Bereits vor dem gestrigen traurigen Tag für die Demokratie an welchem das 3. Bevölkerungsschutzgesetz gleich an einem Tage durch Bundestag und Bundesrat durchgepeitscht und anschließend per Unterschrift des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier in Kraft gesetzt wurde, stand fest: „Wir brauchen echte Demokratie, nicht nur ein Update“. Diese Feststellung stammt von Marco Bülow, dem partei- und fraktionslosen Bundestagsabgeordneten aus Dortmund. Marco Bülow moniert, dass wir zu einer Fassadendemokratie verkommen, die immer stärker von wenigen Profitlobbyist*innen dominiert wird. Die soziale Marktwirtschaft sei längst zu einem Mythos geworden. „Wir stehen an einem Wendepunkt“, sagte er vor einiger Zeit auf einer Veranstaltung (mein Bericht) in Dortmund. Das Vertrauen in die Parteien nehme weiter ab, konstatiert er. Und zwar schon seit Langem. Bülow hat sich entschlossen – bei entsprechender Unterstützung – wieder für den nächsten Bundestag zu kandidieren. Seine Bewerbung richtet er, sagte Bülow auf dieser Veranstaltung im Union-Gewerbehof in Dortmund, richte sich betreffs der Bundestagswahl 2021 nicht wie üblich an eine Partei, sondern an die Bevölkerung, welche sein „Chef“ sein solle. Der parteilose Marco Bülow zeigte sich gewiss, nicht nur wieder in den Bundestag zu wollen, sondern versprach ihn zu „hacken“ und den Menschen ohne Lobby eine Stimme zu geben. Sein Credo: „Die Bevölkerung ist mein Chef.“
Marco Bülow. Foto: Claus Stille
Wenn er damals von „den Menschen ohne Lobby“ sprach, meinte der ehemalige Sozialdemokrat u.a. die Fridays-For-Future-Bewegung und andere Interessengruppen, die sich für einen gesellschaftlichen Wandel einsetzen und deren Stimmen im Bundestag Gehör verschaffen.
Am vergangenen Dienstag nun überraschte Marco Bülow einmal mehr: Vor dem Reichstagsgebäude in Berlin, dem Sitz des Deutschen Bundestags, nahm Bülow während einer Pressekonferenz einen überdimensionalen Mitgliedsausweis der Partei „Die PARTEI“, überreicht von derem Vorsitzenden Martin Sonneborn (MdEP), entgegen. Ein Coup der Satirepartei: denn mit Bülow hat sie nun ihren ersten Bundestagsabgeordneten! Marco Bülow war auch im Podcast halbzehn.fm zu vernehmen.
Im Folgenden erklärt Marco Bülow dazu:
Marco Bülow. Repro: Claus Stille
„Die PARTEI hat ihren ersten Bundestagsabgeordneten … oder warum ich da jetzt mitmache
17. November 2020
„Die Krise besteht gerade in der Tatsache, dass das Alte stirbt und das Neue nicht zur Welt kommen kann: in diesem Interregnum kommt es zu den unterschiedlichsten Krankheitserscheinungen.“ Antonio Gramsci
Seit Jahren hält die PARTEI der Gesellschaft und der Politik den Spiegel vor. Mit ihren satirischen Analysen und Kommentaren offenbart sie, wie starr und absurd die herrschende Politik und ihr etabliertes System geworden sind. Eine Politik, die immer mehr zu einer reinen Show verkommen ist. Die PARTEI hat ihren eigenen Weg gefunden, hierzulande und in Europa die herrschenden Missstände aufzudecken. Abgesehen von einigen Dokus findet ernsthafte Auseinandersetzung mit der Politik im heutigen TV nur noch in der Satire statt. Und das ist kein Zufall.
Die PARTEI und das Neue
Aus einer geballten Satireaktion der Titanic wurde eine Partei mit über 50.000 Mitgliedern! Immer mehr Menschen, die sich scharenweise von den etablierten Parteien und Politiker*innen abwenden, sind auf der Suche nach einer neuen politischen Heimat. Eine immer größer werdende Zahl an Menschen – vor allem Jüngere – unterstützt die PARTEI oder sympathisiert mit ihr. Daraus entsteht eine eigene Bewegung. Die PARTEI wird zum Disrupteur, zu einem Keil gegen verkrustete Politik, gegen die Lobbyrepublik, die keine wirklichen Alternativen mehr bietet. Sie kommt an einen Punkt, wo sie über ihre bisherige Rolle hinauswächst. Sie weckt Hoffnung und könnte die Chance erhalten, die Parlamente zu hacken.
Video von der Pressekonferenz am Dienstag in Berlin vorm Reichstag via die PARTEI
Neue Bewegung
Das alte System wird sich weiter destabilisieren und wir werden neue Arten von Parteien brauchen, die sich von den klassischen Parteien unterscheiden. Die PARTEI braucht mehr aktive Unterstützung von Bewegungen, Kultur, Wissenschaft und den bisher Passiven. Dafür muss sie noch mehr konstruktive Angebote machen und weitergehende Forderungen aufstellen. Die Partei wird seriös? Nein, sie muss so weiter machen wie bisher: bissig, satirisch, überzeichnend, spottend. Denn, so sagte es ein Parteimitglied nach seinem Einzug in das Dortmunder Stadtparlament treffend: „Satire ist kein Klamauk, sie muss auch mal wehtun.“ Und sie kann auch Menschen erreichen, die sich sonst von der Politik abgewendet hätten.
Raus aus der Starre
Ich sehe für mich persönlich keine Perspektive mehr bei den etablierten Parteien, auch wenn es dort weiterhin gute Leute gibt. Ich habe mich Jahre lang für ein Rot-Rot-Grünes Bündnis engagiert. Doch die Parteiführungen haben diese Versuche immer ignoriert oder bekämpft. Heute weiß ich: Ein solches Bündnis wird es niemals geben. Es taugt nur als „Hoffnungsdieb“ vor Wahlen, um noch einige Unzufriedene zur Stimmabgabe zu bewegen. Und so wird es auch bei der nächsten Wahl nur darum gehen, ob die SPD oder die Grünen die Juniorpartner der Union werden, mit denen dann alles beim Alten bleiben wird.
Marco Bülow am Hiroshima-Tag in Dortmund. Foto: Stille
Ich bekämpfe jedoch mit aller Kraft diese Verkrustung und den beherrschenden Profitlobbyismus. Gerade dort sehe ich mich im Einklang mit der PARTEI und mit Martin Sonnebor.
Meine Unterstützung
Das Neue muss in die Welt. Dafür brauchen wir Aktivismus, die Bewegungen auf der Straße. Wir brauchen die Satire und die Disrupteure, denn nur gemeinsam kann es uns gelingen, die Parlamente zu hacken und die Spielregeln zu ändern.
Ich habe eine spannende Zeit als fraktions- und parteiloser Abgeordneter erlebt. In dieser Rolle konnte ich einiges anstoßen und bewegen. Mir ist klar: Es gibt in fast allen Parteien noch die engagierten, bündnisfähigen Kolleginnen und Kollegen, die sich nicht nur dem angeblichen Sach- und Fraktionszwang beugen. Ich erlebe aber, wie weit sich die übliche Profipolitik von immer mehr Menschen entfernt. Sie sehnen aber eine wirkliche Veränderung herbei. Genauso geht es mir auch.
Ich möchte in einem wachsenden Team Neues auf die Beine stellen. Macht doch mit! Denn Die PARTEI ist sehr gut.“
Mit dieser Regierung ist kein Staat zu machen und von ARD-aktuell kein Journalismus zu erwarten. „Nicht der Krieg, der Frieden ist der Vater aller Dinge“, fand Willy Brandt, erster der vier sozialdemokratischen Außenminister in der 71jährigen Geschichte der Bundesrepublik – und deren einziger rühmlicher. Nach ihm und nach jahrzehntelanger Pause hielt die Degeneration der SPD auch Einzug im Außenamt. Auf dem absteigenden transatlantischen Ast ließen sich Frank-Walter Steinmeier, hernach Sigmar Gabriel und schließlich Heiko Maas nieder. Danach kann nur noch Mickymaus kommen. Unfasslich, aber wahr: Im krassen Gegensatz zu Brandt – dessen Ostpolitik war auf Entspannung und Friedenssicherung gerichtet – sucht Maas heute Provokation und Konfrontation mit Russland. Er hat Kanzlerin Merkels Segen. Beide setzen erwartungsfroh aufs kurze Gedächtnis ihrer Wähler – oder auf deren Apathie. Zeit, dass wir die Erinnerung an ein paar der übelsten Machenschaften dieses Gespanns stützen. Die Tagesschau bringt´s ja nicht. Von Friedhelm Klinkhammer und Volker Bräutigam.
Für Agnostiker und Sonstige: Die Gott-ist-tot-Theologie ist belegt. Lebte der Allgütige noch, dann hieße Maas mit Vornamen Heini und wäre nicht Außenminister. Sein ideeller Hoflieferant Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik, DGAP, wäre ungeboren geblieben oder hätte zumindest keine transatlantisch-imperialistische AgitProp vom Stapel gelassen wie diese:
“Der Fall Nawalny fügt sich in ein zunehmend negatives Bild Russlands im Westen ein, das durch den Skripal-Anschlag, den Tiergartenmord, die Hackerangriffe auf den Deutschen Bundestag und die Einmischungsversuche in die Wahlkämpfe verschiedener westlicher Staaten geprägt ist.“
Keine dieser Bezichtigungen ist mit Tatsachen belegt. Nicht einmal halbwegs diskutable Indizien sprechen für sie. Die Anwürfe wurden in den Giftküchen westlicher Geheimdienste und Propaganda-Apparate kreiert, nach einer Rezeptur, die dem AgitProp-Großmeister Joseph Goebbels zugeschrieben wird, obwohl es keine Primärquelle dafür gibt:
„Wenn man eine große Lüge erzählt und sie oft genug wiederholt, dann werden die Leute sie am Ende glauben. … Deshalb ist es von lebenswichtiger Bedeutung für den Staat, seine gesamte Macht für die Unterdrückung abweichender Meinungen einzusetzen … die Wahrheit (ist) der größte Feind des Staates.“
Es geht der Kumpanei von bedenkenlosen Mainstream-Journalisten und hinterhältigen Politstrategen mit dem eingangs zitierten Befund um die Verfestigung russlandfeindlicher Einstellungen und die Unterdrückung davon abweichender Meinungen. Auf diesem Feld macht auch der „Faktenfinder“ seinem Namen und der Institution der ARD-aktuell besondere Unehre, wie sein Beitrag über Nawalny zeigt.
Giftmischer am Werk
Prüft man die Behauptungen auf Tatsachengehalt und logische Konsistenz, dann kommt rein gar nichts dabei heraus. Dröseln wir´s auf:
Der Skripal-Fall ist nicht geklärt. Die britischen Behörden haben Vater und Tochter Skripal einfach verschwinden lassen. Die Gruselmär vom Nowitschok-Attentat auf die Beiden, ausgeführt von erfundenen russischen Geheimdienstkillern nach Drehbuch von James Bond-Filmen, war rundum derart unhaltbar geworden, dass man sie einfach aus den Schlagzeilen verbannte und den „Fall“ der Vergessenheit überließ. War da noch was?
Der „Tiergartenmord“ – Käseblattjournalisten lassen sich ums Verrecken nicht von diesen depperten Metaphern abbringen, Tagesschau-Redakteure schon gar nicht – genauer: Motiv und Hintergründe der Ermordung eines dschihadistischen Gewaltverbrechers im Berliner Tiergarten – ist ebenfalls absolut unklar. Auf der Anklagebank sitzt ein Russe, von dem man nicht mal den Namen mit Bestimmtheit weiß. Auf Basis hauchdünner, reichlich konstruiert wirkender Indizien behauptet der Generalbundesanwalt als oberster, jedoch weisungsgebundener Kläger der Regierung, der Beschuldigte sei ein geheimdienstlicher Auftragsmörder. Mehr ist nicht.
Nach wie vor unbekannt sind die Verantwortlichen für die Hacker-Angriffe auf den Bundestag. Hochprofessionelle Hacker lassen sich nun mal nicht einfach aufspüren, sie können immer falsche Spuren legen. Natürlich verdächtigt unsere politische Funktionselite so kaltschnäuzig wie beweislos den russischen Geheimdienst. Russophobie bis unter die Haarspitzen. Erwiesen hat sich hingegen, dass die US-amerikanischen Schnüffeldienste bei uns längst Hausmeister sind und die NSA sogar das Handy der Kanzlerin abgriff. Der Merkel-Satz „Abhören unter Freunden, das geht gar nicht“ gehört als weltweit dämlichste Stellungnahme eines Spitzenpolitikers zu einem geplatzten Geheimdienstangriff auf seinen Staat ins Guinnessbuch der Rekorde.
Auch die angeblichen russischen Einmischungsversuche in ausländische Wahlvorgänge sind nachweislich nur Propagandaböller. Sie dienen jedoch fortwährend zur Rechtfertigung zunehmender staatlicher Kontrolle über den öffentlichen Meinungsaustausch. Die vom US-Kongress veranlassten Muller-Untersuchungen gegen Trump haben zweifelsfrei ergeben, dass an der intriganten Kabale namens „Russiagate“ nichts Wahres war. Dennoch wird den Russen auch von deutscher Seite nach wie vor unterstellt, sie versuchten demokratische Prozesse im Ausland zu manipulieren.
An Widersprüchlichkeit, Stupidität und Realitätsferne wie an Feindseligkeit und Gefährlichkeit unerreicht sind die Storys unterm Rubrum Nawalny-Experiment.
