliche Revolution die die Fortsetzung der ersteren mit anderen Mitteln war. Die Fernsehsendungen über die DDR gleichen seit Ende der DDR auf überraschende Weise denen der DDR über die BRD. Als die DDR zu existieren aufhörte, wurde die BRD für die DDRler erstmals zu einer real-existierenden. Der Untergang der DDR hat bewiesen, daß die Macht des Fernsehapparates der des Unterdrückungsapparates überlegen ist. Wenn ich Ostdeutscher wäre, würde mich das am meisten ankotzen, was „verständnisvolle“ Westler bisweilen vorbringen : zB das Bedauern über die 40 Jahre verschenktes Leben. Vielleicht besser als 40 Jahre verkauftes Leben. Das Geschwätz von der Mauer im Kopf wird von denen im Westen gepflegt, die genau wissen, daß das, was sie an denen im Osten am meisten stört, das ist, was ganz tief ihr eigenes Wesen ausmacht. So wie man sich mit seinen Kindern am meisten in den Zusammenhängen streitet, in denen man einander ähnelt. Den berufstätigen Frauen im Osten wurde im Laufe der Wiedervereinigung gezeigt, was eine Harke ist oder auch ein Kochlöffel. Die ostdeutschen Frauen, die sich für emanzipiert gehalten haben, haben von den westdeutschen Feministinnen lernen müssen, daß Emanzipation nicht darin besteht, Lehrer oder Ingenieur zu sein, sondern darin, ob man Lehrer oder Lehrerin ist. Die Geschichte der Wiedervereinigung ist auch ein Beleg für die Überlegenheit der grünen Tische über die runden Tische. Es hätte mich nicht gewundert, wenn irgendwann von westdeutscher Seite Unterlagen präsentiert worden wären, die bewiesen hätten, daß die meisten östlichen Antifaschisten gedopt worden waren. Und dann die so genannte Treuhand: welch eine surreale Systemkonstellation: eine zentralistische Planwirtschaft wird von einer zentralistisch – planwirtschaftlichen Organisation nach frühkapitalistischen Prinzipien verhökert, an denen das marktwirtschaftliche die Betrügereien sind. Leider waren die Verkäufer der Treuhand viel schlechtere Kapitalisten als die Käufer. Das System der Treuhand war bestechend einfach. Oder umgekehrt. In nicht wenigen Fällen funktionierte es so: Der Käufer wurde durch die Zusage staatlicher Unterstützungen bestochen, eine Firma zu kaufen, wobei ihm die Grundstücke dazu geschenkt wurden. Der Käufer nahm einen Kredit auf die Immobilie auf, ließ die Firma pleite gehen und gründete im Westen eine neue Firma. Die Bestechungsgelder, die dabei nicht geflossen waren, nahmen dann einige Mitarbeiter, um sich dafür zu belohnen, daß sie sich nicht bestechen haben lassen. In 50 Jahren wird das so treuherzig klingende Wort „Treuhand“ einmal denselben höhnischen Klang haben, wie das Wort vom guten Tod, Euthanasie. In 20 Jahren wird man im Osten von Erich Honecker und Walter Ulbricht so sprechen, wie bei uns früher die alten Leute vom Kaiser. Die Wende : vom historischen zum real-existierenden Materialismus, von der Postmoderne zum modernen Postwesen….Also dann, heben wir unser Glas und trinken auf die deutsche Niedervereingung.“
Passend zu diesem, gefeierten oder nicht gefeierten, in jedem Falle aber historischen Tag legte der Westend Verlag das Buch „Tamtam und Tabu. Die Einheit: Drei Jahrzehnte ohne Bewährung“ von Daniela Dahn und Rainer Mausfeld vor. Darin zwei großartige Autoren. Ein besseres Gespann hätte – jedenfalls ich – mir nicht wünschen können, um dieses Thema entsprechend zu analysieren bzw. zu würdigen.
Die inzwischen renommierte Essayistin und Mitbegründerin des „Demokratischen Aufbruchs“ in der DDR ist sich immer treu geblieben, indem sie kritisierte was zu kritisieren ist. Und zwar sowohl in der DDR wie später dann auch im zusammengefügten Deutschland. Schon früh – 1981 nämlich – spürte die einstige Redakteurin des DDR-Fernsehens, dass sie als Journalistin diesen Spagat zwischen SED-Ideologie und dem Ist-Zustand der Gesellschaft mit kritikwürdigen Erscheinungen, die aber hinsichtlich einer journalistischen Bearbeitung nur irgendwie zwischen den Zeilen – wenn überhaupt – weil mit Tabus belegt – gezeichnet werden durften, auf Dauer nicht aushalten würde. So arbeitete sie fortan freischaffend. Nach der Wende arbeitete sie auch für Westzeitungen. Und musste feststellen, dass dort die journalistische Arbeit gar nicht so frei war, wie sie eigentlich gedacht hatte. Ich schätze an Dahn sehr, dass sie sich stets treu geblieben ist und gemäß Rudolf Augsteins bekanntem Diktum sagt, was ist. Von vielen einstigen DDR-Bürgerrechtlern, die sich dem Westsystem gut angepasst – sich haben rundlutschen lassen – ist nicht zu sagen, dass sie sich treu geblieben sind. Daniela Dahn erwähnt ein paar Mal im Buch Bärbel Bohley, die vor den Gefahren, vom Wege abgebracht zu werden bwz. abzukommen sozusagen stets wie eine Kassandra gewarnt hatte. Und recht behalten hat, wie Daniela Dahn – die derlei einst selbst nicht für möglich gehalten hatte – freimütig eingesteht. In mehreren Büchern hat sich Daniela Dahn mit der sogenannten Wende und der Zeit danach intensiv auseinandergesetzt. Zuletzt in „Der Schnee von gestern ist die Sintflut von heute“.
Wenn Sie erlauben, liebe Leserinnen und Leser, möchte ich hier eingedenk der Erfahrungen, welche Daniela Dahn gemacht hat einschieben:
Ich kann das sehr gut nachfühlen. In den 1980er Jahren arbeitete ich an einem Theater. Ehrenamtlich schrieb ich als „Volkskorrespondent“ (Anmerkung: Wessis verstehen diesen Begriff meist nicht. Sie verstehen falsch als völkisch und denken dann, das wäre rechts – sei es drum) für das SED-Bezirksblatt „Freiheit“ und andere Organe der Blockparteien. Eines Tages bekam ich von meinem Lokalredakteur das Angebot, eine Fachschulausbildung zum Diplomjournalisten zu machen. Zunächst war ich aus dem Häuschen: War es das nicht immer, was ich gewollt hatte – hauptamtlich als Journalist zu arbeiten? Aber dann quälte ich mich mehrere Wochen, bis ich dann schweren Herzens absagte. Ich hätte ja der SED beitreten sollen (müssen). Und dann wäre ich ja den ideologischen Zwängen in der Redaktion ausgesetzt gewesen. Freilich hätte es Nischen in der Lokalberichterstattung gegeben. Nachdem ich dann im November 1989 – über Ungarn in die BRD gekommen – mit Freunden auf der Festung Ehrenbreitstein über dem Deutschen Eck beim Kaffee saß, schrieb ich eine Ansichtskarte an meine alte Lokalredaktion in Halle. Ich beglückwünschte die hauptamtlichen Redakteure dazu, nun frei berichten zu können. Heute schäme ich mich dafür. Denn auch auch im Westen sind die wenigsten Journalisten frei in ihrer Berichterstattung. Wenn auch die Zwänge, welchen sie bewusst oder unbewusst unterworfen sind, andere sind als in der DDR.
Dahns Partner im Buch, Prof. Dr. Rainer Mausfeld, hatte an der Universität Kiel bis zu seiner Emeritierung den Lehrstuhl für Wahrnehmung- und Kognitionsforschung inne. Mausfeld war einem durch seinen 2015 gehaltenen und auf You Tube veröffentlichten, hunderttausendfach gesehenen Vortrag „Warum schweigen die Lämmer“ einem breiten Publikum bekannt geworden. Dazu auch meine Rezension des gleichnamigem, beim Westend Verlag erschienenen Buches.
Die nicht geringe Zeitspanne von dreißig Jahren ist dazu geeignet, dass wir Menschen – die wir heutzutage ohnehin eine immer unermesslichere Flut von Informationen aus allen möglich Ecken und allen möglichen elektronischen Geräten erhalten, ohne, dass wir sie je ordentlich verarbeiten könnten – zu Vergesslichkeit neigen bzw. im Nachhinein manches anders oder gar rosiger sehen, als in Wahrheit gewesen ist.
Daniela Dahn ist es zu danken, dass sie in dem von ihr verantworteten Teil des Buches unsere Erinnerungen an die Zeit der Wende und des ihr folgenden Anschlusses der DDR an die Bundesrepublik Deutschland noch einmal mit unumstößlichen Fakten – die mehr oder weniger verschüttet waren – und benannten Quellen ordentlich auffrischt. So wird ziemlich rasch klar, was aus dem Inhalt des Buches in der Buchinnenseite zitiert wird:
„Die Mär, wonach im März 1990 so gut wie alle DDR-Bürger so schnell wie möglich mit Westgeld im blühenden Westgarten leben wollten, stimmte schon vor der Wahl (Anmerkung C.S. 1990) nicht, das Wahlergebnis entsprach ihr nicht und die Folgen der Wahl erfüllten solche Hoffnungen nicht. Und dennoch hat sie sich bis heute gehalten.
