Alternative Zwangsarbeit: Bei AfD und CDU herrscht asoziale Einigkeit mit Blick auf Kapitalinteressen – beide fordern einen Arbeitsdienst für das Existenzminimum

Von Susan Bonath

In Sachen Corona- und Russlandpolitik gäbe es ohne die AfD im Bundestag kaum noch Kritik daran. In Ostdeutschland mimt diese Partei auf der Straße den Anwalt der „kleinen Leute“. Doch Vorsicht: Das ist sie nicht. Wenn es darum geht, Lohnabhängige gegeneinander auszuspielen, ist sich die AfD mit ihrer großen Schwester CDU sehr einig. Beide fordern eine Arbeitspflicht und weitere Repressalien für künftige Bürgergeld-Bezieher, mithin eine Angst- und Lohndrück-Agenda, die sich gegen alle „kleinen Leute“ richtet. Warum gelingt es der AfD im Gegensatz zur CDU, sich trotz ihrer feindlichen Haltung zur lohnabhängigen Bevölkerung als Opposition zu verkaufen?

Grundsicherung gegen Arbeitsdienst

Die AfD beantragte ihr Anliegen jüngst im Bundestag. So brachte sie es in die Debatte zum neuen Bürgergeld ein, wie Hartz IV ab Januar im „Ampel“-Schönsprech heißen soll. Die drei Punkte im Antrag haben es in sich. So sollen demnach

„1. die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem SGB II (Bürgergeld) für volljährige erwerbsfähige Leistungsbezieher nach einer Karenzzeit von sechs Monaten grundsätzlich an die Teilnahme an der ‚Bürgerarbeit‘ mit fünfzehn Wochenstunden geknüpft werden, soweit nicht bereits eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung mit mindestens zwanzig Wochenstunden besteht.“

Ähnlich preschte der CDU-Wirtschaftsrat — nicht zum ersten Mal — vor: Die Grundsicherung solle es demnach nur noch gegen „gemeinnützige Arbeit“ geben, wie unter anderem der Münchner Merkur berichtete. Mit anderen Worten: Wer sich dem Arbeitsdienst weit unterhalb des Mindestlohns (seit Oktober 12 Euro pro Stunde) verweigert oder dies aus verschiedenen Gründen nicht leisten kann, soll verhungern oder unter der Brücke erfrieren.

Lebensmittelkarten bei Ungehorsam

Die AfD setzt stattdessen auf Erpressung durch Verarmung inklusive Totalkontrolle. Für alle Erwerbslosen, die nicht spuren, also etwa nicht gehorsam „Bürgerarbeit“ nach staatlicher Anweisung verrichten, soll ihrer Ansicht nach

„eine Sachleistungs-Debitkarte für volljährige erwerbsfähige Grundsicherungsempfänger eingeführt werden, mit der als Alternative zu der Gewährung von Barmitteln die Leistungsgewährung in bestimmten Fällen — wie etwa der Verweigerung der ‚Bürgerarbeit‘ — unbar über die Debitkarte erfolgt.“

Jene Partei also, die sich in der Causa Corona vehement gegen autoritäre Bevormundung durch den Staat einsetzt, fordert die — zu Recht — kritisierte, Grundrechte über den Haufen werfende Gängelei der Ärmsten.

Die Slums in den USA voller Menschen, die mit Kind und Kegel mit Essensmarken überleben müssen, lassen grüßen.

Residenzpflicht am Wohnort

Doch das reicht der AfD noch immer nicht. Zusätzlich soll der Staat künftige Bürgergeldbezieher zu einer Residenzpflicht an ihrem Wohnort zwingen — mithin ein komplettes Reiseverbot. So solle

„die Erreichbarkeit für volljährige erwerbsfähige Leistungsbezieher unmissverständlich so geregelt werden, dass die Leistungsbezieher sich grundsätzlich im zeit- und ortsnahen Bereich im Inland aufzuhalten haben, zu einer möglichen Ortsabwesenheit im Ausland eine effektive Kontrolle möglich ist sowie bei festgestelltem Auslandsaufenthalt ohne vorherige Jobcenter-Zustimmung ein Leistungsausschluss für jeden einzelnen Monat mit einem zeitanteiligen Auslandsaufenthalt erfolgt.“

Die Phrase von angeblich massenhaften Auslandsaufenthalten ist bekannt. Sie zielt vor allem auf Migranten und Flüchtlinge ab. Wobei sich tatsächlich wohl niemand, der vom kläglichen Hartz-IV-Salär leben muss, einen Luxusurlaub im Ausland leisten kann. Wenngleich es vermutlich eine unbeachtliche Anzahl von Einzelfällen gibt, die man sich nun heraus picken könnte.

Was die AfD tatsächlich meint, drückt sie zuvor unmissverständlich aus: Betroffene sollen den wohnortnahen Bereich nicht verlassen, damit Jobcenter sie stets sofort zu jedweder Arbeit einsetzen können, die sie sich vorstellen. Eine solche Regel findet sich schon lange in sogenannten Eingliederungsvereinbarungen. Diese Zwangsverträge will die Regierung künftig „Kooperationsplan“ nennen.

Sozialneid schüren

Damit bedienen sowohl die CDU als auch die AfD ein seit Ewigkeiten von der herrschenden Klasse praktiziertes Erfolgsmodell: Sozialneid schüren unter den Ärmsten, um sie vom Widerstand gegen die Verursacher ihrer Armut abzuhalten. Und es zeigt sich, dass es immer wieder fruchtet.

Das hat natürlich Gründe. Es ist kein Geheimnis, dass der gerade frisch auf 12 Euro gestiegene Mindeststundenlohn die grassierende Inflation nicht ansatzweise auffängt. Mit einem Vollzeitjob (170 Stunden pro Monat) kommt man damit auf einen Bruttobetrag von 2.040 Euro, für Alleinstehende mit Steuerklasse 1 macht das weniger als 1.500 Euro netto — ein Witz, der nur zur Unzufriedenheit führen kann. Die gilt es zu kanalisieren.

Darum heizen Politik, Staat und Kapital stets und ständig eine Faulheitsdebatte an. Daran beteiligte sich im August auch die Ruhr-Universität Bochum, wie der Focus berichtete. Es galt wohl, zu beweisen, dass sich selbst Betroffene gar gegenseitig der Faulheit und des Ungehorsams gegenüber der Obrigkeit beschuldigen. So ist es Letzterer ein Leichtes, selbst unbescholten auf Kosten der Lohnabhängigen zu leben.

Maulkorb für Lohnabhängige

Dieser Reflex des Nach-unten-Tretens verkennt viel mehr: Lohnarbeit ist nicht gleich Arbeit. Ohne unbezahltes Ehrenamt, Nachbarschaftshilfe und Familienarbeit würde das System sofort kollabieren. Noch gewichtiger ist die Tatsache, dass sich niedrige Sozialleistungen inklusive scharfer Repressalien letztlich gegen alle Lohnabhängigen in nicht privilegierten Stellungen richten. Sie sind ein Instrument der Angst, Erpressung und Lohndrückerei. Sie sind ein Maulkorb alle Lohnabhängigen.

Denn wer will schon gegen Minilöhne und miserable Arbeitsbedingungen aufmucken, wenn er damit eine Kündigung riskiert und am Ende in einem Zwangssystem aus Arbeitsdienst, Armut und Rundumkontrolle landen könnte? Wer würde als Betroffener gegen verordnete Billigjobs rebellieren, wenn ihm Sanktionen und völlige Verelendung drohen? Der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) machte 2003 keinen Hehl daraus, mit dem repressiven Hartz-IV-System den „größten Niedriglohnsektor Europas“ errichten zu wollen.