Der Faktenfinder der ARD-aktuell hat in Erfüllung seines AgitProp-Auftrags die Einflussagentin Silvia Stöber Gift spritzen lassen, eine Autorin mit privilegiertem Arbeitsvertrag und bescheidener, von der Konrad-Adenauer-Stiftung geschulter Sichtweise. Ihr Artikel beweist, wie billig man Fakten mit Meinung ersetzen und gutes Geld mit schlechtem Journalismus machen kann.
Inkompatibilität, was ist das?
Dass auch im Journalismus Unvereinbarkeitsregeln gelten, hat sich ersichtlich nicht bis zur ARD-aktuell-Chefredaktion und erst recht nicht bei den zuständigen NDR-Rundfunkräten herumgesprochen. Über Stöber ist eigentlich bekannt, dass sie in Georgien an einer Regierungskonferenz teilnahm, die vom Atlantic Council, dem German Marshall Fund of the United States und der Konrad Adenauer Stiftung unterstützt wurde. Wohlgemerkt: Die ARD-Journalistin agierte dort nicht als Berichterstatterin, sondern als Mitwirkende an der Seite von Ministern und NATO-Generälen.
Der zweite Autor des in Rede stehenden Beitrages ist Patrick Gensing, Redaktionsleiter des Tagesschau-Faktenfinders. Von ihm weiß man aus eigenem Bekenntnis, wes Geistes Kind er ist:
„Ich glaube, dass man die Leute eher gewinnen kann, wenn im Journalismus eine Haltung vertreten wird, als wenn man da irgendwie einfach nur Fakten angehäuft werden. (sic) Das ist in meinen Augen auch überhaupt nicht Journalismus.“
Ach so. Gesinnung also statt Fakten. „Leute gewinnen“ statt informieren. Die neue Maßeinheit für miesen Journalismus im übergesetzlichen Notstand: der „Gensing“. Der werte Kollege glaubt doch tatsächlich, er dürfe die staatsvertragliche Pflicht des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu faktenorientierter, objektiver Berichterstattung in faktenfreie Beeinflussung umkehren. Wenn er das nicht auch noch im Qualitätsdeutsch eines BILD-Reporters gestammelt hätte, würde man zum Schreikissen greifen.
Seine „Haltung“ zeigt er reichlich ungeniert:
„Russland weist stets jede Beteiligung zurück – und schlägt mit Desinformation zurück… Attacken, Vorwürfe – aber keine Angaben zum eigentlichen Thema …: So reagierte Russland oft, wenn der Kreml in der Kritik stand.“
Gensing und Seinesgleichen demonstrieren damit ein absurdes Rechtsverständnis: Wenn Russland nicht beweist, dass die Beschuldigungen unzutreffend sind, dann stimmen die eben. Der Beitrag ist gespickt mit derlei Anwürfen unter Beweislast-Umkehr: „…offenbar von russischen Behörden…, „…mutmaßlich …“, „… es könnte sich um Rache handeln …“
Es zeichnet diesen „Faktenfinder“ aus, dass er keine Fehler einräumt und Falsches nicht richtigstellt. Die fraglos russlandfeindlichen Aussagen der Regierung reflektiert er als unstreitig zutreffend, auf Gegenrecherche und Berücksichtigung der russischen Sichtweise verzichtet er konsequent.
Ohne Ehrgefühl
Auf politischen Konformismus abgerichtete Journalisten interessiert eben nicht, warum die Bundesregierung sich weiterhin weigert, den russischen Ermittlern Zugang zur deutschen Untersuchung des Nawalny-Vorfalls und den vorläufigen Ermittlungsergebnissen zu gewähren. Mehrere russische Rechtshilfeersuchen „prüft“ die Berliner Justizverwaltung seit Wochen, erfüllt ist bisher keines. Dabei liegt doch nahe, die Blut-, Urin- und Gewebeproben, die dem Patienten Nawalny im Krankenhaus Omsk und danach in der Berliner Charité entnommen wurden, noch einmal von unabhängigen Instituten außerhalb Russlands und Deutschlands abgleichen und prüfen zu lassen. So käme man der Wahrheit auf die Spur. Die deutsche Weigerung kann nur einen Grund haben: Merkel, Seibert, Maas & Co. haben etwas zu verbergen, sagen die Unwahrheit und manipulieren die Öffentlichkeit. Eine schlechte Kopie der britischen Skripal-Farce.
Nawalny, der „führende Oppositionspolitiker“, kam ihnen nun in die Quere, unverfroren pöbelnd, wie man ihn halt kennt. Knapp vier Wochen nach seiner vorgeblichen lebensgefährlichen Vergiftung mit Nowitschok sonnt er sich erwartungsgemäß und mopsfidel wieder in medialer Aufmerksamkeit. Ungeachtet seiner medizinischen Erste-Klasse-Versorgung in Deutschland und des ihm gewährten, extrem teuren Personenschutzes, ungeachtet der deutschen Gastfreundschaft, die auch seine Angehörigen und seine politische Entourage einbezog, erdreistete er sich, im Gespräch mit dem Schmutzblatt BILD den Alt-Kanzler Gerhard Schröder als korrupten, aus Schwarzen Kassen bezahlten „Laufburschen Putins“ zu beschimpfen.
Bundeskanzlerin Merkel hätte die Anwürfe umgehend zurückzuweisen müssen, schon aus Selbstachtung und aus Respekt vor der Würde des Amtes, das Schröder vor ihr bekleidet hatte. Nawalny hat sein Gastrecht missbraucht. Schon deshalb hätte Merkel ihn auffordern müssen, das Land zu verlassen. Desgleichen waren Vizekanzler Olaf Scholz und die SPD-Vorsitzenden gefordert, klare Kante zu zeigen. Aber auch sie bestätigten nur ihre Stillosigkeit und Mangel an Ehrgefühl.
Und wie verhielten sich ARD-aktuell und die anderen Medien des Mainstreams angesichts dieses Skandals? Sie schienen ihn feixend zu goutieren. Ihr auffällig neutrales Wiederkäuen des Groschenblatt-Interviews konnte nicht darüber hinwegtäuschen.
Großmaul im Staatsschutz
Größere Verkommenheit und weitergehender Verzicht auf politischen Anstand waren nicht denkbar. Ein rassistisches Großmaul, zuhause mehrmals vorbestraft, unter anderem wegen Steuerbetrugs, gerade erst einen Monat vor dem angeblichen Nowitschok-Attentat mit dem Politreklame-Institut „FPK“ Pleite gegangen, darf sich weiterhin auf Staatskosten unbesorgt in Deutschland erholen. Toll. Merkel kann von Glück sagen, dass Schröder ihr erspart, ihren Protegé Nawalny auch noch vor deutscher Strafverfolgung wegen Verleumdung in Schutz nehmen zu müssen; die politischen Kollateralschäden der Nawalny-Affäre für Deutschland sind schon genug. Schröder ist lediglich gegen BILD zivilrechtlich vorgegangen. Nawalny ist zu klein für eine Begegnung vor Gericht.
Auch Norbert Röttgen, Nullnummer im Vorsitz des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags, schaffte es nicht, Schröder zu provozieren. Sein Geifern:
„Dass sich Gerhard Schröder, der ja in bezahlten Diensten im russischen Öl- und Gasgeschäft steht, an der Vertuschung und Verwischung der Verantwortung, die in Russland liegt, beteiligt, erfüllt in Deutschland viele mit Scham. (…) Das trifft auch für mich zu.“
Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen. Hatte der sich so gschamig gebende Herr, selbst Laufbursche der Amis auf der „Atlantikbrücke“, nicht anno 2006 neben seinem Bundestagsmandat unbedingt auch noch Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Industrie werden wollen, weil er den Hals gar nicht voll genug kriegen konnte?
Aus einem anderen trüben Tümpel quakt der sozialdemokratische „Russlandexperte“ Gernot Erler. Putin solle beweisen, dass staatliche russische Stellen nicht in den Nawalny-Fall verwickelt seien. Schröder habe zwar recht, wenn er sage, dass es keine gesicherten Fakten gebe. Aber:
„Wenn man rein rechtlich das betrachtet, rein juristisch, ist das zutreffend, aber natürlich nicht politisch. … Es ist auch schwer beweisbar, dass Putin hinter diesem Anschlag steht. Aber die politische Verantwortung ändert sich ja dadurch nicht und der muss sich Russland stellen. Und da können wir nicht länger akzeptieren, dass dieser Spruch, der immer wieder kommt – „keine Beweise“ – dann die einzige Antwort ist”.
Zu Brandts und Wehners Zeiten hätte ein sozialdemokratischer Exponent für diese gleichermaßen hinterhältige, diffamierende und dummdreiste Sprücheklopferei von seiner Parteiführung eine Abreibung der Extraklasse bekommen. Heute sind solche rechtsdrehenden Absonderungen politische Norm. Würde „der Kreml“ sich derartige Denkweisen zu eigen machte, könnte er Kanzlerin Merkel politisch und den deutschen Staatsschutz juristisch für jeden relevanten Mord hierzulande verantwortlich machen, vom Attentat beim Münchner Oktoberfest bis zum Anschlag auf dem Berliner Breitscheid-Platz; Moskau könnte – nach dem Prinzip „Wie du mir, so ich dir“ – unter Hinweis auf rechtsextreme Netzwerke im deutschen Sicherheitsapparat und auf deutsche Demokratiedefizite Sanktionen verhängen, beispielsweise mal den Gashahn zudrehen.
Die Sanktionitis ist endemisch
Womit wir wieder zu Maas kommen, fast wäre er uns durchs Sieb gefallen. Seine sanktionsbewehrten Demarchen sind ja im Grund nur hochfrequente Hilfeschreie, ihn doch bitte bitte endlich auch für voll zu nehmen. Ob mit Vorstößen in der UNO, in Syrien, in Libyen, in der Ukraine oder in Weißrussland, die südamerikanischen und die fernöstlichen Gefilde nicht zu vergessen: Überall hat der Mann nur Pups im Parfümladen gespielt, statt seines Amtes zum Nutzen unseres Landes zu walten. Jetzt hat er doch tatsächlich mithilfe Frankreichs neue EU-Sanktionen gegen ein paar vermeintlich schuldige russische Amtsträger erwirkt. Beflissen bot sich ihm die Tagesschau als Bühne an, auf der er wieder Warmluft ablassen konnte. Nun denn, wenigstens fordert er nicht mehr, über den Verzicht auf die Fertigstellung der Gasrohrleitung Nord Stream 2 nachzudenken.
Moskau hat natürlich Gegensanktionen angekündigt. Originell wäre es, unserem Staatsgast Nawalny bis zur einwandfreien Klärung des vorgeblichen Nowitschok-Anschlages die Rückkehr nach Russland zu verweigern. Dann müsste Heikos Kabinettskollege Horst Seehofer schauen, wie er mit dem „bedeutendsten russischen Exil-Oppositionspolitiker“ und dessen Effekthaschereien klarkommt.
Nicht ausgeschlossen ist, dass Maas aus schierer Geltungssucht selbst von den Oliv-Grünen abkupfert: Deren „Experte“ Stefan Meister nämlich, wohlbestallter Mitarbeiter der Heinrich-Böll-Stiftung, verstieg sich zu der Empfehlung, Russland mit einer „robusten EU-Mission“ in der Ost-Ukraine unter Druck zu setzen. Einen völkerrechtswidrigen Krieg beginnen, um einen der westlichen Geschäftemacherei hinderlichen Bürgerkrieg in der Ukraine zu beenden: Auf solche hirnrissigen Einfälle kann nicht mal Maas ohne grüne Nachhilfe kommen.
Zu Beginn unserer Überlegungen hatte der aufrichtige Friedenspolitiker Willy Brandt das Wort. Am Schluss wollen wir Frank-Walter Steinmeier zitieren, einst Handlanger in Schröders völkerrechtswidrigem Angriffskrieg auf Jugoslawien, später Mitwirkender an der Vorbereitung des blutigen Staatsstreichs in Kiew. Heute gibt er die pastoral säuselnde Silberpappel:
„Feindbilder, Stimmungsmache und Kampagnenjournalismus sind ein Missbrauch dieser vierten Gewalt, ebenso wie eine fortgesetzte Verletzung der Sorgfaltspflicht“
psalmodierte er bei der Eröffnung des Springer-Neubaus am 6. Oktober in Berlin. Er muss längst nicht mehr befürchten, dass ihm ein Journalist den Spiegel vorhält. Berufen zu dergestalt kritischem Nachrichtenjournalismus wären die Redakteure im ARD-Hauptstadtstudio. Aber – wir sagten das eingangs schon – die bringen es einfach nicht.
Das Autoren-Team:
Volker Bräutigam (links) und Friedrich Klinkhammer. Foto: C. Stile
Friedhelm Klinkhammer, Jahrgang 1944, Jurist. 1975 bis 2008 Mitarbeiter des NDR, zeitweise Vorsitzender des NDR-Gesamtpersonalrats und des ver.di-Betriebsverbandes sowie Referent einer Funkhausdirektorin.
Volker Bräutigam, Jahrgang 1941, Redakteur. 1975 bis 1996 Mitarbeiter des NDR, zunächst in der Tagesschau, von 1992 an in der Kulturredaktion für N3. Danach Lehrauftrag an der Fu-Jen-Universität in Taipeh.
Anmerkung der Autoren:
Unsere Beiträge stehen zur freien Verfügung, nichtkommerzielle Zwecke der Veröffentlichung vorausgesetzt. Wir schreiben nicht für Honorar, sondern gegen die „mediale Massenverblödung“ (in memoriam Peter Scholl-Latour). Die Texte werden vom Verein „Ständige Publikumskonferenz öffentlich-rechtlicher Medien e.V.“ dokumentiert: publikumskonferenz.de/blog.