Der eigentliche Wunsch bestand bis zuletzt darin, Eigenes in die Einheit einzubringen. Der Meinungsumschwung war einem Diktat aus Desinformation, Zermürbung und Erpressung geschuldet. Der Kampf um Mehrheiten hatt der Mehrheit geschadet. Sie war einer Pseudo-Entscheidung zwischen zahlungsunfähiger Wirtschaft und dem Heilsversprechen der D-Mark ausgesetzt worden. Die Leute glaubten, um ihren Besitzstand zu wahren, sei es erst einmal das Beste, die Kräfte des Geldes zu wählen. Sie lieferten sich den Finanzstarken aus, in der Hoffnung, dadurch selbst stark zu werden. Sie wollten das Kapital und wählten die Kapitulation.“
Die Einschätzung, dass das Jahr 1990 eine „einzigartige Chancen bot – sowohl für eine internationale Friedensordnung wie auch für eine erneuerte Demokratie, die dann diesen Namen verdiente“, wie die Autoren in ihrer „Einstimmung“ (S.8) schreiben, ist voll zu unterschreiben. Nur sollten wir heute wissen: Wir haben es versemmelt. Dahn und Mausfeld weiter: „Heute wissen wir, dass diese Chancen aus geopolitischen Interessen und denen der Kapitaleigner gezielt blockiert und somit verspielt wurden. Warum war dies, entgegen den großen Hoffnungen der Bevölkerung, so leicht?“
In David Hume finden sie eine Antwort: „Die Leichtigkeit“, schreiben Dahn und Mausfeld, „mit der eine kleine Minderheit von Besitzenden über eine großen Mehrheit von Nichtbesitzenden ausüben kann, gleiche einem ‚Wunderwerk‘, bemerkte zur Zeit der Aufklärung der große schottische Philosoph David Hume.“
Hume habe auch erkannt, es käme nicht „auf die rein physische Macht, die es auf den Körper abgesehen hat, sondern auf die Formen der Macht, die auf die Psyche zielen“ an. „Wer über Mittel verfügt, mit denen sich auf der Klaviatur des menschlichen Geistes so spielen lässt, dass Meinungen und Affekte in geeigneter Weise gesteuert werden können, verfügt über einen Einfluss, der kaum noch als Macht erkennbar ist und gerade darum eine besondere Wirksamkeit entfalten kann.“
Wir erfahren also im Buch, „wie sich Menschen in ihrer gesellschaftlichen Willensbildung beeinflussen lassen“. Dasselbe trifft auf Produktewerbung zu. Da wird der potentielle Konsument geschickt verführt. Die wenigsten würden zugeben, dass sich deshalb für eine bestimmtes Produkt entschieden haben. Interessant dieser Satz (S.8 ff): „Zumal es historische Situationen wie den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik gibt, in denen diese Probleme besonders grell aufleuchten und so weitere aufschlussreiche Details über Machttechniken erkennbar werden, durch die sich die ‚verwirrte Herde auf Kurs halten lässt‘. „Mit diesen Worten beschrieb schon vor einem Jahrhundert der einflussreiche politische Intellektuelle Walter Lippmann die zentrale Herausforderung für die Elten in einer – von ihm angestrebten – sogenannten ‚Elitendemokratie‘. Heute ist die Elitendemokratie das Standartmodelll kapitalistischer Demokratien.“ (Zu Walter Lippmann hier)
Weiter schreiben die Autoren in ihrer Einstimmung: „Im Verlauf der Ereignisse von 1989/90 gelang es, die Stimmung eines Großteils der DDR-Bevölkerung in wenigen Wochen in die vom Westen gewünschte Richtung zu lenken.“ Wie das im Einzelnen geschah, das hat Daniela Dahn ab S.14 im Kapitel „Volkslektüre. Eine Presseschau“. Lesen, unbedingt lesen, lieber Leserinnen und Leser! Da wurde die alte DDR-Führung mehr oder weniger geschickt diffamiert. Da wurde dann schon einmal gelogen. Nur ein Beispiel aus dem Spiegel auf S.21. Das (inzwischen) ehemalige Nachrichtenmagazin „gibt vor zu wissen, Honecker sei ‚Eigner von vierzehn Luxuskarossen‘ gewesen. In Wahrheit“, so rückt Daniela Dahn es gerade, „besaß der SED-Chef und Staatsratsvorsitzende privat nicht ein Autor. Da hätte auch gar keinen Sinn ergeben, waren doch die sich selbst ghettosierenden Spitzenfunktionäre aus Sicherheitsgründen nur im Dienstwagen mit Fahrer unterwegs. Ob Honecker in seinem Jagdrevier auf mal in Margots Wartburg durch den Wald preschen durfte, ist nicht überliefert.“
So wird die DDR – wie es dann später ein Justizminister namens Klaus Kinkel fordern würde – damals delegitimiert bis in die Zehenspitzen und Dreck beworfen, dass es nur so spritzte. Wer schmeißt denn da mit Lehm, sang in in der Nazizeit Claire Waldoff, der sollte sich was schä’m!“ Immerhin, so erinnert uns Daniela Dahn, ermahnt der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker „als Erster die westdeutsche Publizistik, sie solle die Vorgänge in der DDR ’nicht für hiesige Zwecke instrumentalisieren‘.“
„Die hiesigen Zwecke sind für die Konservativen der Erhalt und die Festigung des Statur quo in der BRD.“ (S.39)
Vergebliche Ermahnungen: man tat freilich weiter. Kohl nutzte seine ihm in den Schoss gefallene Chance koste es was es wolle. „Die Birne“, wie er seinerzeit genannt wurde, wäre nämlich ohne den Fall der DDR weg vom Fenster gewesen. Riesige Summen ließ er einsetzen, damit die Menschen in der DDR so wählten, wie es ihm passte. Propaganda- und Fahnenmaterial wurde in die strauchelnde DDR gekarrt. Den Slogan „Wir sind das Volk“ wurde in „Wir sind ein Volk“ gedreht. Heute würde man das Ganze wohl Nudging nennen – die DDR-Menschen wurden dahin geschubst, wohin man sie haben wollte.
Auch das macht Daniela Dahn klar: Es gab durchaus auch kritische Medien in der Noch-DDR. Doch wurden diese kaum noch gelesen. Alles wurde von Westpresse überschwemmt, Verlage aufgekauft und so weiter.
Es ist den Leserinnen und Lesern wirklich zu empfehlen, das akribisch zusammengetragene und Daniela Dahn für das Buch aufbereitete Material mit den dazu gehörigen Stimmen und Quellen sehr gründlich zu studieren und zu verinnerlichen. Auch das Kapitel „Die Währungsunion war organisierte Verantwortungslosigkeit“ (S.89) ist unverzichtbar und für ganze weiter erfolgte Entwicklung exorbitant wichtig. Wer dies alles sich zu Gemüte führt, wird anlässlich des Einheitsfeiertags nicht leicht in Euphorie verfallen oder gar in Jubel ausbrechen. Langsam, Buchseite für Buchseite lupft Daniela Dahn die über die ganzen wenig rühmlichen, in den Zeiten von Wende und DDR-Anschluss begangenen Missetaten gekippte süße, schleimige Friede-Freude-Eierkuchen-Einheitssoße an. Und manch übler Dunst steigt da aus dem damit ab- zugekippten Kladderadatsch auf.
Auch das Treiben der Treuhand, die betreffs ihres Tuns dieser Bezeichung hohnsprach, wird von Daniela Dahn beackert und bis in die dunklen Seiten hinein beleuchtet.
Wir sollten uns erinnern, möchte ich hier zu diesem Thema einwerfen: Der Schriftsteller Rolf Hochhuth, der das Stück „Wessis in Weimar“ geschrieben hatte, schrieb rückblickend von einer „brutalen Enteignung der Ostdeutschen“ und einem „Gewaltakt namens Wiedervereinigung“. Es dürfte die größte Enteígnung gewesen sein, die die Welt je gesehen hat.
Wie die Willensbildung der DDR-Bürger beeinflusst wurde, zu erklären – um nicht zu sagen: darzulegen, wie sie sozusagen hinter die Fichte geführt wurden -, ist die ureigenste Aufgabe des Wahrnehmungs- und Kognitionsforschers Prof. Dr. Rainer Mausfeld im vorliegenden Buch. Im Kapitel „Wende wohin? Die Realität hinter der Rhetorik“ ab Seite 102 beschönigt er freilich nichts. Dennoch postuliert er: „Das Schweigen der Lämmer ist kein unabwendbares Schicksal.“ Aber müssen wir ehrlichkeitshalber hinzusetzen: Aber nicht mit einem Federwisch zu machen.
Mausfeld: „1989 hat das Volk sich selbst zum Sprechen ermächtigt und seine Stimme gegen die Zentren der Macht politisch wirksam werden lassen. Es hat den alten Hirten die Gefolgschaft aufgekündigt und sich neue gesucht, die seine Vertreibung ins Paradies, so das treffende Bild von Daniela Dahn, organisierten.“
Rainer Mausfeld spricht Wichtiges bis ins Heute an, wo doch eine Krise nach der anderen allmählich zu explodieren droht: „Die Frage, die wir uns stellen müssen ist also: Warum sind wir so blind für die zerstörerischen Folgen der kapitalistischen Weltgewaltordnung? Das Erfolgsrezept des Kapitalismus ist seit jeher, dass er uns zu einem Teufelspakt verführen will, er verspricht uns immerwährenden Fortschritt und eine kontinuierliche Verbesserung unserer Lebensstandards und sorgt zugleich dafür, dass wir unfähig sind, den dafür zu entrichtenden Preis überhaupt erkennen zu können.“
Daniela Dahn wiederum fragt im Kapitel „Ein Luxus anderer Art. Was bedeutet die Forderung nach einem Systemwechsel? (S.118). Und sie erkennt (S.123): „Frei (und demnach revolutionär) ist, wer das als falsch Erkannte umzukehren vermag.“ Aber muss auch einsehen: „Recht und Staat sind praktischerweise so konstruiert, dass sie die herrschende, angeblich nicht verfehlte, sondern fortschrittliche Funktionslogik in Gang halt.“ Dahn führt Kurt Tucholsky: Politik ist die Durchsetzung wirtschaftlicher Interessen mit Hilfe der Gesetzgebung.“
Dahn schließt das Kapitel so: „Den eigentlich verbotenen politischen Streik hat ‚Fridays for Future‘ schon erprobt. Die Gemeinnützigkeit wird sich die globalisierungskritische Attac-Bewegung nicht nehmen lassen. Ist so etwas wie Generalstreiks wieder zeitgemäß? Wie schützt man soziale Revolutionen vor finanzierten und manipulierten Putschen und Umstürzen?
Die Verheißungen eines Systemwechsel, aber auch die Widerstände dagegen bewusster zu machen, hat letztlich einen Zweck: uns die Erfahrungen eines weiteren, folgenreichen Scheiterns zu ersparen. Denn dann wird die Erde sinken und verbrennen.“
Das keinen Moment langweilige Buch geht aus mit einem hochinteressanten Gespräch der beiden Autoren Daniela Dahn und Rainer Mausfeld. Insgesamt fünf Gespräche in Form einer fortgesetzten Telefonkonferenz als Anmerkungen und weiterführende Betrachtungen zu den vorhergehenden Texten. (S.136)
Rainer Mausfeld sagt unter der Überschrift „Wie sich die verwirrte Herde auf Kurs halten lässt.“
„… was sich dazu sagen lässt, ist leider weniger erbaulich. Der Westen verfügt über eine einzigartiges Arsenal höchst raffinierter psychologischer Manipulationsmethoden. Das wird seit mehr als hundert Jahren mit großen Forschungsanstrengungen und verfeinert. In diesen psychologischen Techniken einer Bevölkerungskontrolle hat der Westen gegenüber dem Osten einen kaum vorstellbaren Forschungsvorsprung.: Kapitalistische Demokratien sind, wie man schon früh erkannte, wegen der freien Wahlen darauf angewiesen, bei den Wählern den Eindruck völliger Freiheit aufrechtzuerhalten und zugleich sicherzustellen, dass diese so wählen, wie sie wählen sollen. Das ist machtechnologisch nur mit höchstem Aufwand zu bewältigen.“
Ab S.149 ein weiteres wichtiges Thema im Gespräch: „Wendevorgänge und manipulierte Geschichtsschreibung über die DDR“! Wie funktionierte das? Daniela Dahn: „Wer die Gegenwart Gegenwart kontrolliert, kontrolliert auch die Vergangenheit.“
Zu „Was sind freie Wahlen?“ (S.174) äußerte im Gespräch: „… das bringt mich noch einmal zu ihrer Presseschau der ‚Volkslektüre‘ zurück. Der empörendste Befunde ist eigentlich die siegestrunkene Hemmungslosigkeit, mit der eine frei Meinungsbildung der DDR-Bevölkerung behindert und blockiert wurde. Ganz ungeniert und offen wurde hier von außen massive Wahlbeeinflussung betrieben. Es lohnt sich das Ausmaß dieser Wahlbeeinflussung in Relation zu jüngeren tatsächlichen oder vorgeblichen Versuchen einer von außen kommenden Beeinflussung demokratischer Wahlen zu setzen, die im Westen größte Empörungen ausgelöst haben. Größer kann Heuchelei wohl nicht sein.“
Das fünfte Gespräche geht „Über die Hoffnung auf eine Wende, die den Namen verdient“. Rainer Mausfeld spricht über den „Systemwechsel als Umkehrung des Ausgangspunktes“ (S.187), ein Zitat von Ernst-Wolfgang Bockenförde, welches Daniela Dahn betreffs der berechtigen Frage der Notwendigkeit eines Systemwechsels angeführt hat.