Das Erfolgsmodell war garantiert: Auf der einen Seite konnte der Staat Erwerbslose zu fast jedweder Arbeit durch existenzbedrohende Strafen erpressen und so den Niedriglohnsektor mit Personal füttern. Andererseits wuchs die Angst bei Beschäftigten vor einer Kündigung und dem garantierten Abstieg nach nur einem Jahr.

Rechtlos in den Arbeitsdienst

So ein geforderter Arbeitsdienst ist in anderer Hinsicht äußerst problematisch. Wie bereits für „Ein-Euro-Jobber“ dürften für sie keine Arbeitsrechte gelten. Sie müssten schließlich für die Grundsicherung arbeiten. Und, ganz wichtig: Der Staat und seine Institutionen bestimmen, was sie als gemeinnützige Arbeit erachten.

Würden sie die zum Arbeitsdienst Verpflichten beispielsweise in der städtischen Grünanlagenpflege einsetzen, würde mancher sagen, das sei ja noch okay. Doch bereits da beginnt das Problem: Wie viele reguläre Jobs würden Betroffene ohne eigene Schuld damit verdrängen? Ehemals immerhin entlohnte Arbeit könnte im Handumdrehen von einem Heer Zwangsverpflichteter übernommen werden.

Und wäre es wirklich unvorstellbar, dass der Staat und seine Institutionen Betroffene als Masken- oder Impfpasskontrolleure zwangsverpflichten? Oder wenn sie plötzlich Rüstungsproduktion und Kriegsdienst als „gemeinnützigen“ Dienst am Volke deklarieren?

Dass sie ihre eigenen Gesetze nach Belieben auslegen, ist sehr eindrucksvoll seit März 2020 live in Farbe zu erleben, egal, ob es darum geht, allen Menschen die Grundrechte zu beschneiden, Konten von Kritikern zu kündigen oder Ärzte wegen ausgestellter Maskenbefreiungen juristisch zu verfolgen, inklusive repressiver Mittel wie Hausdurchsuchungen.

Ganz allgemein sei anzumerken, dass jede fremdbestimmte Arbeit ein Problem darstellt. Bereits jede Lohnarbeit gehört dazu. Kein abhängig Beschäftigter kann selbst entscheiden, was er produziert und wer es bekommt. Dies tun jene, denen die Produktionsmittel gehören, oder aber eben der Staat als Systemmanager selbst. Wer seine Arbeitskraft verkaufen muss, weil er den Lohn benötigt, muss tun, was ihm befohlen wird, ob im Staatsdienst oder in der Rüstungsproduktion: Viele Jobs dienen offensichtlich nicht den Interessen der Allgemeinheit, auch jene, die von dieser Allgemeinheit über Steuern gesponsert werden.

Partei des nationalen Kapitals

Doch warum wehrt sich die AfD nun — zu Recht! — gegen die Kriegsrhetorik gegen Russland und das totalitäre Corona-Regime, fordert aber zugleich autoritäre Gängelei der Ärmsten durch eben dieses Regime? Die kurze Antwort heißt: Sie ist eine Partei, die die Interessen jenes Teils des nationalen deutschen Kapitals vertritt, dem die aktuelle Politik zugunsten multinationaler Monopole gegen Russland arg zusetzt. Trotz der einen oder anderen Überschneidung sind das eben nicht eins zu eins die Interessen der Lohnabhängigen.

Die Geschichte der AfD stützt diese Einschätzung. Ihre führenden Mitglieder waren zuvor meist in anderen Parteien aktiv, vor allem in der CDU. Das Einführen des Euros war natürlich weiten Teilen des deutschen Mittelstandes, aber auch verschiedenen nationalen Großkonzernen, ein Dorn im Auge. Denn es war ein weiterer Schritt in Richtung globaler Monopolisierung, eine Abkehr von der Vormachtstellung vieler deutscher Industrien, mithin eine Bedrohung des deutschen Kapitalstandorts. Anders ausgedrückt: Der deutsche Imperialismus trat hinter der Macht multinationaler Monopole mit Sitz im US-Imperium zurück.

An der Anti-Euro-Agenda der AfD hat sich bis heute nichts geändert. Sie hat nur ihr Programm erweitert, dies teils sehr widersprüchlich, im Kern aber ausgerichtet auf nationale Souveränität. Der Staat soll ihre Klientel, das nationale Kapital, maximal unterstützen. Sie fordert beispielsweise, Erben großer Betriebsvermögen von der Erbschaftssteuer zu befreien und die seit über zwei Jahrzehnten ausgesetzte Vermögenssteuer komplett ad acta zu legen. Sie fordert aber auch den Verbleib Deutschlands im imperialistischen Militärbündnis NATO, allerdings seien deutsche (Wirtschafts-)Interessen stärker zu berücksichtigen.

Nützliche und nutzlose Untertanen

An die Lohnabhängigen dachte die AfD zunächst gar nicht. Erst vor ihrer ersten Wahl in den Bundestag arbeitete ein Plädoyer für den 2015 eingeführten Mindestlohn ins Programm ein. Sie greift auch Stimmungen in der Bevölkerung auf, die sie mit heroischen Begriffen spickt, wie etwa „deutsche Leitkultur“. Sie verwob dies mit nationalen Konzerninteressen: Migration — die, nebenbei gesagt, nicht zuletzt durch die deutsche und europäische Außenpolitik boomt — sei nur dann zu erlauben, wenn Migranten für Unternehmen nützlich sind. Diese Nützlichkeitsideologie hinsichtlich der Lohnabhängigen durchzieht das gesamte Programm: Leistungsbereit fürs deutsche Kapital möge der hiesige Untertan sein.

Wie einst die CDU trägt nun die AfD das Versprechen, insbesondere im Osten, in die unteren Bevölkerungsschichten: Mehr nationale Souveränität inklusive guter Wirtschaftsbeziehungen zu Russland ist gut für alle. Das stimmt zum Teil durchaus, wenn man die nicht bedachten Opfer der gewöhnlichen kapitalistischen Verwerfungen, darunter Erwerbslose, Niedriglöhner, Kranke, Behinderte, Geflüchtete, Wohnungslose und das Gros der Arbeitsmigranten außen vorlässt.

Der Kern ihrer Interessen aber zielt eben nicht auf ein Wohlergehen der Lohnabhängigen, sondern auf Freiheit für das deutsche Kapital, dem sich die Massen unterwerfen sollen, unter Belohnung von Gehorsam, von den Herrschenden demagogisch „Leistung“ genannt, und Bestrafung von Ungehorsam.

Mit anderen Worten: Für das Kapital nützliche Arbeitskraftverkäufer erhalten Leckerlis, nutzlose zwingt er ins Elend. So erzeugt das moderne kapitalistische System allumfassenden Gehorsam. Auf allseitigen Gehorsam der Lohnabhängigen setzt er sowohl bei den Coronamaßnahmen als auch bei seiner aktuellen Kriegsrhetorik.

Oben und unten

Mein Fazit fällt dementsprechend ernüchternd aus: Eine Vertretung für die am meisten vom System Unterjochten existiert nicht in der großen Politik. Echter Widerstand kann nur von unten kommen, und dies bestmöglich gut organisiert. Problem: Viele wollen sich nicht „unten“ sehen, auch von denen, die es sind. Ketten, die nicht drücken, werden allzu gerne ignoriert.

Das heißt nicht, dass alles Gesagte, alle Vorschläge, Analysen und Anträge, sowohl der Linksfraktion als auch der AfD, sachlich abzulehnen sind. Unzweifelhaft muss alles dafür unternommen werden, die Kriegsrhetorik der Ampel-Regierung, aber auch der CDU und sogar von Teilen der Linkspartei, zu durchbrechen, um einen tatsächlich drohenden großen Krieg in Europa zu verhindern. Genauso wichtig ist der Widerstand gegen die politisch forcierten Gängeleien und Lügen im Zeichen von Corona. Es ist gut, zuweilen Sachargumente vom Sprecher zu trennen. Doch es ist von Vorteil, die damit verbundenen Ziele der Agitatoren im Hinterkopf zu behalten.

