„Unter der Asche die Glut“ von Wolfgang Bittner – Rezension

Lyrik wird nicht selten als fünftes Rad am Wagen betrachtet und stiefmütterlich behandelt. Wer liest schon Gedichte? So heißt es oft. In der Schule – ja. Da kommen wir nicht daran vorbei. Aber dann? Und die Jugend: Schreibt sie eigentlich noch Gedichte? Es mag vorkommen. Aber das meiste läuft wohl heute übers Smartphone. Über SMS oder eher Whatsapp. Gesendet vielleicht an die Freundin, den Freund. So wird mit Abbkürzungen, welche uns Ältere wohl kaum verständlich sind.

Aber nun Butter bei die Fische: Wann zuletzt habe ich eigentlich das letzte Mal Gedichte gelesen? Manchmal kommt einen ja eines unter. Hier oder da. Dann überfliegt man es. Wo doch ein Gedicht auch Zu- und Hinwendung gedarf. Und dann …

Im Juni erreichte mich ein kleines Lyrik-Büchlein. Jetzt haben wir September! Jetzt schreibe ich erst darüber. Behandelte ich es wie es da sprichwörtliche fünfte Rad am „Wagen“? Nun ja: Der Schreibtisch war voll mit dicken anderen Büchern, die gelesen und besprochen werden sollten und wollten. Aber Wolfgang Bittners Gedichtband „Unter der Asche die Glut“ hatte ich so gelegt, dass ich es immer vor Augen hatte und sich somit ein schlechtes Gewissen verstetigte. Denn ich schätze Wolfgang Bitter als Autor politischer Schriften aber auch als Romanschriftstellen und Erzähler (Die Heimat, der Krieg und der Goldene Westen, Der neue West-Ost-Konflikt, Deutschland verraten und verkauft, der Erzählband Am Yukos).

Nun also Gedichte.

Schon beim ersten Kapitel bin ich vom Gedicht „Kompromiss“ (S.9) tief beeindruckt und berührt. Gibt er doch Kunde vom Leben in der bleiernen Zeit der Pademie. Nur ausschnittweise: „Es ist, als habe die Welt/ihren Charme verloren (…) Noch immer Sonne und Mond/auf den Wegen, aber kein freundlicher Gruß,/ kein freundliches Umarmen (…)

Gedichte, die hinterfragen, von Beängstigungen erzählen, hinter denen leise Hoffnungen eher verborgen sind als dass sie sich getrauen hervorzutreten.

Den Ablauf der Natur im Blick. Das Leben im global wütenden Kapitalismus. Die Frage nach dem Sinn unseres Lebens, wo doch so viel Sinnlosigkeit uns das Leben schwer macht. Wie all dem Standhalten? Standhalten!

Egon Bahr mahnte einst: Wir leben in Vorkriegszeiten. Wolfgang Bittner sieht Kampfflugzeuge in der Luft und überschreibt das kurze Gedicht mit „Böses Omen“ (S.17). Und ist es nicht so: „Wieder werden wir zugemüllt/mit Vorkriegspropaganda/Nach dem Krieg ist immer noch: vor dem Krieg.“

Wolfgang Bittners Gedichte atmen lange Lebenserfahrung sowie einen fest in ihm verwurzelten Humanismus. Er nimmt die Zumutungen und Zurichtungen unserer Zeit sozusagen aus der Adlerperspektive in den Blick. Hinunter auf die Ameisen-Welt (S.94), wo es sich anscheinend Leben lässt. Bis etwas Einschneidendes geschieht: „Bis zum bitteren Ende“. Er deutet und analysiert sie bis ins Detail. Das mag hier und dort auch Melancholie verströmen und in den Lesern wecken. Doch da ist immer auch ein Fünkchen Hoffnung – eine Glut eben unter der Asche. Wie u.a. in Alles fließt (S.26), das Gedicht, welches so anhebt: „Heute Blumen, morgen Kot,/

panta rhei – und schon sind die Blumen, die beglückenden, verblüht.“ (…)

Und so endet: „Und wachsen Blumen,/strahlen und duften,/uns zu erfreuen,/uns zu trösten.“

Es erweist sich in nahezu jeder Zeile welch genauer Beobachter der Dichter ist. Er betrachtet und beschreibt die Natur, die Pflanzen und Tiere liebevoll. Genauso liebevoll ist Bittners Blick auf die Menschen, wie er auch bei Notwendigkeit kritisch sein kann – ja aus seinem Inneren sein muss.

Und wie treffend und die Seele berührend wie Bittner den beginnenden Tag im Lockdown (S.44) in wenigen Worten nachzeichnet!

(…) Notstand ist angesagt,/verboten die Straße, der Park,/die Wohnung zu verlassen./Virologen erklären die Welt und Viren herschen/im Küchenradio, (…)

Und dann doch wieder ein Aufbäumen (Glut unter der Asche!): „Ich beschließe, mich zu waschen/und ein Gedicht zu schreiben, ist doch schönes Wetter.“

In Kapitel IV Aus der Zeit in Kann mich dunkel erinnern (S.47) ein Besuch in Bittners alten oberschlesische Heimat bedenkend. Ein wehmütiger Blick zurück in die eigene Kindheit. Aber auch die Erinnung (…) „an Feuer und Rauch/und die Schreie der Geschundenen.“ (…)

Wolfgang Bittner beschließt das an Vergangenes erinnernde und über Ist-Zustand des Heutigen berichtende Gedicht so: „Damals, in einem anderen Leben, und jetzt.“

Doch der Autor beschönigt nichts. Etwa in Die Botschaft (S.60). Nichts ist unmöglich. Wen beschleichen in unseren Tagen nicht düstere Ahnungen, die wir dann rasch wieder wegwischen. Auch ein Atomschlag könnte uns ereilen: (…) plötzlich wird es stürmen,/Asche regnen und mitten im Sommer/wird es schneien./ (…)

Und Seiten weiter lesen wir in Feindbild u.a.: (…) Wir bleiben zu Haus,/ lesen von Manövern/und dass begrenzte/taktische Atomschläge/möglich seien. Gegen einen Feind.“

Warnende Stimmen gab es mehr als wir denken. Auch neben Egon Bahr: Wir leben in Vorkriegszeiten. Warnten die Stimmen vergeblich? Bittner greift das im Gedicht Trümmer auf. Das Gedicht schließt: „Es ist nur das Übliche.“

Lernen wir Menschen nichts aus der Vergangenheit? Kaum. Nichts?

Nicht wenige Gedichte Bittners in diesem Band schreiben sich gleich einem Menetekel an die unsichtbare Mauer, an welche wir wohl von sich frech „Eliten“ dünkendem Personal gefahren werden. Irrungen und Wirrungen beschreibt Bittner. „Bomben-Stimmung“ (S.68) heißt ein Gedicht. Worin es um „humanitäre Einsätze“ und „Demokratisierung“ geht. Dabei – wir sollten das kennen – heißt es (…) „In Wahrheit: Profite, Rendite, Strategie und Größenwahn.“ (…)

Werden wir je begreifen? Wer will schon Krieg?

Sensibel ist all das geschrieben. Sowie von hoher Kenntnis und großer Lebensweisheit gespeist, sind die Gedichte geprägt. Sie sagen was war. Was ist. Was sein könnte. Und sie umfassen so viele Themen- und Lebensbereiche, dass man aus dem Staunen nicht herauskommt. Das tut so mancher Roman mit 400 Seiten nicht.

Und weil es so schmerzend aktuell ist, sei ein kleines Gedicht (S.97) ganz zitiert:

Meinung

Bei uns herrscht

Meinungsfreiheit.

Wer anderer Meinung ist,

darf sich nicht beschweren.

Der Gedichtband ist ein Aufrüttler, ein Mutmacher. Er ermuntert auch zu einem Blick in und auf die Geschichte, auch wenn man sie wegen später Geburt nicht selbst erlebt hat bzw. nicht hat erleben müssen. Die Liebe zur Natur und den Menschen wohnt so vielen Zeilen inne. Niemals kommt da etwas belehrend herüber. Sondern ein gesunder humanistischer Anspruch entströmt diesen Gedichten. Freilich scheinen aber nicht nur gute, sondern es klingen ebenfalls schmerzliche Erinnerungen aus ihnen. So ist nun einmal das Leben. Die Gedichte zeichnen nicht zuletzt ein Bild von einer kaputten, kaputt gemachten Gesellschaft, welche von unverantwortlichen Kräften einer immer weiter fortschreitenden Zerstörung preisgegeben wird, statt dem endlich entgegenzusteuern.

Was wäre noch zu sagen, lieber Leserinnen und Lesen? Machen Sie Gebrauch von diesem empfehlenswerten Gedichtband! Entdecken auch Sie die Glut unter der Asche. Sie lässt sich bei einem bisschen guten Willen finden.

Danke, dass mir das Büchlein in die Hände kam! Ab jetzt werde ich mich öfters der Lyrik zuwenden. Versprochen.

Unter der Asche die Glut

Gedichte

von Bittner, Wolfgang

12,90 €

inkl. 7 % MwSt. zzgl. Versandkosten

Unter der Asche die Glut

ISBN 978-3-96233-348-5 Kategorien: Lyrik, Lyrikedition 2000 Schlagwörter: Bittner, Gedichte, Lyrik, Lyrikedition 2000, Poesie Seiten: 148 Ausstattung: Paperback

Worte zum Jahresende

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

abermals endet ein Jahr, das Düsternis und Stress mit sich brachte. War ein kleines Hoffnungslicht am Ende eines langen Tunnels aufgeblitzt, so hatte es uns schon kurz darauf auch schon geäfft und war verschwunden. Das Virus blieb und wird wohl auch bleiben. Da bringt auch ein Krieg gegen es zu führen – wie der französische Präsident Macron es angehen wollte – nichts. Im besten aller Fälle wird das Virus immer schwächer und letztlich endemisch werden.

Alles mögliche wird dem Virus zugeschrieben. Ja, es macht Menschen krank und ja: es tötet Menschen auch.

Letztens las ich, das Virus sei auch für schlechten Umsatz der Geschäfte und für die Zerstörung wirtschaftlicher und persönlicher Existenzen verantwortlich.

Das stimmt nicht ganz: Es sind nämlich in erster Linie die teils wirren und chaotischen Maßnahmen unserer Regierung, die die Ursache dafür sind.

Das Virus beschäftigt die Hirne der meisten Menschen. Nun ist sogar eine Impflicht ins Auge gefasst. Erst für bestimmte Berufe. Ausgerechnet die Pflegekräfte in Krankenhäuser und Pflegeheime betreffend – die schon so gebeutelt und nicht die Bohne besser bezahlt sind – sind betroffen! Für die man am Anfang der Pandemie noch auf den Balkonen klatschte und sich ganz großartig dabei vorkam. Wie viele dieser Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden kündigen, wenn von ihnen verlangt wird sich gegen COVID-19 impfen zu lassen?

Und auch eine des Weiteren angedachte allgemeine Impflicht wird das Land weiter spalten und böses Blut machen. Nun sprach sich für die Impflicht auch NRW-Ministerpräsident Wüst dafür aus. Was verspricht er sich davon? Die Impfungen halte nicht, was man uns versprach und sind demzufolge kein „Game-Changer“.

Merken Politiker nicht, dass sie, sähen sie, die Spaltung in unserem Land immer weiter vergrößern? Der neue Bundeskanzler Scholz sieht keine Spaltung – wo lebte, wo lebt er? Aber auch Viele in der Bevölkerung sind voll auf Kurs. Stimmt denn das Shakespeare zugesprochene Zitat: „Das ist die Seuche unserer Zeit: Verrückte führen Blinde“?

Ein Journalist des RBB kündigte kürzlich auf seinem Twitteraccount an, wer ihm da etwas von Spaltung der Gesellschaft schreibe, werde geblockt von ihm. Dabei offenbar nicht einmal bedenkend, dass er als Reporter und Kommentator im vergangenen Jahr und dem davor selbst diese Spaltung mit befördert haben könnte. Viele Menschen finden auch noch die Hetze gegen Ungeimpfte gut und verlangen – wie große Teile der Medien, die merkwürdig gleichtönend und als Vierte Gewalt schon lange schmählich versagend – noch härtere Maßnahmen und Sanktionen gegen sie. Manche Äußerungen tönen gar abstoßend faschistoid. Oftmals stammen sie von Menschen, die man vor Kurzem noch als Linke verortet 269546421_3156842434601206_6927341028813424576_nhatte und sie sich selbst mit dem Brustton der Überzeugung als solche sahen. Kopfschüttel! Das macht mir Angst. Ich hätte das nie für möglich gehalten zuvor! Doch hier muss man der Corona-Krise fast dankbar sein: Riss sie manchen Menschen doch die Maske vom Gesicht und machte deren wahren Charakter kenntlich. (Screenshot via Facebook)

Dieser gefährlichen Spaltung müssen wir alle gemeinsam im kommenden Jahr entgegenwirken! Wie wollen wir – sollte die Pandemie je beendet werden – einander dann wieder in die Augen sehen?

In meinen Augen fühlt sich die momentane Situation bereits an wie die Zeit gegen Ende der DDR. Wenngleich das auch nicht in Gänze vergleichbar sein mag. Ich schreibe das dennnoch so. Als einstiger DDR-Bürger. Viele Menschen hierzulande haben das Vertrauen in die Regierung, die Wissenschaft und den Journalismus (was schon 2015 begann) verloren.

