Folter in Syrien unter US-Schirmherrschaft

Übernommener Beitrag von Friedhelm Klinkhammer und Volker Bräutigam

Wer erinnert sich eigentlich noch an die Zeit, bevor Baschar al Assad in den Augen westlicher Staaten und ihrer Handlanger in Konzern-Presse und Rundfunkanstalten vom modernen Reformer zum »Schlächter von Damaskus« mutierte? Es war diese Zeit, als die Vorzeige-Syrien-Expertin Kristin Helberg noch wohlwollend über die »vorbildlichen« Reformanstrengungen der syrischen Staatsführung und die Vorzeigeprojekte berichtete, die in Syrien gemeinsam mit europäischen Unternehmen auf den Weg gebracht wurden. Als die EU im Rahmen ihrer strategischen und expansiven europäischen Nachbarschaftspolitik (ENP) (A) Assoziationsabkommen mit Ländern des südlichen und östlichen Mittelmeerraumes verabredete, glichen sich die jeweiligen Ziele wie ein Ei dem anderen: Integration des jeweiligen Nachbarlandes in die europäische Wirtschaftszone, also in den europäischen Binnenmarkt, komplette neoliberale Öffnung, Freihandel, bei gleichzeitiger Nichtmitgliedschaft und damit Nichtmitsprache in der Europäischen Union.

Auch das säkulare Syrien unter Assad war ein heißer Kandidat für ein solches Assoziationsabkommen mit der EU, das 2004 schlussendlich unterschriftsreif war, jedoch nie unterzeichnet wurde. Syrien befand sich bereits in der Verhandlungsphase unter enormem Druck seitens der sich seit 9/11 verstärkt auf dem Kriegspfad befindlichen USA, die Syrien faktisch in die »Achse des Bösen« integriert und damit als mögliches weiteres Angriffsziel im »Krieg gegen den Terror« markiert hatten. Deshalb sah Assad in dem Assoziationsabkommen trotz radikal-neoliberaler Knebelparagrafen eine Möglichkeit, seine Beziehungen zum Westen zu verbessern. Die ursprüngliche »Achse des Bösen« wurde in einer Rede des damaligen US-Präsidenten George W. Bush im Januar 2002 definiert und umfasste den Irak, Nordkorea und den Iran. Anfang Mai 2002 erweiterte der damalige Staatssekretär im Außenministerium, John Bolton, besagte Achse um Libyen, Syrien und Kuba und drohte diesen Ländern ebenfalls mit militärischen Angriffen. (B) Die Europäische Union verweigerte schließlich die Ratifizierung des Abkommens, nachdem Syrien beschuldigt wurde, an der Ermordung des ehemaligen libanesischen Ministerpräsidenten Rafiq al-Hariri am 14. Februar 2005 beteiligt gewesen zu sein. (C)

Nichtsdestotrotz setzte Assad seinen wirtschaftsliberalen Kurs fort und produzierte neben den aus europäischer Sicht mit Wohlwollen registrierten verbesserten Investitionsbedingungen – durch Mittel wie Subventionsabbau, Abschaffung der Preisbindung auf Bedarfsgüter etc. – eben auch Verlierer in veritabler Anzahl innerhalb seines eigenen Volkes. Viele Initiatoren des Aufstandes waren Verlierer der westlich orientierten Reformpolitik Assads. (D) Trotz der Tatsache, dass sich Syrien auf einem – nach westlichen Maßstäben – »guten Weg« befand, schwenkte der Westen bald um auf einen tatkräftigen Anti-Assad-Kurs, in dessen Verlauf eine Militarisierung der Proteste einherging, während gleichzeitig eine Opposition unterstützt wurde, von der man sich »nach Assad« eine stringente Fortsetzung des neoliberalen, prowestlichen Kurses versprach.

Die sogenannten »Freunde Syriens«, zusammengesetzt aus etwa 70 Staaten, die sich für einen Regimewechsel in Syrien einsetzen, hatten sich als Ansprechpartner den vorwiegend aus Exilanten zusammengesetzten »Syrischen Nationalrat« (SNC) auserkoren. Die Leitfiguren des von den Muslimbrüdern dominierten SNC verfügten über hervorragende Kontakte zu US-Institutionen und entsprechenden Geldgebern.Bereits seit Januar 2012 bot die regierungsnahe deutsche »Stiftung Wissenschaft und Politik« (SWP) unter dem Namen »The day after: Supporting a democratic transition in Syria« zahlreichen Oppositionellen Raum und Mittel, um den Umsturz in Syrien sowohl logistisch und finanziell als auch mit Rat und Tat zu begleiten. Mit an Bord war das »US Institute for Peace«, ein Ableger des US-Außenministeriums. Alle Arbeiten gründeten auf der festen Überzeugung, dass Assad stürzen werde.

Die Tagesschau bemüht des Öfteren Vertreter der SWP (Markus Kaim, Volker Perthes, Guido Steinberg u. a.) vor die Kamera, um dem Publikum die »aktuelle Lage in Syrien« aus »Expertensicht« einzuordnen. Aus Sicht des »Experten« Markus Kaim dürfe sich ein Desaster, wie die deutsche Nicht-Beteiligung am Libyen-Krieg unter keinen Umständen in Syrien wiederholen. (E)

Die öffentlich kolportierte Befürwortung eines völkerrechtswidrigen Angriffskriegs (unzutreffend als Bürgerkrieg verbrämt) durch Regierungspersonal, erreicht dank Tagesschau & Co. ein Millionenpublikum, wogegen die wesentlich brisantere, gegenläufige Einschätzung des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestags kurzerhand unterschlagen und dem Publikum vorenthalten wird. So funktioniert Meinungsbildung aus dem Flaggschiff der deutschen Nachrichtengebung.

Volker Bräutigam und Friedhelm Klinkhammer haben daher ihre Beschwerdepause kurzerhand unterbrochen und eine formale Programmbeschwerde an den NRD-Rundfunkrat gerichtet, welche das neuerliche Syrien-Framing der Tagesthemen, nebst moderativer Sprachverwirrung, auf’s Korn nimmt.

An: Rundfunkrat des NDR
Rothenbaumchaussee 131
20149 Hamburg
Per E-Mail gremienbuero@ndr.de
Von: Friedhelm Klinkhammer und Volker Bräutigam

Folter in Syrien unter US-Schirmherrschaft
Komplizen und Mitwisser auch in Deutschland / „regime-change“-Informationen der ARD-aktuell
Programmbeschwerde / Tagesthemen 13.01.2022

Sehr geehrte Damen und Herren Rundfunkräte,

die Anmoderation des Aufmachers der „Tagesthemen“-Sendung enthält mehrere grobe Verstöße gegen Programmauftrag und Programmgrundsätze des NDR-Staatsvertrags sowie des allgemeinen Medienstaatsvertrags. Sie wirft grundsätzliche Fragen auf.

Caren Miosga-Wortlaut (Hervorhebungen d. Verf.):

„… Heute erging in Deutschland ein Urteil, das diese Welt ein wenig gerechter macht. Diktatoren [sic!] wie Syriens Machthaber [sic!] Assad sind immer noch an der Macht. Ihre Verbrechen können dennoch gesühnt werden. Die Fotos dieser Verschollenen erinnern daran. Im syrischen Bürgerkrieg [sic!] sollen fast 15000 Menschen zu Tode gefoltert worden sein,100000 gelten als vermisst. Das Weltrechtsprinzip macht es möglich. Egal, wo auf der Welt Verbrechen gegen die Menschlichkeit [sic!] begangen werden: Sie können aufgeklärt und die Täter vor [sic!] einem Gericht bestraft werden. Das ist jetzt in Deutschland zum ersten Mal geschehen.“

Auch für die Anmoderation einer Nachricht gelten die „anerkannten journalistischen Grundsätze“ (§ 8, Abs. [2], NDR-Staatsvertrag): Verpflichtend sind bekanntlich Sachlichkeit, weltanschauliche Unabhängigkeit usw. usf. Nachrichten und Anmoderation sollen beim Einordnen der Informationen helfen und dazu beitragen, dass der Zuschauer sich ein fundiertes eigenständiges Urteil bilden kann. Versuche, ihn zur Unterstützung der „regime change“-Politik des West-Imperiums zu agitieren, sind hingegen in den Staatsverträgen nicht vorgesehen.

Foltern im Auftrag des Westens

Zwingend hätte daher in diesen Moderationstext die Grundinformation gehört, dass Syriens Baschir al Assad bis zum Beginn des US-gesteuerten und -finanzierten Umsturzversuchs (1) terroristischer Insurgenten und angeheuerter ausländischer Söldner im Jahr 2011 – fälschlich: „Bürgerkrieg“ (2) – ein Liebling des Westens war.  Er wurde als Reformer belobigt (3), weil er die Ein-Parteien-Diktatur seines Vaters Hafiz al Assad beendete, demokratische Parlamentswahlen herbeiführte und sein Land dem westlichen Einfluss öffnete.

Bis zu jenem Zeitpunkt wurde Baschir al Assad auch deshalb geschätzt, weil er gut bezahlte Aufträge der US-Geheimdienste (vorwiegend CIA, aber auch NSA und DIA) annahm und deren Gefangene in seinen Kerkern foltern ließ. (4)

Zum Verständnis des Zuschauers hätten Tagesschau und Tagesthemen darüber informieren müssen, dass die USA quasi die Schirmherrschaft über Assads Folterpraxis hatten und ihren Vorteil daraus zogen. Es wäre hilfreich gewesen – Namen sind Nachrichten! – ausdrücklich zu erwähnen, dass sich kriminelle Sadisten wie der vormalige US-Vizepräsident „Dick“ Cheney und der inzwischen gestorbene US-Kriegsminister Donald Rumsfeld (mit Billigung ihres Präsidenten George W. Bush [5]) höchstselbst der Mitwirkung Assads beim Totquälen ihrer Opfer versicherten. Sie wagten nicht, sich innerhalb der USA auszutoben und hatten deshalb ein weitgespanntes Netz für geheime Gefangenen-Transportflüge – „extraordinary rendition“ – eingerichtet. (6)

Deutsche Komplizen

Zur Vollständigkeit der Moderation/Nachricht hätten Einlassungen darüber gehört, dass der deutsche Bundesnachrichtendienst, BND, seinerzeit Beamte nach Damaskus entsandte, die an den Folterungen passiv beteiligt waren und über ihre Erfahrungen nach Deutschland berichteten. (7) Wahrscheinliche Mitwisser waren auch Beamte des Verfassungsschutzes, BfV, sowie des Bundeskriminalamtes, BKA. (ebd.)

Vor diesem Hintergrund rechtfertigt es sich nicht, Deutschland als Avantgarde einer weltumspannenden justiziellen Redlichkeit herauszustreichen (Miosga: „Weltrecht … heute in Deutschland erstmals …“). Nicht mal indirekt. Unvertretbar ist das schon deshalb, weil der seinerzeitige Innenminister Wolfgang Schäuble, CDU, sich ausdrücklich dazu bekannte, aus Folter gewonnene „Erkenntnisse“ im Rahmen seiner ministeriellen Befugnisse auszuwerten. (8, 9)

Der deutsche „Verfassungsminister“ setzte sich damit ideell über unser Grundgesetz und über die Ächtung der Folter seitens der Vereinten Nationen hinweg. Weder erinnerte ihn Kanzlerin Merkel an deutsche Staatsräson, noch erwies sich die Tagesschau seinerzeit als öffentliche Kontroll- und Protestinstanz.

Auf weitere Hindernisse für deutsche Selbstgerechtigkeit, zum Beispiel die schäbige Rolle des vormaligen Kanzleramtsministers und heutigen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier (Affären: Kurnaz! Zammar! el Masri!) sowie auf deutsche Gleichgültigkeit gegenüber der US-Foltertradition (KZ Guantanamo, zahlreiche „Black Sites“, u. a. in Deutschland, Polen, Italien, Rumänien, Afghanistan) soll hier gar nicht erst im Detail eingegangen werden.

Man mag zu Herrn Baschir al Assad stehen wie man will; man mag seine Wiederwahl unter Kriegs- und sonstigen einschränkenden Bedingungen (10) für undemokratisch und gefingert halten und seine Amtsführung für kriminell: Er ist gegenwärtig der Einzige, der seinem Land ein multireligiöses und multiethnisches Zusammenleben dank laizistischer Regierungspraxis ermöglicht und das auch beibehalten will – im Unterschied zu dem islamistischen Terroristen-Geschmeiß, das ihn unter Oberhoheit der USA und ihrer Vasallen ersetzen soll.

Im Umsturzfalle würde dieses Pack ein neuerliches Blutbad unter den Minderheiten in Syrien anrichten und das Land in einen islamistischen Gottesstaat verwandeln –der Allgemeinen Menschenrechts-Charta zum Hohn. Aus eben diesem Grund „stehen noch viele Syrer hinter Assad“ (11). Auch seine Rehabilitation in der arabischen Welt hat längst begonnen. (12, 13) Ohne ihn ist eine friedliche Lösung in und für Syrien auf absehbare Zeit nicht denkbar. (14)

Moderierte Desinformation

Das alles hätte eine gute, einordnende Anmoderation berücksichtigt – und Entsprechendes hätten eine Barbara Dickmann oder ein Hanns-Joachim Friedrichs geboten, und zwar in astreinem Deutsch. Frau Miosga beschränkt sich hingegen grundsätzlich auf die Vorwegnahme (in anderen Worten) dessen, was in der anschließenden Filmreportage nochmal kommt.

Laut Staatsvertrag sollen die Nachrichtensendungen der ARD-aktuell „zur Völkerverständigung beitragen“. Den Auftrag verfehlen Tagesschau und Tagesthemen gründlich, weil sie die transatlantische Hetzpropaganda assoziierend in ihre Moderationstexte, Reportagen, Nachrichten und Kommentare übernehmen. TS und TT liefern besonders üble Tendenzberichterstattung, wenn Informationen über Syrien und damit in Zusammenhang Stehendes gegeben werden sollen. (Nachrichten über die massenmörderische Wirkung der völkerrechtswidrigen deutschen (EU-)Sanktionen sowie die Finanzierung von Weißhelm- und anderen Terroristen in Syrien verschweigt ADR-aktuell grundsätzlich).

Qualitätsjournalismus

Dass Frau Miosga eine Meisterin der kruden Vergleiche, verhunzten Sprachbilder und verkorksten Sätze ist, soll hier nur der Vollständigkeit halber noch angemerkt werden. Dergleichen Qualität ist eben ein Nachweis dafür, dass das Peter-Prinzip auch in der redaktionellen Hierarchie der ARD-aktuell gilt.

Man hat der Moderatorin wohl beigebracht, kurze Sätze zu formulieren zwecks besserer Verständlichkeit. Das kriegt sie auch hin, und wie! Ihr zufolge werden „die Täter vor Gericht bestraft“. Das ist neu. Bisher wurden Täter hierzulande nur vor Gericht gestellt und von selbigem zu einer Strafe verurteilt. Bestraft wurden sie erst in einem nachfolgenden Akt, in den extra dafür vorgesehenen Vollzugsanstalten. Sprachliche Genauigkeit setzt gedankliche Genauigkeit voraus, und bekanntlich gibt nur ein Schelm mehr, als er hat.