Letztlich bleibt zu betonen: Der Kapitalismus ist so widersprüchlich, wie die Interessen der Kapitaleigner denen der Mehrheit der Eigentumslosen entgehen stehen. Die modernen bürgerlichen Demokratien, vielfach nur noch eine Farce ihrer selbst, verfügen über enorme Manipulationstechniken — und gleichwohl über die Mittel, diese umzusetzen. Sie verfügen, im Gegensatz zu „uns“, über einen ganzen Apparat, der vor allem auf einem basiert: Gehorsam durch Lohnabhängigkeit, und zwar bis in die höchsten Ebenen hinein.

Die materielle und ideelle Abhängigkeit der Massen von „denen da oben“ zu durchbrechen, zuvor das Bewusstsein über oben und unten erst einmal in den Fokus zu rücken, ist die aktuelle Mammutaufgabe der Lohnabhängigen dieser Zeit. Weder die AfD noch die Linkspartei will und wird das Problem lösen. Denn dies wäre ein Abschied von ersichtlich mörderischen kapitalistischen Eigentums- und Konkurrenzverhältnissen, von oben und unten, von Herrschaft und Unterdrückung.

In den Grenzen dieser Knechtschaft mag man die Fassade neu anstreichen. Doch Armut, Krieg und Repressionen lauern weiterhin dahinter. Es ist vielleicht nicht die beste Idee, Probleme mit ihrer Ursache zu bekämpfen.

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Fundstück! Nachklapp zur gestrigen Hamburg-Wahl: „Die Demokratie ist zur Formalität reduziert worden“

Blaulicht im Warnschild.
Foto: Thorben Wengert via Pixelio.de

„Guten Morgen, meine Lieben!“

, schreibt mein Facebook-Freund Helmut Lotz heute, „So schön es gewesen wäre, wenn die AfD in Hamburg raus geflogen wäre, so unwesentlich wäre es gewesen. Der Aufstieg des Rechtsextremismus ist ein Phänomen in der gesamten westlichen Welt und ist ein Symptom. In keinem Parlament nehmen Regierungen und Opposition die Interessen ihrer Wähler wahr. Erkannte Probleme werden nicht mehr gelöst. Die Demokratie ist zur Formalität reduziert worden.
Statt den Interessen der Wähler geht es darum, die Kriege der Hegemonialmacht in Osteuropa und der dritten Welt zu finanzieren. Die soziale Marktwirtschaft wurde mit dem selbstzerstörerischen Finanzkapitalismus ersetzt. Die Kriege gehen verloren. Der Abstand zwischen reich und arm nimmt zu. Die Marktwirtschaft zerstört sich. Die Verfassungen werden zersetzt. Und wie gesagt, existenzielle Probleme, wie die Klimakatastrophe, werden nicht mehr gelöst. Die Europäische Union löst sich auf. Deshalb gedeihen Viktor Orban, Matteo Salvini, Donald Trump, die AfD und viele ähnliche Akteure und Parteien.
Das ist nicht überraschend. In den siebziger Jahren war es in der deutschen Gesellschaft Konsens, dass es so kommen müsse. Aristoteles, Thucydides und Plutarch schrieben bereits vor über zweitausend Jahren darüber. Der AfD kommen wir nur bei, wenn die anderen Parteien wieder die Demokratie mit Leben erfüllen und in den Parlamenten die Interessen ihrer Wähler wahrnehmen.“

Mein Kommentar dazu: Wenige, aber auf den Punkt treffende Worte, abseits unsäglichen Gefasels allenthalben, die die momentane Misere, die Ursachen für den schlimmen Zustand, in welchem sich die Demokratie befindet, messerscharf analysieren. Stellen Sie, lieber Leser*innen, diesen Worten nur einmal den ideologischen, rückwärtsgewandten Quatsch entgegen, welchen gestern Norbert Röttgen (CDU) bei Anne Will von sich gegeben hat. Und ihr werdet verstehen. Eigentlich hätte ein Text, wie der von Helmut Lotz, von der Presse, der Vierten Gewalt, ausgehen müssen. Und zwar längst. Sie müssten sagen, was ist …

Quelle: Facebook/Helmut Lotz

Beitragsbild: Foto: Stefan Erdmann via Pixelio.de

Eine Kampfansage an Rechts. Peter Zudeick: Heimat. Volk. Vaterland – Sachlich geschrieben. Sezierung der Begriffe

In diesen Zeiten kann es einen schwummerig werden. In diesem Land macht sich ein Ruck bemerkbar. Aber es ist nicht der Ruck (zu wessen Nutz und Frommen er auch gedacht war), welcher einst vom früheren Bundespräsidenten Roman Herzog gefordert wurde, der durch Deutschland gehen müsse. Es wird schon länger von in der Gesellschaft vorhanden gewesenen und neu geweckten Kräften an einem Ruck gewerkelt. Und zwar an einem Rechts-Ruck. Dieser hier und da 2015 bereits schon wieder leicht im Schwächeln begriffen gewesener Ruck ist erst durch Angela Merkels – sicher humanitär gedacht – geöffneten Arme für tausende in Orbans Ungarn festsitzende Flüchtlinge, welche dann ohne Kontrolle nach Deutschland kamen und ihr trotzig hinterher geschobenes „Wir-schaffen-das!“ wieder befeuert worden. Die AfD hatte endlich ihr zündendes Thema. Und sie zündelte, was das Zeug hielt! Der ins Stocken gekommene Ruck bekam Luft wie ein Feuer, dem es an Sauerstoff gemangelt hatte. Und so wurde die AfD sozusagen in den Deutschen Bundestag gerückt. Alexander Gauland tönte siegesgewiss:

„Da wir ja nun offensichtlich drittstärkste Partei sind, kann sich diese Bundesregierung (…) warm anziehen. Wir werden sie jagen, wir werden Frau Merkel oder wen auch immer jagen – und wir werden uns unser Land und unser Volk zurückholen.“ (Quelle: Bayerischer Rundfunk)

Wer hatte ihnen „ihr“ Land weggenommen? Und woher will Gauland „unser Volk“ zurückholen?

Aufgeheiztes gesellschaftliches Klima, …

In den letzten Wochen verging kaum ein Tag ohne dass der Begriff Flüchtlinge in Presse, Rundfunk, Fernsehen und den neuen Medien nicht vorkam. Da bekommt die ohnehin aufgeheizte Stimmung in der Gesellschaft, die Schwache gegen die noch Schwächeren ausspielt so richtig Nahrung. Kaum stand das Thema Flüchtlinge einmal nicht auf den Tagesordnung, da wurde auch schon eine neue Sau durchs Dorf getrieben: Kindergeldzahlungen an in Deutschland arbeitenden ausländische Eltern, deren Sprösslinge aber in den Heimat, etwa in den EU-Ländern Bulgarien und Rumänien leben. So wird das gesellschaftliche Klima aufgeheizt. Und die Medien tun mit, weil sie nicht genau genug berichten oder zu differenzieren nicht verstehen. Könnte es besser laufen für die AfD? Gauland und Konsorten jagen. Und die Gejagten lassen sich jagen.