Immer mehr Menschen drücken ihre Bedenken und ihre Besorgnis über die Situation in welche man uns gebracht hat mit friedlichem Protest auf der Straße aus. Von Tag zu Tag wurden es mehr. Da ihnen immer wieder Demonstrationen von vornherein verboten wurden, treffen sie sich nun zu „Spaziergängen“. Gewissermaßen eine Form der Notwehr. So mancher Journalist bastelt sich da einen gängigen Frame. Und schon sind diese Proteste rechts  angestrichen. Da wird gar von Nazidemos geschrieben. Mag sein, dass hier und da tatsächlich Rechte und AfDler sich unter diese Spaziergänger mischen und versuchen diese für eigene Zwecke zu nutzen. Aber es ist doch nicht die Mehrheit! Soll man dann lieber gar nicht auf die Straße gehen? Wo es doch pressiert! Das soll wohl vom Staat mit dem Diffamieren dieser Proteste auch erreicht werden. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt! Auf der anderen Seite stehen Bürgerinnen und Bürger, die Corona-Maßnahmen gutheißen. Wie war das nochmal: Es gebe keine Spaltung unserer Gesellschaft?

Und nun twitterte die Bundestagsabgeordnete Saskia Weishaupt (MdB Bündnis 90/Die Grünen) nach einer dieser Spaziergänge in der Münchner Innenstadt auch noch, „Pfefferspray und Schlagstöcke“ gegen „Querdenker“ einzusetzen.

Ausgerechnet eine Politikerin der Grünen, die selbst einst zu vielen Demonstrationen auf die Straße gegangen waren und von der Polizei verprügelt worden waren! Saskia Weishaupt war damals noch nicht geboren. Gnade der späten Geburt? Aber kennt sie die Geschichte ihrer Partei nicht? Einer Partei freilich, die inzwischen m.E. ziemlich verkommen ist. Viele ihrer Grundsätze sind offenbar unterdessen zu Makulatur geworden … (Hinweis: Inzwischen – es hatte bereits einen Shitstorm unter dem Hashtag #schlagstocksaskia gegeben, hat die Politikerin ihren Tweet gelöscht – sie sei falsch verstanden worden, habe das ganz anders gemeint)

Es sollte gründlich abgerüstet werden. Auf allen Seiten. Dringend muss die Demokratie wieder gestärkt werden.

Auch muss uns die militärische Konfrontation und das in diesem Zusammenhang bedenklich verschlechterte Verhältnis unseres Landes zu Russland Sorgen bereiten. Bedenken wir Egon Bahrs Worte: „Ohne Frieden ist alles nichts“. Die Hetze und die Provokationen gegenüber der Russischen Föderation müssen aufhören. Wir sind – wie mir scheint –  wieder hinter die Entspannungspolitik von Brandt und Bahr zurückgefallen, in einen neuen Kalten Krieg. Das besorgt mich und viele andere zutiefst.

Ich wünsche Ihnen, dass der Umgang miteinander friedlich bleibt.

Frohe Weihnachten und einen guten Rutsch ins neue Jahr. Mögen wir Sorge dafür tragen, dass es friedlich wird und wir wieder zu einem gedeihlichen Miteinander kommen.

Ich bedanke mich bei allen Leserinnen und Lesern für ihre Treue und freue mich, dass auch in diesem Jahr neue hinzugekommen sind.

Ihr Claus Stille

Beitragsbild: Gänseblümchen via Pixelio.de

Update vom 24. Dezember 2021: Ich bedanke mich für die nette Reaktion auf diesen Text hier von Leo Lebendig, einem Dortmunder Künstler und Friedensaktivisten. Durch den Kommentar kam mir die Idee

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Der Künstler Leo Lebendig vor seiner „Human Soul“. Darunter Kinder aus dem Kindergarten der Pauluskirchen-Gemeinde; Fotos: Stille

diesen Text hier um ein Foto von einem von ihm geschaffenen Kunstwerk zu ergänzen.

Die seinerzeit in der Dortmunder Pauluskirche in der „Nacht der Religionen“ mit Spannung erwartete Aktion mit dem bekannten Künstler Leo Lebendig erregte Aufmerksamkeit und Staunen: Leo Lebendigs Kunstwerk „Flying Column“ (Himmelssäule der Weltreligionen) – der damals das Wort FRIEDE hinzugefügt worden war – beeindruckte das Publikum über diese Veranstaltung hinaus sehr. Das Publikum trug diesen vom Kunstwerk samt der damit einhergehenden Performance in Form des davon ausgehenden Spirits mit sich fort in ihr Leben hinaus.

FLYING COLUMN des Dortmunder Künstlers Leo Lebendig, darin die Friedensbotschaft. Foto: C. Stille

„Mega-Manipulation. Ideologische Konditionierung in der Fassadendemokratie“ Ullrich Mies (Hg.) – Rezension

Elf Jahre nach dem verheerenden Zweiten Weltkrieg geboren (wie ich), konnte meine Generation Stück für Stück bescheiden, aber doch relativ zuversichtlich in die Zukunft blicken. Nie wieder Krieg – wurde ehrlich wohl von den allermeisten Menschen gewünscht. Nie wieder Faschismus lautete die Devise. Klar, die Verhältnisse waren bescheiden. Der Wiederaufbau war im Gange. Ich schaute, sozusagen, von der noch jungen DDR aus auf und in die Welt. Besser, solle ich schreiben: hörte in die Welt hinein. Denn einen Fernseher hatten wir nicht. Also mit den Jahren bekam ich die Geschehnisse auf dieser Welt allmählich via eines Radioapparates namens „Potsdam“ mit. Nachrichten hörte ich stets interessiert. Die Eltern hörten auch DDR-Rundfunk, aber bei den Nachrichten musste es der Deutschlandfunk – Westradio also – sein. Dem sie wohl eher trauten, als dem ideologisierten DDR-Radio mit seiner marxistisch-leninistisch geprägten Agitation.

Später schauten wir bei der Nachbarin (die bereits einen Schwarz-Weiß-Fernseher besaß) die Tagesschau. Dann, als wir uns endlich einen gebrauchten Apparat leisten konnten endlich in die eigenen vier Wänden. Die Tagesschau begleitet mich bereits viele Jahrzehnte. Zu DDR-Zeiten war die ARD-Nachrichtensendung gewiss nicht nur für mich ein wichtiges Korrektiv zu den im Lande verfügbaren Medien. Das DDR-Pendant „Aktuelle Kamera“ konnte man getrost vergessen, denn Hurra-Meldungen und Propaganda gaben einander die Hand. Die Zeitungen betreffend wurde halt gelernt, zwischen den Zeilen zu lesen. Abends um acht wurde – außer im „Tal der Ahnungslosen“, Dresden und Umgebung, die Tagesschau eingeschaltet. Da konnte man sein Nachrichtenbild einigermaßen vervollkommnen und sich eine eigene Meinung zum Weltgeschehen sowie zu den Vorgängen eignen Lande im Vergleich zu dem, was die DDR-Medien brachten, bilden.

Mein Verhältnis zur Tagesschau bekam einen Knacks

Wann bekam mein Verhältnis zur Tagesschau einen Knacks? Im Wesentlichen war das vor und während des Ukraine-Konflikts der Fall. Und später dann zusätzlich betreffs der fragwürdigen Berichterstattung über die Vorgänge und den Krieg in Syrien. Um den deutschen Journalismus steht es m.E. mindestens seitdem im Allgemeinen nicht gut. Die Vierte Gewalt – eine äußerst wichtige Säule in der Demokratie – ist, was die ihr zugedachten Aufgabe anbetrifft – nämlich die Regierung, die Mächtigen zu kontrollieren und sie zu kritisieren – ein stumpfes Schwert geworden. Wenige Ausnahmen, guten Journalismus‘ bestätigen die Regel. Papageien-Journalismus macht sich breit. Was die Regierenden unter sich an politischen Maßnahmen auskungeln – und die wirklich Mächtigen hinter ihnen in Politik gern umgesetzt hätten – wird von den Medien oft nur unkritisch nachgeplappert. Es werden bestimmte Informationen weggelassen – was eigentlich fast noch schlimmer ist als zu lügen. Was auch geschieht.

Vor einigen Jahren hatten laut einer Reuters-Medienanalyse nur noch 40 Prozent der Deutschen Vertrauen in Journalisten. Was zu denken geben sollte. Aber augenscheinlich nicht zu denken gab. Wie ein Blick in die Wirklichkeit zeigt.

Vergleiche hinken – ich weiß. Aber beinahe gibt die Tagesschau heute ein ähnliches Bild ab wie einst die Aktuelle Kamera des DDR-Fernsehens. Die Tagesschau verklickert uns, was und wie wir denken sollen. Statt uns Meldungen derart zu präsentieren, dass wir Zuseher*innen uns ein eigenes Bild machen können. Akribisch und mit großem Engagement reichen die ehemaligen NDR-Mitarbeiter Friedhelm Klinkhammer und Volker Bräutigam zwar regelmäßig Programmbeschwerden bei eklatanten Verstößen der Tagesschau-Redaktion gegen die Programmrichtlinien ein. Doch bei den Verantwortlichen perlen diese Kritiken regelmäßig ab. Näheres dazu im Buch „Die Macht um acht“, das ich hier vorstellte.

Wichtiger Sammelband: „Mega-Manipulation“ im Westend Verlag

Ulrich Mies hat im Westend Verlag ein Buch herausgegeben, das den Titel „Mega-Manipulation. Ideologische Konditionierung in der Fassadendemokratie“ trägt. Ein nicht nur gewichtiger, sondern wichtiger Sammelband.

Darin ist eine Reihe kompetenter und hochkarätiger, weil auch international beachteter Autor*innen versammelt. So etwa Daniele Ganser, John Pilger, Caitlin Johnstone, Chris Hedges, Ernst Wolff, Wolfgang Effenberger, Aktham Suliman und viele andere mehr.

Ein treffliches Vorwort von Ulrich Teusch

Ulrich Teusch hat das Vorwort zum Buch geschrieben. Darin räumt er ein, dass wir alle – eben auch Journalisten – Fehler machen. Teusch:

„Wenn wir tatsächlich falschgelegen haben, was nur selten vorkommt, dann geben wir es zu. Wir korrigieren uns. Wir arbeiten dran. Wir werden jeden Tag ein bisschen besser. Unsere Selbst- und Qualitätskontrolle funktioniert. Wir sind nicht für uns oder andere da, sondern für das Publikum. Wir haben stetes die besten Absichten. Vertraut uns!“

Und dann kommt’s:

„Dieses schmeichelhafte Selbstbild des Mainstream-Journalismus, sei`s in Deutschland oder anderswo, hat mit der trostlosen Wirklichkeit wenig zu tun.“

Weiter:

„Zugeben, hier und da haben Medien, etwa im Zusammenhang mit der desaströsen Ukraine-und Russlandberichterstattung Fehltritte eingeräumt. Man hat sich entschuldigt. Doch man tat es nur, wenn es gar nicht mehr anders ging. Wenn also die Berichte nachweisbar falsch war, die Fehlinformation so eklatant, dass kein anderer Ausweg blieb, so man denn das Gesicht wahren wollte.“

Teusch stellt wichtige Fragen betreffs einer zunehmend „tendenziösen, manipulativen Berichterstattung und Kommentierung, die unseren Medienschaffenden inzwischen zur zweiten Natur geworden ist, so selbstverständlich, dass sie ihnen kaum noch auffällt“.

Fragen, die wir uns womöglich auch schon selbst gestellt haben:

„Tun sie es aus innerer Überzeugung? Oder wider besseres Wissen, als zynisch? Oder mit geballter Faust in der Tasche? Aus Karrierismus oder Opportunismus?“

So zu fragen, meint Ulrich Teusch, führe auf die falsche Spur. Das Problem, stellt er auf Seite 12 unten fest, „hat systemische Qualität angenommen“:

„Ob New York Times, Le Monde oder der Guardian, FAZ, Süddeutsche oder Die Welt, ob CNN oder BBC, ob ARD oder ZDF – sie alle unterdrücken absichtsvoll wichtige Nachrichten. Sie alle gewichten einseitig, pushen also die ihnen genehmen Informationen und halten die unangenehmen weit unten.“

Weiter stellt Teusch fest (S.14):

„Dass Medien Partei sind, haben inzwischen große Teile des Publikums gemerkt – und sind verstimmt. Sie artikulieren ihren Frust, zum Leidwesen der Macher. Gut so! Und weiter so! Aber es gibt nach wie vor viele Menschen, leider zu viele Menschen, die sich jeden Abend um 20 Uhr andächtig vor dem Fernseher versammeln in der irrigen Erwartung, umfassend und wahrheitsgemäß über das Tagesgeschehen informiert zu werden.“

Journalist Ulrich Teusch rät uns Medienrezipienten eigentlich dasselbe, was auch der Historiker und Friedensforscher Daniele Ganser bei fast jedem seiner Vorträge empfiehlt:

„Die wichtigste Lehre aus diesem Buch: Vertraut niemals nur einem einzigen Medium! Informiert euch kritisch-vergleichend, aus den verschiedensten Quellen, vor allem aus dem prosperierenden und von etablierten Mächten bekämpften medialen Alternativsektor! Entwickelt eine skeptische Grundhaltung – immer und überall!“

Dazu passt auch, finde ich, was Karl Marx seiner Tochter 1867 auf Lateinisch ins Poesiealbum schrieb: „De omnibus dubitandum“ („An allem ist zu zweifeln“).

