Medien unter der Lupe: Ein TAZ -Artikel – 28 Monate nach Erscheinung

Gastbeitrag von Andrea Drescher

Über andere Medien schreibt man nicht, es gibt aber Ausnahmen. Der TAZ-Artikel vom 19.12.2020 ist eine derartige Ausnahme. Darin werden zwei Corona-Maßnahmenkritiker zitiert, die heute – 28 Monate später wirklich zu Wort kommen sollen. Aber auch eine der Autoren des ursprünglichen Artikels kommt zu Wort – am Ende dieses zugegebenermaßen sehr langen Textes.

Eine verängstigte Frau und Mutter, die mit der warmen Stimme einer besorgten Mutter vertrauenserweckend wirkt, aber als Fachangestellte für Zahnmedizin keine Kompetenzen zum Thema mitbringt, sowie ein offensichtlich leicht dementer, greisenhafter Arzt mit schütterem Haar, der keinen Überblick über seinen Terminkalender hat: Das waren die beiden Protagonisten, die von der TAZ im Spätherbst 2020 zum Interview geladen wurden, um eine vorgeblich neue Berichterstattung zum Thema Corona-Maßnahmenkritik in diesem Medium zu ermöglichen. Beide werden im Artikel, der am 19.12.2020 erschien, nicht direkt als Rechte, Nazis oder Verschwörungstheoretiker bezeichnet, aber durch die typische In-Zusammenhang-Stellung mit eben dieser Szene einem entsprechenden Framing unterzogen.

Rund 28 Monate später spreche ich mit den beiden Beteiligten über diesen Artikel, der noch heute online verfügbar ist.

Bei Andrea Feuer kam die Anfrage seitens der TAZ über das Netzwerk Impfentscheid. Obwohl sie sehr gut wusste, was sie vom Mainstream-Medium erwarten konnte, ließ sie sich auf das Gespräch mit der Redakteurin Nora Belghaus ein.

AF: Dass manipulativ gearbeitet wird, war mir klar, mein Vertrauen in derartige Medien hat sich aber nach diesem Artikel weiter reduziert. Mir war es wichtig, Informationen, die mir vorlagen, an die Öffentlichkeit zu bringen. Ich wollte Menschen vor Schäden bewahren, diesen offensichtlichen Menschenversuch aufhalten. Ich bin heilfroh, dass ich meine Familie vor der Spritze bewahren konnte. Ich kenne auch keinen, der es bereut hat, sich nicht spritzen zu lassen. Viele, die es über sich ergehen haben lassen, sind heute sehr frustriert darüber. Ihre Immunabwehr ist herabgesetzt, sie sind ständig krank, klagen über diverse Leiden, obwohl sie vorher kerngesund waren. Auffällig viele meiner Patienten leiden unter Bluthochdruck und müssen Blutverdünner nehmen. Ich frage mich, ob sich Frau Belghaus inzwischen nicht schämt, dazu beigetragen zu haben, dass Millionen Menschen belogen und damit krank gemacht wurden.

Dr. Walter Weber wurde auch direkt von der TAZ kontaktiert. Die Redakteurin fuhr aus Berlin zu ihm nach Hause in Hamburg, nahm sich viel Zeit für ein ausführliches Gespräch.

WW: Zum damaligen Zeitpunkt dachte ich noch, die TAZ ist fair, habe die Medien noch nicht grundsätzlich in Frage gestellt. Aber 2020 habe ich dazugelernt. Nach dieser perfide verzerrten Darstellung habe ich Mainstreammedien nie wieder Interviews gegeben. Wenn das die Regeln sind, betrete ich dieses Spielfeld eben nicht mehr.

Der Artikel der TAZ, den sich jeder mit seinen gesammelten Gemeinheiten hier als Ganzes selbst antun kann, endet mit den Worten: „Diesen Samstag ist für Weber wieder Demotag. Geht es nach Weimar oder doch Offenburg? Er hat den Überblick verloren.“ Auf meine Frage nach dem Wahrheitsgehalt sagt Dr. Weber:

WW: Natürlich habe ich nicht den Überblick verloren, ich führe einen Terminkalender, wie jeder vielbeschäftigte Mensch. Als sie mich fragte, habe ich einfach spontan – ohne Blick auf den Kalender – geantwortet. Das ist ja das perfide. Der Artikel hat meine Aussagen gebracht und dann sehr geschickt in einen gewünschten Kontext gestellt. Natürlich habe ich mit weit über 70 schütteres Haar. Natürlich kenne ich nicht alle Termine auswendig, dafür habe ich einfach zu viel zu tun. Aber das Framing ist genial, alle Achtung. Die Einleitung und der Abschluss deuten an, dass ich ein greiser alter Mann bin, den man wirklich nicht ernst nehmen kann.

Wohin die Reise des Artikels von Nora Belghaus, Sabine am Orde und Christian Jakob geht, wird schon in der Einleitung klar. Nach der Überschrift „Impfgegner und die Coronapandemie: Gegen den Stich!“ folgt gleich „Europaweit setzen Regierungen auf die neuen Impfstoffe, um Corona zu stoppen. Impfgegner und Rechtsextreme mobilisieren dagegen.

Rechtsextreme und Impfgegner – das Framing beginnt bereits im ersten Absatz. Ein paar Zeilen später werden die Kompetenzen des Gründers der Ärzte für Aufklärung unterschwellig in Frage gestellt. Es ist eben ein Unterschied, ob man schreibt „jemand ist ein Experte“ oder „jemand gilt als Experte“. Dr. Weber gilt eben nur als jemand, der sich auskennt mit PCR-Tests, Inzidenzwerten und mRNA-Impfstoffen. Dank seiner medizinischen Ausbildung und jahrzehntelanger Erfahrung war er sehr gut in der Lage, sich mit Hilfe von Fachliteratur entsprechend zu informieren.

WW: Ja, ich glaube schon, dass ich mich gut auskenne. Ich habe mich sehr frühzeitig entsprechend belesen und von Anfang an Fachliteratur zu Rate gezogen. Insbesondere habe ich sehr viel über mRNA gelesen, über die Vor- und Nachteile dieser mRNA-Technologie. Mir wurde daher schnell klar, dass es sich nicht um eine Impfung im klassischen Sinne, sondern um gen-manipulierende Substanzen handelt. Und damit bin ich ja nicht allein, Prof. Haditsch spricht immer von „Spikung“. Inzwischen ist das ja sogar im Mainstream angekommen.

Das Infragestellen seiner Person geht im Artikel munter weiter. Sein Maskenattest, das er aus gesundheitlichen Gründen bekam, wurde von „einem befreundeten Arzt“ ausgestellt. Dazu meint Dr. Weber nur:

WW: Soll ich zu einem Arzt, den ich nicht leiden kann? Dass ich gesundheitliche Probleme habe, kann ich nachweisen. Aber heutzutage wird einem auch unterstellt, dass ein Attest gefälscht ist, wenn man mit seinem Arzt per Du ist. Diese Logik ist hanebüchen.

Der Protestbewegung wird im Artikel weiter unterstellt, dass sie aufgrund eines „nicht versiegenden Stromes der Desinformation“ auf die Straße gegangen sei. Dr. Weber wurde allerdings nicht durch Desinformation dazu motiviert. Für seine Zweifel waren zwei Gründe ausschlaggebend.

WW: Die Todeszahlen und die mediale Panikmache passten nicht. Die Todeszahlen waren hoch, aber jahreszeitengerecht, die Panik war definitiv übertrieben. Und dann habe ich zufällig den Podcast #7 von Herrn Drosten gehört. Er sagte ungefähr: „Es ist schlimm, ganz schlimm, es ist zum Verzweifeln. Um da rauszukommen, damit wir eine Impfung bekommen, müssen Regularien zur Herstellung des Impfstoffs außer Kraft gesetzt werden.“ Zu diesem Zeitpunkt war an eine Impfung noch kein Hindenken. Aber als Arzt weiß ich, dass Schlimmes passieren kann, wenn Regularien außer Kraft gesetzt werden. Da läuteten bei mir alle Alarmglocken.

Dr. Weber und die Corona-Maßnahmengegner zerstören lt. TAZ das Vertrauen in die „Impfung“ bzw. die Sicherheit der „Impfung“ und verhindern die Rettung der Gesellschaft. Schließlich erfährt man im Artikel: „Um mit diesem die Seuche zu stoppen, müssten sich 60 Prozent der Bevölkerung impfen lassen.“ „Impfen ist der Weg raus aus dieser Pandemie“, sagt Gesundheitsminister Jens Spahn. Und: „Vertrauen sei beim Impfen das ‚Allerallerwichtigste‘.

Das sieht Dr. Weber anders – und die Realität bestätigt ihn.

WW: Das mag beim herkömmlichen Impfen sein, aber wir haben hier eben keine Impfung. Außerdem läuft jede Pandemie von alleine tot. Je infektiöser, desto schneller. Irgendwann geht der R-Wert unter 1 – und die Sache beendet sich. Als der Lockdown ausgerufen wurde, war der R-Wert bereits unter 1. Außerdem ist das ein Framing. Wenn ich mich kritisch zu einer Impfung äußere, bin ich ein Impfgegner. So wird eine kritische Auseinandersetzung verhindert. Impfgegner gehört zu den unzähligen neuen Worten, die sie während der letzten drei Jahre generiert haben. AHA-Regel, Schwurbler, Coronaleugner, Impfgegner … Diese sind alle Teil der Propaganda. Ich war in dieser Zeit viel unterwegs. Auf jedem Bahnsteig tönte es mir entgegen: „Schützen Sie sich und andere mit der ‚Impfung‘.“ Ich habe mich sehr bewusst mit Propagandatechniken beschäftigt, um damit selbst besser umgehen zu können. Ich lege jedem Edward Bernays und Gustave Le Bon ans Herz. Man muss unterscheiden können zwischen Propaganda und Information. Bereits zu sagen: „Das ist eine Schutzimpfung“, ist Propaganda. Jede Impfung kann schützen, ist aber nicht automatisch ein sicherer Schutz. Es ist sehr subtil.

Immerhin werden auch kritische Aussagen von Dr. Weber gebracht. „Die Unterdrückung Andersdenkender sei „schon voll aktiv“. Die Hamburger Sparkasse habe ohne Vorwarnung das Konto seiner Stiftung gelöscht, 20.000 Euro Spendengelder seien an die Spender_innen zurücküberwiesen worden.

WW: Es wurde nicht nur das Konto unserer Stiftung gekündigt. Die Ärzte für Aufklärung haben 10 Mal versucht, ein Konto zu bekommen. Aber spätestens 14 Tage, nachdem wir die Unterlagen eingereicht hatten, kam die Ablehnung. Und das nicht nur in Deutschland, sondern auch im umliegenden Ausland. Bis jetzt haben wir kein offizielles Geschäftskonto, ich bin aber froh darum. Damit kommen wir um das Thema Veruntreuung von Spendengeldern herum und werden nicht – wie Michael Ballweg – dafür verhaftet. Hausdurchsuchungen sind uns fast allen nicht unbekannt. Bei mir waren es zwei aufgrund des Anfangsverdacht auf unrichtige Atteste. Nach meiner Anklage 2022 war die Staatsanwaltschaft so „freundlich“, die Informationen darüber an die Presse zu senden. Damit stand ich einen Tag am öffentlichen Pranger, denn mein Konterfei war in allen U-Bahnen in Hamburg zu sehen. Die Ausgrenzung Andersdenkender war und ist doch mittlerweile eine „Normalität“. Oder haben Sie Dr. Wodarg oder Prof. Dr. Bhakdi jemals bei Lanz gesehen? Sie wurden von Anfang an aus dem Diskurs ausgegrenzt, da sie dem Regierungsnarrativ kritisch gegenüberstanden.

Aber dann geht es mit dem Rechtsframing weiter. Die Ärzte für Aufklärung werden – völlig zusammenhangslos – mit der Identitären-Bewegung in Österreich in Verbindung gebracht. Ok – man kann natürlich den „zeitlichen Zusammenhang“ von neun Tagen auch als Zusammenhang sehen, wenn man Derartiges konstruieren will. Und auch der gesetzlich verbotene Holocaust-Vergleichsverdacht zeigt sich am Horizont.