Da richtete der damalige Finanzminister Bayerns und jetzige Ministerpräsident dortselbst, Markus Söder, ein „Heimatministerium“ ein. Der jetzige Bundesinnenminister Horst Seehofer, dessen Vorgänger in München, orientierte sich daran und strich das Innenministerium Berlin nun (u.a.) auch zum Heimatministerium an. Nun, wohin das zielt, weiß man. Die Landtagswahlen in Bayern stehen bald vor der Tür. Aber wissen diese im negativen Sinne populistischen Politiker wie Söder in München, der nun auch noch Kreuze aufzuhängen befahl in bayerischen Ämtern, und Seehofer in Berlin nicht, dass die Wähler ihr Kreuz immer beim Original machen?

wo Betrüger, Lügner und Volksverdummer Hochkonjunktur haben

In Zeiten wie diesen haben die „Betrüger, Lügner und Volksverdummer von rechts“ (im Klappentext des Buches „Heimat. Volk. Vaterland) Hochkonjunktur. Peter Zudeick, freier Journalist und Korrespondent für fast alle ARD-Rundfunkanstalten, hat sich in diesem am 1. August 2018 bei Westend erschienenen Buch mit den in dessen Titel vorkommenden drei Worten – welche oft „ideologisch aufgeladen und verkitscht – zu Kampfbegriffen gegen die Idee einer freiheitlichen, humanen, liberalen Gesellschaft“ würden, intensiv auseinandergesetzt. Das Buch trägt den Untertitel „Eine Kampfansage an Rechts“.

Sich von Nazis, die sich bestimmter Begriffen bemächtigt haben, das Sprechen und Denken vorschreiben lassen?

Im Prolog (S. 8) macht Zudeick darauf aufmerksam, dass, wenn es um Begriffe wie „Heimat“ oder „Vaterland“, Traditionen und bestimmte Volkslieder gehe, diese oft eine Neigung hervorriefen, sie „unter Verdacht zu stellen, nur weil die Nazis sich ihrer bemächtigt hatten“. Zudeick: Waren nicht alle alten Volkslieder irgendwie verdächtig, sämtliche Märchen und Mythen, die alten Erzählungen, die Begriffe für Hergebrachtes, die schönen Traditionen? Eben weil die Nazis sie so fabelhaft in ihre Ideologie einbauen konnten und weil sie so merkwürdig gut zu missbrauchen waren?“

Daraufhin gibt der Autor zu bedenken: „Das würde freilich heißen, sich von den Nazis das Sprechen und Denken vorschreiben zu lassen.“ Der Philosoph Ernst Bloch habe als einer der Ersten auf die Gefahr einer solchen Haltung hingewiesen. Und Zudeick zitiert Bloch: „Warum sind die Nazis an die Macht gekommen?“, habe dieser gefragt. Dessen Antwort interpretiert Zudeick, „Aufgrund ihrer erfolgreichen Propaganda. Und die Linken, die Kommunisten zumal, scheiterten im Kampf gegen die Nazis nicht zuletzt wegen ihrer ungeschickten, hölzernen Rhetorik. Das ist Blochs Kernthese.“

Nicht alle Begriffe, derer sich die Nazis bedient hätten, schränkt Zudeick ein, wäre heute so unbenutzbar wie „Blut und Boden“ oder das „Dritte Reich“. Für den Begriff „Führer“ wäre wohl „eine Generationenfrage“ (S. 11). Meint aber: „Für viele ist der Begriff so fest mit der Figur Adolf Hitler verleimt, dass auch da nichts mehr zu machen ist.“

Die AfD sei trotz gewisser historischer Parallelen keine Nazipartei, meint Peter Zudeick

Gewisse Parallelen zur Stimmung in der Vornazizeit was heutiges Geschehen betrifft, nennt Zudeick zwar „offensichtlich“. Es sei aber nicht so, „dass wir es mit einer Wiederkehr der Nazis aus den Dreißigerjahren zu tun hätten“. Möge der Autor da hoffentlich richtig liegen! Sein Beurteilung der AfD: diese sei „insgesamt keine Nazipartei, auch wenn die wenigsten ein Problem damit haben, dass es Nazis in ihren Reihen gibt.“

Verächter der Demokratie“ waren schon immer da. Die Parlamente machen sie kenntlich

Wenn man meine, „dass sich die AfD als dauerhafter Faktor am rechten Rand des politischen Spektrums etablieren wird, dann ist dem nicht zu widersprechen“, stellt Peter Zudeick fest. Man müsse das nicht schrecklich finden: „In gewisser Weise könnte die Bundesrepublik sich damit ehrlich machen. (S. 12) “ Die Verächter der Demokratie seien ja „bislang gerne weggelogen“ worden, „als gehörten sie nicht zu Gesellschaft.“ Zudeick: „Und nun wundert man sich, dass sie immer schon da waren.“ Die Parlamente, könnte man sagen, machen sie kenntlich.

Offenbar vertraut der Buchautor – was die Einhegung der AfD angeht – den Regularien der Parlamente, denen eben auch AfD-Politiker unterworfen wären. So weit so gut. Darauf kann man hoffen. Aber die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Was aber wenn, möchte man da dem Autor zurufen, es der AfD kraft der ihr womöglich einmal zufließenden Macht einmal gelingt die Parlamente stumpf zu machen oder gar abzuschaffen? Ich will da nicht unken.

Peter Zudeick: „Wir können es uns nicht weiter in unserer Schlafwagendemokratie gemütlich machen, sondern müssen ran an den Feind“

Wir müssen aber dennoch konstatieren: Die Demokratie ist ein zartes Pflänzchen, dem schon jetzt die etablierten Parteien allzu wenig Pflege angedeihen ließen und lassen. Im Kapitel „Anhaltendes Bocksgemurmel“ (S. 150) bekennt aber Peter Zudeick immerhin: „Wir können es uns nicht weiter in unserer Schlafwagendemokratie gemütlich machen, sondern müssen ran an den Feind.“

Den Feinden einer humanen Gesellschaft nicht das Begriffs-Arsenal überlassen, mit denen das Volk für dumm verkauft werden soll

Den Prolog zum Buch auf Seite 15 beschließend appelliert Peter Zudeick angesichts der wie auch immer gearteten Feinde einer humanen Gesellschaft und der Demokratie an seine LeserInnen vor allem betreffs der Begriffe Heimat, Volk, Vaterland: „Wir dürfen ihnen nicht das Begriffs-Arsenal überlassen, mit denen das ‚Volk‘ für dumm verkauft werden soll. (S. 15 unten)“

Die penible Erforschung und Durchleuchtung der Begriffe Heimat, Vaterland und Volk

Im weiteren Verlaufe des Buches hat es der Autor in dem Kapiteln „Heimat, süße Heimat ab S. 17)“ und „Süß ist der Name Vaterland“ (ab S. 69) sowie „Das Volk ist nicht völkisch“ (ab s. 91) unternommen die entsprechende Begriffe akribisch zu sezieren, um sie so penibel zu erforschen. Und diese in historisch wie gesellschaftlicher Hinsicht in einzelnen Zeitepochen wie auch in der Literatur einer Durchleuchtung zu unterziehen, um uns damit Erhellung zu verschaffen. All das ist hochinteressant dürfte nicht wenigen LeserInnen Anlass zum Nachdenken geben. Denn wie oft gebraucht man diese beackerten Begriffe ohne genau zu reflektieren, woher sie rühren bzw. hat verstanden, wie sie bewusst von bestimmten Kräften missbräuchlich in Anwendung gebracht worden sind und auch jetzt wieder gebracht werden. Seien wir also künftig aufmerksamer und resistenter, wenn uns aufgeht, dass wir benutzt werden sollen!

Zudeick: Die allerselbstverständlichsten Worte nicht von denen stehlen lassen, die uns missbrauchen wollen

Im Kapitel „Vorläufiger Befund“ (ab S. 139), das den Schweinwerferkegel auch das Gegenwärtige abtasten lässt, tritt Peter Zudeick Mut machend für ein „anderes Signal (S. 143) ein: „Wir lassen uns die allerselbstverständlichsten Worte nicht von denen stehlen, die sie missbrauchen wollen.

Wir führen die Debatte um Worte wie >Heimat<, >Volk< und >Vaterland<, weil es eine um Inhalte ist.“ Sie hätten eine lange Geschichte, „bevor sie nationalistisch aufgeladen wurden“. Die „Nazipropaganda habe diese Aufladung übernommen und verschärft“.

