Deutsche Medien über Gaza: Die Sprache des Kolonialdünkels

Israel führt einen brutalen Rache- und Vernichtungsfeldzug gegen Palästinenser. Das Leid der seit Jahrzehnten Unterdrückten kommt in deutschen Medien aber kaum vor. Sie gelten als Terroristen und Lügner. Mit dem Holocaust hat das wenig zu tun. Es ist das Denken ehemaliger Kolonialherren.

Von Susan Bonath

Die westliche Doppelmoral zeigt sich in der Berichterstattung über Israel und Palästina besonders deutlich. Einerseits trommelt das Establishment für „Demos gegen rechts“. In seiner Propagandashow gebärdet es sich als „antirassistisch“ und „weltoffen“, Medien wettern „gegen Hass und Hetze“. Das ist nur dünne Makulatur. Tatsächlich unterstützt der Westen mit Israel genau das Gegenteil: einen rassistischen Staat, der aggressiven, mörderischen Siedlerkolonialismus betreibt – zulasten der indigenen Bevölkerung.

Die Wortwahl, derer sich deutsche Medien in Sachen Palästina und Israel bedienen, ist die Sprache der ehemaligen Kolonialherren, beherrscht vom Habitus, einer kulturell überlegenen Gruppe oder Ethnie anzugehören, die „unzivilisierten“ Nichtweißen zeigen müsse, wo der Hammer hängt. Freilich, man drückt sich heute gewählter aus als vor 150 Jahren. Was einst „die weiße Rasse“ war, sind heute „kulturelle Werte“. Doch der Kern des dahinter verborgenen Denkens ist derselbe wie einst.

Von „lügenden Terroristen“ und „wahren Demokraten“

Die Geschichte der heutigen „Vorzeigedemokratie“ USA ist eine Geschichte der Barbarei und des Völkermords. Unter dem Label „zivilisatorischer Überlegenheit“ rotteten die europäischen Siedler den größten Teil der indigenen Bevölkerung bestialisch aus. Auf ihr Konto gehen mehr als acht Millionen Tote: durch Vertreibungen, Massaker, Entzug der Lebensgrundlagen und Aushungern. So rechtfertigten sie auch die Verschleppung, Versklavung und Vernichtung von Millionen Afrikanern.

Damals erzählten die Kolonialherren, sie brächten unterentwickelten Barbaren-Völkern – heute nennt man sie meist „Terroristen“ – endlich die Zivilisation: kriegerisch, bewaffnet, durch Versklavung, Vertreibung und Massenmord. Heute wurden die Kolonialherren zu „westlichen Werten“ entpersonifiziert, also „Werte“, die Armeen der „zivilisierten Welt“ in die Länder „unzivilisierter Terroristen“ und „Islamisten“ bomben. Die Sprache ist seichter geworden, der Effekt ist gleich geblieben: Vernichtung.

Kolonialherren redeten schon immer so. Wenn sich vermeintlich „Unzivilisierte“ gegen die Unterdrücker wehren, nennen sie es Terrorismus und Barbarei. Wenn sie selbst die „Unzivilisierten“ zu Abertausenden zerbomben und massakrieren, nennen sie es „Kampf gegen den Terror“. Es ist eine Sprache der Entmenschlichung, gehüllt in dünnen Firnis, um ihren eigenen kolonialen Terror zu verschleiern.

Wenn absichtlich ausgehungerte „Unzivilisierte“ an Nahrungsmittel für ihre vom Hungertod bedrohten Kinder zu gelangen versuchen, nennen Kolonialherren das plündern. Nur „kulturlose Unmenschen“ plündern. Wenn sich „die Zivilisierten“ in Supermärkten gegenseitig Klopapier wegschnappen und Desinfektionsmittel in Krankenhäusern klauen, sind das „Hamsterkäufe“. Hamster sind putzige Tierchen.

„Barbaren“ lügen immer, heißt es. So kommt es, dass Palästinenser heute sogar ihr Verhungern und ihr Massensterben durch israelische Bomben und Einfuhrblockaden selbst beweisen müssen. Trotzdem gelingt ihnen das nicht einmal mit massenhaftem fotografischem Beweismaterial, das in digitaler Echtzeit um die Welt geht. Man glaubt ihnen nicht, weil es eine „Hamas-Behörde“ meldet, „Barbaren“ also.

Die Clique der Kolonialherren sieht sich dagegen selbst als den Hort der Wahrheit. Was Israels Armeesprecher Daniel Hagari verkündet, genießt den Glaubensvorschuss der westlichen Presse stets. Entpuppt es sich doch einmal als Lüge, war es ein Versehen, das man selbstverständlich „prüfen“ werde. Das sei bei „wahren Demokraten“, anders als bei „lügenden Terroristen“, selbstverständlich.

Wertewestlicher Überlegenheitsdünkel

Das brutale Unterdrücken, Foltern, Terrorisieren und Töten Entmenschlichter verharmlosen die Täter heute wie damals als „notwendigen Kampf für die Zivilisation“. Israel ging lange vor dem 7. Oktober mit Palästinensern so um. Die Überheblichkeit der Täter kommt mal als „Demokratie und Freiheit“, mal als „westliche Werte“ daher. Gegenwehr von „Unzivilisierten“ gilt als Beleg für einen „primitiven Charakter“ – eine Art genetisches Manko. Wenn Hunde ihren Herren beißen, werden sie erschossen. Palästinenser werden regelmäßig einfach so erschossen.

In den Augen von Israels Verteidigungsminister Joaw Galant sind Palästinenser „menschliche Tiere“. Tiere kann man in Käfigen halten, foltern und nach Belieben töten. Tiere brauchen keine menschliche Nahrung, da reicht auch Tierfutter. Wenn ihre Babys daran sterben, nimmt man das hin wie das Ausräuchern einer Mäuseplage. Mit Kindern von „Terroristen“ kennt der gute „Demokrat“ kein Mitgefühl, sie werden zur gesichtslosen Masse ähnlich wie Ameisen im Hinterhof: Das ist das Gesicht des Rassismus.

Genau das praktiziert Israel nicht nur derzeit im Gazastreifen, sondern seit langem: Vertreibungen, Brandschatzungen, extralegale Verhaftungen, Folterungen und Tötungen sogar von Kindern durch marodierende Besatzersoldaten und verharmlosend als Siedler bezeichnete aggressive Paramilitärs sind seit Jahrzehnten Alltag im besetzten Palästina.

Der Westen hat sich seit 1948 nie wirklich um die von Israel unterdrückten Palästinenser geschert. Es liegt eher nicht an der scheinheiligen „Vergangenheitsbewältigung“ im Zuge des Holocaust, dieser brutalen, von Deutschen erdachten Vernichtungsmaschine, mit der die Nazis Millionen von Juden, Roma und Sinti, Slawen und Kommunisten ausrotteten. Auch dieses „Gedenken“ ist dünne Makulatur, die den wertewestlichen Überlegenheitsdünkel überzieht, der sich in einer imperialistischen Bündnisarmee realisiert, diesem kriegerischen, expansiv marodierendem Zusammenschluss ehemaliger Kolonialmächte und Vasallen.

Heute will der Westen „gut sein“. Die pseudowissenschaftliche Idee von einer „kulturellen Überlegenheit“ verleugnet er ganz eisern. Er schiebt sie irgendwelchen Randgruppen in die Schuhe, die er als Neonazis präsentiert, während er die echten Nazis und Faschisten ignoriert. Und doch sickert diese Idee aus den zuschreibenden Adjektiven der wertewestlichen Propaganda bis in die Köpfe vieler Leser, und doch bestimmt sie die Politik. Man muss nur genau hinsehen, um fündig zu werden.

Quelle: RT DE

Beitragsbild: © Claus Stille

Hinweis: Gastbeiträge geben immer die Meinung des jeweiligen Autors wieder, nicht meine. Ich veröffentliche sie aber gerne, um eine vielfältigeres Bild zu geben. Die Leserinnen und Leser dieses Blogs sind auch in der Lage sich selbst ein Bild zu machen.

Passend zum Thema empfehle ich die soeben erschienene Broschüre „Israel – Vom Opfer zum Täter zum Opfer – ein Hin und Her seit 80 Jahren“ von Peter Hänseler / René Zittlau.

Anbei empfohlen:

Thomas Stimmel spricht mit Abed Hassan.

„Israel – Vom Opfer zum Täter zum Opfer – ein Hin und Her seit 80 Jahren“ – Eine Broschüre von Peter Hänseler und René Zittlau. Rezension

Der Krieg Israels in Gaza nach dem Überfall der Hamas auf das Land am 7. Oktober 2023 mit inzwischen ca. 30.000 getöteten palästinensischen Menschen (davon ca. 12.000 Kindern!), einem nahezu komplett zerstörten Gazastreifen, 1,7 Millionen Vertriebenen, nach Jahrzehnten der Apartheid , hinterlässt eine von Hungersnot bedrohte Bevölkerung. Die seitens israelischer Politiker offen geäußerte genozidalen Absichten der rechtsextremen Regierung in Tel Aviv sind ein erbärmliches Schreckenszeugnis.

Seit über 128 Tagen wird Gaza zerbombt. 50% aller Häuser sind zerstört, darunter Krankenhäuser, Schulen, Kindergärten, Bäckereien usw. Der Zugang zu Wasser, Nahrungsmittel und Strom ist unterbrochen. Hunderte Ärzte, Medizinpersonal, Krankenwagen und Apotheken können ihre Arbeit
nicht mehr fortsetzen.

Fast 70.000 Menschen sind verwundet, mehrere tausend Körper liegen unter Trümmern und können nicht bestattet werden. Menschen die schon mehrmals in den letzten 75 Jahren aus ihren Dörfern oder Flüchtlingslagern vertrieben wurden, sind wieder auf der Flucht. Es wurde viel Leid, Zerstörung, Angst und Hass gesät. Bis jetzt sind mehr als 17.000 Kinder zu Waisenkindern geworden.