Und Daniela Dahn erkennt, dass für die Notwendigkeit dieses Wechsels inzwischen viele gut begründete Wortmeldungen gebe. Selbst von Konservativen, „die sich in faschistoide Verhältnisse befürchten.“
Im Abschnitt „Hat das Virus die Demokratie befallen?“ (S.193) sagen die Autoren: „Wenn es in diesem Buch um das Tamtam massenhafter Beeinflussung von Meinungen ging und um das Tabuisierten unerwünschten Widerspruchs, dann kommen wir am Ende an einem aktuellen Bezug nicht vorbei – die Corona-Krise.“
Daniela Dahn: „Ich unterstelle zunächst keinerlei Absichten. Das Virus war da, die Wirkung blieb nicht aus. Nun ist es interessant, wie die einzelnen Akteure mit der Situation umgegehen. (…) Ich mische mich nicht in die innen Angelegenheit der Medizin ein. Aber als Publizistin können mir grobe Nachlässigkeiten, Widersprüche und Unterlassungen in der Argumentation nicht entgehen.“
Und Rainer Mausfeld hat richtig ausgemacht: „Die Corona-Krise ist ja tatsächlich eine Multi-Krise. In ihr kreuzen und verbinden sich sehr unterschiedliche Krisen, die bereits länger erwartet wurden. Dazu gehört auch eine Systemkrise des globalisierten Finanzkapitalismus, die sich auch eine Systemkrise des globalisierten Finanzkapitalismus, die sich auf diese Weise fast unsichtbar gemacht hat und damit ihre Kosten wieder kurzerhand auf die Gemeinschaft umlegen kann. Covid-19 bringt lediglich wie eine Katalysator sehr grundlegende Probleme der gegenwärtigen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung zum Vorschein.“
Zu Bedenken gibt Mausfeld indem er auf Thomas Pynchons Worte „Wenn sie es schaffen, dass du die falschen Fragen stellst, brauchen sie sich über die Antworten keine Sorgen zu machen.“ anspricht, dem er Recht gibt: „Unangemessene Vergleiche und unbegründete Spekulationen führten schon früh in der Corona-Krise zu falschen Fragen.“
Die Fragen jedoch, beklagt Rainer Mausfeld (S.208), die an die eigentlichen Wurzeln der Missstände gingen, seien im Lärm des medialen Tamtam kaum zu hören.
Stattdessen verzehrten sich die Energien berechtigter gesellschaftlicher Veränderungsbedürfnisse in Kämpfen einer gespaltenen Gesellschaft.
Mausfeld liegt damit richtig: „Damit ist jede Solidarität in der Spaltung verschwunden.“ Und resümiert: „Genau so funktioniert effiziente Stabilisierung von Macht.“
Und Daniela Dahn gibt zu bedenken: „Wenn die Menschheit nach den Erfahrungen mit dieser Pandemie nicht umdenkt, müsste man ihr diese Fähigkeit wohl absprechen. Ein Schluss – wert widerlegt zu werden.“
Was soll man noch hintanführen? Getroffen! Beide Autoren ins Schwarze. Lesen, lesen und andere ermuntern es das Buch zu lesen! Liebe Leserinnen und Leser führt euch auch die Faksimiles zu Gemüte von Zeitungsseiten und Texten aus der beschriebenen Zeit zu Gemüte. Damals gingen sie wohl an vielen Menschen vorbei. Und es wurde hingenommen. Heute können wir noch einmal genau hinschauen. Was glaubten wir damals selbst, als wir dergleichen lasen? Kommt vielleicht heute – mit dem Abstand zu damals und dem Wissen aus diesen wichtigen Buch von heute – dann doch etwas Scham auf?
Und, greife ich damit zu hoch? Egal: Ich wünschte, das Buch würde Schulstoff!
„30 Jahre Wiedervereinigung – ein Grund zum Feiern? Offensichtlich nicht für alle
1990 gilt als das wichtigste Jahr der Nachkriegsgeschichte. Alles scheint gesagt. Die Tabus überdauern. Die renommierte Essayistin und Mitbegründerin des „Demokratischen Aufbruchs“ in der DDR Daniela Dahn und der Kognitionsforscher Rainer Mausfeld nehmen sie ins Visier mit einem Blick auf bislang unterschätzte Zusammenhänge. Daniela Dahn untersucht, wie in atemberaubend kurzer Zeit die öffentliche Meinung mit großem Tamtam in eine Richtung gewendet wurde, die den Interessen des Westens entsprach. Mit ihrer stringenten Zusammenschau reichen Materials aus den Medien wird das offizielle Narrativ über die Wende erschüttert. Rainer Mausfelds Analyse zeigt die Realität hinter der Rhetorik in einer kapitalistischen Demokratie. Die gemeinschaftlichen Analysen werden in einem grundlegenden Gespräch vertieft und liefern einen schonungslosen Befund des gegenwärtigen Zustands der Demokratie.“
2020. Was für ein Jahr? Was für Zeiten! Ein kleines Virus – ich will ihn gar nicht verharmlosen – hat unsere gesamte Gesellschaft fest im Griff: Corona. Covid-19!
Die eh schon in der Rezession befindliche bzw. auf den Weg dorthin befindliche Wirtschaft wurde heruntergefahren. Lockdown! Hat man das zuvor gekannt? Höchstens aus den Staaten – aber aus ganz anderer Problematik. Social distancing – wo doch gerade die bereits arg gespaltene Gesellschaft das Gegenteil dessen nötig hätte! Abstand halten zu anderen Mitmenschen: 1,5 Meter. In Österreich noch irgendwie niedlich veranschaulicht: Abstand in der Größe eines Babyelefanten.
Erst galten die Masken als nicht nötig und so gut wie nutzlos. Wohl weil keine vorrätig waren. Dann aber als sie’s dann endlich waren, bezeichnete man sie als gut und durchaus wichtig.
„Willkommen-Österreich“-Moderator vom ORF, Christian Grissemann, hatte für Österreicher mit „Pappen-Maske“ und Deutsche mit „Spahn-Platte“ die passende Begriffe für diesen Mund-Nase-Lappen parat.
Und so ging es holterdiepolter hin und her – chaotisch. Die Schüler mussten Homescooling machen. Und als sie dann wieder zum Life-Unterricht in der Schule durften quälte man die Kinder mit Masken im Unterricht! Körperverletzung. Die Verantwortlichen sollten bestraft werden.
Die Menschen in Deutschland sind zerstritten. Nun noch mehr, als sie zuvor schon gewesen waren. Einerseits stimmen sie den Corona-Maßnahmen zu. Fast in beängstigender Art und Weise. Grassiert da das Stockholm-Syndrom? Erschreckend machen sich längst mit den dunklen Zeiten unserer Geschichte überwunden geglaubte Blockwartmentalitäten breit, indem Menschen, die keine Maske tragen bei den Behörden angeschwärzt, aus Eisen- oder Trambahnwagen geworfen oder gar verprügelt werden, wie es dem Biologen Clemens Arvey kürzlich in einem Wiener Geschäft ergangen war. Er hatte ein Postpaket dort abgeben wollen und wegen der vergessenen Maske Mund und Nase mit seinem Kleidungsstück bedeckt. Der Ladeninhaber hatte hinter Plexiglas gestanden. Man muss wissen: Die meisten Masken, die im Alltag getragen sind keineswegs – darauf weisen die Hersteller explizit hin – dazu geeignet sind, Bakterien und erst recht nicht Viren abzuhalten. Regierungen und – besonders schlimm und verachtenswert: viele Medien! – schüren tagtäglich Corona-Angst. Es gibt sogar Leute, die mit Maske im menschenleeren Wald unterwegs sind und Menschen, die mit Rad und der Maske im Gesicht mit dem Fahrrad durch die Gegend rumpeln! Mir fiel ad hoc dazu ein Buch von Rainer Mausfeld, „Angst und Macht“ (hier meine Rezension) ein. Klar: Angsterzeugung gehörte schon immer zu den Herrschaftstechniken in kapitalistischen Demokratien.
Andererseits kritisieren wiederum andere Menschen diese Maßnahmen. Und gehen auf Querdenken-Demos mit hoher Beteiligung und bunter Diversität gegen sie und die Grundrechtseinschränkungen friedlich auf die Straße. Damit wir uns nicht vertun: Es sind beileibe keineswegs alles „Corona-Leugner“, die da demonstrieren. Und erst recht keine „Covidioten“, wie sich die SPD-Vorsitzende Saskia Esken nicht verbeißen konnte diese Menschen schwer zu beleidigen, indem sie so titulierte. Nebenbei bemerkt: Sie sollte ihren Hut nehmen. So sie einen hat.
Dem Westend Verlag ist es zu verdanken, dass er den freien Journalisten, Autoren und Mitherausgeber des Magazins Multipolar, Paul-Schreyer,gebeten hat, zur uns alle beschäftigendem Thematik etwas zu schreiben.
Zum kürzlich erschienen Buch „Chronik einer angekündigten Krise. Wie ein Virus die Welt verändern konnte“ heißt es seitens des Verlags:
Ob in Politik, Wirtschaft oder Privatleben: Das Coronavirus gibt den Takt vor. Tausende Unternehmen steuern auf den Konkurs zu, kaum für möglich gehaltene Einschränkungen der Bürgerrechte werden ohne Diskussionen beschlossen – auf unbestimmte Zeit. Viele Menschen verharren in Angst und Passivität. Regierungen unterwerfen sich Empfehlungen von Experten, eine Opposition ist kaum zu sehen und die Medien hinterfragen wenig. Was geschieht hier eigentlich? Die vordergründig chaotisch erscheinenden Reaktionen auf den Virus, werden von Paul Schreyer in einen erhellenden globalen Kontext gestellt. Deutlich wird: Einige der aktuellen Entwicklungen sind nicht zufällig. Quelle: Westend Verlag
Zum Prolog: Falsche Leitsterne
Im Prolog zum Buch (ab S.9) erinnert sich Paul Schreyer an einen milden Frühlingsabend, während des Kontaktverbots im Garten ihres Grundstücks, kurz vor Einführung der Maskenpflicht.