Das Bedienen der Vorstellung wonach das deutsche Volk bedroht ist

Im Kapitel „Anhaltendes Bocksgemurmel“ (S. 155) spielt Peter Zudeick auf den Spiegel-Essay „Anschwellender Bocksgesang“ von 1993 (hier) des Schriftstellers Botho Strauß an. Der damals hohe Wellen schlug. Schon darin wurde, wie Zudeick schreibt, eine Vorstellung bedient, wonach „das >deutsche Volk<, wie auch immer definiert, bedroht sei und sich gegen die Bedrohung behaupten müsse.“

Und merkt Zudeick an: „Von >Blutopfer< (wie bei Botho Strauß; C.S.) wird heute nicht mehr – oder noch nicht wieder – geredet. Aber wenn die Rechtsfront von Volk und Land und Bewahrung redet, dann meint sie genau das.“

Das neue Deutschland hätte auch neue Symbole verdient gehabt, meint Peter Zudeick

Im „Epilog: Wo wir uns finden wohl unter Linden“ macht Peter Zudeick aus seinem Dafürhalten, dass das vereinigte, neue Deutschland nicht nur eine neue Verfassung (wie es der Artikel 146 Grundgesetz vorsah), „sondern auch neue Symbole verdient gehabt“ hätte, keinen Hehl. Zudeick: „Der <<Traditionalismus und sein Beharrungsbedürfnis<< (Theodor Heuss, C.S) haben zum zweiten Mal gesiegt.“ Wieder entschied man sich für die Beibehaltung des Deutschlandlieds als Nationalhymne.

Zudeick „habe damit bis heute große Schwierigkeiten, die meisten meiner Mitbürger offenbar nicht.“, bekennt er (S. 162).

Versöhnlich führt er dennoch aus: „Aber vielleicht könnte man mit Blick auf das Deutschlandlied ein wenig vorsichtiger und differenzierter mit dem Etikett >von den Nazis missbraucht und deshalb unbrauchbar< umgehen.“

Das sachlich argumentierende Buch als Kampfansage lesen und sich dieser anschließen

Das sehr empfehlenswerte und über weite Strecken uns die Augen öffnende Buch, dessen Autor stets sachlich argumentiert, endet mit dem Abdruck von Bertold Brechts Kinderhymne, die auch mal als deutsche Nationalhymne im Gespräch gewesen war, mit allen vier Strophen. Peter Zudeick: „auch wenn – nein, gerade weil! – darin so merkwürdige Wörter wie >Anmut< und >Würde< und >Leidenschaft> und >lieben> und >Völker> im Zusammenhang mit Deutschland vorkommen.“

Man darf davon ausgehen, dass Brechts Kinderhymne für Peter Zudeick die bessere deutsche Nationalhymne gewesen wäre.

Ja, in Zeiten wie diesen kann es einen schon schwummerig werden. Dennoch gilt gerade jetzt: dieses Buch sollte als eine Kampfansage an Rechts gelesen und verstanden werden, der sich recht viele Menschen anschließen sollten.

Peter Zudeick

Heimat. Volk. Vaterland

Eine Kampfansage an Rechts

Erscheinungstermin: 01.08.2018
Seitenzahl: 192
Ausstattung: Klappenbroschur
Art.-Nr.: 9783864891090

18,00 Euro

Neu im pad-Verlag: Aufstand der Massen? Rechtspopulistische Mobilisierung und linke Gegenstrategien

Protest am Heumarkt. Foto via Pixelio.de: Berthold Bronisz

Ein gewisse Empfänglichkeit von Bürgerinnen und Bürgern für rechte Ideologien, einhergehend mit Ausländerfeindlichkeit, hat es in der BRD immer gegeben. Das drückte sich zu bestimmten Zeiten auch an den Wahlurnen in vermehrten Stimmen für die NPD oder Republikaner aus. Doch opportun, rechtsdrehendes Gedankengut öffentlich und in Medien zu äußern war das freilich nach 1945 nicht. Doch verschwunden war es nie. Derlei Gerede blieb zumeist von den alkohol- und rauchgeschwängerten Dunstglocken über Stammtischen gedeckelt oder wurde hinter zugezogenen Gardinen bzw. hinter vorgehaltenen Händen getuschelt. Erst die rassistisch gefärbten, niedergeschriebenen Ergüsse „des geistigen Brandstifters Sarrazin“ (S. 5) machte bislang Zurückgehaltenes bis in bürgerliche Kreise hinein in größerem Maße salonfähig.

Der Schoß war fruchtbar noch

Die Autoren der Broschüre „Aufstand der Massen? Rechtspopulistische Mobilisierung und linke Gegenstrategien“, Peter Rath-Sangkhakorn und Werner Seppmann, halten es allerdings „trotz der großen Zustimmungswelle die Sarrazin auslöste, für eine Fehleinschätzung“ (S.6 oben), dessen „Aktivitäten als ursächlich für die aktuelle Rechtsentwicklung anzusehen“. Vielmehr sei dessen Erfolg „selbst nur Symptom einer mal schleichenden, mal offensichtlichen Rechtsentwicklung seit den ‚Wendezeiten‘.“

Sarrazin habe zunächst verunsicherte, mittelständische Existenzen erreicht. Zugleich aber „ein Publikum weit über die den Kreis einer ‚gefestigten‘ Rechten hinaus“ (S. 6 Mitte) erreicht. Da schon hätten sich „die Konturen eines rechts-populistischen Blocks“ abgezeichnet. Was aber durchaus „keine Neukonstituierung“ dargestellt habe: „Es trat nur zu Tage, was latent schon vorhanden war: Der Schoß war „fruchtbar noch, aus dem das kroch“ (Bert Brecht).

Ursachen der Rechtsentwicklung

Die Autoren arbeiten sehr gut heraus, dass die Ursachen für die Rechtsentwicklung bei weitem nicht allein bei Sarrazin und der heraufgekommenen AfD zu suchen sind. Vielmehr sei das in einer nach 1990 forcierten Neoliberalisierung der Gesellschaft und auch der wiederum damit in direktem Zusammenhang stehenden Finanz- und Weltwirtschaftskrise zu verorten. Entwicklungen, aus welchen die AfD bestens Nektar ziehen konnte. Eine auseinanderfallende Gesellschaft und eine nicht zuletzt durch die Agenda 2010 zunehmende Prekarisierung und die damit verbundene „Produktion“ von immer mehr gesellschaftlichen Verlierern und an den Rand gedrängten, in und von den Jobcentern gedemütigten und gegängelten, Menschen taten das Übrige. Die 2015 nach Deutschland gekommen Flüchtlinge verstärkte die Ängste vieler Menschen. Was der AfD wie gerufen kam. Die AfD bietet scheinbar einfache Lösungen. Das verfängt. Obwohl kaum Menschen das Wahlprogramm dieser Partei lesen. Täten sie es, begriffen deren Wähler, dass diese Partei mitnichten ihre Interessen vertritt.

Linkspartei und Gewerkschaften in der Kritik

Ungeschickt, kritisieren die Autoren, auf die gesellschaftlichen Entwicklungen, wie auf die AfD, reagierten auch Linkspartei und Gewerkschaften. Auf Seite 19 lesen wir:

„Grundsätzlich gilt – und das lehrt die Erfahrung aus den sozialen Kämpfen der Vergangenheit – dass wer den den herrschenden Kräften etwas was abringen will, den Kapitalismus grundsätzlich in Frage stellen muss! Orientiert man sich vorrangig auf die Perspektive des Mitregierens und richtet man seine Politik am Horizont möglicher Koalitionspartner aus, gerät man schnell in den Ruf, selbst zu ‚denen da Oben‘ zu gehören, denen nicht zu trauen ist. Man wird vom Modergeruch des Leichnams Sozialdemokratie affiziert, wenn man glaubt um ‚Regierungsfähig‘ zu werden, in der Friedensfrage (Nato-Mitgliedschaft) oder hinsichtlich des Hartz-IV-Skandals ‚Kompromisse‘ eingehen zu müssen.“

Darüber hinaus wird auf Seite 31 thematisiert, dass es an entsprechenden Informationen fehle, warum es Arbeitslosigkeit gibt und sich gesellschaftliche Armutszonen trotz der ständig in Regierungsmund geführter Aufschwungsentwicklung ausbreiteten.