Massenmord in Gaza

Wie anders soll man das bezeichnen, was da in Gaza stattfindet – als Massenmord? Zudem kommt noch ein rigoroses Plattmachen der dortigen Infrastruktur. Auch vor Moscheen und Kirchen wird kein Halt gemacht. Die noch am Leben gebliebenen Palästinenser werden Richtung Rafah vertrieben. Aber auch dort sind sie keinesfalls sicher. Es fehlt allenthalben am Nötigsten zum Leben. Eine zweite Vertreibung der Palästinenser. Ist es da falsch von einer weiteren Nakba (Katastrophe) sprechen, die im Gange ist?

Israel will sich offenbar der Palästinenser endgültig entledigen. Will man sie in die Wüste, nach Ägypten treiben? Dies wird Kairo aus verständlichen Gründen nicht hinnehmen. Auch würde ja Israel diese Vertriebenen nie wieder in deren Heimat zurücklassen.

Die ethnische Säuberung Palästinas“

Von Ilan Pappe stammt das Buch „Die ethnische Säuberung Palästinas“, welches zu lesen ich unbedingt empfehle. Ilan Pappe ist der Sohn deutscher Juden, die als Folge der Machtergreifung Adolf Hitlers nach Palästina gekommen waren.

„Ihre Lebensgeschichte“ schreibt er im Vorwort zur aktuellen deutschen Ausgabe seines Buches, seine Eltern betreffend, „und das, was mit ihren Familienangehörigen geschah, ist einer der Hauptgründe für die tiefgehende Verpflichtung, die ich empfinde, die Geschichte der Nakba auch deutschen Lesern zu vermitteln.“

Und weiter «Aber auch jenseits meiner persönlichen Geschichte fühle ich, dass die Geschichte der Nakba auf Deutsch eine besondere Bedeutung hat. Wie schon der palästinensische Intellektuelle Edward Said sagte, sind die Palästinenser „die Opfer der Opfer“. Deshalb gibt es eine besondere deutsche Verantwortung für das, was die zionistische Bewegung und später der Staat Israel den Palästinensern angetan haben.«

Es sei seine Absicht gewesen, so Pappe, „zu verdeutlichen, dass die ethnischen Säuberungen von 1948 und vergleichbare israelische Aktionen bis heute das Ergebnis der siedlerkolonialistischen Ideologie ist, die in der indigenen Bevölkerung keine gleichwertigen Menschen sieht“. Und: „Die Dehumanisierung der Palästinenser ist ein wichtiger Bestandteil der zionistischen Ideologie (nicht von Anfang an, sondern erst ab dem Augenblick, an dem die zionistischen Führer Anfang des Zwanzigsten Jahrhunderts beschlossen, dass der einzige Weg sich des europäischen Antisemitismus zu erwehren, die Kolonisation Palästinas sei). Der einzige Weg, die Kolonialisierung zu vollenden, so wie es in Nordamerika geschah, in Australien und Süd-Afrika, war, sich der ursprünglichen Bevölkerung zu entledigen.“

Israel – Vom Opfer zum Täter zum Opfer – ein Hin und Her seit 80 Jahren“

Ähnlich sehen es auch die Autoren Peter Hänseler und René Zittlau – fußend auf ihren akribischen Recherchen – in der soeben im pad-Verlag erschienen Broschüre „Israel – Vom Opfer zum Täter zum Opfer – ein Hin und Her seit 80 Jahren“.

Zu dieser Broschüre lesen wir:

«Die Menschen in Palästina sind im übertragenen Sinn Opfer der jüdischen Opfer des verbrecherischen NS-Regimes. Das Versprechen einer Zwei-Staaten-Lösung wird von Israel und seinen Verbündeten sabotiert. Der Krieg in Gaza ist nicht ein Krieg zwischen zwei Staaten, sondern zwischen Besatzern und Besetzten. Die Blockade jeglicher Zufuhr von Energie, Wasser, Nahrungsmitteln und Medikamenten nach Gaza, die Zerstörung humanitärer und lebensnotwendiger Infrastruktur wie Krankenhäuser und Schulen nimmt bewusst die Zivilbevölkerung ins Visier und verantwortet deren totale Ausrottung. Der Krieg gegen Gaza ist ein Genozid. Die Gleichsetzung von Jüdinnen und Juden mit Israel, die Enthistorisierung eines langen schwelenden Konfliktes wird durch das undemokratische Konstrukt von „Staatsraison“ und „bedingungsloser Solidarität“ zur Teilhabe an Kriegsverbrechen.

Deutschland macht sich in doppelter Weise mitschuldig am Verbrechen des Völkermordes: durch den geschichtlichen Holocaust an den Jüdinnen und Juden, sowie beim gegenwärtigen Genozid an den Palästinenserinnen und Palästinensern und deren Vertreibung aus ihrer angestammten Heimat.«

Und weil sich Deutschland in doppelter Weise mitschuldig am Völkermord in Gaza macht, stellte Jürgen Todenhöfer kürzlich Strafanzeige gegen die Bundesregierung:

„Ich habe heute Strafanzeige gegen Mitglieder der Bundesregierung wegen Beihilfe zu Kriegsverbrechen nach §8 und §11 Völkerstrafgesetzbuch erstattet. Die Regierung Netanyahu begeht in Gaza schwerste Kriegsverbrechen. Die Ampel leistet hierzu politisch und militärisch Beihilfe. Unter anderem durch eine Verzehnfachung ihrer Rüstungsexporte an Israel seit Kriegsbeginn. Diese Beihilfe zu Kriegsverbrechen ist strafbar. An der Strafanzeige beteiligt sich ein aus Gaza stammender Deutscher, der bei einem der Angriffe Israels auf Gaza einen Großteil seiner Familie verloren hat. Vertreten werden wir bei unserer Strafanzeige durch die Berliner Strafrechtskanzlei Buse, Herz und Grunst. Als langjähriger Bundestagsabgeordneter, als ehemaliger, kurzzeitiger Strafrichter in einem Terrorismus-Prozess und als deutscher Staatsbürger erwarte ich eine Grundsatz-Entscheidung der deutschen Gerichte zu dieser zentralen juristischen und moralischen Frage der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik. Das Grundgesetz verlangt von allen Deutschen, „dem Frieden der Welt zu dienen“. Und nicht den Kriegen westlicher oder pro-westlicher Staaten, die erkennbar mit Selbstverteidigung nichts zu tun haben. Der Generalbundesanwalt steht vor einer schwierigen juristischen und auch politischen Aufgabe. Er darf dem zu erwartenden Druck der Bundesregierung nicht nachgeben. Auch er hat „dem Frieden der Welt zu dienen.“ Zusammen mit dem Bundesverfassungsgericht ist er unsere wichtigste Hoffnung bei der Verteidigung unseres ausdrücklich friedliebenden Grundgesetzes und unserer rechtsstaatlichen Demokratie. Die einschlägigen Bestimmungen des Völkerstrafgesetzbuchs haben folgenden Wortlaut. Ihre Klarheit lässt keine Zweifel an der Rechtswidrigkeit der israelischen Kriegsführung aufkommen: „§ 11: Kriegsverbrechen des Einsatzes verbotener Methoden der Kriegsführung (1) Wer im Zusammenhang mit einem internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt 1. mit militärischen Mitteln einen Angriff gegen die Zivilbevölkerung als solche oder gegen einzelne Zivilpersonen richtet, die an den Feindseligkeiten nicht unmittelbar teilnehmen, 2. mit militärischen Mitteln einen Angriff gegen zivile Objekte richtet, solange sie durch das humanitäre Völkerrecht als solche geschützt sind, namentlich Gebäude, die dem Gottesdienst, der Erziehung, der Kunst, der Wissenschaft oder der Wohltätigkeit gewidmet sind, geschichtliche Denkmäler, Krankenhäuser und Sammelplätze für Kranke und Verwundete, unverteidigte Städte, Dörfer, Wohnstätten oder Gebäude oder entmilitarisierte Zonen sowie Anlagen und Einrichtungen, die gefährliche Kräfte enthalten, 3. mit militärischen Mitteln einen Angriff durchführt und dabei als sicher erwartet, dass der Angriff die Tötung oder Verletzung von Zivilpersonen oder die Beschädigung ziviler Objekte in einem Ausmaß verursachen wird, das außer Verhältnis zu dem insgesamt erwarteten konkreten und unmittelbaren militärischen Vorteil steht, [Grundsatz der Verhältnismäßigkeit]… wird mit Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren bestraft.“ Soweit der Wortlaut des Völkerstrafgesetzbuches. Klarer kann man nicht formulieren. Und klarer als die Regierung Israels und Deutschlands kann man nicht gegen das Völkerstrafgesetzbuch verstoßen.“ Quelle: Jürgen Todenhöfer auf X

Was unbedingt zu bedenken ist, wenn wer auch immer sich zum Nahostkonflikt äußert, lesen wir in der Einleitung der Autoren zu ihrer Broschüre

«Es ist erstaunlich, mit welcher Geschwindigkeit sich Medien und Exponenten, welche sich gerne als Experten sehen, in ein unsägliches moralisch-emotionales Bad begaben, nur um in Kürze von Fakten überholt zu werden, welche dieselben Exponenten dann zu einer Kehrtwende zwingen. Teilweise ist dies bereits geschehen.

Wir nahmen uns die Zeit, umfassend zu recherchieren und nachzudenken, bevor wir zur Feder griffen; ein Privileg, das News-Medien nicht haben.

Wir sehen unsere Aufgabe nicht darin, Partei zu ergreifen und Exponenten zu verurteilen, sondern Fakten zu ordnen, zu analysieren und so eine Basis für eine Diskussion zu erarbeiten, welche einen Ausweg aufzeigen könnte, auch wenn er nicht – wie so oft – beschritten wird.

Analysen, welche die historischen Fakten, die zur gegenwärtigen Situation führten, ausser Acht lassen, greifen zu kurz.

Die Uniformität der in den westlichen Medien und auf den Bühnen der westlichen Politik vertretenen Standpunkte findet ihren Ursprung nicht nur in politischem Kalkül oder verkrusteten Wertvorstelllungen, sie sind vielmehr ein klarer Hinweis auf das fehlende Verständnis für die Komplexität der Materie.