Plötzlich waren seiner Frau fliegende Objekte am sternenklaren Himmel aufgefallen. Später wurden es immer mehr. „Mehrere Dutzend sich gleichmäßig bewegende ‚Sterne‘ zogen wir auf einer Perlenschnur langsam über den tiefdunklen Himmel.“
Man überlegte: „Wurden wir gerade Zeugen einer durchreisenden ‚Ufo-Kolonne‘?“
Nach einem Blick ins Internet, so schreibt Schreyer, „folgte die Ernüchterung: Keine Ufos, keine Rätsel, kein Mysterium – stattdessen hatten wir lediglich einen Teil der riesigen Satellitenflotten ‚Starlink‘ des amerikanischen Milliardärs Elon Musk über den Nachthimmel ziehen sehen“ (S.10)
Warum ein Buch über die Corona-Krise ausgerechnet mit Elon Musk und dessen Weltraumplänen beginnt, erklärt Paul Schreyer mit Entwicklungen, die Ausdruck eines tiefer liegenden Trends sein könnten: „Gesellschaftssteuernde Maßnahmen und Technologien werden zunehmend weltumspannend und zentral koordiniert wirksam. Einflussreiche Privatleute entwerfen Pläne für die ganze Welt, die in wachsendem Umfang auch global umgesetzt werden. Das Heil liegt dabei oft in menschenfernen, leblosen und automatisierten Prozessen, die Hilfe und Annehmlichkeit versprechen, zugleich aber zentrale Herrschaft und Kontrolle ermöglichen – sowie außerordentlichen Profit.“ (S.11)
Ein Auszug aus dem Buch
„Wir leben in einer Zeit der Technologiegläubigkeit. Alle großen Probleme sollen technisch lösbar sein. Von Konzernen lancierte Produkte und Verfahren bieten Glücks- und Heilsversprechen, die früher den Religionen vorbehalten waren. Diese Entwicklung ist nicht neu, sie vollzieht sich seit mehr als 100 Jahren überall auf der Welt. Ursprüngliche menschliche Instinkte und überlieferte Erfahrungen aus vergangenen Generationen gelten wenig im Vergleich zu technologischen Innovationen und allem, was sich irgendwie maschinell herstellen und eindeutig vermessen lässt. Man verlässt sich auf »die Zahlen« und kaum noch auf Intuition – der man misstraut, da sie sich eben nicht messen lässt.
Unter den Chefingenieuren im Silicon Valley, rund um Google, Apple und Microsoft, hat sich eine Ideologie verbreitet, die dieses Denken zu beängstigender Perfektion führt. Dort »definieren Techniker, wie die Welt zu sein hat« (FAZ, 19.9.2014). Alles, was nur irgendwie digital erfassbar ist, wird vermessen, ausgewertet und in Algorithmen umgeformt. Künstliche Intelligenz gilt als Verheißung, man strebt eine technische Perfektionierung des Menschen an (»Transhumanismus«), einige Wirtschaftsführer träumen gar von Unsterblichkeit per »Upload« von menschlichem Geist auf Maschinenkörper. Dafür bedarf es einer Schnittstelle, an der auch bereits intensiv gearbeitet wird, unter anderem von Zauberlehrling Elon Musk, der dazu 2016 eine eigene Firma namens Neuralink gegründet hat. In der Presse hieß es darüber:
»Die Vision ist, dass es in ferner Zukunft möglich sein soll, Fähigkeiten über den Chip aus einem Appstore ins Gehirn zu übertragen, etwa die Bewegungen aus dem Kampfsport oder eine neue Fremdsprache. Neuralink will so Menschen mit künstlicher Intelligenz (KI) verbinden. Musk befürchtet, dass KI den Menschen überflügeln wird. Das soll verhindert werden, indem der Mensch über das BCI (Brain-Machine-Interface) mit KI verbunden wird.« (Golem, 17.7.2019)
Die tiefer liegende Motivation für diese Forschung ist also, so scheint es, auch Angst vor den »Zauberkräften«, mit denen man da hantiert. Der Autor Philipp von Becker erläutert in seinem Buch:
»Der Transhumanismus steht in der Tradition der großen Utopien der frühen Neuzeit (…), in denen die Zukunft des Menschen im Geist des wissenschaftlichen Fortschrittsglaubens als zurückerobertes Paradies ausgemalt wurde. Im weiteren Verlauf der Neuzeit wurden aus literarisch-philosophischen Utopien jedoch zunehmend Dystopien [pessimistische Zukunftsbilder], in denen der Mensch durch die Wunderwerke der Technik und Wissenschaft nicht mehr zum Herrn der Natur, sondern zum Sklaven seiner selbst wird.« (Passagen Verlag, 2015)
Neben dem exzessiven Messen und Optimieren hat ein großer Wunsch nach Eindeutigkeit von vielen Menschen Besitz ergriffen. Dies hat auch eine politische Dimension. Angesichts wachsender Unsicherheit und zahlreicher Bedrohungen, vom sozialen Abstieg über politischen Extremismus bis hin zu tödlichen Viren, suchen Menschen zunehmend Halt bei vermeintlich unverrückbaren Wahrheiten und strikten Verboten. Die Prinzipien, mit denen man sich wappnen will, sind Härte, Kampf und Kompromisslosigkeit. Es sind die Methoden des Krieges.
Immer ist die Stimmung gereizt, die Wahrheit eindeutig, der Feind klar erkennbar und die Welt im Schwarz-Weiß-Raster erklärbar: Gut gegen Böse, Aufgeklärt gegen Hinterwäldlerisch, Verantwortungsvoll gegen Verblendet. Wer diesen neuen, militanten Gleichklang stört, der gilt als gefährlich. Der Islamwissenschaftler Thomas Bauer beschreibt den Trend zur Eindeutigkeit als neuen Fundamentalismus:
»Wer Eindeutigkeit erstrebt, wird darauf beharren, dass es stets nur eine einzige Wahrheit geben kann und dass diese Wahrheit auch eindeutig erkennbar ist. Eine perspektivische und damit nicht-eindeutige Sichtweise auf die Welt wird abgelehnt. (…) Vielfalt, Komplexität und Pluralität wird häufig nicht mehr als Bereicherung empfunden.« (Reclam, 2018)
Der Grund dafür ist leicht zu verstehen: Um Mehrdeutigkeit als bereichernd zu empfinden, bedarf es eines einigermaßen entspannten und ausgeruhten Lebens in halbwegs stabilen Umständen. Mehrdeutigkeit und Unklarheit verunsichern. Um damit umgehen zu können, braucht es Reserven – über die im heutigen Dauerstress immer weniger Menschen verfügen. Von Angst und Gefahr bedroht, radikalisieren sich die Anschauungen, verengt sich der Blick, werden Menschen leichter lenkbar.
Mit diesem Gedankengang wird häufig erklärt, weshalb sich elitenkritische Sichtweisen in den letzten Jahren ausgebreitet haben. Menschen seien demnach von der komplexen Vielschichtigkeit der Welt überfordert und sehnten sich nach simplen Erklärungen und leicht verständlichen Geschichten von dunklen Hintermännern und bösen Mächten. Seltener beachtet wird eine ähnliche Entwicklung am anderen Ende der Gesellschaft, dort aber unter umgekehrten Vorzeichen. So glauben (oder hoffen) viele Menschen, dass diejenigen an der Spitze der Gesellschaft – Regierung, Medieneigentümer, Geheimdienste, Superreiche – mehr oder weniger zufällig agieren, ohne größeren Plan, zumindest aber ohne einen Plan, der der Mehrheit schadet. Verborgene Absprachen zulasten der Allgemeinheit ließen sich, so die Überzeugung, »nie« geheim halten und würden daher auch nicht existieren. Beide Haltungen, sowohl die strikte Orientierung an »Verschwörungstheorien« wie auch deren pauschale Ablehnung, gehören strukturell zusammen und sind Ausdruck der gleichen Sehnsucht nach Eindeutigkeit.“ (Quelle: Westend Verlag)
Paul Schreyer hat für das Buch erkennbar äußerst akribisch recherchiert. Alles ist für den Leser gut nachvollziehbar und selbst anhand der in den Anmerkungen verzeichneten Quellen nachlesbar bzw. auf You Tube auch nachzuschauen. Das Buch ist äußerst sachlich verfasst. Schreyer spricht bezüglich des Verlaufs der Pandemie und der Reaktion darauf von einer „Pandemie-Maschine“.
Im Kapitel 1 „Wahn und Wirklichkeit: Zum Umgang mit Verschwörungstheorien“ wird sich sachlich damit auseinandergesetzt. Schreyer beschließt das Kapitel so: „Verschwörungstheorien, die die harmonische Erzählung der großen Eintracht von oben und unten in Frage stellen, entwickeln sich in so einer Situation zu einem Mittel geistiger Notwehr. Man sollte sie gründlich studieren und vorurteilsfrei prüfen – mit neugierigen Erkenntnisinteresse und ohne Weltuntergangsangst.“ (S.33)
Schreyer sagt, schreibt, was ist – was die Sache, an Rudolf Augstein dabei denkend, der Presse, der Medien sein müsste, die leider in der Corona-Krise stramm und vorauseilend auf Regierungskurs sind und somit gefährlich an ihrer ureigensten Aufgabe, Vierte Gewalt sein zu sollen, scheitern.
Der Autor schreibt auch was war. Und ordnet alles entsprechend ein. Auch behauptet er an keiner Stelle seines Buches, dass hinter der Corona-Pandemie ein Plan stünde.
Jedoch weist er darauf hin, dass Übungen, die den Umgang mit Epidemien und anderen gefährlichen Ereignissen simulieren, stattgefunden haben. Was ja sicher auch durchaus verständlich sei, um im Ernstfall auf alle Eventualitäten eingestellt zu sein und alle nötigen Kräfte und Dienste vorbereitet und aufeinander abgestimmt seien. Was an sich auch nichts Außergewöhnnliches ist. Schließlich muss in vielen Bereichen geübt werden, was in bestimmten Katastrophenfällen zu tun ist. Aufhorchen lässt allerdings, dass bei mancher der von Paul Schreyer erörterter Übungen auch der Ausnahmezustand bzw. das Auftreten bürgerkriegshnlicher Situationen erprobt wird.
Jedoch sind ähnliche Übungen auch hinsichtlich potentieller Terroranschläge – auch mit Biowaffen – bekannt. Und, dass sie auch von Staaten genutzt werden, um Angst zu verbreiten und Maßnahmen durchzusetzen, die ansonsten der Gesellschaft nur schwer „verkauft“ werden können. Man denke nur an die Sicherheitsgesetze, die allein in den USA und auch bei uns in Europa darauf folgend nach 9/11 durchgesetzt wurden und die in der Regel bis heute weiterbestehen. Weil sie nie aufgehoben wurden.