Am 24. April, neun Tage, nachdem Weber die „Ärzte für Aufklärung“ gründete, demonstrieren in Wien 200 Menschen auf dem Albertinaplatz in der Wiener Innenstadt. Aufgerufen hat die „Initiative für evidenzbasierte Corona-Informationen“. Mit dabei: Der „Obmann“ der „Identitären“ Martin Sellner. Redner_innen warnen vor Zwangsimpfungen durch Bill Gates. „Wir sind die Juden“, skandieren die Demonstrierenden. „Ja, ich hab’s mit dem Faschismus verglichen“, sagt eine Frau auf Nachfrage eines Reporters.

WW: Ich habe nie mit den Identitären etwas zu tun gehabt, es besteht auch kein persönlicher Kontakt. Ich kenne den Namen Martin Sellner nur aus den Medien.

Aus der TAZ erfährt man: „Die ‚Ärzte für Aufklärung‘ und Professor Dr. Stefan Hockertz warnen vor ‚80.000 Toten und 4 Millionen Impfgeschädigten durch eine Corona-Zwangsimpfung in Deutschland.‘

Inzwischen sind die Mainstream-Medien sogar bereit zuzugeben, dass es Impfgeschädigte gibt. Laut Paul-Ehrlich-Institut wurden in Deutschland zwischen 27.12.2020 bis zum 31.10.2022 insgesamt 333.492 Verdachtsfälle von Nebenwirkungen und 50.833 Verdachtsfälle schwerwiegender Nebenwirkungen gemeldet.“

Damit ist das PEI noch weit von diesen Zahlen entfernt. Aber: Je nach Quelle werden nur 1 bis 5% vermutlicher Verdachtsfälle überhaupt gemeldet, eine Zahl, die bei der Covid-Spritze noch höher liegen soll. Wie sieht Dr. Weber das heute?

WW: Wir sind verdammt nah dran. Wir haben hochgerechnet, dass es 4 bis 7 Millionen Impfgeschädigte geben wird. Die Übersterblichkeit macht die Todeszahlen bereits jetzt sehr deutlich. Wir haben das im August 2020 schon befürchtet, es war absehbar, worauf das hinausläuft. Es ist unfassbar, wie erfolgreich die weltweite PR-Aktion der Pharma-Industrie war.

Wie sehr man sich auf die Aussagen des Paul-Ehrlich-Instituts verlassen kann, wird im TAZ-Artikel eindrucksvoll demonstriert: „Das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) widerspricht vehement: Weder in den klinischen Prüfungen an mehreren zehntausend Personen noch bei den Impfungen in Großbritannien seien folgenschwere Reaktionen oder gar Todesfälle beobachtet worden.“ Dazu meint Dr. Weber:

WW: Inzwischen sind die Pfizer-Papiere dank des Freedom of Information Acts offiziell verfügbar und dank Naomi Wolf und ihren Mitstreitern international bekannt. Damit ist klar, dass die Aussagen des PEI einfach nicht stimmen.

Da stellt sich die Frage, auf welche Zahlen man sich überhaupt verlassen kann. Die Ängste von Andrea Feuer scheinen also definitiv berechtigt.

Über sie liest man in der TAZ: „Andrea Feuer gehört zu jenen, die die Impfungen ängstigen … Von einem Blatt Papier liest sie etwas unsicher ihre Rede ab.

Bezüglich der Impfungen war sie sich aber frühzeitig ziemlich sicher.

AF: Ich habe damals schon Studien gelesen, die auf Nebenwirkungen und Kontraindikation hinwiesen. Allein die offizielle Behauptung, dass sie sicher sind, berechtigt die Ängste. Inzwischen weiß man ja ganz offiziell, dass schwerwiegende Fälle von Pfizer aus den Studien einfach entfernt wurden.

Auch ihr Verein „Netzwerk Impfentscheid Deutschland“ wird gleich einmal ins rechte Lager gerückt. „Das ist der deutsche Ableger eines gleichnamigen Schweizer Netzwerks, das von der rechtspopulistischen SVP unterstützt wird.“ …

Ihrer Sicht, dass die geplante Impfoffensive ein „Menschenlabor“ sei, da unkontrolliert, ohne differenzierte Diagnostik auf Vorerkrankungen geimpft wurde, wurde laut TAZ durch das Paul-Ehrlich-Institut widersprochen. „Es verweist auf den Beipackzettel, der über Risiken für bestimmte Gruppen, Wechselwirkungen und Nebenwirkungen informiert. Selbstverständlich würden Ärzte Impfwillige daraufhin befragen und untersuchen. Zudem würden bei den klinischen Prüfungen auch Angehörige der Risikogruppe geimpft.

Dass es sich hierbei um Fehlinformationen handelt, ist inzwischen auch bekannt. Dazu Andrea Feuer:

AF: Was die Corona-Impfung angeht, ist das falsch. Die Risikogruppen waren zunächst eben nicht in den Studien inkludiert. Es waren meines Wissens gesunde Menschen zwischen 20 und 60, die an den ersten Studien teilgenommen haben. Weder Krebspatienten noch Schwangere wurden anfangs einbezogen. Und dass man bei der Massenabfertigung der Impfwilligen von Befragung oder gar Untersuchung sprechen kann, ist unfassbar. Es gab Impfstraßen, in denen aus zeitlichen Gründen eine adäquate Aufklärung gar nicht stattfinden konnte. Teilweise lagen den Ärzten keine Beipackzettel vor. Über Risiken und Nebenwirkungen wurde – wenn überhaupt – nur minimal aufgeklärt. Offiziell hieß es ja, dass es keine Nebenwirkungen außer den üblichen Beschwerden an der Einstichstelle geben werde.

Und der Labor-Charakter galt zumindest für Israel. So titel die Jerusalem Post am 9. März 2021: „Pfizer CEO Albert Bourla calls Israel ‘world’s lab’ in interview to NBC“  – Ok – exakt übersetzt ist es ein „Labor für die Welt“ und kein „Menschenlabor“ – hier hat sie sich begrifflich minimal vertan.

Immerhin gibt die TAZ dann zu, dass Zweifel irgendwie doch eine geringfügige Berechtigung haben. So liest man: „Auch weil sie (Andrea Feuer) Unwägbarkeiten anspricht, die die Wissenschaft tatsächlich noch nicht ausräumen kann: Etwa welche Langzeitfolgen die Corona-Impfung haben kann.

AF: Zeit kann man nicht teleskopieren. In wenigen Monaten sind keine jahrzehntelangen Beobachtungen möglich. An der Übersterblichkeit, den massiven Nebenwirkungen und der Zunahme an Krankheitstagen sieht man aber, dass es sehr wohl mittel- und langfristige Nebenwirkungen gibt.

Von der versprochenen Transparenz, was Nebenwirkungen angeht, sind wir aber heute noch weit entfernt. Die TAZ zitiert den damaligen Minister Jens Spahn: „Nebenwirkungen sollen Geimpfte per App melden können. Wir werden das sehr, sehr transparent machen“, sagt er. Andrea Feuer weiß bis heute nichts von dieser App, im Gegenteil. Sie sagt:

AF: Ärzte werden nicht dafür bezahlt, Impfnebenwirkungen zu melden. Dabei ist es ein zeitlich großer Aufwand, diese Nebenwirkungen im System zu erfassen.

Aber auch die nächste Versicherung von Jens Spahn lt. TAZ hat sich nicht bewahrheitet: „Ich gebe Ihnen mein Wort: Es wird in dieser Pandemie keine Impfpflicht geben.

AF: Auch das entspricht, wie man heute weiß, nicht der Wahrheit. Im Gesundheitsbereich gab es die einrichtungsbezogene Impfpflicht, die inzwischen aber ausgelaufen ist. Bei den Soldaten war bzw. ist die Impfung verpflichtend. Und bei 2G handelte es sich um eine indirekte Impfpflicht, da die Menschen genötigt wurden, sich impfen zu lassen, um am normalen Leben teilhaben zu können.

Ihre im Artikel geäußerten Befürchtungen des indirekten Impfzwangs wurden bestätigt. „Erst die Reisefreiheit, dann mal weitergesponnen die Veranstalter, die sagen, in unser Konzert kommen Sie nur noch mit Immunitätsausweis.

AF: Ja, leider ist alles eingetroffen, was ich befürchtet habe. Das ist unheimlich. Ich wusste gar nicht, dass ich hellseherische Fähigkeiten besitze. Mir wurde vorgeworfen, dass ich Panik vor einem drohenden Impfzwang verbreite – und die Realität hat gezeigt, dass ich recht hatte, die Panik war berechtigt.

Ihren Hinweisen an die Redaktion kam das Dreierteam, das den Artikel verfasst hat, leider nicht nach. Im Gegenteil – man zog sie verbal ein wenig durch den Kakao. Vor den Ängsten, die sie schürt, scheint sie selbst nicht gefeit. Mit dem nahenden Impfstart wird auch der Ton ihrer E-Mails an die TAZ aufgeregter. … Feuer schreibt: „Ich rate Ihnen dringend, sich diese komplette Sendung anzuschauen. Es gab bei dem Covid-19-Impfstoff überhaupt keine prätoxische Studie.“ Nun würden „Menschenversuche“ stattfinden. Feuer bittet darum, „dabei mitzuhelfen“, dies aufzudecken. „Es geht um Leben und Tod!!!“ Im Nachgang zeigt sich, wie recht sie hatte.

AF: Als öffentliches Medium hätte das Team der TAZ dafür sorgen können, das nachzurecherchieren und damit vielen Menschen sehr viel Leid zu ersparen. Denn inzwischen ist es breiteren Teilen der Bevölkerung bekannt, dass es genau diese Studien nicht gab. Dass Pfizer bei den Zulassungsstudien Dinge verschwiegen und betrogen hat, wissen wir u.a. auch dank der Pfizer-Dokumente in der EU. Das wird inzwischen sogar von den öffentlichen Medien berichtet.

Ob die TAZ hätte feststellen können, dass es keine prätoxischen Studien gab, kann man im Nachgang nicht sagen. Das Medium hat aber wohl kaum einen Versuch unternommen, sondern sich blind auf die Aussagen des Paul-Ehrlich-Instituts verlassen. „Doch dass es diese nicht gegeben haben soll, ist laut dem Paul-Ehrlich-Institut eine Falschbehauptung. Ohne diese Daten werde eine klinische Prüfung gar nicht genehmigt, so das PEI.

Dazu Andrea Feuer: Da hat das PEI wohl nicht die ganze Wahrheit gesagt.

Mir drängt sich die Frage auf: Sollte man es nicht besser PUI – Paul-Unehrlich-Institut nennen?

Und dann geht es weiter mit Rechtsextremismus-Framing – fast 7000 Zeichen bemüht sich die TAZ, Zusammenhänge zwischen Impfkritikern, Rechtspopulisten und den extremen Rechten herzustellen. Sellner, FPÖ, AFD, SVP, Ukip, RN, Reichsbürger – nichts wird ausgelassen. Natürlich fällt auch der Begriff Holocaust. Dass Andrea Feuer politisch mit rechts außen nichts zu tun hat, brauche ich sie nicht zu fragen. Schließlich arbeiten wir seit Mai 2020 zusammen. Ich weiß, dass das Blödsinn ist. Dazu meint sie nur:

AF: Ich bin Menschenrechtsaktivistin und keine Rechte. Mich interessiert die Gesundheit der Menschen. Da spielen Herkunft, Land, Religion, aber auch Parteizugehörigkeit keine Rolle. Allerdings ist es erschreckend, dass in fast allen Ländern nur rechte Parteien einen ähnlichen Blickwinkel eingenommen haben. Ist das nicht traurig? Auf unseren Demos waren keine Parteifahnen erlaubt. Ob „Rechte“ dabei waren, weiß ich nicht. Wer sich mit Demonstrationsrecht auskennt, weiß, dass man niemanden auf öffentlichen Veranstaltungen ausgrenzen darf, solange der Mensch nicht persönlich auffällt.

