IALANA zum Krieg zwischen Hamas und Israel

Der bewaffnete Konflikt zwischen der Hamas und Israel wurde angesichts der von der Hamas am 7. Oktober verübten Massaker zunächst vor allem emotional beurteilt. Sehr schnell kam es zu unausgewogenen Parteinahmen für eine der beiden Konfliktparteien. Das Verlangen nach Vergeltung und Rache fand viel Verständnis. Die notwendig völkerrechtliche Sicht auf das Geschehen trat in den Hintergrund. Mit der folgenden völkerrechtlichen Bewertung möchte die Juristenorganisation IALANA Deutschland einen Beitrag zur Versachlichung der Auseinandersetzung leisten. Beide Konfliktparteien verstoßen in eklatanter Weise gegen das humanitäre Völkerrecht. Geboten sind daher nicht einseitige Parteinahmen und Waffenlieferungen, sondern eine sofortige Beendigung des bewaffneten Konflikts und die Freilassung aller Geiseln. Ein Einsatz für diese Ziele entspricht der völkerrechtlichen und verfassungsrechtlichen Verpflichtung der Bundesregierung und bietet den einzigen Schutz vor weiteren Opfern der israelischen und palästinensischen Zivilbevölkerung. 

  Hamas

Mit den zahlreichen grausamen Tötungen, Folterungen, Gefangennahmen und Geiselnahmen von Zivilpersonen bei dem Überraschungsangriff der Hamas auf israelische Zivilisten hat die Hamas gegen humanitäres Völkerrecht nach Art. 3 der Genfer Abkommen vom 12. August 1949[i] und Art. 4 des Zusatzprotokolls II vom 8. Juni 1977[ii] verstoßen.Diese Bestimmungen sind Völkergewohnheitsrecht geworden und unabhängig von der Unterzeichnung der Abkommen für alle Staaten verbindlich. Sie gelten in internationalen und nicht internationalen bewaffneten Konflikten. Die Genfer Abkommen untersagen in Art. 3 die Tötung, Verletzung, Folterung und Geiselnahme von Personen, die nicht unmittelbar an den Feindseligkeiten teilnehmen. Art. 32 der Vierten Genfer Konvention verbietet Tötungen, Folterungen, Verstümmelungen sowie alle anderen Grausamkeiten, nach Art. 34 sind Geiselnahmen verboten. Art. 4 des Zusatzprotokolls II bestätigt und konkretisiert diese Bestimmungen.Das geltende humanitäre Völkerecht hat seinen Ausdruck in den Strafbestimmungen des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs (ISTGH) vom 17. Juli 1998[iii] gefunden. Alle Täter und Verantwortlichen der Hamas sind wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach Art. 7 des Rom-Statuts vor Gericht zu stellen und zu bestrafen. Sie erfüllen auch die Tatbestände der Kriegsverbrechen nach Art. 8 Abs 2 a (i), (ii), (vii) und (viii). Palästina ist dem Rom-Statut 2015 beigetreten. Der ISTGH ist mithin zuständig für die von den Palästinensern begangenen Taten. Nach den bisherigen Erkenntnissen gehören die für das Massaker verantwortlichen Mitglieder der Hamas zu den Palästinensern. Es gibt keine Rechtfertigung für die Massaker an der israelischen Zivilbevölkerung. Ein Widerstandsrecht Palästinas gegen die von der UN wiederholt als völkerrechtswidrig gerügte Besetzung könnte nur unter Beachtung der Rechtsgrundsätze der Verhältnismäßigkeit und des humanitären Völkerrechts ausgeübt werden. Die grausamen Quälereien, Tötungen und Entführungen israelischer Zivilisten sind völlig unverhältnismäßig und verstoßen in schwerwiegender Weise gegen das humanitäre Völkerrecht. 

Israel

Israel reagiert auf den Angriff der Hamas mit einem militärischen Gegenangriff. Einen Tag nach dem Angriff erklärte der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu den Kriegszustand und kündete „Vergeltung“ an; Israel werde die militärischen Strukturen der Hamas vollständig zerstören.Der israelische Verteidigungsminister erklärte, der Gaza-Streifen werde komplett abgeriegelt. Ab 8. Oktober 2023 wurden keine Lebensmittel, keine Medikamente, kein Trinkwasser, kein Treibstoff und keine Elektrizität in den Gaza-Streifen geliefert. In der Folge musste das Elektrizitätswerk in Gaza abgeschaltet werden. Seit dem 15. Oktober war eine Trinkwasser-Leitung in den Süden des Gaza-Streifens täglich einige Stunden in Betrieb, so dass Wasser nur für eine kleine Anzahl der 2,2 Millionen zählenden Bewohner und auch nur begrenzt zur Verfügung stand.Obwohl Israel vor seinem Angriff die Bevölkerung Nord-Gazas aufgefordert hat, das Gebiet zu verlassen und sich in den südlichen Teil Gazas zurückzuziehen, hat der umfassende Angriff Israels bisher weit über 20.000 palästinensische Bewohner getötet und zahlreiche Menschen verwundet. Trotz der Aufforderung an die Bewohner des Gaza-Streifens sich in den Süden zu begeben, hat das israelische Militär auch diesen Landesteil angegriffen und bombardiert. Die Wohnbesiedlung und die Infrastruktur des nördlichen Gaza-Streifens sind weitgehend zerstört worden. Auch aus dem südlichen Gaza-Streifen werden zahllose Zerstörungen gemeldet.Israel ist keinesfalls verpflichtet, den Angriff der Hamas auf israelischen Siedlungen und Menschen, die wahllose Tötung von über 1.200 Zivilisten und die Geiselnahme von 240 Bewohnern widerstandslos hinzunehmen. Zwar sieht Art. 51 UN-Charta ein Selbstverteidigungsrecht nur für Mitglieder der UN vor, also für die Notwehr von Staaten gegenüber Staaten, weil bei der Gründung der UN im Jahre 1945 ein nichtstaatlicher Angreifer kaum vorstellbar war. Der UN-Sicherheitsrat hat jedoch nach den nichtstaatlichen Terrorangriffen auf die USA am 11. September 2001 mit den Resolutionen 1368 und 1373 das Selbstverteidigungsrecht nach Art. 51 UN-Charta anerkannt. Angesichts der weitreichenden Anerkennung durch die internationale Gemeinschaft ist davon auszugehen, dass heute das Selbstverteidigungsrecht nicht auf bewaffnete Angriffe durch Staaten beschränkt ist, sondern auch auf bewaffnete Angriffe durch nichtstaatliche Akteure Anwendung findet.[iv] Demnach kann auch Israel nicht das Recht verwehrt werden, sich gegen die terroristischen Angriffe der Hamas militärisch zur Wehr zu setzen, die – soweit bekannt – von Palästinensern und aus dem palästinensischen Gebiet heraus begangen wurden.Entscheidend ist, dass Notwehr immer verhältnismäßig sein muss und die Bedingungen des humanitären Völkerrechts erfüllen muss. Der Internationale Gerichtshof (IGH) hat in seinem Gutachten vom 8. Juli 1996 in Anwendung von Art. 35 und 48 des Zusatzprotokolls I[v] hervorgehoben, dass „die in einem bewaffneten Konflikt beteiligten Parteien kein unbeschränktes Recht in der Wahl der Methoden und Mittel der Kriegsführung“ haben. Weiter: „Eine Gewaltanwendung, die nach dem Notwehrrecht verhältnismäßig ist, (muss) um rechtmäßig zu sein auch die Forderungen des für bewaffnete Konflikte verbindlichen Rechts erfüllen, was insbesondere die Grundsätze und Regeln des humanitären Völkerrechts umfasst.“[vi] Dabei ist für Israel von Bedeutung, dass die humanitären Regeln der Zusatzprotokolle auch völkergewohnheitsrechtlich gelten,[vii] und damit unabhängig sind von dem Umstand, dass Israel die Zusatzprotokolle I und II nicht ratifiziert hat.Art. 48 des Zusatzprotokolls I verlangt von den Konfliktparteien die Schonung und den Schutz der Zivilbevölkerung und ziviler Objekte, insbesondere die Unterscheidung zwischen der Zivilbevölkerung und Kombattanten sowie zwischen zivilen Objekten und militärischen Zielen. Verboten sind u.a. unterschiedslose Angriffe, Angriffe auf Krankenhäuser und Kollektivbestrafungen wie das Aushungern der Zivilbevölkerung oder die Blockade von zentralen Versorgungsgütern. Eine Vertreibung der Zivilbevölkerung ist auch in Form einer Evakuierung völkerrechtlich unzulässig. Die Aufforderung zur Evakuierung der Zivilbevölkerung führt nicht zum Verlust des Schutzstatus, wenn Bewohner ihr Wohngebiet dennoch nicht verlassen.„Das vorsätzliche Aushungern von Zivilpersonen als Methode der Kriegsführung durch das Vorenthalten der für die lebensnotwendigen Gegenstände, einschließlich der vorsätzlichen Behinderung von Hilfslieferungen“ ist ein Kriegsverbrechen nach Art. 8 Abs. 2b xxv des Römischen Status des Internationalen Strafgerichtshofs.[viii] Auch vorsätzliche Angriffe auf Krankenhäuser sind Kriegsverbrechen nach Art. 8 Abs. 2b xxiv und Abs. 2e ii. Vorsätzliche Angriffe auf Wohnstätten und Gebäude, die nicht militärische Ziele sind, gelten gem. Art 8 Abs. 2b v als strafbare Kriegsverbrechen. Israel hat sich entschlossen bei der Bekämpfung der – inmitten der Zivilbevölkerung und teils in Tunneln unter ihr lebenden und agierenden – Hamas durch Zerstörung der Wohngebiete und der lebenswichtigen Infrastruktur des Gaza-Streifens unter Inkaufnahme zahlloser ziviler Opfer militärisch vorzugehen, um eigene Verluste zu minimieren. Das ist eine unverhältnismäßige Verteidigung und nicht durch Art. 51 UN-Charta gedeckt. Der Internationale Strafgerichtshof ist für die von israelischen Soldaten und Soldatinnen auf palästinensischen Gebiet begangenen Taten zuständig.Die Republik Südafrika hat am 29.12.2023 vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) gem. Art. 36, 40 des IGH-Statuts Klage gegen den Staat Israel erhoben.[ix] Südafrika wirft darin Israel vor, durch seine Handlungen gegen das palästinensische Volk im Anschluss an die schwerwiegenden Angriffe in Israel am 7.10.2023 gegen das Völkerrecht zu verstoßen, insbesondere gegen die Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes, die am 12.1.1951 in Kraft getreten ist.[x] Südafrika beantragt beim IGH gegen Israel einstweilige Maßnahmen anzuordnen, um die Völkerrechtsverstöße zu beenden und nicht wieder gutzumachende Verluste zu verhindern. Darüber wird der IGH in Kürze entscheiden. 

Deutschland

Deutschland ist Vertragsstaat der Genfer Abkommen und der Zusatzprotokolle. Demgemäß und aufgrund der völkergewohnheitsrechtlichen Geltung ist die Bundesregierung gem. Art. 1 der Genfer Abkommen i.V. mit Art. 25 GG verpflichtet, die Einhaltung der Abkommen durchzusetzen, d.h. auch auf Israel einzuwirken, die humanitären Regeln und Beschränkungen seines Notwehrechtes einzuhalten, auf unzulässige Methoden der Kriegsführung zu verzichten und die humanitären Lebensbedingungen der Bevölkerung Gazas wie Trinkwasser, Lebensmittel und Treibstoff für lebenswichtige Einrichtungen sicherzustellen.Die Bundesregierung trifft insoweit auch die Pflicht, auf Staaten wie Katar und Ägypten einzuwirken, die Kontakt und Einfluss auf die Hamas haben, damit das Wohlergehen der Geiseln gewährleistet wird, diese freigelassen werden und der wahllose Raketenbeschuss auf Israel eingestellt wird.Statt dieser dringend notwendigen und gebotenen diplomatischen Bemühungen hat die Bundesregierung die Rüstungsexporte nach Israel verzehnfacht.[xi] Damit verstößt die Bundesregierung gegen ihre völkerrechtlichen Verpflichtungen sowie den Waffenhandelsvertrag (ATT).Als Vertragsstaat der Völkermordkonvention darf Deutschland weder gegen die Konvention verstoßen noch andere Staaten dazu ermutigen. Die Unterstützung und die Förderung solcher Verstöße sind verboten. Warnungen der Vereinten Nationen vor einem drohenden Völkermord darf die Bundesregierung nicht missachten. Der UN-Generalsekretär Antonio Guterres bezeichnete Gaza nach der israelischen Intervention als einen „Friedhof für Kinder.“ Wörtlich: So „sind wir Zeugen“ …“eindeutiger Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht…in Gaza.“[xii] Die UN drängt die internationale Gemeinschaft einen Genozid an den Palästinensern zu verhindern und diplomatische Lösungen in diesem Konflikt zu suchen.Es besteht Veranlassung darauf hinzuweisen, dass das außenpolitische Handeln der Bundesregierung durch die uneingeschränkte Achtung der Menschenrechte bestimmt sein muss, die universell gelten und nicht nur selektiv angewendet werden dürfen. Das folgt zwingend aus der Bindung der Bundesregierung an Recht und Gesetz gemäß Art 20 Abs. 3 GG.Der Vorstand der IALANA fordert die Bundesregierung auf, ihren völkerrechtlichen Verpflichtungen nachzukommen und zum Schutz der Zivilbevölkerung tätig zu werden. Sie hat alles in ihrer Macht Stehende zu unternehmen und auf die Konfliktbeteiligten einzuwirken, damit die Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht unterbleiben. Dazu gehört, bei Abstimmungen in der UN-Generalversammlung gegen die Verletzung des humanitären Völkerrechts und für einen Waffenstillstand in Gaza zu stimmen.[xiii][i] BGBl. 1954 II S. 838; internationale Quelle UNTS vol. 75, p. 31[ii] BGBl. 1990 II S. 1637; internationale Quelle UNTS vol. 1125, p. 609[iii] UN A/CONF.183/9[iv] Heintschel von Heinegg in Knut Ipsen, Völkerrecht, 6.Aufl., § 52 Rdnr. 24 m.w.N.[v] BGBl. 1990 II, S. 1551; international Quelle UNTS vol. 1125, p. 3[vi] I.C.J. Reports 1996 (I) p.257 para 42[vii] I.C.J. Reports 2004, p. 136, para 157[viii] UNTS 2187, S.31[ix] https://www.icj-cij.org/sites/default/files/case-related/192/192-20231228-app-01-00-en.pdf  [x] BGBl. 1954 II S. 730, internationale Quelle UNTS vol. 78, p.277; für die Bundesrepublik Deutschland in Kraft getreten am 22.2.1955; heute 150 Vertragsparteien[xi] https://www.tagesschau.de/inland/israel-deutschland-ruestungsexporte-100.htm[xii] UNSG, Secretary-General’s remarks to the Security Council – on the Middle East [as delivered] (24 Oct 2023).[xiii] Mit der Resolution vom 12.12.2023 hat die UN-Vollversammlung mit einer Zweidrittelmehrheit einen Waffenstillstand zur Verbesserung der humanitären Situation im Gazastreifen und die sofortige Freilassung der Geiseln verlangt. Deutschland enthielt sich der Abstimmung, weil das kriegsauslösende Massaker der Hamas in der Resolution nicht erwähnt wird.

Quelle: Erklärung der IALANA

„Denk ich an Deutschland …“ von Moshe Zimmermann und Moshe Zuckermann. Buchempfehlung

Das Verhältnis Deutschlands zu Israel ist aus den uns bekannten Gründen ein ganz besonderes. Ein heikles zumal. Aus eben diesen Gründen ist Deutschland in Israel verständlicherweise ein empfindliches Thema. Nun bietet sich interessierten Leserinnen und Lesern eine Chance einen nähere Einblicke in die verschieden Problematiken zu gewinnen. Einblicke, die Politik und Medien uns so nicht vermitteln. Zwei hochkarätige Experten haben das Thema in vielen unterschiedlichen Aspekten beleuchtet. Dies sind Moshe Zuckermann von der Universität Tel Aviv und Moshe Zimmermann von der Hebräischen Universität in Jerusalem. Beide widmeten ihr gesamtes Forschungsleben der deutschen Geschichte. Getan haben sie dies via einer über ein Dreivierteljahr geführten E-Mail-Korrespondenz.

Das Buch in welchem diese Korrespondenz der beiden Historiker festgehalten wurde ist im Jahr 2022 zuerst auf Hebräisch in Israel erschienen.

Nun liegt es auf Deutsch vor. Herausgebracht vom Westend Verlag.

In einem WDR 5 – Interview [4] danach gefragt wer den Band lesen solle, antwortete Moshe Zimmermann, die Durchschnittsleser sollten dies tun. Diese Empfehlung teile ich unbedingt. Denn was wissen die Durchschnittsleser schon von diesem Thema?

Zimmermann sagte, in Israel dürfte die Beachtung dieses Buches nicht sonderlich hoch ausfallen. Seine Erklärung: Er und Moshe Zuckermann gehörten dem linken Flügel in Israel an, der im Übrigen stetig abnehme. Zudem täte man sie beide dort als „Spinner“ ab.