Im Kapitel „Dark Winter: Der Ausnahmezustand wird geprobt (1998-2001) ab Seite 51 geht es etwa um ein Planspiel, betreffend einer fiktiven Stadt Goodtown, wo die Pest ausbrach. „Das Planspiel“, so hat Schreyer herausgefunden, „stand unter der Überschrift: ‚Epidemie-Reaktionsszenario: Entscheidungsfindung in einer Zeit der Pest‘ Fokussiert wurde auf die Epidemie-Situation als solche.“
Kleiner Exkurs: Interessant war es für mich in der Phase des Kontaktverbots „Die Pest“ von Albert Camus zu lesen. Dazu passend, draußen vor der Tür die fast lärmende Stille.
Interessant ebenfalls Kapitel Atlantic Storm: Epidemien als Türöffner (ab S.67). Paul Schreyer weist darin u.a. auf die Arbeit des Centers for Biodiversity, das 2013 in Center for Health Security unbenannt wurde.
Die Arbeit des Centers habe letztlich in zwei großen Übungen, die der Corona-Krise vorausgingen gegipfelt: „’Clade X‘ im Mai 2018 und ‚Event 201‘ im Oktober 2019.“
Schreyer notierte: „Während die erste die nationale Reaktion der US-Regierung auf eine Pandemie probte, spielte die zweite eine internationale Reaktion unter Einbeziehung von privaten Konzernen durch. Zwei Monate später tauchte das Coronavirus auf.“
Hochinteressant also das Kapitel 6. Event 201: Corona-Krise als Planspiel (2019)!
Paul Schreyer: „Als das Team vom Johns Hopkins Center for Health Security im Anschluss (an Clade X; C.S.) eine noch größere, noch komplexere Nachfolgeübung konzipierte, kam die Oberliga der Sponsoren mit an Bord:
die Bill und Melinda Gates Foundation und das World Economic Forum (WEF).
Mit dabei etwa 100 Konzerne, die besonders einflussreich sind:
Beispielsweise: „Allianz, BlackRock, BP, die Deutsche Bank, Facebook, die Gates Foundation, Goldman Sachs, Google, der Pharmakonzern Johnson & Johnson, Mastercard, Paypal, der Ölkonzern Saudi Aramco, Siemens oder auch der Medienkonzern Thomson Reuter, Besitzer der gleichnamigen Nachrichtenagentur.“
Schreyer treffend:
„Man könnte das WEF als eine Art modernes ‚Politbüro des Kapitalismus‘ bezeichnen, wo große Linien für das weitere internationale Vorgehen überlegt und dann gemeinsam umgesetzt werden. Der rote Faden sind die Bemühungen zur globalen Verzahnung von Regierungs- und Konzerninteressen, freundlich bezeichnet als ‚öffentlich-private Zusammenarbeit‘ (‚Public-Private Cooperation‘)“
Man merkt auf: „Die Übung ‚Event 201‘ fand am 18. Oktober 2019 statt, zwei Monate vor dem Auftauchen des Coronavirus, und simulierte irritierenderweise auch tatsächlich den Ausbruch einer globalen Coronavirus-Pandemie:
„Event 201 simuliert den Ausbruch eines neuartigen zoonotischen Coronavirus, das von Fledermäusen erst auf Schweine und dann auf Menschen übertragen wird und schließlich von Mensch zu Mensch übertragbar wird und zu einer schweren Pandemie führt (…)“
Alle Organisatoren und Mitspieler des „Event 201“, informiert Paul Schreyer, „trafen sich wie bei den Übungen zuvor in Washington (…)“
Nicht weniger lässt aufmerken: „Bei ‚Event 201‘ versammelten sich also Menschen mit hoher fachlicher Kompetenz, von denen einige in der Corona-Krise weniger Monate später eine wichtige Rolle spielen sollten. Das Wesentlich an der Übung wie an der darauffolgenden realen Situation war eine spezifische Verschmelzung, staatlich Überforderung, Freiheitsbeschränkungen, Impfstoffe, Pharmaregulierung und Medienstrategie. Konkret gesagt: Eine gesundheitliche Notlage führte zu einem globalen Bedarf an Impfstoffen, für deren Finanzierung, Entwicklung und Verbreitung Konzernen eine attraktivere Rolle in der internationalen Politik eingeräumt werden musste“, wobei etwaigen Widerstand aus der Bevölkerung mit Hilfe von PR-Strategien und Medien zu begegnen war. Darum ging es der Übung – und darum geht es auch heute.“
Paul Schreyer gibt aber gleichwohl zu bedenken: „Aus diesem Zusammenhängen lässt sich nicht logisch ableiten, dass die Organisatoren und Teilnehmer der Übung von der bevorstehenden Pandemie ‚wussten‘ – was ja seinerseits voraussetzen würde, die Corona-Krise wäre absichtlich geplant worden und das Geschehen somit keine Laune der Natur, sondern Tarnung für den zielgerichteten Einsatz einer Biowaffe.“
Schreyer gibt aber zu bedenken: „Allerdings legt die frappierende Ähnlichkeit von Übung und Realität nahe, genau hinzuschauen und zu prüfen, wie die tatsächliche Pandemie 2020 im Detail begann (siehe Kapitel 8).“
Im Auge müssen wir natürlich auch behalten, dass der vom Team Drosten entwickelte PCR-Test nur „Virusmatierial“, nicht aber eine Krankheit nachweist. Was also sagen uns die tagtäglich medial verbreiteten „Wasserstandmeldungen“?
Und im Dunkeln bleibt ebenfalls die Frage, warum die WHO seinerzeit eine weltweite „Pandemie“ ausgerufen hatte.
Paul Schreyer hat gut erfasst, was sich erschreckender Weise in kurzer Zeit ergab (S.152):
„Die düster Utopie einer verängstigenden, unfreien Gesellschaft schien sich realisiert zu haben. Es hatte nur ein paar Wochen überhitzter, uniformer, vom Zweifel befreiter Medienberichterstattung gebraucht – und eine Politik, die sich diese zum Kompass.“
Ja, das ist wirklich bedenklich. Wieso ließen sich die Menschen in ihrer Mehrheit schlimmste Einschränkungen und Gängeleien so widerspruchslos gefallen?
Wäre es also, denke ich mit Schrecken ein ums andere Mal, denkbar, und wirlich so furchtbar einfach, mit „uns“ einmal mehr in eine Diktatur zu jonglieren?
Wir – das nehme ich jedenfalls aus Paul Schreyers wichtigen und informativen, zum nachdenken anregendem Buch, mit, sollten also schnellstens hellwach werden.
Schreyers schließt mit klarer Analyse der Situation: „Doch ganz unabhängig von Corona sind es genau diese makellosen, für den eigenen Opportunismus blind gewordenen ‚Durchblickern‘ in der Politik, der Wirtschaft und den Medien, die die Welt Schritt für Schritt ins Chaos führen. Die Gesellschaft aber, wir alle, brauchen den Zweifel, das Innehalten, die Umkehr zurzeit wohl so dringend wie kaum etwas anderes.“
Das Land ist gespalten wie nie. Der Autor schreibt ein paar Zeilen früher:
„Die einen vertrauen der Regierung, die anderen warnen vor ihr. Das größte Problem bei Diskussionen über den Graben hinweg scheint der drohende Gesichtsverlust zu sein. Die Argumente der Skeptiker anzuerkennen würde bedeuten, einzugestehen, sich selbst lange Zeit geirrt zu haben, vielleicht sogar manipuliert worden zu sein. In einer Gesellschaft, die keine Fehler toleriert und in der jeder immer alles richtig und am besten perfekt machen will, ist das keine keine attraktive Option. Der Irrtum ist inakzeptabel geworden.“
Das ist es!
Treffend gleichermaßen:
„Der Irrtum ist inakzeptabel geworden. Vielen Journalisten und Führungskräften gilt es geradezu als unprofessionell, sich geirrt zu haben. Man weiß Bescheid, kennt sich aus, lässt sich nichts vormachen.“
Eben! Wie riet doch olle Karl Marx seinen Töchtern: An allem ist zu zweifeln.
Was für Zeiten! Ändern wir sie! Ach ja, noch etwas: Lesen Sie das Buch und empfehlen sie es weiter!
Robert Fleischer von Exomagazin TV hat mit Paul Schreyer über dessen Buch gesprochen
Elf Jahre nach dem verheerenden Zweiten Weltkrieg geboren (wie ich), konnte meine Generation Stück für Stück bescheiden, aber doch relativ zuversichtlich in die Zukunft blicken. Nie wieder Krieg – wurde ehrlich wohl von den allermeisten Menschen gewünscht. Nie wieder Faschismus lautete die Devise. Klar, die Verhältnisse waren bescheiden. Der Wiederaufbau war im Gange. Ich schaute, sozusagen, von der noch jungen DDR aus auf und in die Welt. Besser, solle ich schreiben: hörte in die Welt hinein. Denn einen Fernseher hatten wir nicht. Also mit den Jahren bekam ich die Geschehnisse auf dieser Welt allmählich via eines Radioapparates namens „Potsdam“ mit. Nachrichten hörte ich stets interessiert. Die Eltern hörten auch DDR-Rundfunk, aber bei den Nachrichten musste es der Deutschlandfunk – Westradio also – sein. Dem sie wohl eher trauten, als dem ideologisierten DDR-Radio mit seiner marxistisch-leninistisch geprägten Agitation.
Später schauten wir bei der Nachbarin (die bereits einen Schwarz-Weiß-Fernseher besaß) die Tagesschau. Dann, als wir uns endlich einen gebrauchten Apparat leisten konnten endlich in die eigenen vier Wänden. Die Tagesschau begleitet mich bereits viele Jahrzehnte. Zu DDR-Zeiten war die ARD-Nachrichtensendung gewiss nicht nur für mich ein wichtiges Korrektiv zu den im Lande verfügbaren Medien. Das DDR-Pendant „Aktuelle Kamera“ konnte man getrost vergessen, denn Hurra-Meldungen und Propaganda gaben einander die Hand. Die Zeitungen betreffend wurde halt gelernt, zwischen den Zeilen zu lesen. Abends um acht wurde – außer im „Tal der Ahnungslosen“, Dresden und Umgebung, die Tagesschau eingeschaltet. Da konnte man sein Nachrichtenbild einigermaßen vervollkommnen und sich eine eigene Meinung zum Weltgeschehen sowie zu den Vorgängen eignen Lande im Vergleich zu dem, was die DDR-Medien brachten, bilden.
Mein Verhältnis zur Tagesschau bekam einen Knacks
Wann bekam mein Verhältnis zur Tagesschau einen Knacks? Im Wesentlichen war das vor und während des Ukraine-Konflikts der Fall. Und später dann zusätzlich betreffs der fragwürdigen Berichterstattung über die Vorgänge und den Krieg in Syrien. Um den deutschen Journalismus steht es m.E. mindestens seitdem im Allgemeinen nicht gut. Die Vierte Gewalt – eine äußerst wichtige Säule in der Demokratie – ist, was die ihr zugedachten Aufgabe anbetrifft – nämlich die Regierung, die Mächtigen zu kontrollieren und sie zu kritisieren – ein stumpfes Schwert geworden. Wenige Ausnahmen, guten Journalismus‘ bestätigen die Regel. Papageien-Journalismus macht sich breit. Was die Regierenden unter sich an politischen Maßnahmen auskungeln – und die wirklich Mächtigen hinter ihnen in Politik gern umgesetzt hätten – wird von den Medien oft nur unkritisch nachgeplappert. Es werden bestimmte Informationen weggelassen – was eigentlich fast noch schlimmer ist als zu lügen. Was auch geschieht.
