IALANA zum Krieg zwischen Hamas und Israel

Der bewaffnete Konflikt zwischen der Hamas und Israel wurde angesichts der von der Hamas am 7. Oktober verübten Massaker zunächst vor allem emotional beurteilt. Sehr schnell kam es zu unausgewogenen Parteinahmen für eine der beiden Konfliktparteien. Das Verlangen nach Vergeltung und Rache fand viel Verständnis. Die notwendig völkerrechtliche Sicht auf das Geschehen trat in den Hintergrund. Mit der folgenden völkerrechtlichen Bewertung möchte die Juristenorganisation IALANA Deutschland einen Beitrag zur Versachlichung der Auseinandersetzung leisten. Beide Konfliktparteien verstoßen in eklatanter Weise gegen das humanitäre Völkerrecht. Geboten sind daher nicht einseitige Parteinahmen und Waffenlieferungen, sondern eine sofortige Beendigung des bewaffneten Konflikts und die Freilassung aller Geiseln. Ein Einsatz für diese Ziele entspricht der völkerrechtlichen und verfassungsrechtlichen Verpflichtung der Bundesregierung und bietet den einzigen Schutz vor weiteren Opfern der israelischen und palästinensischen Zivilbevölkerung. 

  Hamas

Mit den zahlreichen grausamen Tötungen, Folterungen, Gefangennahmen und Geiselnahmen von Zivilpersonen bei dem Überraschungsangriff der Hamas auf israelische Zivilisten hat die Hamas gegen humanitäres Völkerrecht nach Art. 3 der Genfer Abkommen vom 12. August 1949[i] und Art. 4 des Zusatzprotokolls II vom 8. Juni 1977[ii] verstoßen.Diese Bestimmungen sind Völkergewohnheitsrecht geworden und unabhängig von der Unterzeichnung der Abkommen für alle Staaten verbindlich. Sie gelten in internationalen und nicht internationalen bewaffneten Konflikten. Die Genfer Abkommen untersagen in Art. 3 die Tötung, Verletzung, Folterung und Geiselnahme von Personen, die nicht unmittelbar an den Feindseligkeiten teilnehmen. Art. 32 der Vierten Genfer Konvention verbietet Tötungen, Folterungen, Verstümmelungen sowie alle anderen Grausamkeiten, nach Art. 34 sind Geiselnahmen verboten. Art. 4 des Zusatzprotokolls II bestätigt und konkretisiert diese Bestimmungen.Das geltende humanitäre Völkerecht hat seinen Ausdruck in den Strafbestimmungen des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs (ISTGH) vom 17. Juli 1998[iii] gefunden. Alle Täter und Verantwortlichen der Hamas sind wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach Art. 7 des Rom-Statuts vor Gericht zu stellen und zu bestrafen. Sie erfüllen auch die Tatbestände der Kriegsverbrechen nach Art. 8 Abs 2 a (i), (ii), (vii) und (viii). Palästina ist dem Rom-Statut 2015 beigetreten. Der ISTGH ist mithin zuständig für die von den Palästinensern begangenen Taten. Nach den bisherigen Erkenntnissen gehören die für das Massaker verantwortlichen Mitglieder der Hamas zu den Palästinensern. Es gibt keine Rechtfertigung für die Massaker an der israelischen Zivilbevölkerung. Ein Widerstandsrecht Palästinas gegen die von der UN wiederholt als völkerrechtswidrig gerügte Besetzung könnte nur unter Beachtung der Rechtsgrundsätze der Verhältnismäßigkeit und des humanitären Völkerrechts ausgeübt werden. Die grausamen Quälereien, Tötungen und Entführungen israelischer Zivilisten sind völlig unverhältnismäßig und verstoßen in schwerwiegender Weise gegen das humanitäre Völkerrecht. 

Israel

Israel reagiert auf den Angriff der Hamas mit einem militärischen Gegenangriff. Einen Tag nach dem Angriff erklärte der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu den Kriegszustand und kündete „Vergeltung“ an; Israel werde die militärischen Strukturen der Hamas vollständig zerstören.Der israelische Verteidigungsminister erklärte, der Gaza-Streifen werde komplett abgeriegelt. Ab 8. Oktober 2023 wurden keine Lebensmittel, keine Medikamente, kein Trinkwasser, kein Treibstoff und keine Elektrizität in den Gaza-Streifen geliefert. In der Folge musste das Elektrizitätswerk in Gaza abgeschaltet werden. Seit dem 15. Oktober war eine Trinkwasser-Leitung in den Süden des Gaza-Streifens täglich einige Stunden in Betrieb, so dass Wasser nur für eine kleine Anzahl der 2,2 Millionen zählenden Bewohner und auch nur begrenzt zur Verfügung stand.Obwohl Israel vor seinem Angriff die Bevölkerung Nord-Gazas aufgefordert hat, das Gebiet zu verlassen und sich in den südlichen Teil Gazas zurückzuziehen, hat der umfassende Angriff Israels bisher weit über 20.000 palästinensische Bewohner getötet und zahlreiche Menschen verwundet. Trotz der Aufforderung an die Bewohner des Gaza-Streifens sich in den Süden zu begeben, hat das israelische Militär auch diesen Landesteil angegriffen und bombardiert. Die Wohnbesiedlung und die Infrastruktur des nördlichen Gaza-Streifens sind weitgehend zerstört worden. Auch aus dem südlichen Gaza-Streifen werden zahllose Zerstörungen gemeldet.Israel ist keinesfalls verpflichtet, den Angriff der Hamas auf israelischen Siedlungen und Menschen, die wahllose Tötung von über 1.200 Zivilisten und die Geiselnahme von 240 Bewohnern widerstandslos hinzunehmen. Zwar sieht Art. 51 UN-Charta ein Selbstverteidigungsrecht nur für Mitglieder der UN vor, also für die Notwehr von Staaten gegenüber Staaten, weil bei der Gründung der UN im Jahre 1945 ein nichtstaatlicher Angreifer kaum vorstellbar war. Der UN-Sicherheitsrat hat jedoch nach den nichtstaatlichen Terrorangriffen auf die USA am 11. September 2001 mit den Resolutionen 1368 und 1373 das Selbstverteidigungsrecht nach Art. 51 UN-Charta anerkannt. Angesichts der weitreichenden Anerkennung durch die internationale Gemeinschaft ist davon auszugehen, dass heute das Selbstverteidigungsrecht nicht auf bewaffnete Angriffe durch Staaten beschränkt ist, sondern auch auf bewaffnete Angriffe durch nichtstaatliche Akteure Anwendung findet.[iv] Demnach kann auch Israel nicht das Recht verwehrt werden, sich gegen die terroristischen Angriffe der Hamas militärisch zur Wehr zu setzen, die – soweit bekannt – von Palästinensern und aus dem palästinensischen Gebiet heraus begangen wurden.Entscheidend ist, dass Notwehr immer verhältnismäßig sein muss und die Bedingungen des humanitären Völkerrechts erfüllen muss. Der Internationale Gerichtshof (IGH) hat in seinem Gutachten vom 8. Juli 1996 in Anwendung von Art. 35 und 48 des Zusatzprotokolls I[v] hervorgehoben, dass „die in einem bewaffneten Konflikt beteiligten Parteien kein unbeschränktes Recht in der Wahl der Methoden und Mittel der Kriegsführung“ haben. Weiter: „Eine Gewaltanwendung, die nach dem Notwehrrecht verhältnismäßig ist, (muss) um rechtmäßig zu sein auch die Forderungen des für bewaffnete Konflikte verbindlichen Rechts erfüllen, was insbesondere die Grundsätze und Regeln des humanitären Völkerrechts umfasst.“[vi] Dabei ist für Israel von Bedeutung, dass die humanitären Regeln der Zusatzprotokolle auch völkergewohnheitsrechtlich gelten,[vii] und damit unabhängig sind von dem Umstand, dass Israel die Zusatzprotokolle I und II nicht ratifiziert hat.Art. 48 des Zusatzprotokolls I verlangt von den Konfliktparteien die Schonung und den Schutz der Zivilbevölkerung und ziviler Objekte, insbesondere die Unterscheidung zwischen der Zivilbevölkerung und Kombattanten sowie zwischen zivilen Objekten und militärischen Zielen. Verboten sind u.a. unterschiedslose Angriffe, Angriffe auf Krankenhäuser und Kollektivbestrafungen wie das Aushungern der Zivilbevölkerung oder die Blockade von zentralen Versorgungsgütern. Eine Vertreibung der Zivilbevölkerung ist auch in Form einer Evakuierung völkerrechtlich unzulässig. Die Aufforderung zur Evakuierung der Zivilbevölkerung führt nicht zum Verlust des Schutzstatus, wenn Bewohner ihr Wohngebiet dennoch nicht verlassen.„Das vorsätzliche Aushungern von Zivilpersonen als Methode der Kriegsführung durch das Vorenthalten der für die lebensnotwendigen Gegenstände, einschließlich der vorsätzlichen Behinderung von Hilfslieferungen“ ist ein Kriegsverbrechen nach Art. 8 Abs. 2b xxv des Römischen Status des Internationalen Strafgerichtshofs.[viii] Auch vorsätzliche Angriffe auf Krankenhäuser sind Kriegsverbrechen nach Art. 8 Abs. 2b xxiv und Abs. 2e ii. Vorsätzliche Angriffe auf Wohnstätten und Gebäude, die nicht militärische Ziele sind, gelten gem. Art 8 Abs. 2b v als strafbare Kriegsverbrechen. Israel hat sich entschlossen bei der Bekämpfung der – inmitten der Zivilbevölkerung und teils in Tunneln unter ihr lebenden und agierenden – Hamas durch Zerstörung der Wohngebiete und der lebenswichtigen Infrastruktur des Gaza-Streifens unter Inkaufnahme zahlloser ziviler Opfer militärisch vorzugehen, um eigene Verluste zu minimieren. Das ist eine unverhältnismäßige Verteidigung und nicht durch Art. 51 UN-Charta gedeckt. Der Internationale Strafgerichtshof ist für die von israelischen Soldaten und Soldatinnen auf palästinensischen Gebiet begangenen Taten zuständig.Die Republik Südafrika hat am 29.12.2023 vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) gem. Art. 36, 40 des IGH-Statuts Klage gegen den Staat Israel erhoben.[ix] Südafrika wirft darin Israel vor, durch seine Handlungen gegen das palästinensische Volk im Anschluss an die schwerwiegenden Angriffe in Israel am 7.10.2023 gegen das Völkerrecht zu verstoßen, insbesondere gegen die Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes, die am 12.1.1951 in Kraft getreten ist.[x] Südafrika beantragt beim IGH gegen Israel einstweilige Maßnahmen anzuordnen, um die Völkerrechtsverstöße zu beenden und nicht wieder gutzumachende Verluste zu verhindern. Darüber wird der IGH in Kürze entscheiden. 

Deutschland

Deutschland ist Vertragsstaat der Genfer Abkommen und der Zusatzprotokolle. Demgemäß und aufgrund der völkergewohnheitsrechtlichen Geltung ist die Bundesregierung gem. Art. 1 der Genfer Abkommen i.V. mit Art. 25 GG verpflichtet, die Einhaltung der Abkommen durchzusetzen, d.h. auch auf Israel einzuwirken, die humanitären Regeln und Beschränkungen seines Notwehrechtes einzuhalten, auf unzulässige Methoden der Kriegsführung zu verzichten und die humanitären Lebensbedingungen der Bevölkerung Gazas wie Trinkwasser, Lebensmittel und Treibstoff für lebenswichtige Einrichtungen sicherzustellen.Die Bundesregierung trifft insoweit auch die Pflicht, auf Staaten wie Katar und Ägypten einzuwirken, die Kontakt und Einfluss auf die Hamas haben, damit das Wohlergehen der Geiseln gewährleistet wird, diese freigelassen werden und der wahllose Raketenbeschuss auf Israel eingestellt wird.Statt dieser dringend notwendigen und gebotenen diplomatischen Bemühungen hat die Bundesregierung die Rüstungsexporte nach Israel verzehnfacht.[xi] Damit verstößt die Bundesregierung gegen ihre völkerrechtlichen Verpflichtungen sowie den Waffenhandelsvertrag (ATT).Als Vertragsstaat der Völkermordkonvention darf Deutschland weder gegen die Konvention verstoßen noch andere Staaten dazu ermutigen. Die Unterstützung und die Förderung solcher Verstöße sind verboten. Warnungen der Vereinten Nationen vor einem drohenden Völkermord darf die Bundesregierung nicht missachten. Der UN-Generalsekretär Antonio Guterres bezeichnete Gaza nach der israelischen Intervention als einen „Friedhof für Kinder.“ Wörtlich: So „sind wir Zeugen“ …“eindeutiger Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht…in Gaza.“[xii] Die UN drängt die internationale Gemeinschaft einen Genozid an den Palästinensern zu verhindern und diplomatische Lösungen in diesem Konflikt zu suchen.Es besteht Veranlassung darauf hinzuweisen, dass das außenpolitische Handeln der Bundesregierung durch die uneingeschränkte Achtung der Menschenrechte bestimmt sein muss, die universell gelten und nicht nur selektiv angewendet werden dürfen. Das folgt zwingend aus der Bindung der Bundesregierung an Recht und Gesetz gemäß Art 20 Abs. 3 GG.Der Vorstand der IALANA fordert die Bundesregierung auf, ihren völkerrechtlichen Verpflichtungen nachzukommen und zum Schutz der Zivilbevölkerung tätig zu werden. Sie hat alles in ihrer Macht Stehende zu unternehmen und auf die Konfliktbeteiligten einzuwirken, damit die Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht unterbleiben. Dazu gehört, bei Abstimmungen in der UN-Generalversammlung gegen die Verletzung des humanitären Völkerrechts und für einen Waffenstillstand in Gaza zu stimmen.[xiii][i] BGBl. 1954 II S. 838; internationale Quelle UNTS vol. 75, p. 31[ii] BGBl. 1990 II S. 1637; internationale Quelle UNTS vol. 1125, p. 609[iii] UN A/CONF.183/9[iv] Heintschel von Heinegg in Knut Ipsen, Völkerrecht, 6.Aufl., § 52 Rdnr. 24 m.w.N.[v] BGBl. 1990 II, S. 1551; international Quelle UNTS vol. 1125, p. 3[vi] I.C.J. Reports 1996 (I) p.257 para 42[vii] I.C.J. Reports 2004, p. 136, para 157[viii] UNTS 2187, S.31[ix] https://www.icj-cij.org/sites/default/files/case-related/192/192-20231228-app-01-00-en.pdf  [x] BGBl. 1954 II S. 730, internationale Quelle UNTS vol. 78, p.277; für die Bundesrepublik Deutschland in Kraft getreten am 22.2.1955; heute 150 Vertragsparteien[xi] https://www.tagesschau.de/inland/israel-deutschland-ruestungsexporte-100.htm[xii] UNSG, Secretary-General’s remarks to the Security Council – on the Middle East [as delivered] (24 Oct 2023).[xiii] Mit der Resolution vom 12.12.2023 hat die UN-Vollversammlung mit einer Zweidrittelmehrheit einen Waffenstillstand zur Verbesserung der humanitären Situation im Gazastreifen und die sofortige Freilassung der Geiseln verlangt. Deutschland enthielt sich der Abstimmung, weil das kriegsauslösende Massaker der Hamas in der Resolution nicht erwähnt wird.

