Buchempfehlung – Wolfgang Bittner: „Die Heimat, der Krieg und der Goldene Westen“. Ein packend erzähltes deutsches Lebensbild

Wolfgang Bittner, in Göttingen lebende Schriftsteller und Publizist, ist mir in den vergangenen Jahren vor allem als kritischer und brillant analysierender und sachlich argumentierender politischer Kommentator aufgefallen. Dass ich ihn nun durch sein jüngstes Buch „Die Heimat, der Krieg und der Goldene Westen“ als Romancier wahrnehmen durfte ist eine wirkliche Bereicherung! Obwohl mir wenig Zeit zum Lesen zur Verfügung stand, nutzte ich die verbliebene, abgezwackte, um immer wieder in Bittners Roman abzutauchen. Die darin erzählte Geschichte ließ – die Schilderung der Lebenswelten der um Buch vorkommenden Protagonisten ließen – mich einfach nicht los.

Als Leser hinein gesogen in eine vergangene Zeit, lebt man quasi die Lebensumstände einer deutschen Familie in Oberschlesien mit durch

Derart hinein gesogen in den Roman und eine Zeit, von welcher man durch Geschichtsunterricht und diversen Dokumentationen, anderen Büchern und Spielfilmen vieles zu wissen glaubt, packte – ließ mich ein ums andere Mal nur schwer wieder los.

Schon steckte man in einer Landschaft, Oberschlesien, einer geografischen Gegend fest und lebte quasi das Leben des Romanpersonals mit als gehöre man im weitesten Sinne zu deren Familien.

Man erlebt als Leser die Lebensumstände einer relativ gut situierten deutschen Familie und deren Zeitgenossen in Oberschlesien anfangs der 1940er Jahre, dem Kohlerevier und Industriegebiet. Ein Landstrich, der damals unter dem geografischen Begriff „Ostdeutschland“ verbucht gewesen war. Zunächst ist noch alles gut. Auf dem Land gibt es Hirschbraten, Kaffee und Kuchen. Klappentext: Im Volksempfänger spricht Adolf Hitler von Siegen. Doch immer öfters heißt es: „…für Führer, Volk und Vaterland gefallen.“

Das Kind versteht nicht alles um ihn herum passierende, reimt sich aber einiges zusammen

Wiedergegeben, erinnert, wird das Leben der Menschen, dieser deutschen Familie, via der vom Autor „das Kind“ genannten Person (mit fortgeschrittenem Alter Junge genannt). Da Kind, geboren in einer gutbürgerlichen Familie in Gleiwitz. Was dessen Augen und Ohren so mitbekommen haben, erfahren wir LeserInnen. Das Kind, welches vieles sieht und manches aus den Mündern der Erwachsenen hört – jedoch so einiges davon nicht oder noch nicht verstehen kann. Aber einiges sich zusammenreimt.

Geschichtsstunden am laufenden Band

Das ist Zeitgeschichte pur! Geschichtsstunden am laufenden Band. Gleiwitz im Jahre 1943. Spannend erzählt. Politische Umstände – teils auf vergangenen geschichtlichen Ereignissen fußende brisante Gegensätze – werden kenntlich und die Verhältnisse der damaligen Zeit, sowie das dazu gehörige gesellschaftliche Klima werden plastisch gemacht. Debatten in der Gastwirtschaft es Großvaters. Auch Schlägereien zwischen Grubenarbeitern und SA-Leuten finden dort statt. Kommunisten werden zusammengeschlagen. Will man nicht selbst in so etwas hineingeraten, hält man lieber den Mund. Dem Naziregime nicht genehme Leute werden von der Gestapo abgeholt und tauchen schwer verprügelt – wenn überhaupt – wieder auf. Man hört, es gebe Konzentrationslager. Juden „verschwinden“. All das Erzählte wiederum geht Verbindungen mit den eignen Geschichtskenntnissen ein und vermag so den eignen Geschichtshorizont durchaus hier und da noch mit Aha-Effekt zu erweitern.

Das Unheil, der Weg in die Katastrophe nimmt seinen Lauf

Im Westen Deutschland hagelt es Bomben. Doch bald schon wird auch Oberschlesien vom Krieg ereilt. Die Hölle des Krieges naht mit der näher rückenden Front. Und damit auch die Rote Armee. Die gehen mit den deutschen Feinden, die ihr Land verwüsteten und so viele Familienmitglieder und Freunde massakriert haben nicht gerade zimperlich um. Schlimm. Aber verständlich: 27 Millionen Tote hat Hitlerdeutschland in der Sowjetunion auf dem Gewissen. Es erfolgen Angriffe auf die Häuser des Ortes. Dass dies bange erlebende Kind inmitten der vom ihm erspürten Angst der Erwachsenen. Tante Franziska wird von einem sowjetischen Soldaten vergewaltigt. Das Unheil, der Weg in die Katastrophe nimmt seinen Lauf.

Im Detail tief berührend, beschreibt Wolfgang Bittner die Vertreibung aus Oberschlesien

Schließlich übernimmt Polen 1945 die Verwaltung der deutschen Ostgebiete. Euphemistisch auch „Umsiedlung“ geheißen beginnt die Vertreibung von Millionen Deutschen. Unter ihnen die Mutter und das Kind. Nur wenig Gepäck dürfen die Menschen gen Westen mitnehmen. In stinkenden Güterwaggons und später auch auf Dächern nur sporadisch fahrender Züge geht es schweren Herzens weg von der Heimat. All dies beschreibt Wolfgang Bittner im Detail tief berührend, dass man als Leser meint, unmittelbar dabei zu sein.

Schwerer Neubeginn im Westen

Endlich kommen Mutter und Kind hungrig der norddeutschen Stadt an, wo der Vater schwer verwundet im Lazarett liegt. Sie sind mitten in den unerbittlich eiskalten Steckrübenwinter von 1946 geraten.

Die zusammengeführte Familie muss mehrere Jahr in einem Barackenlager wohnen. Die aus dem Osten vertriebenen Menschen müssen erleben, dass sie vor Ort in Norddeutschland nicht willkommen sind. Sie werden nicht nur skeptisch beäugt, sondern auch mit Schimpfworten wie „Polacke“ und „Rucksackgesindel“ bedacht.

Der Junge muss nicht nur in der Schule erleben, dass einstige Nazis in der von den Alliierten verordneten Demokratie nur eine Wende vollzogen haben. Schon wieder sitzen sie auch an anderen Hebeln der Macht. Als sei nichts geschehen.

Das Kind, die Familie muss die erlittenen Wunden überwinden. Die Mutter agiert zunehmend selbstbewusster. Sie hat führt regelmäßig einen „Salon“, welchen sie in der provisorischen Wohnküche ins Leben gerufen hat. Dort wird mit Nachbarn und anderen interessierten Leuten über Gott und die Welt kontrovers disputiert und debattiert.

Wirtschaftswunder und Kalter Krieg

Den Menschen geht es zunehmend besser. Mit der Währungsreform und der Gründung der BRD (die DDR gründet sich später in Folge) wird die Spaltung Deutschlands zementiert. Dabei hatte doch Stalin vorgeschlagen, ein vereinigtes, aber neutrales Deutschland, zu ermöglichen. Konrad Adenauer wird von den Alliierten unterstützt mit nur einer Stimme Mehrheit Bundeskanzler. Hans Globke, Mitverfasser und Kommentator der Nürnberger Rassegesetze, darf unter Adenauer Chef des Bundeskanzleramtes werden

Das sogenannte „Wirtschaftswunder“ kommt ins Rollen. Davon profitiert auch die Familie des Jungen. Aber gleichzeitig wird – vor allem von den USA – der Kalte Krieg befeuert. Die von den Westalliierten abhängige BRD ist Frontstaat zur DDR, respektive zur Sowjetunion, dient als gefülltes Schaufenster für die DDR-Bürger. Die Sowjetunion ihrerseits hat das Sagen über die DDR hat. Wieder einmal – nach Hitler – ist die Sowjetunion das Feindbild. Und heute? Daran wird man beim Lesen von Bittners Roman erinnert: ist es schon wieder Russland der aufgebaute Feind. Mit Putin, der ständig dämonisiert wird.

Was war, worum es ging. Wolfgang Bittner hat auch wacker gegen „Gedächtnislöcher“ angeschrieben

Es ist gut, dass Wolfgang Bittner in seinem Roman den damaligen Geschichtsverlauf, die bestimmende Politik, mittels des von ihm erzählten Lebens seiner Protagonisten eingebettet hat, um zu verdeutlichen, worum es ging. Manches ist heute nämlich vergessen, bzw. vergessen gemacht, damit die bevorzugten Narrative auch stimmen. In anderem Zusammenhang sprach Ex-DDR-Kundschafter Rainer Rupp („Topas“) in einem Interview von einem „Gedächtnisloch“. Das passt auch hier. Die „gerittenen“ Narrative wiederum bestimmen auch das Heute wieder auf vermutlich verhängnisvolle Weise – wie sich denken lässt. Sagen wir mal so: Da wird dem Leser doch einiges klar, was möglicherweise hinter einer geschickt aufgebauten Nebelwand verborgen wurde.

Der Großvater als Vorbild des Jungen. Auch wird einer werden, der niemals aufgeben wird

Der Junge besucht einen Großvater bei Göttingen. Der ist Lehrer und hat nachdem er im Oberschlesien der Nazizeit den Schuldienst verlassen musste wieder eine Stelle an einer Schule gefunden. Der Junge hat ihn besucht. Im Zurückdenken hat der Junge „den Großvater vor Augen, wie er im Wilhelm-Busch-Dorf aufs Fahrrad steigt und ihm zuruft: ‚Banausen und Spießbürger, wohin man blickt’“ (S.351). Der Junge versteht: „Auch einer von denen, die niemals aufgeben, denkt der Junge.“ Man versteht, was ihn künftig beschäftigen wird, worin er seine Aufgabe sieht. Aus dem Traumatisierungen der Vergangenheit und dem im Jetzt in der Nachkriegszeit Erlebten wird er seine Schlüsse ziehen. Es wird ihm ums Aufklären der Menschen zu tun sein, die nicht so denken wie er.

Er ist mit sich im Reinen. Läuft „den hellen Sandweg entlang durch die grünen Felder und in den schattigen Waldweg hinein.“ Und so schließt denn das Buch auch: „Das Herz ist leicht, der Kopf so frei, und unabhängig. Um ihn her der herrliche, der duftende, blühende Wald. Und alles, alles ist gut.“

Unbedingte Leseempfehlung!