Ich kann nach Lektüre des interessanten Buches nur unterstreichen, was Ulrich Teusch schreibt:

„Die Autorinnen und Autoren dieses Sammelbandes zeigen, wie berechtigt diese skeptische Grundhaltung ist. Sie erweitern diese sogar noch, indem sie den Blick auf die Mega-Manipulation werfen. Diese vollzieht sich – nahezu unbemerkt – hinter dem Schleier des Mainstreams. Sie weisen an zahrlichen Beispielen nach, wie Manipulation und Propaganda in den modernen Gesellschaften des „freien Westens“ funktionieren.“

In der Tat, wie leben in äußerst bedenklichen – ja gar gefährlichen Zeit. Womöglich in einer Zeit des Umbruchs? Wohin aber wird das Pendel ausschlagen?

Was nicht zuletzt in der Corona-Krise mehr und mehr offenbar wird. Redaktionsschluss des Buches war ursprünglich Ende Februar 2020. Als jedoch die Corona-Krise hochkam, schrieb Mies die Einleitung zum Buch noch einmal um.

„Diese vorgebliche Sorge um die Gesundheit der Bevölkerung halte ich für völlig überzogen – das bestätigen mittlerweile ja auch viele kritische Experten.“, sagte Ulrich Mies kürzlich in einem Sputnik-Interview. „Ich bin davon überzeugt, dass es hier um eine ganz andere Nummer (politische Zielsetzung, Anm. d. Red.) geht.“

Da geht es natürlich auch Mies nicht darum, die Existenz des Covid-19-Virus zu leugnen. Allerdings – so geht es mir jedenfalls – steht zu befürchten, dass dieses Virus vor dem Hintergrund einer heranrollenden schweren Weltwirtschaftskrise und eines wohl erneut ins Haus stehenden harten Crashs des Finanzkapitalismus höchstwahrscheinlich herangenommen werden wird, um Folgen zu verdecken und Veränderungen vorzunehmen. Von denen wir noch nicht wissen, in welche Richtung diese gehen werden. Beziehungsweise die Schuld für die schwerwiegenden Folgen, die das für unsere Gesellschaften haben dürfte, dem Corana-Virus zuzuschreiben.

Tagtägliche Angstmache

Tagtäglich – wie müssen nur bestimmte TV-Sendungen verfolgen (besonders negativ fällt mir seit Wochen dabei die „Aktuelle Stunde“ des WDR auf) – wird den Menschen quasi Corona-Angst förmlich eingehämmert. Wir wissen: Angst ist ein Mittel der Mächtigen, um die Untertanen einzuschüchtern und unten zu halten. Mir fiel dazu ad hoc das ebenfalls bei Westend erschienene und von mir besprochene Buch „Angst und Macht. Herrschaftstechniken der Angsterzeugung in kapitalistischen Demokratien“ von Rainer Mausfeld ein.

Der Westend Verlag zum Sammelband:

„Die Politik der etablierten Kräfte in Deutschland wird von einer marktradikalen und kriegsaffinen Allparteienkoalition gesteuert. Die Bewusstseinsindustrie reflektiert und verstärkt diese Ideologien. Dass Verfassungsstaat und Demokratie dabei unter die Räder kommen, nehmen die Ideologen billigend in Kauf. Es geht nicht mehr allein um Medienmanipulation und Propaganda, es geht um psychologische Kriegsführung, Informationskrieg und zunehmend um Zensur gegen die Zivilgesellschaft. Ullrich Mies hat ein internationales Autorenteam versammelt,  eigene Gedanken zur Propaganda in den westlichen Fassadendemokratien formuliert und sich weder der herrschenden Meinungsmacht der marktkonformen „Demokraten“ unterwirft, noch den Vorgaben der sprachlichen Türsteher der Political Correctness.“

Sowohl Titel als auch Untertitel dieses Buches liegen drei Behauptungen zu Grunde:

  • Mega-Manipulationen finden statt.
  • Die Öffentlichkeit wird ideologisch konditioniert.
  • »Wir« leben in einer Fassadendemokratie.

Für all das finden sich Buch zahlreiche Belege.

Fakt ist: Dass wir manipuliert werden und mit Propaganda bombardiert und belegt werden, ist nichts neues. Aber wir Menschen vergessen leicht. Einige Ereignisse werden in diesem Buch wieder sichtbar gemacht und unsere Erinnerung aufgefrischt. Was die zurückliegenden Geschehnisse anbetrifft, so sollten dieses Buch auch viele Menschen der jüngeren Generation lesen. Älteren Menschen – wie ich nun inzwischen auch einer bin – aber muss das Buch aber sehr zu bedenken geben. Der Eindruck dürfte sich vermitteln, dass wir heutzutage in zunehmend schwer übersichtlichen Verhältnissen, von den Mächtigen und den dazu gehörigen Interessengruppen immer öfters hinter die Fichte geführt – regelrecht verdummt – werden sollen.

Peter Scholl-Latour wusste bereits 2014 zu sagen: „Wir leben in einer Zeit der Massenverblödung“

Der Journalismus, die berühmte Vierte Macht, bewahrt uns davor – ebenfalls zunehmend – nicht hinter die Fichte geführt zu werden. Weil nicht kritisch hinterfragt wird, die Menschen nicht aufgeklärt werden Schlimmer noch: Große Teile der Vierten Macht sind Teil des Problems und Mittäter. Bereits 2014, an seinem 90. Geburtstag, stellte der große Peter Scholl-Latour im Interview mit Ramon Schack für Telepolis fest: „Wir leben in einer Zeit der Massenverblödung“ . Was wohl – lebte er noch – würde er heute zum Jetzt-Zustand sagen?

Zerstörte Hoffungen, vertane Chancen

Elf Jahre nach dem verheerenden Zweiten Weltkrieg wurde ich geboren. Wir lebten der DDR wie in der BRD (mit den entsprechenden zu bedenkenden Unterschieden) in eine Zukunft hinein, die im Wesentlichen Gutes verhieß. Die Frieden verhieß und mit Hoffnungen erfüllt war. Nicht zuletzt auch befördert durch die Politik „Wandel durch Annäherung“ (Egon Bahr), welche durch eine sozial-liberale Bundesregierung unter Willy Brandt Stück für Stück ins Werk gesetzt wurde. Und noch einmal keimte – bei vielen: euphorisch Hoffnung auf, als 1989 die Mauer fiel und die Systemkonfrontation anscheinend ein Ende zu haben schien. Anscheinend! Doch neue Fehler wurden gemacht. Die sogenannte Wiedervereinigung war ein Anschluss. „Eine Niedervereinigung“ gar, fand der Journalist Ralph T. Niemeyer. Wieder sind Kriege, in die wir hineingelogen werden, Mittel von Politik. Die große Chance, die uns 1990 quasi in die Hände fiel (aber auch darüber wird noch genauer zu sprechen sein), haben wir offenbar vertan.

Ralph T. Niemeyer gab in einem Video gewagt zu bedenken:

„Der Weltuntergang ging mal wieder schief, scheint es. Nach einem geplatzten Weltuntergang muss man völlig umdenken. Politik und Wirtschaft zögen an einem Strang, heißt es immer, aber die Frage ist, wer am anderen Ende ‚dranhängt?! Der Zusammenbruch des Neo-Liberalismus war vorhersehbar und die Instrumentalisierung der Covid-19 Pandemie so überraschend wie der Reichstagsbrand. Ein Plädoyer für ein neues, soziales, nachhaltiges und friedliches Wirtschaftssystem!“

Eine neue Hoffnung? Eine Möglichkeit. Ergreifen wir sie? Oder geraten wir durch verstärkte Mega-Manipulation in einen neuen Totalitarismus? Erstmal sollten wir das hier besprochene Buch mit seinen hochinteressanten Beiträgen zur Hand nehmen und lesen.

Ullrich Mies

Mega-Manipulation

Ideologische Konditionierung in der Fassadendemokratie

 

Seitenzahl: 350
Ausstattung: Klappenbroschur
Artikelnummer: 9783864892851

22 Euro

Gespräch, welches Ken Jebsen mit Ullrich Mies zum Buch geführt hat

 

Hermann Ploppa: „Der Griff nach Eurasien“. Ein „Aufrüttler“ im Sinne des Kantschen Sapere aude

Geschichtsunterricht wie wir ihn in der Schulzeit erlebten oder Historie uns durch die Medien vermittelt wird – all das ist immer auch von dem System in welchem wir leben und somit von den Interessen der jeweils Herrschenden geprägt. Da wird Ereignissen viel Raum gegeben, andere Geschehnisse aber werden wiederum nicht selten eher ausgeblendet. Offenbar weil sie nicht ins jeweilige ideologische Korsett passen. Auch in Fernsehdokumentationen – Ausnahmen bestätigen die Regel – wird uns nicht immer alles nahe gebracht, was eigentlich dazu gehörte, um das große Ganze zu verstehen. Erst recht nicht bei den Filmchen eines gewissen Guido Knopp im ZDF. In unseren Tagen müssen wir sogar Geschichtsklitterung erleben, das die Schwarte nur so kracht. Da werden ganz und gar Staaten wie die Sowjetunion, die im Zweiten Weltkrieg 27 Millionen Tote durch das Toben des Hitlerfaschismus in ihrem Land hatte beklagen müssen – ein glasklares Opfer des Hitlerregimes also -, je weiter die Zeit voranschreitet, unverblümt fast zum Täter „umgerubelt“. Wohl um das heutige Russland unter Putin zu dämonisieren.

Schwarzweiß ist Geschichte selten

Oft bekommen wir ein Schwarzweißbild präsentiert, das anscheinend – auf den ersten (unkritischen) Blick zumindest stimmig ist: Da die Bösen, hier die Guten. Punkt, Komma, Strich – fertig ist das Mondgesicht. Doch so einfach verläuft Geschichte nicht. Da gibt es Querverbindungen. Lernt man mit der Zeit. Es gibt nämlich immer Interessen. Um die von Staaten. Und die von einzelnen Personen. Sowie die von großen Konzernen und Banken. Diese Beziehungen bestehen gar nicht selten immer auch sogar noch weiter, wenn einzelne Länder Krieg miteinander führen. Da wird es dann schon schwerer, zu sagen, wer hier der Böse, wer der Gute ist. Und in Geschichtsbüchern macht sich so manches halt dann furchtbar schlecht, wie man sich vielleicht denken kann. Deshalb wird Geschichte gerne „geglättet“. Geschehnisse werden „eingeordnet“. Von wem ist da die Frage. Schreiben doch – wie es nicht falsch heißt – die (jeweiligen) Sieger die Geschichte.

Egon Bahr wusste das aus eigener, großer politischer Erfahrung Schüler*innen mitzuteilen. Und raubte ihnen damit womöglich Illusionen:

„In der internationalen Politik geht es nie um Demokratie oder Menschenrechte. Es geht um die Interessen von Staaten. Merken Sie sich das, egal, was man Ihnen im Geschichtsunterricht erzählt.“

Heute ist das nicht anders.

Wenn das eigene Weltbild erschüttert wird

Wenn man dann im Verlaufe der Zeit etwas erfährt, was nicht so recht in das einen von Schule und Medien und Politik vermittelte Geschichtsbild passt, kann zweierlei passieren: Man macht entweder sofort die Schotten dicht, um nicht das eigene Weltbild, das einen übergeholfen, eingelernt wurde, erschüttern – wenn nicht gar beschädigen zu lassen. Oder es kommt zu einem Aha-Effekt, der einen neugierig werden lässt, mehr zu erfahren. Und man öffnet sich den neuen Informationen mit offen stehendem Mund. Wenn auch zunächst vielleicht mit leichter Skepsis. Letzteres traf auf mich zu. Zweifel zu haben – an allem und jeden – ist ja durchaus nie verkehrt, sogar in jeder Sache angebracht. Riet nicht schon Karl Marx einst seinen Töchtern: An allem ist zu zweifeln?

Ein Schlüsselerlebnis: Die USA torpedieren seit über 100 Jahren die Beziehungen zwischen Deutschland und Russland

Nicht zuletzt ließ mich um 2014 herum die Entwicklung der Ukraine-Krise aufhorchen. Irgendwann dann stieß ich nämlich im Netz auf den Vortrag von George Friedman (Beratungsinstitut Stratfor). Ein Schlüsselerlebnis für mich. Friedman hielt am 4. Februar 2015 einen einstündigen Vortrag (Video mit deutscher Übersetzung via You Tube) vor dem Chicago Council on Global Affairs und plauderte ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen aus dem Nähkästchen. Kernaussage: Die USA torpedieren seit über 100 Jahren die Beziehungen zwischen Deutschland und Russland. Frei von der Leber weg sagte Friedman auch warum: Deutschland hat das wissenschaftlich-technische Knowhow, Russland ist äußerst reich an Bodenschätzen. Und, wenn die beiden Ländern zusammenarbeiten … Den Rest kann man sich einleuchtend ausmalen.

Halford John Mackinder: Wer das Herzland beherrscht, beherrscht die Welt“

Untermauert und somit unmissverständlich kristallklar werden diese Äußerungen George Friedmans durch die „Heartland-Theorie“ von Halford John Mackinder“. Einem erstmals vor nunmehr 115 Jahren verfasstem Text „The Geographical Pivot of History“ und von Mackinder vor der Geographical Society in London referierten und im April 1904 erstmals in „The Geographical Journal“ (London) veröffentlichtem Beitrag. Mackinders historischer Text ist in seiner Bedeutung nach wie vor hochgradig aktuell. Weshalb es dem Westend Verlag hoch anzurechnen ist, diesen Text nun wieder und auf Deutsch veröffentlicht (mit einem Vorwort von Willy Wimmer) zu haben. Dazu meine Rezension.