Dann wird der Artikel wieder vermeintlich sachlicher, zitiert die WHO und das Problem, dass die Impfbereitschaft durch Fake News untergraben werde. Das waren aber, wie man inzwischen weiß, keine Fehlinformationen. Für Andrea Feuer ist das ein Versagen der Medien, die für News im Sinne der Information der Öffentlichkeit zuständig sind.

AF: Das waren kritische Hinweise und Warnungen, die sich inzwischen als wahr herausgestellt haben. Thrombosen, Myokarditis und Turbo-Krebs wurden von Kritikern prognostiziert. Wir haben versucht, die Menschen zu warnen, aber die Öffentlichkeit wurde – z.B. auch durch die TAZ – darüber nicht informiert, obwohl die Redaktion diese Warnungen auch von mir per E-Mail erhalten hat.

Immerhin konnte man schon damals im TAZ-Artikel offiziell lesen, dass die wesentlichen sozialen Medien manipulativ arbeiten bzw. zensieren. Vor allem aber setzt die EU auf die Kooperation der Internetkonzerne. „Wenn Sie heute bei Google nach ‚Covid19-Impfung‘ suchen, werden Sie zur WHO oder anderen zuverlässigen Quellen geleitet. Das ist ein großartiger Beitrag“, sagt Siddhartha Datta von der WHO. Facebook, Twitter, Mozilla, Google, Microsoft und zuletzt TikTok haben eine Selbstverpflichtung unterzeichnet, um gegen Fake News vorzugehen. Der Messenger-Dienst Telegram ist bislang nicht dabei. Über diese Plattform kommuniziert die Bewegung am liebsten. Hier war auch Andrea Feuer aktiv.

AF: Telegram war der einzige Messenger-Dienst, der kaum zensiert hat. Ansonsten war es nicht möglich, Warnungen über das Netz zu verbreiten. Freie Meinungsäußerung und abweichende Informationen zum Thema sind nicht möglich gewesen.

Und weiter geht es mit dem Rechtsframing. Und wer wird zitiert? Natürlich Björn Höcke!

Der Thüringer AfD-Chef, Anführer des offiziell aufgelösten „Flügels“ und von den Behörden offiziell als Rechtsextremist eingestuft, kritisiert staatliche „Repressionen“, spricht von „Erstürmungen von Wohnungen“, „Inhaftierungen“ und „Zwangsimpfungen mit erbgutveränderndem Impfstoff“. All das erwäge der Staat.

AF: Das hat meines Wissens Gott sei Dank so nicht stattgefunden. Selbst im Fall der ukrainischen Jüdin, Künstlerin und Holocaustüberlebenden Inna Zhvanetskaya, die zwangspsychiatrisiert und zwangsgeimpft werden sollte, konnte dank mutiger Menschen und der Anwälte das Schlimmste verhindert werden. Sie wurde rechtzeitig in Sicherheit gebracht. Aber dieser Fall zeigt, wie weit die Behörden bereit waren zu gehen.

Auch wenn es mit „Höcke“ eingeleitet wird, liest man in der TAZ weiter: Es gibt keine wissenschaftlichen Belege dafür, dass Impfstoffe wie dieser das Erbgut verändern. „Warnungen vor Erbgutschäden sind falsch und verursachen unbegründete Ängste“, sagt auch der Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts, Klaus Cichutek. Dazu meint Andrea Feuer:

AF: Auch Herr Cichutek sagt hier nicht ganz die Wahrheit. Erbgutveränderungen finden statt, die Zeugungsfähigkeit bei Frauen und Männern ist bereits erkennbar rückläufig. Ob das eine nachhaltige Schädigung ist, wird die Zeit ergeben. Aber darauf hätte man es von vornherein nicht ankommen lassen dürfen. Hätten es die Redakteure von der TAZ kritisch hinterfragt, müssten jetzt nicht Millionen von Menschen unsicher in die Zukunft blicken.

Und weiter folgen gut 2500 Zeichen Rechtsframing.

Langsam wird es langweilig.

Ein Hansjörg Müller von der AFD warnt wie Andrea Feuer vor einem „indirekten Impfzwang“. Selbst wenn dieser Herr (den ich nicht kenne) ein extremistischer Neo-Nazi wäre, was er vermutlich gar nicht ist, drängt sich mir wieder einmal folgende Frage auf: Wenn ein Neo-Nazi auf die Uhr schaut und sagt: Es ist 16:34 Uhr – muss ich dann meine Uhr umstellen oder sie gar wegschmeißen? Andrea Feuer sieht das ähnlich.

AF: Tausende haben ihren Arbeitsplatz verloren und durften nicht am gesellschaftlichen Leben teilnehmen. Menschen wurden aufs Übelste diskriminiert, beleidigt, und das auch von den öffentlichen Medien. Eine spalterische Stimmung wurde verbreitet, es war eine Zweiklassengesellschaft – da hatte die AFD leider recht.

Eines bedauert Andrea Feuer sehr: Sie hat mit ihrer damals geäußerten Prognose, dass das Impfziel in Deutschland erreicht werde, nicht recht gehabt.

AF: Ja, hier habe ich mich leider geirrt. Viel zu viele haben sich impfen lassen, haben Schäden erlitten. Bei 77,9% Geimpften kann man nur hoffen, dass die Langzeitfolgen nicht zu groß sind. Wir kennen die Dunkelziffer nicht und ich fürchte, die ist sehr hoch. Denn wer kann in 2024 noch wissen, dass der Krebs durch eine Impfung in 2021 verursacht wurde? Die Krebsraten steigen ja bereits jetzt rasant.

Auch wenn hier die Inhalte eines Artikels der TAZ kritisch überprüft wurden: Das kritisierte Fehlverhalten war und ist in allen Mainstream-Redaktionen zu finden. Mangelnde Recherche, mangelnde Kritik am offiziellen Regierungsnarrativ, Diffamierung und Hetze der Maßnahmenkritiker und Rechtsframing – man muss von einem durchgängigen Versagen der Mainstream-Medien sprechen, die heute – allerdings immer noch zögerlich – von Impfnebenwirkungen berichten und manchmal sogar die Opfer zu Wort kommen lassen. Das Medienversagen ist und bleibt erschreckend.

Aus Gründen der Fairness wurde der Entwurf dieses Artikels an die Redaktion der TAZ sowie die angesprochene Redakteurin geschickt und diese um eine Stellungnahme gebeten, die im Anschluss an den Text veröffentlicht werden soll. Dafür wurde eine Frist von vier Arbeitstagen gesetzt.

Hier mein Schreiben an die TAZ:

Sehr geehrte Frau Belghaus, sehr geehrte TAZ-Redaktion,  in der Anlage finden Sie einen Artikel, der kommendes Wochenende als Zweiteiler bei TKP.at erscheinen wird.  Für diesen Text habe ich mit Ihren beiden Gesprächspartnern des Artikels vom 19.12.2020 gesprochen. Wir haben diesen durchgängig hinterfragt. Aus Gründen der Fairness schicke ich Ihnen diesen vorab und biete Ihnen die Gelegenheit, bis zum 27.4.2023 im Umfang von +-5000 Zeichen dazu Stellung zu nehmen. 

Ihrer geschätzten Antwort sehe ich neugierig entgegen  mit freundlichen Grüßen

Andrea Drescher

Überraschenderweise kam sogar eine Antwort – und das bereits am 26.4.2023.

Guten Tag Frau Drescher,

wir weisen die in Ihrem Artikel gemachten Unterstellungen zurück. Wir haben wie üblich an jeder Stelle nach journalistischen Standards gehandelt, die Protagonist:innen fair behandelt und die Tatsachen angemessen und korrekt dargestellt.

Freundliche Grüße,

Nora Belghaus

Nun kann sich jeder unser Leser:INNEN und :AUSSEN selbst ein Bild über das Verhalten und die Qualität der TAZ machen.

Erstveröffentlichung auf tkp.at

Hinweis: Gastbeiträge geben immer die Meinung des jeweiligen Autors wieder, nicht meine. Ich veröffentliche sie aber gerne, um eine vielfältigeres Bild zu geben. Die Leserinnen und Leser dieses Blogs sind auch in der Lage sich selbst ein Bild zu machen.

„NSU-Prozess – Vorhang zu und alle Fragen offen“ – Eine Diskussion mit Rechtsanwalt Eberhardt Reinecke, Ekincan Genc und Autor Markus Bernhardt auf dem 20. Pressefest der UZ

Diskussion über den NSU-Prozess (v.l.n.r: Moderator, Ekincan Genc, Eberhard Reinecke und Markus Bernhardt. Foto: Claus Stille

Der NSU-Prozess ist beendet. Doch nicht nur der Opferanwalt Mehmet Daimagüler denkt nun in keinster Weise daran die Ziehung eines Schlussstrichs zuzulassen (hier mein Bericht). Der Prozess wurde auch im Rahmen des 20. Pressefests der UZ (mein Bericht) vergangenes Wochenende in Dortmund thematisiert. Unter dem Titel „NSU-Prozess – Vorhang zu und alle Fragen offen“ diskutierten Markus Bernhardt (Kenner der Dortmunder Neonaziszene), Autor von „Das braune Netz“, von UZ und junge Welt, Ekincan Genc, DIDF-Jugend, und der Anwalt der Nebenklage für sechs Opfer aus der Kölner Keupstraße, Eberhardt Reinecke, miteinander.

Ekincan Genc: Lob für die Nebenklageanwälte. Kritik an Polizei und Medien

Ekincan Genc sprach über die jährlichen Gedenk- und Solidaritätsveranstaltungen für den in Dortmund vom NSU ermordeten Kioskbesitzer Mehmet Kubasik (dazu hier mehr) und die kurz vorm NSU-Prozessende gestartete Kampagne „Kein Vergessen! Rassismus bekämpfen. NSU aufklären“. Der Kampagne gehe es nicht allein um den NSU, sondern setze sich mit Antirassismus-Arbeit an sich auseinander und betrachte diesen „auch nur als ein Produkt von diesem Faschismus, den wir in diesem Land haben“. Genc berichtete über den Vertrauensverlust gegenüber dem Rechtsstaat., der von Prozesstag zu Prozesstag in München gewachsen sei. Was vor allem damit zusammenhing, dass der Staat nicht aufklärte, „was der Staat selber gemacht hat“. Ekincan Genc lobte die Arbeit der Nebenklageanwälte im Prozess. Selber habe man sich darum bemüht eine Öffentlichkeit dafür zu schaffen, „Menschen zusammenzutrommeln und die Politik ein bisschen dazu zu drängen sich mit dem Thema auseinanderzusetzen“. Dies werde auch von den Hinterbliebenen der Mordopfer gewünscht und unterstützt. Genc beklagte, dass die Polizei in allen NSU-Tötungsfällen anfangs nie und auch später kaum in Richtung Neonaziszene ermittelte. Auch die Medien hätten diesbezüglich versagt. Auch die Linke müsse sich mehr engagieren, so Genc. Selbst in Dortmund wüssten Viele nicht, was einst in der Mallinckrodtstraße – wo Kubasik getötet wurde – geschehen sei. Obwohl man alljährlich dort des Ermordeten gedenke.

Nach den NSU-Morden haben Migranten viel Vertrauen in die deutsche Polizei und den deutschen Rechtsstaat verloren, sagte RA Eberhardt Reinecke

Rechtsanwalt Eberhardt Reinecke skandalisierte, dass die viele Hinterbliebenen der Mordopfer von der Polizei von Anfang an und noch Jahre später von der Polizei selbst verdächtigt wurden mit den Taten in Verbindung zu stehen. Nach dem NSU-Prozess gebe es zwar mehr Klarheit, nur beim Nagelbombenanschlag in der Kölner Keupstraße seien allerdings nach wie vor „sehr viele Fragen offen“. Die Nebenklageanwälte habe man von vornherein aktiv in das Prozessgeschehen eingegriffen und dadurch eine „relativ zwiespältige Situation“ gehabt. Denn man wollte auch die Fehler aufzuzeigen, die der Staat gemacht hat und den systematischen Hintergrund dieser Fehler aufzuzeigen. Dies, so Reinecke, wäre eigentlich die „Aufgaben gewesen, die die Verteidigung von Frau Zschäpe hätte machen müssen“. Weil, „die hätten sagen müssen, der Staat hat es denen aber auch verdammt leicht gemacht“. Das hätte dann strafmildernd ins Gewicht fallen müssen. Und gab Rechtsanwalt Reinecke zu bedenken: Die türkische und kurdische Community, die einst viel Vertrauen in den deutsche Polizei und den deutschen Rechtsstaat gehabt habe, sei inzwischen sehr tief verunsichert und enttäuscht.