Dass Frau Miosga die Formel „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ verwendet, rundet den Gesamteindruck von ihren knapp neun Zeilen Kappes ab. Zum wiederholten Mal sei daran erinnert: Das gemeinte Verbrechen wurde erstmals (nach der Befreiung Deutschlands von der NS-Diktatur und unmittelbar vor Beginn der Nürnberger Prozesse) im Jahr 1946 zu einem gesonderten, eigenständigen Straftatbestand gemacht: in englischer/amerikanischer Sprache als „crime against humanity“, auf Französisch „crimes contre l’humanité“ und auf Russisch „Преступления против человечества“. Das rechtfertigt es aber nicht, diese Nomenklatur der Weltkrieg-II-Alliierten wörtlich und in deshalb versautes Deutsch zu übersetzen – und dessen langjähriger Gebrauch wiederum rechtfertigt nicht, bei der sinnwidrigen Gewohnheit zu bleiben.

In unserer Sprache, nach unserem Verständnis werden Verbrechen eben nicht „gegen“ jemanden (bzw. „gegen“ etwas) begangen bzw. verübt, sondern „an“ jemandem. Für die mehrdeutigen fremdsprachigen „humanity“, „l’humanité“ und „Человечество“ stehen im Deutschen zwei Wörter mit sehr unterschiedlicher Bedeutung: „Menschheit“ (real) und „Menschlichkeit“ (ideell). Weil man gemäß deutschem Denken ein Verbrechen an Menschen verüben kann, nicht aber gegen ein Ideal, muss es im hier besprochenen Fall selbstverständlich „Verbrechen an der Menschheit“ heißen.
Moderatorinnen und Moderatoren, die ihren Kopf außer zur Haarpflege auch zum Denken verwenden, wissen das alles selbstverständlich.

Der NDR-Rundfunkrat ist dazu da, die Erfüllung des Programmauftrags und die Beachtung der Programmgrundsätze sowie der Programmrichtlinien zu überwachen und gegebenenfalls durchzusetzen. Er sollte die sich häufenden audiovisuellen Angriffe der ARD-aktuell auf die intellektuelle Integrität ihres Publikums endlich stoppen und ihre als Nachrichtensendung getarnte Kränkung des gesunden Menschenverstands unterbinden. Die ARD-aktuell-„Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ sind Weiße Folter (15). Auch die ist aber in Deutschland verboten.

Höflich grüßen
Friedhelm Klinkhammer, Volker Bräutigam

Quellen und Anmerkungen:

(A) https://www.bmeia.gv.at/europa-aussenpolitik/europapolitik/eu-aussenpolitik/europaeische-nachbarschaftspolitik-enp/
(B) https://www.imi-online.de/download/IMI-Studie2012-12_web.pdf
(C) Vgl. Verwirrung um Assoziierungsabkommen mit Syrien, euractiv,14.10.2009.
(D) https://syriensgeschichteundgegenwart.com/2015/08/03/baschar-al-assad-vom-freundlichen-augenarzt-zum-schlaechter-von-damaskus-in-nur-zwei-monaten/
(E) Kaim, Markus: Interventionsoptionen. Käme es zu einer Militärintervention, stünde Deutschland in der Pflicht, in: Internationale Politik, Mai/Juni 2012, S. 72-76.

(1) https://www.democracynow.org/2007/3/2/gen_wesley_clark_weighs_presidential_bid
(2) http://www.balqis.de/de/8gruende.html
(3) https://www.washingtonpost.com/blogs/fact-checker/post/hillary-clintons-uncredible-statement-on-syria/2011/04/01/AFWPEYaC_blog.html
(4) https://www.amnesty.ch/de/ueber-amnesty/publikationen/magazin-amnesty/2008-4/usa-lassen-in-syrien-foltern
(5) https://www.deutschlandfunk.de/george-w-bush-blick-zurueck-am-70-geburtstag-100.html
(6) https://www.anstageslicht.de/fileadmin/_processed_/csm_el_masri_netz500px_02_bc42a25416.jpg
(7) https://www.ecchr.eu/fileadmin/Publikationen/Folter_und_die_Verwertung.pdf
(8) https://www.heise.de/tp/features/Alles-in-Ordnung-3404094.html
(9) https://www.wallstreet-online.de/diskussion/500-beitraege/1027026-1-500/schaeuble-will-informationen-nutzen-auch-wenn-sie-durch-folter-erpresst-wurden
(10) https://www.zdf.de/nachrichten/politik/syrien-assad-wahl-102.html
(11) https://www.freiewelt.net/nachricht/viele-syrer-stehen-nach-wie-vor-hinter-assad-10070664/
(12) https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/krieg-in-syrien-versoehnen-sich-die-araber-mit-al-assad-17326992.html
(13) https://www.cashkurs.com/gesellschaft-und-politik/beitrag/syrien-assads-rehabilitation-in-der-arabischen-welt
(14) https://www.deutschlandfunk.de/parlamentswahl-in-syrien-nur-scheinbar-alternativen-zu-assad-100.html
(15) https://de-academic.com/dic.nsf/dewiki/1496908

Das Autoren-Team:
Friedhelm Klinkhammer, Jahrgang 1944, Jurist. 1975 bis 2008 Mitarbeiter des NDR, zeitweise Vorsitzender des NDR-Gesamtpersonalrats und des ver.di-Betriebsverbandes sowie Referent einer Funkhausdirektorin.
Volker Bräutigam, Jahrgang 1941, Redakteur. 1975 bis 1996 Mitarbeiter des NDR, zunächst in der Tagesschau, von 1992 an in der Kulturredaktion für N3. Danach Lehrauftrag an der Fu-Jen-Universität in Taipeh.

Friedhelm Klinkhammer (li.) und Volker Bräutigam (re.) währender der Medienkonferenz der IALANA in Kassel. Foto: Claus Stille

Anmerkung der Autoren:
Unsere Beiträge stehen zur freien Verfügung, nichtkommerzielle Zwecke der Veröffentlichung vorausgesetzt. Wir schreiben nicht für Honorar, sondern gegen die „mediale Massenverblödung“ (in memoriam Peter Scholl-Latour). Die Texte werden vom Verein „Ständige Publikumskonferenz öffentlich-rechtlicher Medien e.V.“ dokumentiert: https://publikumskonferenz.de/blog

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Jean Feyder: „Leistet Widerstand! Eine andere Welt ist möglich“ – Rezension

Krisen wohin das Auge blickt. Kriege – ja sogar ein neuer Kalter Krieg wurde vom Westen (gegen Russland) losgetreten – bringen Zerstörung. Der Klimawandel wird immer deutlicher spürbar. Die Ausbeutung der Schwachen dieser Erde setzt sich fort. „Moderne“ Sklaverei ist nur ein Gesicht davon.

Ungerechtigkeiten rufen Reaktionen hervor

Andererseits erkennen auch immer mehr Menschen die strukturellen Ungleichheiten der Weltwirtschaft als Geißel vieler Menschen und tun sich zusammen, um dagegen etwas zu unternehmen. Sie organisieren sich „in Nichtregierungsorganisationen (NGOs), Bürgerinitiativen, Plattformen, Organisationen, Syndikaten, Dorf- und Stadtgemeinschaften“, schreibt Jean Feyder in der Einleitung zu seinem Buch „Leistet Widerstand! Eine andere Welt ist möglich“. Es ist kein Zufall, dass er das gleichlautende Leitmotiv von Attac auf den Buchtitel gehoben hat. Dass der erste Teil des Titels an das erfolgreiche Pamphlet „Empört euch!“ (dazu mehr hier) des unvergessenen Stepháne Hessel denken lässt, ebenso nicht. Feyder erinnert im Buch an dessen großartige Leistung. Feyder über Hessel: „Er ermutigte seine Leser, Widerstand zu leisten und ihrer Wut Ausdruck zu verleihen, angesichts der Krisen und der Ungerechtigkeiten in der Welt.“

Das Vertrauen in die Demokratie nimmt ab

Jean Feyder hält uns bereits in seiner Einleitung mahnend vor Augen, dass all diese Ungerechtigkeiten nicht nur weit von uns Weg in der sogenannten Dritten Welt zu verorten sind, sondern auch hier in Europa, dass seiner Meinung nach „in einer tiefen, existentiellen Krise steckt“. Immer mehr verlören BürgerInnen „jedes Vertrauen in die Demokratie und in Europa (…)“ Sie wählten immer öfters nationalistische und rechtsextrem Kräfte. Ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen wird Feyder (S. 17) überdeutlich: „Für diese Krise hat Deutschland eine besondere Verantwortung zu übernehmen. Die Hartz-IV-Reformen verstießen gegen die im Euroraum vereinbarte Disziplin im Inflationsbereich und bewirkten ein Sozialdumping, das deutsche Unternehmen Wettbewerbsvorteile gegenüber den Konkurrenten der anderen Länder der Eurozone sicherte.“

Die sanfte Gewalt der Vernunft

Im Vorwort zu Feyders Buch hebt Jean Ziegler auf eine Aussage Bertolt Brechts ab:

„Ja ich glaube an die sanfte Gewalt der Vernunft über die Menschen. Sie können ihr auf die Dauer nicht widerstehen. Kein Mensch kann lange zusehen, wie ich einen Stein fallen lasse und dazu sage: er fällt nicht. Dazu ist kein Mensch imstande. Die Verführung, die von einem Beweis ausgeht, ist zu groß. Ihr erliegen die meisten, auf die Dauer alle …“

Jean Ziegler im Vorwort: Jean Feyder ist „ein außergewöhnlich talentierter Diplomat, ein brillanter Autor und ein starrköpfiger Realist“

Im Bezug auf Jean Feyder glaubt Ziegler, dass dieser nicht nur „ein außergewöhnlich talentierter Diplomat, ein brillanter Autor und ein starrköpfiger Realist“, sondern auch jemand ist, „der an die sanfte Gewalt der Vernunft“ glaubt, „um diese kanibalistische Weltordnung zu stürzen“. Ziegler schließt sein Vorwort ebenfalls mit Brecht: „So viel ist gewonnen, wenn nur einer aufsteht und Nein sagt!“ So einer ist Feyder offensichtlich. Das wird in seinem wichtigen Buch vielfach deutlich.

Sagen, was ist: Ungleichheiten, Ungerechtigkeiten und Negativentwicklungen im ersten Teil des Buches

Im ersten Teil seines Buches führt Jean Feyder die Ursachen für Ungleichheiten, Ungerechtigkeiten und Negativentwicklungen auf und beschreibt die Auswirkungen auf die Gesellschaft. Wir erfahren, dass die Dritte Welt auch nach Entlassung zahlreicher Länder in die Unabhängigkeit weiter einer fortgesetzten Abhängigkeit und seitens ihrer ehemaliger Kolonialherren ausgesetzt geblieben sei und ist. Indem eine neokoloniale Politik betrieben wurde und werde, die die Drittweltstaaten in Teilen gar erpresserisch – etwa vermittels sogenannter Wirtschaftlicher Partnerschaftsabkommen (WPA) – übervorteile. Und letztlich die Neoliberalisierung die Ausbeutung der Dritten Welt noch einmal forciert worden sei, Europa aber die damit verbundenen Fluchtursachen nicht nur übersehe, sondern gar verschlimmere.

Vernichtender „Freihandel“, die Auswirkungen von „Strukturreformen“ und die europäische Doppelzüngigkeit

Feyder klärt darüber auf „Wie vernichtend Freihandel sein kann“ (S. 37). Von alldem haben wir schon einmal irgendwo anders gehört oder gelesen. Etwa von den „EU-Milchpulverexporten zu Lasten armer lokaler Bauern“ (s. 38 unten) in der Dritten Welt, das neben den „berühmten“ Hähnchenfuß-Exporten und der Lieferung anderer Abfallprodukte aus Europa nach Afrika (von der EU hoch subventioniert!) nur ein Beispiel von vielen anderen ist, wie ungerecht es zugeht. In Bezug auf den „Krisenherd Mali: Zwischen Terrorbekämpfung und europäischer Doppelzüngigkeit“ (S. 45) weist der Autor auch auf den Auswirkungen von „Armut und Kriminalität“ (S. 47) hin. Nicht zuletzt, lesen wir, führten Strukturreformen auf Empfehlung des Internationalen Währungsfonds (IWF) in den betroffenen Ländern zum Niedergang, Denn meist werde ihnen „empfohlen“ die Staatsausgaben zu senken (mehr zum Thema hier von mir), wovon die Ärmsten am härtesten betroffen sind.

Durchaus sinnvolle Vorschläge zur Beendigung des Hungers. Die Umsetzung ist unbefriedigend

Jean Feyder lässt nicht unerwähnt, dass des durchaus sinnvolle Vorschläge zur Beendigung des Hungers (S. 52) und zur Beseitigung von Armut gibt, aber es zumeist an unsicherer Finanzierung scheitere. Das macht der Autor schon allein daran klar, dass sich die reichen Länder bereits seit Jahrzehnten verpflichtet hätten ihre Entwicklungshilfe auf 0,7 Prozent ihres Bruttosozialeinkommens zu erhöhen, jedoch mit Schweden, Norwegen, Dänemark, Luxemburg und das Vereinigte Königreich immer nur fünf Staaten dieses Ziel erreichten.. Beschämend sei, „dass Staaten wie Deutschland oder Frankreich immer nur etwa 0,4 Prozent“ aufbrächten.

Land Grabbing, Aushöhlung von Demokratie und Rechtsstaat und Verflechtungen zwischen Industrie und Politik

Etwa am Beispiel Äthiopien beschreibt Feyder die schlimmen Folgen von auch andernorts (unterdessen sogar bei uns z.B. in Brandenburg) um sich greifendem Land Grabbing (S. 67). Des Weiteren nimmt er ab Seite 67 in „Aushöhlung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit“ das „fragwürdige CETA-Abkommen in den Fokus (hier mehr auf meinem Blog). Er kritisiert das unsägliche Diktat der EU gegenüber Griechenland ob seiner gravierenden Folgen für die griechische Bevölkerung (S. 90), thematisiert den „Luxleaks-Skandal und den Prozess gegen die Whistleblower“ Antoine Deltour und Raphael Halet, mahnt dringend einen Schutz von Whistleblowern an (S. 92). Auch er prangert den Umgang mit Glyphosat und die Interessenverflechtungen von Konzernen und Politik in diesem Zusammenhang an.

Geschichte, die negativ nachwirkt. Die Fehler von Gestern und die Konflikte von heute

Wie ich finde, ein wichtiges und empfehlenswertes Kapitel ist das dritte im Buch. „Krieg, Unterdrückung und Terror“ und das Unterkapitel „Kurzer Geschichtsrückblick: Der Verrat an den Arabern“ (ab Seite 124)

Nicht zuletzt im Hinblick auf den Syrien-Konflikt ist es m.E. unerlässlich diesem Kapitel eine hohe Aufmerksamkeit zu schenken. Es beginnt mit der Erinnerung an die schändliche Aufwiegelung der Araber durch Lawrence von Arabien, setzt sich fort dem Hinweis auf das nicht weniger schändliche Abkommen, das der britische Diplomat Mark Sykes und der französische Generalkonsul in Beirut, Francois Georges-Picot, ausgehandelt hatten, „die sogenannten Sykes-Picot-Verträge“ (1916).