Dessen sind wir uns bewusst und daher haben sich René Zittlau und ich dafür entschieden, den in dieser Broschüre veröffentlichten Text als gemeinsame Artikel gemeinsam zu schreiben – zu viele Fakten mussten untersucht werden, um innert nützlicher Frist unseren Lesern einen Überblick zu verschaffen. Die einzelnen Teile eröffnen wir regelmässig mit der geschichtlichen Aufarbeitung. Und so beginnen unsere Betrachtungen mit dem Ersten Weltkrieg, da bis 1917 zwischen den Arabern und Juden Frieden herrschte. Es wird keinen unserer Leser verwundern, dass es des Auftauchens des damaligen Imperiums bedurfte, um Zwietracht zwischen Völkern zu säen.«

Welche Absichten hatte der israelische Staat bereits von Anfang an?

Im Kapitel „Grossisrael – keine Verschwörungstheorie“ (S.32)“ lesen wir: «Grossisrael reicht vom Euphrat bis zum Mittelmeer und umfasst aus heutiger Sicht folgende Staaten: Israel inklusive sämtliche Palästinensergebiete, der südliche Teil Libanons, Syrien, Jordanien und Teile Ägyptens, inklusive Alexandria und Port Said.

Laut Wikipedia ist der Wunsch und die Absicht Israels, Grossisrael zu schaffen, eine Forderung von wenigen Extremisten und wird als Verschwörungstheorie abgetan.

«Die Eretz-Israel-HaSchlema-Ideologie hat zu verschiedenen Verschwörungstheorien geführt, die besagen, ein Streben nach einem Grossisrael vom Euphrat bis zum Nil sei das Ziel des Zionismus und israelische Staatsdoktrin.« (Quelle: Wikipedia)

Aussagen des Staatsgründers David Ben Gurion

Interessant sind die Aussagen des Staatsgründers Ben Gurion. Etwa diese in deutscher Übersetzung (Originalquelle: Quelle: David Ben-Gurion, 21. Mai 1948, an den Generalstab. Aus Ben-

Gurion, A Biography, von Michael Ben-Zohar, Delacorte, New York 1978, S. 130.)

«Verschwörungstheorien werden nicht von Staatsoberhäuptern verkündet.»

«Die Archillesferse der arabischen Koalition ist der Libanon. Die muslimische Vorherrschaft in diesem Land ist künstlich und kann leicht gestürzt werden. Ein christlicher Staat sollte dort errichtet werden, mit seiner südlichen Grenze am Fluss Litani. Wir würden einen Bündnisvertrag mit diesem Staat unterzeichnen. Dann, wenn wir die Stärke der Arabischen Liga gebrochen und Amman bombardiert haben, könnten wir Transjordanien auslöschen; danach würde Syrien fallen. Und wenn Ägypten es immer noch wagen sollte, gegen uns Krieg zu führen, würden wir Port Said, Alexandria und Kairo bombardieren. Damit würden wir den Krieg beenden und die Rechnung mit Ägypten, Assyrien und Chaldäa im Namen unserer Vorfahren begleichen.»

Auch dieses Zitat ist über die Maßen unmissverständlich in seiner Aussage.

Die Autoren der Broschüre schreiben (S.34): „Ein weiterer interessanter Hinweis auf die wahren Absichten Israels findet sich in einem Tagebucheintrag Ben Gurions vom 18. Juli 1948 wie folgt:

«Wir müssen alles tun, um sicher zu gehen, dass sie [die Palästinenser] niemals zurückkommen. … Die Alten werden sterben, die Jungen werden vergessen»

QUELLE: DAVID BEN-GURION, IN SEINEM TAGEBUCH, 18 JULI 1948, ZITIERT IN

NAKBA – DIE OFFENE WUNDE. DIE VERTREIBUNG DER PALÄSTINENSER 1948

UND IHR FOLGEN. VON MARLÈNE SCHNIEPER, ISBN 978-3-85869-444-7

„Die als Verschwörungstheorie abgetane Aussage, es sei die Absicht Israels, ein Grossisrael zu schaffen, ist somit widerlegt. Verschwörungstheorien werden nicht von Staatsoberhäuptern verkündet.“

Es folgt im weiteren Verlauf der Broschüre ein wichtiger, unverzichtbarer geschichtlicher Abriss von Ereignissen und Taten, der gekannt werden muss, will man sich zum heutigen Konflikt äußern.

Zunächst gilt es zu wissen: „Palästina, das die heutigen Staaten Israel und Jordanien sowie den Gaza-Streifen und das Westjordanland umfasste, kam durch den Zerfall des Osmanischen Reiches 1920 unter britische Verwaltung, so wie im Geheimabkommen Sykes-Picot von 1916 geplant.

Ab 1917 kam es in der Zeit des britischen Mandats zu einer starken jüdischen Zuwanderung nach Palästina, die durch die Judenverfolgung ab 1933 beschleunigt wurde.

Das Siedlungsverhalten der Juden war nicht selten von Rücksichtslosigkeit und Gewalt gegenüber der palästinensischen Bevölkerung gekennzeichnet, was von der britischen Verwaltung geduldet wurde.

Auf Grund dessen und der schieren Masse an jüdischen Zuwanderern kam es wiederholt zu bewaffneten Unruhen und Aufständen. Nach dem 2. Weltkrieg wurde durch die UNO eine Zweistaatenlösung herbeigeführt, da die entstandenen Probleme anders nicht mehr beherrschbar erschienen. Im Ergebnis erhielt die jüdische Minderheit 56,47% des Mandatsgebiets (ohne Transjordanien) zugesprochen.

Dieses Gebiet entsprach im Wesentlichen den Territorien, die sich die jüdischen Siedler im Laufe der Zuwanderung angeeignet hatten. Bis zur Teilung gab es dort jedoch keine jüdische Bevölkerungsmehrheit.

David Ben Gurion scherte sich jedoch nicht um UNO-Resolution 181 und nahm das Ende des britischen Mandats am 14. Mai 1948 zum Anlass, am darauffolgenden Tag Israel als Staat auszurufen. Dies im Widerspruch zur von der UNO auferlegten Zweistaatenlösung. Der Staat Israel betrat die Weltbühne und gleichzeitig hörte das historische Palästina auf zu existieren.“ (S.20)

Die Autoren schätzen ein:

„Die Gründung des Staates Israel widersprach dem Ansinnen der Weltbevölkerung, welche sich in der UNO Resolution 181 widerspiegelte und unmissverständlich eine Zweistaatenlösung forderte.

Damit legte der neue Staat den Grundstein für das heute seit bald 80 Jahren dauernde Chaos mit der palästinensischen Bevölkerung, die mit allem Recht für einen eigenen Staat kämpft.

Die Suez-Krise zeigte, dass sich Israel zuerst von Grossbritannien – später von den USA – durchaus einspannen lässt, falls es einen geopolitischen Vorteil für sich erkennt.“ (S.30)

Liest man diese interessante Broschüre, wird von Seite zu Seite immer deutlicher, was der israelische Historiker Moshe Zuckermann einmal in einem Gespräch auf dem You Tube-Kanal International ausführte: «Zuckermann bezeichnet die Besatzung der den Palästinensern zustehenden Gebiete durch Israel als die eigentliche Ursache für den Konflikt. Er kritisiert, dass diese Frage sowohl in Israel aber auch in der internationalen Debatte weitgehend tabuisiert ist: „Israel wollte nie Frieden, die israelischen Eliten bevorzugten seit vielen Jahrzehnten eine Politik der Besatzung und der Apartheid.“«

Die Aufzeichnungen der Autoren „beruhen ausschliesslich auf Fakten, nicht auf Thesen und Theorien“

Die Autoren der vorliegenden Broschüre bekräftigen: «Unsere Aufzeichnungen beruhen ausschliesslich auf Fakten, nicht auf

Thesen und Theorien. Wir analysierten die Ereignisse, lasen und

hörten, was die Mächtigen Israels tatsächlich sagten oder ihrem Tagebuch anvertrauten. Diese Quellen erachten wir als zuverlässig. Es gibt keine faktenbasierten Argumente, welche das Ziel Israels widerlegen, ein Grossisrael zu schaffen und sich dabei der indigenen Bevölkerung dieses Landes zu entledigen und Nachbarn zu berauben. Dies tat und tut Israel ohne jede Rechtsgrundlage. Religiöse Schriften sind keine Rechtsgrundlage und auch keine Basis für seriöse geopolitische Analysen. Darüber hinaus zeigt die Geschichte: Religiös fundiertes politisches Handeln führt zwangsläufig zu Unrecht.« (…) „Ein Krieg folgt dem Drehbuch Ben Gurions.“

Ein menschenwürdiges Leben für die nichtjüdische Bevölkerung ist in den besetzten Gebieten nicht möglich

Mit der nichtjüdischen Bevölkerung geht Israel nicht selten schlimmer als nach Gutsherrenart um: „Israel sperrt den Zugang zu den besetzten Gebieten nach Belieben, von Freizügigkeit kann keine Rede sein. Israel bestimmt, was dort erlaubt ist oder nicht, egal ob es sich um medizinische Versorgung, um Grundversorgung mit Nahrungsmitteln, oder um Wasserrechte handelt. Ein menschenwürdiges Leben für die nichtjüdische Bevölkerung ist in den besetzten Gebieten nicht möglich. Die UNO beschreibt laut einem

Bericht der FAZ bereits am 12. Juli 2017 den Gazastreifen als unbewohnbar.“

„In israelischen Gefängnissen sitzen Tausende nichtjüdische Einwohner der besetzten Gebiete, darunter viele Kinder. Ohne Anklage, ohne Gerichtsurteil“, erfahren wir aus der Broschüre.

Es genügt die sogenannte Administrativhaft über sie zu verhängen: „Das israelische Militär kann Administrativhaftbefehle von bis zu sechs Monaten ausstellen, um Palästinenser*innen in Gewahrsam zu nehmen, wenn es «vernünftige Gründe» dafür gäbe, dass eine Person eine Gefahr für die «Sicherheit des Gebiets» oder die «öffentliche Sicherheit» darstelle.“ (Quelle:Amnesty International )

Bezüglich der Alleinverantwortlichkeit Israels“ (S.66) informieren die beiden Autoren: „Ein Staat, der über staatsfremdes Gebiet die absolute Kontrolle ausübt, ist infolge dieser Macht für alles verantwortlich, was in diesen staatsfremden und besetzten Gebieten geschieht. Der Besatzer kann sich nicht freisprechen von irgendeiner Gewalt, die er gegen andere ausübt oder die gegen ihn ausgeübt wird. Es spielt dabei auch keine Rolle, welcher Nation oder Religion die unterdrückte Bevölkerung angehört. Denn der Besatzer herrscht per se illegal auf fremdem Gebiet. Somit sind sämtliche seiner erlassenen Regeln ebenfalls illegal, da ohne Rechtsgrund.