Journalist Markus Bernhardt: NSU-Trio-Geschichte alles andere als glaubwürdig

Als politischer Mensch und Journalist, warf Markus Bernhardt ein, habe er da freilich einen etwas anderen Blick auf den Prozess gehabt. Von dem hätte man sich ja mehr erwartet. Schließlich sei über Jahre hinweg die Zahl im NSU-Unterstützernetzwerk von über 120 Personen herumgegeistert. Weshalb wohl – in seinen Augen – „diese NSU-Trio-Geschichte alles andere als glaubwürdig“ sei. Er kenne ja die Neonaziszene in Dortmund. Bernhardt kritisierte, dass auch bestimmte Städte dazu beigetragen hätten, dass solche Taten geschehen konnten. Die SPD-regierte Stadt Dortmund „habe im Endeffekt eine braune Wohlfühloase zugelassen“. Entgegen „den vielen Beteuerungen städtischer Art“ habe vor allem das „Bündnis gegen Rechts“ oder „Dortmund stellt sich quer“ vehement gegen Nazis gearbeitet. Für ihn stehe fest, „dass eine ganze Reihe von Staatsschutzbeamten, an V-Leuten, Mitarbeiter aus der Polizei und den Geheimdiensten auf die Anklagebank gehört hätten“. Bernhardt übte Kritik an der Aufweichung des historischen gewachsenen Trennungsgebotes Polizei/Geheimdienste. Das sei „nicht erst jetzt, sondern schon 2014 über den Jordan gegangen mit der Einrichtung des Gemeinsamen Terrorabwehrzentrums“. Schlimm sei heute obendrein, dass das sogenannte Bundesamt für Verfassungsschutz mittlerweile Politikberatung für die AfD leiste.

Allein 40 V-Leute gab es im Umfeld des NSU

Der Moderator wies auf Vorläuferorganisationen des NSU wie den Thüringer Heimatschutz hin. Somit könne nicht gesagt werden, der NSU sei aus dem Nichts entstanden. Markus Bernhardt wies daraufhin, dass im Thüringer Heimatschutz jeder Fünfte (!) V-Mann gewesen sei und fragte wer eigentlich das Problem sei – die paar Nazis? „Oder Müssen wir eher fordern, dass Verfassungsschutzämter, die ja fälschlicherweise so heißen, zerschlagen werden, oder fordern wir´n NPD-Verbot?“ Schließlich sei die staatliche Verstrickung doch wirklich beängstigend, fand Bernhardt. Allein 40 V-Leute gab es im Umfeld des NSU, ergänzte der Moderator.

Fazit

Zu aktuellen Gefahren rechten Terrors gefragt sagte Markus Bernhardt, „die Rahmenbedingen“ dafür „könnten nicht besser sein als sie gerade sind“. Auf der einen Seite hätte man bis hinein ins bürgerliche Lager und weit darüber hinaus Nazismus in einem Ausmaß, dass Bernhardt nicht mehr für möglich gehalten habe. Militanten Szenen hätten in NRW Mitglieder der Linkspartei körperlich angegriffen. Das Nichtstun der Polizei und der Politik seien Seiten der gleichen

Medaille. „Das Problem in Dortmund ist ja nicht vom Himmel gefallen.“ Bernhardt erinnerte an das Treiben der Borussenfront schon vor vielen Jahren. „Ich glaube wir haben es mit einem reaktionären Zeitgeist zu tun“, meinte Markus Bernhardt. Allerdings wollte er dann auch nicht völlig schwarz malen. Zu diesem Behufe verwies der Journalist auf Konstantin Wecker, der einmal gesagte habe, man müsse beachten, was wir machen und wie die Welt aussehen würde, wenn wir nichts gemacht hätten.

Rechtsanwalt Eberhardt seinerseits konstatierte, diese Ideologie (sich gegen Migranten richtend), dass „Die anderen hier nichts zu suchen haben und wegmüssen“, sei „unheimlich weit verbreitet“. „Wir können froh sein, dass nicht jeder, der diese Ideologie nicht gleich noch eine Knarre in der Hand hat.“ Und Reinecke weiter: „Wir haben einen Punkt wo diese ideologische Suppe aus der diesen NSU-Taten durch zwei Personen, die natürlich nicht einfach Charaktermasken sind. Böhnhardt und Mundlos waren nicht einfach so ersetzbar und Zschäpe, sondern sind natürlich wahrscheinlich auch Personen mit psychopathischen Zügen.“ Allerdings sei nicht auszuschließen, dass unter zehntausend Menschen mit dieser rechten Ideologie nicht auch drei oder vier Leute sind, die in den Untergrund gehen und wieder Leute morden. Der NSU-Prozess habe nicht dazu geführt, dass so etwas undenkbar wäre. Reinecke: „Der Kampf wird um die Köpfe geführt.“ Wesentlich müsse „die Figur des besorgten Bürgers sein“. Mit solchen Leuten könne man sich nicht unterhalten, spielte der Rechtsanwalt auf Artikel in der TAZ (von Bettina Gaus und Robert Misik) an. Jemand, der aufgrund seiner Vorurteile herumschreie, diese Migranten bekämen hier sofort ein Smartphone geschenkt, „mit dem kann man sich nicht unterhalten, dass ist einfach ein Knallkopf, der keine Ahnung hat“, beschied der Rechtsanwalt. Und er gab zu bedenken, auch jemand, dem es dreckig ginge, sei nicht gezwungen rechtsradikal zu werden und „jemanden in die Fresse zu hauen, nur weil er eine schwarze Hautfarbe hat“.

Ekincan Genc verwies darauf, dass man auch die sozialen Verwerfungen (u.a. durch Hartz IV) hierzulande als Ursachen für eine Rechtsentwicklung betrachten müsse. „Wir müssen soziale Kämpfe führen“ und „uns entsprechend organisieren“, um dem zunehmenden Rassismus Paroli zu bieten, so Genc.

Ergänzende Leseempfehlungen

Wolf Wetzel mit mehreren Beiträgen zum NSU-Komplex via NachDenkSeiten, „Keupstraße ist überall“ und die Plädoyers der Kölner Anwälte Schön und Reinecke im NSU-Prozess.

IALANA-Medientagung in Kassel – Dr. Kurt Gritsch: „Der Kosovo-Krieg. Eine gesteuerte Debatte“

Dr. Kurt Gritsch. Fotos: C. Stille.

Auf einen interessanten Vortrag auf der IALANA-Medientagung vergangenes Wochenende in Kassel sei hier ebenfalls noch eingegangen. Dr. Kurt Gritsch (Institut für Zeitgeschichte Innsbruck) brachte schwere Verfehlungen von Politik und Medien mit seinem Vortrag „Der Kosovo-Krieg. Eine gesteuerte Debatte“ in Erinnerung.

Kurt Gritsch wollte nicht für Krieg sein müssen

An den Nato-Krieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien erinnert erklärte Gritsch, er wollte nicht zu denen gehören, die sagten „ich muss für eine Bombardierung Menschen in Ländern sein in den ich noch gar nicht war.“ Der Südtiroler wollte nicht für Krieg sein müssen. Das Gegenargument sei ja gewesen: „Wenn du nicht für die Nato-Bombardierung bist, dann unterstützt du Milošević. Dann würdest du in Kauf nehmen, auch gegen Hitler nichts gemacht zu haben.“ Damals sei Kurt Gritsch noch nicht klar gewesen, „dass diese sehr fiese Unterstellung, wer nicht für den Krieg ist der wäre auch nicht gegen Hitler gewesen.“ Deshalb wählte er für seine Doktorarbeit das Kosovo-Thema aus.

Die Inszenierung eines gerechten Krieges?“ – Die Doktorarbeit von Kurt Gritsch

Auf Prof. Dr. Rager (lesen hier unter der Teilüberschrift „Prof. Dr. Günther Rager“), welcher vor ihm auf der Tagung gesprochen habe, kam er ins Thema einführend auf das Referat des Uni-Professors aus Dortmund zurück, der für den Journalismus festgehalten hatte: „Man kann nicht nicht inszenieren.“ Das Buch von Dr. Gritsch trage den Titel – welchen er seine Frau verdanke, die Autorin ist – „Inszenierung eines gerechten Krieges?“. Die Kernthese: „Dieser Krieg damals wurde als eine humanitäre Intervention dargestellt.“ Was für die Kriegsbefürworter „das schöne Resultat“ bedeutet hätte, das Wort Krieg vermeiden zu können. Ihn habe damals beschäftigt warum sich „Intellektuelle, SchriftstellerInnen mit dem Thema Krieg beschäftigen und was sagen sie zum Krieg“?

Schließlich orientiere sich ja eine offene demokratische Gesellschaft auch daran, was jemand sage, dem man eine gewisse Autorität zumutet. Damals sei bekanntlich „Auschwitz als ein Kriegsargument“ verwendet worden: „Wir kämpfen im Kosovo, um ein zweites Auschwitz zu verhindern.“ Wenngleich das Informationen des Bundesnachrichtendienstes oder Bundeswehr vor Ort nicht hatten bestätigen können. Warum also hörte man bestimmten Tatsachenwahrheiten damals nicht oder erst später, wenn bereits Fakten geschaffen waren worden? Dieser Frage sei Gritsch nachgegangen. Deshalb habe sich Kurt Gritsch u.a. auch mit dem von Frank Schirrmacher herausgegebenen Buch „Der westliche Kreuzzung. 41 Positionen zum Kosovo-Krieg“ beschäftigt.

Warum der Kosovo-Krieg wichtig war

Für seine Doktorarbeit recherchierte Gritsch vom Westen skandalisierte angebliche Massaker, sowie die Lüge mit dem „Hufeisenplan“ und durchleuchtete den Vertrag vom Rambouilliet, der letztlich Serbien betreffend ein Diktat (dazu hier und hier mehr) war, dem wohl kein souveränes Land, schon gar nicht dessen Militär, der Welt hätte zustimmen können. (Video mit der Aufzeichnung des Vortrags von Dr. Kurt Gritsch via Weltnetz.TV)

Andreas Zumach (bei der Medientagung in Kassel ebenfalls anwesend) habe damals in der TAZ darüber geschrieben. Betreffend dem Annex B. Demnach hätte dieser Zusatz erlaubt, dass auf dem gesamten jugoslawischen Territorium Nato-Truppen hätten stationiert werden können.

Womöglich – muss man heute denken – sei damals die Latte absichtlich so hochgelegt worden, um einen Nato-Militärschlag gegen Jugoslawien zu ermöglichen.

Der ehemalige Nato-Oberbefehlshaber Wesley Clark habe in einem Buch „damals rational erklärt, warum der Kosovo-Krieg wichtig war: wegen der Zukunft und der Kriege die dann folgen würden“.

Auch der bundesdeutsche General Heinz Loquai (später vom damaligen Verteidigungsminister Scharping geschasst), der bei der OSZE arbeitete, „hatte diese Sichtweise der einseitigen serbischen Alleinschuld sehr früh durch Fakten ausdifferenziert“ (dazu ein Buch), erklärte Kurt Gritsch.

Der Einfluss von Intellektuellen auf das Ins-Werk-Setzen eines Angriffskrieges, der aber nicht Angriffskrieg genannt werden durfte

Wenn Intellektuelle wie Günter Grass oder Susan Sonntag sich damals im Feuilleton zustimmend zum Kosovo-Krieg geäußert hätten, dann habe das gewiss auch LeserInnen seiner Bücher in diesem Sinne beeinflusst, führte Gritsch als Beispiel an.

Und er erinnerte daran, dass es zum Jugoslawien-Krieg kein UN-Mandat gegeben habe. „Er war damit auch völkerrechtlich ein Angriffskrieg,, wurde aber nicht Angriffskrieg genannte, weil das klargemacht hätte, dass man das Völkerrecht offen gebrochen hätte“.