Der geheime Inhalt wurde 1917durch die sowjetische Tageszeitung „Pravda“ veröffentlicht. Diese Verträge hätten bei den Arabern „ein Gefühl der Ohnmacht und der Wut“ darüber ausgelöst, „immer wieder zum Spielball fremder Interessen zu werden“. Was sich bis heute hinzieht, wie wir sehen. Auch die Kurden, denen damals ursprünglich ein eigener Staat versprochen worden war, wurden hinters Licht geführt und somit schwer und nachhaltig enttäuscht.

Schließlich kommt Feyder noch zur Balfour-Deklaration, worin sich die britische Regierung seinerzeit verpflichtetete dem jüdischen Volk in Palästina eine nationale Heimstätte zu ermöglichen. Die heute weiter schwelenden bzw. neu in Szene gesetzten Konflikte speisen sich aus den damaligen schweren Fehlern westlicher Staaten. Die späteren „Strategiefehler des Westens“ und die Kriege in Afghanistan, im Irak und Libyen, so Jean Feyder auf Seite 127, haben nicht unwesentlich zur Entstehung des sogenannten Islamischen Staates geführt.

Dem Chaos in Libyen und dem israelisch-palästinensischen Konflikt (S. 130) widmet der Autor große Aufmerksamkeit. Feyder bedient sich keiner Doppelmoral, wie der Westen, indem er unumwunden benennt was ist:

„Seit 40 Jahren verletzt Israel ungehindert das internationale Recht, indem es ständig neue Siedlungen baut, den Palästinensern somit immer mehr den Zugang zu Land und zu Wasser nimmt und ihnen eine unerbittliche und erniedrigende Besatzung aufdrängt.“

Europa und Amerika verurteilten zwar was dort geschehe – jedoch ohne dem Konsequenzen folgen zu lassen. Im Gegensatz dazu seien gegen Russland „sofort wirtschaftliche Sanktionen wegen der Verletzungen des internationalen Rechtes auf der Krim und der Ostukraine“ verhängt worden. So viel zur Doppelmoral des Westens.

Ohne Wenn und Aber ist auch für Feyder „Die Nakba, ein Verbrechen gegen die Menschheit“ (S. 139). Und mit dem Verweis auf Ilan Pappe und desssen Buch „Die ethnische Säuberung Palästinas“, worin er aufzeigte, „wie unter der Führung Ben-Gurions am 10. März 1948 der ‚Plan D‘ fertig gestellt wurde“ eine „systematische Vertreibung der Palästinenser aus weiten Gebieten des Landes“ vorbereitet wurde.

Feyder selbst hat Palästina 2014 besucht und zeigt sich im Buch „erschüttert über den rasanten Ausbau der Siedlungen“ im Westjordanland und der flagranten und tagtäglichen Verletzung des Völkerrechts durch Israel.

Islam und Islamismus

Ebenso erhellend befasst sich der Autor mit der Entstehung des Islamismus in Europa (S. 132), mit den Gegensätzen im Koran (S. 136) und dem Thema „Islamisierung oder Säkularisierung“. Wobei mich etwas befremdete, dass Feyder ausgerechnet die niederländisch-US-amerikanische Politikerin Ayaan Hirsi Ali als Beispiele heranzieht, die für eine „weitgreifende muslimische Reformation“ eintrete, weil sie hinter islamistischen Gewaltakten eine Ideologie sehe, die im Islam selbst verwurzelt sei, wie sie in ihrem Buch „Reformiert euch!“ behauptet, aus welchem Feyder zitiert.

Noch fragwürdiger ist m.E. der Verweis Feyders auf den deutsch-ägyptischen Politikwissenschaftler und Publizisten Hamed Abdel-Samad und dessen Buch „Der islamische Faschismus“, wonach „das Phänomen des Islamismus nicht vom Islam getrennt werden“ könne. Das Konzept des Dschihadismus ginge, so Samad, gar auf den Propheten Mohammed zurück (S. 137).

So, meine ich, kann ja nur einer schreiben, der den Koran und den Islam nicht aus dem Kontext seines Entstehens heraus betrachtet. Gewiss ist Kritik am Islam bzw. dessen Instrumentalisierung durch die Politik vonnöten und auch die von einigen Kritikern geforderte Trennung von Staat und Religion wünschenswert. Nur ob eine wie auch immer geartete Reformation des Islam durch Figuren wie Samad oder Ali bewirkt werden kann – die mit ihren Äußerungen mehr spalten als versöhnen – darf wohl getrost bezweifelt werden

Jean Feyder ist ein kenntnisreicher Autor

Jean Feyder hat als internationale anerkannter Experte für Entwicklungsfragen und langjähriger Vertreter Luxemburgs bei den Vereinten Nationen in Genf viele Reisen in verschiedene Regionen der Welt unternehmen dürfen und dabei jede Menge Kenntnis über Probleme, Nöte dort aber auch hoffnungsvoll stimmende Entwicklungen erhalten.

Zweiter Teil des Buches: „Eine andere Welt ist möglich“

Im zweiten Teil des Buches, ab Kapitel 4 „Eine andere Welt ist möglich“ (S. 168), schreibt Jean Feyder über positive Beispiele in diesem Sinne. Etwa über die „Ernährungssouveränität im Baskenland und im Piemont“ und die interessante, vielversprechende Projekte „Agroökologie: Sinn und Entfaltung eines vieldimensionalen Konzeptes“ (S. 175) in Frankreich, Afrika und den Philippinen.

Und wohltuend differenziert, unaufgeregt und sachlich berichtet Feyder ab Seite 186 über „Kuba und das Erbe Fidel Castros“. Und die Erfolge des Landes auf dem Gebiet der Bildung und hervorragenden Gesundheitswesens. Nicht unerwähnt bleiben die terroristischen Tätigkeiten der USA gegen Kuba, viele Tote und „bedeutende Wirtschaftsschäden angerichtet haben“ und die Embargopolitik der USA gegen das Land, ohne die die Politik Havannas nicht verstanden werden kann. Jean Feyder (S. 194):

„Die Geschichte hat gezeigt, dass Unabhängigkeit vom amerikanischen Goliath tatsächlich möglich ist. Der kubanische David leistete langen und schweren Widerstand gegen die Einflussnahme und konnte sich selbst nach dem Verschwinden der Schutzmacht Sowjetunion behaupten.“

Im Unterkapitel – Duterte: Hoffnungsträger für die Armen?“ (S. 207) scheint Präsident Rodrigo Dutertes politisches Tun ambivalent auf. Zum einen fielen seinem Kampf gegen Kriminalität und Drogen tausende Menschen zum Opfer. Andererseits habe dieser, schreibt Feyder, „Maßnahmen gegen die Diskriminierung einheimischer Völker, Homosexueller, von Muslimen und Behinderten“ getroffen. Feyder: „Duterte scheint es ernst zu meinen mit seiner sozialen Agenda.“

Das Engagement von Papst Franziskus, der bestehende Weltordnung in Frage stellt, für eine andere Welt, die auch er für möglich hält, begrüßt Jean Feyder ausdrücklich.

Ebenso würdigt Feyder den „Einsatz für eine strukturelle Bekämpfung der Armut“ (ab S. 25) seitens des einstigen Präsidenten Venezuelas, Hugo Chávez.

Krisenzeiten als Chance

In seinen „Schlussfolgerungen“ (ab S. 237) verweist Jean Feyder auf Artikel 1 der Menschenrechtserklärung:

„Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geister der Brüderlichkeit begegnen.“

Weiterhin benennt der Autor die Artikel 2, 3 und 25 als wichtig (hier nachzulesen).

Feyder zeigt sich darin sicher: „Europa muss endlich dem Neoliberalismus im Finanz- und Handelsbereich eine klare Absage erteilen.“ Ich frage: Warum nur dort? Gehört nicht der Neoliberalismus als Ideologie in Gänze in die Tonne?!

Und weiter schreibt Jean Feyder:

„Der Staat hat prioritär die Interessen der Gesellschaft durchzusetzen, nicht die der Konzerne.“

Der Autor erwähnt die von Christian Felber (Attac-Mitbegründer in Österreich) entwickelte Gemeinwohl-Ökonomie positiv, die in vielen Ländern immer mehr Beachtung fände.

Und, schreibt Feyder:

„Der partizipativen Demokratie wird zu neuem Leben verholfen entsprechend Artikel 21 der Menschenrechtserklärung, nach dem ‚der Wille des Volkes die Grundlage für die Autorität der öffentlichen Gewalt bildet.“

Um auf die Krisen zurückzukommen, zeigt sich Jean Feyder, sein vielfältig informatives Buch abschließend, optimistisch:

„Krisenzeiten bieten Gelegenheit, die bestehende kapitalistische Weltordnung, Individualismus und Konsumismus mehr denn je in Frage zu stellen. Zugleich vergrößert sich von Tag zu Tag die Zahl und Vielfalt von alternativen Gesellschaftsmodellen und -praktiken. Noch nie haben sich so viele Menschen für eine andere Welt engagiert. Einsatz für Demokratie und Menschenrechte, gegen ungerechte Gesellschaftsstrukturen, Empathie, Solidarität mit den Mitmenschen in Nord und Süd und mit den Unterdrückten zählen zu den höchsten Werten in unserer Gesellschaft und sind eine Bereicherung für jeden, der sich dazu bekennt und in seinem tagtäglichen Leben praktiziert.“

Der Autor

Jean Feyder. Foto: Westend Verlag

Jean Feyder war Direktor für Entwicklungszusammenarbeit beim Außenministerium in Luxemburg und ständiger Vertreter Luxemburgs bei der WTO in Genf . Seit dem Ende seiner diplomatischen Karriere 2012 schreibt er zu den Themen Ernährungsproblematik, Welthandel und Entwicklungspolitik unter anderem für die Wochenzeitschrift Le Jeudi und ist gefragter Gesprächspartner etwa in ZDF und Arte. Zuletzt erschien von ihm „Mordshunger“ (Westend 2015).

Das Buch

Jean Feyder

Leistet Widerstand!

Eine andere Welt ist möglich

Erschienen im Westend Verlag

Seitenzahl: 256
Ausstattung: Klappenbroschur
Art.-Nr.: 9783864892004

Preis: 18 Euro

24. Friedenspolitischer Ratschlag in Kassel (Teil 3) – Karin Leukefeld: „Teile und herrsche in Syrien – wie Deutschland in der Levante Einfluss nehmen will

Eine ziemlich sichere Bank, wenn es um Informationen über die Situation in Syrien geht, ist die Journalistin und Nahost-Korrespondentin Karin Leukefeld (ihre Homepage finden Sie hier) mit ihren Berichten. Sie lebt längere Zeit immer auch selbst im Land. Leukefeld hat eine Wohnung in Damaskus. Im Jahre 2010 wurde sie von der syrischen Regierung akkreditiert. Nach Beginn des Syrien-Krieges war sie zeitweise die einzige deutsche Journalistin mit Akkreditierung in Syrien.

Einstieg über die Geschichte Syriens

Am 2. Dezember 2017 war Karin Leukefeld zu Gast beim 24. Friedenspolitischen Ratschlag in Kassel. Thema ihres Referats: „Teile und herrsche in Syrien – wie Deutschland in der Levante Einfluss nehmen will“

Als Einstieg informierte die Journalistin noch einmal kurz über die Geschichte Syriens, deren Kenntnis äußerst wichtig ist, will man heute die immer noch damit in Korrespondenz stehenden Konflikte in der Region verstehen. (Dazu erfahren Sie hier mehr in einem meiner frühere Berichte über einen Vortrag Leukefelds in Herne.)

Der Kampf um Rohstoffe, Wasser und die Restaurierung von Kulturstätten

Leukefeld wies auf die in Sachen Rohstoffen, Landwirtschaft und geostrategischer Hinsicht wichtige Region besonders des Gebietes „Fruchtbarer Halbmond“ hin. (Dazu ist hier mehr zu erfahren. Quelle: NachDenken … in München)

Darüber hinaus machte die Journalistin darauf aufmerksam, dass Wasser im Begriff ist zu einer Kriegswaffe zu werden. Ebenso rückten seltener werdende Rohstoffe in den Fokus der Interessen. Öl und Gas (in der Levante vorhanden) würden knapper. Selbst um Kulturstätten – Syrien gehöre zur Wiege der Zivilisation – wie etwa Palmyra – verzeichne man einen Kampf, in welchem es darum gehe, wer diese wieder wird restaurieren dürfen. Jede Menge Konflikte seien also programmiert.

Deutschland mischt wieder mit. „Alles Kriege hin nach Osten“

Deutschland, das nach dem Ersten Weltkrieg und dann erst recht wieder nach dem Zweiten Weltkrieg nichts oder kaum etwas zu sagen hatte in der Region und auch sonst, habe – so Karin Leukefeld – nach der Wiedervereinigung nun wieder einen anderen Weg einschlagen können. Während die BRD den Kalten Krieg hindurch bis 1989 im Grunde eine eigenständige Außenpolitik nicht hatte machen können, mische Berlin nun wieder mit. Zudem sei Deutschland wieder in Kriege eingetreten. Im Jugoslawien-Krieg wäre es um die Aufteilung des Landes gegangen. Sowie sei Berlin im Afghanistan-Krieg engagiert und indirekt im Irak-Krieg involviert gewesen. Und nun sei Deutschland gar in Sachen Syrien (im sogenannten Anti-IS-Krieg) im Spiele.

Leukefeld:

„Alles Kriege hin nach Osten.“

Mit jenem Agieren Deutschland sei auch eine Schwächung der Friedensbewegung einhergegangen (nur vor dem völkerrechtswidrigen Irak-Krieg sei es noch einmal zu enormen Protest gekommen – der allerdings ignoriert worden sei), konstatierte Karin Leukefeld in Kassel. Heute nun ginge es um die Frage „Wer regiert die Welt – nur die Amerikaner?“ Die führende Macht in Europa – das müsse man sich klarmachen – sei Deutschland. Oder werde es eine multipolare Weltordnung mit verschiedenen Machtzentren geben?

Mit diesem Machtkampf um die Weltherrschaft sei die Rohstoffknappheit ein wichtiger Punkt. Wenn es die Elektroautos geben soll, brauche es bestimmte seltene Rohstoffe. Die seien u.a. in Afrika zu finden.

Deutschland forcierte gegen Syrien: „Das schärfste Sanktionsregime, dass es seit der Gründung der Vereinten Nationen gegeben hat“

Syrien betreffend hätten die Deutschen nachdem Beginn des Krieges 2011 „ganz klar Position bezogen, indem sie gemeinsam mit Frankreich und Großbritannien ihre Botschaften 2012 geschlossen haben“. Schon im Herbst 2011 habe man Sanktionen gegen Syrien verhängt. Deutschland habe diese immer wieder von der EU gefordert und stets vehement weiter zu deren Verschärfung beigetragen.

Leukefeld:

„Das schärfste Sanktionsregime, dass es seit der Gründung der Vereinten Nationen gegeben hat.“

Diese Vorreiterrolle Berlins, so die Referentin, „spielte in unseren Medien übrigens so gut wie keine Rolle“.