Wir waren zu zuversichtlich um 1989 und gingen in die 1990er Jahre hinein mit der Überzeugung nun würde alles gut. Vorbei die Konfrontation der Blöcke. In der DDR war es zur sogenannten Wende gekommen.Und auch die anderen Staaten des Ostblocks, die sich wie die DDR als sozialistisch verstanden hatten (heute wissen wir: einen Sozialismus hat es es bislang nicht gegeben) gingen quasi von der Fahne. Das gemeinsame Haus Europa, von dem Michael Gorbatschow gesprochen hatte, würde anscheinend in Kürze Realität werden. Dachten wir! Dann zerbrach die Sowjetunion. Der Warschauer Vertrag löste sich auf. Die Nato nicht. Der erste große Fehler. Heute wissen wir warum. Der Westen hatte gesiegt, konnte aber nicht aufhören zu siegen.
Vorbemerkungen
Neulich gab Reiner Braun (International Peace Bureau) auf einer Friedenstagung in Essen zu bedenken, wie ich berichtete: „„Von Anfang an habe die Nato dazu gedient, die Sowjetunion wieder zu einem Russland zurückzudrängen. Auch, indem man die Länder des Ostblocks zu „befreien“ vorgab. Die Nato habe aktiv daran gearbeitet das die Linksregierungen in Frankreich und Italien beendet wurden. Auch habe die Nato in den 1950er und 1960er Jahren eine aggressive Atomwaffenstrategie (mit dem Ziel eines Ersteinsatzes (!) von Atomwaffen) verfolgt. Eine Nato-Direktive habe sogar den Titel „Atombombenziel Sowjetunion“ getragen. Eingezeichnet gewesen seien da auf einer Karte die 200 größten Städte und Orte der UdSSR. Der Vorwurf seitens der Nato betreffs einer atomaren Vorrüstung der Sowjetunion sei stets eine Lüge gewesen. Immer habe Moskau auf westliche Vorrüstung reagiert und nachgerüstet.“
Kathrin Vogler (MdB DIE LINKE) ergänzte auf der selben Tagung: Und „erinnerte an einen Vorschlag des einstigen Nato-Generalsekretärs Manfred Wörner, der im Mai 1990 vom Aufbau einer neuen europäischen Sicherheitsstruktur, die die Sowjetunion und die Staaten des Warschauer Paktes umfassen sollte, gesprochen habe.
Damals sei auch Wörner davon ausgegangen, dass das (leider Gorbatschow nicht schriftlich) gegebene Versprechen, die Nato würde sich nicht über die damalige „kleine“ BRD hin gen Sowjetunion ausbreiten, gelte. Der Status quo sehe heute bekanntlich ganz anders aus.“ Voglers Fazit: „Die anfängliche Euphorie verflog, der Drang nach Osten blieb.“
Die Nato rückte immer näher an Russland heran. Heute stehen 150 Kilometer vor St. Petersburg deutsche Soldaten. Nahezu umzingelt ist die Russland inzwischen.
„Der neue West-Ost-Konflikt. Inszenierung einer Krise“ – Das neue Buch von Wolfgang Bittner
Wolfgang Bittner, Schriftsteller und Publizist, hat ein interessantes neues Buch vorgelegt, in welchem er sich u.a. mit der weiteren Geschichte nach 1989/90 beschäftigt. Es trägt den Titel „Der neue West-Ost-Konflikt. Inszenierung einer Krise“. Die Reihenfolge der Himmelsrichtungen ist mit Bedacht gewählt. Und wenn wir genau rekapitulieren, was gelaufen ist, müssen wir Bittner zustimmen: Der neue, immer von herrschender westlicher Politik und den einflussreichsten Medien weiter eskalierte Konflikt hat eine West-Ost-Richtung.
„Der Nordatlantikpakt hat seine Bestimmung als Verteidigungsbündnis längst eingebüßt“, so der Autor, und tritt heute als Aggressor auf: Nato-Osterweiterung, der Krieg gegen Jugoslawien, Anti-Russland-Propaganda, wirtschaftliche Sanktionen oder auch die drastische Erhöhung des Militärhaushalts.“
NATO schon immer Aggressionsbündnis
In puncto des Begriffs „Verteidigungsbündnis“ meldete Reiner Braun in Essen Zweifel an. Aus meinem Bericht: „Dies werfe die Frage auf: „Ist eigentlich dieses Bündnis immer noch, oder war es jemals ein Verteidigungsbündnis?“ Er würde gerne behaupten, so Braun, dass die Nato schon seit ihrer Existenz ein Aggressionsbündnis war. Es sei immer gegen die Ergebnislage des Zweiten Weltkriegs vorgegangen.“
Fakt ist – das müssen wir uns bei genauer Überlegung nach längerer Rückschau eingestehen, was auf der Rückseite des Covers von Bittners aktuellem Buch zu lesen steht: „Unbemerkt von der breiten Öffentlichkeit, hat sich nach Ende des Kalten Krieges eine neuer West-Ost-Konflikt herausgebildet – die NATO gegen Russland -, der zu eskalieren droht.“ Und weiter: „Von westlichen Politikern gibt es kaum Bemühungen, zu dessen Entschärfung beizutragen, im Gegenteil. Der Konflikt ist so gewollt, meinte Wolfgang Bittner und belegt dies anhand vieler Beispiele – auch ganz aktueller.“
Bittner: Wladimir Putin hat bisher versucht westlicher Aggressionspolitik mäßigend entgegenzuwirken
„Dabei“, schreibt Bittner in seiner Vorbemerkung (S.11), „ist nicht zu übersehen, dass Wladimir Putin bisher versucht hat, der westlichen Aggressionspolitik mäßigend entgegenzuwirken und ein zuträgliches Verhältnis zu Westeuropa, insbesondere zu Deutschland, zu bewahren.“ Stets hat Putin uns die Hand ausgestreckt. Erinnern wir uns doch nur einmal an die Rede des russischen Präsidenten im am 25. September 2001 im Deutschen Bundestag? Näheres auf S.14.
Da muss ich Bittner unumwunden Recht geben. Im vorangegangenen Kalten Krieg sprachen beide Seiten wenigstens miteinander. Heutzutage sind die Fronten verhärtet (worden). Institutionen, die den Dialog fördern verkümmern zusehends. Von Ausnahmen, wie beispielsweise dem Petersburger Dialog, wo Einzelpersonen sich noch Mühe geben miteinander im Gespräch zu bleiben, einmal abgesehen. Persönlich empfinde ich den neuen Kalten Krieg als wesentlich gefährlicher als den alten. Selbst die Gefahr eines Atomkriegs nimmt wieder zu. Nicht zuletzt wegen der Kündigung des INF-Vertrags durch Donald Trump. Russland zog ein Jahr später nach.
Offene NATO-Propaganda im öffentlich-rechtlichen Fernsehen
Zu Recht kritisiert Wolfgang Bittner die seit der Ukraine-Krise ständig zutage tretenden „Offene NATO-Propaganda im öffentlich-rechtlichen Fernsehen“ (ab S.62). Das wohl gravierendste Beispiel dafür, das viele ZDF-ZuschauerInnen zu tiefst verunsicherte, erschreckte und zugleich aufs Tiefste empörte, führt Bittner gleich eingangs dieses Kapitels an. Am 4. April 2019 hatte „Claus Kleber, Kuratoriumsmitglied der Atlantik-Brücke, aus Anlass des 70. Jahrestages der NATO-Gründung“ im ZDF heute-journal sozusagen den 3. Weltkrieg ausgerufen. In seiner Ansprache schockte er die Zuschauer mit den Worten:
„Guten Abend, zu Wasser und zu Luft sind heute Nacht amerikanische, deutsche und andere europäische Verbündete unterwegs nach Estland, um die russischen Verbände zurückzuschlagen, die sich dort wie vor einigen Jahren auf der Krim festgesetzt haben.“
Zum Ende dieses Kapitels zitiert (S.65) Bittner den ehemaligen Parlamentarier und Weggefährte Willy Brandts, Albrecht Müller“, der „im April 2019 der Ansicht“ war:
„Wir rutschen ab in Richtung Krieg, auch weil ehedem kritische Medien beim Feindbildaufbau mitmachen und die kritische Intelligenz ausfällt“.
Im Kapitel „Fake News und Kriegspropaganda“ (S.67) bekommen die LeserInnen noch einmal schlimme Beispiele von „Kampagnenpolitik“, „Der Fall Babtschenko“ (S.69), betreffs „Krieg in Syrien“ (S71), in Sachen „Der Fall Skripal“ (S.77) sowie „Politisches Kalkül und False-Flag-Operationen“ (S.82) zur Erinnerung serviert. Gut so. Wir wissen: Der Mensch vergisst schnell.
Weltuntergangsuhr steht auf „zwei Minuten vor Mitternacht“
Der aktuellen Weltlage folgend wird bekanntlich die „Doomsday Clock“ von Wissenschaftlern des „Bulletin of the Atomic Scientists“ nach vorne oder hinten verstellt. Am 24. Januar 2019 war es wieder soweit. Die aktualisierte Uhrzeit der Weltuntergangsuhr wurde auf einer Pressekonferenz in Washington veröffentlicht: Es ist immer noch „zwei Minuten vor Mitternacht“.
Hintergründe und Strategien
Da es Wolfgang Bittner in seinem Buch um Hintergründe und Strategien geht, hat er sich dankenswerterweise zu diesem Behufe der Mühe unterzogen eine für die LeserInnen lehrreiche Chronologie des Geschehens über mehr als ein Jahrhundert zu erstellen. Er analysiert präzise die Hintergründe und zeigt auf, wie zu dieser unheilvollen Entwicklung kommen konnte.
Wichtig, wahrzunehmen m.E. ist das Kapitel „Britisch-amerikanische und französische Imperialpolitik und Erster Weltkrieg“ (S.113), bekanntlich von einigen Historikern als Urkatastrophe angesehen, in welcher der Zweite Weltkrieg wurzelt. Bittner geht es in diesem Kapitel gewiss nicht darum, die Schuld des kaiserlichen Deutschlands am Ersten Weltkrieg zu schmälern. Jedoch lässt er neuere Erkenntnisse in seine Zeilen einfließen. Demnach (S.117) sei inzwischen bekannt, „dass schon lange vor 1914 Kriegsvorbereitungen der Engländer, Franzosen und Amerikaner stattfanden“ – dies habe der einstige Vizepräsident der Parlamentarischen Versammlung der KSZE/OSZE, Willy Wimmer anlässlich der Feierlichkeiten in Paris und London 2018 mit welchen 2018 des Endes des Ersten Weltkriegs gedacht wurde, vertreten.
Bittner: „Deutschland sei in diese Katastrophe „geradzu hineinorchestriert“ worden, so Wimmer.“ Der Autor erwähnt auch das Buch des australischen Historikers Christopher Clark und sein Buch „Die Schlafwandler – Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog“, in welchem er Frage nach der Kriegsschuld umgehe.
Wie auch immer: Den LeserInnen dürfte an dieser Stelle erschreckend klar werden, wie leicht es zu einem Krieg kommen kann. Zumal wir – will ich anmerken – heutzutage es uns gegenwärtig an verantwortungsvollen und klugen Leadern in Europa und der Welt bitter mangelt.
Neue Erkenntnisse betreffs des Zweiten Weltkriegs und seines Vorlaufs
Auch das folgende Kapitel „Versailler Vertrag, Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg“ (ab S.125) ist hoch spannend und augenöffnend. Ein Deutsch-Amerikaner wird (S.129) genannt, den wir bislang nicht auf dem Zettel hatten: Einen gewissen Ernst Hanfstaengel. Der habe während des Zweiten Welkriegs US-Präsidend Franklin D. Roosevelt beraten; aber ab 1922 auch freundschaftliche Beziehungen zu Hitler unterhalten. U.a. habe er ihm bei der Abfassung seines Buches „Mein Kampf“ zur Seite gestanden und ihm ein Darlehen von 1000 Dollar gegeben.
All das, Bittner, geht auf den russischen Historiker Nikolay Starikov und dessen Buch „Wer hat Hitler gezwungen Stalin zu überfallen?“ zurück.
Wolfgang Bittner: „Starikov geht aufgrund seiner Recherchen so weit, zu konstatieren, die NSDAP und Hitler seien von Beginn an, also seit Anfang der 1920er Jahre von interessierten Kreisen au den USA gefördert und finanziert worden.“
Nicht weniger interessant, das in Bittners Buch auftauchende Zitat des Publizisten und Buchautoren Werner Rügemer:
„Bis zum Ersten Weltkrieg waren die USA – sowohl der Staat wie auch die Unternehmen – bei europäischen Banken verschuldet. Mit dem Ersten Weltkrieg hat sich diese Relation umgedreht. Am Ende des Ersten Weltkriegs war Europa in den USA verschuldet. Und das ist bis heute so geblieben. Das war das wirtschaftlich-finanzielle Ergebnis des Ersten Weltkriegs. Und dann musste das zerstörte Europa natürlich wieder aufgebaut werden, insbesondere das zerstörte Deutschland.“ (S.131)
Auch Zweite Weltkrieg muss wohl betreffs derjenigen, welche ein Interesse an ihm hatten, genauer unter die Lupe genommen werden. Bittner schreibt (S.134): „Mit Hitler und der NSDAP haben die britischen und US-amerikanischen Geheimdienste in den 1920er Jahren den Geist aus der Flasche gelassen. Ein Hauptanliegen war, Deutschland und Russland niederzuhalten und nicht zusammenkommen zu lassen.“ Das erinnert an einen Ausspruch des ersten NATO-Generalsekretärs Lord Hastings Ismay, wonach danach zu streben sei, die Amerikaner drin, Deutschen niederzuhalten und die Russen draußen zu halten.
Bittner: Keine Relativierung der ungeheuren Verbrechen der Nazis und des Stalinismus
An der Stelle wird es LeserInnen geben, die rufen: Verschwörungstheorie!