Moshe Zuckermann (zuletzt erschien von ihm im Westend Verlag sein Buch „Die Kunst ist frei?“ [1]) schrieb vor Erscheinen des hier vorzustellenden Bandes im Overton Magazin [2] zu dessen Inhalt und Anliegen des im Pingpong erfolgten E-Mail-Wechsels von ihm und Moshe Zimmermann:

«Den Schwerpunkt des Dialogs bildet die Triade Deutschland-Israel-Palästina, die historisch, soziologisch, sozial-psychologisch und kulturell beleuchtet wird. Diesem Projekt liegt die Absicht zugrunde, über die reichlich verzweigten Zusammenhänge dieser Konstellation samt diverser, sich aus ihr ergebenden thematischen Ableitungen Rechenschaft abzulegen, die sie bestimmenden Sachverhalte zu klären, mithin aufzuklären. Dass dies notwendig ist, weiß jeder, der sich mit den historischen Strukturen dieser Konstellation, mit deren ideologischen Beladungen, kollektivpsychischen Befindlichkeiten und den gewichtigen politischen wie sozialen Auswirkungen befasst hat.«

*Lesen wir, was Moshe Zuckermann in seiner ersten E-Mail an Moshe Zimmermann schrieb: „Der Versuch, Israel, Deutschland und Palästina in einem homogenen historisch-politischen Zusammenhang zu setzen, ist so notwendig wie problematisch. Er ist notwenig, weil die Konstellation dieser Triade in der Tat prägnante, unleugbare historischen Wurzeln aufweist. Deutschland hat den Holocaust des europäischen Judentums verursacht .“ Der Staat Israel wurde als nationale staatliche Zufluchtsstätte für das jüdische Volk gegründet. Um gegen jedes künftig drohende Unglück gewappnet zu sein. Verständlich. Aber liegt nicht da schon die Krux? Zuckermann: „Aber die Staatsgründung als emanzipativer Akt für die Juden ging mit einer kollektiven Katastrophe für das palästinensische Volk einher.“ Die Palästinenser nennen diese Katastrophe Nakba. Zuckermann weiter: „Die Benennung einer solchen Vebindung ist dahingehend problematisch, dass die Konstellation zugleich die ideologische Instrumentalisierung ihrer katastrophischen Aspekte samt deren Unterordnung unter heteronome Bedürfnisse und zudem unzulässigen Vergleiche und widersinnige Kausalverbindungen ermöglicht. Es lohnt sich daher, die zentralen ideologischen Grundlagen der Kontext-Koordinaten dieser unheiligen Dreifaltigkeit zu untersuchen.“

Zuckermann fragt sich, „ob es selbstverständlich war, die Adresse der Sühne für die von Deutschland am jüdischen Volk begangenen Verbrechen gerade im Staat Israel zu finden“.

„Als aber 1952 das sogenannte Wiedergutmachungsabkommen beschlossen wurde, war allen Beteiligten klar, dass des sich um einen Deal handelte“, schreibt Zuckermann, „desen Logik auf den partikularen Interessen einer jeden der beiden Seiten basierte.“

Ben Gurion war der erste, der von einem <<anderen Deutschland<< gesprochen hatte. Und er verschaffte dem Deal parlamentarische Geltung. Moshe Zuckermann: „Wie man die getroffenen und verwirklichte Entscheidungen auch betrachtet, Deutschland und Israel wollten letztlich beide den Deal, beide aus je eigenen zweckgerichtetem Kalkül: Jenes wollte bezahlen und dieses wollte bezahlt werden. Die ermordeten Opfer und die Überlebenden wurden mutatis mutandis zum Schlüsselfaktor bei der Umwandlung der historischen Schuld und der Sühne in einen materiellen Tauschwert.“ (S.13)

Diesbezüglich muss ich da an den marxistische Dichter Erich Fried denken, welchen die Journalistin Susann Witt-Stahl kürzlich in einem Beitrag zur Erwähnung brachte. Da „er das restaurative und revanchistische Wesen der Adenauerschen »Wiedergutmachung« und die perfide Ideologie des Begriffs – mit dem die Opfer des Naziterrors verhöhnt wurden, indem sogar ihr unermessliches Leid durch den Deal ›moralische Entlastung für das Täterland gegen Geld für die israelische Regierung‹ in den politischen Warenverkehr eingespeist wurde – entlarvte: »Die Wiedergutmachung kann eine geschickte Art sein, die Wiederschlechtmachung wieder gut einzuführen.«

*Dieser Abschnitt wurde am 8. Oktober 2023 eingefügt.

Und weiter:

«Die Koordinate Deutschland-Israel meint nicht nur die Beziehungen Deutschlands zum Staat Israel, sondern auch die damit einhergehenden Sedimentierungen des Verhältnisses zu Juden und zum Zionismus. Von selbst versteht sich dabei die beide Seiten betreffende kollektivpsychische Neuralgie angesichts des von Deutschen an Juden im 20. Jahrhundert Verbrochenen. Gleichwohl geht die Fragestellung in diesen Band übers Katastrophische hinaus und analysiert die philosophisch-ideologischen Impulse, die der Zionismus gerade aus der deutschen politischen Philosophie und den Ideologemen des deutschen Nationalismus im 19. Jahrhundert bezogen hat.«

Nicht unwichtig:

«Erörtert wird dabei auch die Triftigkeit der Behauptung einer deutsch-jüdischen Symbiose, die Gershom Scholem seinerzeit apodiktisch in Abrede stellte. Vor allem wird aber auch der Einfluss der aus diesem Diskurs gewonnenen Einsichten auf die heutigen deutsch-israelischen Beziehungen, mithin die ideologische Handhabung des Umgangs mit dem Antisemitismus kritisch unter die Lupe genommen.

Der diesbezügliche Wirkzusammenhang ergibt sich aus den Strukturen der Koordinate Israel-Palästina. Denn während sich die politische Kultur Deutschlands infolge der Shoah mit Israel als der “nationalen Zufluchtsstätte der Juden” identifiziert, erhebt sich immer mehr die Frage, mit was für einem Israel sich Deutschland solidarisiert. Kann Deutschland es sich leisten, sich unabdingbar mit einem Land zu solidarisieren, das ein Jahrzehnte währendes, verbrecherisches Okkupationsregime betreibt, sich dabei zunehmend als Apartheidstaat entpuppt, und sich durch eine von Rassismus, Fremdenhass und faschistoiden Elementen durchwirkten politischen Kultur auszeichnet?«

In Zuckermanns Antwort auf eine E-Mail Zimmermanns schreibt dieser am 30. April 2021:

„Es sei dabei, so besehen, hervorzuheben, dass der Zionismus von Anbeginn vom Antisemitismus «abhing«, es lässt sich gar behaupten, dass er eine objektives Interesse an dessen Bestehen hatte. Ich habe mal (ich weiß nicht mehr, wo) eine Ausspruch Ben Gurions gelesen, demzufolge der Antisemitismus dem Zionismus nütze, wenn er sich zuweilen, abschwäche, müsse er belebt werden.“ (S.22)

Überdies bekäme (…) „die israelische Bevölkerung kaum je Zugang zu Forschungen, die die soziologischen, psychologischen, politischen Dimensionen des Phänomens beleuchten, geschweige denn zu Untersuchungen dazu, inwiefern Israel selbst mit seiner Politik Rechtfertigungen für latente antisemitische Ressentiments produziert. Hinzu kommt, dass Israel auch im Rest der Welt keinesfalls Antisemitismus bekämpft; es bietet allenfalls den von ihm betroffenen Juden an, nach Israel zu emigrieren.“

Moshe Zuckermann skeptisch: „Es lässt sich natürlich fragen, ob der bestehende Antisemitismus überhaupt bekämpft werden kann.“

Moshe Zuckermann erklärt, als er „1970 (nach einem Jahrzehnt der Abwesenheit) nach Israel zurückkehrte“, dass „dies aus dezidiert zionistischen Gründen geschah“.

„Heute bin ich kein Zionist mehr, weil mir klar geworden ist, dass der Weg, den das zionistische Israel, in das ich, wie gesagt, als Zionist remigrierte, beschritten hat, ein schlechter, ein verbrecherischer und abstoßender Weg ist. Über das melancholische Gefühl hinaus, das mich zunehmend erfasst bei der Erkenntnis, dass ich die letzte Phase meines Lebens in einem Land zubringe, das sich beschleunigt faschisiert, einem Land, das von einem staatlichen Rassismus wie auch von einem grassierenden Alltagsrassismus durchwirkt ist, den nur noch die wenigsten Bürger dieses Staates zu bekämpfen bereit sind, einem Land, das es seit seinem Bestehen nicht geschafft hat, seine ethnischen, klassenmäßigen, politischen und ideologischen Konflikte und Zerrissenheiten zu bewältigen, und über die sich anhaltend verdichtende Überzeugung hinaus, dass es keinen Weg zurück mehr gibt von dem, was sich hier vor meinen Augen ereignet, bin ich vom erniedrigenden Gefühl beherrscht, besiegt worden zu sein, dem Gefühl, dass alles, wofür ich jahrzehntelang stand und gekämpft habe, eine erschütternde Niederlage erlitten habe.“

Zuckermann stellt sich auf den Standpunkt, an dem er sich sagt, „dass ein anständiger Mensch nicht mehr Zionist sein kann, wenn Zionismus das ist, was sich im Staat Israel in den Jahrzehnten seines Bestehens, besonders ab 1967, verwirklicht hat“. (S177/178)

Zimmermann, so Zuckermann, stelle dagegen fest, „dass die historischen Entwicklung des Zionismus nicht zwangsläufig so hätte verlaufen müssen, der Zionismus also in seinen Anfängen auch andere ideologischen Ansätze und alternative Potentiale enthalten habe“.

Zimmermann gibt sich bedrückt. Und schreibt in seiner Antwort-Mail: „Ich selbst habe ja auch eine Bedingung gestellt, nämlich: nur wenn Zionismus das ist, was die aufgeklärten Zionisten vor der Staatsgründung verwirklicht haben. Ich aber gehe (anders als Du) davon aus, dass diese Ideale auch heute noch umsetzbar sind. Als realistischer Beobachter ist mir gleichwohl klar, dass diese Alternative unter den heutigen Umständen nur eine geringe Chance hat.“

Weshalb, das sagte Moshe Zimmermann im weiter oben erwähntem Radiointerview. Die derzeitig ins Amt gelangte rechte Regierungskoalition in Israel, in welcher auch rechtsradikale bis rechtsextreme Minister sitzen, lässt natürlich diese Chance letztlich bei Null liegen.

Zimmermann erinnerte an die Weimarer Republik, wo auch die radikalen Kräfte erstarkten.

Noch einmal sei aus Moshe Zuckermanns Ausführungen im Overton Magazin zitiert: „Als Historiker behandeln wir diese Probleme nicht in polemischer Absicht, sondern im Bestreben, ihre sachliche Analyse zu fördern – etwa herauszufinden, wie der israelische Militarismus (über das Selbstverständliche der “Sicherheitsfrage” hinaus) mit langzeitlichen ideologischen Einflüssen aus dem 19. Jahrhundert zusammenhängt.

Hieraus ergibt sich auch die ideologische Grundstruktur der Koordinate Deutschland-Palästina. Denn da Deutschland sich als Israel (mithin den mitkodierten “Juden”) gegenüber verantwortlich sieht, und die Palästinenser Israels Feinde sind, beschränkt sich Deutschland inadäquaterweise in seiner Kritik an Israels Repressionspolitik. Die Palästinenser, die sich als “Opfer der Opfer” sehen – Israel gebraucht(e) in der Tat oft genug die Shoah-Erinnerung als Rechtfertigung seiner repressiven Maßnahmen gegen die Palästinenser –, haben dabei das Nachsehen.“

Da kommt einen natürlich auch Angela Merkels 2008 getätigte Äußerung vor dem israelischen Parlament, der Knesset, in den Sinn, wonach Israels Sicherheit Teil deutscher Staatsräson sei. [5]

Moshe Zuckermann hat diese Äußerung seinerzeit etwas irritiert.

Zuckermann verweist in diesem Beitrag auch darauf: «Nicht zuletzt, um die Kritik daran abzuwehren, hat Deutschland die Antisemitismus-Definition für sich in Anspruch genommen, die den sogenannten “israelbezogenen Antisemitismus” mit einbezieht, mithin jede (von Palästinensern) an Israels Politik erhobene Kritik als “antisemitisch” stempelt. Das an den Palästinensern durch Juden verübte historische Unrecht wird so durch den Bezug auf die von Deutschen an Juden verübten Verbrechen zwangsläufig perpetuiert.

Im Buch wird auch die den israelischen Diskurs besonders in den letzten Jahren umtreibende Frage erörtert, ob man “vergleichen darf”, d.h. ob man die strukturellen Entwicklungen in Israel mit Entwicklungen, die zum deutschen Nazismus führten, dem Vergleich aussetzen darf. Wo die Grenzen eines solchen Vergleichs liegen, dürfte auf der Hand liegen. Warum man aber um den Vergleich gar nicht herumkommen kann, ist in diesem Band zu lesen.«

Über die Antisemitismus-Definition (IHRA) lesen Sie hier etwas: [3]

Mögen viele Menschen diesen Band lesen. Mit unserem Eintritt in das Buch betreten wir ein weites Feld. Er enthält wichtige historische und politische Informationen, die unserer Wissen – das hinsichtlich des im Dialog der beiden Autoren ins Auge gefassten und beackerten Themas. Moshe Zuckermann und Moshe Zimmermann haben interessante Aspekte nicht nur angetönt, sondern bestmöglich beleuchtet und aus ihrer eigenen Biografie heraus mit Erinnerungen in Verbindung gebracht.

Beide Historiker trennt in betreffs ihrer Ansichten kaum etwas. Sie führen einen angeregten und uns Leser gewiss anregenden kollegialen Dialog, welcher uns sehr viel zu geben vermag und so manchen zum Nach- und Weiterdenken bringen kann.

Moshe Zuckermann, Moshe Zimmermann

Erscheinungstermin:25.09.2023
Seitenzahl:260
Ausstattung:Hardcover mit Schutzumschlag
Artikelnummer:9783864894022

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Über das Buch

Deutschland aus israelischer Perspektive.

Deutschland ist in Israel ein empfindliches Thema – das im vorliegenden Gesprächsband von zwei hochkarätigen Experten in vielen unterschiedlichen Aspekten beleuchtet wird. Moshe Zuckermann von der Universität Tel Aviv und Moshe Zimmermann von der Hebräischen Universität in Jerusalem, widmeten ihr gesamtes Forschungsleben der deutschen Geschichte. Ihr Buch ist ein profunder Dialog zu den Themen: Die Shoah der europäischen Juden, der israelisch-palästinensische Konflikt, der Antisemitismus und seine Instrumentalisierung zu politischen Zwecken, die zionistische politische Kultur Israels und ihre deutschen Wurzeln, und vieles mehr. Die Gespräche eint der Versuch, die Themen auf gemeinsamer Basis tiefergehend zu ergründen und auch Nuancen zu erörtern, die der öffentliche Diskurs oft in grober Eindimensionalität rezipiert.

Moshe Zuckermann wuchs als Sohn polnisch-jüdischer Holocaust-Überlebender in Tel Aviv auf. Seine Eltern emigrierten 1960 nach Frankfurt am Main. Nach seiner Rückkehr nach Israel im Jahr 1970 studierte er an der Universität Tel Aviv, wo er am Institute for the History and Philosophy of Science and Ideas lehrte und das Institut für deutsche Geschichte leitete. Im Westend Verlag erschien von ihm zuletzt „Die Kunst ist frei?“ (2022).

Moshe Zimmermann, geb. 1943 in Jerusalem, Professor emeritus für deutsche Geschichte der Hebräischen Universität Jerusalem; nach dem Studium der Geschichte und Politologie in Jerusalem und Hamburg Promotion über die Emanzipation der Hamburger Juden an der HU Jerusalem (1977); von 1986 bis 2012 Direktor des Richard-Koebner-Minerva-Zentrums für Deutsche Geschichte und Professor am Fachbereich für Geschichte der Hebräischen Universität. Mehrere Gastprofessuren an deutschen Universitäten.

Links

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Buchempfehlung zum besseren geschichtlichen Verständnis und der Umstände der Entstehung Israels: „Die ethnische Säuberung Palästinas“ von Ilhan Pappe.

Vier notwendige Betrachtungsebenen zur kritischen Bestandsaufnahme der gegenwärtigen deutschen bzw. westlichen Russland- und Ukraine-Politik

Ein Aufsatz von Jan Veil

 Kompletter Aufsatz als PDF

Einleitung

Nur eines setzt der folgende Text im Zusammenhang mit dem Ukrainekrieg grundsätzlich voraus: das Wissen um die oder wenigstens die Ahnung von der nicht zu leugnende/n Gefahr einer – allmählich oder plötzlich – neue Ebenen erreichenden Eskalation, die immer mehr Länder aktiv involvieren oder zum Einsatz immer zerstörerischerer Waffengattungen führen könnte. Als zudem halbwegs nüchterner Zeitgenosse, ausgestattet mit einem gewissen Hang zu Konfliktlösungen oder, bescheidener, zu Schadensbegrenzungen, ist man in dieser Zeit der Gegenaufklärung daher unausgesetzt mit folgenden Fragestellungen konfrontiert:

Wieso arbeiten – und arbeiteten – die in unserem Land politisch Verantwortlichen nicht unter Hochdruck:

(a) an einem Konzept vorläufiger gegenseitiger Bedingungen für einen Waffenstillstand in der Ukraine, der zumindest potenziell auch Aussicht auf Erfolg hat, anstatt sich lediglich an den Maximalforderungen eines Selenskyj oder Biden auszurichten – und zwar bevor sich die Kampfhandlungen auf andere Territorien auszuweiten, die Situation dadurch zu verkomplizieren und um ein weiteres Stück irreversibler zu machen droh(t)en;

(b)– darauf fußend – an Richtlinien für eine adäquate Sondierung zur Aufnahme ernsthafter Verhandlungen über tragfähige Friedensbedingungen [wobei diese Richtlinien unbedingt die Option umfassen sollten, bei begründetem Verdacht auf fanatisches Festhalten an nationalistischen und somit gegen ethnische Minderheiten gerichteten Positionen insbesondere bei den eigenen Bündnispartnern auch zu diesen wieder mehr Distanz herstellen zu können]?

Dies wäre unter dem Primat der Eskalationsverhinderung der einzige Weg, auf dem möglichst rasch und verlässlich eine Beendigung oder wenigstens ein Einfrieren des Krieges erreicht werden könnte, um endlich wieder auf die Verhandlungsebene zurückzugelangen; diese dürfte sich zwar äußerst komplex und langwierig gestalten, würde aber nicht länger massenhaft zu Toten, Verletzten, Vertriebenen und Traumatisierten führen.