Quelle: Erklärung der IALANA

Weihnachtsrundbrief der IALANA

Liebe Mitglieder, Freundinnen und Freunde der IALANA,

die vergangenen zwei Jahre haben uns schmerzlich ins Gedächtnis gerufen, dass in der Gegenwart Kriege nicht mehr gewonnen werden können, sondern von allen Beteiligten verloren werden. Nimmt man Rüstungsunternehmen und ihre Anteilseigner:innen einmal aus. Zahllose Menschen haben in der Ukraine, in Israel, in Palästina, aber auch im Jemen, Kamerun, in Südsudan, Armenien/ Aserbaidschan und an anderen Kriegsschauplätzen auf Seiten aller Beteiligten ihr Leben verloren. Natur und Umwelt werden dabei vernichtet, Kulturen und gewachsene Gemeinschaften zerstört, Vertikalität von Macht und damit der Gegenpol von Demokratie gestärkt. Mit dem Vormarsch des Militarismus, des globalen Wachstums radikal rechter Kräfte samt Forderungen nach Rückbau des Sozialstaates, und zunehmendem Rassismus, fühlen sich viele an die 20er Jahre des 20. Jahrhunderts erinnert – mit zwei wesentlichen Unterschieden: damals war der Klimawandel noch kein Thema und es gab noch keine Atomwaffen.

Ein Fest des Friedens?

Wenngleich die genannten Umstände es schwer machen, das diesjährige Weihnachtsfest als Fest des Friedens und der Besinnlichkeit zu genießen, bietet es doch gerade aus juristischer Perspektive vielerlei Anlass zum Reflektieren der Umstände, und zur juristischen Intervention. Nicht zuletzt die genannten (und ungenannten) Kriege verlangen nach Benennung und Verfolgung der Verletzungen des humanitären Völkerrechts und der Menschenrechte durch alle verantwortlichen Akteur:innen. Sie weisen aber auch darauf hin, dass unsere regionalen und globalen Friedensordnungen in den letzten Jahrzehnten nicht aktualisiert und ausgebaut, sondern sukzessive geschwächt wurden.

Weder die NATO-Osterweiterung noch das Aufschieben einer nachhaltigen völkerrechtlichen Lösung für die besetzten palästinensischen Gebiete haben Frieden, Sicherheit und die Vormachtstellung des Rechts gestärkt. Wer diese Defizite beklagt, muss aber schließlich auch völkerrechtliche Vorschläge entwickeln, die es überhaupt erst wieder ermöglichen, die Bearbeitung der entscheidenden Frage der Menschheit in den Mittelpunkt zu stellen: eine nachhaltige Friedensherstellung und -sicherung. Dies geht aber nicht ohne die Einhaltung und Stärkung des Völkerrechts, eine atomwaffenfreie Welt, aber nicht zuletzt auch nicht ohne die Berücksichtigung des Klimawandels und seiner Folgen für den globalen Frieden, Menschenrechte und Teilhabemöglichkeiten. An diesen Fragen haben wir auch im letzten Jahr nach Kräften gearbeitet. Denn wir glauben, dass sowohl im Ukrainekrieg als auch in Israel/ Palästina die Zeit des Völkerrechts, der Erarbeitung dauerhafter Lösungen geschlagen hat. Wer sich hier angesprochen fühlt, ist von Herzen eingeladen, sich in die IALANA einzubringen! Sprecht uns gern an, wenn Ihr noch nicht wisst, wie!

Veranstaltungen für Frieden und Rechtsstaatlichkeit

Das Jahr 2023 begann für uns mit einer gleichermaßen spannenden und gut besuchten Veranstaltung zur Frage „Muss Deutschland an Griechenland Reparationen zahlen? Alles erledigt oder Neustart für eine faire Regelung?“, die am 25. Januar in Berlin stattfand. Ausführlich kommentiert von MdB Gregor Gysi stellte der griechische Journalist Aris Radiopoulos, Autor einer aktuellen Forschungsarbeit zu Dokumenten des griechischen Außenministeriums und Diplomat, seine Kritik am Umgang der Bundesrepublik mit den Entschädigungsfragen im Zusammenhang mit schweren Verletzungen des humanitären Völkerrechts in Griechenland vor. Hängen geblieben (und auf youtube nachzuhören) ist u.a. der Eindruck, dass angesichts vieler völkerrechtlicher Baustellen aus pragmatischer Perspektive Griechenlandhilfen in Form vereinfachter und kostengünstigerer Kreditvergabe erfolgversprechender sind als der wiederholte Gang vor die Gerichte.

Am Vorabend unserer Mitgliederversammlung gelang es Prof. Dr. Wolfgang Däubler, in Bremen in einem mitreißenden Vortrag das insbesondere von Gerhard Baisch und Bernd Hahnfeld aus dem IALANA-Vorstand (sowie Hartmut Graßl und Angelika Hilbeck von der VDW) mitverantwortete Buch „20 Jahre Whistleblower-Preis. Was wurde aus den Preisträger:innen und ihren Enthüllungen?“ vorzustellen. Kernfragen des Buches und der aktuellen Debatte um den Schutz von Whistleblowern wurden im Anschluss daran in einer gleichermaßen packenden Podiumsdiskussion diskutiert.

Mitglieder und Aktive der IALANA organisierten auf dem Symposium zum 40-jährigen Bestehen der von der IALANA mitherausgegebenen Zeitschrift Wissenschaft und Frieden gleich mehrere Veranstaltungen. Die Sprecherin des Arbeitskreises Sanktionen Kornelia Kania sowie die AK-Mitglieder Wiebke Diehl und Helmut Lohrer stellten dort zentrale Kritikpunkte an der westlichen Sanktionspraxis aus völkerrechtlicher, wissenschaftlicher und friedenspolitischer Perspektive einem größeren Publikum vor. Unserem Vorstandsmitglied Bernd Hahnfeld gelang es, ebenfalls auf dem W&F-Symposium in einem Seminar umfassend das Thema Atomwaffen und Menschenrechte zu besprechen.

Interventionen durch geschriebene Worte

Der IALANA Vorstand brachte sich mit Stellungnahmen zu aktuellen Diskussionen ein, beispielsweise zur Lieferung von Streumunition an die Ukraine oder zur Stationierung von Atomwaffen in Belarus. Unsere Einreichungen beim Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen bezog sich auf Atomwaffen und Menschenrechte. Auch zur 2. Vertragsstaatenkonferenz des Atomwaffenverbotsvertrags reichten wir eine Stellungnahme ein.

Ferner verfasste Amela Skiljan den Artikel „Die militärischen Unterstützungsleistungen an die Ukraine im Lichte des Neutralitätsrechts“ und es wurde der Artikel „Waffenlieferungen in Kriegsgebiete. Das völkerrechtliche Neutralitätsrecht im Lichte des Grundgesetzes“ (Skiljan/Fechner) im Grundrechtereport 2023 veröffentlicht. Intensive inhaltliche Diskussionen zu Neutralitätsrecht wurden innerhalb des Vorstandes sowie in bilateralen Gesprächen – auch mit Beiratsmitgliedern – geführt.

Sehr froh und sehr stolz sind wir über die kürzlich veröffentlichte Broschüre „Richter-Blockade 1987 in Mutlangen“. Sie soll einen Beitrag zum kollektiven Gedächtnis der Friedensbewegung leisten und Mut machen für aktuelle Herausforderungen. Bernd Hahnfeld gibt uns Einblicke in die jahrelange Geschichte richterlichen Protestes gegen die Stationierung von Pershing II-Raketen und Cruise Missiles und berichtet von der Blockade, die am 12.01.1987 in Mutlangen stattfand. An jenem Tag „fanden sich bei Sonnenschein, aber minus 20 Grad zwanzig dick vermummte Kolleg:innen vor Ort ein und blockierten auf der Zufahrtskreuzung zum Raketenstandort sitzend zwei Stunden die Zufahrt zur Militärbasis in Mutlangen.“ Die Broschüre zeigt aber nicht nur den Ablauf der Aktionen, sondern auch ihre Folgen sowie die obergerichtliche Rechtsprechung zu derartigen Blockade-Aktionen. Gerhard Baisch bewertet anschließend die Richterblockade aus strafrechtlicher Sicht. Diesen Schatz an Erfahrung und Gedanken möchten wir Ihnen nicht vorenthalten.

Eine Printausgabe sollte vor Weihnachten bei Ihnen ankommen.

Für das Erreichte und für die weitere Arbeit sind wir auch weiterhin auf Ihre Unterstützung angewiesen. Wir bitten Sie herzlich, uns beim Verbreiten unserer Argumente und Expertise zu helfen, uns erneut durch Spenden finanziell zu unterstützen und uns durch Ihr Mitwirken, Ihre Gedanken und Ihre Ideen zu bereichern und breiter aufzustellen. Langfristiger und nachhaltiger Frieden braucht eine couragierte Zivilgesellschaft. Wir brauchen Frieden durch Recht, nicht das Recht des Stärkeren. Für jede kleine oder große Unterstützung sind wir Ihnen sehr dankbar. Spenden an die IALANA sind steuerrechtlich absetzbar.

Hier ist das Spendenkonto.

Wir wünschen Ihnen und Ihren Familien erholsame Feiertage und – endlich – ein friedlicheres neues Jahr!

Quelle:

Amela Skiljan und Heiner Fechner

Co-Vorsitzende IALANA Deutschland e.V.

Pressemitteilung der IALANA: Der Ruf nach Atomwaffen für die EU widerspricht dem Völkerrecht


Am 10. Dezember 1948 wurde die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte durch die Generalversammlung der Vereinten Nationen verkündet. Seitdem nehmen Menschenrechtsorganisationen diesen Internationalen Gedenktag zum Anlass, die Menschenrechtssituation weltweit kritisch zu betrachten. In diesem Jahr, in dem sich die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte zum 75. mal jährt, richtet sich die Betrachtung natürlich zu allererst auf die Tausende von Zivilpersonen, welche in den laufenden Kriegsgeschehen getötet wurden unter Missachtung des Humanitären Völkerrechts, unter Missachtung des ihnen garantierten Internationalen Menschenrechtes auf Leben. Es besteht im Hinblick auf die beiden Kriege, die aktuell in der Ukraine und im Gaza-Streifen geführt werden, die berechtigte Sorge, dass diese Konflikte sich nicht nur ausweiten, sondern im schlimmsten Falle sogar in den Einsatz von Atomwaffen münden könnten. Diese Sorge gibt Anlass darauf hinzuweisen, dass nicht nur der Einsatz von Atomwaffen, sondern bereits dessen Androhung eine Verletzung sowohl des Humanitären Völkerrechts als auch des Menschenrechtes auf Leben bedeutet. Diese Feststellung wurde allen Staaten, die Atomwaffen besitzen oder danach streben, mit einem Gutachten des Internationalen Gerichtshofes im Jahre 1996 ins Stammbuch geschrieben. Die Generalversammlung der Vereinten Nationen hat daran in zahlreichen Resolutionen immer wieder erinnert. Das Recht auf Leben (Right to Life) ist verankert in Art. 6 des Paktes über bürgerliche und politische Rechte (UN-Zivilpakt) der lautet: „Jeder Mensch hat ein angeborenes Recht auf Leben. Dieses Recht ist gesetzlich zu schützen. Niemand darf willkürlich seines Lebens beraubt werden.“ Der Schutzbereich dieses Artikels deckt sich mit dem Ziel des Humanitären Völkerrechts, das Leben der an der Kriegsführung nicht unmittelbar beteiligten Zivilbevölkerung zu schonen.

Die Tragweite des Right to Life-Schutzbereichs wird präzisiert und ausgelegt durch ein von den Vereinten Nationen eingesetztes Kontrollorgan, welches die Umsetzung und Einhaltung des UN-Zivilpaktes durch die Vertragsstaaten überwacht: den UN-Menschenrechtsausschuss (CCPR). Das CCPR hat in einer Allgemeinen Bemerkung zum Recht auf Leben (General Comment Nr. 36 vom 30. Oktober 2018) nicht nur die Feststellungen des IGH bekräftigt, sondern darüber hinaus für alle Staaten, die dem Vertrag beigetreten sind, verbindlich festgestellt, – dass sie alle erforderlichen Maßnahmen ergreifen müssen, um die Verbreitung von Atomwaffen – wie aller anderen Massen-vernichtungswaffen – zu stoppen, – dass sie es unterlassen müssen, solche Waffen zu entwickeln, zu produzieren, zu testen, zu erwerben, zu lagern, zu verkaufen, zu übertragen und zu nutzen, – dass sie alle bestehenden Lagerbestände vernichten und angemessene Schutzmaßnahmen gegen unbeabsichtigte Verwendung treffen müssen, – sowie unter strenger und wirksamer internationaler Kontrolle ihren Abrüstungsverpflichtungen nachkommen müssen, – und Opfern, deren Recht auf Leben durch die Erprobung oder den Gebrauch von Atomwaffen beeinträchtigt wurde, angemessene Wiedergutmachung leisten müssen.