Also habe man ihn „humanitäre Intervention“ genannt: „Eine menschenfreundliche Einmischung. -“ Sprache, die Krieg verschleiern soll.“

Dabei gebe es ja humanitäre Interventionen wirklich. „Wenn ich in ein Erdbebengebiet ein Team schicke, das Verletzte birgt und nach Toten sucht, das die Wasserversorgung unternimmt …“

Auch große Diktatoren hätten schon Kriege unter der Überschrift „humanitäre Intervention“ geführt.

Artikel 5 (Bündnisfall) im Nato-Vertrag verpflichtet nicht zur militärischen Teilnahme

Dr. Kurt Gritsch gab zu bedenken, dass der Artikel 5 (Bündnisfall) des Nato-Vertrags kein Beitrittsstaat zu militärischer Teilnahme verpflichte. Ein Land könne sich eben auch zu ausschließlich medizinischer Hilfe verpflichten. Im Falle Jugoslawiens habe man sich am Krieg beteiligt, weil man musste, sondern weil man es gewollte habe.

Verantwortungsdiskurs“ – Mehr deutsche Auslandseinsätze. Mehr Krieg

Gritsch sprach auch den „Verantwortungsdiskurs“ an; Man kenne ja diese Äußerungen: Deutschland müsse wieder Verantwortung übernehmen. Auch auf der Münchner Sicherheitskonferenz geäußert: Mehr deutsche Auslandseinsätze. Mehr Krieg. Kurt Gritsch: „Weil wir (also Deutschland) aus seiner eigenen Geschichte gelernt habe, deswegen jetzt eben eine Wiederholung der eigenen Geschichte in anderen Ländern verhindern zu müsse.“

Moral darf nicht über das Recht gestellt werden

Ein Fazit aus dem Referat, fußend auf Wortmeldungen damaliger Gegner des Jugoslawienkriegs: Moral darf nicht über das Recht gestellt werden.

Dazu passend Erinnerungen des Journalisten Andreas Zumach:

Podiumsdiskussion mit (v.l.n.r) Gabriele Krone-Schmalz, Andreas Zumach, Moderation Manfred Deiseroth (IALANA), Ekkehard Sieker und Albrecht Müller (NachDenkSeiten).

Der auf der Tagung anwesende Journalist Andreas Zumach sprach über die Einhaltung der Sorgfaltspflicht, die Notwendigkeit sauberer Recherche und die eiserne journalistische Grundregel zu einem Ereignis mindestens immer zwei Quellen zu haben. Zumach: „Ich kann nur an uns alle als Individuen, die wir inzwischen auch JounalistInnen sind, weil wir unseren Smartphones und anderen Dingen, Dinge weiterverbreiten, appellieren und vor allem natürlich an uns als Profis, diese Regeln eisern einzuhalten. Selbst wenn wir unter massiven Druck sind.“

Zumach erinnerte der Vortrag von Dr. Kurt Gritsch daran, dass das verdammt schwer sein kann. Er hat nämlich darunter bitter leiden müssen. .

Annex B des Vertrags von Rambouilliet wurde Zumach von der UCK im Voraus zur Kenntnis gegeben

Noch heute hat Zumach manchmal schlaflose Nächte. Andreas Zumach sprach von „schwersten fünf Wochen meiner dreißigjährigen journalistischen Laufbahn“

Das sei vor dem Kosovo-Krieg gewesen. „Ich hatte diesen Annex B, also diesen geheimen Zusatz, wo den Serben abverlangt wurde die Nato stationieren zu lassen bereits am ersten Tag der Rambouilliet-Verhandlungen bekommen. Am 5. Februar.“

Und zwar von der Delegation der UÇK, deren Mitgliedern die US-Amerikaner den Annex B vorher schon gezeigt hatten. Nun musste Zumach natürlich recherchieren: „Stimmt das? Oder werde ich mit einem falschen Papier auf eine falsche Fährte gesetzt?“

Fünf Woche habe sich Zumach damals bemüht, bei den US-Amerikanern, bei den Deutschen, dem EU-Vermittler Petritsch, bei den Russen eine Bestätigung zu bekommen, ob das Papier wirklich so vorliege. „Ich habe sie nicht bekommen“, so Zumach. „Deswegen habe ich es nicht veröffentlicht. Ich habe die Bestätigung am 5. April bekommen, am 6. April hatten wir es in der Zeitung (hier der Artikel von Andreas Zumach via Netzwerk Friedenskooperative). Es hat noch sehr viel Furore gemacht.“ Außenminister Joseph „Fischer ist fast gestürzt, weil er hat ja nicht nur die Auschwitz-Lüge verbreitet auf der ideologischen Ebene, sondern auch das deutsche Parlament und die Öffentlichkeit glatt belogen“, um die Zustimmung es Bundestages zur Beteiligung der Bundeswehr am Kosovo-Krieg zu bekommen.

Andreas Zumach zitierte ihn: „Alle diplomatischen Bemühungen sind ausgeschöpft, jetzt bleibt nur noch der Krieg.“

Was wäre gewesen, wenn …

Zumach zu seinen schlaflosen Nächten: „Stellen wir uns mal vor, dieser Annex B wäre Beginn des Krieges am 24. März öffentlich geworden.“ Ohne das das beweisbar wäre, so Zumach, „hätten wir möglicherweise eine andere Dynamik in der innenpolitischen Diskussion bei uns gehabt“.

Vortragsreihe an der FH Dortmund „Wir schaffen das?!“ diesmal mit Daniel Bax: „Wer hat Angst ums Abendland?“

Daniel Bax während seines Referates an der Fachhochschule Dortmund. Fotos: C.-D. Stille

Daniel Bax während seines Referates an der Fachhochschule Dortmund. Fotos: C.-D. Stille

Die von Professor Dr. Ahmet Toprak an der Fachhochschule Dortmund initiierte neue Vortragsreihe „Wir schaffen das?!“ ging am vergangenen Mittwoch in die zweite Runde. Zu Gast als Referent war Daniel Bax, Redakteur bei der Tageszeitung (taz). Von ihm stammt das Buch „Angst ums Abendland. Warum wir uns nicht vor Muslimen, sondern vor den Islamfeinden fürchten sollten“. Daran anknüpfend ging der Journalist in seinem Vortrag darauf ein, wie das antimuslimische Ressentiment die Debatten um Einwanderung und Integration, Flucht und Asyl beeinflusst.

Bax hat via seiner Recherchen ausgemacht, dass antimuslimische Ressentiments in allen Schichten und über alle politischen Lager hinweg verbreitet sind. In ganz Europa, so Daniel Bax, seien sie tief in der europäischen Geschichte verwurzelt. Hierzulande machten sich rechtspopulistische Parteien wie die AfD und Bewegungen wie PEGIDA diese Abneigung gegenüber Muslimen und ihrer Religion zunutze und verwendete sie als Treibstoff für ihre Zwecke.

Bax gesteht zu, dass – verstärkt nach der Flüchtlingszuwanderung im Jahre 2015 – nach anfänglicher Euphorie sich auch hier und da Unbehagen betreffs einer Veränderung unserer Gesellschaft ausbreitete. Eine übersteigerte Angst vor Muslimen jedoch, davon zeigte er sich überzeugt, drohe die Grundlagen dessen zu zerstören, was Europa ausmachen sollte.

Ein Gespenst gehrt um in Europa

Gleich anfangs seines Referates wies Bax daraufhin, dass – sicher auch befördert durch Politik und Medien (wie in der späteren Fragerunde deutlicher wurde) nach den Anschlägen von 9/11 ein Klima geschaffen wurde, das die Stimmung gegenüber Muslime verschlechtern half. Bax

So wird Stimmung gegen den Islam gemacht. Hier vom Blog PI.

So wird Stimmung gegen den Islam gemacht. Hier vom Blog PI.

erinnerte daran, dass bereits bevor die Flüchtlinge in großer Zahl nach Europa und in unser Land gekommen waren, von rechten Kräften nichts unversucht gelassen wurde, um Muslime ins Zwielicht zu rücken. So etwa seitens des Blogs Politically Incorrect (PI). Wo man schon lange vor dem Auftreten von PEGIDA Angst vor einer angeblich – gar geplanten – Islamisierung Europa – schürte.

Und wie sich die Bat Ye’or („Tochter des Nil“) nennende britische Autorin Gisèle Littman das Schreckgespenst von einem drohenden Eurabien an die Wand gemalt habe. Oder die bereits verstorbene Oriana Fallaci. Eine italienische Journalistin und Schriftstellerin, die den Muslimen eine „Politik des Bauches“ – anspielend auf den angeblichen Kinderreichtum der Muslime, die so Europa islamisieren würden – unterstellte. Daniel Bax stellte klar, dass nicht nur hier, sondern auch in muslimischen Ländern (wie etwa der Türkei), je moderner sie würden und finanziell besser die Menschen gestellt seien, die Geburtenzahlen pro Familie sänken. Ein Gespenst geht um in Europa …

Weit rechts stehende Parteien, Journalisten und ein Schriftsteller bauen auf eine in der Bevölkerung unterschwellig vorhandenen Ablehnung von Muslimen auf

Eben auf die bereits unterschwellig vorhanden gewesene Ablehnung von Muslimen in der Gesellschaft hätten – und die „Flüchtlingskrise“ spielte dem zu – halt weit rechts stehende Kräfte schon seit Jahren aufgebaut. So wurde eine regelrechte Islamfeindlichkeit erzeugt. Die hätten halt in Europa weit

Die selbsternannten "Retter des Abendlandes" von PEGIDA.

Die selbsternannten „Retter des Abendlandes“ von PEGIDA.

rechts stehende Parteien wie die Schweizer Volkspartei (SVP) aufgegriffen. Bax blendete das bekannte Plakat der Blocher-Partei zum Referendum über Minarettbauten ein, das Minarette – die einen Schatten auf die Schweiz fallen lassen – wie aus den Boden schießenden Raketen aussehen ließ. Damals gab es gerade einmal drei Moscheen in der Schweiz mit Minarett! Aber auch die Dänische Volkspartei und die österreichische Freiheitliche Partei (FPÖ), der französische Front National führten seit langem diese antislamische Strategie. Oder die Lega Nord in Italien. Sowie dann auch der ungarische Rechtspopulist, Ministerpräsident Viktor Orban, der antiislamisches Unbehagen in der Bevölkerung für seine politischen Zwecke instrumentalisiert. Und auch in Polen sehe man nun solche Tendenzen.

Lange schon trügen auch Debatten über das Tragen von Kopftüchern dieser Anti-Islamstimmung Rechnung. In unseren Tagen heizte man diese über Verboten von Burkinis und Ganzkörperverschleierungen zusätzlich an.

Minarette werden von Rechtsparteien als Bedrohung der Gesellschaft dargestellt.

Minarette werden von Rechtsparteien als Bedrohung der Gesellschaft dargestellt.

Der Referent machte darauf aufmerksam, dass selbst der französische Schriftsteller Michel Houellebecq mit seinem Roman „Unterwerfung“ die Gefahr einer schleichenden Islamisierung das Wort rede. Bax, der vom Inhalt einer Rede des Schriftstellers anlässlich der Verleihung des Frank-Schirrmacher-Preises an diesen sprach, welche Houellebecq in Berlin gehalten hat, ist der festen Meinung, dass der es durchaus ernst meine, wenn er über eine drohende Islamisierung seines Landes schreibe. Auch kann er sich vorstellen, dass Thilo Sarrazin („Deutschland schafft sich ab“), in der Tat vermeintliche Verlustängste, welche wohl kultureller Natur seien, umtrieben als er das Buch schrieb.

Auch der Publizist und Buchautor Henryk M. Broder reite seit Jahren auf einer ähnlich provokativ wirkenden Welle.