Vor einigen Jahren hatten laut einer Reuters-Medienanalyse nur noch 40 Prozent der Deutschen Vertrauen in Journalisten. Was zu denken geben sollte. Aber augenscheinlich nicht zu denken gab. Wie ein Blick in die Wirklichkeit zeigt.
Vergleiche hinken – ich weiß. Aber beinahe gibt die Tagesschau heute ein ähnliches Bild ab wie einst die Aktuelle Kamera des DDR-Fernsehens. Die Tagesschau verklickert uns, was und wie wir denken sollen. Statt uns Meldungen derart zu präsentieren, dass wir Zuseher*innen uns ein eigenes Bild machen können. Akribisch und mit großem Engagement reichen die ehemaligen NDR-Mitarbeiter Friedhelm Klinkhammer und Volker Bräutigam zwar regelmäßig Programmbeschwerden bei eklatanten Verstößen der Tagesschau-Redaktion gegen die Programmrichtlinien ein. Doch bei den Verantwortlichen perlen diese Kritiken regelmäßig ab. Näheres dazu im Buch „Die Macht um acht“, das ich hier vorstellte.
Wichtiger Sammelband: „Mega-Manipulation“ im Westend Verlag
Ulrich Mies hat im Westend Verlag ein Buch herausgegeben, das den Titel „Mega-Manipulation. Ideologische Konditionierung in der Fassadendemokratie“ trägt. Ein nicht nur gewichtiger, sondern wichtiger Sammelband.
Darin ist eine Reihe kompetenter und hochkarätiger, weil auch international beachteter Autor*innen versammelt. So etwa Daniele Ganser, John Pilger, Caitlin Johnstone, Chris Hedges, Ernst Wolff, Wolfgang Effenberger, Aktham Suliman und viele andere mehr.
Ein treffliches Vorwort von Ulrich Teusch
Ulrich Teusch hat das Vorwort zum Buch geschrieben. Darin räumt er ein, dass wir alle – eben auch Journalisten – Fehler machen. Teusch:
„Wenn wir tatsächlich falschgelegen haben, was nur selten vorkommt, dann geben wir es zu. Wir korrigieren uns. Wir arbeiten dran. Wir werden jeden Tag ein bisschen besser. Unsere Selbst- und Qualitätskontrolle funktioniert. Wir sind nicht für uns oder andere da, sondern für das Publikum. Wir haben stetes die besten Absichten. Vertraut uns!“
Und dann kommt’s:
„Dieses schmeichelhafte Selbstbild des Mainstream-Journalismus, sei`s in Deutschland oder anderswo, hat mit der trostlosen Wirklichkeit wenig zu tun.“
Weiter:
„Zugeben, hier und da haben Medien, etwa im Zusammenhang mit der desaströsen Ukraine-und Russlandberichterstattung Fehltritte eingeräumt. Man hat sich entschuldigt. Doch man tat es nur, wenn es gar nicht mehr anders ging. Wenn also die Berichte nachweisbar falsch war, die Fehlinformation so eklatant, dass kein anderer Ausweg blieb, so man denn das Gesicht wahren wollte.“
Teusch stellt wichtige Fragen betreffs einer zunehmend „tendenziösen, manipulativen Berichterstattung und Kommentierung, die unseren Medienschaffenden inzwischen zur zweiten Natur geworden ist, so selbstverständlich, dass sie ihnen kaum noch auffällt“.
Fragen, die wir uns womöglich auch schon selbst gestellt haben:
„Tun sie es aus innerer Überzeugung? Oder wider besseres Wissen, als zynisch? Oder mit geballter Faust in der Tasche? Aus Karrierismus oder Opportunismus?“
So zu fragen, meint Ulrich Teusch, führe auf die falsche Spur. Das Problem, stellt er auf Seite 12 unten fest, „hat systemische Qualität angenommen“:
„Ob New York Times, Le Monde oder der Guardian, FAZ, Süddeutsche oder Die Welt, ob CNN oder BBC, ob ARD oder ZDF – sie alle unterdrücken absichtsvoll wichtige Nachrichten. Sie alle gewichten einseitig, pushen also die ihnen genehmen Informationen und halten die unangenehmen weit unten.“
Weiter stellt Teusch fest (S.14):
„Dass Medien Partei sind, haben inzwischen große Teile des Publikums gemerkt – und sind verstimmt. Sie artikulieren ihren Frust, zum Leidwesen der Macher. Gut so! Und weiter so! Aber es gibt nach wie vor viele Menschen, leider zu viele Menschen, die sich jeden Abend um 20 Uhr andächtig vor dem Fernseher versammeln in der irrigen Erwartung, umfassend und wahrheitsgemäß über das Tagesgeschehen informiert zu werden.“
Journalist Ulrich Teusch rät uns Medienrezipienten eigentlich dasselbe, was auch der Historiker und Friedensforscher Daniele Ganser bei fast jedem seiner Vorträge empfiehlt:
„Die wichtigste Lehre aus diesem Buch: Vertraut niemals nur einem einzigen Medium! Informiert euch kritisch-vergleichend, aus den verschiedensten Quellen, vor allem aus dem prosperierenden und von etablierten Mächten bekämpften medialen Alternativsektor! Entwickelt eine skeptische Grundhaltung – immer und überall!“
Dazu passt auch, finde ich, was Karl Marx seiner Tochter 1867 auf Lateinisch ins Poesiealbum schrieb: „De omnibus dubitandum“ („An allem ist zu zweifeln“).
Ich kann nach Lektüre des interessanten Buches nur unterstreichen, was Ulrich Teusch schreibt:
„Die Autorinnen und Autoren dieses Sammelbandes zeigen, wie berechtigt diese skeptische Grundhaltung ist. Sie erweitern diese sogar noch, indem sie den Blick auf die Mega-Manipulation werfen. Diese vollzieht sich – nahezu unbemerkt – hinter dem Schleier des Mainstreams. Sie weisen an zahrlichen Beispielen nach, wie Manipulation und Propaganda in den modernen Gesellschaften des „freien Westens“ funktionieren.“
In der Tat, wie leben in äußerst bedenklichen – ja gar gefährlichen Zeit. Womöglich in einer Zeit des Umbruchs? Wohin aber wird das Pendel ausschlagen?
Was nicht zuletzt in der Corona-Krise mehr und mehr offenbar wird. Redaktionsschluss des Buches war ursprünglich Ende Februar 2020. Als jedoch die Corona-Krise hochkam, schrieb Mies die Einleitung zum Buch noch einmal um.
„Diese vorgebliche Sorge um die Gesundheit der Bevölkerung halte ich für völlig überzogen – das bestätigen mittlerweile ja auch viele kritische Experten.“, sagte Ulrich Mies kürzlich in einem Sputnik-Interview. „Ich bin davon überzeugt, dass es hier um eine ganz andere Nummer (politische Zielsetzung, Anm. d. Red.) geht.“
Da geht es natürlich auch Mies nicht darum, die Existenz des Covid-19-Virus zu leugnen. Allerdings – so geht es mir jedenfalls – steht zu befürchten, dass dieses Virus vor dem Hintergrund einer heranrollenden schweren Weltwirtschaftskrise und eines wohl erneut ins Haus stehenden harten Crashs des Finanzkapitalismus höchstwahrscheinlich herangenommen werden wird, um Folgen zu verdecken und Veränderungen vorzunehmen. Von denen wir noch nicht wissen, in welche Richtung diese gehen werden. Beziehungsweise die Schuld für die schwerwiegenden Folgen, die das für unsere Gesellschaften haben dürfte, dem Corana-Virus zuzuschreiben.
Tagtägliche Angstmache
Tagtäglich – wie müssen nur bestimmte TV-Sendungen verfolgen (besonders negativ fällt mir seit Wochen dabei die „Aktuelle Stunde“ des WDR auf) – wird den Menschen quasi Corona-Angst förmlich eingehämmert. Wir wissen: Angst ist ein Mittel der Mächtigen, um die Untertanen einzuschüchtern und unten zu halten. Mir fiel dazu ad hoc das ebenfalls bei Westend erschienene und von mir besprochene Buch „Angst und Macht. Herrschaftstechniken der Angsterzeugung in kapitalistischen Demokratien“ von Rainer Mausfeld ein.
Der Westend Verlag zum Sammelband:
„Die Politik der etablierten Kräfte in Deutschland wird von einer marktradikalen und kriegsaffinen Allparteienkoalition gesteuert. Die Bewusstseinsindustrie reflektiert und verstärkt diese Ideologien. Dass Verfassungsstaat und Demokratie dabei unter die Räder kommen, nehmen die Ideologen billigend in Kauf. Es geht nicht mehr allein um Medienmanipulation und Propaganda, es geht um psychologische Kriegsführung, Informationskrieg und zunehmend um Zensur gegen die Zivilgesellschaft. Ullrich Mies hat ein internationales Autorenteam versammelt, eigene Gedanken zur Propaganda in den westlichen Fassadendemokratien formuliert und sich weder der herrschenden Meinungsmacht der marktkonformen „Demokraten“ unterwirft, noch den Vorgaben der sprachlichen Türsteher der Political Correctness.“
Sowohl Titel als auch Untertitel dieses Buches liegen drei Behauptungen zu Grunde:
Mega-Manipulationen finden statt.
Die Öffentlichkeit wird ideologisch konditioniert.
»Wir« leben in einer Fassadendemokratie.
Für all das finden sich Buch zahlreiche Belege.
Fakt ist: Dass wir manipuliert werden und mit Propaganda bombardiert und belegt werden, ist nichts neues. Aber wir Menschen vergessen leicht. Einige Ereignisse werden in diesem Buch wieder sichtbar gemacht und unsere Erinnerung aufgefrischt. Was die zurückliegenden Geschehnisse anbetrifft, so sollten dieses Buch auch viele Menschen der jüngeren Generation lesen. Älteren Menschen – wie ich nun inzwischen auch einer bin – aber muss das Buch aber sehr zu bedenken geben. Der Eindruck dürfte sich vermitteln, dass wir heutzutage in zunehmend schwer übersichtlichen Verhältnissen, von den Mächtigen und den dazu gehörigen Interessengruppen immer öfters hinter die Fichte geführt – regelrecht verdummt – werden sollen.
Peter Scholl-Latour wusste bereits 2014 zu sagen: „Wir leben in einer Zeit der Massenverblödung“
Der Journalismus, die berühmte Vierte Macht, bewahrt uns davor – ebenfalls zunehmend – nicht hinter die Fichte geführt zu werden. Weil nicht kritisch hinterfragt wird, die Menschen nicht aufgeklärt werden Schlimmer noch: Große Teile der Vierten Macht sind Teil des Problems und Mittäter. Bereits 2014, an seinem 90. Geburtstag, stellte der große Peter Scholl-Latour im Interview mit Ramon Schack für Telepolis fest: „Wir leben in einer Zeit der Massenverblödung“ . Was wohl – lebte er noch – würde er heute zum Jetzt-Zustand sagen?