Es ist weltweit ein natürliches Recht der Besetzten, sich als Unterdrückte gegen fremde Gewalt auf eigenem Grund und Boden zu wehren.

Eine Besatzungsmacht hingegen hat kein Recht auf Selbstverteidigung gegen die Besetzten, wie das Israel aktuell massiv für sich in Anspruch nimmt und vom politischen Westen und den Mainstreammedien unhinterfragt und uneingeschränkt unterstützt wird und zwar mit höchst unappetitlichen Mitteln, wie wir in «ARD – Glossar rechtfertigt Genozid – Dr. Goebbels wäre stolz»* ausgeführt haben.“ *Verweis in Broschüre auf einen Beitrag auf Voice from Russia.

Wobei hier – um Missverständnisse auszuschließen – allerdings angemerkt sei, dass die Autoren an keiner Stelle und in keinem Fall den Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 rechtfertigen.

Wenn die Broschüre ab dem Kapitel Der 7. Oktober 2023 – ein Land versinkt in den Abgründen seiner Geschichte

Israel – ein Land politisch gefangen zwischen dem Gründungsmythos seiner Unabhängigkeitserklärung, der zionistischen Agenda und Realitäten, die nicht auszuräumen sind“ (ab S.66) auf deren Ende zuläuft, ist beim Leser noch einmal höchste Konzentration erforderlich.

Ich pflichte den beiden Autoren unbedingt bei: „Ohne Kenntnis der Geschichte sind die Ereignisse um Gaza und das Westjordanland nicht zu verstehen.“ Sie beleuchten und erörtern die Ursachen des Konfliktes zwischen Israel und den Palästinensern über einen Zeitraum von mehr als 100 Jahren. Sie machen noch einmal unmissverständlich deutlich: „Nur Fakten können unseres Erachtens die Grundlage dafür sein, der Wahrheit näher zu kommen.“

Was die Berichterstattung der Medien angeht, sind sie zu folgender Ansicht und Meinung gekommen, die aufmerksame Zeitgenossen durchaus teilen werden:

„Die öffentlich-rechtlichen Medien und die grossen privaten Medienunternehmen im Westen sind einer Meinungsoligarchie verpflichtet. Eine neutrale Berichterstattung zum Thema Israel wird dadurch unmöglich. Auf diese Problematik verwiesen wir im Artikel „ARD–Glossar rechtfertigt Genozid – Dr. Goebbels wäre stolz“, der anhand eines ARD-internen Glossars speziell zur Nahost-Berichterstattung die Mechanismen offenlegt, mit Hilfe derer eine ausgewogene Information – wie laut Rundfunkstaatsvertrag verpflichtend vorgegeben – gezielt verunmöglicht wird.

Das interne Glossar enthält eine Liste von Experten, die von den Exponenten der betroffenen Fernsehstationen heranzuziehen sind – das sind keine Vorschläge. Die Adressaten des Glossars sind verpflichtet ausschliesslich diese Experten heranzuziehen.“

Nebenbei bemerkt haben sich auch die NachDenkSeiten mit dem Glossar beschäftigt: Hier.

Zum Ablauf des 7. Oktober 2023

Besondere Aufmerksamkeit ist in der Broschüre dem Ablauf des 7. Oktober 2023 gewidmet. Zum Einen wird die israelisch-westliche Darstellung in den Fokus genommen. (S.70):

«Bevor der Sachverhalt von unabhängigen Quellen erörtert werden konnte, gaben die Israelis der Welt vor, was sich abspielte und wie diese „Fakten“ zu bewerten seien. Dem folgten die westlichen Medien in pflichtwidriger Vernachlässigung ihrer Sorgfaltspflicht und die westlichen Regierungen in Verfolgung ihrer politischen Agenden.

Bis heute hat sich folgende Geschichte im Bewusstsein der westlichen Öffentlichkeit eingebrannt:

Am 7. Oktober 2023 überfielen ein paar tausend Hamas-Terroristen das friedliche Israel, ermordeten Zivilisten, vergewaltigten Frauen und köpften zahllose Babys, zerstörten brandschatzend israelische Siedlungen und nahmen Geiseln – und dies an einem hohen jüdischen Feiertag, dem Simchat Tora.

Diese Darstellung hält einer faktenbasierten Prüfung nicht stand. «

In ihrer Analyse verwendeten die Autoren „soweit möglich israelische und amerikanische Quellen.«

Unabhängige amerikanische Medien und die israelische Zeitung Haaretz hätten jedoch ein anderes Bild gezeichnet. Als einer der ersten habe der amerikanische Journalist Max Blumenthal auf seinem Blog „The Grayzone“ über die Abläufe und Aktionen berichtet.

Westliche Horrorgeschichten seien letztlich widerlegt worden.

Unfassbarer Höhepunkt dessen sei „die Mär von den 40 enthaupteten israelischen Babys“ gewesen. Wir lesen: „Selbst Präsident Biden hielt es für nötig zu behaupten, Fotodokumente dazu gesehen zu haben. Eine Geschichte, die inzwischen unter dem Faktendruck des tatsächlichen Geschehens stillschweigend kassiert wurde. Fehlen durften auch nicht die inzwischen zum westlichen journalistischen Standard-Repertoire gehörenden „Informationen“ über Massenvergewaltigungen.“

Dieser Nahostkonflikt könnte sich im schlimmsten Falle zu einer Katastrophe entwickeln, die die ganz Region erfasst. Israels Reputation in der Welt hat aufgrund dieses in Gaza verübten Massenmords schon jetzt beträchtlich gelitten. Man kann durchaus einschätzen, dass sich Israel längst mehr schadet, als seine es Feinde tun. Leider erkennt Israel diese Gefahr offenbar selbst nicht.

Es wäre an der Zeit, dass die Weltgemeinschaft dem Leid ein Ende setzt. Dafür trägt die EU eine besondere Verantwortung. Wie Deutschland sich verhält ist eine Schande. Berlin muss seine Stimme erheben und Israel in den Arm fallen, wenn es sich nicht ein weiteres Mal schuldig machen will. Erst recht, wenn es ein Freund Israels sein will. Deutschland muss sich unmissverständlich für die Rechte der Palästinenser einsetzen.

Die Menschen in Palästina und Israel, vor allem Kinder und Neugeborenen haben ein besseres Leben verdient. Leben in Frieden und Gerechtigkeit muss möglich
sein.

Ich finde diese Broschüre ist für all die Menschen, die sich ernsthaft für die behandelte Thematik interessieren, unverzichtbar. Meine Hoffnung: Wer die mit großer Sorgfalt aufgrund von tief gehenden Recherchen verfassten Texte gelesen und verstanden hat, wird sich künftig nicht mehr in unbedachter Weise über diesen Konflikt äußern. Die Broschüre ist auch insofern höchst empfehlenswert, weil sie auf 80 Seiten über alle wichtigen Geschehnisse innerhalb eines geschichtlichen Zeitraums von 100 Jahren informiert. Noch dazu ist zu einem Preis zu erwerben, der für viele Menschen erschwinglich sein dürfte.

Der Philosoph Slavoj Žižek hat auf Freitag.de einen eindringlichen Videokommentar veröffentlicht.

In Gaza zeige sich gerade die zerstörerische Kraft des Fortschritts, und die Kehrseite der europäischen Aufklärung. Der slowenische Philosoph, Psychoanalytiker und Kulturkritiker Slavoj Žižek kommt zum Schluss: Europa muss stärkeren Druck auf Israel ausüben sich auf humanitäre Werte zurückzubesinnen. Im Interesse der Palästinenser, Europas und zuletzt der Sicherheit jüdischen Lebens selbst. Er sagt: „Ich bin ein Pessimist. Ich denke Europa ist zu Ende.“ Seine Hoffnung sei ein Wunder.

Zu den Autoren

Peter Hänseler

betreibt den dreisprachigen (deutsch, englisch, russisch) geopolitischen und geo-ökonomischen Blog voicefromRussia.com.

Er ist Schweizer und lebt in Moskau. Er studierte Jura in Zürich (lic. Iur. 1989), (Dr. iur. 1991) und Washington, D.C. (LL.M., Georgetown University 1994) und arbeitete als Rechtsanwalt (Patent 1993) in Zürich

(Bär & Karrer 1994-1997) und New York (Townley & Updike 1994) bevor er in die Geschäftsleitung der Marc Rich Gruppe eintrat, wo er unter anderem für Russland verantwortlich war (1997-2001). Danach leitete er Immobilienfonds in Russland (PHI Group 2001-2012).

Schon seit Jahren beschäftigt sich Peter Hänseler mit Geopolitik und Geoökonomie und publizierte ab 2008 vor allem in der Weltwoche. 2022 gründete er VoicefromRussia.com. Peter Hänseler publiziert weiter in der Weltwoche, auf ZeroHedge.com, im BloomDoom&Gloom Report des

Schweizer Investment-Guru Dr. Marc Faber und in weiteren geopolitischen Blogs. Er hat sich aus allen geschäftlichen Aktivitäten zurückgezogen, um sich auf seine Arbeit als Publizist zu konzentrieren.

René-Burkhard Zittlau

lebt in Deutschland. Er studierte in den 1980-er Jahren Sprachen

(Russisch und Tschechisch) an der Universität Leipzig mit dem

Abschluss Diplom-Sprachmittler.

Anfang der 1990-er Jahre wechselte er vom Staatsdienst in die private Wirtschaft. Für deutsche mittelständische Unternehmen sehr verschiedener Branchen baute er Tochterunternehmungen in Mittel- und Osteuropa auf und leitete sie teilweise.

Mit Geschichte und Geopolitik beschäftigt er sich bereits seit seinen Studienzeiten. Schreibt u.a. in GlobalBridge und infosperber und vor allem in voicefromRussia.com.

Was ist die Stimme aus Russland?