Vor dem dargestellten Hintergrund sind die in jüngster Zeit von zwei prominenten Persönlichkeiten (H. Münkler und J. Fischer) verlautbarten Empfehlungen, die Europäische Union möge sich zu Zwecken der Abschreckung mit Atomwaffen ausrüsten, schlichtweg empörend; denn sie zielen auf eine eklatante Verletzung von Völkerrecht ab. Die Mitgliedstaaten der EU sind in mehrfacherweise an die Gebote und Verbote des Humanitären Völkerrechts und der im Zivilpakt verankerten Menschenrechte gebunden: Sie sind alle dem UN-Zivilpakt beigetreten, und sie haben sich zusätzlich im EU-Vertrag verpflichtet, das Völkerrecht zu respektieren und insbesondere die Menschenrechte zu wahren und zu schützen (Art.2, Art.3 Abs.5, Art.6 Abs.1 bis 3 und Art.21 Abs.1 EU-Vertrag unter Einbeziehung der Charta der Grundrechte der EU sowie der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten).
Darüber hinaus ist es den Mitgliedstaaten, die keine Atomwaffen besitzen, durch den Atomwaffensperrvertrag (NVV) untersagt, Atomwaffen oder die Verfügungsgewalt darüber unmittelbar oder mittelbar anzunehmen oder sonstwie zu erwerben (Art.2 NVV). Und Frankreich – der einzigen Atommacht innerhalb der EU – ist es durch den NVV verboten, Atomwaffen oder die Verfügungsgewalt darüber an einen Nichtkernwaffenstaat unmittelbar oder mittelbar weiterzugeben (Art.1 NVV). Diese im NVV vereinbarten Verbote sind daher für alle Mitgliedstaaten verbindlich. Die Bedeutung des NVV wird in allen Erklärungen der EU-Organe – des Parlamentes, des Rates und der Kommission – immer wieder hervorgehoben, und zwar einschließlich der Verpflichtung aller Staaten, „in redlicher Absicht Verhandlungen zu führen über wirksame Maßnahmen zur Beendigung des nuklearen Wettrüstens in naher Zukunft und zur nuklearen Abrüstung sowie über einen Vertrag zur allgemeinen und vollständigen Abrüstung unter strenger und wirksamer internationaler Kontrolle“ (Art.6 NVV). Wir verweisen beispielhaft auf die Empfehlung des Europäischen Parlaments vom 21.10.2020 zur Vorbereitung des 10.
NVV-Prüfungskonferenz und auf die Entschließung des Europäischen Parlaments vom 15.12.2021 zu den Herausforderungen und Chancen für multilaterale Systeme der Rüstungskontrolle und Abrüstung in Bezug auf Massenvernichtungswaffen.

Joseph Fischer fordert für die EU Abschreckung durch Atomwaffen. Snapshot via 35Punto/You Tube


Der SPD-Fraktionsvorsitzende Mützenich hat in einem Kommentar vom 08.12.2023 dem Ruf nach Atomwaffen für die EU widersprochen und hat sich dabei auf politische Argumente beschränkt: “Die EU braucht keine Atombombe. Für die Sicherheit sind andere Schritte nötig.“ (https://www.fr.de/meinung/gastbeitraege/atomare-gespenster-vertreiben-92718768.html) Wir halten es für dringend geboten, zusätzlich auch die völkerrechtlichen Aspekte einzubeziehen, welche der Europäischen Union und allen ihren Mitgliedstaaten nicht nur eine weitere Stärkung des NVV, sondern darüber hinaus einen Beitritt zum Atomwaffenverbotsvertrag nahelegen.

Quelle: PM der IALANA

„20 Jahre Whistleblower-Preis“. Das Buch wurde gestern in Bremen vorgestellt

Auf einer Hybridveranstaltung wurde am gestrigen Abend im „Goldenen Saal“ der Villa Ichon in Bremen das Buch „20 Jahre Whistleblower-Preis. Was wurde aus den Preisträger:innen und ihren Enthüllungen?“ (Hrsg. Gerhard Baisch, Hartmut Graßl, Bernd Hahnfeld und Angelika Hilbeck) vorgestellt.

Der Whistleblower-Preis

«Zur Ehrung mutiger WhistleblowerInnen wird seit 1999 alle zwei Jahre der Whistleblower-Preis gemeinsam von der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler e.V. (VDW) und der IALANA Deutschland – Vereinigung für Friedensrecht gestiftet. Der Preis wird vergeben an Persönlichkeiten, die – häufig unter Inkaufnahme beträchtlicher Risiken für Arbeitsplatz und Karriere – Missstände aufdecken und nach außen bekannt machen, welche ihnen in ihrer dienstlichen oder amtlichen Tätigkeit bekannt geworden sind. Der Whistleblower-Preis soll eine Form des Zuspruchs, der Anerkennung, der Ermutigung und der Solidarität zum Ausdruck bringen, die Bürgerinnen und Bürger mit großer Zivilcourage brauchen, wenn sie die zahlreichen Belastungen und Schwierigkeiten im privaten und beruflichen Umfeld sowie die Anfeindungen und Zumutungen im öffentlichen Raum nicht nur auf sich nehmen, sondern auch aushalten und ohne dauerhafte Beschädigung durchstehen wollen.« (Quelle: Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW)

Die Whistleblower-Preisträger finden Sie hier, liebe Leser.

Nach den einleitenden Worten von Gerhard Baisch wurde an den 2019 verstorbenen Juristen Dr. Dieter Deiseroth erinnert, ohne den es sicher denn Whistleblower-Preis nicht gegeben hätte. Aus dem Nachruf des VDW seinerzeit: «Als engagiertes VDW-Mitglied, Initiator und Treiber des Whistleblower-Preises sowie der Whistleblower-Publikationen bleibt Dieter Deiseroth uns in lebendiger Erinnerung. Seine Expertise, Präzision und Aufrichtigkeit haben dem Whistleblower-Preis das Format der unantastbar gültigen Entscheidung geschenkt.«

Vorgestellt wurde das Buch von Prof. Wolfgang Däublerunter dem Thema „Whistleblower – Helden oder Verräter?“.Anschließend fand eine Diskussion mit den Herausgebern statt.

Die Veranstaltung von IALANA Deutschland e.V. – Vereinigung für Friedensrecht, deutsche Sektion der IALANA – International Association of Lawyers against Nuclear Arms – gemeinsam mit der VDW – Vereinigung Deutscher Wissenschaftler e.V. wurde unterstützt vom Bremer Friedensforum.

Seit 1999 haben IALANA und VDW jeweils alle zwei Jahre herausragende Whistleblowern mit dem Whistleblower-Preis geehrt. Dadurch sollte ihnen öffentlich Anerkennung für ihr mutiges Handeln ausgesprochen und gezeigt werden, dass die Gesellschaft auf Menschen wie sie angewiesen ist, um geheim gehaltene Fehlentwicklungen und Missstände zu erkennen und um deren Behebung einzufordern oder anzugehen. Geehrt wurden insgesamt 18 Whistleblowern, u.a. Alexander Nikitin (nukleare Verseuchung des Nordmeers), Margrit Herbst (BSE-Skandal), Daniel Ellsberg (Pentagon-Papiere zum Vietnam-Krieg), Brigitte Heinisch (Altenpflegemängel), Liv Bode (Borna-Virus), Rainer Moormann (Kugelhaufen-Reaktor), Chelsea Manning (US-Kriegsverbrechen), Gilles-Eric Seralini (Gesundheitsgefahr durch Glyphosat), Edward J. Snowden (Prism), Can Dündar (Erdoğan unterstützt IS mit Waffen) und Martin Porwoll (Krebsmedikamente ohne Wirkstoff).

Anbei mein Bericht über die Whistleblower-Preisverleihung 2017.

Das Buch enthält selbständige Beiträge zu den einzelnen Preisträgern, meist mit Interviews und ergänzenden Darstellungen der Folgen ihres Whistleblowings. Es folgt eine Genese des Hinweisgeberschutz-Gesetzes, das Anfang Juli 2023 in Kraft getreten ist.

Wolfgang Däubler legte in Bremen dar, ob und inwieweit die neuen Regelungen Whistleblower tatsächlich schützen können. Er und seine Mitdiskutanten waren sich allerdings darin einig, dass das Hinweisgeberschutz-Gesetz in seiner derzeitigen Fassung nicht der Weisheit letzter Schluss ist.

Lesen Sie dazu einen kritischen Artikel von Peter Nowak im neuen Deutschland: «Hinweisgeberschutzgesetz: Zu wenig Hilfen für Whistleblower«

Nichtsdestotrotz machte Wolfgang Däubler potentiellen Whistleblowern Mut sich mit aller Vorsicht bemerkbar zu machen.

Er schlug etwa vor sich an zuverlässige und vertrauensvoll agierende Journalisten zu wenden, welche den Whistleblowern Anonymität und Schutz zusichern. Eigentlich für Journalisten ein Muss. Diese Journalisten könne man noch immer finden.

Allerdings ließen andere Wortmeldungen auf der Veranstaltung gewisse Zweifel daran aufkommen. Zumindest kommen die einen eingedenk des Zustands des heutigen Journalismus (der Vierten Gewalt!) und der sogenannten „Qualitätsmedien“.

Das Buch eröffnet insbesondere durch die Interviews einen Blick auf die oft schweren Schicksale, welche die geehrten Whistleblower:innen nach ihrem Alarmgeben erlitten haben. Bewundernswert ist, dass fast alle ihr Handeln nicht bereuen, sondern wieder so handeln würden. Ihre Schilderungen legen auch bloß, an welchen Punkten der nötige Schutz erweitert werden muss.

Hier die Videos von der Veranstaltung

Teil 1
Teil 2

Zum Buch

20 Jahre Whistleblower-Preis

Was wurde aus den Preisträger:innen und ihren Enthüllungen?
Herausgeber: Baisch, Gerhard; Hilbeck, Angelika; Hahnfeld, Bernd; Graßl, Hartmut

Machen Mitarbeiter:innen Fehlverhalten in Betrieben, Behörden und Regierungen öffentlich, ist das oft ein Wendepunkt in ihrem Leben. Diese Whistleblower oder Hinweisgeber, seit 1999 im zweijährigen Rhythmus mit dem Whistleblower-Preis vom deutschen Flügel der International Association of Lawyers against Nuclear Arms (IALANA) und der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW) ausgezeichnet, berichten in Interviews über ihr Leben nach der Preisverleihung. Was ist aus den weltweiten Plänen für Kugelhaufenreaktoren geworden, sind Maßnahmen zur besseren Kontrolle von Apotheken für Krebsmedikamenteergriffen worden, ist Glyphosat verboten, die unkontrollierte Überwachung durch Geheimdienste gestoppt, der Pflegenotstand gemildert worden? In den Interviews durch Jurymitglieder sagen fast alle Preisträger:innen, dass sie sich trotz der oft andauernden Anfeindungen wieder so verhalten würden. Das Buch schließt mit einer kritischen Beurteilung des Weges hin zu einem Hinweisgeberschutzgesetz in Deutschland und ist dem Initiator des Whistleblower-Preises, Dr. Dieter Deiseroth, Richter am Bundesverwaltungsgericht, gewidmet.

Produktdetails

Preis: 49,00 €

  • Wissenschaft in der Verantwortung Nr.7
  • Verlag: BWV Berliner-Wissenschaft / Berliner Wissenschafts-Verlag
  • Artikelnr. des Verlages: 700005550
  • Seitenzahl: 396
  • Erscheinungstermin: 27. Juli 2023
  • Deutsch
  • Abmessung: 227mm x 154mm x 27mm
  • Gewicht: 590g
  • ISBN-13: 9783830555506
  • ISBN-10: 3830555504
  • Artikelnr.: 6835179

Stellungnahme der IALANA zur Lieferung von Streumunition an die Ukraine

Der nationale Sicherheitsberater der USA, Jake Sullivan, hat am 8. Juli 2023 der Öffentlichkeit mitgeteilt, dass US-Präsident Joe Biden trotz Bedenken und nach langem Zögern entschieden habe, die Ukraine durch Lieferung von Streumunition zu unterstützen. Die US-Regierung sei sich des Risikos bewusst, dass Zivilisten durch nicht explodierende Munition zu Schaden kommen. Es bestehe jedoch auch ein großes Risiko, wenn russisches Militär weiteres ukrainisches Staatsgebiet erobere und ukrainische Zivilisten unterwerfe. Zur Verteidigung brauche die Ukraine dringend weitere Artilleriemunition. Biden selbst betonte, der Schritt sei mit dem US-Kongress und den Verbündeten abgesprochen.

Streumunition ist durch das am 1. 8. 2010 in Kraft getretene Übereinkommen zum Verbot von Streumunition von zahlreichen Staaten völkerrechtlich geächtet. Dieser völkerrechtliche Vertrag hat inzwischen 111 Mitgliedsstaaten. Weitere 13 haben unterzeichnet, aber noch nicht ratifiziert. Die hauptsächlichen Erzeuger- und Verwender-Nationen USA, Russland, China und Israel gehören dem Vertragswerk nicht an. Die Ukraine zählt ebenfalls zu der Gruppe der Staaten, die diesem Übereinkommen nicht beigetreten ist. Weil eine einheitliche Staatenpraxis und auch die übereinstimmende Rechtsüberzeugung der Staaten fehlen, ist derzeit ausgeschlossen, dass das Übereinkommen zum Verbot von Streubomben zum Völkergewohnheitsrecht und damit für alle Staaten verbindlich geworden ist. Die Lieferung der Streumunition durch die USA in die Ukraine verstößt daher nicht gegen das Übereinkommen zum Verbot von Streumunition.

Trotzdem bleibt der Einsatz von Streumunition weiterhin sehr problematisch. In dem Gutachten vom 8. 7. 1996 hat der Internationale Gerichtshof (IGH) unter Ziffer 95 festgestellt, dass nach den Prinzipien und Regeln des für den bewaffneten Konflikt verbindlichen humanitären Völkerrechts Methoden und Mittel der Kriegsführung verboten sind, die jede Unterscheidung zwischen zivilen und militärischen Zielen ausschließen. Unter Ziffer 78 beschreibt der IGH dieses Prinzip als eins der „kardinalen Prinzipien“ des humanitären Völkerrechts, wonach Staaten „niemals Waffen einsetzen dürfen, die nicht zwischen zivilen und militärischen Zielen unterscheiden können.“ Das ist aber bei der Streumunition der Fall, weil sie einerseits beim Einsatz streut – also nicht präzise eingesetzt werden kann – und andererseits ein Teil der Submunition nicht explodiert, und somit zu Landminen wird, die nach Ende der Kampfhandlungen jahrelang eine erhebliche Gefahr für die Zivilbevölkerung darstellen. Diese Eigenschaften von Streumunition machen deren Einsatz in der Regel unverhältnismäßig.