Das Ziel dahinter: alles was irgendwie mit dem Islam zu tun habe unsichtbar zu machen

Ein weiteres Ansinnen sei, alles möge so bleiben wie es einmal war. Deshalb werde der Anspruch von Muslimen auf freie Ausübung ihrer Religion torpediert. Diesbezüglich scheue man sich nicht vor schlimmsten Populismus, der seit längeren en vogue sei. Zum Kronzeugen der Schädlichkeit des Islams machten sich auch noch als „Islamkritiker“ firmierende Muslime wie Necla Kelek oder Hamad Abdel-Samad. Letzterer nahm übrigens gar Einladungen von der AfD an, um dort zu reden. Der Islam wird per se als politische – sogar faschistoide – Ideologie verunglimpft. Angstbilder entstehen. Und sie entfalteten Wirkung.

Die AfD erntet die am Baum der Islamophobie herangereiften Früchte

Letztlich, ist sich Daniel Bax sicher, erntet nun die AfD nur die am Baum der jahrelang geschürten Islamophobie herangereiften Früchte. Und prophezeit, das wir die AfD so schnell nicht wieder loswerden würden. Dass sie eine Mehrheit erreichen würde, hält Bax indes für ausgeschlossen. Er hegt die Hoffnung, dass die demokratische Gesellschaft solche Kräfte zu überwinden imstande sei.

Vorurteilen ist schwer beizukommen

Die von Antiislamkräften heraufbeschworenen Horrorzahlen von Millionen Muslimen, die über uns kämen und künftig gar die Bevölkerungsmehrheit stellen könnten, hält Daniel Bax für unrealistisch und bewusst übertrieben. Momentan sind in Deutschland etwa fünf Prozent der Bevölkerung Muslime. Die meisten von ihnen seien nicht einmal besonders religiös. Vom Jahr 2010 bis 2030 dürfte die Zahl der Muslime in den europäischen Staaten von 4,5 auf allenfalls

"Islamkritiker" Hamed Abdel-Samad redete bei AfD-Veranstaltungen.

„Islamkritiker“ Hamed Abdel-Samad redete bei AfD-Veranstaltungen.

7,5 Prozent steigen.

Doch gegen Vorurteile sei eben schwer anzukommen. Bax verwies auf Albert Einstein, der einmal sagte, gegen sie anzukommen sei in etwa so, als wolle man einen Pudding an die Wand nageln.

Erst recht, wenn aus ihnen ein geschlossenes Weltbild geworden sei. Gerade rund um das Auftreten von PEGIDA in Dresden – wo kaum Muslime leben – man aber das Abendland vor ihnen glaube retten zu wollen. Ein im Grunde völlig hohles Bild. Zumal der Begriff Abendland aus der Bibel kommen und Sachsen äußerst wenig Menschen etwas mit Religion am Hut habe.

Stigmatisierung einer bestimmten Bevölkerungsgruppe ist nicht neu

Eine andere Form von Rassismus sei es, so meint Daniel Bax, kulturelle Unterschiede, den Islam betreffend, zu instrumentalisieren, um zu sagen, das passe nicht zu uns. Auf sich dem Vortrag anschließende Fragen des Publikums im gut besetzten Hörsaal meinte Daniel Bax, die Stigmatisierung einer bestimmten Bevölkerungsgruppe zur Gefahr für den Rest der Gesellschaft sei nicht neu. Wie man in Bezug auf die Juden im Dritten Reich wisse. Auch da hätte damals es sogar das Phänomen gegeben, dass assimilierte Juden in Deutschland den Zuzug von sogenannten Ostjuden selbst als Bedrohung empfanden und diesen ablehnten. Antisemitismus sei rechts wie links und bei Arbeitern wie auch bei Akademikern verbreitet gewesen. Heute verhalte es sich mit der Islamophobie ganz ähnlich. Auch jetzt lebten wir wieder Zeiten der Verunsicherung. Wo Sündenböcke gesucht und auch gefunden würden. Da empfänden inzwischen selbst bereits sogar hier lebende muslimische Migranten die Zuwanderung zuweilen als Bedrohung. Derweil seien Ursachen für auftretende Probleme in Wirklichkeit nicht nur der zugenommen habenden Globalisierung geschuldet, sondern auch in der wachsenden Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich zu suchen.

Ein Zuhörer machte auch die kriegerischen – sogar völkerrechtswidrigen – Kriege des Westen für die zunehmende Zahl der Flüchtlinge aus den betroffenen arabischen Ländern verantwortlich. In der Tat sieht auch Daniel Bax da Berührungspunkte und eine Spirale der Gewalt, die sich aufbaue, wenn sich hierzulande Muslime zu radikalisieren begännen, um vermeintlich ihren muslimischen Schwestern und Brüdern beizustehen, jedoch dann beim IS landeten, der eine Terrororganisation sei, welche den Islam für ihre Zwecke benutze.

Ein Herr, welcher sich gegen Ende des Abends zu Wort meldete, wollte nicht ganz so optimistisch sein. Er thematisierte die seiner Meinung nach „eigentlich skandalöse Situation hier“ in NRW. Wo „wenigstens 25 Prozent von Kindern in Armut“ lebten. Infolge neoliberaler Politik. Die ja auch von der AfD vertreten werde.

Wer „eine miese Situation im Lande schaffe“, brauche Sündenböcke. Und jetzt zur Zeit sei das eben der Islam. Schizophrener Weise spräche die AfD die Armen und Hoffnungslosen an. Gegen die sich auch deren Politik richte.

Daniel Bax setzt auf die Selbstheilungskräfte der Demokratie

Der Referent hofft, dass „wir uns alle wieder beruhigen“ und setzt auf die Selbstheilungskräfte unserer Demokratie. Daniel Bax hegt des weiteren die Hoffnung, man möge sich wieder den wirklich wichtigen Problemen unserer Zeit widmen. Des Weiteren meinte Bax, die Integration in Deutschland sei gar nicht so schlecht gelaufen. Wenn man das mit Frankreich oder Großbritannien vergleiche, wo es vor einiger Zeit gewalttätigen Krawalle gegeben habe.

Gegen Vorurteile helfen nur persönliche Begegnungen

Aber, gab er zu bedenken: „Wir müssen zur Kenntnis nehmen, das Deutschland sich ändert.“ Das mag auch Angst machen. Doch wollte Bax insgesamt keine furchtbar negative Entwicklung konstatieren.

Daniel Bax (2. v. re.) mit den Veranstaltern und den Unterstützern der Vortragsreihe.

Daniel Bax (2. v. re.) mit den Veranstaltern und den Unterstützern der Vortragsreihe.

Gegen Vorurteile hülfen vor allem persönlichen Begegnungen. Mit diesem Ratschlag schloss Daniel Bax den einmal mehr interessanten Abend, der dem vorangegangenen mit dem Vortrag von Klaus J. Bade weitere wichtige Aspekt hinzufügte und sicher noch Anlass für weitere anschließende Diskussionen gegeben hat.

Die Eröffnung der Veranstaltung lag in Händen von Studiendekanin Prof. Dr. Katja Nowacki. Grußworte, fußend auf eigner Erfahrung in Sachen Integrationsarbeit, sprach Ali Sirin vom Planerladen Dortmund.

Hinweis von Professor Dr. Ahmet Toprak:

Am 08.11. sollte Professor Dr. Zick unser nächster Gast bei der Reihe „Wir schaffen das“ sein. Aber aufgrund einer Krankheit in der Familie Zick müssen wir die Veranstaltung absagen. Herr Zick wird aber im Sommersemester seinen Vortrag nachholen.

Die nächste Veranstaltung in der Reihe findet am 22.11.2016 an FH Dortmund statt. Beginn ist 18 Uhr. Gast: Levent Arslan, Dietrich-Keuning-Haus Dortmund. Sein Thema: „Gelingende und misslingende Integrationsfaktoren im Rahmen der aktuellen Flüchtlingszuwanderung.

Hier geht es zum Bericht über die vorangegangene Veranstaltung mit Klaus J. Bade.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.

Kommentare (1)

Heinz 05.11.2016 | 13:09

Wir schaffen das !!!

Im Prinzip ja, aber diese Sicht der Dinge greift zu kurz.

Die erste Furcht ist, die Flüchtlinge könnten uns wirtschaftlich überfordern. Viele Menschen haben erlebt, und erleben das noch, wie sie von der Schröder.Bande aus dem Berufsleben hinausgekickt worden sind, weil nicht genug Arbeit da ist. Nun kommen Flüchtlinge hierher und Arbeitgeber überlegen, wie die zu Dumpinglöhnen ausgebeutet werden könnten. Der Mindestlohn sei zu viel, meinen die. Dabei ist der Mindestlohn nur die Notbremse des Staates gegen die Ausbeutung der Staatsfinanzen mit den Hartz.Gesetzen. Der Mindestlohn folgte notwendigerweise auf den ersten Fehler der Wirtschaftslenkung durch die SPD. Damit wurde die interne Kaufkraft reduziert. Deutschland zahlt ca 23 Milliarden Euro an Subventionen. Wenn nun 2 oder 3 Milliarden Euro für die Flüchtlinge dazu kommen, ist das eine Subvention in die Kaufkraft, die bei einer Staatsquote von 45% schnell wieder beim obersten Kassenwärter Schäuble landen. Die Kaufkraft in D ist sowieso zu gering und schadet der Wirtschaft.

Die zweite Furcht ist, die Flüchtlinge könnten uns kulturell überfremden. Was ist das für eine Kultur, die sich nicht selbst tragen kann? Die eigene Kultur will gepflegt sein, dann ist sie selbstreferenziell und entwickelt sich auch weiter. Eine Kultur, um die ich fürchten muß, ist schon lange keine Kultur mehr, sondern hat sich in Konsumismus und Glotze aufgelöst.

Die dritte Furcht ist die Fluchtursache. Kein Mensch verläßt seine angestammte Heimat ohne Grund. Die Gründe sind vielfältig. In den islamischen Staaten selbst ist ein Grund die Auseinandersetzung mit der Herrschaft von Regierung und Religion. Einige Menschen aus der Türkei, aus Afghanistan und Syrien haben mir erzählt, daß religiöse Riten (wie das Kopftuch) schon einmal sehr viel weniger verbreitet waren. Die kulturelle Auseinandersetzung findet darum nicht zwischen den Kulturen statt, sondern im Islam selbst.

Fluchtursachen ausschalten! Nachtrag zum Vortrag von Klaus J. Bade in Dortmund. Nächster Vortrag am 3.11. mit Daniel Bax (taz)

Flüchtlingscamp syrischer Flüchtlinge 2015 in Dortmund. Sie machten auf ihre Probleme aufmerksam. Foto: Claus-D. Stille

Flüchtlingscamp syrischer Flüchtlinge 2015 in Dortmund. Sie machten auf ihre Probleme aufmerksam. Foto: Claus-D. Stille

Zum Start der neuen Vortragsreihe „Wir schaffen das!? – Bestandsaufnahme zur Geflüchtetenpolitik“ an der Fachhochschule Dortmund war es gelungen gleich einen hochkarätigen Experten als Referenten zu gewinnen (mein Bericht hier). Es war dies der Migrationsforscher, Publizist und Politikberater Klaus J. Bade. Der einstige Vorsitzende des Sachverständigenrates deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) und Berater von Klaus Weise, Leiter des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge redete zum Thema „Flüchtlingskrise“, Flüchtlingspanik und Willkommenskultur: Was haben wir „geschafft“ und wer sind überhaupt „wir“?

Künftiges Urteil im Blick auf Ethik und Moral in Sachen Migration wird verheerend sein

Im Anschluss an den interessanten Vortrag des kompetenten und wortgewandten Referenten beantwortete der emeritierte Professor der Universität Osnabrück eine Reihe von Fragen. Unter anderen zum sogenannten Türkei-EU Abkommen. Dies beschied Klaus J. Bade, sei ein „entsetzlicher Skandal“. Und sagte voraus: „Solange die Ausgrenzung von Zuwanderungen und Fluchtwanderungen auf der Süd-Nordschiene in der Festung Europa kein Pendant findet in der Bekämpfung der Fluchtursachen, ist dies ein historischer Skandal an dem künftige Generationen das Verhältnis von Deutschland und Europa im Blick auf Ethik und Moral in Sachen Migration bewerten werden. Ich glaube das dieses Urteil in unserer Gegenwart, die einmal die Vergangenheit der Zukunft sein wird, ziemlich verheerend sein wird.“

Schändlicher Türkei-EU-Deal hatte schmählichen Vorläufer

Der Migrationsforscher erinnerte in diesem Zusammenhang: „Das Türkei-EU-Abkommen ist der Versuch sozusagen eines Rückschiebezusammenhanges, der an das Abkommen des Politmafiosis Berlusconi mit dem Libyen-Diktator Gaddafi“ denken lasse. Milliarden sollte dieser damals bekommen, um diejenige Flüchtlinge, die Italien als Illegale definierte zurückzunehmen. „Gaddafi habe daraufhin gesagt, Horden werden über euch kommen, wenn wir dieses Abkommen nicht schließen (dazu hier).