In diesem dreisprachigen Blog berichtet Peter Hänseler, ein Schweizer der in Moskau lebt, über geopolitische und geoökonomische Themen. Peter Hänseler unterscheidet sich von Mainstream-Journalisten dadurch, dass er Themen aus westlicher und östlicher Sicht betrachtet und bewertet – und somit auch über Themen schreibt, über welche im Westen schwerpunktmässig nicht berichtet wird. Da er in diesem Blog Journalist, Redaktor undHerausgeber in einer Person ist, sieht er sich zudem keinem Einfluss einer Redaktion oder eines Verlags ausgesetzt.

Peter Hänseler ist politisch und journalistisch unabhängig, geht in Russland keiner kommerziellen Tätigkeit nach und bezieht keinerlei Mittel vom Staat oder anderen Organisationen. Der Blog ist für die Leser kostenlos. Spenden sind willkommen.

Seit drei Jahren wohnt er aus privaten und kulturellen Gründen wieder in Moskau. Zuvor lebte er in der Schweiz, den USA, Spanien und Thailand.

Was möchte ich mit diesem Blog?

Die derzeitige Gesprächskultur lässt Gegenmeinungen immer weniger zu – seien sie noch so rational und begründet. Dies betrifft nicht nur politische,

sondern immer mehr auch wirtschaftliche Themen.

Die veröffentlichte Meinung gilt heute oftmals als einzige Wahrheit. Andere Meinungen werden zunehmend angefeindet oder ausgeschlossen. Diese Entwicklung hemmt meines Erachtens die freie Meinungsäusserung und den Diskurs in Gesellschaft, Medien und Politik. Darunter leidet die im Westen von Politik und Medien zu Recht hochgehaltene individuelle Freiheit und eine liberale Weiterentwicklung der Gesellschaft. Derzeit verbannen selbst die privaten weltumspannenden sozialen Medien durch Einsetzung von Zensoren mit woken Begründungen und ohne gesetzliche Grundlage User und Quellen; als ob das Publikum nicht fähig wäre, sich eine eigene Meinung zu bilden.

Anbei empfohlen:

Homepage: https://voicefromrussia.ch/

Via International/YouTube

Zur Broschüre

INHALT: Die Nahost-Problematik versteht man nur, wenn man

die Geschichte und die gegenwärtige geopolitische Lage kennt –

Emotionen helfen nicht / In Feuer geboren – von der Ausrufung

des Staates Israel bis zur Suez-Krise. Die Basis zum Verständnis

der heutigen Situation / Die westliche Beurteilung der

Politik Israels sind Ansichten, welche mit der Realität nichts gemein haben – wir präsentieren die Fakten / Von Camp David bis

Libanon 1982 – Apartheid und Kolonialismus in Israel / Wie der

Vertrag von Oslo zu Hamas und Hisbollah führen musste / Der

7. Oktober 2023 – ein Land versinkt in den Abgründen seiner

Geschichte

Israel – Vom Opfer zum Täter

zum Opfer – ein Hin und Her

seit 80 Jahren

Peter Hänseler / René Zittlau

80 Seiten, mit zahlreichen farbigen Karten,
8.-€*

* Staffelpreis bei Direktbestellung ab 5 Expl.: 7 .– €/St.

pad-verlag – Am Schlehdorn 6 – 59192 Bergkamen – E-Mail: pad-verlag@gmx.net

Schriftenreihe des Forum Gesellschaft & Politik e.V.

Redaktion: Peter Rath-Sangkhakorn

unsere Seite im Netz: http://www.pad-verlag.de

E-Mail: pad-verlag@gmx.net

Die in dieser Broschüre zusammengefassten Beiträge wurden in

einer Israel-Reihe über mehrere Monate auf

https://voicefromrussia.ch

erstveröffentlicht. In den einzelnen Artikeln wurden alle externen

Dokumente, auf die in der Broschüre verwiesen wird, verlinkt.

Es lohnt schon aus diesem Grund ein Besuch. Ebenso finden die

Leser dort alle Artikel, die in der Broschüre an verschiedenen

Stellen als eigene Quellen benannt werden.

Hinweis: Wenn Sie, lieber Leserinnen und Leser, in Wörtern in der von den Autoren der von mir zitierten Sätzen statt eines „ß“ die Schreibweise „ss“ finden, so ist das Schreibweise in der Schweiz geschuldet.

Anbei empfohlen:

Thomas Stimmel spricht mit Iris Hefets.
Thomas Stimmel spricht mit Abed Hassan.

Update am 13.4.2024: İnteressantes neues Video von Dr. Michael Lüders:

Dr. Michael Lüders

Palästinenser als gebärwütige Dschihad-Monster: Rassistische Propaganda beim Axel-Springer-Verlag

Springers „Welt“ hat mal wieder in der braunen Tonne des deutschen Rassismus gewühlt, um den Massenmord in Gaza zu rechtfertigen. Frauen bekämen dort ihre Kinder nur für „den Kampf gegen Juden“, so die These des Autors Posener. Dies sei gar unveränderbar genetisch-kulturell bedingt,

Von Susan Bonath

Der Gazastreifen ist ein Freiluftgefängnis des Elends. Die zivile Infrastruktur ist zerbombt. Zwei Millionen Menschen hausen in Ruinen, Zelten oder im Freien, zusammengepfercht auf wenigen Quadratkilometern, inmitten von Bombenhagel und Geschützfeuer. Sie hungern, trinken schmutziges Wasser, wühlen in Trümmern nach Essbarem und Verschütteten, begraben täglich dutzende Tote. Laut WHO sind fünf Prozent der Menschen in Gaza nach vier Monaten Krieg getötet oder verstümmelt, mehr als zwei Drittel davon Kinder und Frauen. Die Welt ist Zeuge schwerster Kriegsverbrechen durch die israelische Armee IDF.

Das fortgesetzte Massaker an großteils unschuldigen Zivilisten, das trotz aller Versuche Israels, die Berichterstattung vor Ort zu unterbinden, mittels Bildern und Videoaufnahmen nach außen dringt, ist weder nach menschlichem noch völkerrechtlichem Ermessen zu rechtfertigen. Zivilisatorische Leitsätze im Völkerrecht verbieten aus gutem Grund rachsüchtige Kollektivbestrafung. Doch genau das ist es, und jeder Versuch der Verharmlosung kann nur einhergehen mit einer Riesenportion Rassismus.

Rassistische Thesen

Das deutsche Flaggschiff dieser Art der Entmenschlichung ist – mal wieder – der Axel-Springer-Verlag. Die neueste Kostprobe seiner rassistischen Fantasien vom palästinensischen „Untermenschen“ lieferte Autor Alan Posener jetzt im Springerblatt Welt. Frauen in Gaza, so seine Behauptung, würden „Kinder kriegen für den Kampf gegen die Juden“.

Man kann Poseners These wie folgt kurz zusammenfassen: Frauen in Gaza seien es gewohnt, Kinder für den Dschihad zu gebären, nicht nur um Juden zu töten, sondern um mit UN-Hilfen zu faulenzen und Europa zu „überfluten“ – und dies nicht etwa, weil es an Bildung fehle, sondern weil Palästinenser von Natur aus kulturell so veranlagt seien, ja eine Art genetisch bedingter, unabänderbarer „Tätergemeinschaft“ bildeten.

Das ist lupenreiner Rassismus, der an dunkelste Kapital auch der deutschen Geschichte erinnert. Nach Poseners Theorie, unterstützt vom Springerverlag durch ihre Publikation, ist Kollektivbestrafung der Palästinenser dann wohl erlaubt, inklusive Massenmord durch Bomben und Aushungern aller Mitglieder dieser Gruppe. Ist es das, Herr Posener, was Sie Ihrer Leserschaft damit sagen wollen? Offenbar schon.

Historische Fake News

Der Autor untermalt seine menschenverachtenden Fantasien vom „primitiven Kollektiv“ der Palästinenser als Sündenbock mit allerlei unbelegten Behauptungen und verdrehten Geschichtserzählungen. Angeblich, so Posener, rufe die Hamas Frauen in Gaza seit 17 Jahren „dazu auf, mehr Kinder zu bekommen – damit ihnen der Nachschub für die Terrortruppen nie ausgeht.“ Belege? Braucht der Autor nicht.

Dann tischt Posener seinen Lesern das Märchen vom „faulen Gazabewohner“ auf. Die Frauen dort bekämen lieber Kinder als zu arbeiten, nicht einmal 15 Prozent von ihnen hätten einen Job, mahnt er. Er vergleicht das mit Deutschland, wo 75 Prozent der Frauen erwerbstätig seien, und mit Israel, wo 60 Prozent der weiblichen Bevölkerung einer Lohnarbeit nachgingen.

Was Posener bei seinem schrägen Vergleich nicht erwähnt: Im Gazastreifen beträgt die Arbeitslosigkeit insgesamt fast 50 Prozent. Denn dort gibt es schlicht kaum Arbeit. Und daran ist Israel nicht unschuldig. Indem es vor 17 Jahren damit begann, das 360 Quadratkilometer kleine Areal abzuriegeln, mit Zäunen, Wachtürmen und Marine zu umzingeln, regelmäßig zivile Infrastruktur zu bombardieren und mit harten Sanktionen zu belegen, hat es jede wirtschaftliche Entwicklung des Streifens verhindert. Vor allem aus diesem Grund leben rund drei Viertel der Einwohner in bitterer Armut.

Unter Leugnung dieser Tatsache schießt der Autor gegen das UN-Palästinenserhilfswerk UNRWA, das er geflissentlich in Anführungsstriche setzt, als handele es sich um etwas Illegitimes. Die Palästinenser vermehrten sich, so suggeriert der Autor, um den Flüchtlingsstatus zu erben und von der UN „durchgefüttert“ zu werden – ganz so, als hätte Israel die Menschen nicht entschädigungslos enteignet und teils brutal vertrieben, als wären sie andernfalls nicht staaten- und rechtlos, als wäre Palästina kein von Israel besetztes Land. Posener leugnet schlicht historische Tatsachen, um seinem Rassismus Futter zu geben.