Zerstörte Hoffungen, vertane Chancen
Elf Jahre nach dem verheerenden Zweiten Weltkrieg wurde ich geboren. Wir lebten der DDR wie in der BRD (mit den entsprechenden zu bedenkenden Unterschieden) in eine Zukunft hinein, die im Wesentlichen Gutes verhieß. Die Frieden verhieß und mit Hoffnungen erfüllt war. Nicht zuletzt auch befördert durch die Politik „Wandel durch Annäherung“ (Egon Bahr), welche durch eine sozial-liberale Bundesregierung unter Willy Brandt Stück für Stück ins Werk gesetzt wurde. Und noch einmal keimte – bei vielen: euphorisch Hoffnung auf, als 1989 die Mauer fiel und die Systemkonfrontation anscheinend ein Ende zu haben schien. Anscheinend! Doch neue Fehler wurden gemacht. Die sogenannte Wiedervereinigung war ein Anschluss. „Eine Niedervereinigung“ gar, fand der Journalist Ralph T. Niemeyer. Wieder sind Kriege, in die wir hineingelogen werden, Mittel von Politik. Die große Chance, die uns 1990 quasi in die Hände fiel (aber auch darüber wird noch genauer zu sprechen sein), haben wir offenbar vertan.
Ralph T. Niemeyer gab in einem Video gewagt zu bedenken:
„Der Weltuntergang ging mal wieder schief, scheint es. Nach einem geplatzten Weltuntergang muss man völlig umdenken. Politik und Wirtschaft zögen an einem Strang, heißt es immer, aber die Frage ist, wer am anderen Ende ‚dranhängt?! Der Zusammenbruch des Neo-Liberalismus war vorhersehbar und die Instrumentalisierung der Covid-19 Pandemie so überraschend wie der Reichstagsbrand. Ein Plädoyer für ein neues, soziales, nachhaltiges und friedliches Wirtschaftssystem!“
Eine neue Hoffnung? Eine Möglichkeit. Ergreifen wir sie? Oder geraten wir durch verstärkte Mega-Manipulation in einen neuen Totalitarismus? Erstmal sollten wir das hier besprochene Buch mit seinen hochinteressanten Beiträgen zur Hand nehmen und lesen.
Der Neoliberalismus ist m.E. die Krankheit unserer Zeit. Fast alle Bereiche unserer Gesellschaft – und es werden ständig neue davon erfasst – sind von dessen Geist, besser: Un-Geist, befallen. Das Perfide daran: Die mit dem Neoliberalismus in Verbindung stehenden Mechanismen, präziser: dessen Ideologie, wird den Menschen geradezu als Medizin verkauft, gepredigt, die uns vorgeblich voranbringt. Paradox: Eine Krankheit wird uns als Allheilmittel verordnet. Die zu Apologeten dieses „Allheilmittels“ gemachten oder gar – entsprechenden, wie auch immer gearteten Einflüssen erlegen – aus eigenem Antrieb dazu gekommenen Politiker sowie die ihnen kritiklos, liebedienernd zur Seite stehenden, ihnen nachplappernden, Papageienjournalisten – statt als Vierte Macht in der Demokratie zu handeln! – in unseren Mainstream- und „Leit“-Medien verkaufen diesen Neoliberalismus.
Wer es nicht schafft, ist selber schuld
Sie lassen die schon immer falsche „Volksweisheit“ aufscheinen: Jeder sei seines eigenen Glückes Schmied. Und wer’s halt nicht schafft? Der ist nicht nur raus, hat Pech gehabt, sondern – stärker als nie zuvor wird ihm heute vermittelt: Du bist selber schuld. Hast dich eben nicht genug angestrengt. So jemand begehrt in den seltensten Fällen auf. Er ist förmlich erschlagen von den Verhältnissen. Wem sollte er die Schuld für sein Versagen geben? Er sieht ja keine.
Die Mächtigen – ich meine hier nicht die uns regierenden, sondern die wahrhaft Mächtigen, welche ja die Ideologie des Neoliberalismus immer weiter vorantreiben, sind ja weitgehend unsichtbar. Sie haben keine Adresse. In früheren Zeiten hatten etwa die Ausgebeuteten, wenn der Guts- oder Fabrikherr den Bogen in Sachen Ausbeutung überspannt hatte diese Adresse. Und dann zogen sie schon mal mit Mistforken vor die Villa des Ausbeuters.
Manchmal entschlüpft den anscheinend Mächtigen auch einmal die Wahrheit
Und unter den anscheinend Mächtigen gibt es sogar manchmal welche, denen auch mal die Wahrheit entschlüpft. Einer von ihnen sagte das dann sogar offen in der ARD-Satiresendung „Pelzig“ am 21. Mai 2010 in der ARD. Der damalige bayerische CSU-Ministerpräsidenten Horst Seehofer sagte frank und frei von der Leber weg:
„Diejenigen die gewählt wurden, haben nichts zu entscheiden … und diejenigen, die entscheiden, sind nicht gewählt.“
Oder der nun bald scheidende EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker:
„Wir beschließen etwas, stellen das dann in den Raum und warten einige Zeit ab, was passiert. Wenn es dann kein großes Geschrei gibt und keine Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde, dann machen wir weiter – Schritt für Schritt, bis es kein Zurück mehr gibt.“
WENIGE profitieren – VIELE verlieren
Freilich – das soll hier nicht verschwiegen werden – gibt es auch Menschen und Menschengruppen, welche vom Neoliberalismus profitieren – und das nicht zu knapp. Doch die Mehrheit – die Gesellschaft (etwas, von dem die „Eiserne Lady“ Margaret Thatcher zynisch behauptete, „There ist no such thing as society“ – „So etwas wie Gesellschaft gibt es nicht“) verliert dabei. Die Gesellschaft und mit ihr die Demokratie (oder was noch davon übriggeblieben ist) wird regelrecht zerbröselt – letztlich womöglich sogar zerstört. Und der Thatcherismus existiert unter verschiedenen Masken und unterschiedlichen manchmal auch grellbunten, auf den ersten Blick fröhlich scheinenden, Gewändern heute munter weiter.
Wenn doch aber von diesem Neoliberalismus nur so WENIGE profitieren, aber so VIELE verlieren – weshalb begehren die ins Hintertreffen gedrängten Menschen denn nicht dagegen auf? Ich schrieb es bereits: Die Adresse, wohin sie mit ihren „Mistforken“ ziehen könnten, haben sie nicht. Und sie haben Angst. Angst, die ihnen ständig gemacht, auch medial eingetrichtert wird. Angst – kein neues Mittel, wie Rainer Mausfeld („Warum schweigen die Lämmer? Wie Elitendemokratie und Neoliberalismus unsere Gesellschaft und unsere Lebensgrundlagen zerstören“; mehr auch hier, hier und hier) in seinem neuen Buch „Angst und Macht“ schreibt.
Rainer Mausfeld: Auf längere Sicht lässt „sich das neoliberale Projekt auf demokratischem Wege nicht ohne eine massive Manipulation des Bewusstseins durchsetzen“
Längerfristig, meint Rainer Mausfeld, „haben neoliberale Transformationsprozesse unmittelbar spürbare negative Folgen vor allem für diejenigen, die zum unteren Bereich der Einkommens- und Vermögensskala gehören; ihre längerfristigen Folgen betreffen uns alle, da diese Prozesse unsere Gesellschaft und unsere Lebensgrundlagen zerstören.“
Auf längere Sicht ließe „sich das neoliberale Projekt auf demokratischem Wege nicht ohne eine massive Manipulation des Bewusstseins durchsetzen.“
Die systematische Erzeugung gesellschaftlicher Ängste spielt eine ganz besondere Rolle
Mausfeld hält auf Seite 11 fest: „Eine systematische Erzeugung gesellschaftlicher Ängste spielt dabei eine ganz besondere Rolle. Aus machttechnischer Sicht haben Ängste den Vorteil, dass sie leicht zu erzeugen sind und sehr viel tiefergehende psychische Auswirkungen auf unser Handel und unser Nichthandeln haben als beispielsweise Meinungen.“ Angst ließe sich so „auch manipulativ zur Sicherung von Herrschaft nutzen.“
„Jedoch müssen auch die Herrschenden Angst haben, durch Aufstände und Revolutionen ihrer Untertanen ihre Macht zu verlieren“ (S.14), gibt Rainer Mausfeld zu bedenken. Setzt dem allerdings entgegen, was David Hume, der Philosoph der Aufklärung bereits 1741 festgestellt hat: „Nichts ist überraschender als die Leichtigkeit, mit der sich die Vielen von den Wenigen regieren lassen, … denn die GEWALT ist immer auf der Seite der Regierten.“
Mausfeld weiter: „Dieses ‚Wunder‘ bedürfe einer Erklärung – und Hume sah sie in einer geeigneten Manipulation der Meinungen. Für die Zwecke einer Machterhaltung ist freilich ein anderes Mittel, das sehr viel tiefere Wirkungen im psychischen Gefüge hat, unvergleichlich wirksamer: die Erzeugung von Angst“ (S. 14 unten).
Noam Chomsky: „Der Begriff kapitalistische Demokratie ist ein Widerspruch in sich
Mausfeld weist daraufhin (S. 15), dass gerade, „um eine radikale zivilisatorische Einhegung von Macht“ (…) ins Werk zu setzten, die Idee der Demokratie“ erwachsen sei.