Wolfgang Bittner bislang als Romancier nicht wahrgenommen zu haben, bedauere ich. Aber man kann ja nachholen. Ihm ist mit dem hier besprochenen Buch ein lebendiges, packend geschriebenes Geschichtsbuch gelungen. Unbedingte Leseempfehlung! Als Leser wird man von der ersten Zeile in die schönen wie die schlimmen Erlebnisse der vorkommenden Personen förmlich hinein gesogen und damit sozusagen Seite für Seite mit fortgetragen. Muss man dann den Lesefluss doch einmal unterbrechen, greift man bei nächster sich bietender Gelegenheit dann doch bald abermals zu Bittners hervorragend geschriebenem Roman und verschwindet alsbald in ihm, um zu wissen, wie es weitergeht. Schön, dass man dabei dann doch das „Draußen“ – die Gegenwart – nicht vergisst. Sogar daran erinnert wird. Gedankenblitze lösen Bittners Zeilen immer mal wieder aus. Denn, dass heute „alles, alles gut“ ist, lässt sich nun beileibe nicht behaupten …

Nebenbei bemerkt fühlte ich mich beim Lesen von Bitters hervorragendem Roman an die Trilogie „Der Irrtum“ von Lutz Jahoda erinnert. Dort werden exzellent von Jahoda beschrieben ähnliche Sachverhalte verhandelt. Aus dem Klappentext: „Gegen das Vergessen, für Vernunft, Toleranz, Menschlichkeit und Freundschaft. Heimliche Schutzengel waren Ausgesperrte in Hitlers Reich, und die irdischen Vertreter dieser Gattung hatten Seltenheitswert. Augenzeugen werden bald aus dieser Welt sein. Lutz Jahoda- einer unter den Letzten- erzählt die spannende Geschichte des Josef Vzor, seiner Söhne, Freunde und Feinde in einer Zeit, die kein Erbarmen kannte und dennoch heimliche Inseln der Güte und Liebe hatte.“ Mehr über „Der Irrtum“ hier auf meinem Blog.

Titel:

Die Heimat, der Krieg und der Goldene Westen

Untertitel:

Ein deutsches Lebensbild

Autor:

Wolfgang Bittner

Genre:

Roman

Aufmachung:

Gebunden mit Schutzumschlag

Umfang:

352 S.

Erscheint am:

25. März 2019

ISBN:

978-3-943007-21-3

Preis

21,90 €

Buchempfehlung: „Lustig ist anders“ Ein deutsch-amerikanisches Lesebuch von Lutz Jahoda und Reiner Schwalme (Zeichnungen)

Das Cover des Buches (via Lutz Jahoda).

Es ist eine Binse. Menschen sind äußerst vergesslich. Politik nutzt diese Vergesslichkeit nicht selten aus. Von der Einheitseuphorie 1990 erfasst, wurde von den Menschen manches im Eifer des Gefechts nicht bedacht und vieles nicht bemerkt. Aber es gibt immer Zeitgenossen, die sich vielleicht kurzzeitig täuschen lassen, jedoch bald schon bemerken, dass da etwas schief läuft. Lutz Jahoda, Schauspieler, Entertainer, Sänger, Moderator und Autor – vergangenen Juni feierte er seinen 90. Geburtstag (hier) – ging Zeit seines Lebens wachen Auges und mit geschärftem Gehör durchs Leben. (Ich empfehle meinen LeserInnen dessen Autobiografie und die Romantrilogie „Der Irrtum“.) Das Multitalent dürfte einstigen DDR-BürgerInnen zwangsläufig eher bekannt sein als den Menschen jenseits der Elbe, im Westen Deutschlands. Letztere sollten Nachholbedarf anmelden.

Ein deutsch-amerikanisches Lesebuch

Nun – in Sorge wegen politisch bedenklicher und gefährlich zu nennender gesellschaftlichen Entwicklungen hierzulande wie in der Welt – hat Lutz Jahoda abermals ein Buch verfasst. Es trägt den Titel Lustig ist anders: Ein deutsch-amerikanisches Lesebuch. Politpoesie und Prosa von Lutz Jahoda“.

Es enthält 447 unterhaltsame, auf- und (hoffentlich!) zu eigenem Handeln anregende informative und einige Polit-und andere Schweinereien in Erinnerung rufende Seiten Politpoesie und Prosa aus der Hand Lutz Jahodas, mit 91 den Nagel krachend auf den Kopf treffender Zeichnungen des 80-jährigen Reiner Schwalme (Eulenspiegel). Eigentlich sollte der Titel wohl „Lustig war gestern“ (mit Fragezeichen von Schwalme drüber) lauten. Doch man fand diesen Titel eine „anfechtbare Behauptung“: „Wann war es jemals durchgehend lustig in Deutschland?“ Entweder bereits aus eigener Betrachtung heraus selbst erkannt oder erst nach der Lektüre des Jahoda-Schwalme-Buchs in Auge und Hirn gesprungen: 27 Jahre nach der sogenannten Wiedervereinigung der beiden Deutschländer muss konstatiert werden: Lustig ist anders. Und wir als LeserInnen dürfen uns am Ende des Buches, uns dabei ehrlich machend, fragen: Wurde aus vergangenen Fehler etwas gelernt?

Statt eines Vorworts“, heißt es ziemlich am Anfang des Buches erläuternd:

„Reime mit und ohne Häme,

einfach nur Politprobleme:

Unmut, metrisch gebündelt.

Denn weder die Jungen

und erst recht nicht die Alten

hätten es jemals für möglich gehalten,

dass Deutschland noch einmal zündelt.“

Darauf umseitig folgend eine treffliche Illustration mit einem auf einen Handrücken gestützten, nachdenklichen Reiner Schwalme im Selbstporträt, die alle derzeitigen Übel als Kranz um ihn herum anzeigt: Aufrüstung, Kriege, Finanzkrise, IS-Terror, Neonazis, Ohnmacht, Protest und Aufruhr – mit mittig untendrunter einer Merkel, die statt der obligatorischen Raute ein Fragezeichen in Händen hält. Bombig!

Ja, viele DDR-Bürger ahnten es anfangs nicht:

Der Kapitalismus sah, kam und siegte ohne Rücksicht auf Verluste peu á peu. Deshalb für mache Menschen unbemerkt. Er konnte das, weil das Gegensystem, welches – wie Westgewerkschafter sich noch erinnern – bei Tarifverhandlungen immer imaginär mit am Tisch gesessen hatte, war erledigt (worden). Jetzt konnte der Kapitalismus wieder ungeniert Raubtier sein. Jahoda bekennt:

„Es stand schon einmal besser um David gegen Goliath. Da war eine Menge versemmelt worden, noch ehe Gorbatschow sich von Reagan übertölpeln ließ. Das System, mit dem wir es seit der Wende zu tun haben, trägt das aus den USA importierte keep smiling oberflächlicher Herzlichkeit vor sich her, das sich allerdings rechnen muss. Ist dies nicht der Fall, und geht es gar um höhere Beträge, kann das Lächeln schnell einfrieren und das Herz zu Stein werden.

Die Welt weiß, was 1989 in Berlin geschah. Was sie nicht weiß, dass ein Land und dessen jubelnden Bewohner mit Bravour über den Tisch gezogen wurden.“

All das nachdem, wie der Autor des Buches weiter hinten notierte nach dem Aufbegehren der Menschen in der DDR, „angeregt durch Gorbatschows Glasnost und Perestrojka und angeregt durch Honeckers Widerstand“ (…), „Schabowski, der unterbelichtete Unglücksvogel“, der Schieflage einen entscheidend letzten Tritt mit seiner Fehlmeldung einer sofortigen Grenzöffnung für alle Bürger der DDR (versetzt hatte), und Helmut Kohl wurde der Lorbeerkranz des Einheitskanzlers aufgesetzt.“

Und Lutz Jahoda zitiert einen Betroffenen, der später äußert:

„Während ich noch begeistert das Bundesfähnchen schwenkte, hatten die mir schon das Oberleder von den Schuhen geschnitten.“

Einst wirklich Gutes an der DDR sei rasch diffamiert und delegitimiert worden. (Wir erinnern uns: der damalige Bundesjustizminister Klaus Kinkel hatte sogar eine „Delegitimierung der DDR“ als „Unrechtsstaat“ verlangt.) Während von den Bundesdeutschen vergessen worden sei – wie wir Seiten später lesen werden – „mit welch übler Ansammlung an Unrecht der Bonner Bundesstaat Deutschland seinen Anfang nahm“ (Gründung des BND mit CIA-Hilfe, bestückt mit Angehörigen der SS, des SD und der Gestapo sowie Hans Globke (Kommentator der Nürnberger Rassegesetze) zum Staatssekretär des Bundeskanzleramtes zu machen. Auch wirtschaftlich habe es um die DDR besser gestanden, als man in der Presse zu lesen und von der Politik zu hören bekam. Und warum, fragt Jahoda: halte man die wirklichen Einheitskosten bis heute unter Verschluss?

Lafontaines Empfehlungen wurden in den Wind geschlagen

Oskar Lafontaines Empfehlungen, so der Autor, seien seinerzeit während dessen Krankenhausaufenthalt nach einem Messeranschlag auf ihn, in den Wind geschlagen und somit das wirtschafts- und sozialpolitische System der BRD ad hoc der DDR übergestülpt worden. Jahoda:

„Bumm, Radetzky, sagte ich und sah mich bald einig mit Lafontaines späteren Worten, dass Wahrheit nicht immer populär sei, und dass die Vernunft die Einheitseuphorie unterschätzt und die ins Feld geführten Argumente überschätzt habe.“

Währungsreform in den Westzonen, Blockade Westberlins und der Marshall-Plan

Lutz Jahoda erinnert an einen für die Entwicklung der beiden deutschen Staaten nicht unerheblichen Vorgang: An eine via Rundfunk verkündeten Währungsreform für die drei westlichen Besatzungszonen:

„Von Montag an, dem 21 Juni 1948 werde nur noch die die DM als allein gültiges Zahlungsmittel gelten.“

Kurz danach habe zwar auch die sowjetische Besatzungszone reagiert, „allerdings nicht mit jenem Geld dienen“ können, das in den USA für die Westdeutschen gedruckt worden war.“ Ein Missverhältnis habe sich ergeben und die Blockade Westberlins sei erfolgt. Die Amerikaner reagierten mit der Versorgung der Frontstadt mit Lebensmitteln und Heizmaterial aus der Luft. Daraus sei nicht zuletzt „jene Dankbarkeitsbindung“ entstanden, „die sich für das vereinigte Deutschland nachteilig auswirkt“. Wir finden auch einen Hinweis im Buch darauf, dass der berühmte Marshall-Plan alles andere als uneigennützig für Washington war.

Eine „Elegie Ost“ beinhaltet eine „Kurzbeschreibung christlich-demokratischer Einverleibung“:

„Wir hätten es eigentlich wissen müssen,

und wenn schon nicht wissen so zumindest erahnen.