Die nahezu vollständig eingetretene Weigerung der Ampelregierung, genau diese Fragen auch nur anzugehen geschweige denn ernsthaft zu beantworten, ist Ausdruck und Maß für die bereits seit etlichen Jahren zunehmend herrschende, gesamtgesellschaftliche Paradoxie, die die ohnehin schon existierende kognitive Dissonanz im kollektiven Bewusstsein der Bevölkerung weiter befördert. Um dieser Paradoxie begegnen zu können, deren tiefere Ursachen immer öfter bloß neue Formen und Ausmaße einer ungestümen Destruktivität hervorbringen, ist es zunächst wichtig, Folgendes zu verstehen – oder wenigstens nicht von vorn herein auszuschließen: So so gut wie alle Gründe, die bisher – mehr oder weniger offen – gegen eine Beschäftigung mit diesen Fragen ins Feld geführt worden sind, beruhen auf einer zuweilen bis ins Psychopathische verzerrten Realitäts-, Selbst- und Fremdwahrnehmung sowie einer zutiefst pervertierten, verlogenen und daher inhumanen ‚Ethik‘ unserer politischen ‚Eliten‘ und ihrer medialen Verlautbarungsorgane.

Jacques Baud, ein ehemaliger Geheimdienstoffizier der Schweizer Armee, strategischer Analyst und Buchautor mit den Schwerpunkten Geheimdienst und Terrorismus, der in seiner Laufbahn einige internationale Positionen bekleidete, „darunter auch bei der NATO, wo er den Fluss von Kleinwaffen im Donbass überwachte und an einem NATO-Programm zur Unterstützung der ukrainischen Streitkräfte bei der Wiederherstellung ihrer Kapazitäten und der Verbesserung der Personalverwaltung beteiligt war“, drückt dies moderater aus, was jedoch am Phänomen der Realitätsverweigerung via Projektion nichts ändert:

„Im Jahr 2014, während der Maidan-Revolution in Kiew, war ich bei der NATO in Brüssel. Mir ist aufgefallen, dass die Menschen die Situation nicht so einschätzen, wie sie ist, sondern wie sie sie sich wünschen. … In der Tat stellte sich für mich heraus, dass niemand in der NATO das geringste Interesse an der Ukraine hat. Wir neigen dazu, den Feind so darzustellen, wie wir ihn uns wünschen, und nicht so, wie er tatsächlich ist. Das ist das ultimative Rezept zum Scheitern.“ [ https://gesetze-ganz-einfach.de/jacques-baud-interview-zum-militaerkonflikt-in-der-ukraine/ (Jacques Baud: Interview zum Militärkonflikt in der Ukraine | 01.05.22)] | Mehr dazu vor allem in Teil IV.

Um diesen Komplex zumindest ansatzweise zu entwirren, möchte ich in einer – zugegeben notwendigerweise unvollständigen – Art von Bestandsaufnahme auf vier recht klar unterscheidbaren Ebenen Agenden, Ursachen, Wirkungen, Beschlüsse, An- und Aufkündigungen, Tatsachen, Erklärungen, Lügen, Verleumdungen, Massenmanipulation, Partikularinteressen, Anmaßungen, Vorurteile, totalitäres Gedankengut, Ereignisse, offene und verdeckte Aktionen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Feindbilder und Ängste möglichst systematisch auflisten und miteinander in Beziehung setzen; diese Methodik soll nicht nur immer klarer werdende, da jene Ebenen auch verknüpfende Zusammenhänge herausarbeiten; sie soll bestenfalls ferner Überlegungen zu dem erwähnten Paradoxon anregen:

Warum wurden die eingangs aufgeführten Fragen, und zwar für jedermann hör- und nachvollziehbar, bisher nie wirklich, d.h. nie mit der eigentlich angemessenen medialen und politischen Durchschlagskraft gestellt – und allein schon deshalb auch nie tatsächlich beantwortet?


Lesen Sie den kompletten Aufsatz als PDF-Datei: Vier notwendige Betrachtungsebenen zur kritischen Bestandsaufnahme der gegenwärtigen deutschen bzw. westlichen Russland- und Ukraine-Politik (PDF-Dokument, ca. 295 KB)

Der Aufsatz ist wie folgt gegliedert:

I. Sanktionsebene[funktional-operative Aspekte] oder:
Solidarisches Frieren und Hungern für die gerechte Sache: Die offen angestrebte Ruinierung Russlands

II. Bündnisebene[Glaubwürdigkeits-, bündnisrelevante und ethnische Aspekte] oder:
Gemeinsame bilaterale Sache mit militanten Ultranationalisten und russischsprachige bzw. -stämmige Ukrainer/innen verachtenden Neofaschisten: Die Verteidigung der ‚westlichen Werte‘ in der Ost- und Südukraine

III. Historische Ebene
[geopolitische und geschichtliche Ursachen betreffende Aspekte] oder:
Heuchlerisch-moralinsaure ‚Querfront‘-Geschichtsvergessenheit: Wenn systemrechte Alt-Feind- und systemlinke Neu-Feindbildler unserer politischen Klasse also absolut kein Problem mehr miteinander haben und Russland nahezu einhellig – erneut – zum Erzfeind erklärt wird

IV. Existenzialistische Ebene
[Menschen- und Weltbild betreffende sowie ethische Aspekte] oder:
Die unerträglich verlogene Hybris des von den USA völlig demokratisch dominierten ‚wertebasierten Westens‘: Der Zweck heiligt eben doch die Mittel – solange sie nur von den Guten eingesetzt werden

Fazit

Jan Veil, Frankfurt a. Main, ist Aktivist in der Demokratie– und Friedensbewegung und Mitglied der Freien Linken


Beitragsbild: Der russische Präsident Wladimir Putin bei einem Treffen mit dem deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz im Kreml in Moskau, 15.02.2022
Foto: Kremlin.ru, CC BY 4.0
Quelle: https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=115283761

Hinweis: Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht unbedingt meine. Ich veröffentliche sie aber gerne, um eine vielfältigeres Bild zu geben. Die Leserinnen und Leser dieses Blogs sind auch in der Lage sich selbst ein Bild zu machen.

„Deutschland – verraten und verkauft“. Rezension zu Wolfgang Bittners neuem Buch

Inzwischen erscheint mir Deutschland als Irr-Land. Nicht nur, dass seit gut einem Jahr über unserem Land die Corona-Krise mit allen damit verbundenen Wirrungen wie Mehltau lastet; nun droht mit der geplanten Änderung des Infektionsschutzgesetzes („Bevölkerungsschutzgesetz“) weiteres Ungemach. Ist Deutschland verraten und verkauft?

Auf 2020NEWS lesen wir:

„Um es mit den Worten von Jens Gnisa, dem ehemaligen Interessenvertreter von rund 17.000 Richtern in Deutschland, zu sagen:

„Der Bund schießt deutlich über alle Verhältnismäßigkeits–Grenzen hinaus.“

Und weiter:

„Nach seiner Ansicht

„…dürfte es sich wohl um das am tiefsten in die Grundrechte einschneidende Bundesgesetz der letzten Jahrzehnte handeln”.

Nach „Mama“ Merkel eine richtige Mutti Baerbock?

Des Weiteren balgen sich die Kanzlerkandidaten Laschet und Söder darum, wer von ihnen es wird. Die lachenden Dritten dürften die Grünen sein. Flapsig sei hier hingeknallt: Wird Robert Habeck Kanzlerin oder Annalena „Kobold“ Baerbock Kanzler und wenn ja, wie viele? Und schon ist es heraus! Die Bunt.de titelt: „Annalena Baerbock: Zweifache Mama und Kanzlerkandidatin“ Deutschland könnte nun nach „Mama“ Merkel, neuestens „Bundeskindergärtnerin“ (Matthias Heitmann) eine richtige Mutti kriegen. Na denn!

Haben wir denn keine anderen Sorgen? Wo doch der Hut an mehreren Ecken bereits brennt! „Wer Grün wählt, wählt Krieg“, fürchte ich und hoffe mich zu irren.

Wolfgang Bittners neues Buch enthält wichtige Hintergründe und Analysen

Kürzlich kam Wolfgang Bittners neues Buch „Deutschland – verraten und verkauft“ heraus (wir informierten: hier).

Es lohnt sich, es zu lesen – das sei vorausgeschickt. Wer bereits das Vorgängerbuch „Der neue West-Ost-Konflikt. Inszenierung einer Krise“ (hier mehr dazu) kennt, kann auf dem dort Beschriebenen aufbauen.

Die im aktuellen Buch ausgeführten Hintergründe und die auf vom Autor akribisch betriebener Recherchen fußenden Analysen und daraus gespeisten Anmerkungen sind komprimiert auf 320 Seiten untergebracht. Bittner erklärte kürzlich in einem von Beweg Was! geführtem Interview, das Komprimieren des Inhalts sei eine gewohnte Arbeitsweise von ihm. Auch, um nicht zu umfangreich zu werden. Ohnehin ist es ja den Lesern dank praktischerweise an den Seitenunterrändern angeführten, genauen Quellenangaben möglich, sich weiterführend – noch umfangreicher zu unterrichten.

Der Druck auf Russland wird ständig erhöht

Wolfgang Bittner beginnt sein Buch mit dem Oberkapitel „Die geopolitische Bedeutung Eurasiens“ (S.15). Wir können die damit verbundene Brisanz tatsächlich tagtäglich verfolgen. Der Druck von NATO und USA, mitgetragen leider auch durch eine wie ein US-Vasall agierende Bundesregierung samt ihres unsäglichen Außenministers Heiko Maas, SPD (!), auf Russland wird ständig erhöht und dabei – durch das abermalige Hochkochen des Ukraine-Konflikts – nicht einmal vor gefährlichen Provokationen an den unmittelbaren Grenzen Russlands zurückgeschreckt. Wenn Bittner in diesem Kapitel auf „Die Herzland-Theorie“ von Halford John Mackinder (1861-1947) zurückkommt, so tut er das aus gutem Grund (hier mein Beitrag zu einer Veröffentlichung des Westend Verlags).

„Das Heartland (Pivot Area) liegt im Zentrum der Weltinsel und erstreckt sich von der Wolga bis zum Jangtsekiang und vom Himalaya zur Arktik. Mackinders Heartland war das Gebiet, das vom Russischen Reich regiert wurde, danach von der Sowjetunion, abzüglich der Halbinsel Kamtschatka.“ (Quelle: Wikipedia)

Zur Erinnerung, es gilt: „Wer das Herzland beherrscht, beherrscht die Welt.“ Um zum Kern dieser Aussage vorzudringen, müssen wir uns nur vorstellen, was sich allein in diesem geografisch umrissenen Gebiet für eine Menge an Bodenschätzen befinden. Hinzu gedacht die immense strategische Bedeutung für diejenige Macht, welche das Gebiet beherrscht!

Die auf das Herzland erpichten Kreise haben ihr Ansinnen, es zu beherrschen, in Wirklichkeit niemals aufgegeben. Erst mit dem Untergang der Sowjetunion tat sich für diese Kreise wieder ein Fenster zur Umsetzung ihres schändlichen Vorhabens auf. Nun erst recht scharren sie nervös mit den Füßen, seit das Chinesisch-russisches Infrastrukturprojekt „One Belt, one road“ Gestalt anzunehmen beginnt. Bittner befasst sich damit ab S.17.

Ein Regime-Change in Moskau hat der Westen im Auge

Mit aller Macht und allen möglichen Mitteln versucht der Westen deshalb auch einen Regime-Change in Moskau ins Werk zu setzen. Wenig glaubwürdig wird das damit eher bemäntelt denn begründet, man habe dabei Demokratie und Menschenrechte im Auge.

Die USA verhindern eine für beide Seiten gedeihliche Zusammenarbeit von Russland und Deutschland seit 100 Jahren

Über 100 Jahre währen auch schon die Bemühungen der USA eine gedeihliche und auf gegenseitigen Vorteil ausgerichtete Zusammenarbeit von Deutschland mit Russland zu vereiteln. George Friedman von Stratfor hat das vor Jahren unverblümt öffentlich geäußert (hier). Wer dies verinnerlicht, dem dürften gleißend helle Lichter aufgehen. Und zwar nicht nur rückblickend. Wir erleben ja gerade wieder einmal mit welch Mitteln die USA die Fertigstellung des für Deutschland wichtigen Pipeline-Projekt Nord Stream 2 torpedieren. Mit übler Unterstützung von deutschen US-Einflusspersonen wie Norbert Röttgen und Cem Özdemir sowie dessen Parteikollegen Reinhard Bütikofer. Mehr schlecht als recht wehrt sich die Bundesregierung gegen diese im Grunde unverschämte Einflussnahme seitens Washingtons. Wolfgang Bittner erkennt darin nicht zu unrecht ein „Musterbeispiel für mangelnde deutsche Souveränität“ (S.117). Noch dazu würden „Die Pipeline und der Fall Nawalny“ (S.121) wohl mit Vorsatz miteinander in Verbindung gesetzt, um einen Vorwand zum Stopp von Nord Stream 2 zu haben.

Aufrüstung gegen wen? Bittner: „Wen wundert es, dass Russland Gegenmaßnahmen ergriffen hat?

Im Kapitel „Aufrüstung – gegen wen?“ S.84 zeichnet der Autor ein Bild der Gefahren, die allein durch das absprachewidrige Heranrücken der NATO an die russische Grenze entstanden seien. Er weist auf eine Rede des damaligen US-Vizepräsidenten Joe Biden im Jahre 2014 hin, worin dieser erklärt hatte „man wolle Russland ruinieren, wenn es sich nicht den westlichen Kapitalinteressen öffne“.

Vereint gegen Aufrüstung und Frieden auftreten

Bittner schreibt – und heute ist es ja aktueller denn je: „Wen wundert es, dass Russland Gegenmaßnahmen ergriffen hat? Wer kann unter diesen Bedingungen noch ernsthaft leugnen, dass akute Kriegsgefahr herrscht? (S.85)“

Mit folgenden Sätzen mahnt der Autor: „Wichtig wäre, dass demokratische Organisationen wie Gewerkschaften, Kirchen, Universitäten, aber auch eine starke Friedensbewegung und sogar Fridays-for-Future für Frieden und Abrüstung eintreten.“ Schließlich gehe vom Militär, der Rüstungsindustrie und stattfindenden Kriegen existenzielle Gefahren für die Umwelt aus.

Putin reichte Europa die Hand zu Frieden und Zusammenarbeit

Entgegen den ständigen Provokationen des Westens erinnert Wolfgang Bittner explizit daran, dass Wladimir Putin 2001 in seiner Rede vor dem Deutschen Bundestag Europa die Hand zur Zusammenarbeit gereicht hatte. Der russische Präsident hatte seinerzeit angeboten, die Potenziale Russlands mit denen der anderen Teile Europas zu vereinigen.

Doch der Westen schlug diese Hand aus und provozierte stattdessen immer weiter. Sanktionen wurden gegen Russland verhängt. Der Grund: die angebliche Annektion der Krim. Wobei geflissentlich vergessen worden sei, dass die Krim (die lange zu Russland gehört hatte, bis später der ukrainischstämmige Parteichef Nikita Chruschtschow der UdSSR, wohl in einer Wodka-Laune, die Insel an die Ukrainische Sowjetrepublik verschenkte) der Ukraine verloren ging, weil zuvor der Maidan-Putsch – unter Beteiligung von Faschisten – eine gefährliche Lage geschaffen hatte. In dem Falle hätte nämlich die NATO und die USA wohl sehr baldin Sewastopol gestanden, wo die russische Schwarzmeerflotte liegt.

Dreiste Provokation des Europäischen Parlaments rief Präsident Putin auf den Plan

Und auch in letzten Jahren, so Bittner, hätten die Provokationen des Westens nicht nachgelassen. Das Parlament der Europäischen Union leistete sich ein besonders dreiste Provokation. Auf Initiative von 18 polnischen EU-Abgeordneten wurde Russland eine wesentliche Mitschuld am Zweiten Weltkrieg zugeschoben!

Ausgerechnet auf polnische Initiative! Wo doch das Polen und dessen Marschall Pilsudski ebenfalls Schuld auf sich geladen hatte. Und Polen, die Verfolgung von Juden gar nicht mal so unrecht gewesen war. Und Polen ebenfalls fremde Gebiete okkupiert hatte!

Der russische Präsident Putin, dokumentiert Bittner, habe diese Schuldzuweisung nicht auf sich beruhen lassen und mit einer Abhandlung reagiert.

Bittner zitiert, was Putin allen westlichen Politikern ins Geschichtsbuch geschrieben hat:

Die eigentlichen Ursachen des Zweiten Weltkrieges ergeben sich in vieler Hinsicht aus den Entscheidungen, die zu den Ergebnissen des Ersten Weltkrieges getroffen wurden. Der Vertrag von Versailles wurde für Deutschland zu einem Symbol tiefer Ungerechtigkeit. Tatsächlich ging es um die Beraubung des Landes, das den westlichen Verbündeten riesige Reparationen zahlen musste, die seine Wirtschaft erschöpften. Der Oberbefehlshaber der alliierten Armeen, Marschall von Frankreich, Ferdinand Foch, gab dem Versailler Vertrag eine prophetische Bezeichnung: ‘Das ist kein Frieden. Das ist ein Waffenstand auf 20 Jahre gerade die nationale Demütigung bildete den Nährboden für radikale und revanchistische Stimmungen in Deutschland.“

Bittner erklärt, er wolle keineswegs deutsche Schuld verkleinern oder gar verneinen. Jedoch zeigten veröffentlichte Dokumente, dass der Vorwurf, Deutschland trage die alleinige Schuld am Ersten Weltkrieg inzwischen nicht mehr haltbar seien. Betreffs des Zweiten Weltkriegs stehe natürlich die Verantwortung für die ungeheuren Verbrechen, welche Hitlerdeutschland verübte, zweifelsfrei und unverrückbar fest. Allerdings müsse auch betrachtet werden, dass Hitler ohne finanzielle Unterstützung aus den USA – wie den windigen deutsch-amerikanischer Geschäftsmann Ernst Hanfstaengle und anderen nicht die Stärke hätte erlangen können, zu der er letztlich gelangte.

Auch hier dürfte es wieder darum gegangen sein, Deutschland gegen die Sowjetunion in Stellung zu bringen. Um somit beide Staaten zu schwächen.