Doch wer sollte diese Aufklärung der Menschen übernehmen? Viele Menschen seien nicht zuletzt durch den „Hartz-Schlag“ (S. 36), der „eine soziale Abstiegsautomatik installiert“ habe, stigmatisiert und „auf eine schiefe und rutschige Bahn des sozialen Abstiegs gesetzt“. Dieser dem „zugrunde liegende Zwangsmechanismus funktioniert auf der Grundlage der arbeits- und sozialrechtlichen Konterreformen der Schröder/Fischer-Regierung“ reibungslos. Sie bewirkten Armut per Gesetz bedeuteten gleichzeitig auch Diskreditierung per Gesetz.

Die etablierten Parteien haben ihren Anteil an der Entwicklung

Beim Lesen der Broschüre wird klar, dass nicht nur die SPD (Agenda 2010) zusammen mit den Grünen mit ihrer Regierungspolitik, sondern auch die Unionsparteien mittels Äußerungen über die Jahrzehnte hinweg Rechtsentwicklungen zumindest befeuert haben. Beispielsweise wird der bayrische Ex-Ministerpräsident Edmund Stoiber zitiert, welcher einst von einer „durchrassten Gesellschaft“ gesprochen hatte.

Auch müsste die FDP hier genannt werden. Sie kommt in der Broschüre jedoch nicht vor. Guido Westerwelle hat mit Blick auf Hartz-IV-Empfänger in einem Beitrag für die „Welt“ von „anstrengungslosem Wohlstand“ und „spätrömischer Dekadenz “ gesprochen.

Rechtsextremismus auch Antwort auf Unglaubwürdigkeit etablierter Politik

Auf Seite 44 wird herausgearbeitet, „dass der Rechtsextremismus auch eine Antwort auf die Unglaubwürdigkeit der etablierten Politik, auf die Sprachlosigkeit derer Repräsentanten angesichts des elementaren sozialen Wandels und der tiefgreifenden gesellschaftlichen Positionsverschiebungen ist.“

AfD-Wähler hätten dagegen das Gefühl „ernst genommen“ zu werden.

Dazu käme, dass es bei den etablierten Parteien eine „Profillosigkeit gegen rechts“ gebe. Rechtsextreme wie rechts-konservative Parteien hätten „die gleiche schweigende Mehrheit der Deutschen im Auge, die sie für sich gewinnen oder behalten wollen“.

Herauskristallisieren die beiden Autoren auf Seite 53: „Das faschistische Gedankengut wurde in den Nachkriegsjahrzehnten nicht wirklich überwunden, sondern nur verdrängt.“

Und sie zitieren Adorno:

„Was die Menschen sagen, und in etwa auch, was sie wirklich denken, hängt weitgehend vom geistigen Klima ab, in dem sie leben; ändert sich dieses Klima, passt sich sich der eine schneller an als der andere.“

„Eine unmittelbare faschistische Gefahr“ sehen die Autoren indes gegenwärtig nicht. Verbreitete „Skepsis über die Zukunftsfähigkeit des Kapitalismus werde durch die Belanglosigkeit „postdemokratischer“ Politikrituale, die Einbindung des politischen Widerspruchsbegehrens in inhaltsleere Politikinszenierungen neutralisiert“.

Eine Gefahr immerhin wird darin gesehen, dass es („wie vor 1933“) gelingen könnte „Massenprotest umzulenken“ und den „Verzweifelten Orientierungsmöglichkeiten zu bieten, ohne die bestehende Gesellschaftsstruktur zu gefährden“. „Dass sie diese Effekte zu erzielen in der Lage ist, hat die AfD schon jetzt unter Beweis gestellt! Auch 1933 ‚erfolgte die Machteroberung durch die faschistische Partei mit der aktiven Unterstützung oder wohlwollenden Duldung der in der bürgerlichen Demokratie herrschenden Gruppen‘ (K. Kliem/J. Kammler/R. Griepenburg)“.

Warnend geben Sanghkakorn und Seppmann zu bedenken:

„Es ist – gelinde gesagt – naiv, aus dem leidlichen Funktionieren des Verfassungsstaates in einer politischen Schönwetterperiode auf die universale Geltung von demokratischen Prinzipien zu schließen.“

Sie treten damit Jürgen Habermas und dem von ihm gegen Rechts als Abwehrmechanismus ins Feld geführten „Verfassungspatriotismus“. Dieser sei „kaum mehr als die ideologische Spiegelung einer „Wohlstandsgesellschaft“, die ihren Zenit schon lange überschritten hat.“

Partielle Korrekturen reichen nicht. Eine große soziale Bewegung wird gebraucht

Partielle „Korrekturen“ würden an der gesellschaftlichen Situation nichts ändern, heißt es. Wohlhabende müssten „in angemessener Weise an den Gemeinschaftsausgaben beteiligt werden“.

Ein Bollwerk gegen den rechten Formierungsblock könne letztlich nur eine große soziale Bewegung sein, welche mehr als nur Aufklärungsarbeit leiste und deshalb „neue Lebensperspektiven und eine realistische Zuversicht“ vermitteln müsse.

Derweil ist ein große soziale Bewegung – obwohl dazu keine Alternative bestehe -, die das leisten könne nicht Sicht. Ein Verzicht auf überschreitendes Denken, die Unentschlossenheit, die linke Kräfte heute bei der Entwicklung einer sozialistischen Alternative samt gesellschaftsverändernden Konzepten als Voraussetzung ihrer Durchsetzung an den Tag lege, spiele und arbeite den restaurativen Kräfte in die Arme“.

Auf der Rückseite der Broschüre lesen wir:

„Die vor allem unter Rot-Grün forcierte sozialdarwinistische Politik – Stichwort Agenda-Politik – war das neoliberale Treibhaus, in dem der Zustand der Verwirrung und Desorientierung in Politik und Gesellschaft befördert wurde. Das inhumane Weltbild der neuen Rechten stellt die ‚alternativlose‘ Fortsetzung einer visionslos gewordenen Politik dar, die Symptome statt Ursachen und Opfer statt Täter bekämpft.“

Gleichzeitig wirft die Broschüre freilich die Frage auf – bzw. beantwortet diese – warum von den negativen gesellschaftlichen Entwicklungen in Folge eines rücksichtslosen Neoliberalismus nicht die linken Kräfte profitieren.

Unbedingte Leseempfehlung!

Die Broschüre:

Peter Rath-Sangkhakorn/Werner Seppmann

Aufstand der Massen?

Rechtspopulistische Mobilisierung und linke Gegenstrategien

72 Seiten, 5 Euro

pad-Verlag – Am Schlehdorn 6 – 59192 Bergkamen / pad-Verlag@gmx.net

ISBN 978-3-88515-282-8

Dortmund: Cécile Rimboud von Gauche revolutionnaire über den Front National und die politische Situation in Frankreich

Cécile Rimboud (Bildmitte) referierte in Dortmund über den Front National und die aktuelle politische Situation in Frankreich; Fotos (4): Claus Stille

Cécile Rimboud (Bildmitte) referierte in Dortmund über den Front National und die aktuelle politische Situation in Frankreich; Fotos (4): Claus Stille

Der Ökonom Heiner Flassbeck lebt in Frankreich. Einst war er Finanzstaatsekretär unter Minister Oskar Lafontaine, dann Chefökonom der UNCTAD. In Vorträgen und in Presseveröffentlichungen warnte er mehrfach vor der nicht unrealistischen Gefahr, die Chefin des Front National, Marine Le Pen, könnte aus den Präsidentschaftswahlen Frankreichs 2017 als Siegerin hervorgehen (dazu hier und hier). Am vergangenen Freitag war in Dortmund aus berufenem Mund etwas über das Wesen des rechtspopulistischen Front National zu erfahren. Die Dortmunder Linksjugend [’solid] hatte nämlich Cécile Rimbaud, die  Frankreich aktiv in der Gauche révolutionnaire arbeitet, eingeladen.