Wir verkauften unser reines Gewissen

für hundert Mark West

Und Discounter-Bananen.

Ein Vierteljahrhundert danach wird

erhoben:

Zu tadeln sei nichts – nur noch zu loben,

gemäß Weisung der

Zeitungskonzerne.

Noch gibt es den Euro,

da bückt man sich gerne

und besonders tief vor jenen ganz oben.“

Thematisiert wird auch das Über-den-Tisch-Ziehen von Gorbatschow

Jahoda: „Längst weiß die Welt, dass Gorbatschows Entgegenkommen am 31. März 1991 purer Leichtsinn war.“ Die bedingungslose Auflösung des Warschauer Paktes und der Abzug der auf DDR-Gebiet stationierten sowjetischen Besatzungstruppen, „während die USA und die NATO sich schamlos osterweiternd ausdehnte“. Jahodas bitteres Fazit:

„Gorbatschows Versäumnis hat Wladimir Putin gegenwärtig auszubaden.“

Eine bedenkliche Entwicklung wird Punkt um Punkt nachgezeichnet

Der Autor zeichnet die nahezu von Jahr zu Jahr seit 1990 sich immer bedenklicher gestaltende Entwicklung bis in unsere Tage nach. Die düstere Adenauer-Zeit, die Flick-Affäre, schwarze Kassen und der widerliche Trick mit den angeblichen jüdischen Vermächtnissen bei der CDU und deren Spendenaffäre. Und den LeserInnen wird es von gelesener Zeile zu gelesener Zeile wie Schuppen von den Augen fallen: das läuft auf eine mögliche Katastrophe hinaus. Danach, so Jahoda sei mit Angela Merkel, als unbescholten geltende „aus dem Osten und damit frei von allen Sünden des Westens“ zur CDU-Chefin gemacht worden. Die dann fünf Jahre später Bundeskanzlerin wurde. „So nahm ein neues Elend seinen Lauf“, lautet das treffliche Urteil Lutz Jahodas. Europa, dichtet er ist „Auf schiefer Bahn“, sei „schäbig auf- und abgestiegen zum Dienstobjekt der Vereinigten Staaten!“ Kriege – auch mit deutscher Beteiligung – wurden wieder möglich.

Arm und Reich driftet immer mehr auseinander. Das für Deutschland eigentlich so wichtige gute Verhältnis zu Russland ist ruiniert und auf Kalten-Kriegs-Niveau. Doch selbst da war es besser: Man denke nur an die Entspannungspolitik der Regierung Brandt, die Kohl einst sogar fortsetzte. Müssten – so leuchtet’s achtungblinkend einen aus den Zeilen des Buches heraus an – Deutschland und seine Medien nicht endlich ihre Blindheit gegenüber den Kriegsverbrechen der Vereinigten Staaten (Rationalgalerie) aufgeben und die auferlegte „beschämende Untertänigkeit“ aufgeben? Und das Zitat von Noam Chomsky will im Buch versammelt auch zum NachDenken animieren: „Die USA sind ein Schurkenstaat, und Europa ist extrem rassistisch.“

Manchem mag es vielleicht zu viel des Guten sein. Lutz Jahoda zitiert sehr oft Ulrich Gellermanns Internetplattform RATIONALGALERIE, wo er selbst hin und wieder kommentiert. Jedoch ist dort nun einmal wirklich oft Interessantes, Standpunktfestes, zu lesen, das den Rezipienten bereichert. Andere  LeserInnen könnte bemängeln, dass das Buch Kritik an der DDR weitgehend ausspare. Nun, das wäre wohl zu ausufernd geworden. Zumal doch in diese Richtung vieles aus bekannt vorausgesetzt werden kann. Wo Jahoda die bedenklichen Wahlerfolge rechtspopulistischer Parteien in Europa thematisiert, ist ihm ein Fehler bei Geert Wilders (Partij voor de Vrijheid) unterlaufen. Er verortet den Blondschopf in Belgien, dieser aber ist Niederländer.

Das Buch ist weiten Teilen durchaus ein Geschichtsbuch

Es porträtiert auch die gewesenen Bundespräsidenten. Wie lehrreich! Man vergisst ja bekanntlich schnell. Alle wichtigen Ereignisse bis dato – Untaten und Sauereien eingeschlossen – sind darin zu finden. Auch wird kein Hehl daraus gemacht, dass die Redaktion Tagesschau aktuell vermehrt journalistische Fauxpas begeht. Etwa Bestimmtes weglässt, somit vergessen lässt, was wie Jahoda in „Unschuldswalzer“ reimt, (…)„ist leichter als Lügen/Totschweigen schwächt den Verdruss!/Schweigen! Schweigen!/Was nicht erscheint, spart Verdruss!/Schweigen! Schweigen!/Kein Kommentar, Punkt und Schluss!“ Auch die Tagesschau bekommt noch gehörig auf den Hut. Sowie ARD-Korrespondentin Golineh Atai mit ihrer verzerrten Ukraine-Berichterstattung.

Ein Sack voll Interessantem ist im Buch zu finden. Hier kann und soll nur ein wenig davon gestreift werden. Auch um munter dazu zu animieren, dass Werk zu lesen.

Ich verspreche: man mag es, einmal aufgeschlagen, eigentlich kaum wieder aus der Hand legen.

Gewiss gibt es jede Menge Sachbücher, wo sich ähnliches wie in diesem – nur ausführlicher – Beschriebenes finden lässt. Doch die Kunst dieses Buches bzw. die dessen Autors nebst last but not least dessen Mitstreiters Schwalme besteht darin, in Kürze und in fesselndem, durchaus – trotz bitterer Tatsachen – auch in humorvoll-satirischer Form den Kern des zu transportierendem Inhalts zu vermitteln. Und vieles zusammenzufassen. Was erkennen lässt, wie Michael Lüders in anderer Hinsicht zu sagen pflegt: Alles hängt mit allem zusammen. Klar auch, dass noch Trump und das Elend und die Hintergründe für den Syrien-Krieg beleuchtet und einer Beurteilung unterzogen wird.

Gegen Ende des Buchs gibt es ebenfalls noch eine „Kummervolle Vorausschau auf das deutsche Wahljahr 2017“

Worin der Verwunderung Ausdruck verliehen wird, warum, obwohl 90 Prozent der Deutschen keinen Krieg wollten, 90 Prozent Parteien wählen, die gegen Kriegseinsätze nichts einzuwenden haben. In der Tat: Warum wählen viele Menschen gegen ihre Interessen? Und zwar nicht nur Kriegs- auch in wirtschaftlichen und sozialen Fragen.

Vorläufiges, traurig stimmendes Fazit im Buch:

„Das Elend politischer Dummheit ist groß.

Der Schaden lässt sich nicht leimen.

So werde auch ich das Gefühl nicht los:

Die Mehrheit wählt falsch. Was mach ich bloß?

Und weiß darauf nichts mehr zu reimen.

???“

Doch der Autor besinnt sich zu guter Letzt, will die LeserInnen nicht in depressiver Stimmung zurücklassen:

„Ja, die Fragezeichen sind berechtigt, und Nein so darf Geschichte nicht enden. Dass wir wieder einmal an Georg Büchner erinnern müssen, ist traurig, aber notwendig.

Zu Darmstadt im Sommer 1834, notierte er:

Friede den Hütten! Krieg den Palästen!“

Und Jahoda zitiert daraus. Nimmt das Zitat als „ein Schlusswort, das Herz und Verstand streichelt.“

An meine LeserInnen: Unbedingt zur Lektüre empfohlen! Und weiterempfehlen.

Ja, es ist ein Binse: Menschen sind vergesslich. Das Buch ruft vielleicht verschüttete Erinnerung zurück. Gut so.

Das Buch

Rückseite des Covers von „Lustig ist anders“ (via Lutz Jahoda).

Lustig ist anders

Lutz Jahoda/Zeichnungen Reiner Schwalme

Paperback

448 Seiten

ISBN-13: 978-3-7448-3766-8

Verlag: Books on Demand

Erscheinungsdatum: 14.06.2017 26,90 €, E-Book 9,99 €

Lutz Jahoda, alles Gute weiterhin! Das künstlerische Multitalent feierte seinen Neunzigsten

Das neueste Buch ist auch bereits angekündigt. Hier ist die Vorderseite des Covers abgebildet (via Lutz Jahoda).

Gleich wird es hektisch“, schrieb Lutz Jahoda gestern auf Facebook. Denn gewiss hatte er viele Gäste zu erwarten. Am gestrigen Sonntag bei hoffentlich herrlich-sommerlichem Wetter.  Zum neunzigsten Geburtstag des geistig stets jung gebliebenen Multitalents, das wie ehedem vor lauter Elan sprüht.

Geschichtsvergessenheit ist das Schlimmste

Geschichte gilt ja Vielen als etwas arg Trockenes. In der Schule ist es Pflicht. Das Fach wird irgendwie hingenommen. Und Viele lassen nach dem Verlassen der Schule Geschichte oft Geschichte sein. Derweil schreiben, machen und werden dieselben Menschen – oft ohne sich dessen bewusst zu werden – selber (zu) Geschichte. Geschichtsvergessenheit ist gewiss das Schlimmste, was daraus erwachsen kann. Schlimmer noch, wenn dann Geschichtsvergessene in verantwortliche Positionen gelangen.

Keine Zukunft ohne Vergangenheit

„Nur wer die Vergangenheit kennt, hat Zukunft“, schrieb Wilhelm von Humboldt. Später präzisierte, offenbar darauf aufbauend, Hans-Friedrich Bergmann: „Wer die Vergangenheit nicht kennt, kann die Gegenwart nicht verstehen. Wer die Gegenwart nicht versteht, kann die Zukunft nicht gestalten.“

Und beim Philosophen und Schriftsteller George Santayana heißt es schließlich:

„Wer die Vergangenheit nicht kennt, ist gezwungen, sie zu wiederholen“.

In Brünn (Brno) geboren

Lutz Jahoda kennt seine Vergangenheit gewiss. Lutz Jahoda wurde am 18. Juni 1927 in Brünn (Brno), Tschechoslowakei geboren. Gewesenen DDR-Bürgern dürfte der Schauspieler, Entertainer, Sänger und Autor mit Sicherheit ein Begriff sein. Menschen aus den Altbundesländern hingegen werden den vielseitigen Künstler, dessen Familienname Jahoda im Tschechischen das Wort für

Rückseite des Covers von „Lustig ist anders“ (via Lutz Jahoda).

Erdbeere ist, eher weniger kennen. Ein Verlust, wie ich meine. Was sich ändern ließe. Lutz Jahoda hat auch mehrere Bücher verfasst.