Pseudowissenschaften

Dann versteigt sich Posener zu einer Theorie, die in israelischen und besonders israelfreundlichen Medien auch häufiger zu lesen ist: Das Anwachsen der Bevölkerung im Gazastreifen durch Geburten (Frauen nennt er „Gebärmaschinen“) sei ein Beleg dafür, dass gar kein Genozid – wie selbst vom Internationalen Gerichtshof (IGH) aufgrund von zahlreichen Belegen, die der Ankläger Südafrika vorgelegt hatte, befürchtet wird – stattfinden könne. Wörtlich schreibt der Autor:

„Das „Flüchtlingshilfswerk“ rechtfertigt seine Existenz damit, dass es – so viel zu den ‚Genozid‘-Vorwürfen gegen Israel – eine stets wachsende Zahl sogenannter Flüchtlinge der dritten und vierten Generation versorgen muss.“

Mit anderen Worten: Weil es heute mehr Palästinenser gibt als vor 50 Jahren, kann die fortgesetzte gezielte Tötung von bisher mindestens 30.000 Menschen dieser Gruppe, darunter 70 Prozent Frauen und Kinder, ihre massenhafte Verletzung, Vertreibung und Einpferchung unter grausamen Bedingungen, inklusive bewusster Zerstörung ziviler Infrastruktur und Herbeiführens von Wasser- und Nahrungsmangel, gar kein Völkermord sein. So ein bisschen „Rasenmähen“, wie israelische Politiker ihr Vorgehen schon mal nannten, wäre demnach so legitim wie das Ausdünnen einer Wildschweinpopulation durch Jäger.

Falsche Zahlenspiele

Diesen schwer zu überbietenden Grad an Menschenverachtung untermalt Posener mit falschen Zahlen. Zunächst gibt er sich als „Feminist“: Die Emanzipation der Frau sei neben verbesserter Gesundheitsfürsorge „ein entscheidendes Mittel im Kampf gegen die Überbevölkerung“. Um sogleich seine Portion Rassismus hinzuzufügen:

„Es gibt aber eine Ausnahme von der Regel: Gaza.“

Dort sei die Geburtenrate seit 1991 zwar von 8,3 Kindern pro Frau auf etwa vier gesunken, aber immer noch eine der höchsten der Welt.

Poseners Zahlen stimmen bloß nicht, und es fehlt ihnen jeder Kontext. Nach UN-Angaben lag Palästina 2021 bei der sogenannten Fertilitätsrate, also der durchschnittlichen Anzahl der Geburten pro Frau, nämlich mit 3,5 Kindern im weltweiten Mittelfeld. Nach Angaben der US-Statistik „CIA Factbook“ waren es im Jahr darauf noch 3,23 Geburten pro Frau im Schnitt – offenbar also Tendenz fallend.

Auf der deutschen Plattform Statista ist zu lesen, dass auf jede Frau im Gazastreifen im Jahr 1997 etwa 6,2 Geburten kamen, im Jahr 2023 waren es noch knapp 3,4. Damit, und das verschweigt Posener ebenfalls geflissentlich, liegt Gaza nur marginal über der Fertilitätsrate in Israel. Dort bekommt im Schnitt jede Frau – seit Jahrzehnten anhaltend – demnach etwa drei Kinder.

Es geht dem Springer-Autor ersichtlich nicht um seine Furcht vor einer Überbevölkerung im Allgemeinen, sondern vor „Vermehrung“ einer Gruppe, die er offenbar für „kulturell minderwertig“ hält. Das sagt er freilich so explizit nicht, doch einen anderen Schluss lassen seine einseitig aufgebauschten Zahlen und der fehlende Vergleich kaum zu. Das ist ganz klassischer Rassismus.

Die braune Tonne westlicher Doppelmoral

Was die Welt-Redaktion mit der Publikation solcher Autorenbeiträge (die dem vom Springerverlag eigens publizierten Wertekanon, darunter „die Ablehnung jeder Art von Rassismus“, selbstredend widersprechen) offensichtlich bezweckt, zeigt sich in Dutzenden von Kommentaren unter dem Beitrag. Zustimmend geben Nutzer Schauergeschichten vom gemeinen „grausamen“, „primitiven“, „vermehrungswütigen“ oder „Bürgergeld abgreifenden Moslem“ zum Besten, belegt mit Betitelungen wie „Karnickel“.

Ein Nutzer unter dem Namen Matthias M. ruft gar dazu auf, „der Westen“ solle bezüglich geburtenstarker Länder des globalen Südens „auch im eigenen Interesse über Rekolonisierung nachdenken.“ All diese Menschenverachtung passt offenbar zielgenau ins politische Programm, nicht nur von Springer. Andernfalls hätte wohl das Netzwerkdurchsetzungsgesetz, zumindest erst einmal die Welt-Moderation, hier als Erstes zuschlagen müssen. Nicht jeder Hass- und Gewaltaufruf ist eben Ziel dieses Zensurapparats.

Poseners Erguss ist dabei längst nicht der einzige Griff der Welt in die tiefbraune Tonne westlicher Doppelmoral. Abgesehen von den wiederkehrenden Kampagnen aller Springer-Zeitungen gegen Arbeitslose, Flüchtlinge und andere unterprivilegierte Gruppen hat das Blatt auch kein Problem mit Nazis, jedenfalls dann, wenn sie in der Ukraine ihr Unwesen treiben.

Im April 2022 erklärte das Blatt zum Beispiel das offen faschistische Asow-Bataillion zur demokratischen Vorzeigetruppe, die zu Unrecht als Naziregiment bezeichnet werde – bebildert mit einem Foto, das Asow-Kämpfer patrouillierend mit SS-Symbolen zeigt.

Ein Schelm, wer vermutet, dass die Entnazifizierung in Deutschland so gründlich nicht gewesen sein kann?

Quelle: RT DE

Hinweis: Gastbeiträge geben immer die Meinung des jeweiligen Autors wieder, nicht meine. Ich veröffentliche sie aber gerne, um eine vielfältigeres Bild zu geben. Die Leserinnen und Leser dieses Blogs sind auch in der Lage sich selbst ein Bild zu machen.

Beitragsbild: Cover der Broschüre „… und GAZA und …“ von Rajani Kanth/ Rudolph Bauer aus dem pad-Verlag Bergkamen.

IALANA zum Krieg zwischen Hamas und Israel

Der bewaffnete Konflikt zwischen der Hamas und Israel wurde angesichts der von der Hamas am 7. Oktober verübten Massaker zunächst vor allem emotional beurteilt. Sehr schnell kam es zu unausgewogenen Parteinahmen für eine der beiden Konfliktparteien. Das Verlangen nach Vergeltung und Rache fand viel Verständnis. Die notwendig völkerrechtliche Sicht auf das Geschehen trat in den Hintergrund. Mit der folgenden völkerrechtlichen Bewertung möchte die Juristenorganisation IALANA Deutschland einen Beitrag zur Versachlichung der Auseinandersetzung leisten. Beide Konfliktparteien verstoßen in eklatanter Weise gegen das humanitäre Völkerrecht. Geboten sind daher nicht einseitige Parteinahmen und Waffenlieferungen, sondern eine sofortige Beendigung des bewaffneten Konflikts und die Freilassung aller Geiseln. Ein Einsatz für diese Ziele entspricht der völkerrechtlichen und verfassungsrechtlichen Verpflichtung der Bundesregierung und bietet den einzigen Schutz vor weiteren Opfern der israelischen und palästinensischen Zivilbevölkerung. 

  Hamas

Mit den zahlreichen grausamen Tötungen, Folterungen, Gefangennahmen und Geiselnahmen von Zivilpersonen bei dem Überraschungsangriff der Hamas auf israelische Zivilisten hat die Hamas gegen humanitäres Völkerrecht nach Art. 3 der Genfer Abkommen vom 12. August 1949[i] und Art. 4 des Zusatzprotokolls II vom 8. Juni 1977[ii] verstoßen.Diese Bestimmungen sind Völkergewohnheitsrecht geworden und unabhängig von der Unterzeichnung der Abkommen für alle Staaten verbindlich. Sie gelten in internationalen und nicht internationalen bewaffneten Konflikten. Die Genfer Abkommen untersagen in Art. 3 die Tötung, Verletzung, Folterung und Geiselnahme von Personen, die nicht unmittelbar an den Feindseligkeiten teilnehmen. Art. 32 der Vierten Genfer Konvention verbietet Tötungen, Folterungen, Verstümmelungen sowie alle anderen Grausamkeiten, nach Art. 34 sind Geiselnahmen verboten. Art. 4 des Zusatzprotokolls II bestätigt und konkretisiert diese Bestimmungen.Das geltende humanitäre Völkerecht hat seinen Ausdruck in den Strafbestimmungen des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs (ISTGH) vom 17. Juli 1998[iii] gefunden. Alle Täter und Verantwortlichen der Hamas sind wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach Art. 7 des Rom-Statuts vor Gericht zu stellen und zu bestrafen. Sie erfüllen auch die Tatbestände der Kriegsverbrechen nach Art. 8 Abs 2 a (i), (ii), (vii) und (viii). Palästina ist dem Rom-Statut 2015 beigetreten. Der ISTGH ist mithin zuständig für die von den Palästinensern begangenen Taten. Nach den bisherigen Erkenntnissen gehören die für das Massaker verantwortlichen Mitglieder der Hamas zu den Palästinensern. Es gibt keine Rechtfertigung für die Massaker an der israelischen Zivilbevölkerung. Ein Widerstandsrecht Palästinas gegen die von der UN wiederholt als völkerrechtswidrig gerügte Besetzung könnte nur unter Beachtung der Rechtsgrundsätze der Verhältnismäßigkeit und des humanitären Völkerrechts ausgeübt werden. Die grausamen Quälereien, Tötungen und Entführungen israelischer Zivilisten sind völlig unverhältnismäßig und verstoßen in schwerwiegender Weise gegen das humanitäre Völkerrecht. 