Wenn die Bundesregierung – wie die Erklärung von US-Präsident Biden vermuten lässt – der Lieferung der Streumunition ausdrücklich zugestimmt hat, hätte Deutschland als Mitgliedsstaat gegen seine Staatenverpflichtung aus dem Übereinkommen zum Verbot von Streumunition verstoßen. Denn mit Art. 1 Abs. 1c des Übereinkommens hat sich Deutschland verpflichtet niemanden beim Transport oder Einsatz von Streubomben zu unterstützen. In der Zustimmung könnte nicht nur eine verbotene Unterstützung der USA, sondern auch die innerstaatlich strafbare Förderung der Lieferung nach §§ 18a, 20a des Kriegswaffenkontrollgesetzes (KWKG) liegen.

Schwerwiegender ist, wenn der Transport der Streumunition aus den USA über deutsches Staatsgebiet erfolgt. Das ist höchstwahrscheinlich der Fall, weil es sowohl beim Seetransport als auch auf dem Luftweg der kürzeste Weg wäre. In diesen Fällen könnten die USA die Streumunition nicht ohne ausdrückliche Zustimmung der Bundesregierung transportieren. Für ihre Transport-Flugzeuge benötigte sie Überfluggenehmigungen Deutschlands, für Zwischenlandungen auf US-Stützpunkten in Deutschland Lande- und Starterlaubnis. Diese Erlaubnis darf die Bundesregierung nicht erteilen, weil Deutschland sonst gegen seine Verpflichtungen aus dem Übereinkommen zum Verbot der Streumunition verstoßen würde. Werden die Genehmigungen erteilt, sind die Verantwortlichen vor Gericht zu stellen, weil nach §§ 18a, 20a KWKG die Durchführung der Streumunition durch das Bundesgebiet strafrechtlich verboten ist.

Die Verbote nach dem humanitären Völkerrecht, nach dem Übereinkommen zum Verbot der Streumunition und nach §§ 18a, 20a KWKG verlieren ihre rechtliche Verbindlichkeit nicht durch den Verteidigungsstatus der Ukraine als völkerrechtwidrig angegriffener Staat. Der IGH hat in seinem Gutachten festgestellt, dass das Notwehrrecht nach Art. 51 UN-Charta eingeschränkt ist, „welche Mittel der Gewalt auch eingesetzt werden“. Verteidigen dürfen sich Staaten nur mit Waffen, welche die Prinzipien und Regeln des humanitären Völkerrechts erfüllen (Ziff. 42). Die Verteidigung mit unterschiedslos auch gegen Zivilisten wirkende Waffen ist wegen Verstoßes gegen das Menschenrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit in Verbindung mit dem humanitären Völkerrecht rechtswidrig. Somit verstoßen sowohl das angreifende Russland als auch die sich verteidigende Ukraine durch den Einsatz von Streumunition gegen das Völkerrecht.

Deutschland ist durch Art. 21 Abs. 2 des Übereinkommens zum Verbot von Streumunition verpflichtet, die Normen, die darin niedergelegt sind, zu fördern und sich nach besten Kräften zu bemühen, „Staaten, die nicht Vertragsparteien dieses Übereinkommens sind, vom Einsatz von Streumunition abzubringen.“ Das bedeutet, dass die Bundesregierung völkerrechtlich verpflichtet ist, den USA bei der Lieferung und der Ukraine beim Einsatz von Streumunition „in den Arm zu fallen“.

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IALANA: Offener Brief an Bundeskanzler Scholz zum Krieg in der Ukraine

Hinweis: Ich veröffentliche hier den Offenen Brief an Bundeskanzler Scholz zum Krieg in der Ukraine, der mich heute von der IALANA erreichte:

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler Scholz,

dieser Krieg in Europa hätte verhindert werden können und hätte verhindert werden müssen!

Mit der fehlenden ernsthaften Bemühung, über die von Russland am 17. Dezember 2021 vorgelegten Vertragsentwürfe über Sicherheitsgarantien substanzielle Verhandlungen zu führen, haben Sie es gemeinsam mit den USA und den NATO-Partnern versäumt, einen wirksamen Versuch zu unternehmen, den Frieden für die Ukraine und für Europa zu bewahren.

Nun ist die „militärische Spezialoperation“ im Gang – welch ein zynischer Begriff für den von Russland entfesselten Angriffskrieg gegen die Ukraine – und ein Ende von Tod, Zerstörung und Flucht ist nicht abzusehen. Russland hat mit der großrussisch nationalistischen Haltung seines Präsidenten, wonach es sich bei der Ukraine nicht um einen souveränen Staat, sondern um „Kleinrussland“, mithin einen Teil Russlands handele, den Grundsatz der souveränen Gleichheit aller Mitglieder der Vereinten Nationen in Art. 2 Abs. 1 der Charta der Vereinten Nationen verletzt.

Der militärische Angriff auf die Ukraine stellt einen Verstoß gegen das absolute Gewaltverbot nach Art. 2 Abs. 4 der Charta der VN dar. Russland hat auch keine Beweise dafür vorzulegen, dass der Angriff zur Abwendung eines Völkermords der Ukraine an der russischen Minderheit in den ostukrainischen Verwaltungs-bezirken von Donezk und Lugansk gerechtfertigt ist.

Es spricht für sich, dass Russland am 07. März 2022 der mündlichen Verhandlung vor dem Internationalen Gerichtshof der Vereinten Nationen in Den Haag ferngeblieben ist, wo die Gelegenheit bestanden hätte, hierzu vorzutragen. Der einstweiligen Anordnung, die der IGH am 16.03.2022 auf Antrag der Ukraine gegen Russland erlassen hat, wonach alle Kampfhandlungen sofort einzustellen sind, wird von Russland missachtet.

Der russische Präsident trägt für die Entfesselung des völkerrechtswidrigen Angriffskriegs ebenso die persönliche Verantwortung wie für die Vielzahl von unterschiedslosen Angriffen auf die Zivilbevölkerung durch den Beschuss von Wohngebieten, die Verletzungen des humanitären Völkerrechts darstellen. Hinzu kommt die Androhung der Anwendung von Atomwaffen durch den russischen Präsidenten und den Vorsitzenden des russischen Sicherheitsrats, die nach dem Rechtsgutachten des Internationalen Gerichtshofs vom 08.07.1996 gegen das Völkerrecht verstößt.

Sollte am Ende dieses Krieges im Rahmen einer Verhandlungslösung ein neutraler Status der Ukraine herauskommen, werden die Menschen in der Ukraine zu recht die Frage stellen, warum sie unbeschreibliches Leid und die Zerstörung ihrer Städte und ihrer Heimat ertragen mussten für ein Ergebnis, das man auch schon zuvor auf dem Verhandlungsweg hätte erzielen können, ohne bewaffneten Konflikt.

Warum sollte denn der Einwand, den die Bundesregierung gemeinsam mit der französischen Regierung im April 2008 auf der NATO-Ratstagung in Bukarest gegen den Beitritt der Ukraine erhoben hat, im Dezember 2021 nicht mehr zutreffend sein? Ein Verstoß gegen russische Sicherheitsinteressen hieß es damals, auf deren Berücksichtigung die NATO sich bei aller grundsätzlichen Anerkennung der souveränen Rechte jedes Staates, sich frei für ein Bündnissystem zu entscheiden, gegenüber Russland verpflichtet hatte. Hatte Angela Merkel in ihrer Regierungserklärung vom 18.12.2013 mit Blick auf den sich zuspitzenden Konflikt in der Ukraine nicht gesagt: „Wir müssen aus dem Entweder – Oder herauskommen“, wonach sich die Ukraine zwischen der Europäischen Union und Russland entscheiden müsse. „Hieran werden wir sicherlich weiter intensiv arbeiten.“ Warum haben Sie als Bundeskanzler diesen Faden nicht aufgenommen?

Wieso haben Sie darüber hinaus den Rat erfahrener deutscher Diplomaten, Militärs und Friedensforscher in den Wind geschlagen, die in ihrem Appell „Raus aus der Eskalationsspirale“ vom 05.12.2021 dazu aufgerufen haben, ein Moratorium für alle Truppenverlegungen, Aufrüstungsmaßnahmen und militärischen Manöver vorzuschlagen, um in einem Zeitraum von zwei Jahren gemeinsam mit Russland eine neue Sicherheitsarchitektur für Europa auszuhandeln? Das hätte bedeutet, Gorbatschows Vorschlag für ein gemeinsames Haus Europa und Putins Vorschlag für einen gemeinsamen Wirtschafts- und Sicherheitsraum von Lissabon bis Wladiwostok beim Wort zu nehmen.

In seiner Rede vor dem Deutschen Bundestag am 25.09.2001 hatte er gesagt: „Niemand bezweifelt den großen Wert der Beziehungen Europas zu den Vereinigten Staaten. Aber ich bin der Meinung, dass Europa seinen Ruf als mächtiger und selbstständiger Mittelpunkt der Weltpolitik langfristig nur festigen wird, wenn es seine eigenen Möglichkeiten mit den russischen menschlichen, territorialen und Naturressourcen sowie mit den Wirtschafts-, Kultur- und Verteidigungspotenzialen Russlands vereinigen wird.“ Dafür war er mit stehenden Ovationen aller Fraktionen bedacht worden.

Was folgte, war weitere Politik des politischen und militärischen Containments Russlands durch die Osterweiterung der NATO, die Stationierung von Truppen an der russischen Grenze im Baltikum und den Bau von Raketenabschussrampen in Polen und Rumänien.

Neben dem Status der Ukraine hätte es in den von Russland vorgeschlagenen Verhandlungen auch um atomare Abrüstung gehen sollen. Vorgeschlagen war unter anderem, dass sowohl Russland als auch Amerika Kurz- und Mittelstreckenraketen in einer solchen Entfernung voneinander stationieren, dass sie von den Stationierungsorten aus den anderen nicht erreichen können.
In diesem Zusammenhang erinnern wir daran, dass die Beendigung der Stationierung US-amerikanischer Atomwaffen auf deutschem Boden zum Zweck der nuklearen Teilhabe von den vorangegangenen Bundesregierungen und zuletzt auch von Frau Bundesaußenministerin Baerbock von dem Ergebnis von Paketlösungen in atomaren Abrüstungsverhandlungen zwischen den USA und Russland abhängig gemacht wurde.

Warum hat die Bundesregierung im Rahmen der NATO im Dezember nicht darauf gedrängt, in solche Abrüstungs-verhandlungen einzutreten? Dies versäumt zu haben, stellt einen Verstoß gegen Artikel VI des Nichtverbreitungsvertrags dar, wonach die Signatarstaaten dazu verpflichtet sind, mit dem ernsthaften Willen über Schritte zu einer vollständigen nuklearen Abrüstung zu verhandeln.

Stattdessen haben Sie sich dazu entschieden, im Rahmen Ihres 100 Milliarden Euro Aufrüstungsprogramms für die nukleare Teilhabe Deutschlands nun in den USA die modernsten verfügbaren atomaren Trägerwaffen, F 35 Tarnkappenbomber, zu kaufen.

Sie wissen sehr gut, dass sowohl die USA als auch Deutschland in dem Augenblick, in dem die Piloten des Jagdgeschwaders 33 in Büchel die dort stationierten US-amerikanischen Atomwaffen übernehmen, den Nichtverbreitungsvertrag verletzen würden. Denn den USA ist es nach dem Nichtverbreitungsvertrag verboten, Atomwaffen an einen Nichtatomwaffenstaat zu übergeben. Ebenso ist es Deutschland als Nichtatomwaffenstaat verboten, Atomwaffen von einem Atomwaffenstaat anzunehmen.

Die von Ihnen geplante Anschaffung der F 35 Tarnkappenbomber für den Einsatz von Atomwaffen dient somit nicht einer regelbasierten Außen- und Sicherheitspolitik. Vielmehr wird damit ein Bruch des Völkerrechts vorbereitet.

Schließlich sind die von Ihnen veranlassten Lieferungen von Waffen an die Ukraine und die Finanzierung ukrainischer Waffenkäufe mit dem akuten Risiko einer Ausweitung des Krieges verbunden. Sie bringen unser Land damit in Gefahr, in den Krieg verwickelt zu werden.

Zwar ist es gemäß Artikel 51 der UN-Charta völkerrechtlich zulässig, einem angegriffenen Land im Rahmen kollektiver Verteidigung zu Hilfe zu kommen. Hierzu bedarf es keiner speziellen Bündnisverpflichtung wie etwa durch den NATO-Vertrag. Man muss sich aber entscheiden, ob man im Rahmen einer solchen kollektiven Verteidigung den angegriffenen Staat mit Waffen beliefern und damit selbst zur Kriegspartei werden will  oder ob man neutral bleiben möchte. Mit dem Status eines neutralen an einem bewaffneten Konflikt unbeteiligten Staat ist aber die Lieferung von Waffen wie die von Deutschland an die Ukraine übergebenen  1.000 Panzerabwehrwaffen, die 500 Boden-Luft-Raketen vom Typ „Stinger“ sowie 2.700 Flugabwehrraketen vom Typ „Strela“ und die Finanzierung von Waffenkäufen in Milliardenhöhe unvereinbar. Trotz aller Bekenntnisse dazu, dass die NATO keine Kriegspartei werden will, kommt es darauf an, ob Russland ein Land in völkerrechtlich vertretbarer Weise als am Krieg beteiligt einstuft. Dies kann spätestens dann virulent werden, wenn die Gasimporte aus Russland eingestellt werden sollten.

Herr Bundeskanzler Scholz, wir appellieren an Sie:

  1. Stoppen Sie die Waffenlieferungen an die Ukraine! Verhindern Sie, dass aus dem Krieg Russlands gegen die Ukraine ein unkontrollierbarer Flächenbrand und am Ende ein III. Weltkrieg wird! Unsere ganze Unterstützung der Ukraine muss der humanitären Hilfe für die vom Krieg betroffenen Menschen und den diplomatischen Bemühungen zur Beendigung des Krieges gehören!