Eines davon kam mir erst jetzt unter die Hand. Warum geriet mir Jahoda als Buchautor erst so spät in die Hände? Der Titel „Up & Down“, Nervenstark durch ein verhunztes Jahrhundert“ (erschienen bei edition lithaus) war für mich in doppelter Hinsicht eine Premiere: Es war nämlich zugleich mein allererstes e-book.

Jahoda ist nicht nur ein vielseitiger Entertainer allererster Güte, sondern gleichzeitig auch ein hervorragender Autor. Dies muss dem Brünner sozusagen von Anfang an im Blut gelegen haben. Verständlich, dass Jahodas früher Berufswunsch Journalist gewesen ist.

Biografisches

Doch zunächst machte Lutz Jahoda eine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann. Dann ergab es sich, dass er über Kontakte zu Feuerwehrleuten, die als Brandwache an einem Theater seiner Heimatstadt Dienst taten, als Kleindarsteller zur Bühne. Lutz Jahoda erhielt 1944 an den Kammerspielen seine erste Sprechrolle. Und zwar an der Seite von Hilde Engel. Der Mutter von Frank Elstner.

Jahoda war im August 1945 nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges in Wien mit der Familie Elstner zusammengetroffen. Bei Erich und Hilde Elstner nahm Lutz Jahoda privat Sprechunterricht. Schon 1946 zog er mit den Elstners nach Berlin. Statt eine Reporterstelle anzutreten nahm Jahoda einen Rollenangebot des Theaters am Nollendorffplatz an. Wie der Zufall so spielt! Alles über die Karriere diese Künstlers finden Sie hier.

Böhmisch-österreichisches Lebensgefühl

Als Schüler in Halle an der Saale war der erste von Lutz Jahoda gesungene und von einem Radiogerät namens „Potsdam“ (mit magischem Auge, das

ich liebte) wiedergegebene Titel, den ich zu hören bekam: die „Blasmusik von Kickritzpotschen“. Später hörte ich ihn noch oft mit anderen Titeln im Radio, von der Schallplatte sowie verfolgte dessen vielen , Aufritte im Fernsehen (z.B. „Lutz und Liebe“). Jahoda strahlte dort aber auch in Filmen ein böhmisch-österreichisches Lebensgefühl aus, das ich schon früh zu lieben begonnen hatte. Man denkt dabei an Schwejk und Wiener Schmäh. Dieses Lebensgefühl, transportiert über Jahodas Aussprache und Gesang mit dem entsprechend darin wohltönendem Idiom korrespondierte für mich mit anderen Stimmen. Etwa der des Schauspielers Fritz Eckardt. Welche ich aus Krimi-Hörspielen, die ich im Österreichischen Rundfunk hörte, kannte. Oder später dann – gesprochen von mir auf Deutsch, aber mit jenen ganz gewissem Akzent, auf meine Fragen antwortenden Menschen – bei Besuchen der tschechoslowakischen Hauptstadt Prag, die den nämlichen Klang verlauten ließen. Den ich nach wie vor so liebe.

Geschichte, gar nicht staubtrocken

In „Up & Down“ berichtet Lutz Jahoda aus tschechoslowakischen-österreichischen Zeiten. Aus Brünn, seiner Heimatstadt. Von seiner Kindheit und Jugend. Was der Autor da präzise aus der Erinnerung erzählt ist gelebte Geschichte. Und die kann – wenn wir uns dafür interessieren – heute absolut lehrreich und hoch spannend sein. Immerhin ist sie von einem unmittelbaren Zeitzeugen so persönlich, detailreich und lebhaft nacherzählt. Daran ist nichts Staubtrockenes. Wie es uns zumeist aus Geschichtsbüchern entgegen stiebt. Auf das wir uns gelangweilt abwenden. Ganz im Gegenteil! Lutz Jahoda zieht uns, so gekonnt und fesselnd wie er es versteht (mit Geschichtskenntnis versehen und als früh politisch Denkender) spannend zu schreiben, mit jeder Zeile in sein Leben, mitten in die Geschichte (im Doppelsinne) hinein. Jahoda pflegt einen Schreibstil, der einen vom ersten Wort an begeistert. Ich gestehe: Wäre die Zeit dafür gewesen, das Buch hätte ich ohne es zwischendurch zuzuklappen in einem Rutsch ausgelesen!

Wir erfahren darin viel über das Verhältnis von Tschechen und Deutschen. Und bekommen eine Vorstellung darüber, wie Europa auf den Ersten Weltkrieg zusteuern konnte und später der Zweite Weltkrieg entfacht werden könnte. Lutz Jahoda, der ja erst nach dem Ersten Weltkrieg geboren wurde, hat dazu – wie man über Zeilen hinweg spürt – akribisch recherchiert. Mit Blick auf die aktuelle Lage könnten wir daraus durchaus unsere Lehren für die unmittelbare Gegenwart und erst recht: die Zukunft ziehen!

„Sie wurden mit schwachen Nerven in ein starkes Jahrhundert hineingeboren, Herr Lutz“, sagte die entnazifizierte Wahrsagerin, als sie mir in Wien aus dem Kaffeesatz eines Großen Braunen Vergangenheit und Zukunft zu deuten versuchte.“

So hebt Lutz Jahodas „Up & Down“ an. mit einem „Rückblick“.

Der Autor begann daran „im Jahr 2010“ zu schreiben „unter jungen Menschen, von denen man meinen könnte, nichts mehr wissen zu wollen von der Misere der vergangenen einhundert Jahre, weil die ersten neun der Zweinullreihe längst schon wieder neue Sorgen bereiten. Also ist es nicht verkehrt, die Enkelinnen und Enkel den Erkenntnissatz des griechischen Philosophen Aristoteles wissen zu lassen, dass bereits im Anfang die Hälfte des Ganzen liegt.“ (Kapitel „Rückblick“)

Daran anschließend zitiert Jahoda aus dem „Ahlener Programm“ der CDU:

Das kapitalistische Wirtschaftssystem ist den staatlichen und sozialen Lebensinteressen des deutschen Volkes nicht gerecht geworden. Darum kann Inhalt und Ziel dieser sozialen und wirtschaftlichen Neuordnung nicht mehr das kapitalistische Gewinn- und Machtstreben, sondern nur das Wohlergehen unseres Volkes sein. Die neue Struktur der deutschen Wirtschaft muss davon ausgehen, dass die Zeit der unumschränkten Herrschaft des privaten Kapitalismus vorbei ist.“

Und auf den einstigen DDR-Staatsratsvorsitzenden Walter Ulbricht anspielend, der das nach Jahodas Meinung nach auch nicht hätte schöner sagen können, schreibt Jahoda: dass dem „der folgende Satz des Ahlener Programms so nicht über die Lippen gekommen wäre:

dass vermieden werden müsse, den privaten Kapitalismus durch den Staatskapitalismus zu ersetzen, weil dies noch gefährlicher für die politische und wirtschaftliche Freiheit des Einzelnen wäre.“

Ähneln sich die Muster?

Das vorausschickend erinnert der Autor an Börsenkrach vom 24. September 1869 und den „Schwarzen Freitag“ des Jahres 1929, dem nächsten Zusammenkrach der Finanzen. Und kommt dann Zeilen weiter zum Vorspiel des Ersten Weltkriegs zurück. Zu den beiden Kaisern, den deutschen und den österreichischen, notiert er: „Volksnah ausgedrückt: Der eine Kaiser war beknackt, der andere Monarch senil, beide waren in Ängsten um ihr Reich, und brauchten einander.“

Dieses Kapitel ist betreffs der im Ersten Weltkrieg gipfelnden und den ihm vorauslaufenden Ereignissen sehr zu empfehlen.

Kurz nimmt der Autor abschweifend auch die Tatsache in Betracht, dass am 15. Februar 2003 „weltweit neun Millionen Menschen auf die Straße gingen, um Bedenken gegen das vorschnelle Vorgehen der Herren Bush junior, Donald Rumsfeld und Tony Blair anzumelden.“ Dennoch sei „am 20. März 2003, ohne offizielle Kriegserklärung“, der Angriff auf den Irak gestartet worden.

Und hat auch nicht vergessen, dass der SPD-Politiker Struck meinte, „dass Deutschland am Hindukusch verteidigt werden müsse.“ Ähneln sich die Muster?

Tappen wir, ließe sich, das daraus lernen: so immer wieder in neue Kriegsfallen? Geschichtsvergessen?! Vernunft nicht walten lassend?

Geschichtliches und Biografisches atemberaubend-spannend geschrieben

Der folgende, komprimierte aber hochinteressante Reise, Buchzeile um Buchzeile, durch die Geschichte – zu welcher Jahoda einlädt, lässt beim Leser manches Licht auf- , jedoch auch etliche rote Warmlampen angehen. Betreffend geschichtlicher Entwicklungen und politischer Fehlentscheidungen und Irrationalitäten. Wir lernen, wie im Kapitel 3: „Geschichte hat keinen Rückwärtsgang“. Könnten, so wir es denn wollten für die Gegenwart daraus Lehren und für die Zukunft einige Schlüsse ziehen, um erneute Fehler zu vermeiden.

Selbst Michael Curtiz taucht in Lutz Jahodas zuweilen atemberaubend-spannend geschriebenen Buch auf. Der, damals noch den Namen Mihály Kerzész tragend – aber schon im Filmgeschäft werkelnd – hatte sich nämlich in Jahodas Tante verguckt. Da war Lutz Jahoda freilich noch nicht geboren.

Und schon sind wir von den Fotos aus der Zeit her angekommen in der Welt der 1920er Jahre Wiens.

Nicht minder interessant das Kapitel 5 „Money, Money, Money! Der Rundfunk wird geboren, aber ich bin immer noch in der Warteschleife“

Begierig liest man sich voran. Man meint wirklich in die jeweilige Zeit des aufkommenden neuen Mediums hineinversetzt zu sein.

In „Kurze Zeit Heimat“, lässt der Autor einleitend Erich Kästner zu Worte kommen:

„Wer das, was schön war, vergisst, wird böse.

Wer das, was schlimm war, vergisst, wird dumm.“

Dessen eingedenk schreibt Jahoda mitreißend nun vermehrt seine bewusst selbst erfahrenen (Lebens-)Geschichte fort.

Sechs Jahre müsse den Emigranten aus Deutschland die Tschechoslowakei „paradiesisch vorgekommen sein“, lesen wir:“ keine Braunhemden, kein Siegheilgebrüll, keine körperliche Bedrohung durch SA-Schläger, keinen nächtlichen Überraschungsbesuch mit dem Ruf an der Wohnungstür. „Aufmachen! Geheime Staatspolizei!“ Das war dann 1938 vorbei.