Wenige Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die BRD zum Frontstaat gegen die Sowjetunion aufgebaut. Es hätte jedoch auch anders kommen können

Nicht zuletzt erinnert Wolfgang Bittner daran, dass auch die Art und Weise wie damals Christdemokrat Konrad Adenauer (knapp mit seiner eigenen Stimme (!) zur Mehrheit und auf den Posten des Bundeskanzlers gekommen). Dabei – da ist sich Bittner sicher – hätte die BRD mit einem Bundeskanzler Kurt Schumacher (SPD), dem Gegenkandidaten, ein ganz andere, wohl bessere Entwicklung genommen. So aber sei die junge BRD wenige Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs sofort wieder als Frontstaat gegen die Sowjetunion und Brückenstaat der USA aufgebaut und benutzt worden. Dabei habe es ja 1952 die sogenannte Stalin-Note gegeben, wonach sogar schon Deutschland als Ganzes möglich gewesen wäre, wenn es sich wie Österreich zur Neutralität verpflichtet hätte.

Bittner regt an, sich genauer mit Geschichte zu befassen

Wolfgang Bittners wichtiges Buch regt seine Leser*innen unbedingt auch an, sich näher genauer mit Geschichte jenseits der geschriebenen offiziellen Geschichtsbücher und Lehrbücher zu beschäftigen. Denn vieles, was diese bzw. die Medien uns an Geschichtswissen vermittelt haben und zum Teil noch weiter vermitteln, weist Lücken auf, ist nur halb wahr oder ganz und gar falsch. Warum das so ist? Geschichte, sollten wir eigentlich unterdessen wissen, wird von den Siegern geschrieben.

Und so ist es sehr zu begrüßen, dass der russische Präsident Wladimir Putin – letztlich auf die empörende EU-Resolution betreffs der angeblichen Mitschuld der Sowjetunion am Zweiten Weltkrieg reagierend – angekündigt hat, weitere Archive seines Landes zu öffnen und die Erkenntnisse daraus auch westlichen Historikern zur Verfügung zu stellen. Da könnten noch unangenehme Details zutage treten!

Gleiches Tun wäre westlichen Ländern zu empfehlen. Doch da wird noch viel gemauert derzeit.

Ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben? Politiker leben in der „Berliner Blase“ statt in der Realität

Die CDU führte mal den Slogan „Für ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben“ im Munde und ließ diesen auf ein Flugblatt (via CDU: hier) drucken. Im Kapitel „Die Berliner Blase“ (S.87) hat Bittner da eine anklagende Antwort. „Immer dringender“, führt er das Thema ein, „stellt sich die Frage: Wo leben führende Politikerinnen und Politiker?“ Und antwortet darauf: „Jedenfalls nicht in der Realität.“

Bittner: „Die ‘Volksvertreter’ schwadronieren, und sie ignorieren, dass mehr als zwanzig Millionen Menschen in Deutschland, das ist mehr als ein Viertel der Bevölkerung, am Rande oder unterhalb des Existenzminimums leben. Und es werden immer mehr.“

Wolfgang Bittner vermittelt einen umfassenden Überblick über die Hintergründe der derzeitigen weltpolitischen Situation. Auch Deutschlands Perspektive in Nach-Corona-Zeiten bleibt nicht unbesprochen

Auf den ersten Blick mag es provokant klingen, doch wird es von Wolfgang Bittner mit Fakten so schlüssig wie erstaunlich exakt belegt: Deutschland war und ist verraten und verkauft. Es sollte, findet Bittner, vielmehr weiter gute Beziehungen und eine Partnerschaft auf Augenhöhe mit den USA unterhalten. Aber ein Austritt aus dem Aggressionsbündnis NATO hält der Autor für dringend nötig.

Diese zentrale Erkenntnis, das Deutschland ansonsten verraten und verkauft ist bzw. auch bleibt, vermittelt Bittner im Buch, indem er sich der Thematik gleichsam in konzentrischen Kreisen annähert. Wobei er stets darauf bedacht war, seine Aussagen mit Zitaten von Experten zu unterfüttern damit abzusichern. Die Leser*innen erhalten so einen umfassenden Überblick über die Hintergründe der derzeitigen weltpolitischen Situation. Auch Deutschlands Perspektive in Nach-Corona-Zeiten bleibt nicht unbedacht.

Weitere Stichworte sind neben dem bereits erwähnten Versailler Vertrag, die Weimarer Republik und Hitlers Aufstieg, das Versagen der Medien, aber auch die Corona-Krise in Verbindung mit dem sogenannten Great Reset. Auch die Profiteure der Corona-Krise bleiben nicht unerwähnt. Das vorliegende Werk bietet mit seinen zahlreichen Zitaten und Hinweisen einen unschätzbaren Fundus an politischem, kulturwissenschaftlichem und historischem Wissen.

Klappentext: Die USA maßen sich an, Einfluss auf alles zu nehmen, was in der Welt geschieht. Als höchstgerüstete Militärmacht setzen sie ihre wirtschaftlichen und strategischen Interessen rücksichtslos mittels völkerrechtswidriger Interventionen, Sanktionen und Kriegen durch. Deutschland, seit 1945 Frontstaat und Brückenkopf der USA, folgt weitgehend den Vorgaben aus Washington und macht sich mitschuldig. Politik und Gesellschaft, Organisationen und Medien, sogar Regierung und Parlament sind durchsetzt mit korrumpierten oder ideologisch befangenen Einflusspersonen, die nicht das Wohl der breiten Bevölkerung im Blick haben. Im Hintergrund agiert eine kleine Gruppe egomanischer Multimilliardäre, die sich als Weltelite versteht. Sie wirkt auf die Politik der westlichen Welt ein und verfügt über die dafür notwendigen Mittel und Hilfskräfte. Insofern ist es an der Zeit für eine fundamentale Umorientierung, wozu es zuvorderst umfassender Aufklärung bedarf.

Mögen die Schlussworte von Wolfgang Bittners Buch verstanden und beherzigt werden

„Es scheint so, als stehe die Katastrophenuhr, die von manchen auch Atomkriegsuhr oder Weltungergangsuhr genannt wird, auf kurz vor zwölf. Und die führenden Politiker Deutschlands beteiligen sich an diesem Katastrophenaufbau zum Schaden des eigenen Landes, das für die USA Brückenkopf und Frontstaat ist, anstatt ohne Wenn und Aber für Abrüstung und Verständigung mit Russland und China sowie für die Wahrung der Grundrechte einzutreten. Es ist davon auszugehen, dass sie wissen, was sie anrichten. Sie sollten zur Rechenschaft gezogen werden.“

Dem ist nichts hinzufügen.

Mein Fazit:

Unverzichtbarer Lesestoff! Wenn das Buch Schulstoff würde, fände ich es persönlich nicht verkehrt.

Und was das Buch auch vermittelt: Gebt euch nicht zufrieden, mit dem, was euch zuweilen das d i e

Wahrheit in Sachen Geschichte erzählt wird.

Und blicken wir heute in die Gegenwart hinaus, so sollten wir genau hinsehen. Heute wird abermals – wie schon oft in der Geschichte – gelogen und Tatsachen verdreht. So verschieden zu damals vor dem Ersten und auch dem Zweiten Weltkrieg geht es gar nicht. Es geht um Interessen. Niemals, wie Egon Bahr einmal Schülern gegenüber bemerkte, niemals um Demokratie und Menschenrechte.

Wolfgang Bittners Buch lässt uns – so es angesichts der Tatsachen nicht ohnehin bereits geschehen ist – die Frage aufrufen: Haben wir aus der Vergangenheit etwas gelernt? Die Antwort dürfte deutlich ausfallen. Schon wieder geschieht ähnlich Bedenkliches wie vor den letzten großen Weltkriegen. Und wir schauen zu? Woher haben eigentlich Politiker wie Frank-Walter Steinmeier oder Heiko Maas ihr Geschichtswissen bezogen? Und was treibt sie heute an, so definitiv fahrlässig zu handeln, wie sie handeln? Sind ihnen denn Egon Bahrs Worte und dessen Warnung, wir lebten in Vorkriegszeiten nicht zu Ohren gekommen?

Soeben las ich: Britische Kriegsschiffe seien ins Schwarze Meer unterwegs …

Über den Autor

Wolfgang Bittner lebt als Schriftsteller und Publizist in Göttingen. Der promovierte Jurist schreibt Bücher für Erwachsene, Jugendliche und Kinder. Er erhielt mehrere Preise und Auszeichnungen und ist Mitglied im PEN. Von 1996 bis 1998 gehörte er dem Rundfunkrat des WDR an, von 1997 bis 2001 dem Bundesvorstand des Verbandes deutscher Schriftsteller. Ausgedehnte Reisen führten ihn nach Vorderasien, Mexiko, Kanada und Neuseeland, Gastprofessuren 2004 und 2006 nach Polen. Wolfgang Bittner war freier Mitarbeiter bei Zeitungen, Zeitschriften, Hörfunk und Fernsehen und hat mehr als 60 Bücher veröffentlicht, zuletzt das Sachbuch „Der neue West-Ost-Konflikt – Inszenierung einer Krise“ und den Roman „Die Heimat, der Krieg und der Goldene Westen“.

Erschienen im Verlag zeitgeist am 19.3.2021, Broschur, 320 S. mit 33 Abbildungen, 19,90 €

Verlag zeitgeist Print & Online, Hermann-Geisen-Straße 1, 56203 Höhr-Grenzhausen,

Mehr zu diesem Buch: https://www.zeitgeist-online.de/deutschland-verraten-und-verkauft

Quelle: zeitgeist Verlag

Die bornierte Falschheit von Maas und Merkel

ARD-aktuell kaschiert ihre Doppelzüngigkeit und gefährliche Konfrontationspolitik gegenüber Russland und China

Von Friedhelm Klinkhammer und Volker Bräutigam

Für den Hausgebrauch formuliert unser aller Kanzlerin Angela Merkel ihren Kategorischen Imperativ: „Rechtsextremismus müssen wir in den Anfängen bekämpfen, ohne jedes Tabu … sonst haben wir einen vollkommenen Verlust der Glaubwürdigkeit.“(1) Beachtet man allerdings, wie Merkels Regierungssprecher sich ahnungslos und nicht-wissend gegenüber dem Neonazismus und Rassismus im „befreundeten“ Ausland gibt (2)Adolf Hitler war der größte Mensch, er hat direkte Demokratie praktiziert“ (3, 4) – dann kann von Glaubwürdigkeit gleich keine Rede mehr sein. Außenminister Maas, „wegen Auschwitz in die Politik gegangen“ (5), belegt davon unbeschadet den Auschwitz-Befreier Russland mit Sanktionen und verlangt sogar, den Rassisten Nawalny („… diese Drecksjuden!“ [6]) freizulassen. (7) Und die Tagesschau, längst erhaben über jeden Gedanken an kritisch-sauberen Journalismus, verschleiert all den Widersinn und die Doppelmoral der Bundesregierung.

Anlässlich des Jahrestages der rassistisch motivierten Hanauer Morde tat sich die Kanzlerin mal wieder dicke und gab die Vorkämpferin gegen Rechts.

„Wir stellen uns denen, die versuchen, Deutschland zu spalten, mit aller Kraft und Entschlossenheit entgegen,“ (8)

schnuffelte sie in ihrem wöchentlichen Selbstdarstellungs-Video, und die Tagesschau übernahm den Ausschnitt geflissentlich. (ebd.) Die Hamburger vermieden hingegen sorgfältig, über die vehemente Kritik der Holocaust-Überlebenden Esther Bejarano zu berichten. In einem Grußwort an die Angehörigen der Opfer des Hanauer Massakers hatte Bejanaro über die rassistischen Auswüchse im deutschen Polizeiapparat geklagt: 

„Schlimmer noch: Einige Beamte und Beamtinnen sind Teil der Netzwerke. Betroffene werden stigmatisiert und kriminalisiert. Aber wir werden dagegen aufstehen.“ (9)

Solche Worte passen eben nicht zum regierungsamtlichen, im öffentlich-rechtlichen Rundfunk gezeigten Bild vom wohlanständigen deutschen Antifaschismus.

Geldhahn auf für Ukro-Nazis

Angesichts der nazistischen Umtriebe in Kiew (s. Anm. 4) hätten Berlin und auch Brüssel sofort reagieren und für die Ukraine den Geldhahn zudrehen müssen. So hatte es der Bundestagsabgeordnete Andrej Hunko gefordert (10). Stattdessen fließen aus deutschen und europäischen Steuermitteln Milliarden Euro nach Kiew:

„Deutschland hat großes Interesse an einer stabilen, demokratischen und wirtschaftlich prosperierenden Ukraine. Seit 2014 hat Deutschland die Ukraine insgesamt mit über 1,8 Mrd. EUR unterstützt.“ (11)

Eintausendachthundert Millionen Euro zahlte Deutschland bereits an die Regierung in Kiew. An ein politisches System, das den Nazi-Kollaborateur Stepan Bandera zum Nationalhelden kürte. An einen Staat, dessen einst von seinen Wählern bejubelter Präsident Wolodymyr Selensky kurzerhand drei oppositionelle Fernsehsender abschalten ließ, weil deren russlandfreundliche Programmangebote ihm nicht passten. (12, 13) Diesen Frontalangriff auf die Säulen der Demokratie, auf Rundfunk- und Meinungsfreiheit, kommentierte die Bundesregierung auch noch so:

Es ist legitim, dass die Ukraine ihre territoriale Integrität und nationale Sicherheit schützt und sich angesichts des Ausmaßes von Desinformationskampagnen im Land gegen manipulierte Informationen wehrt. (14)

Denn nur echt demokratisch gesinnte Regierende wissen, was echt wahr und was echt eine Gefahr für die nationale Sicherheit ist – und deshalb echt verboten gehört, gelle? Also unterstützen unsere regierenden Antidemokraten ihre Gesinnungsfreunde und Nazi-Verehrer in Kiew. Und zwar auf diplomatisch-politischer Ebene genauso wie mit massenhaft Kohle. Jüngste deutsche Quertreiberei ganz im Sinne der Ukronazis: Russland hatte in die OSZE eine Initiative eingebracht, um endlich die Umsetzung des Minsk-II-Abkommens zur Befriedung der Ukraine zu erreichen. Sie enthielt nur drei Punkte:  

„Unterstützung des vom UN-Sicherheitsrat gebilligten Minsker Abkommens, Aufforderung nach baldiger Umsetzung und eine Aufforderung an die Strukturen der OSZE, dabei behilflich zu sein.“ (15)

Völlig unerwartet lehnten Kiew und seine westlichen Verbündeten die Initiative ab – auch Deutschland. (ebd.) Und unsere öffentlich-rechtliche Tagesschau? Macht einen großen Bogen um all diese Ungeheuerlichkeiten, wie es sich für einen echten Nachrichtendienstboten gehört.

Gelebte Perversionen

Kommen wir noch einmal auf das geradlinige Denken unseres großen Außenministers Maas zurück, der „wegen Auschwitz“ in die Politik ging (natürlich nicht wegen der Karriereaussichten und der fetten Diäten), ergo ein grundanständiger Mensch sein muss. Wenn´s Covid-19-mäßig klemmt, verweigert er eben doch jüdischen Exilanten aus Russland die Einreise in die Bundesrepublik (16), allem geschichtsbewussten humanitären Anspruch zum Trotz. Dann dürfen nur noch deutsche Spätaussiedler, sogenannte Volksdeutsche, zu uns rein.

Zweierlei Maas, hier haben wir´s in Reinform: Einerseits (wegen des kriminellen Nawalny) die Politik der Wirtschaftssanktionen gegenüber Russland anfeuern und andererseits mahnen:

„Eine wirtschaftliche Isolierung Russlands würde das Land nur weiter in die Arme Chinas treiben …(das) ist nicht nur falsch, sondern gefährlich“. (17)

Das offenbart ein so irres Defizit an Logik, dass man sich unwillkürlich fragt, wo der Notarzt bleibt. Hat dieser Außenminister nicht seit seinem Amtsantritt unzählige Attacken gegen Russlands Regierung geritten? Hat er nicht wieder und wieder mit mörderischer Sanktionspolitik das deutsch-russische Verhältnis schwerstens belastet, auch auf Kosten abertausender syrischer Menschenleben? Die gewaltfreie und dem Bevölkerungswillen gemäße Wiedereingliederung der Krim in die Russische Föderation sowie Russlands völkerrechtskonforme Unterstützung Syriens reichen unserem Berliner Hampelmann aus, dem Kreml „Aggression“ vorzuwerfen und dagegen die „Entschlossenheit des Westens“ einzufordern – ganz im Sinne seiner Strippenzieher in Washington. Die Tagesschau wirft ja trotz allem nicht die Frage auf: Wie tief können Hirnrisse eigentlich reichen?

Umsturz-Politik

In transatlantischem Kadavergehorsam unterstützt unser Außenminister die Anstrengungen der USA, den Verlust ihrer Weltherrschaft aufzuhalten und in Russland wieder ein gefügiges Regime à la Boris Jelzin zu installieren. Merkel und Maas sagen nicht selbst, dass das „System Putin“ gestürzt werden soll. Aber sie lassen widerspruchslos zu, dass es einer ihrer konservativen Prolieferanten sagt, der Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, Gabriel Felbermayr:

„Die Ziele, die wir gegenüber Russland haben, sind ja sehr große. Wir wollen ja nicht weniger als einen Regimewandel in Russland, das ist sehr schwer zu erreichen mit wirtschaftlichem Druck.“ (18, 19)

„Putin muss weg – Nawalny for president!“ verfolgt das Ziel, Russland wieder dem Westen gefügig zu machen und abermals zu Schleuderpreisen auf seine gigantischen Rohstoffreserven zuzugreifen. Spezialdemokrat Gernot Erler, vormals „Russland-Beauftragter“ der Bundesregierung, kleidete die Hintergedanken in ein hinterfotziges Lob:   

„Der Westen respektierte Michail Gorbatschow als einen der Väter der deutschen Einheit und sah Russland in der Jelzin-Zeit auf dem Weg zu Demokratie und Marktwirtschaft. Ein Weg, zu dem sich Präsident Putin bei seiner berühmten Rede im Bundestag 2001 noch ausdrücklich bekannte…“ (20)

Die Oligarchen des “Werte-Westens” wünschen sich die Zustände der Jelzin-Zeit zurück, als vormals sowjetisches Staatseigentum von Wirtschaftsverbrechern wie Michail Chodorkowski geplündert und Milliardenwerte ins westliche Ausland verschoben wurden, so dass die russische Bevölkerung in Hunger und Elend versank.