Nach Mackinder heißt es: „Wer das Herzland beherrscht, beherrscht die Welt.“ Um zum Kern dieser Aussage vorzudringen, müssen wir uns nur vorstellen, was sich allein in diesem geografisch umrissenen Gebiet für eine Menge an Bodenschätzen befinden. Hinzu gedacht die immense strategische Bedeutung für diejenige Macht, welche das Gebiet beherrscht!

Nun müssen wir nur noch die derzeitige politische Lage und die aktuellen weltpolitischen Ereignisse ins Kalkül ziehen und uns wird manches wie Schuppen von den Augen fallen.

Mackinders „Der Schlüssel zur Weltherrschaft. Die Heartland-Theorie“ als Ouvertüre zur Lektüre von Hermann Ploppas „Der Griff nach Eurasien“

Meiner Meinung nach kann es nicht von Schaden sein, „Der Schlüssel zur Weltherrschaft. Die Heartland-Theorie“ von Mackinder vor dem neuesten Buch von Hermann Ploppa „Der Griff nach Eurasien“, das ich hier besprechen will, zu lesen. Als Ouvertüre gewissermaßen. Übrigens hat Ploppa das Buch Julian Assange gewidmet.

Aufwendige, akribische Recherchen, die man Hermann Ploppas Buch anmerkt

Vorweg: Hermann Ploppa ist sehr für das Schreiben dieses Buch zu danken, das über viele Jahre aufwendiger Recherche bedurfte, nach und nach reifte und schließlich als ein sehr umfassendes Kompendium wichtiger geschichtlicher Ereignissen inklusive Analyse mit den dazugehörigen von Ploppa akribisch aufgeführten, aufgehellten Hintergründen erschien.

Vorsicht! Dieses Buch könnte Sie verunsichern

Wie schon das Buch „Hitlers amerikanische Lehrer“, ist auch dieses neue Buch von A bis Z wieder ein Buch, dass Aha-Effekte en masse bei uns Leser*innen auslöst. Sicher aber auch Kritik der üblichen Verdächtigen nach sich ziehen dürfte. Und aus diesem kühlen Grund von gewissen Medien wohl verschwiegen werden wird. Sei’s drum: Das Buch wird seinen Weg machen. Denn dieser neue Ploppa rüttelt kräftig an jahrzehntelang festgefügten Geschichts- und Weltbildern, indem er Zusammenhänge ins Licht rückt, die manchem nicht genehm sein werden, weil er sie nicht auf dem Zettel bzw. ausblendet hatte, weil sie nicht zur jeweiligen ideologischen Haltung bzw. nicht zur veröffentlichten Geschichtsschreibung passt. In diesem Sinne muss den Leser*innen der Hinweis zugerufen werden: Dieses Buch könnte sie unter Umständen verunsichern!

Aufwachhilfe

Andererseits muss aber auch dick unterstrichen gesagt werden: Das Buch hilft beim Aufwachen, um zu verstehen, was momentan schon wieder an Bedenklichem, den Weltfrieden Bedrohendem geschieht. Seien wir nicht länger Schlafschafe – lesen wir dieses Buch im Sinne von Kants Sapere aude: Befreien wir uns aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit. Melden wir uns hernach zu Wort!

Hermann Ploppa führt in diesem Buch sehr deutlich aus, das Eurasien schon immer das Objekt der Begierde von Machtstrategen war und geblieben ist. „Der Krieg“, lesen wir im Klappentext, „gegen Russland bzw. die Sowjetunion als Kernland Eurasiens findet sein über 100 Jahren statt. Man erinnere sich an die anfangs erwähnten Herren Mackinder und Friedman! Bei der beabsichtigten Eroberung Eurasiens spielte Deutschland eine entscheidende Rolle. Denn weder England noch die USA können ohne einen kontinentalen Juniorpartner die eurasische Kontinentalplatte aufrollen.

Unter diesem Aspekt ordnet Ploppa die Nazidiktatur als „Subunternehmer“ der Westmächte ein.

Mit Jelzin glaubte man die Russen (und dessen Bodenschätze) in der Tasche zu haben, doch Putin „drehte das Ruder wieder energisch herum“

Und es stimmt: „Der Griff nach Eurasien“ enthüllt bislang weitgehend unbekannte Kriegspläne gegen die Sowjetunion. Atomar wollte man sie sozusagen auslöschen. Nicht lange nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, da das Land nach der Hitler-Invasion geschwächt in Schutt und Asche und am Boden lag.

Nach zwei heißen Weltkriegen und einem Kalten Krieg schienen die USA und England in der Ära Jelzin endlich am Ziel ihrer Wünsche angekommen zu sein. Doch Putin drehte das Ruder wieder energisch herum. Dennoch steht die NATO heute wenige hundert Kilometer vor Moskau.

Und auch betreffs des kommenden Manövers „Defender20“ – dessen Stoßrichtung doch eindeutig gen Osten und damit nach Russland weist, will man uns weismachen, es richte sich gar nicht gegen Russland. Ja, haben wir denn die Hosen mit der Kneifzange angezogen?!

Es gab und gibt immer noch Alternativen zur Konfrontation mit Russland“

Aber Ploppa geht noch tiefer in der Geschichte zurück. „Es gab und es gibt immer noch Alternativen zur Konfrontation mit Russland. Ploppa erinnert an die heute längst vergessene Geschichte der Zusammenarbeit von Frankreich, Deutschland und der damaligen Sowjetunion. Es begann mit Rapallo. Es folgten ernsthafte Versuche de Gaulles, Chruschtschows, Adenauers oder Ehrhards, die künstliche Spaltung Europas friedlich zu überwinden.“ Nicht zu vergessen die Entspannungspolitik Willy Brandts zusammen mit bereits hier genanntem Egon Bahr. „Und die deutsch-russische Zusammenarbeit war mit der Annäherung von Kohl und Gorbatschow noch lange nicht zu Ende.

Hermann Ploppa plädiert dafür, sich der gerade entstehenden neuen Weltordnung mit China, Indien und Russland als neuen großen Akteuren zu öffnen und konstruktiv an einer demokratischen und humanistischen Welt mitzuarbeiten.“

Fürchtet euch nicht! Wir könnten aus der Nummer herauskommen

Klar: Das Geschichtsbuch von Hermann Ploppa öffnet einen nicht nur gehörig die Augen – es mag durchaus auch dazu beitragen, enttäuscht darüber, wie wir von anderen, von den Medien, Geschichtslehrer*innen und herrschender Politik nicht in Gänze informiert worden sind, leicht deprimiert zurückbleiben. Doch, fürchtet euch nicht! Aus diesem Grunde – uns verzagt zu machen – hat Ploppa das Buch nämlich nicht geschrieben. Im abschließenden Kapitel „Und wie kommen wir jetzt aus dieser Nummer heraus?“ (S.354) beschönigt er zwar nichts: „Denn in ihrer Uneinsichtigkeit in die Vergänglichkeit aller Weltreiche sind die USA durchaus in der Lage, uns in ihrem Sterbenskampf noch mit in den Sarg zu zerren. Konkret heißt das: sie könnten einen atomaren Erstschlag ausführen, wenn sie merken, dass ihre Zeit abgelaufen ist.“

Und, gibt er zu bedenken: „Wir in Deutschland sind abgetrennt von unseren natürlichen Verbündeten, den Russen. Zwischen ihnen und uns befinden sich die Intermarium-Staaten. Und die sind offenkundig noch weit entfernt von jener heilenden Erleuchtung, dass sie im Falle eines Krieges die ersten sind, die möglicherweise ausgelöscht werden.“ Zum Intermarium („Zwischen den Meeren“) hier mehr.

Ploppa hält aber auch Vorschläge bereit, wie Alternativen aussehen könnten bzw. seiner Meinung nach aussehen müssten. So müsse darauf hingearbeitet werden, dass unsere „Regierung endlich eine Politik der Blockfreiheit anstrebt“ (S.355). Des Weiteren sei es dringend erforderlich, „dass sich Denkfabriken bilden, die eine alternative Politik entwickeln.“ Denn immer wieder demonstrieren „und dann nach Hause gehen“ habe in den vergangenen Jahrzehnten „zwar etwas gebracht, aber letztlich fehlte es immer an einer schlagkräftigen Strategie, die für Nachhaltigkeit sorgt“.

Ploppa appelliert an uns: „Wir müssen aus der NATO und aus der Europäischen Union austreten, bevor die Panzer gen Osten rollen.“ Auch scheute er – das mag von der Wirkung her – umstritten sein, „den Dexit zu fordern, also den Austritt Deutschlands aus der EU.“ Aus seinen Ausführungen im Buch geht hervor, dass die EU seiner Meinung nach eine Top-Down-Veranstaltung“ mit demokratischen Defiziten ist, die „uns ohne jede Legitimation aufgezwungen wurde, und die nicht uns dient sondern den Konzernen aus Übersee.“ Hermann Ploppa sieht die Nation „mitnichten“ als „obszönes rechtes Projekt“ und beugt so gewiss aufkommenden Anwürfen vor. Ploppa:

„Wir müssen uns kurzschließen mit den Ländern, die ein zivilisatorisches Konzept verfolgen. Wir sollten aus der leidvollen Geschichte lernen. Wir haben in Zentraleuropa eine Kultur des Miteinanders, der Rücksichtnahme und des Humanismus geerbt. Wir haben die Verpflichtung, uns dieses großartigen Erbes zu besinnen. Dieses Erbes selbstbewusst gegen die marktradikale und militaristische Offensive zu verteidigen.“

Ploppa meint hoffnungsvoll: „Wenn wir uns selber wieder lieben lernen, können wir auch andere wieder lieben und eine liebevolle Welt erschaffen.“

Möge das – wie ich finde – wichtige Buch als „Aufrüttler“ dazu beitragen. Denn womöglich ist dementsprechendes Handeln eilends angesagt!

Das Buch schließt mit vielen Anmerkungen sowie Quellen- und Literaturhinweisen ab. Sie machen deutlich, was das Buch für eine unglaubliche Fleißarbeit gewesen sein muss. Diese Anmerkungen können auch online eingesehen werden.

Das Buch:

Der Griff nach Eurasien. Von Hermann Ploppa

Mit großer Beunruhigung sehen wir, wie die Kriegsvorbereitungen gegen Russland gnadenlos vorangehen. Truppen sind unablässig auf den Weg zur russischen Grenze. Währenddessen sollen die Atomwaffen, die im deutschen Büchel gelagert werden, erneuert und ausgetauscht werden. In diesem Zusammenhang wird oft eine Abkehr von der guten alten Entspannungspolitik beklagt. Damit sind wir bereits auf ein irreführendes Narrativ hereingefallen. Die sogenannte Entspannungspolitik war auch nur eine Kriegsführung mit subtileren Mitteln.“ Hermann Ploppa

ISBN 978-3-9812703-4-1    Achtung Preisänderung durch Verlag ! 24,00 €  Portofrei  

Der Autor (Informationen via Rubikon)

Hermann Ploppa ist Politologe und Publizist. Er hat zahlreiche Artikel über die Eliten der USA veröffentlicht, unter anderem über den einflussreichen Council on Foreign Relations. 2008 veröffentlichte er „Hitlers Amerikanische Lehrer“, in dem er bislang nicht beachtete Einflüsse US-amerikanischer Stiftungen und Autoren auf den Nationalsozialismus offenlegte. Sein Bestseller „Die Macher hinter den Kulissen – Wie transatlantische Netzwerke heimlich die Demokratie unterwandern“ sorgt nach wie vor für angeregte öffentliche Diskussionen.

Friedens- und Konfliktforscher Henrik Paulitz in Dortmund: Zur Militarisierung der EU und der betriebenen Spaltung der Gesellschaften

Henrik Paulitz, Leiter der Akademie Bergstraße. Foto: C. Stille

In Abständen komme ich immer wieder aus gutem Grund auf alarmierende Äußerungen von Egon Bahr zurück. Sie haben meiner Meinung nach erst recht in diesen Tagen und weiterhin Bestand. Berichtet hatte seinerzeit darüber die Rhein-Neckar-Zeitung am 04.12.2013:

„Hitler bedeutet Krieg“, habe sein Vater 1933 zu ihm gesagt. Als Heranwachsender habe er das nicht geglaubt. Und so sei das jetzt wieder: „Ich, ein alter Mann, sage euch, dass wir in einer Vorkriegszeit leben.“ Und die jungen Leute, sagte er, würden es ihm nicht glauben.

Henrik Paulitz ist Leiter der Akademie Bergstraße für Ressourcen-, Demokratie- und Friedensforschung. Der Friedens- und Konfliktforscher ist u.a. Autor der Bücher „Anleitung gegen den Krieg“ und „Kriegsmacht Deutschland? Am Montag dieser Woche war er zu Gast bei der ersten gemeinsamen Veranstaltung in diesem Jahr von Nachdenktreff, Attac Dortmund und DGB Dortmund Hellweg in der Auslandsgesellschaft in Dortmund.