Chamberlain hatte erklärt, die deutschen Minderheit werde im Sudetenland von den Tschechen unterdrückt, hatte damit aber nur nachgeplappert, was Hitler ihm auf dem Obersalzberg eingeredet hatte.“

In Wirklichkeit jedoch begab sich das Gegenteil: Fensterscheiben von Amtsgebäude wurden zerschlagen „und tschechische Aufschriften heruntergerissen, tschechische Gendarmerieposten bespuckt und tschechische Einwohner im Schlaf überfallen.“

Das schreckliche und folgenschwere Münchner Abkommen kam. – Der Anfang vom Ende.

Ohne Groll

Der Autor verlor letztlich seine Heimat. Wurde ausgewiesen. Ist nach Lesart des so benannten Bundes also ein Vertriebener. Groll aber darüber findet sich im Buch nicht. Groll hat auch im Leben Jahodas nie Platz gegriffen.

Der Schriftsteller und von früh an politisch hell denkende Zeitgenosse Lutz Jahoda wusste und weiß die Dinge und Geschehnisse in ihrem Kontext einzuordnen. Er verwechselt nie und an keiner Stelle Ursache und Wirkung.

Vielleicht auch, weil der Autor weiß, dass die Dinge nicht so einfach liegen, wie sie Manche gerne hätten. Deshalb kommt es durch ihn zu einer differenzierten Darstellung. Wir erfahren, was wir vielleicht nie so in den Medien hören: „dass die Ausweisung der Deutschen aus der Tschechoslowakei auf einen Beschluss Winston Churchills zurückgehe, den das britische Kriegskabinett bereits am 6. Juli 1942 fixierte und ein Jahr darauf auch von Roosevelt bejaht, von den Franzosen bestätigt und zuletzt auch von Stalin akzeptiert wurde.“

Indes, diese Einschränkung lesen wir dann doch: „Exilpräsident Edvard Benes aus der Verantwortung zu entlassen, als er in einer Brandrede in Brno die radikale Formulierung „vyliquidovat“ gebrauchte – das „Hinausliquidieren“ der Deutschen, was kurz danach zum Todesmarsch der Brünner führte ., könne einer gültigen Geschichtsschreibung nicht zugemutet werden.“ Darauf weist Eberhard Görner dankenswerterweise in seinem Nachwort hin.

Hervorragend, in gut lesbarem Stil, mitreißend geschrieben

Aber lesen Sie Lutz Jahodas Buch selber. Ich verspreche: Sie haben vor diesem intelligent, in einem mit ganz persönlichen , hervorragenden und gut lesbarem Stil geschriebenen Buch nicht eher wieder Ruhe, bevor sie es nicht ganz ausgelesen haben. Nachwirkung garantiert! Eine fesselnde Reise in die Historie. Unterhaltsam dazu. Ein Buch in welchem Lutz Jahoda seine mitreißende eigene Geschichte im Kontext zur ablaufenden Weltgeschichte voller persönlicher Erlebnisse samt Berichten über interessante Begegnungen mit anderen Zeitgenossen unterhaltend und noch dazu auf hohem Niveau gut lesbar präsentiert. Uns Leserinnen und Leser lädt das Buch dieses so außerordentlich facettenreichen, am Leben des mit so vielen Talenten gesegneten Künstlers, des wie eh und je charmant durchs Leben und auf die Menschen zugehenden Lutz Jahoda, rückblickend teilzunehmen.

Jahodas Buch ist ohne Frage auch ansprechende Unterhaltungslektüre. Aber in Teilen immer auch ein Historie, vielfach mit persönlichen Lebenserinnerungen gefüttert, nachzeichnendes und deshalb auch ein politisches Buch. Zumal das eines klugen Autors, der weit über den eignen Gartenzaun hinausblickt. Nicht nur Vor- und Nachkriegszeiten werden darin thematisiert und im Kontrast zur eignen Biografie beleuchtet. Auch der gar nicht immer so leichte Lebensweg eines Künstlers zu Zeiten des gescheiterten Sozialismusversuchs der DDR wird ein Stück beleuchtet. Ebenfalls DDR-Ende und Problematiken des nun neuen (?) Deutschlands werden nicht ausgeklammert. Und nicht die Finanzmarktkrise und deren Ursachen bleibt ohne Betrachtung.

Lutz Jahoda, im hohen Alter, bemerkenswert jung geblieben, klug und schlagfertig obendrein, ist stets auf Draht. Zu vielen Themen der Gesellschaft hat etwas zu sagen und sagt das dankenswerterweise auch. Nicht selten online. Dass er noch Zeit fand und findet, sich verstärkt dem Schreiben (geschrieben hat er ja zwar immer: für Bühne und Fernsehen, für Kollegen) zu widmen ist für seine Leser ein wahrer Glücksfall. Ein Geschenk für uns Lesende! Mögen aus Jahodas Feder noch viele Textzeilen fließen!

Mit Gewinn zu lesen

Geschichte ist ja Vielen etwas gar zu Trockenes. Etwas, das nach dem Absolvieren der Schule gern vergessen wird. Nicht so bei Lutz Jahoda! Wer mit ihm in die Geschichte reist und sich dafür interessiert, was Jahoda auf der eigenen Lebensreise passiert und begegnet ist, wird hoch auf begeistert sein. Wir als Lesende nehmen etwas mit, das wir selbst gebrauchen und bei Bedarf an andere weitergeben können. Wahrlich. Ein Gewinn und Glück für ihn wie uns, dass er mit „Up & Down“ nervenstark durch ein verhunztes Jahrhundert ging.

Wenn ich mir die derzeitige weltpolitische Situation so anschaue, scheint mir, den zurückliegenden Verhunzungen werden von geschichtslos agierenden Regierenden weitere, noch schlimmere Verhunzungen hinzugefügt.

Übrigens erscheint es mir ratsam, vor dem hier wärmstens empfohlenen Buch, zunächst die Romantrilogie „Der Irrtum“ (1-3) von Lutz Jahoda zu lesen. Mein Beitrag dazu hier.

Produktinformation (Quelle: Amazon.de)

Ein politisches, aber gleichzeitig auch privates Buch eines Mannes, der nicht aufgibt, sein Fernseh- und Rundfunkmetier alters- und wendebedingt verlassen hat und ins neue Jahrtausend professionell zur schreibenden Zunft übergewechselt ist, als hätte er zeitlebens nichts anderes gemacht. Wer Lutz Jahodas Lebensweg über Rundfunk, Film und Fernsehen hat verfolgen können, wird wissen, dass er schon mit dreißig als Liedertexter Bewegung ins heitere Genre brachte und 1971 sein erstes Buch schrieb, dessen Titel „Mit Lust und Liebe“ der Fernsehreihe „Mit Lutz und Liebe“ diente und bis zu viermal im Jahr über ein Jahrzehnt hinweg erfolgreich das Fernsehprogramm der DDR bereicherte.

Wer Lutz Jahodas Lebensweg über Rundfunk, Film und Fernsehen hat verfolgen können, wird wissen, dass er schon mit dreißig als Liedertexter Bewegung ins heitere Genre brachte und 1971 sein erstes Buch schrieb, dessen Titel „Mit Lust und Liebe“ der Fernsehreihe „Mit Lutz und Liebe“ diente und bis zu viermal im Jahr über ein Jahrzehnt hinweg erfolgreich das Fernsehprogramm der DDR bereicherte.

Das e-book „Up & Down“ gibt es zum Preis von 9,99 Euro als Kindle-Edition via Amazon.

Gestern nun ist das Multitalent Lutz Jahoda 90 Jahre alt geworden. Alles Gute weiterhin! Erst kürzlich informierte Jahoda, dass

sein neuestes Buch (unter Mitarbeit des Karikaturisten Reiner Schwalme)  mit dem Titel „Lustig ist anders“ herauskommt. Das zu lesen dürfte wieder ein Vergnügen sein und gewiss auch Anlass zum Nachdenken geben. Auch weltnetz.tv hat an Lutz Jahodas 90. Geburtstag gedacht.

Unter Verwendung eines älteren Artikels.

„Der Irrtum“: 1038 Seiten exzellent geschriebene Literatur von Lutz Jahoda – Lesenswert!

Die Roman-Trilogie aus der Hand Lutz Jahodas ist in der edition lithaus erschienen; Foto: C.-D. Stille

Die Roman-Trilogie aus der Hand Lutz Jahodas ist in der edition lithaus erschienen; Foto: C.-D. Stille

Nicht zuletzt durch die Eskalation der Ukraine-Krise ist eine gefährliche Situation in Europa entstanden. Mit Europa, respektive der EU, welche sich aufgrund gleich mehrerer schwerwiegender Probleme selbst im Wanken befindet, steht es ebenfalls nicht eben zum Besten. Deswegen und darüber hinaus büßt die Institution beim Wahlvolk wegen Demokratiedefiziten stetig an Legitimation ein. Gewinner der sich abzeichnenden Misere dagegen sind zunehmend Parteien des rechten politischen Spektrums. Überwunden geglaubter Nationalismus keimt wieder auf. Sogar die Gefahr eines möglich werden könnenden dritten Weltkrieges wird hier und da an die Wand gemalt. Aber ist es auch  ohne eine solche – wohl eher nicht eintretende – Katastrophe nicht schon schlimm genug bestellt um Europa? Einer neuer Kalter Krieg – die Hauptverantwortung dafür liegt zweifelsohne beim Westen – hat bereits begonnen.

Neue Schlafwandler?

Der australische Historiker Christopher Clark hat in seinem Buch „Die Schlafwandler“ nach Erklärungen dafür gesucht  wie es zum Ersten Weltkrieg kommen konnte. Clark meint, die Handlungen (oder das Nichthandeln) der politischen Akteure in den wichtigsten Machtzentren des damaligen Europa, die dabei entstandenen Wechselwirkungen aufeinander sowie deren Versagen in entscheidenden Momenten und gravierende Fehleinschätzungen hätten seinerzeit dazu geführt, dass man sozusagen „schlafwandelnd“ in den Ersten Weltkrieg geraten sei.

Am ehesten nachvollziehbar für die Nachgeborenen werden einschneidende gesellschaftliche Veränderungen an Biografien einzelner Menschen vorheriger Generationen. Wie und unter welchen Bedingungen lebten sie etwa vor einem Krieg – wie in ihm, nachdem er vom Zaun gebrochen wurde?

Lektüre, die in die momentan hochbrisante Zeit passt

Der Zufall – oder soll ich schreiben: günstige Umstände? wollte(n) es, dass ich ausgerechnet in dieser momentan hochbrisanten Zeit (was leider viele meiner Mitmenschen überhaupt nicht zu bemerken scheinen) auf eine spannende und sehr gut erzählte Roman-Trilogie stieß. Für mich passte diese wie die sprichwörtliche Faust aufs Auge zur derzeitigen Krisensituation!