Bittner gibt jedoch zu bedenken:
„Die in der jüngsten Forschung vertretenen Standpunkte zu benennen bedeutet weder eine Relativierung der ungeheuren Verbrechen der Nazis noch eine Verleugnung des brutalen Stalinismus.“
Am Fuße der Seite lässt Bittner Winston Churchill zu Worte kommen, der 1945 geäußert habe:
„Dieser Krieg wäre nie ausgebrochen, wenn wir nicht unter dem Druck der Amerikaner und neumodischer Gedankengänge die Habsburger aus Österreich-Ungarn und die Hohenzollern aus Deutschland vertrieben hätten. Indem wir in diesen Ländern ein Vakuum schufen, gaben wir dem Ungeheuer Hitler die Möglichkeit, aus der Tiefe der Gosse zum leeren Thron zu kriechen.“
Das muss man erst mal sacken lassen.
Es folgen weitere interessante Ausführungen. Die aber, liebe LeserInnen, sollen sie sich selber aneignen und gründlich bedenken.
Wolfgang Bittner: Gefährliche Aggressionspolitik gegen Russland verursacht „unabsehbare Schäden“
Fakt ist, wir leben auch gegenwärtig wieder in gefährlichen Zeiten. In letzten Kapitel „Resümee und und Schlussfolgerungen“ (S.289) hebt Wolfgang Bittner realistisch an: „Die USA beanspruchen Westeuropa als ihr Einflussgebiet, das sich ihren wirtschaftlichen wir militärischen Interessen unterzuordnen hat. Sie beeinflussen die Medien und entkernen die Souveränität europäischer Staaten. Sie führen seit Jahren Interventionskriege, verhängen Sanktionen gegen andere Völker und mischen sich in deren innere Angelegenheiten ein.“
Besonders kritisiert Bittner „die hoch gefährliche Aggressionspolitik gegen Russland, in die europäische Staaten einbezogen sind“, die „unabsehbare Schäden“ verursache.
Feststellung: „Wir leben in einer Zeit tiefster Restauration“
Und ein paar Zeilen schreibt der betreffs unserer Situation Tacheles: „Wir leben in einer Zeit tiefster Restauration, schlimmster Rückschrittlichkeit. Was sich abspielt an Kriegshetze, Militarisierung, Zensur, Denunziation, Überwachung, Sozialabbau, politischer Verlogenheit und so weiter spottet jeder Beschreibung.“
„Die Welt steht am Abgrund“
Auf Seite 293 mahnt der Autor: „Die Welt steht am Abgrund. Dennoch finden sich keine maßgeblichen Kräfte, die menschheitsgefährdende Konfrontationspolitik zu beenden und den Absturz verhindern.“
„Die Abkehr von der Verständigungs- und Friedenspolitik Willy Brandts“, notiert Wolfgang Bittner enttäuscht, „wurde nahezu widerspruchslos hingenommen.“
Wolfgang endet leicht hoffnungsvoll
Leicht hoffnungsvoll endet Wolfgang Bittners Buch. Er meint der Europäischen Gemeinsam könnte es gelingen „sich der Umklammerung der USA“ zu entledigen. Bittner: „Insofern wäre die Achse Berlin-Paris ein wegweisender Ansatz, wenn es Deutschland und Frankreich gelingen würde, sich vom Joch der NATO, auf die sie kaum Einfluss nehmen können, zu befreien.“
Doch, meint er: „Arc-de-Triomphe-Symbolik muss ebenso wie das Versailles-Trauma endgültig der Vergangenheit angehören.“
Vision oder doch mehr ein Jahrhundertwerk? Eine nötige Aufgabe allemal. Zuerst müsse allerdings „gedacht werden, damit es geschehen kann“ weiß uns der Autor zu sagen.
Bittner schöpft seine Hoffnung daraus, „dass auch die ‚Erbfeindschaft‘ zu Frankreich und die deutsche Teilung überwunden wurden.“
Im Anhang Briefe, Texte und eine Erklärung der NaturwissenschaftlerInnen-Initiative
Als Anhang sind dem hochinteressanten, aufschreckend, wach- und aufrüttelnden Buch (eine brillante Analyse,auf akribischer Recherche basierend) Bittners noch ein Brief von Karl-Wilhelm Lange „Ein Brief nach Wolgograd, ehemals Stalingrad“ (S. 297) an die „Liebe Valentina“, ein Brief von Willy Wimmer „an den Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier“, der auf Fehlentwicklungen hinweist, sowie der Text „70 Jahre Bundesrepublik. Auf und ab. Und wie geht’s weiter?“, in welchem Müller darauf hofft, dass „Bei der Mehrheit der Menschen … die positiven Seiten des menschlichen Wesens angesprochen werden“ können. Müller stellt fest: „Diese sind zurzeit verschüttet.“
Abschließend wurde die „Erklärung der NaturwissenschaftlerInnen-Initiative zum 74. Jahrestag des Atombombenabwurfes auf Hiroshima“ (S.309) veröffentlicht.
Hinweis: Das obige Video mit dem Interview, das Ken Jebsen mit Wolfgang Bittner führte, erschien auf KenFM.
Georg Deventer (links) und Willi Hoffmeister (rechts) knicken dem Panzer das Geschützrohr ab Es erscheint die Aufschrift Peace. Fotos: Stille.
In diesem Jahr jährt sich der Überfall Nazideutschlands auf Polen zum 80. Mal. Der 1. September 1939 markiert den Beginn des verheerenden 2. Weltkriegs, der mindestens 55 Millionen Menschen den Tod brachte – allein 26 Millionen Tote davon hatte die Sowjetunion zu beklagen.
Der Antikriegstag, der 1. September, wird von den Gewerkschaften schon immer zum Anlass genommen, der Opfer aller Kriege und des Nationalsozialismus zu gedenken. Höhepunkt der traditionellen Gedenkveranstaltung am vergangenen Sonntag im Hof der Mahn- Gedenkstätte Steinwache in Dortmund war der Auftritt des Zeitzeugen und unermüdlichen Friedensaktivisten Willi Hoffmeister.
DGB-Vorsitzende Jutta Reiter: Krieg zerstört Lebensgrundlagen. Atomverbotsvertrag unterschreiben. Nein zum Zwei-Prozent-Ziel der NATO
Was Krieg bedeutet, verdeutlichte die Vorsitzende des DGB-Hellweg Jutta Reiter: „Er zerstört unser Zusammenleben, er zerstört unsere Lebensgrundlagen, unsere Werte und bedroht unsere Zivilisation immer wieder aufs Neue“. Das sei in der Vergangenheit so gewesen und gelte nach wie vor. Allein die vielen in unser Land gekommen Geflüchteten zeugten mit ihren Schicksalen dafür. Dies gelte gerade jenen ins Bewusstsein zu rufen, die als Autokraten, autoritäre Regime und letztlich als Feinde unserer Demokratie sowie all jenen, die Nationalismus als Lösung für komplizierte Probleme predigen. Und jenen, „die populistische Antworten auf gefühlte Wahrheiten von Menschen geben, die aber nicht immer der Faktenlage entsprechen. All jene, die ihr eigenes Süppchen auf der Verunsicherung vieler kochen, um damit Feindbilder, Ausgrenzung und Rassismus zwischen Menschen und Nationen anzuheizen“.
DGB-Chefin Dortmund-Hellweg Jutta Reiter.
Gerade jetzt, so Jutta Reiter, erlebten wir wieder einen neuen Aufrüstungswahn, „der uns mit einer neuen nuklearen Bedrohung konfrontiert“. Die Gewerkschafterin skandalisierte, dass die Atommächte dabei seien ihre Nuklearwaffen zu modernisieren. Und die USA seien auch noch aus dem Atomabkommen mit dem Iran ausgestiegen und hätten zusätzlich noch das Abkommen über nukleare Mittelstreckenraketen (INF) mit Russland gekündigt!
Reiter: „Dass, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist wie ein Tanz auf einer Rasierklinge!“ Auch die Bundesregierung halte sich „mehr als ambilvalent“. Den UN-Vertrag über das Verbot von Atomwaffen, welchem 130 Staaten bereits zugestimmt haben, habe Deutschland immer noch nicht unterschrieben. Starken Beifall erhielt Reiters folgender Satz: „Wir müssen diesem Wahnsinn ein Ende setzen!“ Unbedingt, betonte die Gewerkschaftschefin, müsse verhindert werden, dass der momentan 43 Milliarden Euro betragende deutsche Verteidigungsetat bis 2024 auf zwei Prozent des Bruttoninlandsproduktes steige. Das hieße dann nämlich 85 Milliarden Euro für Rüstung auszugeben. „Wir brauchen jeden Euro, um die soziale Spaltung in unserer Gesellschaft zu überwinden“, unterstrich Jutta Reiter. „Und zwar mit dem Ziel, Gerechtigkeit herzustellen.Weltweit.“Reiter beklagte, dass „wir mit unseren Forderungen“, obwohl wir wüssten, wie Kriege immer enden, vielfach ignoriert blieben. Der DGB sei Mitglied der Initiative „Abrüsten statt aufrüsten“ und gegen das Zwei-Prozent-Ziel der NATO, sagte sie. Sie freue sich deshalb sehr, Willi Hoffmeister, „das Gesicht des Ostermarsches Ruhr, der Treiber der Friedensbewegung hier und anderswo“ begrüßen zu können, damit er die Versammelten teilhaben lasse, an seinen Erfahrungen im Kampf für die Frieden.
Friedensaktivist Willi Hoffmeister im Interview: „Dieses Nie-wieder hat sich mir eingebläut“
Joyce Schröder von den BotschafterInnen der Erinnerung führte mit im Jahre 1933 im ländlichen Kreis Lübbecke geborenen Willi Hoffmeister ein Interview. Schon im Jahre 1938, erzählte Hoffmeister, habe er als Kind in Begleitung seines Vaters in der örtlichen Gastwirtschaft heftigen politischen Streit unter den Leuten erlebt. Seine Mutter habe damals schon gewarnt: „Wer Hitler wählt, wählt den Krieg.“
Kurz vor seiner Einschulung im Jahr 1939 erlebte er während einer Kur, dass diese Einrichtung geräumt werden musste, weil sie als Lazarett gebraucht würde. Die Begründung: „Die Polen haben uns überfallen. Es wird Krieg geben.“ So habe Hoffmeister schon früh erlebt, dass es vor Kriegen stets die größten Lügen gebe. In ersten Schuljahr erlebte er Lehrer, die stramme Nazis waren. Das habe ihm schon früh die Sinne dafür geschärft, was der Nationalsozialismus für die Gesellschaft für Schaden mit sich bringe. Im Elternhaus habe er eine antifaschistische Erziehung genossen.
Ein Satz, der Hoffmeister mit auf den Weg gegeben wurde: „Junge tu‘ alles, damit es nicht wieder dazu kommt“
Friedensaktivist Willi Hoffmeister (links) wird von Joyce Schröder interviewt.
Nach dem Krieg bekam Hoffmeister mit, dass Nachbarn, die einige Zeit weg gewesen waren wieder auftauchten. Sie kamen aus Konzentrationslagern zurück. Die Erzählungen der Zurückgekehrten, darunter Sozialdemokraten, Kommunisten und auch Parteilose, prägten den nun Zwölfjährigen. Was sich ihm daraus besonders einprägte: „Nie wieder Krieg! Nie wieder Faschismus!“ – der Schwur von Buchenwald. Dieses „Nie wieder!“, so Willi Hoffmeister, habe sich bei ihm „eingebläut“.
Ein Bruder seiner Mutter habe 11 Jahre im KZ verbracht. Der habe ihm eigentlich die Augen richtig geöffnet über den Nationalsozialismus. Und ihm mit auf den Weg gegeben: „Junge tu‘ alles, damit es nie wieder dazu kommt.“ Dieser Satz, sagte Hoffmeister, begleite ihn eigentlich sein ganzes Leben.
Hoffmeisters größte Hoffnung: Die in Büchel stationierten US-Atombomben wegzubekommen
So kämpfte er fortan gegen den wiedererstarkenden Nazismus und gegen alte Nazis in der jungen Bundesrepublik. Nach dem Abwurf der US-amerikanischen Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki galt Willi Hoffmeisters Kampf auch diesen schrecklichen Waffen. Später ging er in die Gewerkschaft und begann bei Hoesch in Dortmund zu arbeiten, wo er eine unglaubliche Solidarität, sowie einen zuvor nie erlebten Zusammenhalt, wie er unter den Arbeitern auf der Westfalenhütte üblich war, erfuhr. Seit 1963 ist Hoffmeister beim Ostermarsch Ruhr hoch engagiert. Er war in der betrieblichen Friedensbewegung und ist nach wie vor beim Kasseler Friedensratschlag aktiv. Wichtig sei ihm stets die Einbindung der Gewerkschaften in die Friedensbewegung gewesen.
Seine größte Hoffnung, antwortete er auf eine betreffende Frage der Interviewerin, die noch in Büchel in stationierten US-Atombomben von deutschem Boden wegzubekommen. Ihn empöre, dass deren stattfindende Modernisierung auf keine Gegenwehr vor allem seitens der Bundesregierung stoße. Diese Empörung fand den zustimmenden Beifall der Anwesenden.
Hoffmeister hält die heutige Situation in der Frage der Atomwaffen für viel verheerender und noch gefährlicher als in 1980er Jahren
Was er den Menschen in diesen Zeiten mitgeben möchte, wollte Joyce Schröder von dem Friedenskämpfer wissen.
Er vermisse, antwortete Hoffmeister, mehr spürbares Engagement aus der Bevölkerung, um der Forderung nach Abrüstung entsprechend mehr Ausdruck zu verleihen. Gerade heute sei eben eine starke Friedensbewegung notwendiger denn je. Hoffmeister hält die heutige Situation in der Frage der Atomwaffen für viel verheerender und noch gefährlicher als in 1980er Jahren.