Militarisierung der EU seitens der Eliten Westeuropas

Seit Jahren bemühen sich Eliten Westeuropas, die EU auch militärisch zur Großmacht zu entwickeln. Auf Augenhöhe mit den USA und China sollen die eigenen Interessen weltweit durchgesetzt werden. Zu diesem Zweck verfolgt die EU schon lange eine Strategie, die auf die Ausweitung des Einflussgebietes und den Aufbau umfassender militärischer Fähigkeiten setzt. Ausweitung des Rüstungshaushaltes, neue Militärstrukturen und ein europaweiter Rüstungsmarkt bedeuten, dass EU sich zu einer militärischen Ordnungs- und Kriegsmacht entwickeln soll. Nicht Landesverteidigung, sondern weltweite Ressourcenkontrolle ist Leitbild der Aufrüstung Deutschlands. Anhand aktueller Bezüge (Syrien; Vorschlag der deutschen „Verteidigungs“ministerin; Saudi-Arabien, Jemen) wird der Referent die militärischen Interessen Deutschlands innerhalb der EU heraus arbeiten.

Ausgangspunkt Syrien-Krieg

Als Ausgangspunkt des Referats hatte Henrik Paulitz den Anfang des Syrien-Krieges gewählt. Er warf die Frage in den Raum, wie es überhaupt möglich sein konnte, dass die Terrororganisation IS ohne Weiteres mit ihren ungepanzerten Pickups hatten die Landesgrenze überschreiten können. Ohne dass etwa die syrische Landesabwehr aktiv wurde – was man eigentlich habe erwarten können – hatten sie große Teile des Landes besetzen können.

Wissen wir was Kriege bedeuten?

In unserer Gegenwart würde, so Paulitz, hauptsächlich Krieg gegen die Infrastruktur der betroffenen Länder geführt. Ganze Städte und Dörfer würden quasi dem Boden gleichgemacht: „Ein Krieg gegen die Zivilbevölkerung findet statt.“

Fragen: Was mache eigentlich die Landbevölkerung? Und wer ist eigentlich schuld am Krieg? Wer ist gut, wer ist böse?

Sinnvoller sei, meinte Henrik Paulitz, zu fragen: „Was geschieht im Krieg?“

Die Öffentlichkeit wird über die tatsächlichen Ziele deutscher Außen- und Sicherheitspolitik im Grunde belogen

Der Referent zitierte Prof. Herfried Münkler (führender Berater der Bundesregierung). Der habe festgehalten: „Das größte Problem der deutschen Außenpolitik ist die Diskrepanz zwischen ihrer Ausrichtung und ihre öffentlichen Darstellung.“

Paulitz dechiffrierte: „Hochinteressant, dass einer der führenden Berater der Bundesregierung mit anderen Worten sagt: die Öffentlichkeit wird belogen.“ Man schenke der Öffentlichkeit keinen reinen Wein darüber ein, was die tatsächlichen Ziele der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik sind.

Des Weiteren habe Münkler erklärt, in den heutigen Kriegen würden sich die militärischen Kräfte „nicht aneinander reiben und verbrauchen“, sondern sich gegenseitig schonen und stattdessen die Gewalt gegen die Zivilbevölkerung richten. Das sehe man in Syrien.

Dem Zyklus der Zerstörung folge meist der Wiederaufbau.

UN-Generalsekretär António Guterres: EU-Staaten habe bezüglich Libyens eine Rolle zu spielen

Paulitz nahm dankenswerterweise aktuell auch Bezug auf Berliner Libyen-Konferenz vom vergangenen Wochenende. Und machte dabei auf einen Aspekt aufmerksam, den viele von uns vielleicht gar nicht wahrgenommen haben. UN-Generalsekretär António Guterres habe nämlich betreffs der EU gesagt, die EU-Staaten würden in den einzelnen aufgeführten „Spuren“ (es sind insgesamt drei Spuren) betreffs der Zukunft Libyens betreffenden Vereinbarungen und deren Umsetzung eine Rolle zu spielen haben. Eine eindeutige Zuweisung, die für den Wiederaufbau des Landes ebenso geltend, sei das, liest Henrik Paulitz aus dieser Äußerung heraus.

Energieknappheit? Es gibt ein globales und strukturelles Überangebot an Erdöl

Immer wieder, so Paulitz, werde das Bild vermittelt, dass Energie (sprich: Erdöl und Erdgas) knapp sei. Dabei gebe es in Wirklichkeit ein globales und strukturelles Überangebot an Öl. Die Förderländer drückten damit auf die globalen Märkte. Libyen und andere Länder hätten vor einigen Jahren in diesen Markt hineindrängen wollen.

Eine künstliche Verknappung des Angebots werde (konkret seit Gründung der OPEC, die das und der Preisstabilisierung organisieren soll) werde immer wieder herbeigeführt. Erinnern wir uns: immer werden mit militärischer Gewalt Ölförderanlagen zerstört oder die Förderung oder Lieferung behindert. So werde das Angebot künstlich verknappt. Und der Preis eines verknappten Gutes steige bekanntlich.

Schluss machen damit Staaten in gut und böse einzuteilen?

Der Referent meinte, seines Erachtens sei es sinnvoll, Schluss mit dem ewigen Streit gute Staaten und böse Staaten zu machen. Stattdessen solle man doch lieber darauf konzentrieren was in Kriegen geschieht, was die eigentlichen Kriegsziele sind. Und Kriege dadurch zu delegitimieren, indem man zum Thema macht, was in Kriegen systematisch im großen Stil passiere.

Wird Deutschland zu einer führenden Militärmacht?

Ein zentrales Thema des Vortrags: Wird Deutschland zu einer führenden Militärmacht?

Immer mehr sei ja die Rede von einer nötigen verstärkten Übernahme von internationaler Verantwortung seitens Deutschlands die Rede. Was freilich auch heiße, sich verstärkt militärisch zu engagieren. Ein zunehmende Militarisierung deutscher Außenpolitik habe ja seit 1992 beobachtet werden können. Im Grunde gehe es ja um die Durchsetzung (deutscher) Wirtschaftsinteressen, die Sicherung freier Märkte und die Sicherung von Bodenschätzen. Zu diesem Behufe fänden eben auch Kriege statt.

Bestimmte Kräfte monierten immer wieder, dass die deutschen Bundesregierung in der Vergangenheit diesbezüglich zu wenig getan habe. Sogar der inzwischen verstorbene Friedensforscher Prof. Dr. Andreas Buro habe der deutschen Außenpolitik seinerzeit „Ansätze von „Taubenpolitik“ attestiert. Die Bundesregierung in ihrer Außenpolitik changierte also zwischen Militarisierung und Zurückhaltung.

Dies, so Paulitz weiter, solle sich nun künftig ändern. Bezüglich einer weiteren Militarisierung der Außenpolitik werde Druck von verschiedenen einflussreichen Seiten auf Deutschland ausgeübt. Es heiße sogar, Deutschland habe gar keine Möglichkeit zu wählen, sogar schlichtweg die Verpflichtungen als Mittelmacht zu erfüllen und die Kosten dafür zu tragen.

Auf Staaten und Regierungen wird Druck ausgeübt

Henrik Paulitz: Unter derartigen Druck stünden weltweit Staaten und Regierungen, eine militärische Außenpolitik zu machen, auch wenn die gar nicht ihrem eigenen Willen entspreche. Paulitz zitierte den einstigen ExxonMobile-Chef und ehemaliger Außenminister der USA Rex Tillerson:

„Wir üben also Druck aus. Und können mit einem Regler die Stärke wählen.“

Paulitz: „Ich würde sagen, der Regler steht momentan auf fünf oder sechs. Mit der nachdrücklichen Forderung an Länder weltweit die Resolutionen des UN-Sicherheitsrats nicht zu beachten.“

Politik sei freilich erpressbar. Große Konzerne könnten mit Standortverlagerungen drohen.

Ebenso könne mit Terroranschlägen gedroht werden. Sowie mit der Destabilisierung Europas.

Selbst der ehemalige deutschen Außenminister Sigmar Gabriel habe in einer Rede – bezugnehmend auf einen Beitrag in der New York Times – gesagt, wonach die Welt zu einer Kampfbahn werde – man würde die sogenannte regelbasierte Welt verhindern und quasi zu einer neuen Weltordnung kommen, in der der Stärke sich durchsetzt.

Die Bundeswehr bald die größte Armee Westeuropas?

Es ginge sogar die Rede davon, die Bundeswehr zur stärksten Armee der Europa zu machen. Paulitz zitierte den großem Insiderwissen ausgestatteten Prof. Gunther Hellmann von Goethe Universität Frankfurt/Main habe gesagt, die Bundeswehr wird in sechs bis acht Jahren die stärkste (westeuropäische) Armee Europas sein. Gleichzeitig würde die Öffentlichkeit darüber belustige, sie nicht in der Lage Krieg zu führen, rüste man die Bundeswehr hintenherum auf.

Henrik Paulitz: Die Politik verstärkt aus der Sündenbockrolle entlassen

Was könne man tun? Henrik Paulitz: „die Politik verstärkt aus der Sündenbockrolle entlassen.“ Denn sie böte sich ja als „Prellbock der öffentlichen Kritik“ und schütze sozusagen „diejenigen, die hinter den Kulissen die Strippen ziehen“ und „diese Kriege eben einfordern“. Es sei doch so: Die Öffentlichkeit solle sich an den Parteien und der Bundesregierung abarbeiten. Um gegen diese Nötigungen und Erpressungen anzugehen, rät Paulitz diesem Druck auf Staaten in den Blick zu nehmen und an den Pranger zu stelle, anstelle der Staaten und die Regierungen, die diesem Druck ausgesetzt seien.

Die Besserverdienenden gegen zunehmende Militarisierung gewinnen?

Diese ganze Militarisierung werde sehr teuer werden. Weiter empfiehlt Paulitz sich mit Besserverdienenden ins Benehmen zu setzen: die hätten doch gewiss keine Interesse an dieser extremen Verteuerung – spricht: an steigenden Steuerzahlungen. Diesen Vorschlag verteidigte Paulitz auf eine kritische Nachfrage aus dem Publikum, was das denn bewirken solle, so: Die Besserverdienenden hätten in der Regel größeren Einfluss auf die Politik.

Paulitz befürchtet: Offenbar wird eine Polarisierung und Spaltung der Gesellschaften geplant, um Europa wieder kriegsfähig zu machen

NATO nahe Autoren hätten geäußert, in den kommen Jahren würden außen- und sicherheitspolitische Fragen auf Deutschland zukommen, von denen das Land noch nicht einmal zu träumen wage – womöglich nicht einmal in seinen Alpträumen. Paulitz: „Diese Leute scheinen bereits zu wissen, worüber die deutsche Öffentlichkeit in einigen Jahren diskutiert.“ Sie gehen davon aus, derartige Debatten könnten das Land zerreißen.

Man plane offenbar eine Polarisierung der hiesigen Gesellschaften Deutschlands und den anderen Ländern der EU. Und habe offenbar ein Interesse daran Menschen auseinanderzudividieren, Gesellschaften zu spalten und zu destabilisieren. Und auf diese Weise unter Umständen Europas sozusagen wieder kriegsfähig zu machen.

Versöhnung zum Zwecke der Verhinderung von Kriegen

Henrik Paulitz: „Warum gibt es eigentlich immer die Aufforderung sich nach dem Krieg zu versöhnen? Dann, wenn alles geschehen ist und Menschen Schlimmstes erlitten hätten. Die Überlegung wäre: „Es wäre wichtig zum Zwecke der Verhinderung von Kriegen, sich vor Kriegen zu versöhnen und Spaltungen der Gesellschaft entgegenzuwirken. Um nicht in eine Spirale der Gewalt zu geraten.

Nicht jede Argumentation des Referenten leuchtete dem Publikum ein

Kritische Fragen aus dem Publikum schlossen sich dem Vortrag an. Eingängig bzw. logisch waren einigen ZuhörerInnen bestimmte Darlegungen des Referenten offenbar nicht in jedem Fall. Vor allem deshalb, weil eindeutig die Einflussnehmer auf die Staaten im Referat nicht eindeutig kenntlich (gemacht) wurden. Andere Aspekte fanden wiederum Zustimmung.

Einer Dame erschien es offenbar zu einfach, nicht mehr von „guten“ und „bösen“ Staaten sprechen zu sollen. Was sei denn eigentlich mit der UN-Charta, wonach man ja nicht einfach in ein Land einfallen, noch ihm Gewalt androhen dürfe.

Die Antwort des Referenten – wonach die UN-Charta ja auch Kriege legitimieren könne – konnte die Fragestellerin nicht befriedigen. Sie hätte sich wohl ein eindeutige Antwort derart: Angriffskriege sind verboten, Punkt, erwartet.

Henrik Paulitz zeigte sich auf eine weitere Nachfrage – gewiss damit verblüffend – gar nicht sicher darüber, dass sich die kommende Übung „Defender 2020“ – obwohl tatsächlich (die Stoßrichtung der US-Truppenbewegung nämlich) einiges dafür spricht –

gegen Russland richte. Wiederum, sagte Paulitz, müsse allerdings schon damit gerechnet werden, dass „offenkundig“ ein Krieg in Europa geplant werde. Nur könne nicht gesagt werden, welche Zwecke er hat, noch auf welchen Territorien dieser Krieg stattfinde.

Ergo dürfte Egon Bahr – Politiker wie er fehlen heute nebenbei bemerkt schmerzlich! – doch nicht falsch gelegen haben, dass wir in einer Vorkriegszeit leben.