Demokratie wurde aber dann bald schon als Risiko ausgemacht. Auf Seite 20 zitiert Mausfeld aus „Taking the Risk out of Democracy“ des Sozialpsychologen Alex Carey: „Das zwanzigste Jahrhundert war durch drei Entwicklungen von großer politischer Bedeutung gekennzeichnet: das Wachstum der Demokratie, das Wachstum der Unternehmensmacht und das Wachstum der Unternehmenspropaganda als Mittel zum Schutz der Unternehmensmacht vor der Demokratie.“
Nicht umsonst verweist Rainer Mausfeld auf Noam Chomsky: „Der Begriff kapitalistische Demokratie ist ein Widerspruch in sich. …. das ist eine Zwangsverbindung – beides passt nicht zusammen.“
Angsterzeugung in kapitalistischen Demokratien
Ab Seite 25 seines Buches beschreibt Mausfeld ausführlich „Traditionelle Wege der Angsterzeugung in kapitalistischen Demokratien“. Die da wären: „1. die Entformalisierung des Rechts durch systematische Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe“ (’nach pflichtgemäßem Ermessen’„Verwendung unbestimmte Rechtsbegriffe – wie beispielsweise ‚Befürwortung von Gewalt‘, ‚öffentliche Sicherheit‘, ‚Gefährder‘),
die Ideologie der Meritokratie (was wörtlich bedeute: „dass diejenigen zur Ausübung von Macht legitimiert sind, die sich durch Leistungen ein Verdienst erworben haben – also die Besitzenden und herrschenden – welcher Verdienst könnte größer sein? sowie
die Psychotechnik der propagandistischen Erzeugung von vorgeblichen Bedrohungen. (aktuell etwa der Aufbau eines russischen Feindbildes)
Auch der sogenannte „Kampf gegen den Terror“ (ab S. 57), schreibt Mausfeld, habe immer wieder dazu gedient, „das grundlegende Spannungsverhältnis zwischen Demokratie und Kapitalismus zu verdecken: „Seit jeher richtet sich dieser ‚Kampf gegen den Terror‘ innenpolitisch gegen jede Art fundamentaler Opposition und außenpolitisch gegen praktizierte Alternativen zum US-Kapitalismus.“
Dass eine „Systematische Erzeugung gesellschaftlicher Angst im Neoliberalismus“ statt hat, erfahren wir Leserinnen ab Seite 64. Übrigens findet Mausfeld, dass der Begriff „Neoliberalismus“ „weder eine kohärente ökonomische Theorie noch ein klar bestimmbares System von politischen Praktiken“ bezeichne. „Für eine Beschreibung und für ein theoretisches Verständnis tatsächlicher neoliberaler Transformationsprozesse ist es sinnvoller, vom ‚real existierenden Neoliberalismus‘ zu sprechen.“ (S. 65 oben). Der Autor erklärt: „Der real existierende Neoliberalismus ist ein äußerst wirkmächtiges Transformationsprojekt öknomischer Eliten, das seit mehreren Jahrzehnten global das Beziehungsgeflecht von Wirtschaft, Gesellschaft und Individuum grundlegend neu gestaltet.“
Angst werde, so Mausfeld, durch „systematische Erzeugung von Gefühlen der gesellschaftlichen Undurchschaubarkeit und Unbebeeinflussbarkeit“ (S.77) erzeugt. Und durch Prekarisierung. Man denke nur an die „3,38 Millionen Arbeitnehmer die trotz Vollzeitjob einen Verdienst von weniger als 2000 Euro brutto im Monat“ haben, welche Mausfeld auf Seite 79 ins Feld führt.
Allein „mehr als 13 Millionen Menschen müssen nach dem jüngsten Armutsbericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes zu den Armen gezählt werden (…)“
Man denke sich nur noch Angst der Menschen – erst recht die im Alter – hinzu, die fürchten ihre Wohnungsmiete nicht mehr bezahlen zu können.
Mausfeld: „Die neoliberale Ideologie führt dazu, dass die Verlierer des Neoliberalismus Scham über ihre eigene Situation empfinden“
Über „Die Traumatisierungsspirale für die Opfer neoliberaler Transformationsprozesse“ wird exakt ab Seite 88 referiert. Mausfeld: „Die neoliberale Ideologie führt dazu, dass die Verlierer des Neoliberalismus Scham über ihre eigene Situation empfinden. Dies erzeugt bei ihnen innerpsychische Spannungen, die ihren äußeren Ausdruck darin finden, dass die Betroffenen eine verstärkte Neigung aufweisen, sich mit den Erfolgreichen und Mächtigen zu identifizieren und sich zugleich zu Lasten derjenigen, die sozial noch niedriger stehen, psychisch zu stabilisieren.“
Rainer Mausfeld geht auf Wilhelm Heitmeyer ein, „der von ihm erfassten ‚rohen Bürgerlichkeit‘ den ‚Nährboden für eine elitäre Menschenfeindlichkeit‘ sieht. Mausfeld: „Diese Menschenfeindlichkeit wohnt freilich, wie das dem Neoliberalismus zugrunde liegende Menschenbild bereits erkennen lässt, dem Neoliberalismus wesenhaft und konstitutiv inne. (S. 95)“
„Der Neoliberalismus hat es vermocht, auf den dunklen Seiten des Menschen eine ganze Gesellschaft zu errichten“, stellt Rainer Mausfeld nüchtern fest
Im letzten Kapitel von „Angst und Macht“, das mit „Wie kann eine größtmögliche Freiheit von gesellschaftlicher Angst gewonnen werden“, stellt Rainer Mausfeld nüchtern urteilend fest: „Der Neoliberalismus hat es vermocht, auf den dunklen Seiten des Menschen eine ganze Gesellschaft zu errichten.“
Und er verweist zugleich, wenn wir auf Veränderung des schlimmen Zustandes unserer Gesellschaft aus sind, auf Noam Chomsky.
„Wenn wir uns aus den Fesseln systematisch erzeugter gesellschaftlicher Angst befreien und emanzipatorische Fortschritte in Richtung einer menschenwürdigeren Gesellschaft ermöglichen wollen, so müssen wir, wir Noam Chomsky nicht müde wird uns zu ermahnen, entschlossen an die Wurzeln der Machtverhältnisse gehen, die einem solchen Ziel im Wege stehen:
‚Solange die Wirtschaft unter privater Kontrolle steht, ist es egal, welche Formen das System annimmt, weil sich mit der Form nichts erreichen lässt. Selbst wenn es politische Parteien gäbe, an denen sich die Bürger engagiert beteiligen und Programme ausarbeiten, von denen sie überzeugt sind, hätte das bestenfalls marginalen Einfluss auf die Politik, weil die Macht anderswo verortet ist.’“
Ein kleines Pflänzchen Hoffnung
Dennoch pflanzt uns Rainer Mausfeld am Ende seines Buches doch ein kleines Pflänzchen Hoffnung:
„Ein wirksames zivilisatorisches Gegenmittel kann nur von unten kommen und muss von unserer Entschlossenheit und unserer unbeirrbaren Überzeugung geleitet sein, dass es keine Form gesellschaftlicher Macht geben darf, die nicht demokratisch legitimiert ist.
Ein Projekt, das die „mit dem Neoliberalismus zum Extrem getriebene soziale Fragmentierung und Atomisierung“ überwinde, müsse „auf der Grundlage eines egalitären Humanismus – also einer Anerkennung aller Menschen als Freie und Gleiche ungeachtet ihrer faktischen Differenzen – Solidarität und Gemeinschaftssinn als Fundamente gesellschaftlichen Handelns zurückzugewinnen.“
Das Einfache, das schwer zu machen ist.
Ein wichtiges Buch, das ich von Herzen empfehle!
Anbei gegeben: Ein Interview zu Mausfeld Buch, das Chefredakteur Pascal Luig für Weltnetz.TV mit dem Autoren geführt hat
Bei den weltweiten Kriegen der USA spielt die US-Air Base Ramstein eine Schlüsselrolle(dazu hier mehr). Die US-Air Base in Ramstein ist übrigens die größte der US-Army außerhalb der USA.
Die Air Base Ramstein ist die Einsatzzentrale für den weltweiten Drohnenkrieg. Von deutschem Boden aus wird der völkerrechtswidrige Drohnenkrieg koordiniert. Von dort werden die Drohnen ins Ziel gelenkt. Drohnen töten aus dem Hinterhalt, ohne Kriegserklärung und ohne Gerichtsurteil – auch Zivilpersonen wie Frauen und Kinder. Das ist ethisch verwerflich und untergräbt das Völkerrecht.
Von Ramstein aus werden nicht nur sämtliche Drohnen-Einsätze des Pentagons koordiniert, Ramstein ist auch die logistische Drehscheibe, für alle US-Kriegseinsätze in Middle East. Ohne Ramstein wären die völkerrechtswidrigen Angriffskriege der USA oder die permanente Menschenjagd via Killer-Drohnen nicht möglich. (KenFM-Video: Ken Jebsen spricht mit Pascal Luig über Stopp Airbase Ramstein 2019)
Stopp Air Base Ramstein 2019
Auch dieses Jahr findet wieder eine Aktionswoche gegen die US-Air Base statt.
„Die Aktivitäten der Stopp Air Base Ramstein Kampagne im Jahr 2019 sind etwas ganz Besonderes: Stopp Ramstein geht in das 5. Jahr der Proteste. Was klein anfing, ist mittlerweile ein fester Bestandteil der Friedensbewegung geworden. Stopp Ramstein, das sind die größten Proteste vor einer Militärbasis in Deutschland“, schreiben die Organisatoren.
Und weiter:
„Wir planen für Samstag, den 29.06.2019 wieder eine Demonstration, die um 13 Uhr am Haus des Bürgers in Ramstein-Miesenbach (Prometheus-
Platz) mit einer Auftaktkundgebung beginnt und dann durch die Stadt ziehen wird. Wir wollen diesmal noch näher an die Anwohner rund um die Militärbasis.
Enden wird der Demonstrationszug wieder vor der Air Base Ramstein. Um Euren langen Atem auch ein wenig zu feiern, werden wir den Demonstrationszug vor den Toren der Base bei einem kleinen Festival mit Reden, viel Musik und Informationsständen gegen 18:30 Uhr enden lassen. Dann ziehen wir gemeinsam ins Friedenscamp zur Abschlussparty.“ (WeltnetzTV-Video: Prof. em. Rainer Mausfeld ruft zur Teilnahme an Stopp Air Base Ramstein auf)
Rednerinnen und Redner Auftaktkundgebung:
Brigitte Freihold (DIE LINKE)
Otto Jäckel (IALANA)
Jochen Marwede (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Michael Müller (Vorsitzender NaturFreunde Deutschlands, ehemals MdB SPD und Staatssekretär beim Bundesminister für Umwelt)
Hannah Schumacher (Fridays for Future Aktivistin)
Musik:
Morgaine und Tjorben
Morgaine und Äon
Moderation:
Kristine Karch (Stopp Air Base Ramstein)
Gunda Weidmüller (Stopp Air Base Ramstein)
gegen 13:45 Uhr Aufzug durch Ramstein-Miesenbach zur Air Base Ramstein
gegen 14:45 Uhr Abschlusskundgebung mit Festival vor der Air Base Ramstein
Rednerinnen und Redner Abschlusskundgebung:
Julieta Daza
Andreas Hartenfels (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Marion Küpker (Büchel ist überall! atomwaffenfrei.jetzt)
Oskar Lafontaine (DIE LINKE)
Ann Wright, USA (CodePink)
Musik:
Mit dabei: Florian Kirner aka Prinz Chaos II. Foto: Stille
Bots mit Diether Dehm (WeltnetzTV-Video von der Aufstehen-Auftaktveranstaltung 2018 in Bochum)
Prinz Chaos II
Kilez More
Morgaine und Tjorben
Walter Naujok
Wedge
Bet Williams
Moderation:
Reiner Braun. Archivbild: C. Stille
Lisann Drews (IPPNW, Stopp Air Base Ramstein)
Reiner Braun (IPB, Stopp Air Base Ramstein)
gegen 18:30 Uhr gemeinsamer Aufzug ins Friedenscamp zur Abschlussparty „Wir feiern 5 Jahre Stopp Air Base Ramstein“!
Alle Informationen zu Stopp Air Base Ramstein 2019 finden Sie hier und hier.
Willy Brandts Wort hat nichts an Bedeutung verloren
„Frieden ist nicht alles, aber alles ist nichts ohne Frieden.“