  2. Setzen Sie sich gegenüber der Regierung der Ukraine dafür ein, dass die ukrainischen Städte zu „offenen Städten“ im Sinne des Art. 59 Abs. 1  des 1. Zusatzprotokolls zu den Rotkreuzabkommen erklärt werden, die vom Krieg zu verschonen sind. Es muss verhindert werden, dass die Kampfhandlungen in die Städte getragen und die zivile Bevölkerung noch mehr in Mitleidenschaft gezogen wird. Nur so kann eine noch schlimmere humanitäre Katastrophe und eine weitere Massenflucht vermieden werden!

  3. Setzen Sie sich bei beiden Kriegsparteien ein für einen Waffenstillstand ohne Vorbedingungen. Einen militärischen Sieg kann es für keine der beiden Seiten geben. Eine Lösung des Konflikts und einen Interessenausgleich gibt es nur am Verhandlungstisch. Deutschland kann zu einer Verhandlungslösung einen wichtigen Beitrag leisten – allerdings nur als ehrlicher Makler bei Wahrung militärischer Neutralität.

  4. Treten Sie einer um sich greifenden Russenfeindlichkeit entgegen! Die Menschen in Russland können ebenso wenig etwas für die Entscheidung des russischen Präsidenten wie die russischen Familien, die als nationale Minderheit in der Ukraine leben. Dies gilt auch für alle Sanktionsmaßnahmen. Ebenso wie vom Krieg sind auch von Sanktionen überwiegend diejenigen betroffen, die nichts mit den getroffenen Entscheidungen zu tun haben! Erst Recht gilt dies für Künstler, Wissenschaftler und Sportler und den Austausch auf dem Gebiet der Wissenschaften, der Kultur und des Sports. Dies muss bei jeder Sanktionsentscheidung bedacht werden. Ein totaler Sanktions- und Wirtschaftskrieg schadet den Energieinteressen Deutschlands und den auf russische Getreidelieferungen angewiesenen Menschen in aller Welt. Er erschwert den friedlichen Neuanfang der Beziehungen, der am Ende jedes Krieges stehen muss.

  5. Kehren Sie um von Ihrem Weg der Aufrüstung und der Anschaffung von F 35 Atombombern. Die von Ihnen gewählte Politik des militärischen Containment, des Wirtschaftskriegs und der Isolierung Russlands wird die Konfrontation in gefährlicher Weise weiter eskalieren. Das Friedensgebot des Grundgesetzes und der Charta der Vereinten Nationen fordert friedliche Streitbeilegung!

RA Otto Jäckel. Foto C. Stille

Otto Jäckel (Vorsitzender der IALANA). Foto: C. Stille.

Mit freundlichen Grüßen

Otto Jäckel

Im Namen des Vorstands von IALANA Deutschland e.V.

Quelle: IALANA

Beitragsbild: Otto Jäckel

Diplomatie statt Kriegsvorbereitung. Den aufgeheizten Konflikt um die Ukraine friedlich lösen!

Ein Appell von IPPNW und IALANA

In dem aktuell gefährlichen Konflikt zwischen der NATO und Russland fordern wir die Bundesregierung auf, aktiv dazu beizutragen, die Eskalation zu stoppen und eine friedliche Lösung zu suchen. Dabei sollen alle bestehenden wechselseitigen völkerrechtlichen Verpflichtungen genutzt werden, um gegenseitige Sicherheit zu erreichen. Dauerhafte Sicherheit kann nicht gegeneinander, sondern nur miteinander erreicht werden.

Obwohl die Truppenkonzentration bedrohlich wirkt, will Russland erklärtermaßen keinen Krieg, sondern einen Vertrag, der seine Sicherheit gewährleistet und hat dazu zwei detaillierte Entwürfe vorgelegt, die in der Öffentlichkeit allerdings weitgehend unbekannt sind. Einige der Vorschläge enthalten weitgehende Maximalforderungen und Verhandlungsmasse für ein neues europäisches Sicherheitskonzept. Andere Vorschläge in den Vertragsentwürfen für gegenseitige Sicherheitsgarantien zwischen Russland und der NATO sowie zwischen Russland und den USA  sind einigungsfähig, z.B. zur Einrichtung von Telefon-Hotlines, für eine wechselseitige Unterrichtung über militärische Übungen und Manöver und die jeweiligen Militärdoktrinen (Art. 2, Vertragsentwurf NATO-Russland) oder der Vorschlag eines Verbotes einer Stationierung von landgestützten Mittel- und Kurzstreckenraketen in Gebieten, die es ermöglichen, das Gebiet der anderen Vertragsparteien zu erreichen (Art. 5).  Weitere zielen auf die Beendigung der nuklearen Teilhabe und den Abzug der US-Atomwaffen aus Europa (Art. 7 des Vertrags mit den USA). Im Artikel 1 heißt es: „Die Vertragsparteien lassen sich in ihren Beziehungen von den Grundsätzen der Zusammenarbeit, der gleichen und unteilbaren Sicherheit leiten. Sie werden ihre Sicherheit (….) nicht auf Kosten der Sicherheit der anderen Vertragsparteien stärken.“

Die Bundesregierung hat eine besondere rechtliche Verpflichtung gegenüber Russland: Am 9. November 1990 haben Kohl und Gorbatschow einen „Vertrag über gute Nachbarschaft, Partnerschaft und Zusammenarbeit“ geschlossen, der unverändert noch gilt. Art. 7 lautet: „Falls eine Situation entsteht, die nach Meinung einer Seite eine Bedrohung für den Frieden oder eine Verletzung des Friedens darstellt oder gefährliche internationale Verwicklungen hervorrufen kann, so werden beide Seiten unverzüglich miteinander Verbindung aufnehmen und bemüht sein, ihre Positionen abzustimmen und Einverständnis über Maßnahmen zu erzielen, die geeignet sind, die Lage zu verbessern oder zu bewältigen.“ Wir fordern die Bundesregierung auf, ihre Gespräche im Sinne dieser Verpflichtungen zu intensivieren.

Wichtige einzuhaltende völkerrechtliche Verpflichtungen für die Lösung des aktuellen Konflikts ergeben sich insbesondere aus den Grundsätzen der UN-Charta zur friedlichen Streitbeilegung (Art. 2 Ziff. 3) und zum Gewaltverbot (Art. 2 Ziff. 4). Sie folgen auch aus der NATO-Russland-Grundakte vom 27. Mai 1997. Demnach unterliegt die dauerhafte Stationierung von substanziellen Kampftruppen in den neuen Nato-Ländern in der Mitte und im Osten Europas völkervertraglichen Beschränkungen. Die jetzt praktizierte lückenlose Rotation von NATO-Truppen an der NATO-Ostgrenze unterläuft Verpflichtungen des Abkommens. Forderungen der neuen NATO-Länder, die NATO solle sich darüber hinwegsetzen, muss widersprochen werden. Zu Recht erinnert Russland an die Formulierung im Schlussbericht des OSZE-Gipfels von 1999 in Istanbul, wonach jeder Teilnehmerstaat bei Änderungen seiner Sicherheitsstrukturen die Rechte aller anderen Staaten achten und seine Sicherheit nicht auf Kosten der Sicherheit anderer Staaten festigen wird. Diese Zusage haben die NATO-Staaten beim OSZE-Gipfel im Dezember 2010 in Astana bekräftigt.

Wir appellieren an die Bundesregierung, die anstehenden Verhandlungen mit Respekt und unter Anerkennung der gegenseitigen Sicherheitsinteressen und unter Beachtung der bestehenden Sicherheitssysteme zu führen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Russland seit 1990 zunehmend seine Sicherheit an der Westgrenze durch die NATO bedroht sieht. Der Verzicht auf die Osterweiterung der NATO ist zwar nicht völkerrechtlich bindend vereinbart worden, war aber wiederholt Gegenstand von Gesprächen und Verhandlungen mit Vertretern der russischen Regierung.

Wir fordern die Bundesregierung auf, im folgenden Rahmen zu verhandeln:

  • verschärfte Bemühungen, das Waffenstillstandsabkommen Minsk II durchzusetzen und die Parteien davon abzuhalten, die territorialen Streitigkeiten hinsichtlich der Krim und des Donbass militärisch zu beenden.
  • Aktivierung aller noch bestehenden Gesprächskanäle zwischen Russland und NATO, um eine friedliche Lösung zu finden, die sowohl westliche als auch russische Sicherheitsbedenken anerkennt.
  • Stopp aller Maßnahmen, die gegenwärtig eine militärische Auseinandersetzung befördern. Dazu gehören der Stopp von Waffenlieferungen an die Ukraine, die Beendigung aller Truppenkonzentrationen beidseits der ukrainischen Ostgrenze, die Einrichtung eines Sicherheitsbereichs beiderseits der ukrainischen Ostgrenze, in dem alle Truppenbewegungen ab Divisionsstärke (= 5.000) der Gegenseite vorab gemeldet werden sowie die Unterlassung von Manövern in diesem Sicherheitsbereich.
  • rote Telefone insbesondere im Atomwaffenbereich; keine Stationierung von Kurz- und Mittelstreckenraketen in Europa sowie ein beidseitiger Verzicht auf den Ersteinsatz von Atomwaffen.
  • Verhandlungen im Rahmen der OSZE über den russischen Vertragsentwurf mit dem Ziel einer europäischen Sicherheitsstruktur und einer Neubestimmung des Verhältnisses Russland-NATO im Geist der früheren Abkommen über gegenseitige Sicherheit.
  • Förderung aller Formen des kulturellen Austauschs und persönlicher Kontakte zwischen den Völkern von Russland und Deutschland, die in ihrer großen Mehrheit jeden Krieg in Europa ablehnen, sondern friedlich miteinander leben wollen.

Herausgeber:
Internationale Ärzt*innen für die Verhütung des Atomkrieges/Ärzt*innen in soziale Verantwortung (IPPNW)
Deutsche Sektion der International Association of Lawyers against Nuclear Arms (IALANA)

Erstunterzeichner*innen:

Franz Alt, Journalist, Dr. Bernd Asbrock, Richter i.R.; Dr. Till Bastian, Publizist; Prof. Dr. Helga Baumgarten, Politikwissenschaftlerin; Ralf Becker, Koordinator Initiative „Sicherheit neu denken“;  Peter Brandt, Historiker und Publizist; Reiner Braun, International Peace Bureau; Dr. med. Angelika Claußen, IPPNW-Vorsitzende; Daniela Dahn, Schrifststellerin, Prof. Dr. Wolfgang Däubler; Ina Darmstädter, Vorstand Friedensfestival Berlin e.V.; Prof. Dr. Jost Eschenburg, pax christi, Bistum Augsburg; Annegret Falter, IALANA Beiratsmitglied; Ulrich Frey, Mitglied im Vorstand der Martin-Niemöller-Stiftung e.V.; Dr. Heiner Fechner, Vorstände der IALANA, VDJ und EJDM; Prof. Dr. i. R. Albert Fuchs, Dr. Rolf Gössner, Jurist und Publizist; Dr. Peter Gerlinghof, Initiative Erinnern und Gedenken Sangerhausen; Prof. Dr. Ulrich Gottstein, IPPNW-Ehrenvorstandsmitglied; Ulrike Guérot, Prof. Europapolitik; Bernd Hahnfeld, IALANA, Gert Heidenreich, Schriftsteller und ehem. PEN-Vorsitzender West, Gisela Heidenreich, Buchautorin, Prof. Dr. i.R. Helwart Hierdeis, Erziehungswissenschaftler; Uwe-Karsten Heye, Journalist, Diplomat und Autor, Otto Jäckel, Rechtsanwalt, Vorsitzender der IALANA e.V.; Michael Karg, Propst i.R., Vorsitzender der Martin-Niemöller-Stiftung e.V., Joachim Kerth-Zelter, Rechtsanwalt, Bundesvorsitzender der  Vereinigung Demokratischer Jurristinnen und Juristen; Gerold König,
Pax christi Bundesvorsitzender; Karl-Wilhelm Lange, Regierungspräsident i.R.; Prof. Mohssen Massarrat, wiss. Beirat der IPPNW; Michael Müller, Bundesvorsitzender der Naturfreunde Deutschlands und Parl. Staatssekretär a.D.; Prof. Dr. Götz Neuneck, deutscher Pugwash Beauftragter der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler; Prof. Dr. Norman Paech, Völkerrechtler; Florian D. Pfaff, Major a.D., Sprecher des Arbeitskreises „Darmstädter Signal“; Matthias Platzeck, Vorsitzender des Deutsch-Russischen Forums; Dr. med. Lars Pohlmeier, IPPNW-Vorsitzender, Rüdiger Postier, Richter am Bundesverwaltungsgericht a.D.; Konrad Raiser, Theologe, ehem. Generalsekretär des Ökumenischen Rates der Kirchen; Rainer Rehak, stellv. Vorsitzender der Informatiker*innen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung e.V. (FifF), Clemens Ronnefeldt, Referent für Friedensfragen beim deutschen Zweig des internationalen Versöhnungsbundes; Pamela Rosenberg, ehem. Intendantin der Berliner Philharmoniker, Prof. Dr. Jürgen Scheffran, Physiker und Geograph; Thomas Schmidt, Co-Generalsekretär EJDM Europäische Vereinigung von Juristinnen und Juristen für Demokratie und Menschenrechte in der Welt e.V.; Prof. em. Dr. Dr.h.c. Dieter Senghaas, Friedens-, Konflikt- und Entwicklungsforscher; Amela Skiljan, stellvertretende Vorsitzende IALANA, Prof. Dr. i.R. Gert Sommer, Prof. für Klinische Psychologie und Konfliktforschung, Dr.h.c. Graf Sponeck, Beigeordneter UNO Generalsekretär a.D.; Prof. Johano Strasser, Politologe und Schriftsteller, ehem. Präsident des PEN-Zentrums Deutschland; Antje Vollmer, Bundestagsvizepräsidentin a.D., Peter Vonnahme, Richter am Bayer. Verwaltungsgerichtshof i.R., Mitglied von IALANA; Prof. Dr. Herbert Wulf, Burkhard Zimmermann „Initiative Neue Entspannungspolitik jetzt!“, Andreas Zumach, Journalist

 

Quelle: ippnw

Die IALANA zum Jahresende

Als Juristinnen und Juristen wissen wir, dass man erfolgreiche Verhandlungen zwischen Konfliktparteien nur führen kann, wenn man ihre wechselseitigen Interessen kennt und berücksichtigt. Nur so gelangt man zu einem Interessenausgleich. Im Verhältnis zu Russland scheint dies etwas aus dem Blick geraten zu sein. Ansonsten würden wir uns jetzt nicht in einer bedrohlichen Eskalationsspirale befinden, die fast schon an die Kuba-Krise 1962 erinnert. Damals hatten die USA der Sowjetunion mit einem Atom-Krieg gedroht, falls diese nicht die auf Kuba stationierten Atomraketen wieder abziehen würden. Als Gegenleistung für den Abzug der Raketen unmittelbar vor dem amerikanischen Festland handelte die Regierung in Moskau den Abzug der US-amerikanischen Atomwaffen aus Incirlik in der Türkei aus, von denen sie sich ihrerseits bedroht fühlte. Für ein entsprechendes Verhandlungsmoratorium haben sich nun eine Vielzahl ehemaliger deutscher Botschafter und Diplomaten und Militärs in einem gemeinsamen Appell ausgesprochen, darunter Klaus Naumann, der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr und ranghöchste deutsche NATO-General. Da diese eindringlichen Stimmen der Vernunft in der deutschen Presse kaum Gehör gefunden haben, fügen wir den Appell in der Anlage für Sie bei.