Fragwürdiges Agieren Deutschlands

Als fragwürdig bezeichnete Karin Leukefeld auch die seinerzeitige Stationierung von niederländischen und deutschen Patriot-Raketen auf dem Gebiet der Türkei. Vorgeblich hätten sie vor syrischen Angriffen schützen sollen – die hätte es aber nicht gegeben. Die Journalistin vermutet, sie sollten vielmehr die Waffenlieferungen an die „Rebellen“ und deren Zufluss absichern, die gegen Syrien kämpften.

Auch ein deutsches Aufklärungsschiff im Rahmen einer UNO-Mission, ausgerüstet mit Lauschsystemen, sei im östlichen Mittelmeerraum stationiert worden. Es habe Waffenschmuggel in den Libanon verhindern sollen. „Dieses Schiff hat nicht mitbekommen, dass schiffeweise Waffen aus Libyen in den Libanon oder in den türkischen Hafen Iskenderun gebracht wurden.“ Erst als die Libanesen selbst ein Schiff mit Waffen festgehalten hätten, habe sich offiziell herausgestellt, dass es diesen Waffentransport aus Libyen gibt. Um letztlich Waffen nach Syrien zu transportieren. Ein libanesischer Sicherheitsoffizier habe Leukefeld gegenüber berichtet, „dass es die Deutschen tatsächlich geschafft haben acht Schiffe nicht mitzukriegen.“ Man könne das so interpretieren, „dass die Deutschen absichtlich in die andere Richtung geguckt haben“. Überdies soll es in Syrien 50 deutsche Spezialkräfte in Syrien gegeben haben, die kurdische Kräfte ausgebildet hätten. Die Bundesregierung dementiere das jedoch.

Humanitäre Hilfe direkt an Damaskus verweigere Deutschland allerdings Syrien solange bis Assad nicht mehr Präsident sei. Die Opposition allerdings habe Berlin von Anfang unterstützt. Sogar die Partei des Politischen Islam, die syrische Muslimbruderschaft, unterstütze Westdeutschland bereits seit 1982.

Wie Oppositionelle im Interesse Deutschlands benutzt und Fachkräfte aus Syrien gezielt abgeworben werden

Übrigens, merkte Karin Leukefeld an, habe schon das deutsche Deutsche Reich den heiligen Krieg für den Kaiser instrumentalisiert, um den Gegner zu schwächen. Die Wahrnehmung deutscher Interessen in der Region lägen bereits 150 Jahre zurück. Auch die Taktik, fremde Gruppen, Oppositionelle, aus anderen Ländern aufzunehmen, um sie gegebenenfalls später im eignen Interesse ins Spiel zu bringen, verfolge (nicht nur) Deutschland schon lange – bis heute. Auch Fachkräfte aus Syrien würden mithilfe der deutschen Industrie und deutscher Organisationen gezielt abgeworben. Des Weiteren werbe man ebenso Journalisten und Künstler aus Syrien ab. Deutschland und die Vereinigten Arabischen Emirate finanzierten mittels eines Fonds gemeinsam die syrische Opposition. Auch diese Bestrebung gebe es: Die Provinz Idlib solle zu einer modernen Republik gemacht werden. Dies u.a. meint Karin Leukefeld mit „Teile und herrsche“. Die Journalistin gibt dazu zu bedenken:

„Wenn man die Gesellschaft nicht insgesamt unterstützt, sondern nur einzelne Bereiche und gleichzeitig die andere Seite verteufelt und den Dialog und die Unterstützung nicht aufnimmt, dann ist es ganz klar, dass man eine Gesellschaft auseinandertreibt und damit natürlich auch eine Spaltung vornimmt.“

Humanitäre Hilfe – so stellt Leukefeld klar – müsse unabhängig von politischer Zuordnungen allen Menschen im Lande zugänglich gemacht werden. Dazu gehöre ihrer Meinung nach die Beendigung der Sanktionen.

Karin Leukefeld vermittelte, dass die ganze Region und somit auch Syrien in das neue Projekt Neue Seidenstraße eingebunden ist. Es ginge um den Zugang zu Rohstoffen sowie Wirtschaftstransporte mit China als die neue große Weltmacht.

Einen endgültigen Frieden für Syrien vermochte die Referentin in nächster Zeit

Karin Leukefeld beim 24. Friedensratschlag in Kassel. Fotos. C. Stille

noch nicht zu vorherzusehen. Zu viele Interessen stießen dort zusammen.

Quelle Video: Das Interview mit Karin Leukefeld haben die Kollegen von weltnetz.tv geführt und aufgezeichnet.

Lutz Jäkel mit der Multimedia-Präsentation „Syrien – Ein Land ohne Krieg“ beim „Talk im DKH“ in Dortmund

Moderator Aladin El-Mafaalani (links) und Gast des Abends Lutz Jäkel (rechts). Fotos: Claus Stille

Ein ganz besonderer Abend erwartete die ZuhörerInnen beim jüngsten „Talk im DKH“. Viele Menschen waren dann auch dem Ruf ins Dortmunder Dietrich-Keuning-Haus (DKH) gefolgt. Moderator Aladin-El-Mafaalani kündigte eine zeitlich und stofflich umfangreiche Veranstaltung an, die „Sitzfleisch“ erfordere. Was sich bestätigte. Aber: Das lange Ausharren auf den harten DKH-Stühlen lohnte. Das Publikum erlebte eine bestechende, 90 Minuten lange Multimedia-Präsentation, welcher sich eine nicht weniger interessante Diskussion anschloss.

Der Bildband „Syrien – Ein Land ohne Krieg“ enthält neben 200 ausdrucksstarken Bildern Beiträge namhafter deutsch-syrischer und deutscher Autoren

Der Islamwissenschaftler, Historiker und Fotojournalist Lutz Jäkel hat gemeinsam mit der Religionspädagogin Lamya Kaddor den Bildband „Syrien – Ein Land ohne Krieg“ herausgegeben (erschienen im Oktober 2017). Das Buch versammelt neben 200 ausdrucksstarken Bildern Beiträge namhafter syrischer, deutsch-syrischer und deutscher Autoren.

Es enthält auch einen Text des Moderators El-Mafaalani, der einen syrischen Familienhintergrund hat.

Der Grund diesen Bildband zu machen war, Syrien – ein Land, welches Viele hierzulande vielleicht erst durch den seit Jahren dort wütenden Krieg kennengelernt haben – vorzustellen wie es bis 2011 war.

Lutz Jäkel studierte und arbeitete in Damaskus

Gast Lutz Jäkel hat in Damaskus studiert und gearbeitet. Eine Zeitlang lebte er auch in der Türkei. Und erfuhr, wie Aladin El-Mafaalani zu erzählen wusste, danach hier in Deutschland Ausgrenzung am eignen Leib. Wo er von Gleichaltrigen schon mal „Kümmeltürke“ geheißen wurde. Da sei es auch einmal zu einer Schlägerei gekommen. Jäkel hatte das nicht hinnehmen wollen.

Ob seiner Sprachkenntnis des Türkischen und des Arabischen werde Lutz Jäkel, so der Moderator, manchmal als Araber oder Türke – gar als Muslim – wahrgenommen. Doch der Deutsche Jäkel sei Atheist.

Lutz Jäkel hat dem Buch eine wissenschaftsbasierte Basis gegeben und es emotional, mittels eingeflossener persönliche Eindrücken, perfekt angereichert.

Ein Syrien ohne Krieg

Der Vortrag des Gastes beginnt mit einem der Bilder eines Spiegel-Fotografs von Syrien, wie wir sie zu Genüge aus den Fernsehnachrichten kennen: vom zerstörten Aleppo.

Doch an diesem Abend sollte es um ein Syrien ohne Krieg jenseits dieser schrecklichen Bilder gehen.

Die ZuschauerInnen erlebten via der Multimedia-Präsentation geballt – was im Klappentext des Buches versprochen wird: „Eindrucksvoll dokumentiert der Band den Alltag vor 2011, zeigt, wie man in Syrien lacht und einkauft, arbeitet und isst, betet, raucht, diskutiert, feiert. Ein gleichermaßen persönliches wie breites Bild – und ein Brückenschlag voller Hoffnung und Empathie.“

Rundreise von Damaskus nach Damaskus

Lutz Jäkel ist ein eloquenter Erzähler.

Die Reise beginnt in Damaskus (UNESCO-Weltkulturerbe), führt in den Süden Syriens, nach Palmyra und Aleppo, dann in den Westen nach Antakya, um dann nach einige Stopps u.a. in Pamyra wieder in Damaskus (übrigens neben Aleppo die älteste Stadt der Welt) zu enden.

Im Damaszener Viertel wo Jäkel einst eine Weile lebte, konnten die ZuschauerInnen auf einem der Fotos Kinder sehen, die mit Murmeln spielen. „Wo gibt es das noch hierzulande?“, fragte Lutz Jäkel ins Publikum hinein. Aber man konnte während dieser bunt gefächert dargestellten Tour auch den letzten – inzwischen verstorbenen – großen Märchenvorleser Syriens kennenlernen. Zu welchem Jäkel eine Anekdote erzählte: Der alte Herr habe immer ein Schwert unter seinem Schemel liegen gehabt. Welches er knallend auf einen Metallschemel hieb, wenn jemand im Publikum weggenickt war. Im Publikum erkannten einige Menschen, zumeist Syrer, Orte, welche Jäkel ansprach und im Foto zeigte. Etwa die berühmte Eisdiele Bakdash in Damaskus oder den bekannten Souk dort.

So vielfältig die Landschaft Syriens, so vielfältig dessen Menschen

Eloquent und kurzweilig führte Lutz Jäkel durch ein äußerst vielfältiges Syrien, das Uneingeweihte gewiss Staunen machen musste. Denn ebenso vielfältig wie die Landschaft sind auch die Menschen in Syrien – Aleviten, Christen, Sunniten oder Drusen.

Der Referent richtete dazu auch das Augenmerk darauf, dass in Syrien (wie in angrenzenden arabischen Ländern) auch weiterhin Stämme existieren. Schließlich seien andere arabische Länder wie ebenfalls Syrien aus der „Konkursmasse des Osmanischen Reiches“ heraus entstanden. Westliche Mächte wie etwa Frankreich und Großbritannien zogen Ländergrenzen quasi am Reißbrett, ihren Interessen folgend.

Was in Syrien beachtet werden will

Die ZuschauerInnen lernten, was dereinst auch Jäkel in Syrien lernen musste: Wird man in Syrien in ein Haus eingeladen, muss gewartet werden bis die Einladung zum dritten Male ausgesprochen wird – alles andere ist einfach nur Höflichkeit. Ebenfalls hatte Jäkel erfahren müssen, dass man mit dem in Deutschland zwei Semester akribisch studierten Hocharabisch, das sehr blumig ist, im arabischen Alltag allenfalls Heiterkeit auszulösen vermag.

Immer wieder gab Jäkel zu den auf der Leinwand erschienenen Fotos eigene Erlebnisse zum Besten, welche das Publikum erheiterten oder emotional tief zu bewegen vermochten.

Bilder von typisch syrischen kulinarischen Speisen dürften nicht wenigen Besuchern Appetit gemacht haben. Der in der Pause zu schon fortgeschrittener Stunde allenfalls mit dem zum Kauf angebotenen Frikadellchen nach syrischem Rezept immerhin einigermaßen gestillt werden konnte …

Lutz Jäkel hat sich nie wieder woanders so wohl gefühlt wie in Syrien

Einigen im Publikum hat diese mit Informationen prall gestopfter Multimedia-Präsentation gewiss Lust gemacht, sich das Buch zu verschaffen.

Der Kopf der ZuhörerInnen war nach diesem Vortrag mit Sicherheit übervoll und das Herz weit für ein so facettenreiches Syrien mit seinen so unterschiedlichen, nicht weniger begeisternden Menschen. Jäkel, der als Fotojournalist viel in der Welt herumkommt, gab zu, nie habe er sich anderswo so wohl wie in Syrien und sich so verbunden wie mit diesem so besonderen Menschenschlag dort gefühlt.

Am Ende wurde es doch noch politisch

Zum Ende der Präsentation, merkte Moderator El-Mafaalani richtig an, war Lutz Jäkel dann doch noch „politisch geworden“. Für Jäkel, dabei wollte er dann auch in der Diskussion im Anschluss nicht ablassen, kann es nämlich keine Zukunft – wie immer die auch aussehen mag – mit Präsident Assad geben. Denn dieser habe Krieg gegen sein eigenes Volk geführt. Achtzig Prozent der der Zerstörungen in Syrien habe dessen Regime zu verantworten. Jäkel räumte aber auch ein, dass in Syrien ein – wie manche sagten – ein „kleiner dritter Weltkrieg“ geführt würde, an dem nicht nur von deren Interessen gesteuerte Großmächte sondern eben auch viele andere Kombattanten – mit dem Begriff „Rebellen“ (Assad nennt sie Terroristen) sicher nicht immer zutreffend beschrieben mit unterschiedlichen Interessen und unterstützt von anderen Mächten beteiligt seien. Es wird also schwierig bleiben.

Alles Sehen ist Perspektivisches Sehen

Gruppenbild in der Pause. Die Zuhörer Khalid Chergui, Fatih Cevikollu, Özcan Coşar Lutz Jäkel (v.l.n.r).

El-Mafaalani hatte in der Pause mit Syrern gesprochen, die ihr Land in der Präsentation von Jäkel nicht so recht wiedergefunden hätten.

Aber das war ja schon eingangs gewissermaßen angekündigt worden, wo es geheißen hatte, Lutz Jäkel habe mit dem Buch einen „deutschen Blick“ auf Syrien geworfen und zugleich einen „inneren Blick“ auf das Land ins Werk gesetzt. Alles Sehen ist eben perspektivisches Sehen.

Lutz Jäkel: „Deutschland ist eben 2017 bunt und vielfältig – auch wenn es nicht jeder mag.“

Die Diskussion machte auch verschiedene soziale und Länderhintergründe deutlich. Und sie streifte auch das Thema Flüchtlinge und Migration. Man dürfe, so spielte Jäkel auf die Verhaftung eines mutmaßlichen Terroristen in Schwerin anspielend, nur weil es auch unter Syriern gewiss „ein paar Idioten gibt“ Flüchtlingen den Schutz verwehren. Man müsse mehr auf Flüchtlinge zugehen, meinte Lutz Jäkel. „Deutschland ist eben 2017 bunt und vielfältig – auch wenn es nicht jeder mag.“

Vielfältiges Syrien mit friedlichem Nebeneinander und funktionierendem Miteinander im Alltag

Jäkel zeigte mit „seinem“ Syrien ein Land in den es ein friedliches Nebeneinander verschiedener Religionen gab aber durchaus auch ein funktionierendes Miteinander im Alltag. Auch die präsenierten Fotos zeigen das: Das sitzen in einem Café Frauen mit Kopftuch und ohne mit nackten Armen friedlich beieinander. Junge und Alte rauchen Nargile (Wasserpfeife).

Jäkel kann sich ein künftiges Syrien nur ohne Assad vorstellen

Während der Diskussion: Aladin El-Mafaalani, Lutz Jäkel und Özcan Coşar (v.l.n.r).