Israel

Israel reagiert auf den Angriff der Hamas mit einem militärischen Gegenangriff. Einen Tag nach dem Angriff erklärte der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu den Kriegszustand und kündete „Vergeltung“ an; Israel werde die militärischen Strukturen der Hamas vollständig zerstören.Der israelische Verteidigungsminister erklärte, der Gaza-Streifen werde komplett abgeriegelt. Ab 8. Oktober 2023 wurden keine Lebensmittel, keine Medikamente, kein Trinkwasser, kein Treibstoff und keine Elektrizität in den Gaza-Streifen geliefert. In der Folge musste das Elektrizitätswerk in Gaza abgeschaltet werden. Seit dem 15. Oktober war eine Trinkwasser-Leitung in den Süden des Gaza-Streifens täglich einige Stunden in Betrieb, so dass Wasser nur für eine kleine Anzahl der 2,2 Millionen zählenden Bewohner und auch nur begrenzt zur Verfügung stand.Obwohl Israel vor seinem Angriff die Bevölkerung Nord-Gazas aufgefordert hat, das Gebiet zu verlassen und sich in den südlichen Teil Gazas zurückzuziehen, hat der umfassende Angriff Israels bisher weit über 20.000 palästinensische Bewohner getötet und zahlreiche Menschen verwundet. Trotz der Aufforderung an die Bewohner des Gaza-Streifens sich in den Süden zu begeben, hat das israelische Militär auch diesen Landesteil angegriffen und bombardiert. Die Wohnbesiedlung und die Infrastruktur des nördlichen Gaza-Streifens sind weitgehend zerstört worden. Auch aus dem südlichen Gaza-Streifen werden zahllose Zerstörungen gemeldet.Israel ist keinesfalls verpflichtet, den Angriff der Hamas auf israelischen Siedlungen und Menschen, die wahllose Tötung von über 1.200 Zivilisten und die Geiselnahme von 240 Bewohnern widerstandslos hinzunehmen. Zwar sieht Art. 51 UN-Charta ein Selbstverteidigungsrecht nur für Mitglieder der UN vor, also für die Notwehr von Staaten gegenüber Staaten, weil bei der Gründung der UN im Jahre 1945 ein nichtstaatlicher Angreifer kaum vorstellbar war. Der UN-Sicherheitsrat hat jedoch nach den nichtstaatlichen Terrorangriffen auf die USA am 11. September 2001 mit den Resolutionen 1368 und 1373 das Selbstverteidigungsrecht nach Art. 51 UN-Charta anerkannt. Angesichts der weitreichenden Anerkennung durch die internationale Gemeinschaft ist davon auszugehen, dass heute das Selbstverteidigungsrecht nicht auf bewaffnete Angriffe durch Staaten beschränkt ist, sondern auch auf bewaffnete Angriffe durch nichtstaatliche Akteure Anwendung findet.[iv] Demnach kann auch Israel nicht das Recht verwehrt werden, sich gegen die terroristischen Angriffe der Hamas militärisch zur Wehr zu setzen, die – soweit bekannt – von Palästinensern und aus dem palästinensischen Gebiet heraus begangen wurden.Entscheidend ist, dass Notwehr immer verhältnismäßig sein muss und die Bedingungen des humanitären Völkerrechts erfüllen muss. Der Internationale Gerichtshof (IGH) hat in seinem Gutachten vom 8. Juli 1996 in Anwendung von Art. 35 und 48 des Zusatzprotokolls I[v] hervorgehoben, dass „die in einem bewaffneten Konflikt beteiligten Parteien kein unbeschränktes Recht in der Wahl der Methoden und Mittel der Kriegsführung“ haben. Weiter: „Eine Gewaltanwendung, die nach dem Notwehrrecht verhältnismäßig ist, (muss) um rechtmäßig zu sein auch die Forderungen des für bewaffnete Konflikte verbindlichen Rechts erfüllen, was insbesondere die Grundsätze und Regeln des humanitären Völkerrechts umfasst.“[vi] Dabei ist für Israel von Bedeutung, dass die humanitären Regeln der Zusatzprotokolle auch völkergewohnheitsrechtlich gelten,[vii] und damit unabhängig sind von dem Umstand, dass Israel die Zusatzprotokolle I und II nicht ratifiziert hat.Art. 48 des Zusatzprotokolls I verlangt von den Konfliktparteien die Schonung und den Schutz der Zivilbevölkerung und ziviler Objekte, insbesondere die Unterscheidung zwischen der Zivilbevölkerung und Kombattanten sowie zwischen zivilen Objekten und militärischen Zielen. Verboten sind u.a. unterschiedslose Angriffe, Angriffe auf Krankenhäuser und Kollektivbestrafungen wie das Aushungern der Zivilbevölkerung oder die Blockade von zentralen Versorgungsgütern. Eine Vertreibung der Zivilbevölkerung ist auch in Form einer Evakuierung völkerrechtlich unzulässig. Die Aufforderung zur Evakuierung der Zivilbevölkerung führt nicht zum Verlust des Schutzstatus, wenn Bewohner ihr Wohngebiet dennoch nicht verlassen.„Das vorsätzliche Aushungern von Zivilpersonen als Methode der Kriegsführung durch das Vorenthalten der für die lebensnotwendigen Gegenstände, einschließlich der vorsätzlichen Behinderung von Hilfslieferungen“ ist ein Kriegsverbrechen nach Art. 8 Abs. 2b xxv des Römischen Status des Internationalen Strafgerichtshofs.[viii] Auch vorsätzliche Angriffe auf Krankenhäuser sind Kriegsverbrechen nach Art. 8 Abs. 2b xxiv und Abs. 2e ii. Vorsätzliche Angriffe auf Wohnstätten und Gebäude, die nicht militärische Ziele sind, gelten gem. Art 8 Abs. 2b v als strafbare Kriegsverbrechen. Israel hat sich entschlossen bei der Bekämpfung der – inmitten der Zivilbevölkerung und teils in Tunneln unter ihr lebenden und agierenden – Hamas durch Zerstörung der Wohngebiete und der lebenswichtigen Infrastruktur des Gaza-Streifens unter Inkaufnahme zahlloser ziviler Opfer militärisch vorzugehen, um eigene Verluste zu minimieren. Das ist eine unverhältnismäßige Verteidigung und nicht durch Art. 51 UN-Charta gedeckt. Der Internationale Strafgerichtshof ist für die von israelischen Soldaten und Soldatinnen auf palästinensischen Gebiet begangenen Taten zuständig.Die Republik Südafrika hat am 29.12.2023 vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) gem. Art. 36, 40 des IGH-Statuts Klage gegen den Staat Israel erhoben.[ix] Südafrika wirft darin Israel vor, durch seine Handlungen gegen das palästinensische Volk im Anschluss an die schwerwiegenden Angriffe in Israel am 7.10.2023 gegen das Völkerrecht zu verstoßen, insbesondere gegen die Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes, die am 12.1.1951 in Kraft getreten ist.[x] Südafrika beantragt beim IGH gegen Israel einstweilige Maßnahmen anzuordnen, um die Völkerrechtsverstöße zu beenden und nicht wieder gutzumachende Verluste zu verhindern. Darüber wird der IGH in Kürze entscheiden. 

Deutschland

Deutschland ist Vertragsstaat der Genfer Abkommen und der Zusatzprotokolle. Demgemäß und aufgrund der völkergewohnheitsrechtlichen Geltung ist die Bundesregierung gem. Art. 1 der Genfer Abkommen i.V. mit Art. 25 GG verpflichtet, die Einhaltung der Abkommen durchzusetzen, d.h. auch auf Israel einzuwirken, die humanitären Regeln und Beschränkungen seines Notwehrechtes einzuhalten, auf unzulässige Methoden der Kriegsführung zu verzichten und die humanitären Lebensbedingungen der Bevölkerung Gazas wie Trinkwasser, Lebensmittel und Treibstoff für lebenswichtige Einrichtungen sicherzustellen.Die Bundesregierung trifft insoweit auch die Pflicht, auf Staaten wie Katar und Ägypten einzuwirken, die Kontakt und Einfluss auf die Hamas haben, damit das Wohlergehen der Geiseln gewährleistet wird, diese freigelassen werden und der wahllose Raketenbeschuss auf Israel eingestellt wird.Statt dieser dringend notwendigen und gebotenen diplomatischen Bemühungen hat die Bundesregierung die Rüstungsexporte nach Israel verzehnfacht.[xi] Damit verstößt die Bundesregierung gegen ihre völkerrechtlichen Verpflichtungen sowie den Waffenhandelsvertrag (ATT).Als Vertragsstaat der Völkermordkonvention darf Deutschland weder gegen die Konvention verstoßen noch andere Staaten dazu ermutigen. Die Unterstützung und die Förderung solcher Verstöße sind verboten. Warnungen der Vereinten Nationen vor einem drohenden Völkermord darf die Bundesregierung nicht missachten. Der UN-Generalsekretär Antonio Guterres bezeichnete Gaza nach der israelischen Intervention als einen „Friedhof für Kinder.“ Wörtlich: So „sind wir Zeugen“ …“eindeutiger Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht…in Gaza.“[xii] Die UN drängt die internationale Gemeinschaft einen Genozid an den Palästinensern zu verhindern und diplomatische Lösungen in diesem Konflikt zu suchen.Es besteht Veranlassung darauf hinzuweisen, dass das außenpolitische Handeln der Bundesregierung durch die uneingeschränkte Achtung der Menschenrechte bestimmt sein muss, die universell gelten und nicht nur selektiv angewendet werden dürfen. Das folgt zwingend aus der Bindung der Bundesregierung an Recht und Gesetz gemäß Art 20 Abs. 3 GG.Der Vorstand der IALANA fordert die Bundesregierung auf, ihren völkerrechtlichen Verpflichtungen nachzukommen und zum Schutz der Zivilbevölkerung tätig zu werden. Sie hat alles in ihrer Macht Stehende zu unternehmen und auf die Konfliktbeteiligten einzuwirken, damit die Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht unterbleiben. Dazu gehört, bei Abstimmungen in der UN-Generalversammlung gegen die Verletzung des humanitären Völkerrechts und für einen Waffenstillstand in Gaza zu stimmen.[xiii][i] BGBl. 1954 II S. 838; internationale Quelle UNTS vol. 75, p. 31[ii] BGBl. 1990 II S. 1637; internationale Quelle UNTS vol. 1125, p. 609[iii] UN A/CONF.183/9[iv] Heintschel von Heinegg in Knut Ipsen, Völkerrecht, 6.Aufl., § 52 Rdnr. 24 m.w.N.[v] BGBl. 1990 II, S. 1551; international Quelle UNTS vol. 1125, p. 3[vi] I.C.J. Reports 1996 (I) p.257 para 42[vii] I.C.J. Reports 2004, p. 136, para 157[viii] UNTS 2187, S.31[ix] https://www.icj-cij.org/sites/default/files/case-related/192/192-20231228-app-01-00-en.pdf  [x] BGBl. 1954 II S. 730, internationale Quelle UNTS vol. 78, p.277; für die Bundesrepublik Deutschland in Kraft getreten am 22.2.1955; heute 150 Vertragsparteien[xi] https://www.tagesschau.de/inland/israel-deutschland-ruestungsexporte-100.htm[xii] UNSG, Secretary-General’s remarks to the Security Council – on the Middle East [as delivered] (24 Oct 2023).[xiii] Mit der Resolution vom 12.12.2023 hat die UN-Vollversammlung mit einer Zweidrittelmehrheit einen Waffenstillstand zur Verbesserung der humanitären Situation im Gazastreifen und die sofortige Freilassung der Geiseln verlangt. Deutschland enthielt sich der Abstimmung, weil das kriegsauslösende Massaker der Hamas in der Resolution nicht erwähnt wird.