Der Front National: früher offen faschistisch – heute eher rechtspopulistisch

Die seit zehn Jahren in Paris aktive Cécile Rimboud (26)  berichtete über den Kampf gegen die rechtspopulistische Partei Front National und die aktuelle Situation in Frankreich.
Die Dortmunder Linksjugend dazu im Vorfeld:

„Der Front National (FN) gehört seit den 1980ern zu den stärksten Rechtsparteien Westeuropas. Die früher offen faschistische Partei tritt heute eher rechtspopulistisch auf und hat damit große Wahlerfolge. Bei den Regionalwahlen Ende 2015 wählten 27% FN. Die Partei profitiert von antimuslimischer Stimmung und treibt diese weiter an. Die herrschenden Parteien schaffen es nicht eine Alternative für Mehrheit der Bevölkerung zu sein. Sie betreiben eine Armutspolitik und beteiligen sich selber am Abbau demokratischer Rechte.
Wir wollen diskutieren, welche Lehren wir aus den Erfahrungen in Frankreich für die Auseinandersetzung mit der AfD ziehen können.“

Auf der sehr gut besuchten Veranstaltung im Büro der Linkspartei in der Dortmunder Schwanenstraße wurde seitens der Versammlungsleiterin vom Podium aus zunächst eingeschätzt, dass die AfD momentan – entgegen auch mancher Meinung in der LINKEn – nicht als faschistisch, wohl aber als „rechtspopulistisch mit in Teilen faschistischen Zügen“ einschätzen müsste.

Cécile Rimboud: Das Programm der AfD entspricht eher der Agenda des  FN unter Jean-Marie Le Pen

Die Referentin notiert sich die Fragen der jungen Leute.

Die Referentin notiert sich die Fragen der jungen Leute.

Cécile Rimboud, die in Englisch referierte und ins Deutsche übersetzt wurde, hielt den Zeitpunkt für diese Veranstaltung für gut ausgewählt. Zumal derzeit in Europa nahezu überall rechte Kräfte einen Aufstieg erlebten. Die Aktivistin ist der Meinung, dass es zwischen dem FN, der bei den Regionalwahlen 2015 um die 27 Prozent holte und der AfD, die beim Umfragen zuletzt bei 13 Prozent lag, einen großen Unterschied gebe. Man müsse sich jedoch genau anschauen, wie die hohen Zahlen beim FN zustande gekommen seien. Der FN habe knapp 6 Millionen Stimmen geholt. Was als ein Rekordergebnis gelten kann. Schon einmal habe es in Vergangenheit solch Situation gegeben. Und man habe gemeint, der Faschismus stehe vor der Tür. Indes das trat nicht ein. Cécile Rimboud  glaube auch aktuell nicht an diesen den Eintritt dieses Falls. Schließlich sei die hoch erscheinende Zahl von 27 Prozent im Verhältnis zur Wahlbeteiligung zu betrachten. Es müsse von 15 Prozent der Wahlberechtigten ausgegangen werden. Die FN-Wählerschaft bestehe vorwiegend aus Bürgerinnen und Bürgern vom Land. Unter Jugendlichen und Arbeitern erhalte der FN dagegen kaum Unterstützung. Im zweiten Wahlgang zu den letzten Regionalwahlen habe sich schließlich die Befürchtung, der FN könne ein oder zwei Regionen übernehmen nicht bestätigt. Wenngleich die Partei nun einige Regionalräte stelle.

Viele Menschen seien im Gegensatz zum ersten Wahlgang beim zweiten zahlreicher an die Urnen geströmt, um den FN zu verhindern. Zustrom erhalte der FN vor allem, weil er sich – seitdem Marine Le Pen Parteichefin ist – verstärkt als soziale und Kümmererpartei darstelle. Und vorgebe die Interessen von Armen und Arbeitern zu vertreten. Sowie als Antiestablishment-Partei stets gegen die Brüsseler Bürokratie wettere. Dagegen, meinte der Gast aus Paris, entspreche das Programm der AfD eher dem FN unter dem Vater von Marine, Jean-Marie Le Pen, eher dem früheren Vorsitzenden der Partei. Der FN habe sich den heutigen neoliberalen Bedingungen immer stärker angepasst. Selbst die alte Forderung, aus dem Euro wieder auszutreten und den Franc wieder einzuführen, höre man kaum noch vom FN. Vielmehr wolle Le Pen wohl sozusagen den Cameron machen und Sonderbedingungen für Paris aushandeln. Da inzwischen auch rechtskonservative Parteien auf rassistische Inhalte setzen, konzentriere sich der FN nun stärker auf soziale Fragen. Inzwischen verträten ja etwa die Gaullisten Themen, wie Grenzschließungen und die Abwehr von Migranten, die einst dem FN zuzuordnen waren. Infolgedessen greift der FN auf andere Themen zu und biete sich als Protestpartei an. Neuerdings werden sogar Fotos von ausländische aussehenden Menschen auf Plakate gedruckt, um den Eindruck von Fremdenfeindlichkeit vergessen zu machen.

Der Front National muss demaskiert werden: In Wahrheit steht er auf der Seite der Kapitalisten

„Der FN bleibt vom Kern her reaktionär“, führte die Referentin weiter aus. Etwa beim letzten Bahnstreik heuchelte die Partei Verständnis für die Lohnforderungen der SNCF-Beschäftigten, erklärte jedoch das Streiken quasi für böse. Wie passe das zusammen? Diese Diskrepanzen vermeintlichem Anspruch und wirklichem Tun strenge sich Gauche révolutionnaire an, gegenüber der Öffentlichkeit, sichtbar zu machen. Der FN müsse demaskiert werden. In Wahrheit stehe dieser nämlich auf der Seite der Kapitalisten. Hinter dessen sozialen Forderungen stehe im Grunde außer purer Propaganda nichts. Der FN spricht gegen das Streikrecht und hat nicht nur für den von Präsident Hollande verhängten Ausnahmezustand gestimmt, sondern unterstützt gar Forderungen diesen für dauerhaft in der Verfassung zu verankern. Werden FN-Leute in Stadträte gewählt, bedienten diese zuerst ihr eigenes Klientel. Und erhöhten die Gehälter ihrer Freunde im Verwaltungsapparat. Auf kommunaler Ebene betreibt der FN auch Sozialabbau. Das einst kostenlose Kantinenessen einer Gemeinde wurde kostenpflichtig gemacht, die kostenlose Verpflegung armer Kinder abgeschafft.

In einer anderen Stadt ließ der FN-Bürgermeister Hightech-Überwachungskameras im Rathaues installieren, die sogar den Inhalt der von Mitarbeitern geschriebenen SMS oder Whatsapp-Nachrichten erfassen könnten.