Weiter konnte man in 2013 in der Rhein-Neckar-Zeitung lesen:

Der wichtigste Tipp Bahrs an die Schüler? „In der internationalen Politik geht es nie um Demokratie oder Menschenrechte. Es geht um die Interessen von Staaten. Merken Sie sich das, egal, was man Ihnen im Geschichtsunterricht erzählt.“ Das werden die Schüler sicher nie vergessen.

Und auch wir sollten das nicht tun.

Ausblick:

Am 11. Februar 19 Uhr kommt Jörg Kronauer, ein deutscher Journalist und Autor zur nächsten Veranstaltung des Friedensforums und „AG Globalisierung konkret“ in die Auslandsgesellschaft. Aus Anlass der Übung „Defender 2020“ spricht er zum Thema „Machtkampf gegen Russland“.

Am 17. Februar 19 Uhr spricht in Kooperation mit Crossover Dortmund Dr. Gregor Waluga zum Thema „Das BürgerTicket für den Nahverkehr“

Und außer der Reihe

Am Dienstag, dem 28. Januar um 19 Uhr findet eine Informations- und Diskussionsveranstaltung zum Thema „Mögliche Kommunalisierung von DEW21 in der Dortmunder Stadt- und Landesbibliothek, Studio B statt.

Bitte melden, Soldat! Erzähl, offen vor der Kamera, was du im Auslandseinsatz der Bundeswehr erlebt hast! Zweimal an vorderster Front und beinahe das Leben verloren – für wen?

Kürzlich teilte mir ein früherer guter Arbeitskollege traurig und resigniert mit, dass ein Verwandter ihm eröffnet habe, er gehe zur Bundeswehr. „Ich habe mir den Mund fusselig geredet“, sagte der Mann mit viel Enttäuschung, aber auch Sorge für den jungen Mann in der Stimme, „aber es war partout nichts zu machen – der ist fest entschlossen und für fürsorglich gemeinte Warnungen überhaupt nicht zugänglich.“ Nur wenige Tage stieß ich im Netz auf die neue Ausgabe von Uli Gellermanns „Die Macht um acht“ auf You Tube. Darin nimmt Gellermann allwöchentlich die Tagesschau auseinander. Denn sie ist nicht mehr wie sie einmal. Oft kommt sie direkt mit schlechtem Journalismus daher. Was es bei der Tagesschau an Kritik zu üben ist – so die verehrten LeserInnen es noch nicht selbst bemerkt haben sollten – erfährt man gut in Uli Gellermanns, zusammen mit Friedhelm Klinkhammer und Volker Bräutigam veröffentlicht Buch mit dem Titel „DIE MACHT UM MACHT. Der Faktor Tagesschau“, erschienen bei PapyRossa (dazu hier mehr).

Bitte melde dich!

Nun, wie bereits angemerkt, kam da auf You Tube Gellermanns aktuelle Sendung. Zu spät für den jungen Mann, der unbedingt zum „Bund“ will. Hätte die zu Herzen gehende, sehr nachdenkliche Mail eines Soldaten, der im Ausland war, ihn umzustimmen vermocht? Ich weiß es nicht.

Wie immer“, schreibt Uli Gellermann auf seinem – übrigens meist sehr empfehlenswertem – Blog RATIONALGALERIE, „gab es auch auf unsere letzte Folge der MACHT- UM- ACHT eine Fülle von Zuschriften. Eine davon ist ganz besonders eindrucksvoll: Ein Bundeswehr-Soldat hat sich sich bei uns über YouTube gemeldet. Er gehört zu den deutschen Truppen, die inzwischen in mehr als zehn verschiedenen Ländern der Welt Krieg führen.“

Dies ist die Original-Mail des unbekannten Soldaten ( bei mir hier nur den Anfang):

„Ich habe den ganzen Scheiß da unten mitgemacht“ – SCHREIBT UNS DER SOLDAT – „3 Mal! 2x davon an vorderster Front und es fast einige Male mit meinem kostbarsten Gut bezahlt..meinem Leben! 1,5 Jahre meines Lebens verschwendet, Punkt!“

War dieser Mann auf die Reklame der Bundeswehr im Stadtbild und auf You Tube hereingefallen? Die liest und hört sich ja immer so toll und gar nach Abenteuer an. Ging es dem Verwandten von meinem alten Kollegen vielleicht ebenso? Er sollte die Mail des traumatisierten Soldaten lesen und sich die aus Gründen ganz in schwarzweiß gesendete letzte Sendung die „Die Macht um acht“ anschauen. Vielleicht käme er dann zur Vernunft.

Denn es steht nun einmal fest – ich glaube auch Helmut Schmidt hat sich einmal in diese Richtung geäußert: Der Soldatenberuf ist eben kein Beruf wie jeder anderer. Und der Dienst dort – erst recht im Ausland (wo wir nichts, aber auch nichts zu suchen haben – ist auch kein Abenteuerurlaub! Von solchen „Ausflügen“ kommt Mann und inzwischen ja auch Frau durchaus schon einmal im Zinksarg zurück. Und lasse sich ja niemand vormachen, die Bundeswehr brächte die Demokratie irgendwohin und sei ausschließlich zum Brunnenbau im Auslandseinsatz. Von wegen – Ruhe sanft, Peter Struck – Deutschland werde auch am Hindukusch verteidigt.

Es geht ganz einfach um Interessen. Das sagte bereits der ebenfalls bereits verstorbene Egon Bahr einst vor einer Schulklasse. Der wichtigste Tipp Bahrs an die Schüler: „In der internationalen Politik geht es nie um Demokratie oder Menschenrechte. Es geht um die Interessen von Staaten. Merken Sie sich das, egal, was man Ihnen im Geschichtsunterricht erzählt.

Ja, unsere Soldaten werden im schlimmsten Fall für Interessen verheizt, die oft auch noch gegen sie selbst gerichtet sind.

Soldaten sind Mörder“

Die Aussage „Soldaten sind Mörder“ stammt aus der Glosse Der bewachte Kriegsschauplatz, die Kurt Tucholsky 1931 in der Zeitschrift Die Weltbühne publizierte.[1] Unter dem Pseudonym Ignaz Wrobel schrieb er:

„Da gab es vier Jahre lang ganze Quadratmeilen Landes, auf denen war der Mord obligatorisch, während er eine halbe Stunde davon entfernt ebenso streng verboten war. Sagte ich: Mord? Natürlich Mord. Soldaten sind Mörder.“

  • Kurt Tucholsky

Quelle: Wikipedia

Diesem Soldaten rufen wir zu (schreibt Uli Gellermann und sagt es auch in seiner Sendung):

„Bitte melde Dich! Komm vor unsere Kamera. Erzähl Deinen Kameradinnen und Kameraden persönlich, was Du erlebt hast. Erzähle mit unserer technischen Hilfe dem ganzen Land, wie es an der Front in jenen Ländern aussieht, in denen wir nichts zu suchen haben und doch Krieg führen.“

Lesen. Weitergeben! „Warum wir Frieden und Freundschaft mit Russland brauchen“ – Rezension

Der Zustand der Beziehungen der gegenwärtigen BRD zu Russland ist als ziemlich schlecht und als über die Maßen bedenklich einzuschätzen. Matthias Platzeck (Vorsitzender des deutsch-russischen Forums) dazu kürzlich in einem Interview mit dem Deutschlandfunk (Dlf): „Die Beziehungen sind mehr als abgekühlt“.

Egon Bahr formulierte das Diktum „Wandel durch Annäherung“ und gab damit eine erfolgreiche Strategie vor

Doch bedenken tun das nur diejenigen bei uns, die sich unermüdlich für gute Beziehungen, Frieden und Freundschaft mit Russland einsetzen. Es sind wohl in der Mehrzahl Menschen, die das bereits früher getan haben als die Sowjetunion noch existierte. Ironie der Geschichte: Man muss sagen, dass die Beziehungen Westdeutschlands, der alten BRD, zu Hochzeiten des Kalten Kriegs zur damaligen Sowjetunion besser waren als gegenwärtig.

Zu verdanken waren die schrittweise ins Werk gesetzten Verbesserungen der Beziehungen Westdeutschland zur Sowjetunion einer politischen Strategie, die Egon Bahn in seiner Tutzinger Rede vom 15. Juli 1963 unter dem Schlagwort „Wandel durch Annäherung“ , formulierte. Das Diktum vom „Wandel durch Annäherung“ gilt als eines der „wichtigsten öffentlichen Ankündigungen eines Strategiewechsels in der westdeutschen Deutschland- und Wiedervereinigungspolitik während des Kalten Krieges“. Hier dazu mehr.

Matthias Platzeck immerhin gibt nicht auf. Im erwähnten Dlf-Interview sagte er kürzlich, nun müsse es darum gehen, wenigstens wieder mehr Berechenbarkeit hinzubekommen.

Ich selbst – man erlaube mir diesen kleinen Schlenker – verfolgte diese Politik im Sinne von „Wandel durch Annäherung“ seinerzeit hoch elektrisiert. Und zwar von DDR-Boden aus. Die schrittweisen Verbesserungen der Beziehungen Westdeutschland zur Sowjetunion, die auch auf die DDR ausstrahlten, waren damals quasi mit Händen zu greifen und Anlass zu großen Hoffnungen.

Und heute? Ein Scherbenhaufen! Das ziemlich zerstört, was Bahr, Brandt, Scheel mit viel Mühe zu Hochzeiten des Kalten Krieges ins Werk setzten und das sogar noch von Helmut Kohl weiter fortgesetzt worden war.

Das auf die falsche Fährte führende westliche Narrativ

Das westliche seitens Politik und von den Medien papageienhaft und unhinterfragte nachgeblökte wieder und wieder verstärkte, hauptsächliche Narrativ tönt inzwischen so: Schuld an der Verschlechterung der Beziehungen Berlin – Moskau sei Russland selbst, das gegen das Völkerrecht verstoßen habe, indem es die Krim annektierte. Das diese Reaktion Wladimir Putins Auslösende, der vom Westen unterstützte Maidan-Putsch in Kiew, kommt in diesem Narrativ nicht vor.

Gute deutsch-russische Beziehungen liegen nicht im Interessen der Mächtigen in den USA

Die Ostpolitik Egon Bahrs und Willy Brandts, die enormen Anstrengungen, die seinerzeit die sozial-liberale Bundesregierung noch von Bonn aus unternahm – und die, wir heute – nicht zuletzt von Egon Bahr – wissen nur in Absprache mit den USA, gemacht werden konnten, können heutzutage nicht hoch genug eingeschätzt werden. Vor allem, wenn wir heute wissen, dass das Hauptinteresse der US-Außenpolitik während des letzten Jahrhunderts, im Ersten und Zweiten Weltkrieg sowie im Kalten Krieg war, die Beziehungen zwischen Deutschland und Russland stets zu torpedieren. Denn, so George Friedman (hier das entsprechende Video) vom US-Thinktank Stratfor, weil sie vereint die einzige Macht seien, die die USA bedrohen könnten. Einleuchtend: Deutschland verfügt über das nötige Knowhow, Russland über eine gewaltiges Reservoir an Bodenschätzen.

94 Prozent der Deutschen befürworten laut einer Umfrage gute Beziehungen zu Russland

Dass es trotzdem die russisch-deutschen Beziehungen auf einen Tiefpunkt angelangt (besser: sehenden Auges dahin gebracht wurden) hierzulande Persönlichkeiten gibt, die nicht ruhen, versuchen zu Kitten was es zu Kitten gibt, um diesen für beide Länder so wichtigen Beziehungen wieder zu einem Aufschwung zu verhelfen, ist aller Ehren wert. Nicht zu vergessen dabei: Wie eine aktuelle Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa im Auftrag der Wiese Consult GmbH

zeigt, befürworten 94 Prozent der Deutschen gute Beziehungen zu Russland, fast 90 Prozent wünschen sich eine von den USA eigenständige Außenpolitik. Die Mehrheit der Deutschen unterstützt somit die gegenwärtige Außenpolitik nicht.

Adelheid Bahr initiierte dankenswerterweise einen Aufruf für eine neue Friedenspolitik

Adelheid Bahr, die Witwe des 2015 verstorbenen Egon Bahr, hat es dankenswerterweise unternommen einen Aufruf für eine neue Friedenspolitik herauszugeben. Der Titel: „Warum wir Frieden und Freundschaft mit Russland brauchen“ (erschienen bei Westend).

Warum? Weil die „aktuelle Politik der deutschen Regierung“ die Meinung der in der Umfrage zutage getretene „überwältigende Mehrheit“ der Deutschen , welche gute Beziehungen zu Russland wichtig finden, sträflich missachtet.

Versammelt in diesem Buch hat Adelheid Bahr Beiträge von Wolfgang Bittner, Peter Brandt, Mathias Bröckers, Daniela Dahn, Friedrich Dieckmann, Frank Elbe, Justus Frantz, Sigman Gabriel, Peter Gauweiler, Richard Kiessler, Gabriele Krone-Schmalz, Wolfgang Kubicki, Harald Kuja, Oskar Lafontaine, Albrecht Müller, Matthias Platzeck, Detlef Prinz, Herwig Roggemann, Florian Rötzer, Evgeniya Sayko, André Schmitz-Schwarzkopf, Hans-Joachim Spranger, Antje Vollmer, Konstantin Wecker, Willy Wimmer und last but not least selbstverständlich von Egon Bahr.

Das klug und weitsichtige Denken und Wirken Egon Bahrs

Hochinteressant ist es die Rede von Egon Bahr nachzulesen, die er 2015 anlässlich der Verleihung des Dr. Friedrich Joseph Haass-Preise gehalten hatte. Ein Schwerpunkt: Verantwortungspartnerschaft mit Moskau und Washington (ab S. 12).