Bei diesem ganz besonderen „Talk im DKH“ vor vollem Hause konnte man fraglos viel über Syrien erfahren. Ein sich zu Wort meldender Zuhörer fand den Abend sehr „informativ“, Er fragte jedoch auch, warum westliche Staaten denn jahrelang Giftgas an Syrien geliefert hätten. Eine Antwort bekam er indes nicht. Stattdessen forderte Lutz Jäkel Baschar Al Assad als Kriegsverbrecher vor den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag zu stellen.

Syrien, da sprang Jäkel ein junger Syrer in nach zwei Jahren in Deutschland ziemlich gutem Deutsch bei, hätte unbedingt eine Zukunft ohne Assad.

Syrien künftig vielleicht mit anderen Augen sehen

Dieser superlange „Talk im DKH“ war nicht nur reich an Informationen, sondern auch keine Sekunde langweilig. Geistig verarbeiten müssen diese Informationen und vielfältigen Eindrücke sicher Stück für Stück von den ZuhörerInnen selbst. Manche von ihnen dürften Syrien nun womöglich mit etwas anderen Augen sehen.

Kluge und witzige Comedy-Beiträge Özcan Coşar strapazierten das Bauchfell mancher BesucherInnen

Mit klugen, witzigen, zuweilen das Bauchfell der BesucherInnen arg strapazierenden Comedy-Beiträgen verstand Özcan Coşar das Publikum im Rahmen dieses außergewöhnlichen „Talk im DKH“ köstlich zu unterhalten. Angekündigt ward der Mann treffend als „schwäbisches Kraftwerk“.

Der Bildband

Cover des Bildbands via Thalia.

Buch zur Tagesschau „Die Macht um acht“ mit ernüchterndem Fazit der drei Autoren

Die Tagesschau begleitet mich, wie sicherlich viele meiner LeserInnen ebenfalls, bereits viele Jahrzehnte. Zu DDR-Zeiten war die ARD-Nachrichtensendung gewiss nicht nur für mich ein wichtiges Korrektiv zu den im Lande verfügbaren Medien. Das DDR-Pendant „Aktuelle Kamera“ konnte man getrost vergessen, denn Hurra-Meldungen und Propaganda gaben einander die Hand. Die Zeitungen betreffend wurde gelernt zwischen den Zeilen zu lesen. Abends um acht wurde – außer im „Tal der Ahnungslosen“, Dresden und Umgebung, wurde die Tagesschau eingeschaltet. Da konnte man sein Nachrichtenbild einigermaßen vervollkommnen und sich eine eigene Meinung zum Weltgeschehen sowie zu den Vorgängen eignen Lande bilden.

Mein Verhältnis zur Tagesschau bekam einen Knacks

Wann bekam mein Verhältnis zur Tagesschau (nebenbei bemerkt auch zur ZDF-Nachrichtensendung) einen Knacks? Im Wesentlichen war das vor und während der Ukraine-Konflikt der Fall. Und später dann zusätzlich betreffs der für mich fragwürdigen Berichterstattung über die Vorgänge und den Krieg in Syrien. Ich nehme mal an, liebe LeserInnen, Sie wissen, was ich da meine. Um den deutschen Journalismus steht es anscheinend im Allgemeinen nicht gut.

Laut einer Reuters-Medienanalyse haben nur noch 40 Prozent der Deutschen Vertrauen in Journalisten. Was zu denken geben sollte. Viele Rezipienten der Tagesschau machen ihrer Kritik ob deren Nachrichtendarbietung immer öfters Luft. Keineswegs in flegelhafter Weise, sondern sachlich begründet und in hoher Kenntnis der betreffenden jeweiligen Materie.Man schaue nur einmal in die Foren von tagesschau.de.

Die Tagesschau, das „Flaggschiff der ARD“ wird ihrem Anspruch kaum noch gerecht

Die Tagesschau, täglich etwa von 10 Millionen Menschen gesehen, gilt als „Flaggschiff der ARD“ und gibt sich als verlässlich, neutral und seriös.

15 Minuten lang informiert die Tagesschau über die vorgeblich wichtigsten Ereignisse des Tages.

Diesen doch sehr hoch angesiedelten Anspruch hinterfragen Uli Gellermann, Volker Bräutigam und Friedhelm Klinkhammer detailliert und gründlich. Uli Gellermann ist der Herausgeber der kritischen Internetplattform „RATIONALGALERIE – Für Nachdenker und Vorläufer“. Volker Bräutigam und Friedhelm Bräutigam wurden über ihre zahlreichen Programmbeschwerden bekannt (hier).

Das Fazit der drei Autoren in ihrem Tagesschau-Buch „Die Macht um acht“ ist ernüchternd

„Sie gehen der Geschichte der Tagesschau nach, beleuchten Vermittlung und Auswahl von Nachrichten, kommentieren die Berichterstattung zu zentralen aktuellen Themenschwerpunkten wie dem Krieg gegen Syrien und dem Konflikt um die Ukraine, stellen die viel zu unbekannten „Programmbeschwerden“ als Möglichkeit des Zuschauerprotests und der demokratischen Auseinandersetzung mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk dar.

Ihr Fazit ist ernüchternd. Sie halten die Tagesschau weder für verlässlich noch für neutral, nur für bedingt seriös und bestenfalls für schlau. Nach diesen 15 Minuten weiß man, was die Regierung denkt; was die Republik denken soll und was zu denken unter den Tisch fallen kann.“

Cover des Buches via PapyRossa.

So heißt es in der Information zum von Gellermann, Bräutigam und Klinkhammer gemeinsam verfassten Buch „Die Macht um acht“.

Den Kollegen von Weltnetz.tv hat Uli Gellermann dazu etwas in Kamera und Mikrofon gesagt.

Was mich angeht, ist die Tagesschau längst nicht mehr das, was sie für mich einst und lange Zeit gewesen war: ein seriöser Nachrichtenlieferant. Nachrichten sind nämlich dazu gedacht, Informationen zu verbreiten anhand deren Inhalts sich die Rezipienten selbst eine Meinung zu bilden imstande sind. Leider macht die Tagesschau mit dem von ihr Vermeldetem ein ums andere Mal selbst Meinung. Das wäre jedoch nur im Kommentar vertretbar.

Die Autoren

Uli Gellermann, *1945, Journalist und Filmemacher. Hat als Creative Director gearbeitet. Verantwortet die Website rationalgalerie.de.

Friedhelm Klinkhammer, *1944, Jurastudium in Hamburg. Dreieinhalb Jahrzehnte angestellt beim NDR. Langjähriger IG Medien / ver.di-Vorsitzender und Gesamtpersonalratsvorsitzender im NDR.

Volker Bräutigam, *1941, Journalist. 14 Jahre bei Tageszeitungen, danach beim NDR in Hamburg, dort u. a. zehn Jahre Redakteur bei der Tagesschau und weitere zehn Jahre in der Kulturredaktion von N3. Seit 2001 freier Autor.

Dr. Winfried Wolf referierte in Dortmund zum Thema „Flucht und Fluchtursachen: Deutsche Verantwortung – unsere Solidarität“

Dr. Winfried Wolf nach seinem Vortrag in Dortmund; Fotos: C.-D. Stille

Dr. Winfried Wolf nach seinem Vortrag in Dortmund; Fotos: C.-D. Stille

Diesen Montag holte Dr. Winfried Wolf, Chefre­dakteur von lunapark21, Zeitschrift zur
Kritik der globalen Ökonomie und ehemaliger Bundestagsabgeordnete der Partei DIE LINKE, seinen ursprünglich für März geplanten Vortrag „Flucht & Fluchtursachen: Deutsche Verantwortung – unsere Solidarität“ an der Auslandsgesellschaft in Dortmund nach. Zufall, aber passend zum Thema: der 20. Juni war der Weltflüchtlingstag.

Keine deutsche Verantwortung für Flüchtlingsströme?

Verantwortung, hub Winfried Wolf, auf Angela Merkels entsprechende Meinung verweisend, an, trage Deutschland angeblich keine für die Flüchtlingsströme. Aufgenommen würden die Flüchtlinge jedoch nach Meinung der Bundeskanzlerin aus Mitleid und christlicher Barmherzigkeit. Im Folgenden machte Wolf klar, dass die Fluchtursachen der zu uns gekommenen Menschen vom Westen – und ja: sogar von Deutschland bedingt seien.

Fluchtregion Balkan

Zu diesem Behufe begann der Referent bei der Fluchtregion Balkan. Und er legte dar, wie die Bundesrepublik Jugoslawien, die nach 1945 immerhin eine lange Periode – gut ein halbes Jahrhundert – des Friedens bei einer erquicklichen wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung erlebt hatte, anscheinend plötzlich destabilisiert wurde. Und zwar war durch das Aufbrechen der Bundesrepublik Jugoslawien. Schon lange geplant von westlicher Seite. Wolf verwies auf die vom BND-Aussteiger Erich Schmidt-Eenboom (auch hier), der in seinem Buch Der Schattenkrieger, Klaus Kinkel und der BND schrieb: „In Rom gab es bereits 1981 ernsthafte Konsultationen zwischen Deutschland, Österreich und Italien über die Frage, wer welche Aufgabe habe beim Zerfall des Tito-Staates nach dem Tod des Marschalls am 5. Mai 1980 übernehmen sollte.“

Und der einstige bundesdeutsche Verteidigungsminister Rupert Scholz (CDU) wird durch Wolf mit diesen Worten (aus dem Jahr 1991) zitiert: „Nach der Überwindung der wichtigsten Folgen des Zweiten Weltkriegs sind wir heute damit befasst die Folgen des Ersten Weltkriegs zu bewältigen. Denn Jugoslawien ist als Folge des Ersten Weltkriegs eine sehr künstliche, mit dem Selbstbestimmungsgedanken nie vereinbar gewesene Konstruktion.“ Schließlich preschte – wir erinnern uns – Außenminister Hans-Dietrich Genscher vor und Deutschland einschließlich der EU erkannte einen „Spaltstaat“ Jugoslawiens nach dem anderen an: Kroatien, Bosnien-Herzegowina und Slowenien. Nationalisten wie der Kroate Franjo Tudjman, der Serbe Slobodan Milošević taten das Ihre von innen heraus.

All das sei, so Wolf, noch einmal gesteigert worden mit dem Krieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien 1999. Vorausgegangen waren Verhandlungen Rambouillet angeblich zur Verhinderung eines Krieges. Der Vertrag von Rambouillet rief aber gerade jenen hervor. Denn Serbien konnte zumindest das, was im Anhang B gefordert keineswegs akzeptieren: „Das Nato-Personal wird in der gesamten Bundesrepublik Jugoslawien freien und ungehinderten Zugang genießen.“

Das Verrückte, sagte Dr. Wolf sei, dass quasi „die gleiche Formulierung der Beginn des Ersten Weltkriegs war.“ Nach der Ermordung des österreichischen Kronprinzen in Sarajevo hatte man das ultimativ damit begründet, die österreichischen Beamten müssten in Serbien aus- und eingehen können, um die Mörder des Kronprinzen zu finden. Serbien konnteda nicht annehmen. Der deutsche Kaiser wusste das. Österreich erklärte Serbien den Krieg.

Winfried Wolf: „Ich bin absolut sicher, dass die deutschen Diplomatie ein Elefantengedächtnis hat“ und den selben Trick ein zweites Mal angewendet hat.

Unter anderem das Nato-Bombardement 1999 habe eine Million Flüchtlinge im Balkan produziert. Allein 330.000 seien nach Deutschland gekommen. Eine nennenswerte Stabilität auf den Balkan sei nicht eingetreten durch diesen Krieg. Zwar sei Kosovo nun selbständig. Dafür unterdrückten allerdings die Albaner die serbische Minderheit. Die Arbeitslosigkeit liege über 40 Prozent. Im gesamten Balkan schwanke die Arbeitslosigkeit zwischen 15 und 50 Prozent.

Region Syrien

Zur Region Syrien gelangend – dorther kommt der zweitgrößte Flüchtlingsstrom zu uns – führte Winfried Wolf aus, dass auch da der Westen die vor dem Hintergrund des Arabischen Frühlings, die dortigen berechtigten Proteste mit Forderungen nach mehr Demokratie, für seine Zwecke ausnutzte, gezielt mit Waffenlieferungen in die Konflikte eingriff, indem er auch islamistischen Gruppen unterstützte. In Syrien – einst ein durchaus wohlhabendes Land – lägen infolgedessen Infrastruktur und Gesundheitswesen in Schutt und Trümmern. Das Bildungswesen sei weitgehend kaputt gegangen. Die Mehrheit der Syrer befänden sich auf der Flucht. Baschar al Assad – gewiss ein Diktator – wurde für den Westen zum Bösen. Dabei hatte man jahrelang mit ihm ihm zusammengearbeitet. Der Westen ließ gar nach 9/11 vermeintliche Terroristen dort foltern. Assad sei gar Teil des internationalen Bündnisses gegen den Terror gewesen. Der BND unterhielt ohnehin traditionelle enge Beziehungen nach Damaskus. Berlin, die Schröder-Fischer-Regierung, gewährte gar Damaskus gut 150 Millionen Euro Unterstützung. Hilfe und einen Schuldenerlass, das „was man später dem EU-Partner Griechenland“ eiskalt verwehrte.

Afghanistan

Und schon kam Wolf auf das Debakel in Afghanistan, die dritte Fluchtquelle, zu sprechen. Einem Land, in dem Frauen, wie Winfried Wolf gestand, erst kürzlich erfahren zu haben, „im Zeitraum nach dem Ersten Weltkrieg bis Anfang der 1980er Jahre keinen Schleier getragen haben“. Hervorgerufen durch „östlichen und westlichen Einfluss“ kehrte diese Kopfbedeckung und die Scharia wieder in das Land zurück. Schuld trüge u.a. auch der sowjetische Einmarsch und deren Folgen. Eine Moskau hörige Regierung wurde eingesetzt. Fast eine Millionen Menschen flüchteten. Daraufhin bildeten islamistische Widerstandsorganisationen. Der Westen – voran die USA und Pakistan – lieferten moderne Waffen. Warlords und Islamisten übernahmen nach dem schmachvollen Abzug der Sowjetarmee die Macht. Die Taliban wurden vom Westen unterstützt. Die USA betrieben das Ziel eine Öl-Pipeline aus den südlichen GUS-Staaten über Afghanistan hin zum Indischen Ozean zu bauen. Nach den Terrorangriffen von 9/11 habe es einen kurzen Krieg gegen Afghanistan gegeben. Danach wurde das Land bis heute von westlichen Militär besetzt. Westliches Militär – darunter die BRD (das vom damaligen Bundeswehroberst Georg Klein angeforderten Tankwagenbombardement am Kunduzfluss forderte über 100 Tote) – richteten viele Massaker an der Zivilbevölkerung an.

Auf Anfrage der LINKEn, was der Afghanistan-Einsatz im Vergleich zu den Flüchtlingsausgaben gekostet habe, habe die Bundesregierung mitgeteilt, dass bisher 8 Milliarden Euro dafür habe ausgeben müssen. Das DIW hält dem entgegen, 20 bis 45 Milliarden Euro wären es gewesen. Wolf: „Damit könnte man 5 bis 10 Jahre lang alle möglichen Flüchtlingskosten bezahlen, die wie von Bundesregierung behauptet, anfallen würden.“

Afghanistan, gab Winfried Wolf zu bedenken, ist „nach einem 35-jährigen Krieg völlig ausgeblutet und zerstört“.