Krawallny bis zum Geht-nicht-mehr

Mit Alexej Nawalny, einem ausgewiesenen Chodorkowski-Protegé, ließe sich das wohl wieder so einrichten. Er ist ja ebenfalls ein rechtskräftig verurteilter und derzeit erneut vor einer entsprechenden Anklage stehender Wirtschaftskrimineller. Dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, EGMR, die russischen Urteile gegen ihn und Chodorkowski als Willkürakte einstufte, spricht eher gegen diese Richter als gegen Russland; der EGMR ist schließlich unübersehbar mit vormaligen Politikern besetzt und macht kein Hehl aus seiner Einäugigkeit. (21, 22) Zu einem ähnlichen Urteil wie dem für Nawalny hat der EGMR sich im Fall des in London eingekerkerten Journalisten Assange nicht aufgerafft.

Ungezählte Male und trotz des Überdrusses der deutschen Öffentlichkeit haben Merkel und Maas – mit tatkräftiger Unterstützung der Tagesschau-Redaktion – ihre Nawalny-Zirkusnummern aufgeführt und ihn zu einem Märtyrer für Freiheit und Menschenrechte stilisiert:

„…  Weil er Korruption und Bereicherung in höchsten Kreisen anprangert. Weil er die Willkür von Gerichten und Behörden beklagt. Weil er sich nicht den Mund verbieten lässt. Nawalny rüttelt damit an den zentralen Pfeilern, auf denen das System Putin seit mehr als 20 Jahren steht.“ (23)

Dass der Mann sich eben wieder als rechter Kotzbrocken in einem Gerichtssaal aufführte und mit seinen widerwärtigen Schmähungen sogar hochbetagte Weltkrieg-II-Veteranen überzog, konnte man in hunderten von Beiträgen nationaler und internationaler Medien nachlesen (24, 25, 26), aber nicht von der Tagesschau erfahren. Er beleidigte einen 94-Jährigen derart gehässig, dass der greise Veteran zusammenbrach und am Fortgang der Verhandlung nicht mehr teilnehmen konnte. Dass Nawalny wegen seiner bösartigen Ausfälle zu einer für deutsche Verhältnisse milden Geldstrafe verurteilt wurde, skandalisierte die Tagesschau hingegen mit dicken Krokodilstränen im Knopfloch – sogar als Aufmacher in ihrer Hauptausgabe um 20 Uhr. (27)

Vergessen die Zeiten, als Nawalny auch im öffentlich-rechtlichen Rundfunk noch so dargestellt wurde, wie er sich selbst gab:  

„Früher beschimpfte er Bürgerrechtler und Schwule. Die einen seien ‚quasiliberale Wichser‘ oder ‚senile Trickbetrüger‘, die anderen ‚Schwuchteln‘, die weggesperrt gehörten. … In der Sache bleibt er unverändert.“ (28)

Aus Tagesschau-Sicht ist Nawalny heute ein Held – und Heiko Maas ein angesehener Außenminister. Gründlichere Beobachter kommen allerdings zu einer wesentlich nüchterneren Einschätzung:

„… Heiko Maas ist in dieser Kampagne ein unredlicher Scharfmacher, der völlig ohne Beleg die Behauptung aufstellte, dass es Indizien gebe, dass der Kreml hinter dem Giftanschlag stehe. Das war selbstdem Ministerpräsidenten von Sachsen, Michael Kretschmer, zu viel, der … zum Agieren von Maas anmerkte, dass ‚diesersodurchdrehe,dass dies kein gutes Zeichen für dieses Land‘ sei.“ (29)

Das Ende vernunftgeleiteter Politik

Inzwischen steht fest, dass Maas – mit Merkels Billigung, denn sie bestimmt die Richtlinien der Politik – die einst freundschaftlichen Beziehungen Deutschlands zu Russland restlos zerstört hat. Der russische Außenminister Lawrow:

„Die deutsche Regierung untergräbt das in Jahrzehnten aufgebaute Vertrauen, das Grundlage für die Freundschaft zwischen der UdSSR und der DDR sowie der Ostpolitik von Willy Brandt war. Heute sagt sich Berlin sowohl von der DDR als auch vom politischen Erbe von Willy Brandt los. Das Band des gegenseitigen Vertrauens ist zerrissen.“ (30)

Eine Meldung mit diesem Zitat hätte in sämtliche Ausgaben der Tagesschau gehört. Sie war ein journalistisches Muss. Doch ARD-aktuell versteckte sogar Lawrows Warnung, Russland werde die Beziehungen zur EU komplett abbrechen, falls sie ihre Sanktionspolitik weiter steigere, sorgfältig in einer stillen Ecke der tagesschau.de. (31)

Unklar bleibt, welche Vorteile unsere Politiker und ihre medialen Wasserträger sich eigentlich von ihren plumpen Attacken gegen Russland versprechen. Einen ergiebigen Anwendungsbereich hat ihre böswillige Feindbildpflege allerdings: Sie dient der Begründung und Rechtfertigung ständig steigender Rüstungsausgaben, sichert also die satten Profite unseres militärisch-industriellen Komplexes.Die Bundesregierungmeldeteder Brüsseler NATO-Zentraletrotz der Corona-Epidemiefür das laufende Jahr „Verteidigungs“ausgaben von 53,03 Milliarden Euro.Das sind fast zehn Prozent Steigerung innerhalb von nur zwei Jahren (32) und katapultiert Deutschland in die oberste Reihe jener Länder, die ihre Militärhaushalte maßgeblich steigern. (33)   

Die Musik spielt im Osten

Hatte unser diplomatisches Genie Heiko Maas nicht gerade noch davor gewarnt, „Russland in die Arme Chinas zu treiben“? (Anm. 17) Sch…sch… schon passiert, Heiko: Der chinesische Außenminister Wang Yi hat seinem russischen Kollegen Lawrow bereits im Dezember vorgeschlagen, über ein formelles Militärbündnis mit gegenseitigen Schutzgarantien nach dem Muster der NATO zu verhandeln. (34) Präsident Putin hat zugestimmt – und so könnte ein US-amerikanischer Albtraum wahr werden. (35) An sowas will die Tagesschau natürlich nicht rühren.

Militärische Machtverschiebungen, das kapiert man sogar in den USA,stärken immer auch die Wirtschaftskraft der fraglichen Partnerländer. Ganz besonders in diesem Fall: China fehlen Rohstoffe, die Russland im Überfluss hat, und Russland kann vom technologischen Spitzenstandard und der Leistungsstärke der chinesischen Industrie profitieren. Gemeinsam werden sie weiter anWettbewerbsstärke und globalerBedeutung gegenüber dem Westen gewinnen. Für China ist dabei von Vorteil, dass Russlands hochentwickelte Waffensysteme denen der USA zurzeit weit überlegen sind. Ein Vorsprung, den das gesamte NATO-Bündnis in den nächsten Jahren nicht wird aufholen können.

Nichtsdestotrotz droht US-Präsident Biden verstärkten Kampf „für die Demokratie“ gegen Russland und China an: „Amerika ist zurück!“ (36) Und selbstverständlich kommt das politische Funktionspersonal unserer (Rüstungs-)Wirtschaft, angeführt von Kanzlerin Merkel, eilfertig Bidens Forderung nach und apportiert ihm mit gekrümmtem Rücken eine Verlängerung der Bundeswehr- Einsätze in Afghanistan und Afrika. (ebd.) Dabei sind 61 Prozent unserer deutschen Mitmenschen gegen diese vermaledeiten Auslandseinsätze. (37) Doch Oberdemokratin Merkel pariert trotzdem lieber den Amis.

Biden, Merkel, Maas und alle Kalten Krieger ihres Schlages wären gut beraten, die Sichtweise der chinesischen Kommunisten wenigstens zur Kenntnis zu nehmen: 

„Washington und Brüsselhabenan der strategischen Überlegung festgehalten, Russland zu schwächen. Wir glauben jedoch, dass Russland nicht von den USA und dem Westen besiegt wird. Russland hat eine Widerstandsfähigkeit und Ausdauer, die sich die Westler nicht vorstellen können. … Wenn die USA und der Westen jetzt politische Probleme aufwerfen, werden Zeit und Glück nicht an ihrer Seite stehen.” (38, Übers. d. Verf.)

Es gehört schon eine Riesenportion deutsche Dummheit und Arroganz dazu, den russisch-chinesischen Block auch noch mit geradezu bescheuerten Regime-change- Provokationen (von Hongkong über Minsk bis St. Petersburg) gegen sich aufzubringen. Das Merkel-Maas-Ensemble intrigiert ja nicht nur gegen China und Russland, sondern schmiert auch die Revoluzzer in Weißrussland – zur Freude aller transatlantischen Bellizisten. Der Versuch, Weißrussland von Russland abzuspalten, konnte nur die gegenteilige Konsequenz haben: Moskau und Minsk bei deren Verhandlungen über eine Wiedervereinigung der beiden Staaten zu bestärken. (39)

Konfrontation auf Teufel komm raus

Das „tiefgreifende systematische Unverständnis“ (40) der Bundesregierung hat längst die Spitzenjournalisten der ARD-aktuell infiziert. Kommentarlos ließen sie Heiko Maas tagesschau-öffentlich nach Verlängerung des Mandats für den Bundeswehr-Einsatz in Afghanistan rufen. (41) Dass er damit die militärische Ausrichtung Deutschlands auf die geostrategische Konfrontation der USA/NATO mit Russland und China vorantreibt (42) und unser Land zum Schlachtfeld werden kann, hängt für Tagesschau-Redakteure von heute zu hoch.

Es kommt halt immer anders – wenn man denkt. Am Denken hapert es jedoch bei unseren Berliner Strategen und ihrer medialen Hamburger Gefolgschaft. Rechnen wir also weiterhin mit verdeppten Tagesschau-Nachrichten à la „Die Lage spitzt sich weiter zu“, bis Ramstein und Büchel in die Luft fliegen. Denn kein höheres Wesen erbarmt sich unser.

Die Autoren

Friedhelm Klinkhammer, Jahrgang 1944, Jurist. 1975 bis 2008 Mitarbeiter des NDR, zeitweise Vorsitzender des NDR-Gesamtpersonalrats und des ver.di-Betriebsverbandes sowie Referent einer Funkhausdirektorin.

Volker Bräutigam (links) und Friedrich Klinkhammer. Foto: C. Stile

Volker Bräutigam, Jahrgang 1941, Redakteur. 1975 bis 1996 Mitarbeiter des NDR, zunächst in der Tagesschau, von 1992 an in der Kulturredaktion für N3. Danach Lehrauftrag an der Fu-Jen-Universität in Taipeh.

Anmerkung der Autoren:

Unsere Beiträge stehen zur freien Verfügung, nichtkommerzielle Zwecke der Veröffentlichung vorausgesetzt. Wir schreiben nicht für Honorar, sondern gegen die „mediale Massenverblödung“ (in memoriam Peter Scholl-Latour). Die Texte werden vom Verein „Ständige Publikumskonferenz öffentlich-rechtlicher Medien e.V.“ dokumentiert:

Hinweis: Gastbeiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.

Beitragsbild: von simonschmid614 auf Pixabay

Quellen und Anmerkungen:

(1) https://www.welt.de/politik/deutschland/article195715397/Angela-Merkel-warnt-nach-Luebcke-Mord-vor-Verlust-der-Glaubwuerdigkeit.html

(2) https://www.youtube.com/watch?v=-f6B5ilLgkY

(3) https://www.youtube.com/watch?v=tof3OBZ3itM

(4) http://blauerbote.com/2018/09/08/hitler-war-ein-grosser-demokrat/

(5) https://www.juedische-allgemeine.de/politik/ich-bin-wegen-auschwitz-in-die-politik-gegangen/

(6) https://www.anti-spiegel.ru/2021/dritter-verhandlungstag-gegen-navalny-und-was-der-spiegel-daraus-macht/

(7) https://www.merkur.de/politik/maas-fuer-neue-russland-sanktionen-gegen-aus-fuer-pipeline-zr-90199502.html

(8) https://www.tagesschau.de/inland/merkel-hanau-rassismus-101.html

(9) https://www.heise.de/tp/features/Zerschlagung-rassistischer-Netzwerke-in-Behoerden-gefordert-5056940.html

(10) https://www.andrej-hunko.de/component/tags/tag/ukraine

(11) https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/ukraine-node/bilaterale-beziehungen/202760

(12) https://southfront.org/land-of-freedom-and-democracy-after-shutting-down-opposition-tv-channels-kiev-regime-issues-treason-accusation-against-opposition-blogger/

(13) https://www.infosperber.ch/freiheit-recht/traurige-nachrichten-aus-der-ukraine/

(14) https://www.auswaertiges-amt.de/de/newsroom/regierungspressekonferenz/2440116#content_3

(15) https://www.anti-spiegel.ru/2021/steht-das-ende-des-minsker-abkommens-bevor-deutschland-stimmt-gegen-initiative-zur-umsetzung-des-abkommens/

(16)  https://www.juedische-allgemeine.de/politik/keine-einreise-nach-deutschland-fuer-juden/

(17) https://www.zdf.de/nachrichten/politik/russland-nawalny-nord-stream-2-bundestag-100.html

(18) https://www.deutschlandfunk.de/neue-eu-sanktionen-gegen-russland-europa-allein-kann-nicht.795.de.html?dram:article_id=492386

(19) https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8527/

(20) https://www.laender-analysen.de/russland-analysen/354/den-eskalationsprozess-stoppen-ziele-der-deutschen-russlandpolitik/

(21) https://www.grin.com/document/285038

(22) https://russische-botschaft.ru/de/2021/02/18/stellungnahme-des-justizministers-der-russischen-foederation-konstantin-tschuitschenko-angesichts-des-egmr-beschlusses-von-17-februar-2021-2/

(23) https://www.tagesschau.de/kommentar/nawalny-urteil-kommentar-101.html

(24) https://www.msn.com/en-us/news/world/navalny-in-court-again-accused-of-defaming-a-wwii-veteran/ar-BB1dpFSE

(25) https://www.swissinfo.ch/ger/alle-news-in-kuerze/nawalny-wegen-beleidigung-eines-veteranen-erneut-vor-gericht/46348384

(26) https://www.n-tv.de/politik/Nawalny-droht-Strafe-wegen-Diffamierung-article22364154.html

(27) https://www.tagesschau.de/multimedia/sendung/ts-41593.html

(28) https://www.mdr.de/nachrichten/osteuropa/politik/nawalny-kritisch-klimeniouk-100.html

(29) https://www.t-online.de/nachrichten/deutschland/id_88603666/streit-um-vergiftung-nawalnys-kretschmer-attackiert-maas-dreht-durch-.html

(30) https://www.anti-spiegel.ru/2020/deutsch-russisches-verhaeltnis-beziehungen-zerstoert-band-des-vertrauens-zerschnitten/

(31) https://www.tagesschau.de/ausland/russland-aussenminister-lawrow-101.html

IALANA-Medientagung in Kassel – Dr. Kurt Gritsch: „Der Kosovo-Krieg. Eine gesteuerte Debatte“

Dr. Kurt Gritsch. Fotos: C. Stille.

Auf einen interessanten Vortrag auf der IALANA-Medientagung vergangenes Wochenende in Kassel sei hier ebenfalls noch eingegangen. Dr. Kurt Gritsch (Institut für Zeitgeschichte Innsbruck) brachte schwere Verfehlungen von Politik und Medien mit seinem Vortrag „Der Kosovo-Krieg. Eine gesteuerte Debatte“ in Erinnerung.

Kurt Gritsch wollte nicht für Krieg sein müssen

An den Nato-Krieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien erinnert erklärte Gritsch, er wollte nicht zu denen gehören, die sagten „ich muss für eine Bombardierung Menschen in Ländern sein in den ich noch gar nicht war.“ Der Südtiroler wollte nicht für Krieg sein müssen. Das Gegenargument sei ja gewesen: „Wenn du nicht für die Nato-Bombardierung bist, dann unterstützt du Milošević. Dann würdest du in Kauf nehmen, auch gegen Hitler nichts gemacht zu haben.“ Damals sei Kurt Gritsch noch nicht klar gewesen, „dass diese sehr fiese Unterstellung, wer nicht für den Krieg ist der wäre auch nicht gegen Hitler gewesen.“ Deshalb wählte er für seine Doktorarbeit das Kosovo-Thema aus.

Die Inszenierung eines gerechten Krieges?“ – Die Doktorarbeit von Kurt Gritsch

Auf Prof. Dr. Rager (lesen hier unter der Teilüberschrift „Prof. Dr. Günther Rager“), welcher vor ihm auf der Tagung gesprochen habe, kam er ins Thema einführend auf das Referat des Uni-Professors aus Dortmund zurück, der für den Journalismus festgehalten hatte: „Man kann nicht nicht inszenieren.“ Das Buch von Dr. Gritsch trage den Titel – welchen er seine Frau verdanke, die Autorin ist – „Inszenierung eines gerechten Krieges?“. Die Kernthese: „Dieser Krieg damals wurde als eine humanitäre Intervention dargestellt.“ Was für die Kriegsbefürworter „das schöne Resultat“ bedeutet hätte, das Wort Krieg vermeiden zu können. Ihn habe damals beschäftigt warum sich „Intellektuelle, SchriftstellerInnen mit dem Thema Krieg beschäftigen und was sagen sie zum Krieg“?

Schließlich orientiere sich ja eine offene demokratische Gesellschaft auch daran, was jemand sage, dem man eine gewisse Autorität zumutet. Damals sei bekanntlich „Auschwitz als ein Kriegsargument“ verwendet worden: „Wir kämpfen im Kosovo, um ein zweites Auschwitz zu verhindern.“ Wenngleich das Informationen des Bundesnachrichtendienstes oder Bundeswehr vor Ort nicht hatten bestätigen können. Warum also hörte man bestimmten Tatsachenwahrheiten damals nicht oder erst später, wenn bereits Fakten geschaffen waren worden? Dieser Frage sei Gritsch nachgegangen. Deshalb habe sich Kurt Gritsch u.a. auch mit dem von Frank Schirrmacher herausgegebenen Buch „Der westliche Kreuzzung. 41 Positionen zum Kosovo-Krieg“ beschäftigt.