Der Inhalt der Rede macht noch einmal klar, wie klug und weitsichtig Egon Bahr stets zu denken in der Lage war.

Nicht weniger bemerkenswert ist, was Egon Bahr zur Buchvorstellung des als erzkonservativ bekannten und über Jahrzehnte dementsprechend ideologisch auch gegen die Ostpolitik der sozial-liberalen Bundesregierung gewettert habenden CSU-Manns Wilfried Scharnagl, der einst Chefredakteur des Bayernkurier war, zu sagen hatte.

Bahr hatte, als er zur Buchvorstellung gebeten worden war, zunächst verständlicherweise ablehnend reagiert. Doch nachdem er erfuhr, dass Scharnagls Buch im Sinne hatte, nämlich die Beziehungen zu Russland wieder zu verbessern, war er sofort bereit zu dessen gemeinsamer Präsentation.

Wolfgang Bittner fragt: „„Was um Himmels willen treibt Deutschland gegen Russland?“

Unbedingt hinzuweisen ist auf den Buchbeitrag des Schriftstellers Wolfgang Bittner (S. 29ff). Unmissverständlich macht Bittner klar: „Russland gehört zur europäischen Familie“

Erschrocken hat den Schriftsteller die Frage „Was um Himmels willen treibt Deutschland gegen Russland?“ umgetrieben und offenbar tief emotional beschäftigt.

Gleich in der erste Zeile seine Beitrages merkt Bittner an: „Russland ist das größte Land Europas, das wird verdrängt und gerät allmählich in Vergessenheit.“

Er erinnert an die jahrhundertelang intensiven Handelsbeziehungen zwischen Deutschen und Russen, den kulturellen und wissenschaftlichen Austausch. Bittner: „Was wäre unsere Kultur ohne die russische Literatur, Kunst, Musik, ohne das russische Theater?“

Er führt „die Schriftsteller und Dichter Tolstoi, Dostojewski, Tschechow, Gorki, Puschkin und Jewtuschenko, die Maler Jawlenski und Repin (ich habe sofort die Wolgatreidler vor Augen), die Musiker Prokowjew, Schostakowitsch und Tschaikowsk (ich höre die Nussknacker-SuitePuschkin, bis heute wird in Russland Heinrich Heine verehrt und Beethoven widmete der Zarin Elisabeth seine Polonaise Op. 89, wofür ihm zum Dank eine großzügige Zuwendung gewährt wurde.“

Bittner – auch andere Autoren des Buches – erinnert an (…) „Wladimir Putins Rede vor dem Deutschen Bundestag 2001 – das war damals noch möglich!“ (…)

Putin habe da Goethe, Schiller und Kant genannt und gesagt, „dass die Kultur immer unser gemeinsames völkerverbindendes Gut war“.

Ist all das vergessen? Es sieht so aus. Traurig! Bittner sieht als einen ersten Schritt: „Antwort auf die Zumutungen aus Politik und Medien wäre rückhaltlose Aufklärung und Wiederaufnahme friedlicher, gutnachbarschaftlicher Beziehungen zu Russland“ (S. 41 unten)

Deutliche Worte von Mathias Bröckers

Mit drastischen Worten öffnet uns Mathias Bröckers die Augen, wenn er am Ende seiner Ausführungen warnt: „Und das unsere ‚Flinten-Uschi als militärische ‚Leyen-Darstellerin‘ mit ihren NATO-Knallköpfen und Donald Trump als Oberkommandierendem erreicht, was weder Napoleon noch Kaiser Wilhelm II noch Hitler geschafft haben – nämlich Russland unter die Knute zu kriegen-, können nur völlig Wahnsinnige glauben.“ Deutliche Worte!

Konstantin Weckers Mahnung: „Lasst uns diesen Krieg verhindern. Es könnte schrecklich werden“

Nicht weniger klar gibt Konstantin Wecker (S. 81) betreffs möglicher auch militärischer Konflikte zu bedenken: „Wenn zwei Weltmächte aufeinanderprallen, ist nicht der eine gut und der andere böse. Es geht um handfeste wirtschaftliche und territoriale Interessen, um Eitelkeit, Missgunst, Paranoia, mangelnde Empathie, krude Weltbilder mächtiger Menschen, die ihre Lebendigkeit eingetauscht haben gegen erstarrte Ideologien.“ Und mahnt: „Lasst uns diesen Krieg verhindern. Es könnte schrecklich werden.“

Daniela Dahn: „Von Egon Bahr lernen heißt verstehen lernen“

Auch die Publizistin Daniela Dahn trifft einmal mehr in ihrem Beitrag „Von Egon Bahr lernen heißt verstehen lernen“ den Nagel auf den Kopf.

Eine wichtige Aussage Daniela Dahns auf S. 66 oben: „Dafür, dass zur deutschen Staatsraison die Sicherheit Israels gehört, gibt es unabweisliche Gründe. Sie beruhen auf historischer Verantwortung. Aus denselben Gründen gebietet es sich, auch die Freundschaft zu Russland zur Staatsraison zu erheben.“

Willy Wimmers auf auf hoher Kompetenz beruhender Einwurf und dessen Erinnerung an „Tauroggen“

Der einstige Verteidigungsstaatssekretär unter Helmut Kohl, Willy Wimmer, bezeichnet die Lage unseres Landes als „schwierig“. Warum, das dröselt Wimmer im Buch unter dem Titel „Es ist ‚Tauroggen‘, Dummkopf“ kenntnisreich und durch seine frühere Tätigkeit äußerst kompetent auf. Zur Konvention von Tauroggen finden Sie hier Informationen.

Wimmer erwähnt Egon Bahr und Valentin Falin als große Männer. Beide engagierten sich bekanntlich für gute Beziehungen zwischen der BRD und der Sowjetunion/Russlands und den Frieden.

Wimmer möchte, dass wir uns nicht Tasche voll lügen sollten, „wie wir es seit dem völkerrechtlichen Krieg gegen Jugoslawien so meisterlich gelernt haben“ (S. 187). „Unsere westliche Politik wieder auf null setzen, den berühmten ‚Reset-Knopf‘ drücken und dabei völlig außer Betracht lassen, dass Moskau sicherheitspolitische Fakten geschaffen hat?“

Auch Willy Wimmer sieht da einiges an politischen Porzellan zerschlagen im deutsch-russischen Verhältnis und fragt: „Warum soll Moskau uns noch ein Wort glauben?“ Dennoch schließt der politisch kluge Wimmer zuversichtlich: „Und dennoch müssen wir es versuchen und uns notfalls in der deutschen Geschichte Rat suchen, wenn man Egon Bahr und andere schon nicht fragen kann. Tauroggen eben.“

Botschafter a. D. Frank Elbe empfiehlt: Rückkehr zu bewährten Strategien“

Der ehemalige deutsche Botschafter Frank Elbe hat ebenfalls einen Beitrag für das Buch verfasst. Und rät darin betreffs des Umgangs mit Russland zu einer „Rückkehr zu bewährten Strategien“ (S. 78).

Elbe weist auf Folgendes hin: „Europa hat – wenn es auch von einigen Ländern nicht so gesehen wird – eine eindeutige Interessenlage: beständige, berechenbare Beziehungen zu Russland“.

Damit spricht er aus, dass europäische und amerikanische Interessen eben nun einmal auseinander fallen.

Gabriele Krone-Schmalz: Deeskalieren, vermitteln, sich in die Lage anderer versetzen

Gabriele Krone-Schmalz. Foto: C. Stille

Fehlen durfte freilich auch in diesem Buch Gabriele Krone-Schmalz ganz gewiss nicht. Schließlich hat sie jahrzehntelange Erfahrungen sowohl in der Sowjetunion als auch Russland gesammelt, kennt Land und Leute. Gegen Ende ihrer Ausführungen im Buch (S. 110) appelliert sie an die gegenwärtige Generation und ihnen nachfolgenden Menschen: „Die ‚Kriegsgeneration‘ stirbt langsam aus, und ich habe den Eindruck, dass Bewusstsein der Zerbrechlichkeit von Frieden auch. Wie sonst lässt sich die unbedarfte Eskalation in Politik und Medien erklären? Deeskalieren, vermitteln, sich in die Lage anderer versetzen – das hat nichts mit Schwäche zu tun, sondern mit politischer Weitsicht, mit menschlicher Größe und mit den christlichen Werten, sie so viele im Munde führen.“

Zum Thema empfehle ich diesen Beitrag.

Frieden in Europa ist es wert, sich der Mühe des Ausgleichs zu unterziehen“, unterstreicht Wolfgang Kubicki (FDP)

Und FDP-Mann Wolfgang Kubicki gibt schon in der Überschrift zu seinem Beitrag (S. 111) zu bedenken: „Frieden in Europa ist es wert, sich der Mühe des Ausgleichs zu unterziehen“

Hauptanliegen des Buches: Frieden

Um nichts mehr – aber auch nichts weniger – als um den Frieden geht es diesem Buch! Möge es eine breite Leserschaft finden. Es geht schließlich um alles. Schon Willy Brandt wusste: „Der Frieden ist nicht alles, aber alles ist ohne den Frieden nichts.“ Schon 2013 warnte Egon Bahr vor SchülerInnen: „Ich, ein alter Mann, sage euch, dass wir in einer Vorkriegszeit leben.

Und in der Rhein-Neckar-Zeitung wird Bahr 2013 noch mit diesem Satz zitiert: „In der internationalen Politik geht es nie um Demokratie oder Menschenrechte. Es geht um die Interessen von Staaten. Merken Sie sich das, egal, was man Ihnen im Geschichtsunterricht erzählt.“

Eben das berücksichtigt dieses in diesen Zeiten wirklich Gold werte, von Adelheid Bahr herausgegebene Buch! Russland verstehen, heißt eben auch, Russlands Interessen nachzuvollziehen. Wobei ja keinesfalls jegliche Politik Moskaus gutheißen muss. Zu erkennen gilt es aber in Berlin, dass es nicht im Interesse Deutschlands sein kann, die Beziehungen zu Russland zu beschädigen. Wie schätzte doch Matthias Platzeck nüchtern ein: Die Beziehungen (zu Russland; C.S.) sind mehr als abgekühlt.

Fazit

Kaufen Sie dieses Buch! Lesen Sie es und geben Sie es weiter. Es ist ein Ausrufezeichen, die deutsch-russischen Beziehungen wieder auf Vordermann zu bringen, sie dringen eine Generalinventur und einer groß angelegten Reparatur zu unterziehen. Sonst ist Schlimmes zu befürchten. Haben wir vergessen, dass wir der Sowjetunion und Michael S. Gorbatschow nicht zuletzt auch unsere Einheit zu verdanken habe?!

Wladimir Putin hat wiederholt seine Hand gen Berlin ausgestreckt. Er hat gangbare Wege für die Zukunft vorgeschlagen. Putin Hand wurde bisher nicht ergriffen. Bedenken wir: eine Mehrheit der Deutschland und wohl auch der Bevölkerung der Russischen Föderation ist (trotz von Hitlerdeutschland 27 Millionen zu Tode gebrachter Sowjetmenschen) an guten völkerverbindenden Beziehungen zueinander interessiert.

Adelheid Bahr (Hg.)

Warum wir Frieden und Freundschaft mit Russland brauchen

Ein Aufruf an alle von Matthias Platzeck, Peter Gauweiler, Antje Vollmer, Oskar Lafontaine, Gabriele Krone-Schmalz, Peter Brandt, Daniela Dahn und vielen anderen

Update vom 12. Dezember 2018 Westend Redezeit:

via Westend Verlag

 

 

Herausgegeben von Adelheid Bahr

Erscheinungstermin: 02.10.2018
Seitenzahl: 208
Ausstattung: Klappenbroschur
Art.-Nr.: 9783864892363

Deutsch-Russisches Verhältnis. Die Tassen noch im Schranke: Ein Interview mit Antje Vollmer und ein Gedicht von Wolfgang Bittner

Willy Wimmer: „Es wird gezündelt, dass es nur so kracht.“, Foto: birgitH via Pixelio.de

Sehenden Auges müssen wir erleben wie „neue Eliten“ unseres Landes in der Politik wie in den meinungsmachenden Medien das Verhältnis zu Russland offenbar gewissen- und bedenkenlos ruinieren. Was die Ostpolitik Willy Brandts und Egon Bahrs bis hin zur daran anschließenden Politik Helmut Kohls an Entspannung des Verhältnissen der BRD zur Sowjetunion und später Russlands, einem Land, welchem wir Deutschen die Wiedervereinigung in hohem Maß verdanken, aufbauten, tritt eine neue Generation von Politikern und führenden Journalisten die Entspannungspolitik seit Jahren in die Tonne. Ein Spiel mit dem Feuer.

Dass es allerdings (noch) Politikerinnen und Politiker gibt, die die Tassen im Schranke haben, bzw. alles dafür tun, dass zumindest einige Tassen im Schranke des arg ruiniertem deutsch-russischen Verhältnisses einigermaßen unbeschädigt bleiben, zeigen als Beispiele nicht nur die frühere ARD-Korrespondentin Gabriele Krone-Schmalz und Brandenburgs einstiger Ministerpräsident Matthias Platzeck, sondern auch Antje Vollmer, die Theologin, ehemalige Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages und Grünen-Politikerin.