Viele Millionen Flüchtlingen seien „produziert“ worden.

Afrika/Libyen

Vor einiger Zeit machte das Fluchtschiff im Dortmunder Hafen fest, um auf die Situation von Flüchtlingsfrauen aufmerksam zu machen. Vom kommenden Dienstag an werden fast an gleicher Stelle 180 Flüchtlinge auf zwei Flusskreuzfahrtschiffen wohnen; Foto: C.-D.Stille

Vor einiger Zeit machte das Fluchtschiff im Dortmunder Hafen fest, um auf die Situation von Flüchtlingsfrauen aufmerksam zu machen. Vom kommenden Dienstag an werden fast an gleicher Stelle 180 Flüchtlinge auf zwei Flusskreuzfahrtschiffen wohnen; Foto: C.-D.Stille

Die vierte von Wolf erwähnte Flüchtlingsregion ist Afrika und speziell Libyen. Auch Libyen wurde vom Westen nach Protesten vor dem Hintergrund der Arabischen Rebellion durch Krieg destabilisiert. Libyen war das entwickelteste Land Afrikas. Die Scharia galt nicht. Diktator Gaddafi, auch einst ein vom Westen nicht ungern gesehener und für eigne Zwecke (Flüchtlingsabwehr) benutzt, wurde blutig ermordet. Heute ist der Islamismus im Vormarsch. Der Luftkrieg war nicht zuletzt auch ein „Werbefliegen“ (so damals die Financial Times Deutschland) für die Kampfjets diverser westlicher Kampfflugzeughersteller. Milliardenaufträge winkten.

Eine deutsche Firma habe einst, daran erinnerte Wolf, wichtige Bauteile für eine Giftgasfabrik geliefert, von der Gaddafi unumwunden sagte, er brauche das Giftgas zum Kampf gegen Israel. Andere westliche Länder waren darüber empört. Die internationale Presse, wie z.B. die New York Times, schäumte. Die Kohl-Regierung habe es mit einer breiten Kampagne gegen sie zu tun bekommen. Das Zustandekommen der Deutschen Einheit, mutmaßte Dr. Winfried Wolf, haben womöglich den Sturz Kohls verhindert.

Irak

Als fünfte und letzte Quelle für Flüchtlinge kam der Irak aufs Tapet. Drei Golfkriege beutelten das Land. Vom Westen unterstützt, führte er Krieg gegen den Iran. Dann ließ sich, von der USA-Botschafterin in Bagdad quasi dazu ermuntert, Diktator Saddam Hussein darauf ein, Kuweit zu besetzen. Die USA führten einen Krieg gegen den Irak. Der wurde aus Kuweit vertrieben. Hussein ließ Bush Vater im Amt. Sohn Bush stürzte ihn bekanntlich im Krieg von 2003. Hussein wurde hingerichtet. Schwersten Menschenrechtsverletzungen (Stichwort: Folterskandal Abu Ghraib) wurden seitens der USA und wohl auch von Großbritannien begangen. Das Land ist destabilisiert. Der IS kontrolliert 40 Prozent des Staatsgebietes. Religionskonflikte – früher dort kaum auftretend – spielen nun eine blutige Rolle. Auch hier die Heuchelei des Westens: Einst war – solange er nach der Pfeife der USA tanzte – Saddam Hussein jemand, dem westliche Staatenlenker gerne die Hände schüttelten. Die Kohl-Regierung gewährte trotzdem der Giftgasangriffe gegen die Kurden auch Hussein ein Kredit von 100 Millionen DM.

Auch Rüstungsgüter stammten aus der BRD. Irakische Offiziere seien an der Münchner Bundeswehrhochschule ausgebildet worden.

Die USA, meinte Dr. Wolf, habe damals geschwiegen. Wohl weil die Bundesrepublik damals zur Kasse gebeten wurde, um 16, 9 Milliarden DM an die USA zwecks Kriegskofinanzierung zu berappen.

Auch der Irak wurde so durch westliche Einflussnahme zur einer Quellregion für Flüchtlinge, stellte Winfried Wolf fest.

Alternativen gegen kriegerische Eingriffe gab es wohl

Angeblich, so heiße es immer, habe es zu diesen westlichen, auch kriegerischen Eingriffen keine Alternativen gegegeben. Schließlich sei es um Menschenrechte gegangen. Wolf: „In allen einzelnen Fällen könne man im Detail nachweisen, dass es friedliche, zivilgesellschaftliche Möglichkeiten“ der Konfliktbeilegung gegeben habe.

Als Beispiel nannte der Referent den kosovarischen Schriftsteller Ibrahim Rugova. Dieser habe stets im Sinne Mahatma Gandhis für gewaltfreie Lösungen plädiert. Letztlich setzte sich der Westen für eine Hochrüstung der Terrororganisation UCK ein.

Winfried Wolf zur Gesamtbilanz: Der Westen, Europäische Union, deutsche Bundesregierung und US-Regierung im Fall dieser fünf wichtigsten

Über die Einsatzleitung der Feuerwehr Dortmund am Nordausgang des Hauptbahnhofes erfolgte vor einem Jahr die nötige Koordinierung; Foto: C.-D. Stille

Über die Einsatzleitung der Feuerwehr Dortmund am Nordausgang des Hauptbahnhofes erfolgte vor einem Jahr die nötige Koordinierung; Foto: C.-D. Stille

Quellregionen der aktuellen Flüchtlingsbewegung haben den größten Beitrag dafür geleistet, dass das Leben der Menschen dort zunehmend unerträglich geworden sei. Dass sich Millionen Menschen auf den Weg in Gebiete aufmachen, wo sie glaubten ein normales ziviles Leben führen zu können. Und eine Perspektive für ihre Kinder sehen. Schlussfolgerung: Nur eine Stärkung der Zivilgesellschaft dort und eine Umsetzung von bestehenden Friedensvorschlägen könnten dazu dienen, die Flüchtlingsbewegung zu begrenzen. Der zynische Deal der EU und der Bundesregierung mit Erdogan sei der falsche Weg. Schon deshalb, weil der türkische Präsident einen Krieg gegen die eigene (kurdische) Bevölkerung führe, was wohl weitere Flüchtlinge produzieren dürfte. Stattdessen bräuchten wir offene Grenzen für Menschen in Not. In der EU leben 450 Millionen Menschen. Wenn 3 Millionen Flüchtlinge nach Europa, in die EU kommen würden, wären dies weniger als ein Prozent von deren Bevölkerung. Dieses eine Prozent pro Jahr an Einwanderung würden Länder wie Australien oder Kanada für machbar halten. Vorausgesetzt man mache entsprechende Integrationsprogramme, die finanziert sein. Was wiederum wie ein Konjunkturprogramm wirken könne.

Fazit

Wie pflegt doch Dr. Michael Lüders zu sagen? Alles hat mit allem zu tun. Und der Westen hat einiges damit zu tun, dass Menschen aus dem von ihm destabilisierten Ländern zu uns fliehen. Dieser Wahrheit müssen wir uns stellen. Ein faktenreicher,  interessanter und spannender Vortrag von Dr. Wilfried Wolf.

Kobane stirbt: „Schämt euch!!!“

 

Das vom sogenannten Islamischen Staat belagerte Kobane an der syrisch-türkischen Grenze, dessen Schergen mordend und vergewaltigend im Kampfe voranschreiten, könnte fallen. Von der türkischen Seite schaut Ankaras Militär zu. Ebenso die internationale Presse. Die Bilder und Berichte kommen bei uns bei bester Sendezeit via Fernsehen oder Internet am Abendbrottisch zuhause an.

Vielleicht schütteln Viele mit dem Kopf. Mit Bedauern. Dann beißen sie wieder ins Brot. Was soll man auch machen? Wenn’s doch die Politik auch nicht besser weiß. Also weiter ins Verderben. Wird Kobane fallen? Kann schon sein. Aber es muss wohl der das große Ganze in den Fokus genommen werden. Zynisch brachte das US-Außenminister John Kerry auf den Punkt. Vergangenen Sonntag in Kairo: Die IS-Offensive auf Kobane sei eine „Tragödie“. Jedoch handele es sich hierbei „nur um eine Gemeinde“, die nicht „die Strategie der Koalition“ bestimme. Punkt.

“In der internationalen Politik geht es nie um Demokratie oder Menschenrechte. Es geht um die Interessen von Staaten.“ (Egon Bahr)

Der von mir hochverehrte und geschätzte Egon Bahr (SPD) würde das im Zusammenhang mit der Situation in Kobane gewiss nie so ausdrücken, sondern andere Worte finden. Aber vielleicht aus seiner jahrzehntelangen Erfahrung als Politiker könnte Bahr (91) zu Bedenken geben, was er dieses Jahr vor Schülerinnen und Schülern ausführte:

“In der internationalen Politik geht es nie um Demokratie oder Menschenrechte. Es geht um die Interessen von Staaten. Merken Sie sich das, egal, was man Ihnen im Geschichtsunterricht erzählt.”

Bitter

Was bleibt, ist das Schlimme: Die Weltgemeinschaft schaut zu, wie Kobane zu fallen droht und dessen Einwohner brutal niedergemetzelt oder in die Luft gesprengt werden. Damit muss wir alle fertig werden. Sage hinterher niemand, er hätte nichts gewusst. Bitter.

Ist das, was in Kobane geschieht Völkermord? Das müssen staubtrocken Völkerrechtsexperten prüfen. Laut Wikipedia-Eintrag ist Völkermord folgendermaßen definiert:

„Ein Völkermord oder Genozid ist seit der Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes von 1948 ein Straftatbestand im Völkerstrafrecht, der nicht verjährt. Der Begriff Genozid setzt sich zusammen aus dem griechischen Wort γένος (génos = „Herkunft, Abstammung, Geschlecht, Rasse“; im weiteren Sinne auch „das Volk“) sowie dem lateinischen caedere „morden, metzeln“. (…)

Quelle: Wikipedia)

Schande für die Weltgemeinschaft

Wie auch immer: Was in Kobane geschieht, geschehen kann, ist eine Schande für die Weltgemeinschaft. Und viele Hände sind schmutzig. Schließlich ist der zum IS lange genug als ISIS bekannt gewesen. Wie konnte das Erstarken dieser Verbrechertruppe quasi unbemerkt bleiben? Hängt es andersherum womöglich gar damit zusammen, dass die USA, arabische Scheichtümer und die Türkei Erdogans ihre Hände auf die eine oder andere Weise da mit im Spiele hatten? Richtete sich der IS in seinem Kampfe doch auch gegen Syriens Asssad. Den früheren Freund will der starke Mann in Ankara doch weghaben. Warum kommen die USA dem IS in Kobane mit ihrem Bombardement nicht so recht bei? Wie konnte der IS, von Satelliten beobachtet überhaupt „unbemerkt“ dorthin gelangen? Warum führte Erdogans Türkei nun erstamls wieder  Luftschläge gegen die PKK wieder Luftschläge? Weil die PKKler Kobane beistehen und Erdogan Angst hat, solche autonomen Zonen wie Kobane eine ist, könnten den Kurden im eigenem Land Appetit machen? Fragen über Fragen. Schande aber bleibt Schande. Und Politik schmutzig.

Ich möchte meinen Leserinnen und Lesern folgenden Text der Netzfrau Doro Schreier unbedingt zur Lektüre empfehlen.

Syrien: Der Kampf um Kobane – Völkermord von Doro Schreier

„Irgendwie verstehe ich die Welt nicht – oder besser die Menschen. Da stehen Reporter im Fernsehen, mittlerweile mit einer sicheren Schussweste, die Kamera auf die Stadt Kobane gerichtet und schauen zu, wie dort ein Völkermord stattfindet.

 

Ich will gar nicht über die Quoten schreiben, die so eine Szene für die vereinzelten Nachrichtensender anscheinend bringen soll, sondern eher darüber, wie Menschen einfach zuschauen können ohne etwas zu tun.

 

Deutschland redet sich raus, da ja die Luftwaffe eher am Boden tauglich ist und alle anderen haben sonstige heuchlerische Ausreden. Die Kanzlerin hat keine Zeit, die muss ja ein Abkommen mit dem chinesischen Ministerpräsidenten zum Wohle des Wachstums treffen und die Europäische Kommission kümmert sich lieber um das Staubsaugergesetz.

 

Und der TV-Zuschauer? Ergötzt er sich an den Bildern, die dort von der türkischen Grenze gezeigt werden?
Wenn ich die Bilder im TV sehe, schalte ich ab! Ich kann es nicht ertragen, dass Menschen sterben – Ich kann es nicht ertragen, dass Frauen missbraucht werden, Unschuldige geköpft werden und Kinder zuschauen müssen. Nein, ich höre ihre Schreie, grässliche Schreie und sehe Männer mit Waffen, die um ihre Liebsten kämpfen. Verzweifelt, da die IS-Milizen kein Erbarmen kennen.

 

Wisst Ihr noch, wie all die Nationen vor drei Jahren tatenlos zuschauten, als in Syrien Menschen ausgerottet wurden? Und immer noch werden!

 

Hätte man nicht schon da von Seiten der Vereinten Nationen eingreifen müssen?

 

Habt Ihr Ruanda vergessen, einen Völkermord, der vielen Menschen das Leben gekostet hat?
Wofür brauchen wir noch Menschenrechte, wenn es keinen mehr interessiert?

 

Ich schäme mich für all meine Artgenossen, die auch noch auf Kosten eines Völkermordes Geld verdienen wollen. Die einfach zuschauen, natürlich aus sicherer Entfernung… können diese Menschen überhaupt noch schlafen?

 

Schämt Euch!!!

 

Und wenn die Kinder irgendwann fragen sollten – redet Euch ja nicht mit scheinheiligen Argumenten raus.“

 

Quelle: Netzfrauen.org von Netzfrau Doro Schreier

Ein Teil des Artikels von Doro Schreier verdeutlicht, dass auch mit Wasser Machtpolitik gemacht werden kann. Und tatsächlich auch gemacht wird:

„Wer Wasser hat, hat Macht – und wer den Zugang zu den Quellen hat, hat noch mehr Macht.

Rein theoretisch könnte die Türkei mit Hilfe der Staudämme jederzeit Syrien und dem Irak „den Hahn zudrehen”. Allein zum Füllen des Ilisu-Staubeckens braucht man soviel Wasser, wie der Tigris in einem halben Jahr führt. Zudem hat der See Extrakapazitäten, mit denen man den Fluß für ein paar Monate komplett sperren könnte.

 

Geplant und gebaut wird schon lange, der Ilisu-Damm im Kurdengebiet Ostanatoliens, der den Tigris – und seinen Nebenfluss Firtina – 75 Kilometer oberhalb der Grenze zu Syrien und dem Irak zur Elektrizitätserzeugung nutzen soll. Hinter der 1.820 Meter langen und 135 Meter hohen Staumauer wird sich ein 313 Quadratkilometer großer Stausee bilden und 52 Dörfer unter sich versenken, auch Hasankeyf, die einzige Stadt Anatoliens, die seit dem Mittelalter besteht und als archäologische Fundstätte geschützt ist.“ (Quelle: Netzfrau Doro Schreier)“

Dazu noch zwei ältere Artikel von mir aus der Istanbul Post, in denen ich mich 2001 bzw. 2003 mit der Thematik auseinandersetzte (hier und hier).