Warum der Kosovo-Krieg wichtig war

Für seine Doktorarbeit recherchierte Gritsch vom Westen skandalisierte angebliche Massaker, sowie die Lüge mit dem „Hufeisenplan“ und durchleuchtete den Vertrag vom Rambouilliet, der letztlich Serbien betreffend ein Diktat (dazu hier und hier mehr) war, dem wohl kein souveränes Land, schon gar nicht dessen Militär, der Welt hätte zustimmen können. (Video mit der Aufzeichnung des Vortrags von Dr. Kurt Gritsch via Weltnetz.TV)

Andreas Zumach (bei der Medientagung in Kassel ebenfalls anwesend) habe damals in der TAZ darüber geschrieben. Betreffend dem Annex B. Demnach hätte dieser Zusatz erlaubt, dass auf dem gesamten jugoslawischen Territorium Nato-Truppen hätten stationiert werden können.

Womöglich – muss man heute denken – sei damals die Latte absichtlich so hochgelegt worden, um einen Nato-Militärschlag gegen Jugoslawien zu ermöglichen.

Der ehemalige Nato-Oberbefehlshaber Wesley Clark habe in einem Buch „damals rational erklärt, warum der Kosovo-Krieg wichtig war: wegen der Zukunft und der Kriege die dann folgen würden“.

Auch der bundesdeutsche General Heinz Loquai (später vom damaligen Verteidigungsminister Scharping geschasst), der bei der OSZE arbeitete, „hatte diese Sichtweise der einseitigen serbischen Alleinschuld sehr früh durch Fakten ausdifferenziert“ (dazu ein Buch), erklärte Kurt Gritsch.

Der Einfluss von Intellektuellen auf das Ins-Werk-Setzen eines Angriffskrieges, der aber nicht Angriffskrieg genannt werden durfte

Wenn Intellektuelle wie Günter Grass oder Susan Sonntag sich damals im Feuilleton zustimmend zum Kosovo-Krieg geäußert hätten, dann habe das gewiss auch LeserInnen seiner Bücher in diesem Sinne beeinflusst, führte Gritsch als Beispiel an.

Und er erinnerte daran, dass es zum Jugoslawien-Krieg kein UN-Mandat gegeben habe. „Er war damit auch völkerrechtlich ein Angriffskrieg,, wurde aber nicht Angriffskrieg genannte, weil das klargemacht hätte, dass man das Völkerrecht offen gebrochen hätte“.

Also habe man ihn „humanitäre Intervention“ genannt: „Eine menschenfreundliche Einmischung. -“ Sprache, die Krieg verschleiern soll.“

Dabei gebe es ja humanitäre Interventionen wirklich. „Wenn ich in ein Erdbebengebiet ein Team schicke, das Verletzte birgt und nach Toten sucht, das die Wasserversorgung unternimmt …“

Auch große Diktatoren hätten schon Kriege unter der Überschrift „humanitäre Intervention“ geführt.

Artikel 5 (Bündnisfall) im Nato-Vertrag verpflichtet nicht zur militärischen Teilnahme

Dr. Kurt Gritsch gab zu bedenken, dass der Artikel 5 (Bündnisfall) des Nato-Vertrags kein Beitrittsstaat zu militärischer Teilnahme verpflichte. Ein Land könne sich eben auch zu ausschließlich medizinischer Hilfe verpflichten. Im Falle Jugoslawiens habe man sich am Krieg beteiligt, weil man musste, sondern weil man es gewollte habe.

Verantwortungsdiskurs“ – Mehr deutsche Auslandseinsätze. Mehr Krieg

Gritsch sprach auch den „Verantwortungsdiskurs“ an; Man kenne ja diese Äußerungen: Deutschland müsse wieder Verantwortung übernehmen. Auch auf der Münchner Sicherheitskonferenz geäußert: Mehr deutsche Auslandseinsätze. Mehr Krieg. Kurt Gritsch: „Weil wir (also Deutschland) aus seiner eigenen Geschichte gelernt habe, deswegen jetzt eben eine Wiederholung der eigenen Geschichte in anderen Ländern verhindern zu müsse.“

Moral darf nicht über das Recht gestellt werden

Ein Fazit aus dem Referat, fußend auf Wortmeldungen damaliger Gegner des Jugoslawienkriegs: Moral darf nicht über das Recht gestellt werden.

Dazu passend Erinnerungen des Journalisten Andreas Zumach:

Podiumsdiskussion mit (v.l.n.r) Gabriele Krone-Schmalz, Andreas Zumach, Moderation Manfred Deiseroth (IALANA), Ekkehard Sieker und Albrecht Müller (NachDenkSeiten).

Der auf der Tagung anwesende Journalist Andreas Zumach sprach über die Einhaltung der Sorgfaltspflicht, die Notwendigkeit sauberer Recherche und die eiserne journalistische Grundregel zu einem Ereignis mindestens immer zwei Quellen zu haben. Zumach: „Ich kann nur an uns alle als Individuen, die wir inzwischen auch JounalistInnen sind, weil wir unseren Smartphones und anderen Dingen, Dinge weiterverbreiten, appellieren und vor allem natürlich an uns als Profis, diese Regeln eisern einzuhalten. Selbst wenn wir unter massiven Druck sind.“

Zumach erinnerte der Vortrag von Dr. Kurt Gritsch daran, dass das verdammt schwer sein kann. Er hat nämlich darunter bitter leiden müssen. .

Annex B des Vertrags von Rambouilliet wurde Zumach von der UCK im Voraus zur Kenntnis gegeben

Noch heute hat Zumach manchmal schlaflose Nächte. Andreas Zumach sprach von „schwersten fünf Wochen meiner dreißigjährigen journalistischen Laufbahn“

Das sei vor dem Kosovo-Krieg gewesen. „Ich hatte diesen Annex B, also diesen geheimen Zusatz, wo den Serben abverlangt wurde die Nato stationieren zu lassen bereits am ersten Tag der Rambouilliet-Verhandlungen bekommen. Am 5. Februar.“

Und zwar von der Delegation der UÇK, deren Mitgliedern die US-Amerikaner den Annex B vorher schon gezeigt hatten. Nun musste Zumach natürlich recherchieren: „Stimmt das? Oder werde ich mit einem falschen Papier auf eine falsche Fährte gesetzt?“

Fünf Woche habe sich Zumach damals bemüht, bei den US-Amerikanern, bei den Deutschen, dem EU-Vermittler Petritsch, bei den Russen eine Bestätigung zu bekommen, ob das Papier wirklich so vorliege. „Ich habe sie nicht bekommen“, so Zumach. „Deswegen habe ich es nicht veröffentlicht. Ich habe die Bestätigung am 5. April bekommen, am 6. April hatten wir es in der Zeitung (hier der Artikel von Andreas Zumach via Netzwerk Friedenskooperative). Es hat noch sehr viel Furore gemacht.“ Außenminister Joseph „Fischer ist fast gestürzt, weil er hat ja nicht nur die Auschwitz-Lüge verbreitet auf der ideologischen Ebene, sondern auch das deutsche Parlament und die Öffentlichkeit glatt belogen“, um die Zustimmung es Bundestages zur Beteiligung der Bundeswehr am Kosovo-Krieg zu bekommen.

Andreas Zumach zitierte ihn: „Alle diplomatischen Bemühungen sind ausgeschöpft, jetzt bleibt nur noch der Krieg.“

Was wäre gewesen, wenn …

Zumach zu seinen schlaflosen Nächten: „Stellen wir uns mal vor, dieser Annex B wäre Beginn des Krieges am 24. März öffentlich geworden.“ Ohne das das beweisbar wäre, so Zumach, „hätten wir möglicherweise eine andere Dynamik in der innenpolitischen Diskussion bei uns gehabt“.

Linksfraktion im Bundestag kommt diese Woche mit Antrag „Für eine neue deutsche Ostpolitik“

Gesehen bei der Friedenstournee 2015 in Dortmund. Foto: Claus-Dieter Stille

Gesehen bei der Friedenstournee 2015 in Dortmund. Foto: Claus-Dieter Stille

Kann sich noch wer an die von der sozial-liberalen der Bundesregierung Brandt-Scheel inittiierte Ostpolitik erinnern? Eine Politik, die dank erheblichen Mühens besonders von Egon Bahr in Zeiten des Kalten Krieges (sic!) seinerzeit großen Fortschritte machte und eine Entspannungspolitik zwischen Ost und West erreichen konnte. Denken wir heute daran zurück, können wir ermessen, wie viel Porzellan in den Beziehungen BRD – Russland inzwischen zerschlagen worden ist.

Jenseits gegenseitiger Schuldzuweisungen, wem von beiden Ländern mehr Schuld an diesem Zustand zuzumessen ist, dürfte es vorteilhafter sein nach vorn zu blicken und alles daranzusetzen, die Beziehungen zum gegenseitigen Vorteil zu reparieren.

Erst recht seit wir vom „Gründer und Direktor der weltweit führenden privaten US-Denkfabrik auf dem Gebiet Geopolitik STRATFOR (Abk. Strategic Forecasting) George Friedman über weltweite Geopolitik der USA und speziell in Europa“ Folgendes erfahren mussten:

„Zitat: „Das primäre Interesse der USA, wofür wir seit einem Jahrhundert die Kriege führen – Erster und Zweiter Weltkrieg und Kalter Krieg – waren die Beziehungen zwischen Deutschland und Russland. Weil vereint sind sie die einzige Macht, die uns bedrohen kann, und unser Interesse war es immer, sicherzustellen, dass das nicht eintritt.“ (Ausschnitte. Quelle The Chicago Council on Global Affairs via YouTube)

In diesem Sinne ist zu begrüßen, dass wie Wolfgang Gehrke informiert, die Linksfraktion im Bundestag noch in dieser Woche einen Antrag „Für eine neue deutsche Ostpolitik“ in das Plenum des Deutschen Bundestages einbringen wird. Die 1. Lesung werde nach bisheriger Planung am Donnerstag, 16. Februar 2017, gegen 16.20 Uhr stattfinden. Im Vorfeld holte die Fraktion Meinungen und Hinweise aus ihrer Partei zum Text und zur Debatte ein. Man hoffe, heißt es, auf diesem Wege gemeinsam Alternativen zur gegenwärtigen Politik der Bundesregierung und der EU-Institutionen aufzeigen zu können.

Der Antrag der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Andrej Hunko, Dr. Alexander S. Neu, Jan van Aken, Christine Buchholz, Sevim Dağdelen, Dr. Diether Dehm, Annette Groth, Heike Hänsel, Inge Höger, Katrin Kunert, Stefan Liebich, Niema Movassat, Alexander Ulrich und der Fraktion DIE LINKE trägt den Titel „Für eine neue Ostpolitik Deutschlands“.

Oskar Lafontaine kritisiert: Bundesregierung hat Ostpolitik Brandts aufgegeben

Während selbst Bundeskanzler Helmut Kohl auf der Ostpolitik der Regierung Brandt aufbaute, war es damit in späteren Bundesregierungen nicht mehr weit her. Oskar Lafontaine wirft auf Facebook besonders „Steinmeier und Merkel“ vor,  „Politik gegen Europa“ zu machen. Zur Ostpolitik schreibt der Saarländer und meint Merkel:

Oskar Lafontaine während einer Rede in Bochum; Fotos: Niels Schmidt via flickr.com

Oskar Lafontaine während einer Rede in Bochum; Fotos: Niels Schmidt via flickr.com

(…)“Zudem hat sie die Ostpolitik Brandts aufgegeben. Stattdessen sah sie dem Zündeln der USA in der Ukraine tatenlos zu und befürwortet die Stationierung von Soldaten der Bundeswehr an der russischen Grenze. De Gaulle träumte von einem Europa vom Atlantik bis zum Ural. Gorbatschows Vision war das europäische Haus unter Einbeziehung Russlands. Die Bundeskanzlerin Angela Merkel ist dafür verantwortlich, dass die europäische Einigung in immer weitere Ferne rückt. (…)“

Dass der Antrag der Linksfraktion „Für eine neue deutsche Ostpolitik“ im Bundestag auf eine Mehrheit offener Ohren stößt, ist eher nicht zu erwarten. Fakt ist jedoch: diese „neue deutsche Ostpolitik“ ist dringend nötig.

Kann es „Volksdemokratie“ nach dem Muster von Andreas Maurer richten?

Und wenn es die Bundesregierung nicht anpackt, dann muss das vielleicht vom Volk getan werden. Als Beispiel fällt mir da der umtriebige und hoch engagierte Linkspolitiker Andreas Maurer aus Quakenbrück ein. Er prägte den Begriff „Volksdiplomatie“. Was er damit meint, sagte der Neuen Osnabrücker Zeitung nach einem Besuch auf der Krim: „Maurer bezeichnet seine jüngste Initiative als `Volksdiplomatie‘. Auch wenn weder der Quakenbrücker Stadtrat noch der Kreistag des Landkreises Osnabrück für die Anerkennung der Krim als Teil Russlands oder die Aufhebung der Sanktionen gegen Russland zuständig seien, so könne von entsprechenden Resolutionen dennoch eine Signalwirkung ausgehen. ‚Betroffenheit gibt es schließlich auch im Landkreis Osnabrück‘, stellt der Kommunalpolitiker fest und nennt als Beispiel Einbußen auch der regionalen Landwirtschaft wegen der Sanktionen gegen Russland nach der Annexion der Krim im Frühjahr 2014.“Auch mit Sputnik sprach Andreas Maurer darüber. Freilich ist die Krim-Frage schwierig. Dennoch: Warum sollten die Völker nicht miteinander in Kontakt treten?

Moral von der Geschicht‘: Bleiben die Politiker stur, sollten die Völker miteinander in Kontakt und ins Gespräch kommen. So dürfte festgestellt werden, wir alle sind interessiert in Frieden miteinander zu leben.

Apropos neue Ostpolitik: Was in Zeiten des Kalten Krieges diplomatisch möglich war, sollte doch heute auch wieder möglich zu machen sein.

Zu Gast bei #Friedensfragen in Dortmund: Journalist und Menschenrechtsaktivist Peter Donatus zum Ökozid im Nigerdelta

Der Journalist und Menschenrechtsaktivist Peter Donatus. Fotos: C.-D. Stille

Der Journalist und Menschenrechtsaktivist Peter Donatus. Fotos: C.-D. Stille

Der Verein Bildung für Frieden e.V. hatte dieses Jahr in der Veranstaltungsreihe „Friedensfragen“ schon einige kompetente Persönlichkeiten zu Gast. Es waren dies Rudi Trautvetter, Frieder Wagner, Reiner Braun, Jürgen Grässlin und Willi Hoffmeister. Sie alle standen Rede und Antwort. Immer ging es um die Bedrohung des Friedens und darum, wie eine friedliche Welt zu erreichen wäre. Naturgemäß musste dabei immer auch über Krieg und Rüstung gesprochen werden, da beides den Frieden zerstört bzw. auf längere Sicht bedroht. Und die Lebensgrundlagen der Menschen zunichte macht. Schließlich wissen wir: Jede Waffe findet ihren Krieg.

Die Menschenrechtsaktivist und Journalist beschäftigt sich seit gut 30 Jahren mit den Umweltsünden des Shell-Konzerns in Nigeria

Am vergangenen Dienstag nun war Peter Donatus unter der Rubrik „Friedensfragen“ bei Bildung für Frieden in den Räumlichkeiten der Auslandsgesellschaft NRW e.V. in Dortmund eingeladen. Peter Donatus ist ein in Nigeria geborener freier Journalist und Menschenrechtsaktivist. Als Umweltaktivist beschäftigt er sich seit gut 30 Jahren radikal kritisch mit den Umweltsünden des Shell-Konzerns, welche dieser bei der Ölförderung im Nigerdelta in Nigeria verursachte bzw. hinterlassen hat.

Donatus konnte vor fast 28 Jahren nach mehrmonatiger Incommunicado-Haft im Staatssicherheitsgefängnis und schwerer Folter aus Nigeria fliehen. Seither lebt er in Deutschland.

Inhaftiert worden war er und vieler seiner Komilitonen nach Studentenprotesten und einem Generalstreik in seiner Heimat unter der damaligen Diktatur. Nach einem Strukturanpassungsprogramm, erklärte Donatus, vergleichbar mit der Situation heute in Griechenland, sei das Leben in Nigeria damals nicht mehr zu finanzieren gewesen. Besonders für Studenten.

Wie Krieg zerstören auch Umweltverbrechen die Lebensgrundlagen der Menschen

Von Donatus war zu erfahren, dass Umweltverbrechen nicht weniger als Kriege geeignet sind, die Lebensgrundlagen der Menschen anhaltend zu zerstören. Sein Vortrag unter dem Titel „Nigeria – Ökozid, Flucht und Migration als Folge der westlichen Rohstoffpolitik“ sollte dem Publikum im

Gastgeber Mark Brill (Bildung für Frieden e.V.) mit Peter Donatus.

Gastgeber Mark Brill (Bildung für Frieden e.V.) mit Peter Donatus.

Verlaufe des Abends unglaublich tief unter die Haut gehen. Der Begriff Ökozid setzt sich aus den Worten Ökologie und Genozid zusammen. Der Gast gab zu bedenken, dass man bei einem Krieg zumeist jemanden benennen könne, der der Aggressor sei. Anders im Falle von Ökozid. Die Täter seien erst einmal einmal Vertreter von gesichtslosen, unsichtbaren globale kapitalistische Machtstrukturen.

Donatus: „Derzeit leben wir in einem Land, in der Fakten nicht mehr zählen. Sondern nur Gefühle“

„Jeden Tag“, hob Peter Donatus an, „wenn ich mich wasche, begrüßen mich meine Narben“ und erinnerten ihn an die Folter einst in nigerianischer Haft (zu Peter Donatus gibt es weitere, ausführliche Informationen im (Greenpeace Magazin) im Alter von 109 Jahren verstorbener Vater hatte ihn freikaufen können.