Antje Vollmer im Interview mit den NachDenkSeiten

„Wir sehen eine ständige Aufrüstung – militärisch und mit Worten“, sagt Antje Vollmer im Interview mit den NachDenkSeiten unter der Überschrift Antje Vollmer: „Wer sich für Mäßigung im Umgang mit Russland einsetzt, muss sich warm anziehen“

Die NachDenkSeiten schreiben: „Die ehemalige Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages warnt eindringlich vor einer weiteren Zuspitzung des Konflikts mit Russland und kritisiert mit deutlichen Worten Politik, Medien, aber auch ihre eigene Partei. Wer sich als Pazifistin und Befürworterin einer Entspannungspolitik innerhalb der Grünen-Partei stark mache, komme einem „Alien von einem fernen Stern“ gleich. Ein Interview von Marcus Klöckner über die Entspannungspolitik der alten Bundesrepublik und die Neuausrichtung der deutschen Außenpolitik durch die „Nachwende-Eliten“.

Antje Vollmer in einem Aufruf vom 12. April 2018 via Blog Antje Vollmer

Dialog statt Eskalation –

Für eine vernünftige Russlandpolitik

Mit großer Sorge beobachten wir den sich zuspitzenden Konflikt zwischen

Russland und dem Westen. Gegenseitige Sanktionen, die Schließungen von

Einrichtungen und Dialogforen, die einmal der Verständigung und Kooperation

dienten, folgen in immer schnellerem Rhythmus. Wir haben es inzwischen mit

einer beunruhigenden Entfremdung zu tun. Das gegenseitige Verhältnis ist

bestimmt von gegenseitigen Schuldzuweisungen, Verdächtigung und

militärischen Drohgebärden.

(…)

Weiter hier.

Unterschrieben wurde Vollmers Aufruf u.a. von Günter Verheugen (SPD), Edmund Stoiber (CSU), Horst Teltschik (CDU) und Helmut Schäfer (FDP).

Als Dreingabe zum Thema passend das Gedicht „Keinen Krieg!“ von Wolfgang Bittner (via NachDenkSeiten)

Hier nachzulesen bzw. als Podcast zu hören.

Sozialdemokrat Olav Mueller entschlossen gegen den fortschreitenden Rückschritt der SPD

Ich kann mir nicht helfen: Die über 150-jährige und damit älteste Partei Deutschlands, die SPD, will sich offenbar per Suizid abschaffen. Und die alte Tante, namentlich der Vorstand, zeigt sich anscheinend felsenfest sicher – anders kann ich mir das Handeln der SPD-Großkopfeten nicht erklären: Wir schaffen das! Und der fortschreitende Rückschritt der Partei ist an den Ergebnissen der Sonntagsfrage abzulesen: Die SPD liegt zwischen 16 und 19 Prozent. Na, sagt sich da der kommissarische Führer der SPD, Olaf Scholz aka Scholzomat: „Wir wollen in Deutschland wieder stärkste Partei werden“. Mit künftig vielleicht fünf Prozent oder weniger?! Ja, geht’s noch? Was ist bloß los mit dieser SPD?

Das fragt sich von Tag zu Tag und eigentlich schon seit Jahren mehr und mehr ein anderer Sozialdemokrat mit Namen Olav. Nämlich Olav Mueller aus Offenbach in Hessen. Der Olav mit v hat sich 35 Jahre in der SPD für die Menschen engagiert. Er war Juso-Vorsitzender, SPD-Ortsvereinsvorsitzender und Bürgermeisterkandidat. Mueller versteht seine Partei nicht mehr. Er ist empört und immer öfters auch traurig. Und er fragt sich: Warum handelt die SPD so wie sie handelt. Gegen sich, gegen die BürgerInnen und gegen den sozialdemokratischen Geist? Er regt an eine Untersuchungskommission innerhalb der SPD zu einzurichten, um das eigentlich parteischädigenden Verhalten des Vorstands zu untersuchen. In immer kürzer werdenden Abständen meldet sich Olav Mueller life über Facebook zu Wort. Zuletzt unter dem Titel „GRÖßENWAHNSINNIGER WORTBRUCH BEI GROKOVEREINBARUNG? Entscheidende Weichenstellung bei Rüstungsausgaben!“. Am Ende diesen Statements ist Mueller den Tränen nah.

Zuvor sprach er unter der Überschrift „MEDIENKRITIK… ist sie links, rechts
oder einfach nur angebracht?!“

Verzweifelt, aber entschlossen, das Sterben „seiner“ und ich möchte hinzufügen: unserer SPD nicht zuzulassen hat führt Olav Mueller seinen Kampf für eine Re-Sozialdemokratisierung dieser Partei. Und er braucht – und findet auch immer mehr – Mitstreiter, die ihn in diesem Kampf den Rücken

stärken. Und da interessiert es nicht ob diese MitstreiterInnen Mitglieder der SPD sind. Dieser Kampf ist auch ein Kampf um die Erhaltung der Demokratie in diesem Land und für den Frieden in der Welt. Wir brauchen wieder eine Sozialdemokratie, die sich an Willy Brandt, Herbert Wehner, Egon Bahr und vielen anderen aufrechten Sozialdemokraten orientiert. Gerade und mit einem Anlauf von ein paar Jahren seit dem Maidan-Putsch in Kiew wird die Entspannungspolitik Willy Brandts und seiner Mitstreiter auf der sogenannten Münchner Sicherheitskonferenz in die Tonne getreten. Den Anfängen zu wehren, dafür ist es schon zu spät. Ein neuer Kalter Krieg ist längst im Gange. Und ein heißer vielleicht nicht mehr fern? Das muss

verhindert werden. Denn: die Hoffnung (auf eine friedliche Welt) stirbt bekanntlich zuletzt.

Hier, unweit von Dortmund in Kamen sind heute die SPD-Oberen (wie auch anderswo in der Republik) unterwegs, um die Mitgliedschaft zu belatschern (weich zu machen), damit sie am Dienstag startenden Mitgliederentscheid pro GroKo zu stimmen. Das wäre m. E. ein Fehler. Und ein fortschreitender Rückschritt in Richtung fünf Prozent für SPD.

Den SPDlern rufe ich zu: Hört die Signale! Glück auf!

Hinweis: Die hier eingestellten Video-Statements von Olav Mueller dürften nur Facebook-NutzerInnen zugänglich sein.

Update vom 19. Februar 2018: Dazu passend ein Beitrag der NachDenkSeiten „Wer kontrolliert Abstimmung und Auszählung bei der SPD-Mitgliederbefragung? Das ist inzwischen eine öffentliche und keine reine Partei-Angelegenheit“.  Mit einem Video von „Mann Sieber!“.

Update vom 20. Februar 2018: Olav Mueller meldet sich noch einmal zu Wort. Er kritisiert scharf, dass nicht nur ARD und ZDF offen einseitig

für die GroKo Stimmung machen, sondern dass der SPD-Vorstand auch noch in den Papieren zur Mitgliederbefragung Wahlbeeinflussung zugunsten eines Ja zur GroKo betreiben.

Update vom 27. Februar 2018: Aufmerken, sonst könnte es ziemlich böse krachen in Deutschland

Update vom 5. März 2018: Juristische Schritte werden erwogen

24. Friedenspolitischer Ratschlag in Kassel (Teil 2) – Prof. Domenico Losurdo: „Dekret über den Frieden“ so aktuell wie vor 100 Jahren

Der italienische Philosoph Prof. Domenico Losurdo sprach in seinem Vortrag auf dem 24. Friedenspolitischen Ratschlag in Kassel von einer ernsten Gefahr eines dritten Weltkrieges. Und als er feststellte, „Wir leben in einer Vorkriegszeit“, fühlte man sich sogleich an den verstorbenen Sozialdemokraten Egon Bahr erinnert, welcher im Jahre 2013 SchülerInnen schockte, indem er mit der Erinnerung an die eigne Vergangenheit gleiches konstatierte: „Hitler bedeutet Krieg“, habe sein Vater 1933 zu ihm gesagt. Als Heranwachsender habe er das nicht geglaubt. Und so sei das jetzt wieder: „Ich, ein alter Mann, sage euch, dass wir in einer Vorkriegszeit leben.“ (Quelle: Rhein-Neckar-Zeitung) Thema seines Referats: 100 Jahre „Dekret über den Frieden“ (und dessen Bedeutung in der angespannten weltpolitischen Lage von heute).

Ideologie des Krieges abermals auf dem Marsch

Die Ideologie des Krieges beginne wieder zu greifen, mahnte Prof. Losurdo. Und zwar nach bekannten Mustern der Vergangenheit. Jedenfalls sei die derzeitige Lage wenig ermutigend. Die Erzählung von aktuellen Kriegsgefahr töne immer prominenter in der internationalen Presse. China und Russland sind Gegner der Demokratie heißt es. Der Westen und dessen stets apostrophierten Werte würde dagegen als der Hort der Demokratie hochgehalten. Es entstünde eine konfrontative Situation. Dies sei aber keinesfalls neu, betonte Prof. Losurdo. Und er sprach die Gründung der NATO an. Da sei die Situation ebenfalls besorgniserregend gewesen. Es sei überlegt worden, einen nuklearen Angriff zu entfesseln. Die bürgerliche, die westliche Demokratie hieß seinerzeit, sei eine Garantie für die Frieden. Als Italien der NATO beitrat habe Palmiro Togliatti, der Generalsekretär der Kommunistischen Partei (PCI), einst darauf hingewiesen, dass es einfach nicht wahr sei, dass Demokratien keine Krieg führte. Die USA hätten Angriffskriege gegen Spanien geführt und zuvor gegen Indianerstämme, um diese zu vernichten. Die Beispiele könnten bis in die Gegenwart fortgesetzt werden.

Domenico Losurdo: Die Kriegsideologie wendet sich direkt gegen China und Russland

Domenico Losurdo warf einen Blick auf die zahlreichen aktuellen Krisenherde im Mittleren Osten und Afrika. Er nahm aber auch die Lage in Korea, der Ukraine und nicht zuletzt Venezuela in den Fokus. All dies seinen Anzeichen einer sich zuspitzenden Situation. Sukzessive Kriegsvorbereitungen würden getroffen. Die Kriegsideologie wende die sich direkt gegen China und Russland. Diese beiden Staaten seien jedoch gerade diejenigen, welche sich den imperialistischen Abenteuern der letzten Zeit widersetzten und auf der Seite des Völkerrechts stünden.

Die USA und die NATO tragen die Verantwortung für verheerende Interventionen

Den USA und der NATO wies Losurdo die Verantwortung für die direkt oder indirekt geführten, ganze Regionen verheerenden militärischen Interventionen der jüngeren Vergangenheit und Gegenwart in Afghanistan, Irak, Syrien sowie Libyen und weiteren Staaten Afrikas zu – mit tausenden von Opfern. Vor allem Russland und China träten diesen geostrategischen Machtinteressen dienenden Interventionen strikt entgegen. Weshalb sie den Aggressionen der USA und ihrer westlichen Verbündeten ausgesetzt seien.

Kritik am „barocken Aberglauben“ westlicher Linke

Der Referent kritisierte den „barocken Aberglauben“ westlicher Linke, dass alle Staaten auf eine Stufe zu stellen seien, gleich kapitalistisch bzw. gleich imperialistisch agierten.

Linke Kräften muss es wie vor 100 Jahren um den Kampf für den Frieden gehen

Heute so Losurdo, gehe es darum die Interessen der ganzen Nation zu erkennen. Dabei müsse es gerade den linken Kräften genauso wie vor 100 Jahren um den Kampf für den Frieden gehen. Besonders mit Blick auf die aktuellen Krisenherde in Korea, im Irak, in Syrien oder im Jemen. Hierbei sollte stets die schwelende Weltkriegsgefahr im Hinterkopf behalten werden. Der absoluten Macht der USA, die diese nahezu um jeden Preis erhalten wollten, müsse der Kampf für den Frieden entgegen stehen „Haben wir keine Angst vor einer massenhaften Friedensbewegung!“, machte Losurdo den ZuhörerInnen im Hörsaal Mut.

Das „Dekret über den Frieden“ wieder aktuell wie zur Zeit seines Erlasses

Das „Dekret über den Frieden“ sei heute 100 Jahre nach dessen Erlass, ist sich Domenico Losurdo sicher, in der derzeit zugespitzten weltpolitischen

Prof. Domenico Losurdo (rechts) während seines Vortrags. Fotos (2) Claus Stille.

Situation ebenso aktuell wie seinerzeit. Damals ein wichtiges Ergebnis der russischen Oktoberrevolution von 1917 und der aus ihr siegreich hervorgegangenen Arbeiter- und Bauernregierung. Ziel des Dekrets waren ein sofortiger Friedensschluss „ohne Annexionen und Kontributionen“ und das Ende der Teilnahme Russlands am Ersten Weltkrieg. Es ist der erste von einer staatlichen Regierung verfasste Erlass, der Krieg als Mittel der Politik verurteilt. Es war eine klare Ansage gegen den imperialistischen Krieg, der ein Konkurrenzkrieg der Großmächte um die Kolonien und die Versklavung der kolonialen Völker war. Das Dekret hat im Ersten Weltkrieg die Friedenskräfte in den kriegführenden Staaten unterstützt. Und darüber hinaus weltweit antikoloniale Bewegungen und auf den Plan gerufen.

Update vom 3. Februar 2018: Aufzeichnung des Vortrags von Prof. Domenico Losurdo durch Weltnetz.TV