Der Worte sind genug geschrieben. Zum Schluss aber noch einmal die Worte Doro Schreiers:

„Schämt Euch!!!

Und wenn die Kinder irgendwann fragen sollten – redet Euch ja nicht mit scheinheiligen Argumenten raus.“

Dem ist nichts mehr hinzuzufügen. Denkt mal dran. Heute am Abendbrotstisch beim Schauen der Tagesschau. Oder ist Kobane schon wieder aus dem Fokus der Medien verschwunden? Kann schon sein …

Nachtrag:

Mir ging es mit meinem Text zuvörderst darum, den Appell, der Empörung der Netzfrau Doro Schreier, ein Mehr an Öffentlichkeit zu verschaffen. Denn die von ihr dargelegte Sicht ist ja zutiefst menschlich und verständlich für alle, die verzweifelt zuschauen (müssen), in welch furchtbarer Lage sich die Menschen in und um Kobane befinden.

Persönlich kann ich mich voll hinter die Meinung Oskar Lafontaines stellen, von dessen Text im Tagesspiegel (via Internetz-Zeitung)  ich hier zwei Passagen zitieren möchte:

Oskar Lafontaine via Linkspartei/Tagesspiegel:

(…) Das immer wieder vorgebrachte Argument, man könne doch nicht tatenlos zusehen, wenn Menschen leiden und sterben, ist heuchlerisch und verlogen. Die westliche Wertegemeinschaft sieht täglich mehr oder weniger tatenlos zu, wie Menschen verhungern und an Krankheit sterben. Flüchtlinge ertrinken und Seuchen wie Ebola breiten sich aus, ohne dass die Industriestaaten auch nur im Entferntesten daran denken, zur Rettung dieser Menschen ähnlich viel Geld auszugeben, wie sie dem Militär jährlich zur Verfügung stellen. Es ist schon erstaunlich zu beobachten, wie Politikerinnen und Politiker, deren Mitleid plötzlich erwacht, wenn sie nach Militäreinsätzen rufen können, scheinbar ungerührt dem täglichen Verhungern, dem Tod durch Krankheit und dem Ertrinken Flüchtender auf den Weltmeeren zusehen.“ (…)

(…) „Nur wenn die USA sich den Entscheidungen einer reformierten UNO unterwerfen würden – davon sind sie zurzeit Lichtjahre entfernt – wäre der Aufbau einer Weltpolizei denkbar, die Gewalt ähnlich stoppen könnte wie die Polizei in den Nationalstaaten. So lange die USA die militärische Eroberung von Rohstoffquellen und Absatzmärkten zum Ziel ihrer Außenpolitik machen, sind alle Überlegungen, mit Militäreinsätzen den Weltfrieden und das Recht wiederherzustellen, keine Realpolitik. Es sind Träumereien von Leuten, welche die Machtstrukturen der Welt nicht analysieren können und nicht zur Kenntnis nehmen wollen, dass die mächtigste Militärmacht des Erdballs von einem Präsidenten geführt wird, der zur Sicherung der geostrategischen Interessen des US-Imperiums den tausendfachen Drohnenmord befohlen hat und von sich selbst sagt: „Ich bin gut darin, Menschen zu töten.“ (…)

Via Internetz-Zeitung:

Oskar Lafontaine  ist ehemaliger Vorsitzender der SPD und später der Linkspartei:

Doro Schreier hat diese Ohnmächtigkeit der Situation gegenüber in aufrütteln sollende Worte gekleidet. Was bleibt, ist die Ohnmächtigkeit, das Nichtstun.

Oskar Lafontaine ist zuzustimmen: Unterwürfen sich die USA Entscheidungen einer reformierten UNO, könnte eine Weltpolizei geschaffen werden – die wie die Polizeien im Inneren der Nationen – bei Konflikten agieren. Allein die Zeiten sind nicht danach. Die USA müssten dafür zu einem „normalen“ Staat innerhalb der Weltgemeinschaft werden. Dies jedoch steht vorläufig  nicht zu erwarten.  Die dort herrschenden Interessen und deren Vertreter lassen das nicht zu. Ein US-Präsident, der diesen Weg zu besagter Veränderung beschritte, wäre gewiss nicht allzu lange im Amte. Ja, so sieht die Realität aus. Leider.

nd-Korrespondentin Karin Leukefeld in Herne: In Syrien erleben wir einen Stellvertreterkrieg

BildDer Geschäftsführer des neuen deutschland, Olaf Koppe, begrüßt die Mittelostkorrespondentin Karin Leukefeld; Foto: C.-D.Stille

Durch die Ukraine- und Krimkrise ist ein anderer Konfliktherd, welcher seit Jahren schwelt und viele Opfer gefordert hat und weiter fordert, sowie enorme Zerstörungen von Infrastruktur und historischen Orten zur Folge hat – nämlich Syrien, nahezu aus dem Fokus der Medien verschwunden. Etwa 6 Millionen Flüchtlinge befinden sich in Bewegung, 140.000 tote Männer und Kinder sind zu beklagen. Was wissen wir aber wirklich über Syrien und die Ursachen dieses Konflikten, den die Medien Bürgerkrieg nennen? Vielen von uns dürfte gar nicht bekannt bzw. bewußt sein, dass sich die  über Syrien berichtenden  Medien vom „Hörensagen“bedienen?

Karin Leukefeld ist eine profunde Kennerin Syriens

Am Montag dieser Woche bestand nun – und zwar in Herne, Nordrhein-Westfalen, eine ziemlich einmalige Gelegenheit, aus dem Munde einer profunden Kennerin Syriens nähere Informationen zum Konflikt erhalten.

Zu verdanken war das dem „neuen deutschland“ im Verein mit einer örtlichen Friedensinitiative. Die sozialistische Tageszeitung hatte zu einem Lesertreffen ins „Zille“ im Kulturzentrum Herne geladen. Der Abend stand unter dem Titel „Syrien – Hinter den Schlagzeilen“.  Gast des Lesertreffs war eine Journalisten, die sich auf syrischem Terrain bestens auskennt.

Karin Leukefeld, Jahrgang 1954, ist studierte Ethnologin sowie Islam- und Politikwissenschaftlerin. Die ausgebildete Buchhändlerin ist seit dem Jahr 2000 freie Korrespondentin im Mittleren Osten, u.a. für neues deutschland (Berlin), Junge Welt (Berlin), Katholische Nachrichtenagentur (Bonn), ARD-Hörfunk, Schweizer Rundfunk, Weltnetz TV, Wochenzeitung (Zürich). Leukefeld ist gegenwärtig die einzige Journalistin aus Deutschland, die eine Akkreditierung für Syrien besitzt.

Angekündigt von Edith Grams von der Herner Friedensinitiative und begrüßt von nd-Geschäftsführer Olaf Koppe, sprach Karin Leukefeld im gut gefüllten Saal des „Zille“ über die Situation im Nahen Osten und speziell in Syrien.

Ein regionaler Konflikt hat sich  auf den lokalen draufgesetzt

Leukefeld erinnerte daran, dass im Falle Syriens – nach dem sogenannten „Arabischen Frühling“ – andere Länder, „andere Interessenten“, dort eingegriffen hätten: „Wir haben einen regionalen Konflikt, der sich auf den lokalen Konflikt draufgesetzt hat.“ Protagonisten seien die Türkei, der Iran, Saudi-Arabien, aber auch Israel. Zu den „regionalen Interessenten“, die aber wiederum Konkurrenten untereinander seien, komme, dass man in Syrien einen „internationalen Konflikt“ habe. Nicht etwa weil Syrien besonders reich – etwa an Rohstoffen – wäre. Sondern deshalb, weil das Land ein wichtige geostrategische Lage habe.

Leukefeld: „Und deshalb haben wir einen Konflikt zwischen Ost und West, zwischen Russland und China und den BRICS-Staaten, in diesem Fall Indien und Iran. Und auf der anderen Seite USA und Europa. Und die Golfstaaten.“ Dazu käme eine massive religiöse Aufheizung des Konfliktes. Uns im Westen vermittele sich der Eindruck, es handele sich um einen „innermuslimischen“ Kampf:  den Kampf zwischen Schiiten gegen Sunniten. Alle diese Konflikte seien nach drei Jahren inzwischen „so miteinander verwoben, dass es unglaublich schwierig geworden ist, dort eine Lösung herbeizuführen.“

Karin Leukefeld: „Washington Moskau müssen sich einigen, dass sich ihre regionalen Partner zurückziehen“

Die syrische Opposition – der Konflikt hatte ja zunächst im Lande begonnen – meine inzwischen, der Konflikt müsse international gelöst werden. „Washington Moskau müssen sich einigen, dass sich ihre regionalen Partner zurückziehen“, so Karin Leukefeld.

Historischer Blick auf den Ersten Weltkrieg und den Mittleren Osten

Die Journalistin verwies mit Blick auf  die derzeitige Erinnerung an den Ausbruch des Ersten Weltkriegs darauf, dass dieser „auch in dieser Region des Mittleren Ostens“ begann.  Involviert waren das Osmanische Reich, verbündet mit dem kaiserlichen Deutschland, sowie die Franzosen und die Briten. Nach dem Zerbrechen des Osmanischen Reiches wurden neue Grenzen gezogen. Briten und Franzosen hätten sich damals getroffen, um die jeweiligen Interessensphären auszuloten.

Willkürliche Grenzziehungen – Konfliktpotential für die Zukunft

Und wie so oft (z.B. in Afrika) stehen heutige Konflikte im Zusammenhang mit willkürlichen Grenzziehungen von einst. Gefragt worden sei die betroffene Bevölkerung 1919 nur ein einziges Mal, was sie wolle. Einigkeit bestand darin, dass Syrien und Palästina nicht aufgetrennt werden soll. Und nicht Syrien  nicht unter französisches Mandat komme. Einen Sonderstatus für die Juden sollte es nicht  geben. Darin einig waren sich Christen, Muslime und Juden. Friedenskonferenzen in Paris und in Lousanne, daran erinnerte Karin Leukefeld, haben letztendlich  „exakt das Gegenteil“ dessen beschlossen.

Syrien wurde in der Folge mehrfach geteilt und schließlich Frankreich zugesprochen.

Man kann und sollte das alles nachlesen. Nur so sind heutige Konflikte zu verstehen. Gut zu wissen: Erst 1946 hat sich Frankreich aus Syrien zurückgezogen. Ein Nationalstaat musste sich entwickeln.

Syrien hat seine Bevölkerung immer ernähren können

Das Syrien vor dem Konflikt ist nach Karin Leukefelds Einschätzung ein relativ wohlhabendes Land gewesen. Es gibt kaum Öl.  Gas ist erst vor Kurzem vor der Küste gefunden worden. Wasser ist der eigentliche Reichtum des Landes. Ein fruchtbares Land. Syrien sei ein Agrarstaat gewesen, der seine Bevölkerung immer hat ernähren können. Wasser ist die Voraussetzung für Zivilisation. Die ältesten Zivilisationen, die wir kennen, hätten dort ihren Ausgang genommen und das dem Wasser zu verdanken. Leukefeld: Nicht zuletzt habe auch Europa von diesen Zivilisationen profitiert. Doch das Wasser kommt via Euphrat und Tigris aus der Türkei. Wir erinnern uns: in der Vergangenheit gab es in der Vergangenheit häufig Konflikte zwischen Ankara und Damaskus. Denn Ankara sitzt sozusagen am Wasserhahn Syriens. Und die Türkei hat das ausgenutzt. Durch das  Südost-Anatolien-Projekt und andere türkische Stauddämme  wurde der Durchlauf des Wassers ins Nachbarland Syrien immer wieder verringert.

Enormer Verlust für Syrien: Der Golan

Viele von uns dürften vergessen haben oder unterschätzen, was die israelische Besetzung des Golan (nach dem 6-Tage Krieg) für Syrien bis heute für einen enormen Verlust darstellt. Die Golan-Höhen sind nämlich ein sehr fruchtbares Gebiet mit wichtigen Wasserquellen und Reservoirs. Früher ist ganz Palästina von dort versorgt worden. UN-Resolutionen, die verlangen Israel müsse das Land an Syrien zurückgeben muß, werden bis dato ignoriert. Heute sind die Golan-Höhen für Israel ein sehr beliebtes Tourismusgebiet und nachgerade ein Obstgarten paradiesischer Art und zudem Weinanbaugebiet. Karin Leukefeld denkt, viele Menschen die dort Urlaub machten, sich vergnügten, realisierten  nicht, dass sie sich eigentlich auf syrischem Boden bewegen.

Die große Landflucht führte zu gesellschaftlichen Spannungen

Heute sei das Wasser knapp geworden. Acht Jahre (2000 – 2008) habe es eine große Trockenheit in Syrien gegeben. Viele zu viele Menschen lebten in Syrien. Südlich von Damaskus gibt es nur ein riesige Basaltwüste.

Die Trockenperiode wiederum hatte eine große Landflucht zur Folge. Um die wenigen Großstädte Syriens sind neue „informelle“, Leukefeld sagte, aber auch vom Staat neugebaute Siedlungen entstanden. Trotz allem: Syrien ist nach wie vor Entwicklungsland. Gesellschaftliche Spannungen entstanden. Nach Leukefelds Einschätzung hat auch die syrische Regierung dieser Situation nicht die nötige Aufmerksamkeit geschenkt. Zur Verdeutlichung: Damaskus (die Kernstadt) hat eine Einwohnerzahl von ca. 1,7 Millionen. Um sie herum gibt es Großstädte und kleinere Städte, wo nochmal etwa doppelt so viele Menschen leben. Die wiederum kämen jeden Tag in die Stadt auf der Suche nach Arbeit.

Der  Tod Hafez al-Assads bedeutete eine Zäsur für das Land

Syrien ist eine Brücke zwischen Ost und West, Europa und Asien, zwischen Nord und Süd, zwischen dem Kaukasus und Russland und er arabischen Halbinsel.

Deutlich machte Leukefeld, welch Zäsur  nach vielen vorangegangenen Konflikten der Tod des rücksichtlos regierenden syrischen Präsidenten Hafez al-Assad, der Vater des heutigen Präsidenten, Baschar al-Assad, im Jahr 2000 für das Land bedeutete. Für Karin Leukefeld ist es unstrittig, dass Syrien ein „ganz autokratischer Staat ist“, wo Menschenrechte mit Füssen getreten würden und Demokratie abwesend sei. F#aglos seien Veränderungen notwendig.

Wie kam Syrien in die schwierige Lage von heute?

Mit einem Blick zurück in die Geschichte und auf die jeweiligen Umstände, wollte Leukefeld das kenntlich machen. Eines irretierte die Zuhörer dabei: Karin Leukefeld erwähnte in ihrem Vortrag,  Syrien sei zu Hafez al-Assads Regierungszeit Mitglied des Warschauer Pakts gewesen. Gleichzeitig formulierte die Journalistin richtig, Syrien sei „Mitglied der paktfreien Staaten“ gewesen. Was ja an sich schon im Widerspruch zur vorigen Äußerung darstellte.