Referierte engagiert und wortgewand: Prof. Dr. Klaus J. Bade. Foto: Stille

Referierte engagiert und wortgewand: Prof. Dr. Klaus J. Bade. Foto: Stille

Bis heute setzte sich diese unsägliche Flüchtlingspolitik fort. Das Türkei-Abkommen funktioniere gar nicht, so Bade. Es seien bis dato kaum Flüchtlinge zurückgenommen worden. Auf den griechischen Inseln spielten sich verheerende Zustände ab. Erdogan übe mit dem Abkommen Druck auf Deutschland aus.

Und der Skandal setze sich mit Bezug auf Afrika fort. Bundeskanzlerin Angela Merkel reiste bekanntlich vor Kurzem in drei afrikanische Staaten. Der Referent zeigte sich sicher: Der Grund für die Reise sei nicht humanitärer Natur gewesen, sondern die Bundesregierung habe lediglich im Sinne Flüchtlinge an der Flucht zu hindern. Flüchtlinge die die von Merkel besuchten afrikanischen Diktatoren selbst generieren!

Die Flüchtlingskrise kündigte sich lange zuvor schon an

Vor Jahren schon hatte Klaus J. Bade vor der Zunahmen von Flüchtlinge gewarnt und sei dafür bei Vorträgen abgewatscht worden, „weil die Leute nichts von „Leichenschweinereien“ wissen“ wollten. Er habe vorausschauend damals gewarnt, dass, es durchaus dazu kommen könne, dass man „am Strand von Teneriffa fröhlich vor sich hin krault und plötzlich in so eine Qualle hinein haut“. Und „sagt Scheißqualle, und feststellt, das ist ein aufgedunsener Leib in den man da hinein gehauen hat“.

Bade damals: „Es wird eine Zeit kommen, wo morgens Strandläufer unterwegs sein werden, um Leichen, Kleidung und Bootsteile vom Strand abzuräumen, damit man sich wieder schön an den Strand legen kann.“ Wie wir nun wissen, trat genau dies ein. Gegen unerwünschte Migration sei Spanien später mit der Aktion „Seepferdchen“ angegangen.

Klaus J. Bade nahm kein Blatt vor den Mund: Wir führen einen Krieg gegen Flüchtlinge. Mit Humanität habe das nichts zu tun.

Und forderte: „Wir brauchen ein neues solidarisches, kollektives Wir. Es gelte eine gemeinsame ideelle Heimat zu finden, deren Säulen und das große Dach (für Deutschland gesehen) auf der Wertebasis des Grundgesetzes steht.

Keine Entwarnung

Flüchtlinge indes, beschied Klaus J. Bade, kämen auch weiterhin. Seien es nun Kriegs-, Armuts- oder Klimaflüchtlinge. Illusionen auf ein mögliches Sinken der Geflüchtetenzahlen trat Klaus J. Bade realtistisch entgegen: „Das ist nur ein Anfang und wird weitergehen.“ Solange dies so sei, könne das Leid der Geflüchtete nur gemindert werden, indem man sie – wie im Mittelmeer der Fall – rette und medizinisch betreue. Bade nannte beispielsweise die Organisation SOS MEDITERRANEE , welche das größtes Rettungsschiff, das MS Aquarius (Rettungskapazität: 200 – 400 Menschen), im Mittelmeer habe. Die Betriebskosten pro Tag betragen 11.000 Euro. Wer die Möglichkeit dazu hat, könne das Unternehmen mit Spenden unterstützen. Noch. Denn Klaus J. Bade weis: „Das wird auch nur noch eine Weile gehen. Die deutsche Bundesregierung habe angekündigt, dass sie eine Art Cordon sanitaire im Mittelmeer schaffen wolle. Dahinter stecke nur eines: „Das soll aufhören“ mit den Flüchtlingen. „Die sollen abgefangen werden.“ Was dann mit ihnen passiere müsse man sehen. „Menschlicher wären Einsätze wie die der MS Aquarius (oder die von Seewatch), die die Leute aus dem Wasser holten und nach Italien brächten. Dort würden sie wieder hergestellt und die Ausgangsländer zurückgeflogen. Man mache sich keine Vorstellungen wie diese Flüchtlinge angetroffen würden. Wie diese aussehen. Meersalz und Dieselöl zusammen ergeben eine ätzende Flüssigkeit. Wer in diesen Booten abrutscht ist zum Tode verurteilt. Klaus J. Bade ist sich darüber im Klaren: „Das ist alles nur eine Lösung auf Zeit.“ Letztlich müsse endlich daran gegangen werden die Fluchtursachen auszuschalten.

Veranstaltungshinweis:

Schon am 3. November 2016 um 18 Uhr findet im Rahmen von „Wir schaffen das!?“an der FH Dortmund der nächste Vortrag statt.

Der Hintergrund:

Rechtspopulistische Parteien wie die AfD und Bewegungen wie die Pegida nutzen die Abneigung gegenüber Muslimen und ihrer Religion als Treibstoff. Doch antimuslimische Ressentiments sind in allen Schichten und über alle politischen Lager hinweg verbreitet – in ganz Europa, denn sie sind tief in der europäischen Geschichte verwurzelt. Eine übersteigerte Angst vor Muslimen droht jedoch die Grundlagen dessen zu zerstören, was Europa ausmachen sollte, schreibt der Journalist und Buchautor Daniel Bax in seinem Buch „Angst ums Abendland. Warum wir uns nicht vor Muslimen, sondern vor den Islamfeinden fürchten sollten“. In seinemVortrag wird er darauf eingehen, wie das antimuslimische Ressentiment die Debatten um Einwanderung und Integration, Flucht und Asyl beeinflusst. Referent: Daniel Bax, Redakteur bei der Tageszeitung (taz) Termin: 03.11.2016, 18.00-20.00 Uhr.

Albrecht Goeschels volle Breitseite gegen die Sozialverbände: „Hilfstruppen des Neoliberalismus“

Zum „Verarmungsdiktat des deutschen Machtkartells“ haben die Sozialbverbände  „lautstark geschwiegen und keinerlei Solidarität gezeigt“, meint Prof. Albrecht Goeschel; Foto: Dr. Klaus-Uwe Gerhardt via Pixelio.de

Zum „Verarmungsdiktat des deutschen Machtkartells“ haben die Sozialbverbände „lautstark geschwiegen und keinerlei Solidarität gezeigt“, meint Prof. Albrecht Goeschel; Foto: Dr. Klaus-Uwe Gerhardt via Pixelio.de

In verrückten Zeiten leben wir. Bessere liegen hinter der Bundesrepublik Deutschland. Wenngleich auch da nie alles Gold war, was glänzte. Der Einschnitt kann um den Zeitpunkt des Beitritts der DDR zur BRD verortet werden. Ab da konnten andere Saiten aufgezogen werden. Kapital und Wirtschaft scharrten kräftig mit den Füssen. Doch so richtig zuschlagen konnten die erst, nachdem ein gewisser Gerhard Schröder – dem Etikett nach „Sozialdemokrat“, jedoch „Genosse der Bosse“ (was hätte rechtzeitig ein Aufmerken auslösen müssen) geheißen – Koch werden konnte und zusammen mit den Grünen als Kellner die Regierungsgeschicke der Bundesrepublik in die Hand genommen hatte. Galten bis dato Reformen noch als Verbesserungen, mussten sich (bestimmte) Bürgerinnen und Bürger bald eines Schlechteren belehren lassen. Stichworte: Hartz IV, Agenda 2010, Riester-Rente etc. Ein sozialer Rollback hin zum Neoliberalismus wurde der Weg bereitet.

Die deutschen Gewerkschaften – der SPD traditionell eng verbunden – murrten kaum über die angedachten und dann ins Werk gesetzten diversen Sozialreformen genannten Grausamkeiten. Unter den Gewerkschaften grassierte im Wesentlichen das große Kuschen. Höchstwahrscheinlich wäre derlei unter Helmut Kohl, mit einer SPD als starke Opposition, nie so zu machen gewesen.

Das Schweigen der Gewerkschaftsbosse

Heidelinde Penndorf (von 2006 bis 2011 für die PDS/Linkspartei im Landtag von Sachsen-Anhalt) richtete 2012 einen Offenen Brief an die Vorstände der Gewerkschaften. Darin ihr Vorwurf: die deutschen Gewerkschaften hätten es ihrer Meinung nach zugelassen, dass Deutschlands Menschen auseinanderdividiert werden konnten. Die Gewerkschaften hätten versäumt ihren originären Pflichten nachzukommen, in dem sie soziale Grausamkeit nicht nur verschliefen, sondern letztlich auch ohne nennenswerte Gegenwehr zuließen. (Dazu mein Artikel damals) Auf  Antworten  wartete Heidelinde Penndorf  übrigens vergebens.

Wo stehen wir heute?

Die SPD ist nicht mehr sozialdemokratisch. Reformen werden skeptisch und längst nicht mehr als Verbesserungen angesehen. Überhaupt steht es mit dem Sozialen im Allgemeinen wie im Besonderen nicht sonderlich gut. Ist denn bald nichts mehr wo „sozial“ draufsteht wirklich sozial?

Was ist mit den „Sozialverbänden“?

Professor Albrecht Goeschel, Präsidiumsmitglied der Accademia ed Istitutoper la Ricerca Sociale Verona, hat zu dem Thema „Sozialverbände“ und infolgedessen zwangsläufig zu deren „Versagen“ gearbeitet. Goeschel hatte dabei auch die Sachbücher von Gunther Daumenlang: Brennpunkt Rente ,Norderstedt 2011 und Walter Wüllenweber: Die Asozialen,München 2012 im Hinterkopf. Die Problematik ist also keine unbekannte.

Albrecht Goeschel geht mit den Sozialverbänden hart ins Gericht

Er nennt sie „Hilfstruppen des Neoliberalismus“. Seiner Meinung nach haben „Euro-Krise und das EU-Spardiktat die bisherigen nationalen Sozialpolitiken außer Kraft gesetzt und europaweit in ihr Gegenteil verwandelt“. Ein weiteres Mal setzt auch diese Kritik Deutschland, das ja nach dem gängigen Narrativ von Bundesregierung und der sie eskortierenden Mainstream-Medien alles richtig gemacht hat und macht, in ein düsteres Licht. Das Problem: es wird zu viel Deutsch gesprochen in Europa. Volker Kauder wird es freuen.

Albrecht Goeschel:

„Die Sozialstaaten werden nunmehr auf Druck und nach dem Vorbild Deutschlands dazu benutzt, die Bevölkerungen ärmer zu machen und eine europaeinheitliche Klassengesellschaft der billigen Arbeit zu schaffen. Gerade ausgebaute Sozialsysteme bieten beste Voraussetzungen, um die Reallöhne der Arbeitnehmer möglichst unbemerkt drastisch zu senken.“

Diese von Berlin EU-weit oktroyierte, via Brüssel durchgesetzte Kürzungspolitik habe, so Goeschel, „einen grundsätzlichen Politikwechsel bei den Sozialverbänden“ zur Folge: „Ihre bisherige Politik eines sogenannten „Pragmatismus“, eines als „Lobbyismus“ schöngeredeten Bittstellertums hat keine Zukunft mehr: Die Strategieformel „Jammern, Kümmern, Fordern“ hat ausgedient.“

Die Sozialverbände „allenfalls als Diskussionskulisse für längst gefallene Entscheidungen instrumentalisiert“

Prof. Goeschel sieht in den „dominierenden deutschen Sozialverbände, Sozialverband Deutschland – SoVD und Sozialverband VdK Deutschland, keine eigenständige Kraft in der Sozialpolitik (…)“. Sie würden „allenfalls als Diskussionskulisse für längst gefallene Entscheidungen instrumentalisiert – auch und gerade, weil sie seit Jahrzehnten auf jede eigenständige und grundlegende Analyse der wirtschaftlichen, staatlichen und gesellschaftlichen Grundlagen, Rahmenbedingungen und Wirkungsweisen von Sozialpolitik im Kapitalismus, kapitalistischem Sozialstaat und Sozialbudget in der kapitalistischen Ökonomie verzichten.“

Andere als „die sattsam bekannten sozialpopulistischen Themen wie ‚Armut als solche‘ seien sie gar nicht in der Lage der Öffentlichkeit nahezubringen. Die durchaus „gehaltvollen Sozialforen des VdK Bayern in Schloss Tutzing und des VdK Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf“ seien über „wertvolle Überlegungen und Untersuchungen“ nicht hinausgekommen. Eine Wirkung auf die Politikgestaltung der Sozialverbände hätten diese nicht gezeitigt.