Indem Donatus davon sprach, dass dieser Ökozid in der Lage dazu ist Kettenreaktionen bis hin Kriegen zu uns nach Europa auszulösen, schlug er einen Bogen zur hiesigen Debatte über Geflüchtete. „Derzeit leben wir in einem Land, in der Fakten nicht mehr zählen. Sondern nur Gefühle“, stellte Peter Donatus betreffs der momentanen Situation hierzulande fest. „Automatismen ersetzen die Vernunft. Wir erleben eine Gefühlsdemokratie.“ Rechter Terror, Populismus, Rassismus, des Antisemitismus und die Islamophobie zögen sich bedrohlich durch unser Land. Auslöser, hieße es sei die „Flüchtlingskrise“. Und er fragte: „Haben wir wirklich eine Flüchtlingskrise in Deutschland, in Europa?“ Davon habe er nichts mitbekommen: „In Europa haben wir nichts weiter als eine Solidaritätskrise.“

Das arme Afrika hat 2014 Millionen Flüchtlinge versorgt, während Europa nur 700 000 Geflüchtete aufnahm

In arme Afrika habe im Jahr 2014 14 Millionen Flüchtlinge versorgt. Im selben Jahr habe das reiche Europa nur 700 000 Menschen aufgenommen. Wo also sei diese Krise? Noch nie zuvor sei Flucht für Afrikaner so schwierig bis unmöglich und vor allem so teuer gewesen wie derzeit. Über 4500 Menschen hätten dieses Jahr „in Europas größtem Massengrab, dem Mittelmeer“ ihr Leben verloren. In den letzten 20 Jahren weit über 30 000! Eine Reise ohne Rückkehr. Menschen, die es nach Europa geschafft hätten, müssten damit rechnen, wieder abgeschoben zu werden. Donatus wies daraufhin, dass die CDU gerade in Essen einen Schwerpunkt diskutiere: Abschiebung. „Das ist kein Kinderspiel!“ Leben werde ruiniert, Menschen stürben dabei. Fragwürdig sei, dass deutsche Behörden Botschaften afrikanischer Länder Kopfgelder (300 oder 350 Euro) zahle, für erfolgreiche Abschiebungen.

Bundeskanzlerin Merkel gehe es darum, Flüchtlinge zu reduzieren, meint Peter Donatus

Grenzen würden seitens der EU bis in die Mitte Afrikas verschoben. Um Menschen abzuhalten nach Europa zu fliehen. Das, so Donatus, erinnere gewissermaßen an die unrühmlichen Taten einstiger Kolonialmächte, die 1885 willkürlich Grenzen auf dem afrikanischen Kontinent (Berliner Afrika-konferenz) gezogen hätten. Donatus empörte sich über die neuerliche Arroganz der Europäer: „Was erlauben, Strunz? Europa ist nicht Afrika!“

Frau Merkel gehe es nicht darum Fluchtursachen zu bekämpfen, sondern darum Flüchtlinge zu reduzieren.

Der Referent: „Überall in der Welt hat der Westen Chaos angerichtet. Militärisch, politisch, wirtschaftlich und soziokulturell“

Dabei sorgte gerade auch die EU mit für leergefischte afrikanische Meeresgebiete, mit hoch subventionierten Importen (z.B. Tomaten und Hähnchenteile) nach Afrika für den Ruin der Farmer dort und neben China mittels des Land Grabbing dafür, die Lebensgrundlagen von Afrikanern

Peter Donatus prangerte die Machenschaften des Westens in der Welt an.

Peter Donatus prangerte die Machenschaften des Westens in der Welt an.

zu zerstören. Donatus sprach es deutlich aus: „Überall in der Welt hat der Westen Chaos angerichtet. Militärisch, politisch, wirtschaftlich und soziokulturell.“ Hinzu komme die ökologische Katastrophe.

Ken Saro-Wiwa benannte die Folgen ökologischer Zerstörung drastisch als Genozid

Peter Donatus sprach die juristische Definition, die er „akzeptabel aber schwach“ nannte, von Ökozid aus: „die erhebliche Beschädigung, Zerstörung oder der Verlust von Ökosystemen eines bestimmten Gebietes durch menschliches Handeln oder andere Ursachen in einem Ausmaß, das die friedliche Nutzung dieses Gebietes durch seine Bewohner stark einschränkt oder einschränken wird“.

Der nigerianische Bürgerrechtler Ken Saro-Wiwa (hingerichtet 1995) aber habe die Folgen der ökologischen Zerstörung des Nigerdeltas drastischer als Genozid benannt.

Donatus benannte hinsichtlich des Ökozids zwar Faktoren: Natur (Klimawandel, Erderwärmung) und Mensch (rücksichtslose Geschäftspraktiken westlicher Konzerne, Subventionspolitik). Eigentlich Unsinn, fand der Gast. Denn den Faktor Natur müsse eigentlich Faktor Mensch genannte werden. Schließlich sei der Klimawandel von Menschen verursacht.

Wohlstand für den Westen. Die Folgen der Ausbeutung müssen die Afrikaner ausbaden

Der Westen ziehe aus der Ausbeutung seinen Wohlstand. Die Menschen in Afrika oder anderswo hätten dagegen fast ausschließlich allein die Folgen der Ausbeutung von Mensch und Natur auszubaden.

Man rechne für das Jahr 2050 allein mit 200 Millionen Klimaflüchtlingen. Die Lage in Afrika spitze sich zu. Etwa trockne der Tschadsee in atemberaubender Geschwindigkeit aus. Jetzt aber bereits spreche man in Europa und Deutschland von einer „Flüchtlingskrise“. Wo die denn sei, hinterfragte Donatus. Und stets hieße es dann, wenn Flüchtlinge kämen: damit habe man nicht rechnen können. Darauf sind wir nicht vorbereitet. Obwohl das doch seit Jahrzehnten abzusehen gewesen war!

Ein Blick zurück zeigt: Die Benachteiligung Afrikas ist nicht neu

Rückblickend machte der Gast aus Köln klar, dass die Benachteiligung des afrikanischen Kontinentes nicht neu ist. Dabei seien doch Afrika und Europa Nachbarn. Aber immer gehe es um Rohstoffe. Wovon der Wohlstand und die Erweiterung des Wohlstandes in Europa unmittelbar mit Afrika verknüpft sei. Dagegen habe er nichts, so Donatus: „Aber bitte nicht auf Kosten anderer Menschen!“ Dabei seien die ersten Europäer in Afrika sehr willkommen geheißen worden. Und er musste schmunzeln: „Heute sprechen wir bezüglich der Flüchtlinge von Willkommenskultur.“ Die Europäer missbrauchten die afrikanische Willkommenskultur seinerzeit. „Die Menschen wurden beraubt“ und versklavt. Ganze Generationen der produktiven Gruppe von Menschen im Alter von 17 bis 35 Jahren sei Afrika so verloren gegangen. Wissenschaftler meinten, Afrika habe sich bis heute nicht davon erholt.

Donatus: Befreiung Deutschlands vom Faschismus war nicht ohne Afrika möglich

Die eingeblendete Folie brachte es mit einer simplen Gleichung auf den Punkt: „Wir sind arm, weil ihr reich seid. Ihr seid reich, weil wir arm sind.“ Und Peter Donatus ging sogar soweit, zu sagen, nicht einmal die Befreiung Deutschlands vom Faschismus wäre ohne die Beteiligung von Millionen von Afrikanern gelungen: Zu Soldaten für europäische Armeen (in der französischen waren 25 Prozent der Soldaten Afrikaner) gemacht dienten sie als „Kanonenfutter“. Sogar der Marshall-Plan habe mit Afrika zu tun: Afrikaner seien gepresst worden, Lebensmittel, Kakao, Kaffee, ja gar Bettwäsche, Geschirr und vieles andere mehr zu spenden, um es in zerstörte Gebiete in Deutschland und anderswo zu liefern. Geld habe ebenso gespendet werden müssen. Den Massai seien 6000 Rinder abgepresst worden. Hungersnöte habe das ausgelöst. So habe sozusagen Afrika den darniederliegenden ehemals faschistischen Staaten Italien, Japan und Deutschland wieder auf die Beine geholfen! Und wieder brach Donatus das praktisch aufs Heute herunter. Hier höre man manchmal, Deutschland sei nicht das Sozialamt der Welt. Afrika aber sei einmal quasi das Sozialamt für Europa gewesen.

Donatus zitierte Konrad Adenauer aus dem Jahr 1928, der vor 1933 nicht nur Oberbürgermeister von Köln, sondern auch stellvertretender Präsident der Deutschen Kolonialgesellschaft war:

„Das Deutsche Reich muss unbedingt den Erwerb von Kolonien anstreben. Im Reiche selbst ist zu wenig Raum für die große Bevölkerung. Gerade die etwas wagemutigen, stark vorwärts strebenden Elemente, die sich im Lande selbst nicht betätigen konnten, aber in den Kolonien ein Feld für ihre Tätigkeit finden, gehen uns dauernd verloren. Wir müssen für unser Volk mehr Raum haben und darum Kolonien.“

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs hätten afrikanische Länder, so auch Nigeria, bis in die 1960er Jahre gebraucht, um unabhängig zu werden. Sie mussten riesige Schuldenberge abtragen.

Sittenwidrige „Freihandelsabkommen“ mit afrikanischen Staaten

Peter Donatus erzählte, wie er mit tausenden anderen Menschen gegen TTIP und CETA demonstriert hat. Richtig fand er das. Doch im gleichen Moment sei ein sittenwidriges „Freihandelsabkommen“ der EU mit afrikanischen Staaten geschlossen worden. Dagegen habe er keinen Protest gesehen.Es gehe einfach darum, der EU die Märkte Afrikas zu öffnen. Afrika kann aber nicht mithalten mit diesem starken Europa.

Unwort „Wirtschaftsflüchtling“

Donatus wäre sehr dafür, das Wort „Wirtschaftsflüchtlinge“ zum Unwort des Jahres zu machen. Weil es nämlich scheinheilig sei. Weil es verblende,

Peter Donatus ist dafür, dass Wort "Wirtschaftsflüchtling" zum Unwort des Jahres zu machen.

Peter Donatus ist dafür, dass Wort „Wirtschaftsflüchtling“ zum Unwort des Jahres zu machen.

warum die Menschen aus Afrika flüchteten. Also müsse die Frage „Wer sind die Täter?“ gestellt und Täter zur Rechenschaft gezogen werden. Freilich sei das nicht zu erwarten. Hinsichtlich dessen müssten wir eigentlich auch über uns selbst reden.

Nigeria und dessen spätere Abhängigkeit vom Erdöl

Nach diesem vorausgehenden etwas langen, aber zum Verständnis des Ganzen m.E. notwendigen Schlenker in die Geschichte, kam Peter Donatus auf sein Geburtsland Nigeria zu sprechen. Nebenbei bemerkt erfuhren die ZuhörerInnen von der Frechheit, dass der Brite Lord Frederik Lugard (dazu hier mehr) einst als der Vater Nigerias galt. Der Ländername geht auf dessen Gattin zurück: Niger Area. Daraus wurde letztlich Nigeria. Einst sei das Land der größte Exporteur von Kakao, Erdnüssen und Palmöl gewesen. Später aber wurde es dann sehr abhängig von seinen Erdölexporten. Heute muss Nigeria Lebensmittel importieren.

Im Nigerdelta findet man ein Desaster vor

Das Nigerdelta gehört zu den größten Mangrovenregionen der Welt. Heute finde man ein Desaster dort vor. Es ist ölverseucht. Und die von Peter Donatus vorgeführten aktuellen Bilder sprachen für sich. Und das Schlimmste: inmitten der apokalyptisch anmutenden, verseuchten Gegend leben weiterhin 20 Millionen Menschen, die 40 verschiedenen Ethnien angehören. Sie essen giftigen Fisch oder schwer belastete Lebensmittel. Pipelines schlängeln sich mitten durch die Dörfer. Immer wieder träten Lecks auf. Entstehen Brände und ereignen sich Explosionen. Der Konzern Shell schicke irgendwann Trupps, die Sand über das ausgelaufene Öl kippten. Der Konzern deklariere das Gebiet hernach als „saniert“. In Ogoniland sei seit den großen Protesten von 1996 Shell nicht mehr tätig. Aber die Ölanlagen habe man zurückgelassen. Diese spuckten manchmal noch Öl aus. An manchen Stellen – das ist bekannt – ist der Boden bis in fünf Meter Tiefe verseucht. Die Frauen trocknen Maniok am abgefackelten Gas. Paradox, meint Donatus. Während die Wälder für Brennholz abgeholzt würden. Wo es manchmal nur drei Stunden am Tag Strom gibt. Und das Gas vergiftet das wichtige Lebensmittel. „Die Zukunft für mein Land“, sagte Peter Donatus, „sieht schwarz aus“. Er zeigte das Foto eines Kindes: „Es hat wahrscheinlich keine Zukunft. Außer vielleicht später als Zwangsprostituierte zu arbeiten.“

In zwanzig bis dreißig Jahren steht Nigeria vermutlich eine Krebsepedemie bevor

Nigeria sei nach Russland Nummer 2 beim Thema Gasabfackeln. „Die Umweltgesetze sind verdammt gut. Gut auf dem Papier“, so Donatus. In zwanzig bis dreißig Jahren, hat der Gast gelesen, stehe Nigeria vermutlich eine Krebsepedemie bevor. Fünfundzwanzig Prozent der Bevölkerung Nigerias, habe es da geheißen, wird Krebs bekommen. Illegal stelle die Not leidende Bevölkerung Benzin her. Explosionen seien keine Seltenheit.

Das Grundwasser im Nigerdelta ist durch Kohlenwasserstoff verseucht. Die Regierung muss Wasser in Tanks anliefern.

Schizophren, stellte Peter Donatus gegen Ende seines Vortrags fest: Das Nigerdelta gilt als reichste Region der Welt, ist jedoch die ärmste Region Nigerias.

Noch einmal erinnerte der Gast an die Verdienste von Ken Saro-Wiwa im Kampf gegen die Umweltzerstörung und dessen Hinrichtung.

Bislang sei es nur einmal gelungen, dass vier nigerianische Bauern und Fischer vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag Recht bekamen und mit Shell erstmals ein europäischer Konzern für außerhalb Europas vergangene Verbrechen verurteilt wurde.

Peter Donatus appellierte: Die politisch Verantwortlichen unter Druck setzen!

Seinen Vortrag schloss Peter Donatus mit drei Zitaten von Ken Saro-Wiwa (im Video, sh. unten, zu hören)

Hartes Brot war dieser interessante Vortrag bei „Friedensfragen“. Schwer danach, einfach wieder zur Tagesordnung überzugehen.Im Anschluss entspann sich noch eine interessante Diskussion mit dem Gast aus Köln.

Peter Donatus appellierte an seine ZuhörerInnen, die ein Parteibuch hätten, in einem Verein organisiert seien bzw. an die Menschen als WählerInnen. Speziell die Partei DIE LINKE sei bekannt dafür, wichtige Kleine Anfragen im Deutschen Bundestag einzubringen. Dadurch könnten die politisch Verantwortlichen unter massiven Druck setzen. Auch im Fall des nun in Dortmund diskutierten Ökozids. Bereits in 1990er Jahren sei es Donatus gelungen zwei Hearings zum Thema im Bundestag zu machen. Er hoffe, dass das nochmals gelinge.

Hinweis: Das Weltnetz.tv-Video mit der Rede Fidel Castros vor der UNO im Jahre 1979 habe ich in den Text eingefügt, weil es m. E. bestens zum Thema passt und die Worte des Comandante nach wie vor aktuell geblieben sind.

Der Vortrag wurde auf Video aufgezeichnet. Er ist auf  Weltnetz.tv veröffentlicht worden

Passendes zum Thema auch hier und hier.

Felix Leopold auf Tour: Griechische Seele im Körper eines Deutschen – Dortmund sagt ευχαριστώ

Felix Leopold einfühlsam in der Interpretation; Fotos: C.-D. Stille

Felix Leopold einfühlsam in der Interpretation; Fotos: C.-D. Stille

In Dortmund und der Auslandsgesellschaft war Felix Leopold schon einige Male. Vergangenen Freitag beehrte der deutsche Liederpoet aus Griechenland – er lebt mittlerweile bereits 15 Jahr in Thessaloniki – abermals dieses Veranstaltungsort. Seine Fans aus der Region waren gekommen. Darunter freilich nicht wenige mit griechischen Wurzeln. Man hätte dem sympathischen Künstler mehr Publikum gewünscht. Es stand das orthodoxe Osterfest an. Sonst wären gewiss mehr Menschen mit griechischem Hintergrund gekommen. Wie auch immer: Wer nicht da war, hatte Pech und verpasste ein großartigen Auftritt.

Eines Deutschen, der professionell griechische Musik interpretiert – und das auch noch gekonnt – ist ziemlich ungewöhnlich. Und das mit geringstem Aufwand! Eine griechische Gitarre, seine „Blondine“ (ihrem Entstehen wohnte der Musiker bei) – die einzige, „die meine Frau in ihrer Nähe duldet“, wie Felix Leopold augenzwinkernd sagte, ein Mikrofon, ein paar Lautsprecherboxen und seine begeisternde Stimme, die einen im Fortgang des Abends mehr und mehr gefangen nimmt, die Beherrschung der Saiten des Instrumentes sind genug.

Die einzig neben seiner Frau geduldete „Blondine

Nur einmal muss die „Blondine“ nachgestimmt werden: sie ist von ihrer Herkunft verträglicher temperiertes Klima gewohnt als das in unserer Breiten zu herrschen pflegt. Und wie er singt! Wüsste ein zufällig in den Liederabend geplatzter Mensch nicht, wo Felix Leopold ursprünglich herkommt – 20160430_192320man hielte ihn für einen waschechten Griechen! So jedenfalls singt er. Was und die Art wie Felix Leopold singt ist nicht nur so nach oder daher gesungen – sondern dem Ganzen wohnt eine griechisch empfindende Seele inne. Dem eine herzliche Wärme entströmt, die ziemlich schnell Eingang in die Herzen der Zuhörerinnen und Zuhörer findet und die Herzen für das Seelenleben griechischer Menschen öffnet. In aller überzeugender Ehrlichkeit des Interpreten.