Auch mir war eine Zugehörigkeit des Landes zum Bündnis „Warschauer Vertrag“ nicht erinnerlich. Und eine kurze Recherche brachte diesbezüglich auch keine Bestätigung. Allerdings wurde zwischen Syrien und der UdSSR 1980 ein sowjetisch-syrischer Freundschafts- und Kooperationsvertrag abgeschlossen. Zu welchem  es, wie manche Quellen vermuten, eine Geheimklausel gab. Womöglich meinte Karin Leukefeld das?

Syrien war immer ein Brückenstaat und Europa gegenüber offen

Nichtsdestotrotz ist richtig, dass Syrien in der Sowjetunion militärisch, wirtschaftlich und kulturell einen engen Bündnispartner hatte. Auf diese Zeit gehen viele binationale Ehen zwischen zwischen Syrern und Russen zurück. Wer hätte es gewusst? Zur russisch-orthodoxen Kirche existieren sehr enge Bindungen, führte die Korrespondentin aus.

Kulturell und wirtschaftlich jedoch sei Syrien immer auch nach Europa geöffnet – eben ein Brückenstaat gewesen.

Rasante gesellschaftliche Veränderungen durch Baschar al-Assad

Präsident Baschar  al-Assad hat nach Machtantritt rasante gesellschaftliche Veränderungen auf den Weg gebracht. Eine neue Verfassung wurde diskutiert. Karin Leukefeld: „Es gab den Damaszener Frühling 2001 und 2002, wo sich Diskussionsforen in der Öffentlichkeit bildeten.“

Immer wieder gab es Rückschläge. Von Anfang an habe es einen enormen Konflikt zwischen dem politisch „völlig unerfahrenen“ Baschar al- Assad (einem bei dessen Amtsantritt  35-jährigen Augenarzt) „und den Protagonisten des syrischen Regimes, Geheimdienste, der Militärs, die ja teilweise schon unter seinem Vater gedient hatten.  Und den kleinen Baschar al-Assad noch als Kind, sozusagen aus dem  Kindergarten kannten.“

Ein interner Konflikt, „der nicht offen ausgetragen“ worden sei. Dies hätte die Bevölkerung auszubaden gehabt. All das habe einen enormen Gesichtsverlust für Baschar nach sich gezogen. Dennoch habe der Präsident einiges erreicht, beispielsweise „eine Menge Verträge mit der Türkei abgeschlossen  und die Visapflicht abgeschafft“. Eine Fünf-Meeres-Strategie stand dahinter: Alle Staaten die an das Kaspische Meer, das Schwarze Meer, das Mittelmeer, das Rote Meer und den Persischen Golf angrenzten und „miteinander verknüpft sind“ sollten durch Handel und wirtschaftliche Entwicklung und politische Abkommen „miteinander in die Lage versetzt werden, sich zu entwickeln“. Also „etwas ähnliches wie die Europäische Union“. Manche habe das letzlich wahrscheinlich überfordert.

Aber bekanntlich hat sich der türkische Premier später aus Eigeninteresse – einem Traum von  einem neuen Osmanischen Reich? – anders orientiert.

Änderung der Wirtschaftsform erfolgte vielleicht zu rasant

Besonders einschneidend, betonte Karin Leukefeld, habe sich aber die Änderung der Wirtschaftsform in Syrien – von der sozialistischen Planwirtschaft „auf die soziale Marktwirtschaft“ – gesamtgesellschaftlich ausgewirkt.

Die Märkte waren geöffnet: „Da gab es praktisch kein Halten mehr.“

Internet, Satelitenfernsehen, ein neues Bankenwesen mit Geldautomaten vorher unbekannten Checkkarten wurde „innerhalb kürzester Zeit entwickelt“. Eine rasante, wohl zu rasante Entwicklung.

Zugleich erwartete der Westen von Syrien, dass das Land sich in diese Richtung (die Causa Ukraine läßt grüßen!) entscheiden.

Die USA streben gen  Zentralasien

Karin Leukefeld schätzt dazu ein: Der Westen wiederhole immer wieder die gleichen Fehler. Und allen voran die USA, beanspruche Weltmacht Nummer 1 sein und bleiben wolle. Weshalb sie die Kontrolle über die Rohstoffe der Erde müssten. Washington  unternehme alles um seinen Einfluss auszudehnen. Klappe das nicht, so verfahre man eben nach dem Motto: Was ich nicht einnehmen kann, destabilisiere ich.   So verschärfe man politische Konflikte. Beziehungsweise löse  diese aus. Man schaue sich nur die Karte an, bat Karin Leukefeld: Der einzige stabile Staat in der Region sei der Iran. Die USA strebe nach Zentralasien.

Westliche Forderungen nach „humanitären Korridoren“ in Syrien als politisches Druckmittel und Einfallstor für Waffen und Kämpfer?

Syrien sei heute „ein weitgehend zerstörtes Land, in weiten Bereichen ist Krieg“. Es gibt eine Resolution im UN-Sicherheitsrat, wonach alle in Syrien agierenden Parteien aufgefordert werden, humanitäre Hilfe zuzulassen. Auf einer Karte zeigte die Referentin: 15 UN-Organisationen sind im Land aktiv. „Dazu kommen Organisationen des Roten Halbmonds und des Internationalen Kommitees vom Roten Kreuz.“ Syrien hat 13 Provinzen. Überall dort sei die UN vertreten.

Karin Leukefeld fragte, was wohl hinter den Aufrufen in erster Linie an die syrische Regierung stecke, dass sie humanitäre Hilfe zulassen solle. Siebzig Prozent der humanitären Hilfe organisiere die syrische Regierung bzw. syrischen Nichtregierungsorganisationen (es gibt 1400). Als Grund dafür,dass man immer wieder die syrische Regierung für die humanitäre Katastrophe – die es ja wirklich gibt -verantwortlich mache, ist der: Es wird politischer Druck ausübt.

Hilfskonvois haben mit enormen Schwierigkeiten zu kämpfen

Leukefeld führt ein Beispiel dafür an, wie schwer es ist zu helfen. Eine Mitarbeiterin des Deutschen Roten Kreuzes erzählte es ihr: Sie hätten einen Konvoi von 20 bis 40 Lkw mit medizinischen Hilfsgütern, Nahrungsmittel, Decken und Matratzen fertig gemacht. Vor der Abfahrt sind Genehmigungen nötig. Es wird mit der Syrischen Armee geredet. Die geben ihr Okay, allderdings verbunden mit dem Hinweis: da müsse noch mit anderen gesprochen werden. Sie hätten nicht überall Kontrolle. „Die Anderen“, dass sind dann mindestens 17 verschiedene Kampfverbände. Die müsse man erst einmal alle erreichen! Schließlich hatten sie von 16 Kampfverbänden die Genehmigungen. Die siebzehnte Gruppe sah dann, dass sie u.a. Milchprodukte aus Dänemark geladen hatten. „Dänemark“, sagten  die dann, „dass sind doch die mit den Mohammed-Karikaturen? Das kommt nicht in Frage. Ihr kommt hier nicht durch!“

Auch die immer wieder geforderten „humanitären Korridore“ haben ihre Haken. Warum ist Damaskus dagegen? Weil Kämpfer und Munition die gleichen Wege gehen, wie Waffen und Munition und es wäre „eine Missachtung der staatlichen Souveränität“.

Forderung muss lauten: Keine Waffen mehr für Kampftruppen

Stattdessen müsse man ja wohl viel eher fordern, dass die Kampftruppen keine Waffen mehr bekommen. Und verlangen, dass Kämpfer, nicht mehr über die Grenze gelassen werden. Die Türkei spielt dabei eine unrühmliche Rolle. Allein aus Deutschland sind offenbar 300 von Islamisten verführte Jugendliche nach Syrien eingeschleust worden. Und auch aus Syrien geflüchtete junge Menschen werden in der Türkei umgedreht, indem man sie drillt, damit sie „etwas für Land tun“ und sie letztlich als Kämpfer zurückschickt.

„Infam“: Kämpfer kommen über den Golan. Die Weltgemeinschaft tut nichts

Selbst über den Israel besetzten Golan sickerten Kämpfer ein. Das sei „besonders“ infam, meint Leukefeld, weil es ja ein entmilitarisiertes Gebiet sei. Die Syrische Armee darf hier keine Waffen einsetzen. Beobachtet wurde das von der UN und Israel. Karin Leukefeld ist sich sicher, dass der UN-Sicherheitsrat diese ganzen Informationen hat. Leukefeld: „Ich hatte schon 2012 darüber geschrieben.“ Unternommen wurde nichts. Die Staatengemeinschaft schaut zu.

Keinesfalls weiter militärisch agieren

Wie schwierig die Lage auch sei, führte Karin Leukefeld aus, sie zeige: Auf keinen Fall ist ihr militärisch zu begegnen. „Es ist sowieso schon alles aufgeheizt genug.“ Das Land brauche einen Waffenstillstand und die Möglichkeit ihr Land wieder aufzubauen.“

Das Ausmaß der Waffenlieferungen aus Katar, Saudi-Arabien, Jordanien und Kroatien an die Kämpfer wurde durch weitere Ausführungen der Referentin überdeutlich. Die meisten dieser Lieferungen werden per Flugzeuge in die Türkei geliefert und dann von dort nach Syrien geschleust. Beteiligt sind die jeweiligen Luftwaffen. Ein Skandal!

Seymour Hersh: CIA und MI 6 verdeckt in Waffentransporte verstrickt

Gestern sei sein (zunächst auf Englisch) ein sehr interessanter Artikel von Seymour Hersh erschienen. Hersh schreibt, es habe im Januar 2010 eine Vereinbarung gegeben, dass der CIA und der  MI 6 die Waffenlieferungen organisieren. „Geld und Hardware kam aus den Staaten.“ Die nötige Infrastruktur für die Waffentransporte wurden ja benötigt. Das sei verdeckt erledigt worden. Karin Leukefeld: Unsere Medien greifen das leider unzureichend auf. Stattdessen vermittele man, es ginge bei den Kämpfen in Syrien um Demokratie und Freiheit.

Kein Bürgerkrieg in Syrien: ein Stellvertreterkrieg

Aus den zunächst nachvollziehbaren Protesten der syrischen Bevölkerung um den „Arabischen Frühling“ herum, ist nach Aufassung Karin Leukefelds ein Stellvertreterkrieg geworden. Deshalb nennt sie den Syrien-Konflikt deshalb auch nicht „Bürgerkrieg“. Die dabei Involvierten vergössen allerdings quasi syrisches Blut für ihre Interessen.

„Ein dramatisches Bild“: Zweite Nakba

Beeindruckend war ein Foto, das in Yarmouk aufgenommen wurde: Eine zerstörte Straße übervoll von Menschen, die nach Hilfsgütern unterwegs zu einem Checkpoint sind. Leukefeld: „Ein dramatisches Bild.“ Und weiter: „Da haben mal 180.000 Menschen gelebt.“ Das Leben boomte dort, die Mieten waren billig. Im Dezember 2012 wurde das „Lager“ (man nennt es so, weil es 1948 das erste Flüchtlingslager für vertriebene Palästinänser in Syrien war), eigentlich ein Stadtteil von Damaskus., „sozusagen von bewaffneten Kämpfern überfallen.“ Leider sei die Hamas daran beteiligt gewesen.

Innerhalb von zwei Tagen seine 160.00 Menschen von dort geflohen. Freunde von Karin Leukefeld, die dort wohnten, nannten diese Vertreibung aus Yarmouk die zweite Nakba. Nakba, so nennen die Palästinenser die Vertreibung aus ihrer Heimat, die furchtbare Katastrophe ihres Volkes.

Man macht Frieden mit dem Feind

Was wäre in Syrien zu tun? Karin Leukefeld: „Man muss unbedingt dafür sorgen, dass dort die Waffen schweigen.“ Und das erste was getan werden muss, ist dafür zur sorgen, dass keine Waffen mehr ins Land kommen!“ Dringend müsse begonnen werden, einen Dialog zu führen. „Einen Dialog zu beginnen. Man macht Frieden mit dem Feind. Und nicht mit seinem Nachbarn.“ Die Genfer Gespräche, seine immerhin ein Anfang gewesen. Die Syrer hätten angefangen einen Dialog zu führen. Lokale Waffenstillstände seien vereinbart.

Es gebe Vereinbarungen zwischen der Armee und lokalen Kämpfern, so dass Familien wieder zurückkehren könnten. Die politsche Opposition in Syrien sei durch durch die Militarisierung des Konfliktes völlig an die Wand gedrückt: „Heute wollen die Leute nicht mehr Demokratie und Freiheit. Sie wollen Waffenstillstand und ihren Alltag irgendwie wieder bewerkstelligen.“ Wahrlich „eine schwierige Lage“, wie Leukefeld ihren Vortrag beschließt.

Fazit

Ein hochinteressanter, spannender Vortrag, in welcher die bedrückende Lage in welcher sich Syrien befindet, eindrucksvoll geschildert und detailreich erklärt wurde. Noch dazu von jemanden wie Karin Leukefeld, die das Land und den Mittleren Osten seit vielen Jahren kennt und Informationen aus erster Hand liefern kann. Deprimierend dabei daran erinnert zu werden, dass es in Syrien 6 Millionen Binnenflüchtlinge gibt. Und dazu noch einmal 4 Millionen Menschen, die das Land verlassen haben. Dazu: 2012 hatte Syrien eine Bevölkerung von 22,4 Millionen.

„Syrien – hinter den Schlagzeilen“ – der Titel der Veranstaltung war gut gewählt. Und die Referentin hat geliefert. Harte Fakten, die verdaut werden wollen. Der Abend in Herne lieferte abermals den Beweis: Was uns die Mainstream-Medien an Informationen über die Situation in Syrien bislang verkauften, war nicht selten – Ausnahmen bestätigen die Regel – einseitig. Und von den Intereressen des Westens beeinflusst. Wie wir ja nun wieder im Falle der Ukraine erleben müssen.

Karin Leukefeld ist es zu danken, dass – wenigstens für die Besucher der gestrigen Veranstaltung – das Thema Syrien, wieder ins Bewusstsein gerückt wurde. Es war  nicht zuletzt wegen der Ereignisse  in der Ukraine und auf der Krim aus dem Fokus der Medien geraten.  Nach ihrem Vortrag fällt es schwer, nur immer vom Assad-Regime zu sprechen oder davon zu hören. Denn das gibt es so ja nicht. Vielmehr hat man es mit einem System mit vielen Knotenpunkten und unterschiedlichen Interessen zutun.  Zu denken wäre da an die gleich mehreren Geheimdienste und die Militärs.  In der Not halten sie das System zusammen. Weil man wisse: Wenn einer fällt, fällt möglicherweise alles.

Was wird aus  Assad? Leukefeld: Er steht sehr unter Druck. Im Juni stehen Präsidentschaftswahlen an.  „Wenn er sich frei entscheiden kann, dann macht er lieber seine Augenarztpraxis wieder auf.  Er hat aber diese Freiheit nicht mehr zu entscheiden.“ Assad wird also wohl nicht umhin können nochmals zu kandidieren.  Leute in Syrien sagen,  es wäre besser, wenn Assad  weg wäre. Andere meinen, dann würde das Blutbad noch größer.  Karin Leukefeld tendiert zur zweiten Meinung.

Hier ein Vortrag von Karin Leukefeld zu Syrien zum Anhören (in leicht gekürzter Form) via „r-mediabase.eu„.