Weiterhin beigefügt finden Sie den Appell der IALANA an die alte und die neue Bundesregierung, für den wir über 300 prominente Erstunterzeichner gewinnen konnten und der von über 3000 weiteren Unterzeichnern unterstützt worden ist. Mit diesem Appell zu einem Umdenken in der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik und einer Beendigung der nuklearen Teilhabe haben wir gezeigt, dass die IALANA als wichtige Stimme der deutschen Friedensbewegung auch in den Zeiten der COVID 19 Pandemie kampagnenfähig sein kann.

Leider enthält der Koalitionsvertrag der Ampel im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik nur wenig Licht und viel Schatten. Erfreulich ist, dass Deutschland bei den Überprüfungskonferenzen zu dem Atomwaffenverbotsvertrag einen Beobachterstatus einnehmen will. Dies ist allerdings ein sehr kleiner Schritt auf dem noch weiten deutschen Weg zur Unterzeichnung und Ratifizierung des Vertrags. IALANA Deutschland hat mit dem beigefügten ersten Kommentar zu den Bestimmungen des Atomwaffenverbotsvertrags, der von Prof. Manfred Mohr gemeinsam mit dem Schweizer IALANA Juristen Daniel Rietiker verfasst worden ist, einen wichtigen Beitrag zur Verbreitung des Interesses und des Verständnisses zu dieser wichtigsten Initiative zu nuklearer Abrüstung seit der Unterzeichnung des Nichtverbreitungsvertrags einen fundamentalen Beitrag geleistet.

Enttäuschend ist das Festhalten an der nuklearen Teilhabe und die Entscheidung, die dafür geplante Neuanschaffung von 45 atomwaffenfähigen Jagdflugzeugen, die zum Ende der vergangenen Legislaturperiode lange umstritten war, jetzt umzusetzen. Warum es aus verfassungsrechtlicher und völkerrechtlicher Sicht geboten ist, sich von der nuklearen Teilhabe zu verabschieden, hat unser Vorstandsmitglied Bernd Hahnfeld in dem für Sie beigefügten Papier aktuell zusammengefasst.

Enttäuschend ist ebenfalls, dass die Koalition nun den Weg freimachen will für die Anschaffung bewaffneter Drohnen für die Bundeswehr. Dieser Schritt ist umso mehr abzulehnen, als die New York Times in den letzten Tagen berichtet hat, dass bei den Drohneneinsätzen der USA in Afghanistan, Pakistan und im Nahen Osten eine noch viel größere Zahl unbeteiligter Zivilisten getötet wurde, als bisher angenommen. Es handelt sich dabei ganz offensichtlich um ein strukturelles Einsatzproblem. Von einem gezielten Einsatz gegen feindliche Kombattanten, die das Leben und die Gesundheit unserer Soldaten bedrohen, womit für die Anschaffung bewaffneter Drohnen geworben wird, sind diese realen Erfahrungen mit deren Einsatz weit entfernt.

Auf der Zielgeraden befindet sich das von Gerhard Baisch federführend betreute Buchprojekt, das die IALANA gemeinsam mit der Vereinigung deutscher Wissenschaftler VDW zu dem Thema „Whistleblower Schutz“ bearbeitet. Dabei geht es um eine Evaluierung der Erfahrungen mit der 20-jahrigen Geschichte der Vergabe des Whistleblower Preises. Es wird insbesondere der Frage nachgegangen, wie sich der rechtliche und justizförmige Schutz von Whistleblowern entwickelt hat und welche Auswirkungen sowohl das Whistleblowing als auch die Preisverleihung auf das Leben der Preisträger hatte. Die Preisträger kommen dabei in Interviews selbst zu Wort. Angesichts der Tatsache, dass Deutschland es versäumt hat, die Whistleblower Schutzrichtlinie der EU fristgemäß in einem Bundesgesetz umzusetzen, wird das Buch auch ein wichtiger Beitrag in der weiteren politischen und gesetzgeberischen Debatte sein.

Liebe Mitglieder und Freundinnen und Freunde der IALANA,

die COVID-19 Pandemie hat wie bei allen anderen zivilgesellschaftlichen Initiativen auch bei uns dazu geführt, dass wir geplante Veranstaltungen vertagen mussten. Inzwischen nutzen wir jedoch erfolgreich die online-Kommunikation, wie wir mit unserem Webinar zu dem Thema  „Sind Atomwaffen illegal“, das auf großes Interesse gestoßen ist, gezeigt haben. Ebenso hat die Nutzung von Online Meetings dazu geführt, dass wir zwischen den Vorstandssitzungen in einem monatlichen Jour fixe und daneben in noch häufiger tagenden Arbeitsgruppen inzwischen noch intensiver untereinander kommunizieren, als dies vor der Pandemie der Fall war. Diese Kommunikation ist selbstverständlich für alle Mitglieder offen. Klinken Sie sich ein!

Ich möchte Sie an dieser Stelle herzlich darum bitten, uns weiterhin zu unterstützen, unsere Argumente und Expertisen zu verbreiten und uns auch finanziell durch Ihre Spende zu helfen. Sonst können wir solche Projekte wie das Whistleblower Buch und eine dringende Neugestaltung unserer Website, die in Zeiten der Online-Kommunikation noch wichtiger geworden ist, nicht stemmen.

Die aktuelle Eskalation des Konflikts in den Beziehungen zu Russland und China zeigt erneut: Frieden braucht Bewegung und zivilgesellschaftliches Engagement. Denken Sie an Ihre Überweisung an die IALANA! Die Spendenbescheinigung, mit der Sie Ihre Spende steuerlich vermindernd geltend machen können, folgt.

RA Otto Jäckel. Foto C. Stille

Otto Jäckel (Vorsitzender der IALANA). Foto: C. Stille.

Ich wünsche Ihnen und Ihren Familien erholsame Feiertage und ein friedliches neues Jahr

Ihr Otto Jäckel

Über die IALANA

„Die Propaganda-Matrix“ von Michael Meyen – Rezension

Vorweg: Zeitungen interessierten mich schon früh. Meine Eltern hatten zu DDR-Zeiten in Halle die LDZ (Liberal-demokratische Zeitung), Organ der Liberal-Demokratischen Partei Deutschlands (LDPD) abonniert. Die las ich bereits in jungen Jahren tagtäglich. Ansonsten hörte ich den Deutschlandfunk auf Mittelwelle, Westfunk, und später, als endlich ein Fernsehgerät (schwarz-weiß) im Haushalt war und wir nicht mehr zum Gucken zur Nachbarin mussten, sahen wir ARD, das erste Programm. Und damit u.a. die Tagesschau. Sie war sozusagen ein Korrektiv zu den SED-propagandandistisch gefärbten Nachrichten in der DDR. Die Aktuelle Kamera, Nachrichtensendung des DDR-Fernsehens, wurde eigentlich fast nie geschaut.

Mein Wunsch Journalist zu werden stand früh fest. Meine Mutter winkte ab. Was mich nicht abhielt, beim „Schulkurier“, einer von der Staatsbürgerkunde-Lehrerin an der in meiner Schule ins Leben gerufene Schulzeitung als Redakteur für Außerschulisches mit Freuden mitzuarbeiten.

Nach Berufsausbildung zum Elektromonteur und der Armeezeit stieg ich bei der SED-Bezirkszeitung Freiheit (heute Mitteldeutsche Zeitung) als Volkskorrespondent ein. Die Begeisterung für’s Reportieren und Schreiben war nicht eingeschlafen. Im Gegenteil! Schließlich unterbreitete mir mein Lokalredakteur die Offerte: Du kannst Journalist werden. „Wir delegieren dich.“ Fachschulstudium in Leipzig! Ich war geplättet, begeistert und dann aber bald auch hin- und hergerissen. Verbunden war die Offerte mit der Erwartung Kandidat und Mitglied der SED zu werden. Zwei Wochen haderte ich mit mir. Letztendlich schlug ich schweren Herzens dieses Angebot aus …

Im schicksalsträchtigen Jahr 1989 verschlug es mich über Ungarn in die BRD. Eines Tages traf mich mit Freunden, die der DDR ebenfalls den Rücken gekehrt hatten, in Koblenz. Hochdroben überm Deutschen Eck (!) in einem Restaurant auf der Festung Ehrenbreitstein schrieb ich eine Ansichtskarte an meine Lokalredaktion in Halle. Ich wünschte ihnen viel Glück für die neue Zeit nach der Wende. Nun, befand ich sinngemäß, könnten sie ja frei und frank von der Leber weg schreiben und eine gute Zeitungsarbeit machen. Ich weiß nicht, ob diese Ansichtskarte heute in Halle noch existiert. Allerdings schäme ich mich ein bisschen für diese Karte. Weiß ich doch längst: Waren es zu DDR-Zeiten ideologische Zwänge, die die journalistische Arbeit einschränkte, so haben Journalisten im Kapitalismus mit anderen Zwängen und hierzulande auch wieder mit welchen ideologischer Art zu tun, weshalb sie eben nicht immer frei von der Leber schreiben können. Die Publizistin Daniela Dahn formulierte es, glaube ich mich zu erinnern, einmal – das Allgemeine betreffend – so: Die Repressionen im jeweils anderem Staat waren andere, sind aber vielleicht in der Wirkung ähnlich.

Der Journalist Uli Gellermann (Rationalgalerie) zitiert Daniela Dahn: Auch deshalb muss die Schriftstellerin heute feststellen: „Ich wollte immer in einer Demokratie leben, aber nie im Kapitalismus“. Dahn war eine von denen, die in den Jahren 1989/90 versuchten, eine andere, eine bessere DDR zu erreichen. Wenn sie heute auf den kurzen, historischen Moment des „Wir sind das Volk“ zurückblickt, analysiert sie kühl: „Die Einheit war eine feindliche Übernahme auf Wunsch der Übernommenen. Für die Sieger war das schönste an der friedlichen Revolution, dass sie nichts revolutionierte. Das Neue bestand darin, den alten Spielregeln beizutreten.“ Und auch darin, dass „95 Prozent des volkseigenen Wirtschaftsvermögens in westliche Hände übergingen. Damit war über den Grad der Abhängigkeit der Neubundesbürger entschieden.“

Man verzeihe mir den kleinen Exkurs in die Vergangenheit. Nun aber zum Buch, das hier besprochen werden soll: „Die Propaganda-Matrix“ von Michael Meyen.

Auch jemand, der aus der DDR kommt. 1967 in Bergen auf Rügen geboren, wurde er bereits mit 11 Jahren Volkskorrespondent. Später schloss er ein Journalistikstudium an der Uni Leipzig ab. Seit 2002 ist er Professor für Allgemeine und Systematische Kommunikationswissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität München.

Der Journalismus ist tot“

Vom Rubikon-Verlag heißt es einleitend zum Buch: „Der Journalismus ist tot. Mit oder an Corona gestorben, nach langem Siechtum. Schon vorher war die „vierte Gewalt“ schwer krank, hing arbeitsunfähig und durchseucht von Politik am Tropf der Industrie. Das Virus hat dem Patienten nur den finalen Schlag versetzt. Im Untergang bekämpft der Medien-Mainstream alle bis aufs Messer, die seinen Job übernehmen könnten. Es wird verboten, verleumdet, zensiert und gelöscht. Wer die falschen Fragen stellt, wird zum Schweigen gebracht. Michael Meyen sagt: Medienkritik war gestern. Hört auf, die News der Propagandamaschine als Fakes zu entlarven. Schimpft nicht länger auf Tagesschau, Claus Kleber, Spiegel und die Zensurmaschine Google. Dass wir beständig manipuliert werden, wussten schon die weisen Alten: Edward Bernays, Walter Lippmann, Noam Chomsky. Nun aber ist es an der Zeit, deren Wissen ins Hier und Jetzt zu überführen — um zu verstehen, was gerade geschieht, vor allem aber als Anleitung für die so dringend nötige Medienrevolution.

Michael Meyen zerstört den Mythos der Leitmedien, befreit uns aus der Propaganda-Matrix und macht all jenen Mut, die sich für eine bessere, gerechtere Welt engagieren: Freiheit ist möglich, braucht jedoch einen vollkommen neuen Journalismus.“

Ist der gehörig auf den Hund gekommene Journalismus noch zu retten? Ulrich Teusch: „Pure Zeitverschwendung“, Leitmedien „nicht mehr reformierbar“

Zustimmung! Für mich selbst war der Journalismus mindestens seit 2014 (Ukraine-Krise) gehörig auf den Hund gekommen. Schweres Versagen in Sachen „vierte Gewalt“. Aber ja: Schon vorher war der Journalismus krank, siechte in der Tat schon dahin, wurde immer mehr zur „Lückenpresse“ (Ulrich Teusch) [hier]. „Tagesschau und Tagesthemen, Süddeutsche Zeitung und Spiegel auf Fehler und Auslassungen hinweisen, in Artikeln oder in Briefen an die Redaktionen?“ schreibt Meyen (S.206) auf die Frage hin, was zu tun sei. „’Pure Zeitverschwendung‘, sagt Ulrich Teusch, ein Politikwissenschaftler, der auch für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk gearbeitet und vor ein paar Jahren das Schlagwort „Lückenpresse“ populär gemacht hat. Den Beweis erbrachten „Volker Bräutigam und Friedhelm Klinkhammer, beide hochbetagt, der eine früher Redakteur der Tagesschau der andere mehr als dreißig Jahre als Jurist beim NDR, haben ab 2015 gut vierhundert Briefe an die Rundfunkräte im Norden, an Intendant Lutz Marmor und an Kai Gniffke geschickt, der in Hamburg für Tageschau und Tagesthemen zuständig war. (…) In den Beschwerden geht es um ‚Faktenfinderei‘ (‚unter aller Sau‘), um ‚Kampagnen‘, um ‚dreckigen Journalismus‘. Dann geben die beiden Männer auf.“ Immer habe es geheißen, es liege keine Verstoß vor. Inzwischen ist sich Teusch sicher, dass die Leitmedien ’nicht mehr reformierbar sind’“

Mein Verhältnis zur einst geschätzten Tagesschau, „DIE MACHT UM ACHT“, längst einen Knacks bekommen (hier).