Erst kürzlich habe er mit anderen in Kassel darüber debattiert, wie man erreichen könne, dass die Bundesregierung dem Atomwaffenverbotsvertrag beitrete. Zu erleben, auf welch Desinteresse man an Infoständen in dieser Hinsicht bei manchen Leuten treffe, betrübe ihn.
An die Fridays-for-Future-Bewegung gerichtet: Die Friedensfrage mitdenken. „Abrüsten ist der größte Umweltschutz“
Was er sich für die Zukunft wünsche?
Hoffmeister sprach die derzeitige Bewegung Fridays for Future in Sachen Klima- und Umweltschutz an. Ein erfreuliches Aufbäumen der Jugend sei die, wie er es sich manchmal gewünscht hätte selbiges in der Friedensfrage zu erleben. Der Friedensaktivist regte an einmal darüber nachzudenken, was alleine nach dem 2. Weltkrieg an Hinterlassenschaften des 2. Weltkrieges – Munition und chemischen Waffen allein in Ost- und Nordsee versenkt worden ist. Welche Gefahren da schlummerten!
Wenn es gelänge, zum von Fridays For Future für den 20. September geplanten Klimastreik die Friedensfrage mit hinzudenken, wäre das großartig: „Aufrüstung und Krieg sind eine der größten Umweltverschmutzer auf der Erde. Wer das nicht kapiert und mitaufnimmt, der vergibt sich etwas im Erfolg dieser Sache. Wir sollten alles dafür tun: Und wenn sich jeder ein Schild malt mit der Aufschrift „Abrüsten ist der größte Umweltschutz.“
Sophie Niehaus (Jugendring): Stopp der Anwerbung von Minderjährigen durch die Bundeswehr! Gegen eine zunehmende Militarisierung Europas
Für Sophie Niehaus vom Jugendring Dortmund ist es unbegreiflich, dass wir 74 Jahre nach der Befreiung Deutschlands vom Faschismus anscheinend noch immer nicht aus denn Fehlern Vergangenheit gelernt haben: „Weiterhin werden Minderjährige bei der Bundeswehr zum Kriegführen ausgebildet.
Sophie Niehaus vom Jugendring Dortmund.
Fast zehn Prozent aller neu eingestellten Soldatinnen und Soldaten sind gerade erst siebzehn Jahre alt. Darauf gibt es nur eine Antwort sofortiger Stopp der Anwerbung von Minderjährigen durch die Bundeswehr!“ Die Pläne für eine gemeinsame europäische Armee lasse ein zunehmende Militarisierung Europas befürchten: „Wir sind auf dem Weg zu einem Europa der Generäle und Rüstungskonzerne.“ Darauf gebe es nur eine Antwort: „Eine gemeinsame europäische Abrüstung und den Stopp aller Waffenexporte aus Deutschland und Europa.“ Die bittere Saat der Bundestag sitzenden Rechtspopulisten von AfD gehe auf: Rassistische und antisemitische Übergriffe nähmen zu.
Die Falken mit einem Plädoyer für den Frieden
Charlotte Muche (der SJD – Die Falken) hielt im weiteren Verlaufe der Veranstaltung ein Plädoyer für den Frieden: „Frieden ist ein Welt ohne Faschismus, Rassismus und Sexismus. Frieden ist eine Welt ohne Hass. Frieden ist Freundschaft. Frieden ist Liebe. Frieden ist eine Welt wo die Bedürfnisse des einzelnen respektiert und geachtet werden. Frieden ist zusammenzuleben. Frieden ist Gleichberechtigung aller Menschen. Frieden ist Freiheit selbstbestimmt zu leben. Frieden ist die soziale Gleichberechtigung aller Menschen. Frieden ist, sich nicht über die Gemeinschaft zu stellen, Frieden ist Demokratie.“ (Auszug)
Frank Ahland erinnerte an das Homosexuellen geschehene Unrecht im Nazistaat und der BRD
Frank Ahland, Slado e.V. Dachverband der Schwulen-, Lesben-, Bisexuellen- und Transidentenvereine und -initativen in Dortmund) erinnerte in seiner Ansprache an die schwulenfeindliche Politik der Nazis und deren Folgen auch in Dortmund. Und auch daran, dass der betreffende damals von den Nazis verschärfte Paragraf 175 Strafgesetzbuch in dieser Form in der BRD sogar noch bis 1969 Bestand hatte. Vor 50 Jahren sei dann endlich die Strafbarkeit einvernehmlicher sexueller Handlungen zwischen erwachsenen aus dem Strafgesetzbuch getilgt worden. Ahland verwies abermals darauf,
Dr. Frank Ahland.
dass Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im vergangenen Jahr als erster ranghoher Politiker der BRD eine schlichte Wahrheit anerkannt hat. Nämlich die, dass die Verfolgung Homosexueller in der Bundesrepublik auf Grundlage des Paragrafen 175 von Anfang an dem Grundgesetz widersprach.
Nun habe auch der Präsident des Bundesverfassungsgerichtes, Andreas Voßkuhle, reagiert. In einer Fernsehdiskussion zum 70-jährigen Jubiläum des Grundgesetzes, angesprochen auf die Entscheidung seines Gerichts im Jahre 1957 (der § 175 war da für vereinbar mit dem Grundgesetz erklärt worden) gesagt habe, man müsse sich schämen.
Wann bekennen auch Bundestagspräsident und Bundeskanzlerin, dass damals Unrecht vom Bundesverfassungsgericht gesprochen wurde?
Für wünschenswert hält es Frank Ahland, wenn auch der Bundestagspräsident und die Bundeskanzlerin sich endlich klar und deutlich dazu bekennen könnten, dass damals Unrecht gesprochen worden ist.
Es wäre schön, wenn die Universität an Wilhelm Bergmann erinnern würde, meint Dr. Ahland
Dortmund betreffend erinnerte Ahland an Wilhelm Bergmann, Regierungsinspektor a.D., der zwischen 1942 und 1954 acht Mal wegen Verstoß gegen § 175 verurteilt worden war. Deshalb verlor er 1947 seine Stellung an der Pädagogischen Akademie, der Keimzelle der heutigen Technischen Universität. Dr. Frank Ahland: „Es wäre schön, wenn die Universität an ihn erinnern würde.“
Im Anschluss an Ahlands Rede wurde zum Gedenken im Innenhof der Steinwache ein Kranz niedergelegt, der an die Opfer des Naziregime und das Unrecht, dass Homosexuelle auch in der Bundesrepublik erinnert. Des Weiteren sollte mit der Kranzniederlegung auch ein Zeichen gegen Rechtsextremismus und Hass gesetzt werden.
Martina Plum: Nächstes Jahr das Doppelte an Musik
Martina Plum von der Auslandsgesellschaft, die die Gäste an diesem Antikriegstag 2019 begrüßt hatte, verabschiedete diese auch wieder. Mit der Entschuldigung, dass der in der Einladung angekündigte musikalische Beitrag diesmal leider nicht stattfinden konnte. Sie versprach für die Veranstaltung im nächsten Jahr das Doppelte an Musik.
Es handelte sich um eine Veranstaltung des DGB in Kooperation mit der Mahn- und Gedenkstätte Steinwache, der Auslandsgesellschaft, dem „Förderverein Gedenkstätte Steinwache – Internationales Rombergpark-Komitee e.V.“, dem Jugendring Dortmund, „Slado e.V.“ sowie unterstützt durch den „Arbeitskreis Dortmund gegen Rechtsextremismus“.
Die Entscheidung kam gestern über eine Eilmeldung der Tagesschau über uns: Die Nominierung Frank-Walter Steinmeier ist der Kandidat der Groko für das Amt des Bundespräsidenten. Die Union hat sich darüber mit der SPD geeinigt. Nun ist es müßig, sich darüber auszulassen, ob dieses Amt – nicht selten despektierlich als „Grüßaugust“ verhohnepiepelt – nicht eigentlich abgeschafft gehört. Oder ob der Bundespräsident nicht besser – wie bei unserem Nachbarn Österreich – direkt gewählt werden sollte.
Steinmeier wäre nach Gauck der zweite falsche Präsident
Meine Meinung zur ausgekungelten Einigung auf die Person Steinmeier: Er wäre der falsche Präsident. Wie übrigens – am Rande bemerkt – auch schon Pastor Gauck der falsche Präsident war und augenblicklich noch ist (hier, hier und hier). Nichtsdestotrotz dürfte die Entscheidung bei vielen Deutschen auf Zustimmung stoßen. Denn nicht wenige Menschen entscheiden aus dem Bauch heraus und nach persönlicher Sympathie. Womöglich weil sie nur oberflächlich auf politisches Personal und nicht auf dessen spezielles Tun schauen. Oder darauf, was die „Qualitätsmedien“ ihnen so auftischen. Dann trotten ihnen Etliche, Schlafschafen gleich, in der gleichen Spur hinterher. Freilich kann einen Frank-Walter Steinmeier auch sympathisch sein. Etwa, weil er seiner Frau eine Niere gespendet hat. Und weil er in Zeiten stetigen Russen- und Putinbashings vor einem „Säbelrasseln“ warnte.
Die Causa Murat Kurnaz
Indes der Herr – von seinen Mitarbeitern seinerzeit im Bundeskanzleramt „graue Effizienz“ geheißen“ – an etwas am Schuh, wovon dereinst Fußballer Andreas Brehme zu sprechen pflegte. Und hat mich damals aufgeregt und die Erregung blieb. Und was er da am Schuh hat ist nicht so ohne weiteres abzuwischen. Es handelt sich nämlich um das Schicksal eines Menschen. Und dieser Mensch trägt den Namen Murat Kurnaz. Der Bremer Bürger war – man lese es nach – in Pakistan in die Fänge des dortigen Geheimdienstes geraten. Der ihn für 3000 Dollar an die US-Amerikaner verkaufte. Unter dem Verdacht Terrorist zu sein, landete er im US-Folterknast auf Guantánamo. Die deutsche Presse machte ihn zum „Bremer Taliban“. Fünf Jahre seines Lebens verbrachte Murat Kurnaz unter Folter auf Guantánamo. Darüber hat Murat Kurnaz in einem Buch Bericht erstattet. Es wurde überdies verfilmt.
Die „graue Effizienz“ hat Kurnaz in Guantánamo schmoren lassen
Was hat all das nun mit Frank-Walter Steinmeier zu tun? Einiges. Hätte nämlich der damalige Kanzleramtsminister Steinmeier seine Hand gerührt, wäre Murat Kurnaz nämlich früher frei und zurück in seine Heimat nach Bremen gekommen. Die US-Behörden hatten der Bundesregierung nämlich signalisiert, dass Kurnaz unschuldig ist und sie ihn freilassen würden, gesetzt dem Fall, Deutschland nähme ihn auf. Freilich lag der Fall nicht ganz einfach: Kurnaz war türkischer Staatsbürger. Aber er war Bremer Bürger. Wäre da nicht eine menschliche Entscheidung der Bundesregierung im Rahmen des Möglichen gelegen?
„Dass der Türke aus Bremen indes nun dennoch nicht frei ist und immer noch in Guantánamo statt in Bremen weilt, ist nicht nur sehr bedauerlich und unverständlich, sondern letztlich ein Skandal.
Nämlich deshalb, weil Kurnaz bereits im Oktober 2002 (!!!) hätte ein freier Mann und in Bremen sein können!“
Doch Steinmeier blieb hart. In meinem Artikel fuhr ich fort:
„Die US-Seite muss damals ziemlich verwundert über Berlin gewesen sein: nun wollte man schon mal als einen der ersten Gefangenen von Guantánamo überhaupt einen aus Deutschland entlassen und die Krauts zeigten gar kein Interesse an dem Mann!“
Bis heute zeigte Steinmeier keine Reue für sein damaliges Nicht-Handeln. Im Gegenteil! Dem SPIEGEL konnte er einmal sagen:
„Ich würde mich heute nicht anders entscheiden.“
Angesichts der Nominierung Steinmeiers fordert nun der Bremer Kurnaz eine Entschuldigung von Steinmeier (dazu auch hier). Doch still ruht bislang der See, aus welchem abermals das Unrecht zu lugen beginnt. Haste das Bewusste am Schuh … So ist das eben. (Zum Fall auch ein Gespräch von Tilo Jung mit Murat Kurnaz)
Noch mehr Bauchschmerzen
Nicht nur die Causa Kurnaz wirft ein Schatten auf Steinmeier. Sollte sich Frank-Walter Steinmeier bei Murat Kurnaz entschuldigen, was überfällig und ein nötiger Akt der Anständigkeit wäre – der Mann wäre dennoch der falsche Bundespräsident für mich. Schließlich spielte Steinmeier eher eine verdeckende als aufklärende Rolle betreffs der Geheimdienstaffäre rund um das Wirken der NSA hierzulande. Als Kanzleramtsminister dürfte er mehr darüber gewusst haben.
Es tut mir leid die vielen Menschen enttäuschen zu müssen, welche Sympathie für den nun ins Spiel gebrachten Bundespräsidentenkandidaten empfinden: Steinmeier hat für mich die weiße Weste, die er für dieses Amt unbedingt benötigte. Schon deshalb weil er einer der Architekten der unsäglichen Agenda 2010 ist. Der Sozialdemokrat und Herausgeber der NachDenkSeiten, Albrecht Müller hat sich ebenfalls Gedanken über die Personalie Steinmeier gemacht.
Es bleibt dabei: Ich habe Bauchschmerzen betreffs des Kandidaten Steinmeier. Nicht mein Präsident.
Politischer Frühschoppen zum Thema „Ukraine-Krise“. Andrej Hunko (links) referierte. Niema Movassat (rechts im Bild) moderierte die gut gesuchte Veranstaltung letzten Sonntag; Foto: C.-D. Stille
Der Präsident der Ukraine ist im Mai gewählt worden.Kürzlich fanden die Parlamentswahlen statt. Am zweiten November nun wurden die Wahlen in den sogenannten „Volksrepubliken“ in der Ostukraine durchgeführt. Das Land ist gespalten wie nie. Hin- und hergerissen zwischen dem Westen und Russland.