Multitalent Lutz Jahoda

Der dreibändige Roman trägt den Titel „Der Irrtum“. Geschrieben hat ihn ein bekannter DDR-Unterhaltungskünstler: Lutz Jahoda. In den Altbundesländern wird der Name des in Brünn/Brno geborenen grandiosen Künstlers – des Moderators, Schauspielers und Autors Lutz Jahoda leider wohl kaum geläufig sein. Nur eine von vielen bedauerlichen Fehlstellen. In der DDR dagegen war der Mann ein Publikumsliebling. Unterhaltungskünstler – gar noch Schlagersänger? Da werden manche an dieser Stelle vielleicht die Nase rümpfen. Denen empfehle ich wärmstens das Buch „Achtung! Vorurteile“ von Sir Peter Ustinov. Multitalent Lutz Jahoda selbst drückte es in seiner Autobiografie so aus: „Vorurteile kleben wie Schusterpech am Leben.“

Lutz Jahoda, 1927 geboren, aber – das walte Hugo: wie eh und je geistig-frisch,  nun aufs neunte Lebensjahrzehnt zu schreitend, versteht es fesselnd ausdrucksstark und stilsicher zu schreiben. Er hat historische Hintergründe im Kopf bzw. weiß sie anhand von Archivmaterial exakt einzuordnen. Jahoda  war stets und ist es  nach wie vor:  weltpolitisch hoch interessiert. Weshalb er Zusammenhänge und Vorgänge – und zwar auch nach wie vor die aktueller Natur – einzuordnen vermag. Ob er Lateiner ist, entzieht sich meiner Kenntnis. Aber Jahoda dürfte dem in dieser Sprache verfassten Satz Nihil fit sine causa – Nichts geschieht ohne Grund – gewiss zustimmen. Nach einer erfolgreichen Karriere als Unterhaltungskünstler widmete sich Lutz Jahoda verstärkt dem Schreiben. Von vornherein hatte der gebürtige Brünner nämlich Journalist werden wollen. Doch ein sich schneller ergebendes Theaterengagement, das er annahm, setzte Jahoda auf ein anderes Geleis. Aber das Schreibtalent nutzte der vielseitige Künstler auch auf diesem gekonnt immer wieder.

Das Leben von Tschechen und Deutschen vor und in düsterer Zeit

Besagte Roman-Trilogie „Der Irrtum“ handelt von der Brünner Familie Vzor. Die Geschichte von Josef Vzor, dessen Frau, seiner Söhne, Freunde und Feinde –  die tatsächlich, wenn auch unter anderen Namen lebten, ist von Anfang an spannend erzählt. Nur „Handlung und Personen“, merkt der Autor an, „folgen einer fiktiven Dramaturgie.“ Was den dreibändigen Roman u.a. auszeichnet: er gibt aus eigenem Erleben – nämlich des Verfassers höchstselbst – heraus einen interessanten Einblick in das Zusammenleben von Tschechen und Deutschen in der 1918 gegründeten Tschechoslowakischen Republik (ČSR). Das sicher nie ganz unproblematisch gewesen war, jedoch im Großen und Ganzen funktioniert hat. Doch die Zeiten sollten sich verdüstern: Am 15. März 1939 marschierten Truppen der faschistischen deutschen Wehrmacht in den Restteil der ehemaligen ČSR ein. Fortan – lange vierundsiebzigeinhalb Monate bis Fronleichnam 1945 – musste der Rumpfstaat den Namen Protektorat Böhmen und Mähren tragen. Das Leben der Menschen veränderte sich einschneidend. Selbstredend blieb auch die Familie Vzor nichtvon  teils tragischen Lebensereignissen  verschont. Die Beziehungen zu den tschechischen Mitmenschen  pflegte man zwar in der Regel mehr oder weniger weiter.  Doch wurden diese mehr und mehr von Misstrauen getrübt. In jener düsteren Zeit wurde Erbarmen und Menschlichkeit kleingeschrieben. Dennoch hatten Empathie und Liebe Platz in manchem Herzen. Schmerzhafte Erinnerungen ritzten die Umstände und Geschehnisse in die Seelen von Tschechen und Deutschen.

Jahoda versteht es die Leser mittels eines vorzüglichen Schreibstils an die Geschichte der Familie Vzor zu fesseln

Lutz Jahoda führt die Leser zunächst sanft in das Leben der Familie Vzor ein. Und es dauert gar nicht lange, da hat er uns mittels seines ganz vorzüglichen Schreibstils gepackt. Immer weiter lässt man sich – neugierig geworden –  in das Geschehen hineinziehen. Und man folgt den Zeilen eines so versiert zu Werke gehenden, im wahrsten Sinne des Wortes Schrift – Steller zu nennenden  Autors,  bald mit hüpfendem, dann wieder fast stehenzubleiben drohenden Herzen. Mir ging es so: Eigentlich wollte ich das Buch gar nicht mehr zuschlagen. Ich war  von dem ausgefeilten Schreibstil angesogen und überließ mich  dem Strudel mit Vergnügen. Mit bangend und hoffend, mitleidend mit den Protagonisten – fragend, was einem wohl zum Anhänger oder Mitläufer einer schlimmen Ideologie und derem Regime werden lassen kann – hängt man an dieser Geschichte von A bis Z.

Bis ins kleinste, selbst technische Detail perfekt erzählt

Der Untertitel des ersten Bandes „Das Schöne war nichts als des Schrecklichen Anfang“ lässt schon Düsteres vorahnen. Aber da gibt es immer einiges an Humorvollen, köstlich beschriebenen heiteren Augenblicken, die vorangegangene Vorahnungen für den Moment wieder vergessen lassen. Die Orte des Geschehens, die Stadt Brünn selbst und das Leben der Menschen – all das ist vom Autor so brillant beschrieben, dass man meint selbst mittendrin zu stehen in den Geschichten. Dazu immer wieder tschechische Wort- und Satzeinsprengsel. Lokalkolorit eben. All das, das  gesamte  Drumherum ist  perfekt bis ins kleinste und selbst technische Details hinein beschrieben. Die damalige Lebenssituation von Tschechen und Deutschen wird sehr klar wiedergegeben. So wird nachvollziehbar  wie das Eine mit dem Anderen – Bürger verschiedener Zunge, aber eines gemeinsamen Staates – neben oder miteinander ganz gut zu leben verstanden hatten. Und Jahoda erzählt, was sich an Rudimenten des Menschlichen davon selbst unter deutsch-faschistischer Besetzung noch zu erhalten vermochte.

Menschliches in unmenschlichen Zeiten

Darüber wird der Leser von Lutz Jahoda anrührend – immer auch die Ängste in lebensbedrohlichen Situationen mit transportierend – im Teil 2  mit dem Untertitel „Die Hütte Gottes bei den Menschen“ unterrichtet.

Trauriges Ende

Der dritte Teil „Nur die Toten durften bleiben“ nimmt seine Leser schlussendlich mit hin zum im ersten Band bereits angekündigtem Schrecklichen. Bei allem auch an Humor in Jahodas Text Vorkommenden: Wir haben es in seiner Gesamtheit doch eher mit einer traurigen Geschichte zu tun.

Epilog mit komödiantisch gefärbter Feder niedergeschrieben

Der dem dritten Teil hintan gesetzte Epilog lässt die Leserschaft aber dann immerhin mit einigermaßen Erfreulichem – dank sozusagen mit komödiantisch gefärbter Feder niedergeschriebenem Schlussakkord – wieder aus dem Strudel gleiten, welcher sie  1038 Seiten durchweg begeistert gefangen gehalten hat. Prädikat: Lesenswert! Literatur, welche zu unterhalten versteht, gleichzeitig fesselnd Geschichte nahebringt und höchsten literarischen Ansprüchen genügt. Sprachkultur vom Feinsten. Umgesetzt mit einem beim Lesen begeisterndem Schreibstil. Der Dreibänder schreit m. E. nach einer Verfilmung.

Erstklassiger Text zur Völkerverständigung

Dieser Text, obschon einige Jahre auf dem Markt, passt perfekt in unsere von Krisen erschütterte Zeit. Die Roman-Trilogie kann als ein erstklassiger Beitrag zur Völkerverständigung gelten. Tschechen und Deutschen mögen auch heute noch nicht völlig vom Druck und gegenseitigen Schuldzuweisungen, die aus jener von Lutz Jahoda beschriebenen Zeit herrühren, befreit sein. Psychologen haben dafür Erkenntnisse. Von Völkern erlittene Traumata lagern noch mehr oder weniger im Unterbewusstsein von deren Nachfahren. Nicht selten Jahrzehnte lang. Lutz Jahoda hat selbst Heimat, wie auch seine Heimatstadt Brünn verloren. Aber ein verbissener Vertriebener vergleichbar mit der Berufsvertriebenen Erika Steinbach, die anscheinend wenig dazu gelernt hat, ist er nie gewesen. Denn er  wußte und weiß um Ursache und Wirkung. Hat es selbst erlebt. Krieg rangierte vor Vertreibung. Freilich weiß Jahoda, dass auch den Deutschen  Unrecht widerfuhr. Als man sie aus der Nachkriegstschechoslowakei austrieb und viele von ihnen unweit von Brno im Straßengraben ihr Leben aushauchten. Jahoda klagt nicht an. Nein. Er schrieb dieses in so gut wie in jeder Hinsicht empfehlenswertem Dreibänder „Künftigen Generationen zur Mahnung“. Nicht nur an die Adresse an die nachfolgenden Generationen Deutschlands und Tschechiens gerichtet, sondern auch an die aller „Bürger in mehrsprachigen Ländern. In der Hoffnung auf ein gesund zusammenwachsendes friedliches Europa in einem Klima weltumspannender Duldsamkeit“, wie zu lesen steht.

Jahoda zu  lesen ist eine Bereicherung

Doch lernt der Mensch aus seinen Fehlern? Eingangs war von den derzeitigen Krisen Europas, der der  EU und sogar von Kriegsgefahr die Rede. Lutz Jahoda muss nun gegenwärtig  beinahe Tag für Tag mitansehen, dass  das von ihm so sehr gewünschte „friedliche Europa in einem Klima weltumspannender Duldsamkeit“ in immer weitere Ferne rückt. Dass von früheren Herrschern schon einmal gemachte Fehler in ähnlicher Weise von den derzeit Regierenden wiederholt werden. Wer Jahoda auf Facebook folgt, kann dazu seine pointierten von hohem Geschichtswissen und politisch wie humanen Einfühlungsvermögen hintersetzten Kommentare lesen. Wie dessen Zeilen in seinen Büchern sind auch diese intelligenten kurze Texte von hoher Sprachkultur geprägt. Weshalb sie auf den Punkt sitzen. Vielleicht sollten die Herrschaften, von denen wir uns derzeit regieren lassen müssen, sich diese einmal zu Gemüte führen. Beim G7-Gipfel zum Beispiel. Ich wiederhole mich: Jahoda lesen ist eine Bereicherung. Als Urlaubslektüre durchaus zu empfehlen. Womöglich werden die drei Bände nicht reichen.Weil man sie regelrecht verschlingt. Tipp: Auch Jahodas andere Texte sind nicht minder lesenwert.