In nicht wenigen Texten schwingt eine Portion Melancholie

Gedichtet hat Felix Leopold eigentlich schon immer. Auch griechische Lieder gesungen. Inzwischen singt er viele davon auch auf Deutsch. Oder wechselt darin zwischen Griechisch und Deutsch.

Dennoch macht es nichts, dass die meisten Komponisten, Texter und Liedermacher, die Felix Leopold interpretiert in Deutschland gewiss nur den Griechen und deren deutschen Freunden bekannt sind: Nikolas Asimos, Manos Loizos, Dionysis Savvopoulos, Christos Thivaios, Thanos Mikroutsikos, Charis Alexiou, Wassilis Papakonstantinou, Nikos Kavvadias, Orfeas Ioannou und viele andere. Hört man die Texte auf Deutsch, empfindet man sie sogleich als Bereicherung.

In nicht wenigen Texten schwingt auch eine Portion Melancholie. So etwas, dass die alteingesessenen Istanbuli (sozusagen die „Ureinwohner“ des Molochs am Bosporus) gewiss als hüzün bezeichnen würden. Griechisch: μελαγχολία . Ob es dasselbe ist, weiß ich zwar nicht. Ich vermute es aber einmal.

Lachen und Weinen liegt in den Geschichten dicht beieinander. In den älteren aber auch in Liedern jüngeren Entstehens. In ihnen wird aber auch über das selten einfache Leben philosophiert. Andere Begebenheiten und Lebenssituationen finden eine satirische Verarbeitung. All das ging fühlbar zu Herzen, machte Schmunzeln oder gar wütend.

Dieses Land“ um sich einzumischen

Wütend ist Felix Leopold schon lange, wenn es um die niederträchtige Art der Behandlung seiner griechischen Wahlheimat und deren Menschen seitens seines Geburtslandes Deutschland geht. Bevor er „Dieses Land“ singt, dass diese Wut aufnimmt, erklärt er: „Ernsthaft habe ich erst 2010 damit angefangen.“ Der Ausschlag war diese unglaubliche, nachweisliche Lügenkampagne vor allem der deutschen Presse. Er habe keine andere Möglichkeit gehabt sich anderweitig einzumischen. Ein Politiker sei er nicht und wolle auch keiner sein. So sagte er sich. „Ich bin Künstler und muss dem was entgegensetzen.“ So habe Leopold ganz konkret damit angefangen griechische Lieder, Lyrik ins Deutsche zu übersetzen. „Und daraus ist inzwischen eine sechsjährige Tour entstanden.“ So tourt er jeden Frühling ein paar Monate durch Deutschland. Das Schöne an dieser Geschichte für ihn persönlich, „das möchte ich vor allem den großen Stolzen sagen, die sagen, ja, unsere deutsche Sprache. Er rät: Lernt eine andere Sprache, vielleicht Griechisch. Das eignet sich hervorragend dazu. Um die eigene Sprache – also Deutsch – besser kennenzulernen.

„Dieses Land“ – man höre sich das Lied hier an oder lese den Text (nach unten scrollen) – hält uns Deutschen, Deutschland den Spiegel vor. Hier nur eine Zeile: „Dieses sture Land ist so wunderschön./Nur glaubt es das selber nicht./Es will siegen und herrschen, immer der Beste sein,/geliebt sein, doch selber liebt es nicht.“ (Text: Felix Leopold, Musik: Apostolis Dimitrakoplous)

Gespräche in der Pause und stehende Ovationen am Schluss

Felix Leopold brachte nun 2016 nicht nur wieder fantastische Lieder mit ins Land seiner Muttersprache, sondern auch ein neues Programm: „Lieder vom Meer“, mit dem er in Dortmund brillierte und tief zu berühren verstand. Wer wollte bei einem Gläschen griechischen Weines. In der Pause kamen Künstler und Publikum ins Gespräch und sich auch näher. Dann noch einmal ein grandioser zweiter Teil. Am Schluss: Stehende Ovationen und Zugabe. Wer diesen tollen Abend verpasste ist einfach selber schuld. Und muss auf die Wiederkehr Leopolds im Jahre 2017 warten.

Lieder vom Meer“: Lieder voller Hingabe, Schmerz und Liebe, Sehnsucht und Lebenskraft

Zum Titel seiner Tournee schreibt Felix Leopold: „Der Blick hinaus aufs Meer ist auch ein Blick auf die Kleinheit des Menschen und auf sein Ausgeliefertsein. Das Meer erinnert uns daran, dass Demut die Voraussetzung für Mut ist. Denn angesichts dieser Größe und Tiefe der Ungewissheit ist auch das menschliche Scheitern keine Niederlage aus Schwäche, sondern eine ganz natürliche Wahrscheinlichkeit.“

Mehr davon über Meer und mehr, will man nach diesem Konzert

„Lieder vom Meer“ sind Lieder voller Hingabe, Schmerz und Liebe, Sehnsucht, Ironie und Lebenskraft. Und in der einzigartigen und warmen Interpretation des griechisch empfindenden Felix Leopold war das einfach ein Erlebnis der ganz besonderen Art. Mehr davon über Meer und mehr, will man nach diesem Konzert. Lieder über Seemänner und das Treiben in den Häfen dieser Welt. Welch fesselnder Vortrag der Lieder! Und diese Stimme, sie so wunderbar mit Leben füllt. Dieser Lieder künden vom Miteinander der Menschen. Von ihren Schwierigkeiten über die Runden zu

Zog das Publikum in seinen Bann.

Zog das Publikum in seinen Bann.

kommen. Von Mut, Demut und zuweilen auch Hoffnungslosigkeit. Vom Niederfall und einem Wiederaufstehen. Ein Werben für das In-die-Tat-umsetzen von Humanismus und das vermitteln der unbedingte Einsicht: „Auch andere Menschen sind Menschen.“ Felix Leopold widmet sich dankenswerterweise auch dem neuen poetischen Liedgut Griechenlands. Ein Lied des weltberühmten Mikis Theodorakis gab der Liederpoet zum Besten. Lange hat er sich das nicht herangetraut, sagte Leopold. Das Lied ist eines der unbekannteren. Für nächstes Jahr versprach der deutsche Liederphilosoph aus Thessaloniki sich weiterer unbekannter oder gar bislang unveröffentlichter Lieder des großen griechischen Künstlers und Nationalhelden anzunehmen. Wir freuen uns darauf!

Eine Wucht in Tüten

„Lieder von Meer“ war eine Wucht in Tüten! Einmalig. Bescheiden. Aufwühlend. Gekonnt. Schwer zu beschreiben. Erleben muss man es. Von griechischer Seele durchdrungen ging man bewegt und auch ein wenig nachdenklich geworden nach Hause. Danke, ευχαριστώ, Felix Leopold!

Mehr über Felix Leopold hier.

Zu einigen der von Leopold gesungenen Lieder geht es hier.

Rezension: „Der Winkeladvokat“ von Monsieur Rainer

Foto: Claus-Dieter Stille

Foto: Claus-Dieter Stille

Rainer Kahni (Monsieur Rainer) kann als Schriftsteller aber auch als Journalist als Geheimtipp gelten. Eigentlich vereint er beides in sich. Indem nämlich der Schriftsteller Monsieur Rainer ungemein viel von den Erfahrungen des einst viel in der Welt  herum gekommenen Journalisten Rainer Kahni profitiert. Was seinen Büchern guttut. Ich selbst stieg in Rainer Kahnis Werk mit der Lektüre seines Romans „Der Winkeladvokat“ ein. Die Information zum Buch:

„Als traumatisierter Bettnässer ist Tristan Wöhrlin mit einem schlechten Abiturzeugnis zitternd vor Angst vor seinen mitleidlosen Eltern in die französische Fremdenlegion geflüchtet. Er verpflichtet sich für fünf Jahre und studiert nach seiner ehrenvollen Verabschiedung Jura an den Universitäten Nizza und Tübingen. Viele Jahre später kehrt er unter neuem Namen und mit einer Anwaltszulassung in der Tasche heim. Er lässt sich genau in dem Landgerichtsbezirk nieder, in dem sein Vater als gefürchteter Oberstaatsanwalt und seine hartherzige Mutter als Richterin amtieren. Ein gnadenloser Kampf zwischen Eltern und Sohn spielt sich vor und hinter dieser so ehrbaren bürgerlichen Kulisse ab.“

Spannend, denkt man und: Das riecht nach nach einem außergewöhnlichen Abenteuer! Und so ist es dann auch. Rainer Kahni gelingt es seine Leserinnen und Leser von der ersten Zeile seines Romans an zu packen und bis zur letzten Zeile und dem letzten Wort darin: „Scheißleben“ nicht wieder auszulassen.

Wir bekommen neben einer gekonnt erzählten Geschichte immer wieder Informationen an die Hand. Zum Beispiel über die Fremdenlegion, in der der Held des Romans, Tristan Wöhrlin, gedient hat. Die dieser jedoch – obwohl ihm von seinem Vorgesetzten ein verlockendes Angebot unterbreitet worden war – verlässt, um den Rachefeldzug gegen seine Eltern zu führen. Aus dem einstigen Bettnässer ist durch die harte militärische Ausbildung und Praxis in der Fremdenlegion ein mit allen Wassern gewaschener selbstbewusster Mann mit dem neuen Namen Jean-Paul Malin geworden. Er schließt ein Jurastudium in Frankreich erfolgreich ab. Später geht er auch in der BRD aus einer juristischen Staatsexamensprüfung erfolgreich hervor. Die Grundlage, um auch in der BRD als Rechtsanwalt tätig sein zu dürfen und eine Kanzlei zu eröffnen.

Dann nimmt uns Monsieur Kahni durch die uns als Leser nur so durch die Hände raschelnden und rauchenden Seiten seines Romans auf einen wahren Parforceritt mit durch das Privat- und Berufsleben des französisch-deutschen Advokaten Jean-Paul Malin. Malin erregt Aufsehen. Schon als Referendar an einem deutschen Gericht. Da bringt Jean-Paul Malin den muffigen Gerichtsalltag unkonventionell auf Trab. Er arbeitet liegengebliebene Akten durch und schließt die auf seine Art unbürokratisch ab. Nachdem er das Gericht verlässt, verfällt dort wieder alles in den alten Trott. Niemand dort hat ein Interesse diesen abzuschaffen.

Jean-Paul Malins äußeres Erscheinungsbild passt ganz und gar nicht zu dem Bild eines deutschen Rechtsanwalts, wie es sich die einschlägigen bürgerlichen Eliten von einem Juristen für gewöhnlich machen. Aber auch sein Auftreten ist nicht so. Eigentlich passt er nicht in diese elitären Kreise. Kreise, die sich für die Elite des Landes halten. Malin nimmt kein Blatt vor den Mund. Ihm ist schlichtweg wurscht, was andere von ihm denken. Manchem der Juristen mit denen er zu tun hat stößt das bitter auf. Anderen, denen der unkonventionelle Rechtsanwalt begegnet, imponiert das.

Malin nimmt sich als Anwalt anscheinend aussichtslosen Fällen an und verteidigt Mandanten auch aus zwielichtigen Milieus. Sowie Leute, die einfach ziemliches Pech im Leben hatten. Und an die falschen Leute gerieten. Malin schaut nicht aufs Honorar. Was hinten rauskommt ist ihm wichtig. Wenn er einem armen Teufel, den vielleicht ein anderer Kollege nicht mit dem Hintern angeschaut hätte, helfen kann – warum nicht? Von Anfang seiner Arbeit an in der Bundesrepublik Deutschland macht der Deutsch-Franzose keinen Hehl daraus, wie ihm das deutsche Rechtssystem mit seinen gravierenden Fehler zu wider ist. Denn aus Frankreich kennt er derlei nicht. Und die Tatsache, dass einstige stramme Nazis unter den Juristen in der Bundesrepublik wieder zu Ämtern und Würden gelangen konnten, ist ihm ohnehin jede Menge Empörung wert. Überhaupt zieht sich Kritik am deutschen Rechtsstaat wie ein roter Faden durch das Buch. Eines der Hauptthemen von Rainer Kahni.

Um zu verstehen was er am deutschen Rechtsstaat so unbarmherzig und bereits über Jahre kritisiert muss man nur seinen auf freitag.de erschienen Beitrag „Deutschland ist kein Rechtsstaat“ lesen. Hier ein Auszug daraus:

„Der Generalbundesanwalt und seine nachgeordneten Bundesanwälte sind weisungsabhängige politische Beamte, die vom Bundesjustizministerium vorgeschlagen und vom Bundespräsidenten ernannt werden. Spuren sie nicht im Sinne der jeweiligen politischen Machthaber, dann können sie jederzeit wieder abberufen und in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden. Die Generalstaatsanwälte der Länder sind ebenfalls weisungsgebundene politische Beamte der Länder und können jederzeit wieder abberufen werden, wenn sie den Weisungen ihres Dienstherren, also dem Justizminister, nicht Folge leisten.“

Klingelt da nicht was? Wir müssen uns zu diesem Behufe da momentan nur einmal vor Augen führen, was sich rund um die hanebüchene Landesverratsgeschichte betreffs des Blogs netzpolitik.org für ein Skandal aufbaut! Rainer Kahni wiederholt nicht nur in seinem Roman seit Jahren fast gebetsmühlenartig die fehlende beziehungsweise ungenügende Trennung von Exekutive, Judikative und Legislative in diesem unseren Deutschland.

Was hinsichtlich dessen in „Der Winkeladvokat“ geschrieben wird, erweitert entlang einer mitreißend erzählten Story auch unseren gewiss nicht besonders ausgeprägtes Wissen über die Funktion von Gerichten, den Sinn oder Unsinn von Paragraphen und das Treiben von Staats- und Rechtsanwälten. Und somit unseren Horizont überhaupt. Rainer Kahni in seinem Blog dazu:

„Juristen sind zu allem fähig und zu nichts in der Lage, sagt der deutsche Volksmund. Schon Ludwig Thoma, ein Dichter und Amtsrichter in Dachau machte sich über die Juristen lustig: „Er war Jurist und auch sonst von eher mässigem Verstande!“

Monsieur Kahni versteht es, seine Kritik an der Justiz geschickt in einer fiktiven Geschichte zu verpacken und bisweilen amüsant oder mit Sarkasmus zu verkaufen. Hier kommt der Journalist in ihm zur Geltung. Ebenso Kahnis Lebenserfahrung. Sein Schreiben offenbart, dass er in der Materie der Juristerei sehr gut bewandert ist; aber ebenso in der Weltpolitik bewandert ist. Wir Leser erfahren einiges an Details aus Alltag wie der Juristerei. Aus dem Alltag im Großen und Ganzen. Kahni gerät ist beim Schreiben seines Roman nie in Versuchung gekommen ins Furztrockene zu verfallen, noch ins Belehrende abzudriften. Alles Geschriebene steht ganz im Dienste der zu erzählenden Geschichte. Uns Lesern wird es so an keiner Stelle dieses Romans langweilig. Und ganz en passant erhalten wir noch spannende Einblicke in das deutsche Rechtswesen und Kenntnis seiner innewohnende, nicht jedem Mitmenschen bekannten Missstände. Wenn uns dabei ab und an der Hut hochgeht, ist das ein guter Nebeneffekt. Und gewiss beabsichtigt. Möge etwas davon hängen bleiben und im Alltag Anstoß zu Einforderung Abänderung geben! Dabei kommt dieser Roman keinesfalls als „Juristen-Bashing“ daher, wie man nun denken könnte. Sehr klar werden darin stets feine Unterschiede herausgearbeitet. Es finden Differenzierungen statt. Der Leser erhält so ein ziemlich klares und in weiten Teilen objektives Bild von der Welt der Juristen. Es gibt eben sowohl unter Richtern, als auch und Staats- und Rechtsanwälten sone und solche. Nicht alle sind geldgierig und machtgeil.

Die Familiengeschichte des Romanhelden Wöhrlin/Malin ist die ganze Zeit über mehr oder weniger präsent. So wie Malin alle Kraft in die Verteidigung und Vertretung seiner Mandanten steckt, so wenig lässt er im Verlaufe des Romans von seinen Rachefeldzug gegen den Vater ab. Dabei könnte er mit der Frau die er in Deutschland fand und dem gemeinsamen Kind ein glückliches Leben führen. Doch Wöhrlins/Malins Seele ist tief und schwer verletzt. In den Reihen der französischen Fremdenlegion ist der einst der schwer gedemütigte und schwache Tristan zu einer starken Persönlichkeit namens Jean-Paul Malin, die hart im Nehmen und Härte gegen Feinde auszuüben imstande ist, geworden. Allein die schwer verletzte Seele ist der Mensch gezwungen ein Leben lang mit sich herumzuschleppen. Ab und an meldet sie sich mit schneidenden psychischen Qualen. Qualen, die durch die Betäubung mit Alkohol nur zum seelischen Zusammenbruch führen können. Bevor Jean-Paul Malin aber seelisch zerbricht, kehrt er zusammen mit seiner Familie nach Südfrankreich zurück. Letztlich ist sein Rachefeldzug an der Bösartigkeit der Familie gescheitert und musste vor der unbarmherzigen Maschine des deutschen Rechtssystem im Grunde kapitulieren. In Deutschland ist einmal mehr nicht sein Platz.

Ein hoch spannendes und noch dazu in vielerlei Hinsicht informatives, ja unter Umständen auch aufrüttelndes Buch von diesem Monsieur Rainer alias Rainer Kahni! Es lohnt sich. Manche etwas zu klischeehaft geratene Szene im Buch verzeiht man dem Autor. Dewegen: Empfehlung! Ich hatte es rutzputz durchgelesen. Unterhaltsam und sehr informativ. Sarkasmus inklusive.

Übrigens soll das Buch verfilmt werden. (Video Indiegogo)  Derzeit läuft eine Crowdfundingkampagne.

Monsieur Rainer

Der Winkeladvokat (Roman)

Taschenbuch (EUR 15,80)

Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN: 978-3-8370-3251-2