Ukraine-Krise: Um was geht es?
„Was geschieht wirklich in der Ukraine? Was passiert in Odessa knapp ein halbes Jahr nach dem Massaker in Gewerkschaftshaus? Weshalb findet der jetzige Bürgerkrieg in der Ukraine statt? Warum rasseln sowohl NATO-Staaten als auch Russland mit den Säbeln und welche Interessen wollen sie in der Ukraine durchsetzen?“ Über diese Frage sollte am 2. November 2014 in Oberhausen, Linkes Zentrum, während eines politischen Frühschoppens diskutiert werden. So stand es in der Einladung des Bundestagsabgeordneten Niema Movassaat (DIE LINKE).
Movassat oblag die Moderation der Veranstaltung. Zu welcher ein profunder Kenner der politischen Verhältnisse der Ukraine eingeladen worden war. Es handelte sich um Movassats Fraktionskollegen Andrej Hunko. Hunko war mehrfach in der Ukraine. Zuletzt als Wahlbeobachter bei den Präsidentschaftswahlen vor zwei Wochen am 26. Oktober in Odessa. Der Aachener Abgeordnete ist nicht nur Bundestagsabgeordneter, sondern zudem Mitglied des Ausschusses für Angelegenheiten der Europäischen Union sowie Mitglied der Parlamentarischen Versammlung des Europarates.
Zunächst fasste Niema Movassat die entscheidende Ereignisse, die in die Ukraine-Krise geführt hatten.
Zur Erinnerung eine Chronologie der Ereignisse
Dezember 2013: Die Ukraine stand vor der Unterschrift des Assozierungsabkommens mit Europäischen Union. Präsident Janukowitsch lehnte dieses Abkommen ab. Beziehungsweise wollte es (gewiss auch auf Druck des russischen Präsidenten Putin) verschieben. Es kam zu den sogenannten Maidan-Protesten im Februar es zu Toten. Bis heute ist nicht klar, wer für für massive Eskalation verantwortlich war.
Dann kam es zu einer Vereinbarung zwischen Janukowitsch, der Opposition – der deutsche Außenminister Steinmeier, sowie dessen Kollegen aus Frankreich und Polen waren als Zeugen zugegen. Ende des Jahres sollten Wahlen stattfinden. Diese Vereinbarung hielt nur einen Tag. Janukowitsch musste fliehen. Erst nach Charkow. Dann nach Russland. Das Parlament erklärte ihn für abgesetzt.
Dann kochte der Krim-Konflikt hoch. Die Regionalregierung der Krim sagte, wir wollen nicht mehr Teil der Ukraine sondern stattdessen Teil Russlands sein. Im März fand ein Referendum statt. Mehrheitlich war man dafür, Russland beizutreten. Daraufhin setzten massive Strafmaßnahmen des Westens ein. Eine Sanktionsspirale wurde in Gang gesetzt. Dann setzten Separationen sogenannter prorussischer Rebellen in der Ostukraine ein. Sogenannte „Volksrepubliken“ wurden gegründet. Verwaltungsgebäude wurden besetzt. Kiew reagierte mit Militäraktionen gegen die Separatisten. Laut UN sollen bisher bei den Kämpfen über 4000 Menschen getötet worden sein. 930.000 wurden vertrieben. 94.000 Flüchtlinge gibt es wohl insgesamt. Sie sind außerhalb des Landes. Die allermeisten davon sind in Russland. Seit der Waffenruhe gab es um die 300 Tote.
Der Brand des Gewerkschaftshauses in Odessa wobei 42 Menschen grausam zu Tode kamen, machte auch hier in Deutschland Schlagzeilen. Der Verdacht liegt nahe, dass der Brand durch „Kiew nahe Kräfte“ gelegt worden ist. Das Ereignis ist allerdings bis heute nicht aufgeklärt. In Mai fand in der Ostukraine ein Referendum über die Unabhängigkeit statt. 89 Prozent stimmten dafür. Die EU und die USA erkannten das Referendum nicht an. Am 26. Mai 2014 fanden die Präsidentschaftswahlen in der Ukraine statt. Im ersten Wahlkampf wurde Poroschenko gewählt. Er steht für eine stärker Annäherung an die EU. Eine ordnungsgemäße Wahl konnte in der Ostukraine nicht durchgeführt werden. Vergangenen Sonntag fanden die Parlamentswahlen in der Ukraine statt. Die Volksfront war Gewinner. Rechtsextreme Parteien verloren massiv. Am 2. November nun Parlamentswahlen in den „Volksrepubliken“ Donezk und Lugansk. Russland will die Ergebnisse der Wahlen anerkennen.
Referat Andrej Hunko
Hunko meint, die Wahlen in den „Volksrepubliken“ dürften in den nächsten Tagen noch zu heftigen Auseinandersetzungen führen. Der Westen werde sie als illegal erklären. Russland sie anerkennen. Andrej Hunko, der seit 2012 mit dem Thema Ukraine beschäftigt ist, hat eine Mail vom Auswärtigen Amt bekommen. Darin hat man ihn „eindringlich“ aufgefordert, nicht an diesen Wahlen als Wahlbeobachter teilzunehmen. Er hätte ohnehin nicht gekonnt, so Hunko. Die Mail drücke seiner Meinung nach die enorme Sorge der Bundesregierung aus, dass Wahlbeobachter aus dem Westen an der Wahl teilnehmen könnten. Und ihr so zu einer Legitimation verhülfen.
Der Linke-Politiker, der wohl inzwischen bereits sieben bis acht Mal in der Ukraine weilte, erinnert daran, dass an diesem Sonntag das Massaker im Gewerkschaftshaus von Odessa (Link zu einem Film von Andrej Hunko) genau ein halbes Jahr her ist. An diesem Tag fänden an vielen Orten auf der Welt Kundgebungen statt, welche an die Brandopfer von Odesssa erinnern sollen. Hunko steht in engem Kontakt mit den Angehörigen der Brandtoten.
Ungeheuerliche Vorgänge
Andrej Hunko habe betreffs der Ukraine „ungeheuerliche Vorgänge“ beobachtet, die er so vor zwei Jahren eigentlich nicht für möglich gehalten habe. All das vor dem Hintergrund eines heraufbeschworenen neuen kalten Krieges, „womöglich gar eines Umschlagens in einen heißen Krieg“. Er sprach die von der NATO avisierten Aufrüstungsanstrengungen um die 2-Prozent-Zielmarke an. Diese stünde im Kontext zur Ukraine-Krise. Diese diene quasi als „das Legitmationsschwungrad“ zur Selbstlegitmation der NATO sowie der Aufforderung an die europäischen Länder, zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Rüstung auszugeben. „In Deutschland würde das bedeuten, dass wir den Verteidigungshaushalt um ungefähr 70, 80 Prozent erhöhen müssen.“ Im Moment liegen wir bei 1,1, 1,2 Prozent.
Vorboten und „ein eisiges Schweigen“
Hunko sprach über „einige Vorboten“, die es im Vorfeld der Maidan-Proteste gegeben habe. Die Vorboten hätten in Verbindung mit der Nichtunterzeichnung des EU-Ukraine-Assoziationsabkommens im November letzten Jahres und den dann beginnenden Protesten auf dem Maidan Im Oktober 2012, als „recht überraschend die rechtextrem-faschistisch Swoboda-Partei 10 Prozent bei den Wahlen bekommen hatte, gestanden. Auf der internationalen Ebene habe er, Hunko, die Problematik oft im Europarat oder auf anderen Ebenen angesprochen. Jedoch musste er feststellen, dass es „überhaupt kein Problembewusstsein dafür gab bzw. betreffs dessen „ein eisiges Schweigen“ geherrscht habe. In vergleichbaren anderen Fällen sei das bislang nicht der Fall gewesen. Als Beispiele nannte Andrej Hunko rechtsextreme Parteien wie Chrisi Avgi in Griechenland und den Front National in Frankreich. Am Tag nach der Wahl im Oktober 2012 sei ein gemeinsames Kiewer Bündnis aus der von der Konrad-Adenauer-Stiftung maßgeblich unterstützten UDAR (Schlag) von Klitschko, die bei den Wahlen um die 14 Prozent bekommen hatten, sowie der Partei Julia Timoschenkos, die gemeinsam mit der Swoboda in die Wahl gegangen war, von Deutschland unterstützt worden.
Es sei in der Hauptsache darum gegangen, die Partei der Regionen und Präsident Janukowitsch zu stürzen.
Das Zweite: Im Mai 2013 habe die Deutsche Welle einen offenen Neonazi-Blog mit dem User-Award des deutschen Auslandssenders ausgezeichnet. Ukrainische Linke hatten Hunko darauf aufmerksam gemacht. Daraufhin habe er kräftig interveniert. Nach drei Tagen sei diese Auszeichnung dann zurückgezogen worden.
Der dritte Vorbote: Kurz vor der geplanten Unterzeichnung des EU-Ukraine-Assoziierungsabkommens im November 2013 in Vilnius hat es ein Symposium in Berlin gegeben. Hunko nahm zusammen mit dem ukrainischen und russischen Botschaftern teil. Dort habe der russische Botschafter gesagt, so wie das Assoziierungsabkommen gestrickt sei, würde das Russland als Bedrohung ansehen und entsprechend reagieren. Der Linke-Politiker habe dann danach gefragt, wie denn ein Assoziierungsabkommen aussehen müssten, dass nicht zu Reaktionen Russlands führe. Doch der Zug fuhr bereits.
Das große Geld hat direkten Durchgriff auf die Politik
Die Maidan-Bewegung sei nach Ansicht Hunkos sowohl eine soziale als auch eine nationalistische gewesen. Um die Ukraine zu verstehen, müsse man wissen, dass es kein Land Europas gibt, das die Macht des großen Geldes – ausgeübt durch Oligarchen – auf die Politik so unmittelbar wirkt wie in der Ukraine. Nicht einmal in Russland sei das in diesem Ausmaß der Fall. Die ukrainischen Oligarchen, die sich in 1990er Jahren „das Volkseigentum unter den Nagel“ gerissen hatten, kontrollierten ganz direkt und unmittelbar das Parlament und die Regierung. Stehen aber auch in Konkurrenz zueinander. Der Parlamentspräsident von 2012 habe der deutschen Parlamentsdelegation erzählt, dass es in der Ukraine 80 Parteien gibt, „die sozusagen aktivierbar sind“. Das beginne bei 500.000 Euro an, „um eine Partei zu kaufen“. Hunko: „Bei Bedarf greift sozusagen ein Oligarch darauf zurück und aktiviert sich eine Partei.“ Die meisten Abgeordnete des ukrainischen Parlamentes, so sagte man Hunko, seien Geschäftsmänner. Die gehen deshalb ins Parlament, weil das für die Geschäftstätigkeit hilfreich ist und sie als Abgeordnete Immunität besitzen.“ (sic!) Das große Geld hat also direkten Durchgriff auf die Politik.
Andrej Hunko:
„300 der damals 450 Rada-Abgeordneten waren Dollarmillionäre.“
Zwischen prowestlichen und prorussischen Oligarchen sei diesbezüglich kein Unterschied zu machen.
Der Doppelcharakter der Bewegung
Betreffs diesen Systems habe es zwischen Bevölkerung und Politik eine enorme Entfremdung gegeben. Nicht zuletzt, weil auch die Wirtschaft stagnierte. Die Sozialleistungen gehen bis heute zurück: „Es herrscht bittere Armut.“ Die Leute hätten den Eindruck, den Menschen im Westen, in Polen und dem Baltikum, sowie den Russen im Osten ginge es besser als ihnen in der Ukraine. Was auch real so ist. Die Unzufriedenheit mit dem Janukowitsch-Regime stieg. Janukowitsch, „ein eher kleinerer Oligarch“, sowie auch Juschtschenko und Timoschenko – alle haben das Land bestohlen. Fazit: Die Maidan-Bewegung habe eine „soziale Dimension“ gehabt, war aber „auch operativ dominiert von rechten Kräften“. In den „Schlüsselauseinandersetzungen“ vom 21. und 22. Februar habe diese ein entscheidende Rolle gespielt. Hunko sprach von einem „Doppelcharakter“ der Bewegung.
Als linkes Kräfte jenseits der Kommunistischen Partei in Ukraine gilt die Borotba (der deutschen SDAJ vergleichbar).
Wer schoss am Maidan?
Was die Schüsse vom Maidan anbetrifft, so sei bislang lediglich klar, dass sie auf Polizisten wie auch auf die Demonstranten abgefeuert – u.a vom Hotel „Ukraina“ aus – wurden. Es gab zirka 60 Tote. Darunter 17 Polizisten Wer die Schützen gewesen sind, bleibt im Dunkeln. Über Waffen verfügten damals die Berkut-Einheiten Janukowitschs (hatte er noch Befehl über sie?), die bewaffnetten Gruppen des Maidan (rechter Sektor) sowie die Scharfschützen mit den gelben Armbinden auf den Dächern. Woher sie kamen weiß man nicht, Noch unter welchem Befehl sie standen.
Die Schüsse dienten der Eskalation. Die Menschen des Maidan kamen schnell zum Urteil, Janukowitsch habe schießen lassen.
Noch am nächsten Mal war das Abkommen bereits Makulatur
Der Rest ist bekannt. Das Maidan-Abkommen wurde unterzeichnet. Steinmeier habe auch ihn, Hunko, am Abend des 21. Februar am Telefon unterrichtet. Der Abgeordnete meinte damals sogar noch, das Abkommen könne sinnvoll sein. Doch am selben Abend wurden auf der Bühne des Maidan die Führer der Opposition ausgebuht. Der rechte Sektor forderte ultimativ den Rücktritt von Präsident Janukowitsch . Noch am nächsten Tag war das Abkommen bereits Makulatur. Und Janukowitsch setzte sich ab.