Quelle: Erklärung der IALANA

Erklärung: Den Horror in Gaza beenden

Israel wird durch die Verbrechen der Hamas nicht seiner eigenen völkerrechtlichen Verantwortung entbunden. Der Krieg muss enden.

  • English version coming soon

medico international arbeitet seit Jahrzehnten mit Partnerorganisationen in Israel und Palästina. Wir haben in dieser langen Zeit unserer Zusammenarbeit, die meist mit politischen Minderheiten im jeweiligen Kontext stattfand, vieles versucht. Vieles ist gescheitert oder halb geglückt. Wir standen dabei immer auf der Seite der Unterdrückten und gleichzeitig auf der Seite der Idee von Verständigung und der Suche nach einer nicht-nationalistischen Perspektive.

Trotz dieser Erfahrungen mit politischer Gewalt und der Gewöhnung an Rückschläge und Niederlagen, die zuallererst die Realität unserer Partner:innen ist, stellt alles, was seit dem 7. Oktober geschehen ist, die herkömmlichen Strategien, Gewissheiten und Sicherheiten in Frage. Wir hören Horrorgeschichten von Tod, Gewalt und Verzweiflung, die kaum auszuhalten sind, obwohl wir sie nicht selbst durchleben müssen.

Wir stehen auch heute an der Seite unserer Partner:innen in Israel und Palästina, so gut, wie das gerade möglich ist. Und es ist nicht gut möglich. Denn sie sind verzweifelt, am Ende und todtraurig. Sie sind umgeben von Angst und Tod. Sie schlafen nicht, haben keinen Strom und es explodiert tagtäglich die Welt um sie herum. Sie versuchen und mit ihnen wir, sich nicht der herrschenden Kriegslogik und den falschen Dichotomien zu beugen. Doch das heißt nicht, dass wir unparteiisch wären, im Gegenteil.

Und deshalb sprechen wir jetzt und heute von Gaza, von dem die ganze Zeit gesprochen wird und über dem dennoch ein unerträgliches Schweigen liegt. Und wir sprechen mit Dringlichkeit, denn der Horror von Gaza findet jetzt statt. Er ist kein Ereignis der Vergangenheit, er ist ein Geschehen. Und er muss aufhören. Sofort.

Fast alle Argumente, die vor zwei, drei, vier Wochen vielleicht noch überzeugend waren oder klangen, sind es heute nicht mehr. Israels Armee ist außer Kontrolle, außerhalb der Verhältnismäßigkeit und außerhalb völkerrechtlicher und wertegeleiteter Bahnen. Die Menschen in Gaza durchleben seit Wochen die blanke Hölle und kein Tunnel unter ihnen rechtfertigt die Fortsetzung dieses Albtraums. Seit dem 7. Oktober finden flächendeckende Angriffe auf alle Teile Gazas statt, die etwa die Hälfte aller Wohnhäuser beschädigt, zerstört oder bis auf weiteres unbewohnbar gemacht haben. 1,5 Millionen Menschen sind auf der Flucht, so viele wie noch nie in Palästina. Sichere Zufluchtsorte gibt es nicht, bombardiert wird überall. Ganze Familien werden durch Luftangriffe ausgelöscht.

Das vorläufige Ergebnis: Binnen vier Wochen sind in Gaza mehr als doppelt so viele Frauen und Kinder dem Kriegsgeschehen zum Opfer gefallen, wie in der Ukraine seit Kriegsbeginn durch Verbrechen der russischen Armee den Tod fanden. Fast 11.000 Menschen sind bei israelischen Angriffen getötet worden, etwa 68 Prozent davon Frauen und Kinder. Schätzungsweise 2.650 gelten als vermisst, auch davon etwa 1.400 Kinder. Die meisten dürften unter den Trümmern ihrer Häuser begraben liegen. In keinem Konflikt weltweit haben die Vereinten Nationen bisher so viele Personal verloren wie in Gaza: 100 Mitarbeiter:innen kamen bei den Angriffen seit dem 7. Oktober ums Leben.

Schon vor dem verheerenden Überfall der Hamas und anderer bewaffneter palästinensischer Gruppierungen auf Israel waren in Gaza rund 80 Prozent der Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen. 65 Prozent der Bevölkerung litten unter Ernährungsunsicherheit, die hohe Arbeitslosigkeit hatte zwei Drittel unter die Armutsgrenze gedrückt. Die Bevölkerung, von der etwa die Hälfte Kinder und Jugendliche sind, hatte schon keine Perspektive, bevor die vollständige militärische Belagerung begann.

Am 9. Oktober ordnete Israels Verteidigungsminister dann die Abschaltung der Strom- und Wasserversorgung sowie die Einstellung aller Warenlieferungen einschließlich Lebensmittel, Medikamente und Treibstoff an. Davor kamen täglich im Schnitt 500 Lastwagen nach Gaza. Das ist der Bedarf, um das Gebiet zu versorgen. Als „humanitäre Geste“ der israelischen Regierung wurden bis zum 7. November insgesamt 650 LKW nach Gaza gelassen. Die UN-Konferenz für Handel und Entwicklung UNCTAD kommt in ihrem jüngsten Bericht zu dem Schluss: „Grenzschließungen und wiederholte Militäroperationen haben einen Teufelskreis des wirtschaftlichen und institutionellen Zusammenbruchs in Gang gesetzt, der den Gazastreifen zu einem Fall von Rück-Entwicklung gemacht hat.“

Die Folgen des jetzigen Krieges sind für die Versorgung der Menschen katastrophal. Laut WHO mussten 14 Kliniken ihren Betrieb einstellen. Das Personal der verbliebenen Krankenhäuser muss um das Leben der Patient:innen bangen. Ohne Strom funktionieren Autoklaven, Inkubatoren, Dialysen und andere lebenswichtige Geräte nicht. Die Lieferung von Treibstoff für die Notstromgeneratoren der Kliniken ist überlebensnotwendig und wird durch Israel weiterhin blockiert. Medikamente, Schmerz- und Betäubungsmittel, Antibiotika, Wundauflagen und Desinfektionsmittel sind nicht mehr in ausreichendem Maß vorhanden.

Die Einhaltung des Völkerrechts gewährleisten

Die Debatten in Deutschland der letzten Wochen haben für viele anscheinend zum Ergebnis, dass Israels Armee bedingungslos unterstützt werden muss und dass sie eine vertrauenswürdige Kraft des Guten ist. Dieser Glaube scheint weiterhin größer zu sein, als die Fakten und Zeugnisse von vor Ort, die bei aller gebotenen Vorsicht gegenüber den zur Verfügung stehenden Quellen ein eindeutiges Bild unbestreitbaren Grauens zeichnen.

Doch Deutschland führt nicht nur eine Debatte. Die deutsche Bundesregierung ist ein politischer Akteur und trägt Verantwortung. Bundeskanzler Scholz war der erste Regierungschef, der Israel nach dem 7. Oktober besuchte, die Bundesregierung und die gesamte Parteienlandschaft in Deutschland haben sich solidarisch mit Israel – was in dieser Situation auch bedeutet: solidarisch mit dem Krieg gegen Gaza – gezeigt und die Bundesregierung hat hierfür einen Freifahrtschein ausgestellt, der sich moralisch aus dem blutigen Überfall des 7. Oktobers ableiten soll.

Fraglos haben sich die Hamas und andere bewaffnete palästinensische Gruppierungen schwerer Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit schuldig gemacht und müssen dafür zur Verantwortung gezogen werden. Nach wie vor beschießen sie unterschiedslos Ziele in Israel und halten Zivilpersonen als Geiseln fest. Israel wird durch diese Verbrechen jedoch nicht seiner eigenen völkerrechtlichen Verantwortung entbunden. Die vollständige unterschiedslose Abriegelung der gesamten Küstenenklave und die weitgehende Vorenthaltung humanitärer Hilfe nimmt die palästinensische Zivilbevölkerung insgesamt in Haft für die Verbrechen jener Gruppen. Gezielte Angriffe auf nicht militärische Infrastruktur und die Zivilbevölkerung sind Kriegsverbrechen. 

Dem völkerrechtswidrigen Handeln muss schnellstmöglich ein Ende gesetzt werden. Die Bundesregierung muss, gemeinsam mit anderen Staaten, dringend entsprechenden Druck auf die Kriegsparteien ausüben, um ihrer völkerrechtlichen Verantwortung zur Verhütung von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit nachzukommen. Sie sollte weiter die wichtige Arbeit des Internationalen Strafgerichtshofs unterstützen und dem Chefankläger jede erforderliche Hilfe anbieten, um weitere Massengräueltaten zu verhindern und diejenigen zur Verantwortung zu ziehen, bei denen der Verdacht auf Beteiligung an Straftaten unter dem Römischen Statut oder Verantwortung für solche besteht.

Ein politischer Horizont ist notwendig. Es ist an der Zeit, mit den Menschen zwischen Mittelmeer und Jordan eine politische Perspektive zu entwickeln. Nur so kann Sicherheit jenseits der militärischen Macht geschaffen werden. Rechte und Sicherheit wird es entweder für alle geben, oder aber für niemanden.

Quelle: medico international am 10. November 2023

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