Michael Meyen schreibt in seiner Leseanleitung (S.8/9): „’Lügenpresse halt die Fresse‘: „Dieser Satz steht in meinem Buch Breaking News (C.S; hier meine Rezension) und doch habe ich auch schon 2018 wieder an einem Zeitgeist vorbeigedacht, der sich längst einig war, dass uns die Regierenden betrügen oder wenigstens die Nachrichten manipulieren. Der Krieg in der Ukraine, die Flüchtlinge, CO 2 und das Klima, Donald Trump, überhaupt das Bashing der ‚Populisten‘. Und ich kam mit dem Imperativ der Aufmerksamkeit und mit der Idee, dass Journalismus und Medien ganz anders wirken als bisher gedacht. In Kurzform: „Es kann schon sein, dass das, was wir sehen, hören, lesen, etwas mit den Gefühlen macht, mit Einstellung, Wissen, Handeln.“

Michael Meyen befindet: „Aus der Medien-Epidemie ist eine Medienkatastrophe geworden“

Meyen weiter: „‚Die Medien-Epidemie‘ stand über einen Text, den ich am 18. März 2020 in meinem Blog Medienrealität veröffentlicht habe. Zitat: ‚Corona hat die Medienrealität gekapert, ohne dass die Redaktionen sich wehren konnten, weil der Imperativ der Aufmerksamkeit in einem kommerziellen Mediensystem auch die gebührenfinanzierten Angebote regiert. Corona ist Medienlogik pur. Journalismus war schon immer Selektion.“

Eine Seite weiter befindet der Autor: „Aus der Medien-Epidemie ist eine Medienkatastrophe geworden.“ Meyen verspricht nicht zu viel: „Dieses Buch sagt, wie es dazu kommen konnte, und weist so über den Tag hinaus. Es greift dafür tief in die Theoriekiste. Noam Chomsky natürlich und Propagandaforscher wie Jaques Ellul. Dazu Ulrich Beck, Niklas Luhmann und Nick Couldry, Michael Foucoult, Pierre Bourdieu und Chantal Mouffe, Walter Lippmann und Edward Bernays.“

Empfehlenswerte Autoren mit wichtigen Werken wie. Keine Angst, die Leser müssen sie nicht alle kennen (bekommen aber möglicherweise Lust, das eine oder andere später zu lesen). Meyen setzt uns verständlich ins Bild.

Vor allem aber schreibe ich über die Arenen, in denen die Welt entsteht, in der der wir leben, und in die wir eintauchen können“

Michael Meyen (S.11): „Die Matrix, aus der wir nicht entkommen können und die wir verstehen müssen, wenn wir sie umschreiben wollen. Deshalb schreibe ich über Herrschaftsverhältnisse, die sich auf die Macht stützen, Realität zu definieren, über das Wahrheitsregime der Gegenwart, über Propaganda und über das Filtermodell. Vor allem aber schreibe ich über die Arenen, in denen die Welt entsteht, in der der wir leben, und in die wir eintauchen können. Wenn uns nicht gefällt, was dort passiert.“

Warum also Matrix?

Meyen nimmt sich den Inhalt des bekannten Wachowski-Film „Matrix“ zu Hilfe. Der Autor schränkt jedoch ein (S.13): „Ich bin nicht Morpheus. Mir fehlt der Glaube, dass es nur einen Auserwählten braucht, um die Matrix zu zerstören. Ich glaube nicht einmal, dass man die Matrix überhaupt zerstören kann. Es geht deshalb in diesem Buh auch nicht um Zerstörung, sondern um Aufklärung und um das, was aufgeklärte Menschen aus der Matrix machen können. Blaue Kapsel oder rote Kapsel: Sie haben sich schon entschieden. Sonst würden Sie dieses Buch nicht lesen.“ Da liegt der Autor völlig richtig! Jedenfalls bei mir. Weiter: „Sie wissen genau wie Neo, der Held in dem Action-Klassiker Matrix, dass mit der Welt etwas nicht stimmt, die wir für die Wirklichkeit halten müssen, und wollen verstehen, wo und wie die Realität produziert wird, die man uns rund um die Uhr ins Haus liefert.“

Was für die Fische das Wasser ist, sind für uns die Medien“

Eingangs verweist der Autor auf einen Kollegen aus Amsterdam: Mark Deuze (S.10): „Wenn Fische reden könnten, sagt Mark Deuze, dann würden sie über das Wasser sprechen. Und was machen wir? Wir unterhalten uns über Algen, Quallen und Heringe, Plastikpartikel, Boote und vielleicht über die Badehose, die dort hinten blinkt. Wasser lassen wir Wasser sein. Nicht einmal auf dem Gymnasium gibt es entsprechende Kurse. Was für die Fische das Wasser ist, sind für uns die Medien.“

Im Verlaufe des Buches wird Michael Meyen zum Hering, der scharfäugig über die Welt der Medien fliegt. Klar, wer sich etwas vom Objekt entfernt, erhebt, sieht mehr. Erkennt wichtige Verzweigungen und vor allem wichtige Zusammenhänge. Was er seinen Lesern bietet, die ja nicht nur Leute, die „was mit Medien machen“, sind, sondern hoffentlich auch viele Medienrezipienten, sind glasklare und bei genauerer Betrachtung, einsichtige Analysen. Wobei Meyen gewiss zu gute kommt, dass er sowohl den Medienbetrieb in der DDR als auch den im Westen geprägten, dann den in Gesamtdeutschland kennt und ins Verhältnis setzen kann. Er erkennt sogar zuweilen Ähnlichkeiten trotz der einst zwei unterschiedlicher Gesellschaftssysteme. Und nicht zu vergessen: Meyen hat Zusammenbruchserfahrung, erlebte bereits als Journalist mit, wie ein Land sozusagen abschmierte. Was vielen Westdeutschen halt fehlt und sie deshalb manchmal mit gewisser Hybris und ja: auch naiv-tapsiger Ahnungslosigkeit – unterwegs sind, wie ich meine. Nach dem Motto: Wir sind die Guten. Sie könnten einer Täuschung unterliegen.

Michael Meyen tastet sich – als fliegender „Hering“ – über so interessante Kapitel wie „Die Definitionsmacht der Medien“ (S.25), „Das Wahrheitsregime“ (41), „Warum ich von Propaganda spreche“ (S.63) und „Das Filtermodel“ (S.76) im Buch voran. Alles interessant, alles drin, was verstanden werden sollte.

Dann hat er (S.101) das „Zwischenspiel: Wie ich Antisemit und Verschwörungstheoretiker wurde“ eingeschaltet.

Via Meyens Blog Medienrealität: „Sie planen eine Veranstaltung zum Thema „Israel, Palästina und die Grenzen des Sagbaren“? Sie möchten dort diskutieren, welche Folgen es für die Gesellschaft hat, wenn Parlamente die BDS-Bewegung als antisemitisch einstufen und so de facto öffentliche Kritik an der israelischen Regierungspolitik einschränken? Ich rate Ihnen: Überlegen Sie sich das noch einmal. Überlegen Sie vor allem, was hinterher alles über Sie im Internet stehen wird. Ein Erfahrungsbericht.

Zur Erinnerung: Am 7. November 2018 gab es eine Veranstaltung mit genau diesem Titel, in der Reihe „Medienrealität live“. Gast: Andreas Zumach, Journalist, seit 1988 Korrespondent in Genf und fraglos einer der wichtigsten Experten in Sachen Völkerrecht und Nahost. Anlass war der Anti-BDS-Beschluss des Münchener Stadtrats von Ende 2017. In Kurzform: keine Zuschüsse und keine Räume mehr für Personen und Organisationen, die die Kampagne „Boycott, Divestment and Sanctions“ unterstützen (vgl. Humanistische Union 2018).“

Nebenbei bemerkt: In Dortmund gab es ein ähnliches Hickhack. Der eben gleiche Vortrag von Andreas Zumach wurde schon im Vorfeld von den üblichen Verdächtigen angefeindet. Schließlich erklärte sich eine Kirche bereit, die Veranstaltung aufzunehmen. Draußen Protestierende, die bis zum Schluss noch auf ein Verbot der Veranstaltung gehofft hatten, drinnen hielt die örtliche DGB-Chefin eine vorsichtige Ansprache und verlas ein vom DGB verfasstes „Positionspapier“. Ich hatte meiner Redaktion vorgeschlagen, darüber zu schreiben. Schon das wurde beargwöhnt. Stimmte dann aber zu. Der verantwortliche Redakteur kam am Abend persönlich mit düsterem Gesicht in die Kirche, um nach dem rechten zu sehen. Bloß niemand auf den Schlips treten! Es war ein überaus interessanter Abend. Woran sich nichts Antisemitisches finden ließ. Ich schrieb den Bericht, lieferte ihn ab. Es hieß dann, er könne „so nicht veröffentlicht werden“. Dahinter steckte wohl die Befürchtung die Jüdische Gemeinde oder sonst wer könnte daran Anstoß nehmen. Ich veröffentlichte dann den Bericht auf meinen Blog.

Kontaktschuld!

Michael Meyen musste auch die unschöne Erfahrung machen, was „Kontaktschuld“ bedeutet. Das erste Mal, schreibt er im Buch, habe er auf der IALANA-Medientagung 2018 in der Jugendkulturkirche am Lutherplatz in Kassel von diesem Begriff – der zum Abstempeln (sagen wir: zum Diskreditieren) benutzt wird – gehört. Wessen hatte er sich schuldig gemacht? Ein Flugblatt im Vorfeld der Veranstaltung mit Andreas Zumach hatte verkündet: „Der Veranstalter Michael Meyen gab dem Querfrontaktivisten Ken Jebsen ein Interview und schreibt für das Querfrontmedium Rubikon .“

Weiter schreibt Meyen (S.111): „Außerdem wird meine Rezension der IALANA-Tagung in Kassel erwähnt: ‚eine ganze Ansammlung des Who-Is-Who der Freunde alternativer Fakten’“.

Anmerkung: ich selbst war auf der Tagung anwesend und empfand diese als äußerst interessant: hier mein Bericht. Leider hatten alle von der IALANA eingeladenen Medienvertreter von Leitmedien oder öffentlich-rechtlichen Medien abgesagt.

Die vier Arenen in denen Propaganda-Matrix

Nach diesem „Zwischenspiel“ folgt der m.E. wichtigste Part des Buches: die vier Arenen in denen Propaganda-Matrix entsteht. „Arena 1: Diskurs-Ordnung (S.124)“, „Arena 2: Medienlogik“ (S.144), „Arena 3 Medialisierung (S.160) und „Arena 4. Das Journalistische Feld“ (S.176)

Wir brauchen anders aufgestellte Medien

Was lernen wir aus diesem wertvollen Buch? Viel. Wir brauchen anders aufgestellte Medien. Meyen (S.212): „Warum erlauben wir, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk von der Politik und Wirtschaftslobbys kontrolliert wird? Müsste es nicht umgekehrt sein? Warum bezahlen wir Leitmedien, die behaupten, neutral und unabhängig zu sein, aber permanent PR für das kreative urbane Milieu machen und alles demontieren, was diesem Milieu in die Quere kommt? Und sollte der Rundfunk nicht denen gehören, die ihn finanzieren (müssen)?

Die Debatte möchte Michael Meyen nicht vorwegnehmen „und damit auch nicht viel konkreter werden“.

Wo der Schlüssel für die Zukunft liegt

Nach Walter Lippmann sieht Meyen den „Schlüssel für die Zukunft in den Schulen, an den Universitäten sowie an den Journalismusakademien und damit an den Orten, die für das prädestiniert sind, was Jacques Ellul soziologische Propaganda nennt“ liegen. „Hier werden die Botschaften verbreitet, die alle für selbstverständlich halten und später einfach nachplappern, wenn sie Filme drehen, Leitartikel schreiben oder Nachrichten sortieren. Zu einer Medienausbildung muss deshalb mehr gehören als das Training von Denkvermögen und Sprachsensibilität. Es braucht die Fähigkeit, gewissermaßen von außen auf die eigene Gesellschaft zu schauen. Vielleicht bedarf es dafür sogar eine Zusammenbruchserfahrung. Das, was Walter Lippmann und Karl Bücher mit dem Ersten Weltkrieg widerfahren ist und mir 1989 mit dem Ende der DDR“, so Michael Meyen. Ich kann mir das gut vorstellen.

Der Autor gibt zu bedenken: „Wer auf einer der Demos war und seine eigene Wahrnehmung mit dem verglichen hat, was die Leitmedien hinterher daraus gemacht haben, dürfte für den Rest seines Lebens gegen Leichtgläubigkeit geimpft sein.“

Der Weg in die Freiheit

Anzeichen dafür optimistisch zu sein? Vielleicht zu früh. Meyen bremst etwas ab: „Sie wissen auch, dass die Gegner der Freiheit in jeder der vier Arenen schier übermächtig sind.“ Man könne also ahnen, „dass jeder Weg in die Freiheit nahezu zwangsläufig aus ‚herrschenden Machtordnung“ hinausführen muss“.