Eine Revolution wie in der DDR?
Die erste Parlamentssitzung danach verabschiedete ein Gesetz zur Einschränkung der russischen Sprache. In der Ostukraine musste der Eindruck eines nationalistischen Rucks entstehen, der die Menschen dort diskriminiert. Das Gesetz trat allerdings – wohl auf Druck seitens der EU – nie in Kraft. Doch die Symbolik war in der Welt und in der Ostukraine als negatives Signal angekommen. Die Absetzung Janukowitschs sei verfassungswidrig gewesen. Niemand bestreite das. Nicht einmal Europarat und die deutsche Bundesregierung. Die Argumentation laute jedoch so:
„Ich soll da mal nicht so genau sein. Es handelt sich um eine Revolution wie 1989 in der DDR.“
Sezession der Krim – Verfassungswidrig oder nicht?
Die Sezession der Krim betrachtet auch Hunko als verfassungswidrig. Mit der Völkerrechtswidrigkeit hingegen „sei es etwas komplizierter“. Die meisten Völkerrechtler werten die Sezession der Krim als völkerrechtswidrig. Allerdings enthalte das Völkerrecht zwei Kriterien: Die Integrität des Staates und das Selbstbestimmungsrecht der Völker. Je nach politischer Konjunktur und Situation werde das Völkerrecht ausgelegt. Das eine oder das andere in den Vordergrund gestellt. „Vom Westen wird gegenwärtig die Integrität der Staaten in den Vordergrund gestellt. Vor fünfzehn Jahren war es genau umgekehrt.“ Gemeint ist die Sezession des Kosovo. Dort wurde das Selbstbestimmungsrecht der Völker in den Vordergrund gestellt. Ein Referendum gab es damals nicht.
Der deutsche Völkerrechtler Reinhard Merkel bezeichnet die Sezession der Krim in einem Beitrag für die FAZ als verfassungswidrig, aber eindeutig völkerrechtswidrig sei die Sezession der Krim nicht. Die offizielle Position der LINKEn dazu, so Hunko: „Es war völkerrechtswidrig.“
„Kette von Aktion und Reaktion“
All das, was nach diesen Ereignissen „in den folgenden Monaten passiert ist“, sei eine „Kette von Aktion und Reaktion“ gewesen. Den Regierungswechsel in Kiew nennt Hunko „meistens verfassungswidriger Umsturz“, während andere sagten: „Faschistischer Putsch“. Jedoch, hätten „faschistische Kräfte“ dabei eine Rolle gespielt. Im Osten der Ukraine führte das zu den bekannten Reaktionen „gegen den Maidan“: Große Demonstrationen, Besetzung von Amtsgebäuden u.a. im April in Lugansk und Charkow. Hunko war dort und erfuhr u.a von Bergarbeitern die Begründung dafür: „Das habt ihr ja auch beim Maidan in Kiew gemacht. Aktion – Reaktion. Die Revolte dort hätte allerdings „nicht die gleiche Bewegungsdynamik gehabt wie in Kiew auf dem Maidan“.
Hunko schätzt ein, dass die Bevölkerung in Donezk und Lugansk die Besetzungen akzeptierten, aber nicht aktiv mittrugen. Als spontane Rebellion betrachtet der Bundestagsabgeordnete die Vorgänge dort nicht: „Es wurde schon von professionellen Kräften getragen.“ Auch einige Russen wären schon dabei gewesen. Womöglich auch ein paar aus Russland eingereiste. Aus der Region, „möglicherweise auch aus dem Apparat von Janukowitsch“. In relevanten Teilen der Bevölkerung habe es Sympathie für die Rebellion gegeben. Bergarbeiter fragte Hunko nach deren Motivation. Sie antworteten zumeist: „Wegen der banderistischen Regierung in Kiew“.
Der Hintergrund Stepan Bandera. Ein in der Westukraine sehr populärer Nazi-Kollaborateur im 2. Weltkrieg, „aber gleichzeitig verklärt als Freiheitskämpfer bei den Rechten in der Westukraine“. Dem Manne flicht man heute dort nicht nur verbal Kränze, sondern setzt dem Verbrecher auch noch Denkmäler. Hunko: „Dessen Bild stand bei den Maidan-Ereignissen in Kiew die ganze Zeit über neben der Bühne.
„Banderismus“ gilt im Osten der Ukraine als Schimpfwort. Gleichwertig mit Faschismus. Der Linke-Politiker hat die Leute in der Ostukraine ebenfalls gefragt, ob sie lieber zu Russland gehören wollten. Die Antwort: Nein, wir sind Ukrainer. Jedoch wollten sie „nicht eine solche Regierung“ in Kiew haben.
Völlig unterschiedliche Lebenssituationen in der West- und der Ostukraine – nicht nur ökonomisch und sozial machten halt eine Lösung der Krise schwer bis unmöglich. Der Osten ist industrialisierter und sozial entwickelter. „Der Westen ist ärmer.“ Historisch gesehen mit völlig unterschiedlichen Narrativen. Respektive unterschiedlichen Geschichtsverständnisses. Es fängt an mit der Hungersnot in den Dreißigerjahren. Und dann im 2. Weltkrieg. Da bezieht sich die Ostukraine verstärkt auf die Rote Armee, den Kampf gegen den Faschismus – der Große Vaterländische Krieg eben.
Nach Besuch CIA-Chefs in Kiew startete Anti-Terror-Operation Ein Zufall?
Andrej Hunko erinnerte an den „Inkognito-Besuch des CIA-Chefs Brennan Mitte April in Kiew“. „Der aber aufgeflogen ist.“ Hunko: „Am Tag nach seinem Besuch hat der ukrainische Übergangspräsident die sogenannte Anti-Terror-Operation ausgerufen. Also den Einsatz der Armee gegen den Osten der Ukraine.“ Ein Zufall? Wohl kaum. Die Kategorie des Terrorismus sei bis dato neu für die Ukraine gewesen. Wahrscheinlich zurückzuführen auf eine Empfehlung des CIA.
Im Osten sei es daraufhin „zu einer teilweisen Solidarisierung mit den Separatisten gekommen“.
Wie stark die Verankerung in der Bevölkerung ist, darüber könne – meint Hunko – diskutiert werden: „Aber das sie da ist, das ist unstrittig. Was aber im Westen zumeist geleugnet werde. Hunko: „Wenn man das leugnet, dann kann man nicht zu einer friedlichen Lösung beitragen.“ Dann werde das nur als „Intervention von Putin“ dargestellt. Aber das ostukrainische Bevölkerung zu relevanten Teilen zu den Separatisten steht, dass müsse einfach zur Kenntnis genommen werden.
Die russische Unterstützung auch mit russischen Kämpfern habe es zweifelsohne gegeben. Allerdings nicht regulär als Armee. Hunko gegenüber haben die Kämpfer ihre Beteiligung stets als „privat“ angegeben. Sie wollten ihren ukrainischen Brüdern beistehen.
Das Massaker als das bedeutendstes Ereignis
Infolgedessen sei es zu bedeutenden Ereignissen bekommen. Das bedeutendste sei das Massaker von Odessa am 2. Mai gewesen. Dessen höchstwahrscheinliches Ziel: Einschüchterung der Proteste in der Ostukraine.
In der Region hatte ein Fußballspiel stattgefunden. „Es gab eine Vermischung der Hooligans mit Teilen des Maidans, der Maidan-Bewegung. Und vor allem vom Rechten Sektor.“ Die haben in Odessa eine Demonstration für die nationale Einheit der Ukraine durchgeführt. Diese Demonstration wurde von Gegendemonstranten, die man im Westen immer als „prorussisch“ dargestellt hat, angegriffen. Die Gegendemonstranten verstanden sich teilweise als antifaschistisch und sagten:
„Wir halten Odessa sauber von diesen Hooligans.“
Diese Demonstranten wiederum waren angegriffen worden. Ungeklärt sei wie weit Provokateure im Spiel gewesen seien. Es sei zu Schüssen gekommen. Die Maidan-Seite habe dann die Anti-Maidan-Demonstranten auf den Platz vor dem Gewerkschaftshaus getrieben. Deren Zelt, wo man Stimmen für ein Referendum sammelte, sei angezündet worden. Viele der Angegriffenen, mehrere hundert Leute seien dann in das „riesige Gewerkschaftshaus“ hineingetrieben worden. Das Haus wurde in Brand gesetzt. Leute in den Kellern wurden erschossen. Auch Gas habe man eingesetzt.
„Die Leute sind also durch Brand und durch Gas sowie Schüsse ums Leben gestorben.“
„Alle Opfer“, davon künde inzwischen eine am Haus angebrachte Tafel, „waren Bürger von Odessa.“
Das Schlimme, gab Andrej Hunko zu bedenken sei, dass das Massaker wie die Todesschüsse auf dem Maidan im Februar bis dato nicht aufgeklärt sind.
„Es legt sich ein Mantel des Schweigens über die Ereignisse.“
Die UN nennt das Massaker Tragödie, andere sprächen von einer Brandkatastrophe. Hunko: „Das sind ja Begriffe ohne Täter.“ Es höre sich an, als sei von einer Naturkatastrophe, wie etwa einem Erdbeben, die Rede. Diverse Untersuchungskommissionen in Odessa sind unterdessen alle aufgelöst.
Fazit
Nach den Parlamentswahlen vom 26. September tue man im Westen so als sei nun alles gut. Die rechten Parteien, wie Swoboda, haben auch nur wenige Prozente erhalten. Doch Andrej Hunko sieht das differenzierter. Das zentrale Projekt in der Ukraine sei nämlich längst nicht mehr Swoboda. Viele der Rechten seien auf der Liste von Jazenjiuk angetreten. Die Strategie der Rechten wäre längst eine andere. „Die Verharmlosung der Rechten, deren Einfluss sei verschwunden“, so Hunko entschieden, „kann ich überhaupt nicht teilen.“
Auch nach der Wahl rechnet Andrej Hunko damit, dass die Eskalation weiter geht. Immerhin hätten 5 Millionen Menschen nicht gewählt. Darunter 1,8 Millionen Wahlberechtigte auf der Krim. Es gab sogar ein paar Wahlstationen für Ukrainer in Russland. 3600 Menschen nur hätten davon Gebrauch gemacht.
In den von den Separatisten kontrollierten Gebieten Donezk und Lugansk haben 3 Millionen Menschen nicht wählen können. In Odessa, wo Andrej Hunko als Wahlbeobachter war, habe die Wahlbeteiligung nur 39,5 Prozent betragen. „Während sie im Mai bei der Präsidentschaftswahl noch bei 50 Prozent gelegen hatte.“
Es habe „ein großer Entfremdungsprozess stattgefunden, von der Regierung in Kiew. Das deute auf eine Vertiefung der Kluft zwischen West- und Ostukraine einerseits und der Südostukraine andererseits hin. Welche Rolle spielte der Westen, welche Russland bei der Eskalation der Ukraine-Krise? Dass nach westlicher Lesart ausschließlich Putin der Aggressor sei, sei freilich eine Legende.
Auch in der USA fände eine kritische Debatte statt. So sieht etwa der Politikwissenschaftler John Mearsheimer, der beileibe kein Linker sei, in einem Artikel für „Foreign Affairs“ (Why the Ukraine Crisis Is the West’s Foult“) – hier ein Artikel dazu in der Münchner Abendzeitung – die Hauptschuld für die Eskalation beim Westen.
Mearsheimer:
„Die USA und ihre westlichen Verbündeten stehen in der Ukraine-Frage vor einer Entscheidung. Sie können ihre aktuelle Politik fortführen und so die Feindseligkeit mit Russland verschärfen und die Ukraine zugrunde richten. Ein Szenario aus dem alle Beteiligten als Verlierer hervorgehen würden. Oder sie können umsteuern und eine wohlhabende aber neutrale Ukraine anstreben, die keine Bedrohung für Russland darstellt und es dem Westen erlaubt die Beziehungen zu Moskau zu kitten. Mit einem solchen Ansatz würden alle Seiten gewinnen.“
Nur nach einer solchen, den Ukraine-Konflikt gewiss befriedenden Lösung, ist jedoch leider kaum zu rechnen. Auf meine Frage an den Bundestagsabgeordneten Andrej Hunko, ob denn seiner Meinung nach eine Stabilisierung der Ukraine in Aussicht sei, bzw. eine Föderalisierung der Ukraine nicht eine dahingehende Möglichkeit darstelle, verneinte er den ersten Teil der Frage. Und zwar mit Verweis auf die momentan völlig vertrackte Situation. Die Föderalisierung, beschied er mir, verhieße mit Sicherheit eine Chance auf Stabilität. „Doch welche Kräfte sollte diese momentan ins Werk setzen?“
Andrej Hunko nannte die Vorstellungen der Menschen in der Westukraine von den Aussichten, welche sie hinsichtlich der EU haben, „äußerst illusorisch“. Des Weiteren prophezeit er den Menschen in der Ukraine ein böses Erwachen. Auf sie dürften nämlich sehr bald schon extreme Kürzungen und Belastungen zukommen. Das Land ist ja faktisch pleite. Nicht umsonst, so mutmaßt Andrej Hunko, habe Poroschenko die Wahlen so zeitig abgehalten. Keine guten Aussichten also …
Selten hat man einer so ausgewogene, ideologiefreie und aus eigenem Erleben kenntnisreiche Schilderung der Lage in der Ukraine beigewohnt. Wie durch Andrej Hunko beim politischen Frühschoppen im Linke-Zentrum in Oberhausen. Ansonsten kann ich diesbezüglich eigentlich nur noch die Reportagen des ORF-Korrespondenten Christian Ferdinand Wehrschütz, der dieser Tage wieder in der Ukraine und vor Ort ist, empfehlen.