Albrecht Goeschel: Konzeptionsloser Lobbyismus und die populistischen Kampagnen der Verbände des Sozialen haben die oberflächlich kritisierten Verhältnisse noch verfestigt

Goeschel prangert an: Der „konzeptionslose Lobbyismus und die populistischen Kampagnen der Verbände des Sozialen (und der Wohlfahrt)“ hätten „die von ihnen oberflächlich kritisierten Verhältnisse noch verfestigt: Insbesondere das vom VdK-Sozialverband ( und vom DPWV – Wohlfahrtsverband) jahrelang betriebene penetrante „Armuts“- Lamento hat niemals auch nur aufzuklären versucht und vermittelt, warum Armut im Finanz- und Exportkapitalismus geradezu gebraucht wird und wo und wie sie mit Hilfe des Sozialstaats hergestellt und verwaltet wird.“

Für Albrecht Goeschel steht als „Resultat dieser Pseudopolitik“ der Sozialverbände fest, das diese „auch“ zu „Große(r) Koalition ohne Opposition und (zu) ein(em) Parlament der Besserverdienenden“ geführt habe.

Alles hängt mit allem zusammen

Die Stärkung nationalistischer Parteien bei den Europa-Wahlen hält Albrecht Goeschel für eine Antwort auf die Austeritätspolitik und das „Verarmungsdiktat des deutschen Machtkartells“. Den Sozialverbänden wirft er vor, dazu „lautstark geschwiegen und keinerlei Solidarität gezeigt“ zu haben. Dabei seien „die Satzungen dieser Verbände mit Sozial- und Europageschwätz vollgepfropft“.

„Gerne haben sich die Sozialverbände von der Großen Koalition der Besserverdienenden, aus deren „Volksparteien“ ja auch ihre „Präsident(inn)en kommen, mit Sozialgeschenken wie der „Mütter-Maut“ und der „Männer-Rente“ weiter korrumpieren lassen“ zieht der Verfasser des Papiers weiter kräftig vom Leder. „Und ohne Zweifel ist die vor einigen Monaten allseits beklagte Wortmeldung der Ausgegrenzten: Altkonservative wie Prekäre, beispielsweise in den „Pegida“-Protesten auch ein Ergebnis der von Anbiederei, Eitelkeit und Vorteilsschnapperei bis hin zum Verkauf von Mitgliederadressen an Versicherungskonzerne geprägten „Politik“ der Sozialverbände. „Kaffee und Kuchen“- Nachmittage sind nicht das Mittel der Wahl, um Nichtmehrwählern bei ihrer Interessenartikulation zu assistieren.“

Mittelmeer-Kreuzfahrten statt Solidarität für die nicht mehr behandelten Kranken in Griechenland und die Überlebenden der Flüchtlingskatastrophe

Abrecht Goeschel skandalisiert:

„Und Mittelmeer-Kreuzfahrten für ‚Rente Gold‘ sind kein Solidaritätsbeitrag für die nicht mehr behandelten Kranken in den griechischen Krankenhäusern oder für die Überlebenden der Flüchtlingskatastrophe im Mittelmeer.“

Goeschel lässt den üblichen Aufhübschungen der Verbände sozusagen die Luft heraus, um die tatsächliche Wirkung der Sozialverbände dann dermaßen entkleidet so zu charakterisieren:

„ Wichtigtuerische Gruppenfotos mehrheitlich aus der Form geratener Mitglieder des Politikbetriebes zusammen mit teilweise noch mehr aus der Form geratenen Mitgliedern des Verbandsbetriebes. Sicherlich zu Recht sehen kritische Beobachter die Sozialverbände in einer heißersehnten Rolle als Nutznießer der Politik einerseits und als Hilfswillige der Politik andererseits.“

Dennoch stießen die Verbände auf Gehör bei der Politik. Jedoch nur, urteilt Albrecht Goeschel, „weil sich die Verbände als eine Art ‚Horchposten‘ gegenüber ihren Mitgliedern und der Bevölkerung betätigen und die gewonnenen Erkenntnisse für die Politik verfügbar machen. Oberste Notwendigkeit sei daher eine „Konsensorientierung“ der Verbände im Verhältnis zur Politik.“

Auch für die Sozialverbände könnte es „schneller als gedacht eng werden“

Professor Goeschel bemüht das Beispiel des „einst ewig erfolgreichen ADAC“, für den es nach Aufdeckung von Manipulationen „ganz schnell sehr eng geworden“ sei; um auch den Sozialverbänden ein Menetekel an die Wand zu malen. Und „allen voran“ für „den vor Selbstweihrauch kaum mehr sichtbaren Sozialverband VdK“, meint Goeschel, könnte es „schneller als gedacht eng werden“.

Zusätzlich verweist er auf das ins Bodenlose abgestürzte Ansehen „der deutschen sogenannten Leit-Medien. Gesehen vor dem Hintergrund der Ukraine-Krise, der damit verbundenen unsauberen Berichterstattung bei gleichzeitig zunehmender Russland-Hetze.

„Neue Milieus“, schreibt Albrecht Goeschel, „und verschärftes Spardiktat werden den Byzantinismus der Sozialverbände erledigen – hoffentlich“.

Sozialverbände könnten sich selbst erledigen

Eingeschlossen in die Hoffnung des Professors ist offensichtlich, dass sich „die Sozialverbände, geführt von ausgemustertem Politikpersonal, pensionierten Krankenkassenchefs etc. und rekrutiert aus den Traditionsmilieus der deutschen Normalfamilie bzw. deutschen Normalhinterbliebenen“ quasi selbst abschaffen. Denn sie seien „Lichtjahre entfernt von den modernen Milieus der sogenannten ‚Wissensgesellschaft‘ oder den prekären Milieus der Zuwanderungs- und Langzeitarbeitslosengesellschaft.“ Und weiter: „Die fragwürdigen Geschäfte der Sozialverbände mit diversen Versicherungskonzernen, die lächerlich-peinlichen Fernreiseangebote der Sozialverbände und die unfreiwillig hochsatirischen Mitglieder-Zeitungen der Sozialverbände sorgen von sich aus dafür, dass sich diese Verbände sehr bald „demografisch“ erledigen werden – so wie das die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) seit einigen Jahren vorbildlich praktiziert. Das hindert letztere allerdings gerade nicht daran, noch schnell als Mehrheitsbeschafferin bei der Privatisierung des bisherigen Sozialstaats zur Hand zu gehen.“

Wo soziale Rechte abgeschafft werden oder ihr finanzieller Inhalt ausgehöhlt wird, erübrigt sich auch bald eine Sozialrechtsberatung“, meint Albrecht Goeschel

Das Aufgabenfeld der Sozialrechtsberatung dürfte nach Meinung das kritischen Autors eines der Felle sein, die den Verbänden künftig wegbrechen werden:

„Wenn erst der EU – Fiskalpakt, die Berliner Schuldenbremse, die Reform des Länderfinanzausgleichs und nun auch noch das weitere EU-USA Geheimabkommen TISA ihre volle Wirkung entfalten, wird der Kürzungsterror neue Dimensionen erreichen. Nicht nur werden dann die Sozialphrasen der Verbände offenkundig werden. Auch ihre Sozialrechtsberatung wird dann leerlaufen. Wo soziale Rechte abgeschafft werden oder ihr finanzieller Inhalt ausgehöhlt wird, erübrigt sich auch bald eine Sozialrechtsberatung.“

Nordkoreanische 99 Prozent für „Riester-Rente“-Mitschuldige Ulrike Mascher (SPD)

Es liest sich, als weine Albrecht Goeschel den Sozialverbänden in ihrer derzeitigen Verfasstheit und Wirkung keine Träne nach: „Vielleicht werden wir so ‚Sozialverbände‘ endlich los, die eine Mitschuldige an der „Riester-Rente“ und eine Mitbetreiberin der „Mütter-Maut“ mit nordkoreanischen 99 Prozent erneut als „Präsidentin“ gewählt haben: Frau Parlamentarische Staatssekretärin a.D. Ulrike Mascher (SPD).“

Fazit

So wie jetzt dürfe es jedenfalls nicht weitergehen, darauf pocht Goeschel. Auch nicht unter anderen Namen oder indem man die Sozialverbände mit neuem Anstrich versehe. Es bedürfe „einer gründlichen ökonomischen, soziologischen und organisationswissenschaftlichen Analyse.“ Und: „Diese muss zunächst die vulgärökonomische Schaumschlägerei der Verbände zum Thema „Armut als solche“ sezieren. Der Hauptbeitrag der Sozialverbände zur Neoliberalisierung Deutschlands und Europas liegt exakt in der fortgesetzten Veranstaltung von „Folgenlosigkeit“. Prof. Seibel (1992) bezeichnet es als die eigentliche systemstabilisierende Funktion solcher Verbände, ihren eigentlichen „Erfolg“ und damit ihre Beliebtheit bei der Politik, genau eben nichts zu bewirken. Der „Dilettantismus“ und die „Mittelmäßigkeit“ des Spitzenpersonals dieser Verbände sei, so Seibel, daher kein Mangel, sondern ein Vorzug für das bestehende System und dessen Verbände. Das schlimmste, was diesen Verbänden passieren kann, seien interne oder externe Fachleute, die das Sozialgeschwätz der Verbände beim Wort nehmen und Effizienz anstelle von Personenkult einfordern. In den Verbänden gibt es genug Potential für eine bislang noch fehlende Opposition. Und diese Opposition in den Sozialverbänden fehlt, weil diese „Vereine“ bisher von der Wissenschaft noch nicht auf den Prüfstand gestellt worden sind – auch natürlich wegen der ihnen eigenen „Miefigkeit“. Auch das beschreibt Seibel schon vor über zwei Jahrzehnten: „Miefigkeit“, Kumpanei, Seilschaften usw. als gut funktionierende Abschirmungsstrategie gegen Effizienz, Innovation, Opposition etc.“

Professor Albrecht Goeschel teilt ordentlich gegen die Sozialverbände aus. Sie bekommen eine volle Breitseite ab. Mir scheint, er fordert geradeheraus nichts weniger als ein Tabula rasa. Wird er gehört werden? Werden wir ein Tabula rasa betreffs der Sozialverbände erleben? Fakt ist jedenfalls: Treten die Sozialverbände unsozialen Plänen herrschender Machtkartelle nicht endlich entschieden genug entgegen oder eskortieren diese gar eine solche Politik noch, indem sie dafür sorgen, dass nur schwachen Entschärfungen das Wort geredet wird – schaffen sie sich tatsächlich irgendwann am Ende selber ab. Denn wo es keine Sozialpolitik mehr gibt, deren Gesetze einklagbar wären, sind auch Sozialverbände überflüssig. Dann greift der „Suppenküchenstaat“. Dieser wächst jetzt ohnehin schon munter. Wie die „Vertafelung“ der Gesellschaft, die ebenfalls Konjunktur hat.

Wir leben in verrückten Zeiten. Bessere gab es einst in der Bundesrepublik Deutschland. Uns geht es gut, sagt Bundeskanzlerin Angela Merkel. Wohin geht die Reise?

Hier der Text von Albrecht Goeschel in Gänze via labournet.