Die soziale Situation in Frankreich macht die Stärke des Front National aus

Es kamen überdies jüngst Skandale, die FN-Führung betreffend, heraus. Marine Le Pen etwa hat Fehler bei ihrer Steuererklärung gemacht. Nun muss sie 355 000 Euro Strafe zahlen. Als Aktivisten müssten sie Wählerinnen und Wählern immer wieder geduldig erklären, so der Gast aus Paris, dass der FN deren Interessen tatsächlich überhaupt nicht vertrete. Die anderen Parteien versäumten das nämlich. Die verpassten der Partei im Grunde nur das Prädikat „böse“. Die soziale Situation in Frankreich mache die Stärke des Front National aus. Die Sozialistische Partei und Präsident Hollande hätten u.a. mit Kürzungen im Öffentlichen Dienst und Einschränkungen beim Arbeitslosengeld sowie dem Propagieren von Rassismus zu Verschlechterungen beigetragen. Cécile Rimboud: „Menschen werden gegeneinander ausgespielt. Eine große relevante Opposition, die dagegen antritt, gibt es nicht. Das ist schrecklich.“

Gauche révolutionnäire ruft zur Gründung einer neuen linken Partei auf

Das Infoblatt des Gauche revolutionnaire.

Das Infoblatt des Gauche revolutionnaire.

Die Front Le Gauche (Linksfront) hatte bereits vor dem ersten Wahlgang erklärt in der zweiten Runde die Sozialisten (PS), die Regierungspartei, zu unterstützen. Cécile Rimboud  zeigte sich davon überzeugt, dass, wenn es in Frankreich eine wirklich starke linke Kraft gäbe, der Front National viel weniger an Zulauf erhielte.

Aus dem Grund ruft Gauche révolutionnaire zur Gründung einer neuen linken Partei auf. Die müsse sich gegen die zunehmende Spaltung der Gesellschaft und gegen Rassismus engagieren. Der FN wende sich immer, wenn es Widerstand gegen Sozialabbau aufflamme, letztlich gegen die Interessen der davon Betroffenen.

Massenbewegung gegen geplante Verschlechterungen im Arbeitsrecht könnte den AfN schwächen

Zum Schlüssel, den FN zu schwächen, könne der Kampf der gegen ein Gesetzesvorhaben der Regierung werden, das Arbeitsrecht sehr beschneiden soll, meint Cécile Rimboud. Dagegen läuft momentan eine Massenbewegung in Frankreich, die mit einer Online-Petition begonnen habe, welche schon 650 000  Menschen unterschrieben haben. Der AfN habe nämlich dazu bis jetzt keine Entgegnung gefunden.

Die mögliche neue linke Partei hätte eine demokratische sozialistische Gesellschaft ins Werk zu setzen. Mit dem Ziel, die Spaltung innerhalb der Bevölkerung zu überwinde. Eine gerechtere Gesellschaft, in der kein Oben und Unten mehr existiert.

Kluge Fragen kluger junger Leute im Anschluss

Auf dem Vortrag folgte eine Fragerunde. Von den anwesenden klugen und gut informierten jungen Leuten sind sehr kluge Fragen gestellt worden. Eine der Antworten aus dem Mund des Gastes aus Frankreich darauf: „Immer wenn der FN stark in Umfragen war, dann in Zeiten von verstärkten Klassenkämpfen.“ Ergo: Nehmen die Klassenkämpfe zu, schwächt dies den FN. Gehen die Klassenkämpfe zurück, schnellen die Werte der Rechtspopulisten wieder in die Höhe. Die Kommunisten (PCF), beklagte der Gast, hätten sich oft an Bündnissen beteiligt, dann allerdings die Oppositionspolitik zugunsten von Regierungsbeteiligungen aufgegeben. Das habe auch dem FN dazu verholfen, sich als einzige Oppositionspartei zu gerieren. Weil habe glaubhaft gemacht werden können, dass man sich nicht an irgendwelchen Hinterzimmergesprächen beteilige.

Ob es zur Bildung von linken Bündnissen komme, hänge davon ab, ob die ins Auge gefassten Arbeitsrechtsverschärfungen durchkämen.

Cécile Rimboud: FN hat keine Chance bei den Präsidentschaftswahlen 2017.

Marine Le Pen räumt Rimboud  keine Chance bei den Präsidentschaftswahlen 2017: „Der FN schafft das nicht.“ Es sei denn, es komme zu großen Klassenauseinandersetzungen. Und die Gewerkschaften würden extrem geschwächt. Auch müsse bedacht werden, dass alle Umfragen vor der letzten Regionalwahl mit vorhergesagten hohen FN-Werten am Ende nur in die Irre geführt hätten.

Das Bild, so antwortete die Referentin auf eine weitere Frage, des FN habe sich nur gewandelt, weil er fast alles tue, um Wahlen zu gewinnen. Dafür ist ihm sogar ein Migrant auf dem Wahlplakat gerade gut genug.

Die Lage in den Banlieues und die Angst vor islamistischen Terrorismus oder den Einfluss dessen auf Proteste und Demonstrationen wollte Cécile Rimboud nicht dramatisieren.

Einer der jungen Teilnehmer der Veranstaltung beklagte die europaweite Schwäche linker Kräfte. Und wollte sogar deren – letztlich doch selbstverschuldeten – sinkenden politischen Einfluss auf die Gesellschaften auf lange Sicht nicht ausschließen. Gerade die vor dem Hintergrund der Fluchtbewegungen in unsere Länder und den in diesem Kontext nun aufbrechenden Diskussionen, wollte ein weiterer junger Mann als Momentum sehen. Das Linke jetzt unbedingt nutzen sollten, um an Einfluss zu gewinnen, um Veränderungen anzustoßen. Gewerkschaften sollten mit ins Boot geholt und europäisch gedacht werden. Werde die AfD stark und komme gar in Regierungen, müssten Gewerkschaften und Linke möglicherweise mit einer Unterdrückung rechnen, befürchtete ein anderer Diskussionsteilnehmer.

Aufruf zum Finale der interessanten Veranstaltung: „Werdet politisch aktiv, wenn ihr es nicht schon seid!“

Der "Werbeblock" am Ende der Veranstaltung für kommende Aktionen in Dortmund.

Der „Werbeblock“ am Ende der Veranstaltung für kommende Aktionen in Dortmund.

„Wenn man als linke Partei die Möglichkeit hat Leute auf die Straße zu bringen, dass aber nicht tut, sei das kriminell , aber wenn man aber eine rechte Partei hat, die Leute auf die Straße bringt und man nicht dagegen auf die Straße geht, dann ist das noch krimineller“, merkte Cécile Rimboud  an und rief diejenigen auf die es noch nicht sind: „Werdet politische aktiv!“ Den Gästen der interessanten Veranstaltung in Dortmund brauchte man das gewiss nicht zu sagen. Aber Vielen in unserer Gesellschaft muss man das zurufen. Und vielleicht noch hinterdrein: Bleibt nicht länger Schlafschafe oder Sofademokraten! Man könnte es auch so sagen: Wer nicht handelt, wird behandelt.“ Der Ausspruch stammt zwar von Rainer Barzel, einem einst strammen CDU-Mann und als Oppositionsführer bissig-bösen Widersachers des sozialdemokratischen Bundeskanzlers Willy Brandts, dessen Sachbuch so heißt. Aber ist er deshalb gleich weniger wahr?

Um noch einmal auf den eingangs erwähnten Heiner Flassbeck zurückzukommen: Sicherlich wäre auch der froh, wenn Cécile Rimbouds Einschätzung 2017 einträfe und der FN und Marine Le Pen bei den Präsidentschaftswahlen 2017 keine Chance hätten. Doch beim derzeitigen bedenklichen und von Tag zu Tag immer bedenklicher werdendem Zustand der EU und dem Fall der immer so hoch gehaltenen europäischen Werte wird es einem doch mulmig. Was ist, wenn die EU zerbricht und etwas später – wie Heiner Flassbeck befürchtet auch noch der Euro fällt? Rechte und nationalistische Bewegungen würden noch rapider Zulauf erhalten fröhliche Urständ feiern!

Aber wir wollen keine Schwarzmalerei betreiben. Wir Europäer (und Demokraten!) sollten tun – zu was Cécile Rimboud in Dortmund zum Abschied aufrief: Politisch aktiv werden. Wer nicht kämpft, hat bekanntlich schon verloren.