Ein Film von Andrej Hunko, der erst kürzlich wieder in der Ukraine weilte.
Übrigens wird Andrej Hunko demnächst in die Ostukraine reisen. Tun muss er das über Russland. Man darf auf seine Berichte von dort gespannt sein.
US- Schlapphüte haben Deutschland fest im Griff; Foto: Claus Stille
Ein Greenhorn bin ich ja schon lange nicht mehr. Bereits seit Langem halte ich es mit dem guten alten Otto Reutter. Zeufahre ganz gut damit. Dessen vor vielen Jahrzehnten zu Papier gebrachten Couplets sind im Wesentlichen heute noch pumperlaktuell. Zum Beispiel dieses : „“Ich wunder`mir über jar nischt mehr …“ Auch habe ich die Hose nicht mit der Kneifzange angezogen.
Die Geschichte mit der Kneifzange
Das habe ich übrigens von einem DDR-Volkspolizisten aus Halle an der Saale. Als Schuljunge hatte ich – weiß nicht mehr was genau – etwas angestellt. Da kam der Freund und Helfer daher. Ich druckste eine windelweiche und deshalb sehr durchsichtige Erklärung hervor. Aber der Volkspolizist lehrte mich Mores und gab zurück: „Denkste, ich hab mir die Hose mit der Kneifzange angezogen?“ Ich musste mit aufs Revier … Ob die DDR-Regierenden dachten ihr Volk habe die Hosen mit der Kneifzange angezogen, entzieht sich meiner näheren Kenntnis. Davon auszugehen ist in Teilen aber wohl schon. Wir wissen wie das ausging … Aber betreffs der derzeitigen Bundesregierung bin ich mir da ziemlich sicher. Die balbieren uns – und zwar in vielerlei Hinsicht – über die Ohren. Mindestens in Sachen NSA-Affäre. Ich schrieb es ja bereits eingangs: Ein Greenhorn bin ich keines, mehr. Und das Leben in zwei Systemen kommt einen da – glauben Sie es mir – ganz gut zu passe, um keines mehr zu sein. Apropos NSA! Die National Security Agency der USA – das ist uns ja über Monate lang und breit zur Kenntnis gebracht worden – ein Nachrichtendienst von mehreren des auch „god`s own country“ genannten Landes auf der anderen Seite des großen Teichs.
Als Angehöriger des SND kein DDR-Snowden
Nun oute ich mich: Auch ich war einst, zwar nicht Agent, so doch aber Angehöriger eines Nachrichtendienstes. Gleichwohl unfreiwilliger Mitarbeiter. Denn das war bei der „Fahne“ (der Nationalen Volksarmee; NVA) als ich dort meinen 18-monatigen Wehrdienst (im DDR-Jargon: „Ehrendienst“) ableistete. Zum SND (Spezialnachrichtendienst) kam ich also sozusagen wie die Jungfrau zum Kinde. Der in einer eigenen Etage in der Kaserne hinter einen Tür mit Knauf residierende geheime Nachrichtendienst war so geheim, dass ich nicht einmal meinen Mitgenossen Soldaten ein Sterbenswörtchen darüber sagen durfte. Es ging da um Cobra-Verschlüsselungen. Wir bedienten eine Maschine sowjetischer Bauart (gewohnt robust gebaut) – äußerlich einer Schreibmaschine ähnlich – mit der man verschlüsseln konnte. Entschlüsselt wurden die Zahlenkolonnen dann via eines Blocks, welcher Zahlenkolonnen enthielt. Ich denke, diese Maschine ist mit der berühmten Enigma vergleichbar. In dem Sinne eine Rotor-Schlüsselmaschine. NSA und SND sind als Nachrichtendienste nicht vergleichbar. Auch ich möchte nicht mit dem NSA und schon gar nicht mit deren Agenten verglichen werden. Schon gar nicht bin ich ein DDR-Snowden. Schließlich habe ich keine Geheimnisse zu verraten. Jedenfalls keine, die das Zeug dazu hätten, die Welt aus den Angeln zu heben.
Zur Geheimhaltung wurden wir SND-Leute zu DDR-Zeiten verdonnert. Vergattert, wie das in Armeesprache hieß. Dies galt auch für die Zeit nach der Beendigung des Wehrdienstes. Was mir jährlich ein Rendezvous mit einer blonden feschen Genossin Oberfeldwebel im örtlichen Wehrkreiskommando einbrachte. Die nahm mich mit auf ihr Zimmer und fragte, ob ich Kontakt mit Personen aus dem NSW (Nichtsozialistisches Wirtschaftsgebiet) gehabt hätte. Ich verneinte. Auch wenn das der Fall gewesen war. Sie legte mit ein Formblatt vor. Ich machte mein „Wilhelm“ darunter. Und das war`s – Ciao bella, bis zum nächsten Jahr!
Geheimdienstkreise: CIA führt mehr als ein Dutzend deutsche Regierungsmitarbeiter als Quellen
Lange Rede, kurzer Sinn: Die USA über NSA, CIA, DIA und wer weiß noch was alles spionieren uns nach Strich und Faden aus. Das geht gar nicht, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel am Anfang. Jetzt klingt sie schon skeptischer. Aber passiert was? Nein! Es wird alles nur noch schlimmer. Heute beim Frühstück höre ich via meines Leib- und Magensenders Funkhaus Europa den nächsten Kladderadatsch. Möglicherweise geht das Treiben von US-Spionen in Deutschland „möglicherweise noch umfangreicher als bisher angenommen. Der US-Auslandsgeheimdienst CIA habe mehr als ein Dutzend Regierungsmitarbeiter in Deutschland als Quellen geführt. „Bild am Sonntag“ beruft sich diesbezüglich auf „US-Geheimdienstkreise“. Betroffen seien die Ministerien für Verteidigung, Wirtschaft Innen- und Entwicklungshilfe,, . Das Letztere sei für die CIA interessant, weil darüber versteckte BND-Operationen im Ausland liefen.
Wo bleibt der Aufschrei?
Verdammt starker Tobak! Wobei: „Ick wunder‘ mir über jar nischt mehr.“ Erinnert sich noch wer? In der Regierungszeit des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder, der heute Gazmann ist, wurde ruchbar, dass in diversen Ministerien neben den regulären Bediensteten Lobbyisten säßen. Die die Gesetze der Wirtschafts- und Finanzwelt sozusagen leger auf den Leib schrieben. Damit sie diese Branchen nicht allzu sehr zwickten. Und nun sitzen da eben noch zusätzlich ein paar Leutchen, die den diversen US-Geheimdiensten zu Diensten sind – so what? Pfff … wen interessiert es? Gibt es ein Aufschrei? Einen Aufschrei der Natur, wie es ihn gab, als der olle FDP-Brüderle eine attraktive Journalistin anbaggerte? Wochenlang ging des damals!
Wo bleibt nun der Aufschrei?! Wir habenm. E. immerhin eine veritable Staatskrise! Klar, man macht ein bisschen Sturm im Wasserglas. Für die Gasse, wie man im Theater sagt. Für das dummgehaltene, sprich: desinformierte Volk, sage ich. Obwohl: das murrt eh kaum. Hält still: Deutschland magst ruhig sein. In Massen weiter dahin trottet. Nach dem Brecht’schen Motto: „Nur die dümmsten Kälber wählen ihre Metzger selber“
Außenminister Franz-Walter Steinmeier zürnt auch ein wenig. Ich hab‘ die Hose doch nicht mit der Kneifzange angezogen! Der müsste es doch besser wissen, war doch die alte „Schrödersprechpuppe“ doch einst Chef des Bundeskanzleramtes und somit zuständig auch für die Geheimdienste! Oder hat man auch ihn hinter die Fichte geführt? Kaum zu glauben. Ihn, den man im Amte „Graue Effizienz“ nannte? Wird gar auch Steinmeier geführt von den US-Diensten? Und Angela Merkel, deren Stasiakte ja verschwunden ist? Nun, dass wären jetzt Verschwörungstheorien. Aber mal Hand aufs Herz: Bräche dann endlich der Sturm der Empörung in diesem ansonsten so hysterisch schäumenden Landes – gesetzt den Fall es wäre so – hervor? Ich habe da so meine Bedenken. Kenne ich doch meine Pappenheimer.
Historiker Foschepoth: Die Amis dürfen
Wollen wir zum Thema US-Spionage lieber den Historiker Josef Foschepoth vernehmen: “Die Amerikaner hätten also Grund zu behaupten, dass sie spionieren dürfen?”, so die Frage der Stuttgarter Zeitung an den Historiker Josef Foschepoth. Und dieser antwortete dem Blatt: “Die Amerikaner hätten also Grund zu behaupten, dass sie spionieren dürfen?”, so die Frage der Stuttgarter Zeitung an den Historiker Josef Foschepoth. Und dieser antwortete dem Blatt:
“Ja, sicher. Die sechzigjährige Geschichte der Überwachung der Bundesrepublik zeigt, dass sich alle Bundesregierungen den Ansprüchen der Amerikaner gebeugt haben. Das hat natürlich zum Teil erhebliche Konsequenzen für die Souveränität und Rechtsstaatlichkeit der Bundesrepublik gehabt. Ein Beispiel: Das Bundesverfassungsgericht hat 1970 im Urteil zum G-10-Gesetz gesagt, dass geheimdienstliche Überwachungen, die sich im Nachhinein als überflüssig erwiesen haben, den Betroffenen mitgeteilt werden müssen. Die Amerikaner haben da aber nur müde gelächelt. Es gibt in den Akten des Bundesinnenministeriums Unterlagen darüber, wie intensiv und erfolglos zugleich die deutschen Beamten die US-Behörden zur Kooperation bewegen wollten. Die US-Geheimdienste waren dazu einfach nicht bereit.” (Quelle: mein Artikel auf clausstille wordpress)
Staatskrise – Wer sind wir?
Noch Fragen? Für mich steht fest: Wir stecken in einer veritablen Staatskrise, die leicht in eine Identitätskrise münden kann. Deren Folgen sind im Moment noch gar nicht zu abzuschätzen. Interessiert es wen? Wen „wir“ heute Fußballweltmeister werden sollte, wird das Thema erst einmal im Freudentaumel wieder untergehen. Deutschland, wird es uns mit Monsterlettern aus der Blödzeitung entgegen springen und aus den elektronischen Massenmedien wie von Vuvuzelas geblasen schrill zutröten, ist Weltmeister, Weltmeister, Weltmeister, Weltmeister! Nichts dagegen. Doch: Wer oder was ist Deutschland eigentlich? Sind wir Frau/Herr im eigenen Hause? Sind wir vollständig souverän? Oder fremdgesteuert? Wir haben es da nicht Peanuts zutun. Hier geht es an die Substanz. Ans Eingemachte, sozusagen! Und wer hat uns eingemacht? „Allein machen sie dich ein“, tönten früher Ton Steine Scherben. Sind wir so allein, so klein?
Wo bleiben die Rufe „Wir sind das Volk!“? Glauben wir diese Staatskrise (warum wird sie als solche nicht laut benannt?) wirklich einfach so aussitzen zu können? Da wären wir verdammt schief gewickelt. So etwas kommt wieder hoch. Das walte Hugo! Wollen wir als Volk ein Volk von Kälbern, frei nach Brecht sein? Aufklärung kann ziemlich weh tun. Schon höre ich: Aber das Staatswohl! Ach, papperlapapp. Es geht um unsere Identität! Wie geht es einem Kind, das erfährt der Vater ist nicht sein leiblicher Vater, die Eltern nicht die richtigen Eltern?
Was du nicht selbst tust
Da müssen wir die Zähne zusammenbeißen und durch. Schluss mit Heuchelei und Lügen. Aus dieser stinkenden Pampe aus beidem sollten wir uns bald befreien. Wir brauchen dringend ein reinigendes Gewitter. Unter die Dusche! Es stinkt nämlich schon jetzt bestialisch zum Himmel! Vielleicht komm dann auch einmal alles über den NSU heraus. Waren nicht etwa im Mordfall Michelle Kiesewetter auch amerikanische Agenten in Nähe des Tatortes? Also Mut – befreien wir uns nach Kant aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit! Und wenn es die Regierung nicht tut? Felix Lope de Vega Carpio, spanischer Priester, päpstlicher Protonotar und Bühnenschriftsteller schrieb:
„Was du nicht selber tust, tut kein anderer für dich“
Empört im Sinne Hessels
Wenn ich hier mit Otto Reutter, der alten Coupletkanone, schrieb, „Ick wunder‘ mich über jar nischt mehr“, dann heißt das nicht, mich nicht mehr über das hier zur Sprache gebrachte aufzuregen. Vielmehr bin ich im Sinne Stéphane Hessels empört! Erst recht als Ex-„Nachrichtendienstler“. Nix is fix, sagt man in Österreich. Die USA werden, um mal deren manchmal manichäisch angestrichenen Wortschatz zu gebrauchen, diese „bösen Werke“ nicht auf Ewigkeit betreiben (können). Weil sie womöglich selbst auf den Trichter kommen, dass dies ihnen mehr schadet als nutzt.
Vielleicht haben die ja USA die Hose mit der Kneifzange angezogen? Entwenden wir sie ihnen doch! Dann rutscht sie, die Hose. Und die Amis stehen nackt da. Damit es kein Vertun gibt: Wir dann gewiss auch wenig. Aber was wäre die Alternative? Sich weiter belügen (zu lassen)?
Wie wäre das Denkvermögen zu fördern, um endlich auf deutscher Regierungsseite angemessenes handeln auszulösen? Wie mein einstiger Englischlehrer zu sagen pflegte, mit drei Schlägen auf den Hinterkopf? Nein. Stellen Sie sich nur einmal vor, all die ganze Spioniererei gingen von den Russen aus! Würde da nicht schon die Blödzeitung in mannshohen Fettlettern dazu aufrufen, Moskau zu bombardieren?