Bombastisch gut, das Buch! Praktischerweise folgen die Fußnoten immer sofort dem jeweiligen Kapitel. Nach der Lektüre sind wir wieder ein Stück klüger. Und zum Nachdenken regt das klug und aus reichlich Erfahrung schöpfend geschriebene Werk obendrein noch an. Und ein klasse Cover, das nicht nur gut ausschaut, sondern sich auch gut anfühlt! Beim Aufblättern fällt einen weiß auf schwarz der Satz ins Auge: „Die Zukunft gehört den Mutigen.“ So sei es! Michael Meyen sagt, was ist. Leitspruch von Rudolf Augstein für das ehemalige Nachrichtenmagazin Spiegel. Der tut das längst nicht mehr. Der macht Propaganda. Der Ausspruch „Sagen, was ist“ war nach Wikipedia bereits 1906 von Rosa Luxemburg als Paraphrase eines Ausspruchs von Ferdinand Lassalle 1862 geprägt worden: „Wie Lassalle sagte, ist und bleibt die revolutionärste Tat, ‚das laut zu sagen, was ist’“

Meyen lässt auch ein wenig durchblicken, was sein könnte. Doch momentan sind die Zeiten nicht so. Oder werden wir vielleicht doch bald einen Kipppunkt erleben und damit Zusammenbruchserfahrung gewinnen? Nachdem der Flutkatastrophe und dem Afghanistan-Desaster drängst sich fast so ein Gefühl auf …

Michael Meyen

Die Propaganda-Matrix

Der Kampf für freie Medien entscheidet über unsere Zukunft

  • Softcover
  • 224 Seiten
  • 1. Auflage
  • 20,5 cm x 13,5 cm
  • Erscheinungsdatum: 20.07.2021
  • Artikelnummer 978-3-96789-020-4
  • 18,00 Euro

Zur Person Michael Meyen

1992 Diplomjournalist, 1995 Promotion, 2001 Habilitation, alles in Leipzig. 2001/2002 Gastprofessur an der TU Dresden. Seit April 2002 Professor für Allgemeine und Systematische Kommunikationswissenschaft an der LMU. Schwerpunkte: Journalismus und Medienorganisation, DDR, Fachgeschichte der Kommunikationswissenschaft, qualitative Methoden (Short version in english – PDF). Best Paper Award der ICA, Communication History (2010 und 2015, jeweils mit Anke Fiedler). Co-Sprecher des bayerischen Forschungsverbundes „Fit for Change“ (Laufzeit 2013 bis 2017). Initiator und 2018 bis 2020 Co-Sprecher des bayerischen Forschungsverbundes „Zukunft der Demokratie“ (Laufzeit bis 2022), Sprecher des BMBF-Forschungsverbundes „Das mediale Erbe der DDR“ (2018 bis 2022). 

Michael Meyen (* 1967 in Bergen auf Rügen) ist ein deutscher Kommunikationswissenschaftler. Seit 2002 ist er Professor für Allgemeine und Systematische Kommunikationswissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Quelle: Wikipedia

IALANA: Ächtung von Atomwaffen ist Einsatz für Menschenrechte und den Schutz der Umwelt

Das epochale Gutachten des Internationalen Gerichtshofs zur Rechtswidrigkeit von Atomwaffen ist nach 25 Jahren aktueller denn je, sagen Otto Jäckel und Amela Skiljan von IALANA Deutschland aus Anlass des 25. Jahrestags der Veröffentlichung des Gutachtens am 08. Juli 1996.  
Der Einsatz von Atomwaffen und schon die Drohung damit stehen generell im Widerspruch zu den in einem bewaffneten Konflikt verbindlich anzuwendenden Regeln des internationalen Rechts, insbesondere den Regeln des humanitären Völkerrechts. Dies ist die zentrale Erkenntnis des wichtigsten Rechtsprechungsorgans der Vereinten Nationen mit Sitz in Den Haag.

Eine Initiative der Zivilgesellschaft

Zur Erstattung des Gutachtens beauftragt worden war der IGH durch eine Resolution der Generalversammlung der Vereinten Nationen im Dezember 1994. Diesem Beschluss vorausgegangen war eine zivilgesellschaftliche Kampagne, initiiert von IALANA, IPPNW und dem von Bertha von Suttner gegründeten Internationalen Friedensbüro IPB, der sich weltweit über 2.000 Initiativen angeschlossen hatten und die dem Gericht im Friedenspalast von Den Haag über eine Million Unterschriften übergab.

Atomwaffenfreie Zonen und UN-Resolutionen

Das Gericht hatte sich bei seiner Untersuchung zunächst mit den bestehenden internationalen Verträgen und UN-Resolutionen beschäftigt, die sich mit Atomwaffen befassen und war zu dem Ergebnis gekommen, dass noch keine vertraglichen oder gewohnheitsrechtlichen Regeln bestünden, nach denen der Einsatz von Atomwaffen in jedem Fall erlaubt oder verboten sei. Ein Verbotsvertrag wie für biologische oder chemische Massenvernichtungswaffen bestand zu dieser Zeit noch nicht. Wegen der regionalen Begrenztheit der Verträge von Tlatelolco, Rarotonga, Bangkok und Kairo über die Errichtung von atomwaffenfreien Zonen in Südamerika, im Südpazifik, in Südasien und in Afrika sowie wegen der Gegenstimmen gegen die Vielzahl von Resolutionen in der Generalversammlung der Vereinten Nationen, mit denen die Atomwaffenmächte zur Abrüstung aufgefordert worden sind, könne noch nicht von einer allgemeinen Rechtsansicht (opinio juris) gesprochen werden, wonach Atomwaffen per se rechtswidrig seien.

Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der militärischen Mittel

Das Gericht hatte sich sodann den im bewaffneten Konflikt einzuhaltenden Regeln der Charta der Vereinten Nationen und des humanitären Völkerrechts zugewandt und folgendes festgestellt. Das Recht auf Notwehr in Art. 51 UN-Charta, wonach jeder Staat das Recht hat, sich gegen einen bewaffneten Angriff zur Wehr zu setzen, bis der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen sich der Sache angenommen hat, unterliege bestimmten Einschränkungen, die sich aus den Grundsätzen der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit ergeben. Es gibt eine besondere gewohnheitsrechtliche Regel, wonach nur Maßnahmen gerechtfertigt sind, die zu dem bewaffneten Angriff im Verhältnis stehen und notwendig sind, um ihm zu begegnen (Ziffer 41 des Gutachtens).

Die Regeln des humanitären Völkerrechts

Darüber hinaus muss nach Ansicht des IGH jede der Verteidigung dienende Gewaltanwendung zugleich die für bewaffnete Konflikte verbindlichen Bedingungen des humanitären Völkerrechts erfüllen. Dazu zählen insbesondere das „Haager Recht“ über die Gesetze des Landkriegs, das die Mittel und Methoden beschränkt, den Feind in einem internationalen bewaffneten Konflikt zu schädigen, das „Genfer Recht“, das die Kriegsopfer schützt und darauf abzielt, das Leben kriegsunfähiger Angehöriger der Streitkräfte und unbeteiligter Personen zu schützen und schließlich das Recht, mit dem die Anwendung bestimmter Waffen wie erstickende Gase, Dumdum-Geschosse, die sich im Körper aufpilzen, biologische und chemische Waffen und Anti-Personen-Landminen verboten werden. Im Ergebnis gelangte er zu der Feststellung, dass Atomwaffen generell gegen das Humanitäre Völkerrecht verstoßen, weil deren Waffenwirkung nicht zwischen Kombattanten und Zivilisten unterscheidet, sie durch ihre radioaktive Strahlung unnötige Qualen verursachen und zu Schäden an der Umwelt und den Lebensgrundlagen der Menschen für zukünftige Generationen führen.

Das Neutralitätsgebot

Zudem verstoßen Atomwaffen gegen das Neutralitätsgebot, wonach das Territorium neutraler Mächte unantastbar ist, wie es schon in Artikel 1 des Haager Übereinkommens über die Rechte und Pflichten  neutraler Mächte und Personen im Falle der Landkriegführung von 1907 hieß. Der Gerichtshof stellte klar, dass dieses Neutralitätsprinzip sich auch auf Schäden bezieht, die durch den Waffeneinsatz in einem kriegführenden Land  verursacht werden.

Eine fiktive Zusatzfrage der Atommächte, die der IGH unbeantwortet ließ

Die Nuklearmächte berufen sich stets darauf, dass der IGH im Tenor seines Gutachten auch erklärt hat, er könne angesichts der gegenwärtigen Lage des Völkerrechts und angesichts des ihm zur Verfügung stehenden Faktenmaterials nicht definitiv die Frage entscheiden, ob die Androhung oder der Einsatz von Atomwaffen in einer extremen Selbstverteidigungssituation, in der die Existenz eines Staates auf dem Spiel stünde, rechtmäßig oder rechtswidrig wäre. Aus dem Kreis der Atomwaffenstaaten war argumentiert worden, dass der Einsatz von Atomwaffen in einer extremen Notwehrsituation jedenfalls dann erlaubt sein müsse, wenn es sich bei den eingesetzten Atomwaffen um „saubere“ Atomwaffen mit niedriger Sprengkraft handele. Die Aussage des Gerichts hierzu war der Tatsache geschuldet, dass nach der Feststellung des IGH keiner der Staaten, die für die Rechtmäßigkeit der Anwendung von Atomwaffen eintreten, in dem Verfahren näher ausgeführt hatte, welche die genauen Bedingungen eines solchen ausnahmsweise zulässigen Einsatzes sein sollten und welche Eigenschaften angeblich „saubere“ Atomwaffen haben könnten.

Keine offene Hintertür für Nuklearmächte

Wie der seinerzeitige Präsident des IGH, Mohammed Bedjaoui, in einer Besprechung des Gutachtens erklärte, bekundete der Gerichtshof mit dieser Passage lediglich seine fehlende Information über die von den Atomwaffenstaaten behauptete mögliche Entwicklung von „sauberen“ Atomwaffen. Nach seiner Überzeugung sei gerade die bei der Explosion von Atomwaffen freigesetzte radioaktive Strahlung die typische Eigenschaft von Atomwaffen, die gegen das humanitäre Völkerrecht verstoße. „Saubere“ Atomwaffen, die keine radioaktive Strahlung verursachten, seien eben keine Atomwaffen mehr. Entscheidend bleibt somit, dass der IGH in den Gründen seines Gutachtens wiederholt betont hat, Notwehr sei nur mit Waffen erlaubt, deren Anwendung den Prinzipien und Regeln des humanitären Völkerrechts nicht widersprechen; der IGH hat erklärt, dass das Notwehrrecht nach Art. 51 UN-Charta durch das humanitäre Völkerrecht eingeschränkt ist, „welche Mittel der Gewalt auch eingesetzt werden.“ Damit ist Notwehr mit Atomwaffen grundsätzlich völkerrechtlich verboten, weil diese nach dem gegenwärtigen Stand der Waffentechnik nicht zwischen Zivilisten und Kombattanten unterscheiden, vor allem durch ihre radioaktive Strahlung unnötige Qualen verursachen, die Umwelt und die Grundlagen zukünftigen Lebens zerstören und neutrale Staaten grenzüberschreitend in Mitleidenschaft ziehen. Zudem kann durch die ausdrückliche Erklärung des IGH, dass er über den Einsatz von Atomwaffen in einem bestimmten Szenario unter bislang unbekannten Bedingungen keine Entscheidung treffe, nicht der Schluss gezogen werden, er habe diese Frage in dem Sinne beantwortet, der Einsatz in diesem Szenario sei völkerrechtlich zulässig. Eine Frage offen zu lassen heißt eben gerade nicht, sie zu bejahen.

Die doppelte Pflicht, in gutem Glauben zu verhandeln und mit dem Ergebnis der vollständigen atomaren Abrüstung abzuschließen
 
Einstimmig vertrat der Gerichtshof schließlich die Rechtsauffassung, aus Artikel 6 des Nichtverbreitungsvertrags und aus den Regeln des humanitären Völkerrechts ergebe sich die Verpflichtung, Verhandlungen in gutem Glauben fortzusetzen und abzuschließen, die zu atomarer Abrüstung in allen ihren Aspekten unter strikter und effektiver internationaler Kontrolle führen.

Der Atomwaffenverbotsvertrag, die Bundesregierung und die „nukleare Teilhabe“

Die Tatsache, dass die Atommächte sich beharrlich weigern, ihrer Pflicht zur Verhandlung über eine vollständige nukleare Abrüstung nachzukommen, führte erneut die Zivilgesellschaft auf den Plan. Die Internationale Kampagne gegen Atomwaffen ICAN initiierte erfolgreich die Verhandlungen über den Abschluss eines Atomwaffenverbotsvertrags unter der Ägide der Vereinten Nationen. Der Vertrag trat am 22. Januar 2021 in Kraft. Die noch im Amt befindliche Bundesregierung folgte dem Aufruf der US-Regierung an alle NATO-Staaten, sich nicht daran zu beteiligen. In dem Jahresabrüstungsbericht 2020 von Außenminister Maas vom 04. Mai 2021 lesen wir dazu auf Seite 22: „Der Atomwaffenverbotsvertrag ist mit Deutschlands bündnispolitischen Verpflichtungen und insbesondere mit der nuklearen Teilhabe in der NATO unvereinbar“.

Dabei ist bezeichnend, dass die Bundesregierung in ihrem Bericht die Regeln des humanitären Völkerrechts in richtiger Weise präzise benennt, wenn es z.B. um das VN-Waffenübereinkommen geht, das das Verbot oder die Beschränkung des Einsatzes konventioneller Waffen zum Gegenstand hat, die übermäßige Leiden verursachen oder unterschiedslos wirken können (S. 40), bezüglich des Einsatzes von Atomwaffen diese Regeln jedoch völlig ignoriert.

Damit geht einher, dass die Bundesregierung sich mit den Jagdfliegern der Bundesluftwaffe auch im kommenden Herbst wieder an der Atomkriegsübung „Steadfast Noon“ beteiligen will.

Diese Haltung der Bundesregierung befindet sich im offenen Widerspruch zu ihren völkerrechtlichen Verpflichtungen. Eine Auseinandersetzung der Bundesregierung mit dem humanitären Völkerrecht in der höchstrichterlichen Interpretation durch den IGH findet nicht statt. Wenn ihre Vertreter darauf angesprochen werden, flüchten sie sich im Zweifel mit dem Argument, Atomwaffen seinen ja nur „politische Waffen“, die niemand anwenden wolle, aus der Diskussion. Eine öffentliche Debatte  hierzu ist überfällig. Initiator dieser Debatte wird wiederum die Zivilgesellschaft sein müssen, so Otto Jäckel und Amela Skilian abschließend.



Otto Jäckel                                         Amela Skiljan

Otto Jäckel (Vorsitzender der IALANA). Foto: C. Stille.

Quelle: Pressemitteilung IALANA