Das Buch:

Lutz Jahoda

DER IRRTUM Band 1 – 3; erschienen bei edition lithaus

Mehr zu Lutz Jahoda auf seiner Website.

Stilsicher, atemberaubend und spannend durch ein verhunztes Jahrhundert: „Up and Down“ mit Lutz Jahoda

Geschichte gilt ja Vielen als etwas arg Trockenes. In der Schule ist es Pflicht. Das Fach wird irgendwie hingenommen. Und Viele lassen nach dem Verlassen der Schule Geschichte oft Geschichte sein. Derweil schreiben, machen und werden dieselben Menschen – oft ohne sich dessen bewusst zu werden – selber (zu) Geschichte. Geschichtsvergessenheit ist gewiss das Schlimmste, was daraus erwachsen kann. Schlimmer noch, wenn dann Geschichtsvergessene in verantwortliche Positionen gelangen. Die Resultate sind augenblicklich beim Umgang mit und in der Ukraine-Krise zu besichtigen.

Keine Zukunft ohne Vergangenheit

„Nur wer die Vergangenheit kennt, hat Zukunft“, schrieb Wilhelm von Humboldt. Später präzisierte, offenbar darauf aufbauend, Hans-Friedrich Bergmann: „Wer die Vergangenheit nicht kennt, kann die Gegenwart nicht verstehen. Wer die Gegenwart nicht versteht, kann die Zukunft nicht gestalten.“

Und beim Philosophen und Schriftsteller George Santayana heißt es schließlich:

„Wer die Vergangenheit nicht kennt, ist gezwungen, sie zu wiederholen“.

In Brünn (Brno) geboren

Lutz Jahoda kennt seine Vergangenheit gewiss. Lutz Jahoda wurde am 18. Juni 1927 in Brünn (Brno), Tschechoslowakei geboren. Gewesenen DDR-Bürgern dürfte der Schauspieler, Entertainer, Sänger und Autor mit Sicherheit ein Begriff sein. Menschen aus den Altbundesländern hingegen werden den vielseitigen Künstler, dessen Familienname Jahoda im Tschechischen das Wort für Erdbeere ist, eher weniger kennen. Ein Verlust, wie ich meine. Was sich ändern ließe. Denn der heute 87 Jahre junge Lutz Jahoda hat auch mehrere Bücher verfasst.

Eines davon kam mir erst jetzt unter die Hand. Warum gerät mir Jahoda als Buchautor erst so spät in die Hände? Der Titel „Up & Down“, Nervenstark durch ein verhunztes Jahrhundert“ (erschienen bei edition lithaus) ist für mich in doppelter Hinsicht eine Premiere: Es ist nämlich zugleich mein allererstes e-book.

Hunger“ auf Jahoda

Vor Jahren schon hatte ich nach einem TV-Beitrag erstmals „Appetit“ auf Jahoda bekommen. Dann ihn wieder vergessen. Als ich aber dieses Jahr auf Lutz Jahodas geist- und kenntnisreiche Kommentare zu Themen der Zeit auf Facebook stieß, gab es kein Halten mehr: Ich musste „ihn“ haben!

Und bereut habe ich es nicht. Vielmehr, so viel verraten, hat sich der Hunger auf von Jahoda Geschriebenes noch enorm vergrößert! Und den Leserinnen und Lesern rufe ich mit Schmackes ein donnerndes „Dobre chut!“ (Guten Appetit!,  auf Tschechisch) zu.

Denn Jahoda ist nicht nur ein vielseitiger Entertainer allererster Güte, sondern gleichzeitig auch ein hervorragender Autor. Dies muss dem Brünner sozusagen von Anfang an im Blut gelegen haben. Verständlich, dass Jahodas früher Berufswunsch Journalist gewesen ist.

Biografisches

Doch zunächst machte Lutz Jahoda eine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann. Dann ergab es sich, dass er über Kontakte zu Feuerwehrleuten, die als Brandwache an einem Theater seiner Heimatstadt Dienst taten, als Kleindarsteller zur Bühne. Lutz Jahoda erhielt 1944 an den Kammerspielen seine erste Sprechrolle. Und zwar an der Seite von Hilde Engel. Der Mutter von Frank Elstner.

Jahoda war im August 1945 nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges in Wien mit der Familie Elstner zusammengetroffen. Bei Erich und Hilde Elstner nahm Lutz Jahoda privat Sprechunterricht. Schon 1946 zog er mit den Elstners nach Berlin. Statt eine Reporterstelle anzutreten nahm Jahoda einen Rollenangebot des Theaters am Nollendorffplatz an. Wie der Zufall so spielt! Alles über die Karriere diese Künstlers finden Sie hier.

Böhmisch-österreichisches Lebensgefühl

Als Schüler in Halle an der Saale war der erste von Lutz Jahoda gesungene und von einem Radiogerät namens „Potsdam“ (mit magischem Auge, das ich liebte) wiedergegebene Titel, den ich zu hören bekam: die „Blasmusik von Kickritzpotschen“. Später hörte ich ihn noch oft mit anderen Titeln im Radio, von der Schallplatte sowie verfolgte dessen vielen , Aufritte im Fernsehen (z.B. „Lutz und Liebe“). Jahoda strahlte dort aber auch in Filmen ein böhmisch-österreichisches Lebensgefühl aus, das ich schon früh zu lieben begonnen hatte. Man denkt dabei an Schwejk und Wiener Schmäh. Dieses Lebensgefühl, transportiert über Jahodas Aussprache und Gesang mit dem entsprechend darin wohltönendem Idiom korrespondierte für mich mit anderen Stimmen. Etwa der des Schauspielers Fritz Eckardt. Welche ich aus Krimi-Hörspielen, die ich im Österreichischen Rundfunk hörte, kannte. Oder später dann – gesprochen von mir auf Deutsch, aber mit jenen ganz gewissem Akzent, auf meine Fragen antwortenden Menschen – bei Besuchen der tschechoslowakischen Hauptstadt Prag, die den nämlichen Klang verlauten ließen. Den ich nach wie vor so liebe.

Geschichte, gar nicht staubtrocken

In „Up & Down“ berichtet Lutz Jahoda aus tschechoslowakischen-österreichischen Zeiten. Aus Brünn, seiner Heimatstadt. Von seiner Kindheit und Jugend. Was der Autor da präzise aus der Erinnerung erzählt ist gelebte Geschichte. Und die kann – wenn wir uns dafür interessieren – heute absolut lehrreich und hoch spannend sein. Immerhin ist sie von einem unmittelbaren Zeitzeugen so persönlich, detailreich und lebhaft nacherzählt. Daran ist nichts Staubtrockenes. Wie es uns zumeist aus Geschichtsbüchern entgegen stiebt. Auf das wir uns gelangweilt abwenden. Ganz im Gegenteil! Lutz Jahoda zieht uns, so gekonnt und fesselnd wie er es versteht (mit Geschichtskenntnis versehen und als früh politisch Denkender) spannend zu schreiben, mit jeder Zeile in sein Leben, mitten in die Geschichte (im Doppelsinne) hinein. Jahoda pflegt einen Schreibstil, der einen vom ersten Wort an begeistert. Ich gestehe: Wäre die Zeit dafür gewesen, das Buch hätte ich ohne es zwischendurch zuzuklappen in einem Rutsch ausgelesen!

Wir erfahren darin viel über das Verhältnis von Tschechen und Deutschen. Und bekommen eine Vorstellung darüber, wie Europa auf den Ersten Weltkrieg zusteuern konnte und später der Zweite Weltkrieg entfacht werden könnte. Lutz Jahoda, der ja erst nach dem Ersten Weltkrieg geboren wurde, hat dazu – wie man über Zeilen hinweg spürt – akribisch recherchiert. Mit Blick auf die aktuelle Lage könnten wir daraus durchaus unsere Lehren für die unmittelbare Gegenwart und erst recht: die Zukunft ziehen!

„Sie wurden mit schwachen Nerven in ein starkes Jahrhundert hineingeboren, Herr Lutz“, sagte die entnazifizierte Wahrsagerin, als sie mir in Wien aus dem Kaffeesatz eines Großen Braunen Vergangenheit und Zukunft zu deuten versuchte.“

So hebt Lutz Jahodas „Up & Down“ an. mit einem „Rückblick“.

Der Autor begann daran „im Jahr 2010“ zu schreiben „unter jungen Menschen, von denen man meinen könnte, nichts mehr wissen zu wollen von der Misere der vergangenen einhundert Jahre, weil die ersten neun der Zweinullreihe längst schon wieder neue Sorgen bereiten. Also ist es nicht verkehrt, die Enkelinnen und Enkel den Erkenntnissatz des griechischen Philosophen Aristoteles wissen zu lassen, dass bereits im Anfang die Hälfte des Ganzen liegt.“ (Kapitel „Rückblick“)

Daran anschließend zitiert Jahoda aus dem „Ahlener Programm“ der CDU:

Das kapitalistische Wirtschaftssystem ist den staatlichen und sozialen Lebensinteressen des deutschen Volkes nicht gerecht geworden. Darum kann Inhalt und Ziel dieser sozialen und wirtschaftlichen Neuordnung nicht mehr das kapitalistische Gewinn- und Machtstreben, sondern nur das Wohlergehen unseres Volkes sein. Die neue Struktur der deutschen Wirtschaft muss davon ausgehen, dass die Zeit der unumschränkten Herrschaft des privaten Kapitalismus vorbei ist.“

Und auf den einstigen DDR-Staatsratsvorsitzenden Walter Ulbricht anspielend, der das nach Jahodas Meinung nach auch nicht hätte schöner sagen können, schreibt Jahoda: dass dem „der folgende Satz des Ahlener Programms so nicht über die Lippen gekommen wäre:

dass vermieden werden müsse, den privaten Kapitalismus durch den Staatskapitalismus zu ersetzen, weil dies noch gefährlicher für die politische und wirtschaftliche Freiheit des Einzelnen wäre.“

Ähneln sich die Muster?

Das vorausschickend erinnert der Autor an Börsenkrach vom 24. September 1869 und den „Schwarzen Freitag“ des Jahres 1929, dem nächsten Zusammenkrach der Finanzen. Und kommt dann Zeilen weiter zum Vorspiel des Ersten Weltkriegs zurück. Zu den beiden Kaisern, den deutschen und den österreichischen, notiert er: „Volksnah ausgedrückt: Der eine Kaiser war beknackt, der andere Monarch senil, beide waren in Ängsten um ihr Reich, und brauchten einander.“

Dieses Kapitel ist betreffs der im Ersten Weltkrieg gipfelnden und den ihm vorauslaufenden Ereignissen sehr zu empfehlen.

Kurz nimmt der Autor abschweifend auch die Tatsache in Betracht, dass am 15. Februar 2003 „weltweit neun Millionen Menschen auf die Straße gingen, um Bedenken gegen das vorschnelle Vorgehen der Herren Bush junior, Donald Rumsfeld und Tony Blair anzumelden.“ Dennoch sei „am 20. März 2003, ohne offizielle Kriegserklärung“, der Angriff auf den Irak gestartet worden.

Und hat auch nicht vergessen, dass der SPD-Politiker Struck meinte, „dass Deutschland am Hindukusch verteidigt werden müsse.“ Ähneln sich die Muster?

Tappen wir, ließe sich, das daraus lernen: so immer wieder in neue Kriegsfallen? Geschichtsvergessen?! Vernunft nicht walten lassend?

Geschichtliches und Biografisches atemberaubend-spannend geschrieben

Der folgende, komprimierte aber hochinteressante Reise, Buchzeile um Buchzeile, durch die Geschichte – zu welcher Jahoda einlädt, lässt beim Leser manches Licht auf- , jedoch auch etliche rote Warmlampen angehen. Betreffend geschichtlicher Entwicklungen und politischer Fehlentscheidungen und Irrationalitäten. Wir lernen, wie im Kapitel 3: „Geschichte hat keinen Rückwärtsgang“. Könnten, so wir es denn wollten für die Gegenwart daraus Lehren und für die Zukunft einige Schlüsse ziehen, um erneute Fehler zu vermeiden.

Selbst Michael Curtiz taucht in Lutz Jahodas zuweilen atemberaubend-spannend geschriebenen Buch auf. Der, damals noch den Namen Mihály Kerzész tragend – aber schon im Filmgeschäft werkelnd – hatte sich nämlich in Jahodas Tante verguckt. Da war Lutz Jahoda freilich noch nicht geboren.

Und schon sind wir von den Fotos aus der Zeit her angekommen in der Welt der 1920er Jahre Wiens.

Nicht minder interessant das Kapitel 5 „Money, Money, Monay! Der Rundfunk wird geboren, aber ich bin immer noch in der Warteschleife“

Begierig liest man sich voran. Man meint wirklich in die jeweilige Zeit des aufkommenden neuen Mediums hineinversetzt zu sein.

In „Kurze Zeit Heimat“, lässt der Autor einleitend Erich Kästner zu Worte kommen:

„Wer das, was schön war, vergisst, wird böse.

Wer das, was schlimm war, vergisst, wird dumm.“

Dessen eingedenk schreibt Jahoda mitreißend nun vermehrt seine bewusst selbst erfahrenen (Lebens-)Geschichte fort.

Sechs Jahre müsse den Emigranten aus Deutschland die Tschechoslowakei „paradiesisch vorgekommen sein“, lesen wir:“ keine Braunhemden, kein Siegheilgebrüll, keine körperliche Bedrohung durch SA-Schläger, keinen nächtlichen Überraschungsbesuch mit dem Ruf an der Wohnungstür. „Aufmachen! Geheime Staatspolizei!“ Das war dann 1938 vorbei.

Chamberlain hatte erklärt, die deutschen Minderheit werde im Sudetenland von den Tschechen unterdrückt, hatte damit aber nur nachgeplappert, was Hitler ihm auf dem Obersalzberg eingeredet hatte.“

In Wirklichkeit jedoch begab sich das Gegenteil: Fensterscheiben von Amtsgebäude wurden zerschlagen „und tschechische Aufschriften heruntergerissen, tschechische Gendarmerieposten bespuckt und tschechische Einwohner im Schlaf überfallen.“

Das schreckliche und folgenschwere Münchner Abkommen kam. – Der Anfang vom Ende.

Ohne Groll

Der Autor verlor letztlich seine Heimat. Wurde ausgewiesen. Ist nach Lesart des so benannten Bundes also ein Vertriebener. Groll aber darüber findet sich im Buch nicht. Groll hat auch im Leben Jahodas nie Platz gegriffen.

Der Schriftsteller und von früh an politisch hell denkende Zeitgenosse Lutz Jahoda wusste und weiß die Dinge und Geschehnisse in ihrem Kontext einzuordnen. Er verwechselt nie und an keiner Stelle Ursache und Wirkung.

Vielleicht auch, weil der Autor weiß, dass die Dinge nicht so einfach liegen, wie sie Manche gerne hätten. Deshalb kommt es durch ihn zu einer differenzierten Darstellung. Wir erfahren, was wir vielleicht nie so in den Medien hören: „dass die Ausweisung der Deutschen aus der Tschechoslowakei auf einen Beschluss Winston Churchills zurückgehe, den das britische Kriegskabinett bereits am 6. Juli 1942 fixierte und ein Jahr darauf auch von Roosevelt bejaht, von den Franzosen bestätigt und zuletzt auch von Stalin akzeptiert wurde.“

Indes, diese Einschränkung lesen wir dann doch: „Exilpräsident Edvard Benes aus der Verantwortung zu entlassen, als er in einer Brandrede in Brno die radikale Formulierung „vyliquidovat“ gebrauchte – das „Hinausliquidieren“ der Deutschen, was kurz danach zum Todesmarsch der Brünner führte ., könne einer gültigen Geschichtsschreibung nicht zugemutet werden.“ Darauf weist Eberhard Görner dankenswerterweise in seinem Nachwort hin.

Hervorragend, in gut lesbarem Stil, mitreißend geschrieben

Aber lesen Sie Lutz Jahodas Buch selber. Ich verspreche: Sie haben vor diesem intelligent, in einem mit ganz persönlichen , hervorragenden und gut lesbarem Stil geschriebenen Buch nicht eher wieder Ruhe, bevor sie es nicht ganz ausgelesen haben. Nachwirkung garantiert! Eine fesselnde Reise in die Historie. Unterhaltsam dazu. Ein Buch in welchem Lutz Jahoda seine mitreißende eigene Geschichte im Kontext zur ablaufenden Weltgeschichte voller persönlicher Erlebnisse samt Berichten über interessante Begegnungen mit anderen Zeitgenossen unterhaltend und noch dazu auf hohem Niveau gut lesbar präsentiert. Uns Leserinnen und Leser lädt das Buch dieses so außerordentlich facettenreichen, am Leben des mit so vielen Talenten gesegneten Künstlers, des wie eh und je charmant durchs Leben und auf die Menschen zugehenden Lutz Jahoda, rückblickend teilzunehmen.

Jahodas Buch ist ohne Frage auch ansprechende Unterhaltungslektüre. Aber in Teilen immer auch ein Historie, vielfach mit persönlichen Lebenserinnerungen gefüttert, nachzeichnendes und deshalb auch ein politisches Buch. Zumal das eines klugen Autors, der weit über den eignen Gartenzaun hinausblickt. Nicht nur Vor- und Nachkriegszeiten werden darin thematisiert und im Kontrast zur eignen Biografie beleuchtet. Auch der gar nicht immer so leichte Lebensweg eines Künstlers zu Zeiten des gescheiterten Sozialismusversuchs der DDR wird ein Stück beleuchtet. Ebenfalls DDR-Ende und Problematiken des nun neuen (?) Deutschlands werden nicht ausgeklammert. Und nicht die Finanzmarktkrise und deren Ursachen bleibt ohne Betrachtung.

Lutz Jahoda, im hohen Alter, bemerkenswert jung geblieben, klug und schlagfertig obendrein, ist stets auf Draht. Zu vielen Themen der Gesellschaft hat etwas zu sagen und sagt das dankenswerterweise auch. Nicht selten online. Dass er noch Zeit fand und findet, sich verstärkt dem Schreiben (geschrieben hat er ja zwar immer: für Bühne und Fernsehen, für Kollegen) zu widmen ist für seine Leser ein wahrer Glücksfall. Ein Geschenk für uns Lesende! Mögen aus Jahodas Feder noch viele Textzeilen fließen!

Mit Gewinn zu lesen

Geschichte ist ja Vielen etwas gar zu Trockenes. Etwas, das nach dem Absolvieren der Schule gern vergessen wird. Nicht so bei Lutz Jahoda! Wer mit ihm in die Geschichte reist und sich dafür interessiert, was Jahoda auf der eigenen Lebensreise passiert und begegnet ist, wird hoch auf begeistert sein. Wir als Lesende nehmen etwas mit, das wir selbst gebrauchen und bei Bedarf an andere weitergeben können. Wahrlich. Ein Gewinn und Glück für ihn wie uns, dass er mit „Up & Down“ nervenstark durch ein verhunztes Jahrhundert ging.

Wenn ich mir die derzeitige weltpolitische Situation so anschaue, scheint mir, den zurückliegenden Verhunzungen werden von geschichtslos agierenden Regierenden weitere, noch schlimmere Verhunzungen hinzugefügt.

Übrigens erscheint es mir ratsam, vor dem hier wärmstens empfohlenen Buch, zunächst die Romantrilogie „Der Irrtum“ (1-3) von Lutz Jahoda zu lesen.

Produktinformation (Quelle: Amazon.de)

Ein politisches, aber gleichzeitig auch privates Buch eines Mannes, der nicht aufgibt, sein Fernseh- und Rundfunkmetier alters- und wendebedingt verlassen hat und ins neue Jahrtausend professionell zur schreibenden Zunft übergewechselt ist, als hätte er zeitlebens nichts anderes gemacht. Wer Lutz Jahodas Lebensweg über Rundfunk, Film und Fernsehen hat verfolgen können, wird wissen, dass er schon mit dreißig als Liedertexter Bewegung ins heitere Genre brachte und 1971 sein erstes Buch schrieb, dessen Titel „Mit Lust und Liebe“ der Fernsehreihe „Mit Lutz und Liebe“ diente und bis zu viermal im Jahr über ein Jahrzehnt hinweg erfolgreich das Fernsehprogramm der DDR bereicherte.

Wer Lutz Jahodas Lebensweg über Rundfunk, Film und Fernsehen hat verfolgen können, wird wissen, dass er schon mit dreißig als Liedertexter Bewegung ins heitere Genre brachte und 1971 sein erstes Buch schrieb, dessen Titel „Mit Lust und Liebe“ der Fernsehreihe „Mit Lutz und Liebe“ diente und bis zu viermal im Jahr über ein Jahrzehnt hinweg erfolgreich das Fernsehprogramm der DDR bereicherte.

Das e-book „Up & Down“ gibt es zum Preis von 9,99 Euro als Kindle-Edition via Amazon.