Kurz nachdem ich 1989 aus der DDR in die BRD gekommen, war und mich wieder (nebenberuflich) journalistisch betätigte, bekam ich es erstmals mit gendergerechter Sprache bzw. gendergerechter Schreibweise zu tun. Es wurde dann immer die männliche und die weibliche Berufsbezeichnung gesprochen bzw. geschrieben: Beispielsweise Politikerinnen und Politiker. Damit hatte ich kein Problem. Wenngleich dadurch auch Texte länger wurden. Mit Gleichberechtigung hatte ich sowieso kein Problem. Die wurde in der DDR gelebt.
Später wurde es dann üblich, dass man das sogenannte Binnen-I verwendete. Zum Beispiel schrieb man dann: LehrerInnen, PolizistInnen. Auch daran gewöhnte ich mich. Obwohl es geschrieben im Schriftbild natürlich auch etwas merkwürdig anmutete. Nun ja.
Ich glaube letztes Jahr führte das Blog Nordstadtblogger.de, für das ich tätig bin, das sogenannte Gendersternchen ein. Beispiel: Schauspieler*innen, Sexarbeiter*innen. Nun ja. Auch das übernahm ich mit *innerem Murren.
Doch ich stutzte – es war bei den Fridays-For-Future-Demos. Da hörte man eine Aktivistin, oder Aktivisten plötzlich sagen: Liebe Schüler innen… sagen. Es wurde also das Gendersternchen in der Sprache benutzt. Ich war verdattert. Verstand aber dann. Na ja.
In diesem Jahr nun stutze ich wieder: bei Anne Will etwa und bei anderen Fernsehmenschen in ARD und ZDF oder 3sat. Politiker*innen wurde da gesagt oder Mitarbeiter*innen und Künstler*innen. Es war jeweils anfangs noch zu hören, wie sich die das Aussprechenden noch etwas dabei gewissermaßen stolpernd schwer damit taten.
Seitdem sich das quasi eingebürgert hat (wer eigentlich ordnet so etwas an?), macht mein Herz jedes Mal einen Stolperer. Ich fremdele damit. Und denke: wie es *innen aussieht, geht niemand etwas an. Manchmal denke ich auch schmunzelnd dabei daran, wie es wohl in den Politikerinnen und besonders in den Journalistinnen innen aussieht. Zuweilen tun sich da mir in meiner Phantasie Abgründe auf.
Und immer befällt mich die Befürchtung, eines Tages könnte diese Schreibweise auch in die Literatur Einzug halten. Wie soll man dann noch Freude am Lesen eines Romans haben?
Die Journalistin Milena Preradovic hat in ihrer Sendung Punkt.Preradovic (eine Sendereihe, die ich nur empfehlen kann) die Problematik Gendersprache aufgegriffen:
„Gendersprache vs. Grammatik. An Unis, in Kommunen, bei ARD und ZDF, die Gendersprache breitet sich momentan rasant aus. Aber viele der neuen, gerechten Wörter sind schlicht falsch. Zumindest nach der geltenden Grammatik. Das sagt Doro Wilke vom Verein Deutsche Sprache. Außerdem führe Gendersprache nicht zu Gleichbehandlung, sondern diskriminiere andere Minderheiten.“
Der Verein Deutsche Sprache mit Sitz in Dortmund fordert mit der Unterschriftenaktion „Schluss mit dem Gender-Unfug!“
Die Genderei hat zweifelsohne mit der sogenannten Political Correctness / Politische Korrektheit zu tun. Und ist gewiss gut gemeint. Doch – wie wir wissen – ist gut meint nicht immer gut getan. Bei der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) heißt es etwa:
„Immer wieder werden neue Sprachreglementierungen gefordert und begründet. Doch nicht selten führt die vermeintlich „politische Korrektheit“ der Sprache zu Unklarheit, Widersprüchen und neuen Verständigungsproblemen.“
An den damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker muss man im westlichen Teil Deutschlands gewiss immer denken, wenn 8. Mai ist. Ein allgemeines Aufmerken auslösend sagte er 1985 über dieses Datum: „Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung“. Leider ist dieses Datum noch immer kein offizieller Gedenk- oder Feiertag – in Berlin nur in diesem 75. Jahr der bedingungslosen Kapitulation Hitler-Deutschlands, am 8. Mai 1945, von Hitler-Generälen unterschrieben. In Dortmund geplante Gedenkveranstaltungen konnten aufgrund der Corona-Pandemie nicht oder nicht so stattfinden wie ursprünglich gedacht. Immerhin fanden gestern einige Veranstaltungen zum 8. Mai im kleinen Kreis statt.
Kranzniederlegung des Stellvertretenden Generalkonsuls der Russischen Föderation sowie des Vereins Ar.kod.M e.V. am sowjetischen Ehrenmal auf dem Internationalen Friedhof am Rennweg
Am sowjetischen Ehrenmal (von links): Dmitriy Kostovarov und Wladimir Kuzmin.
Bereits zehn Uhr früh war neben einigen Bürger*innen am sowjetischen Ehrenmal auf dem Internationalen Friedhof am Rennweg der Stellvertretende Generalkonsul der Russischen Föderation in Bonn, Wladimir Kuzmin, erschienen, um anlässlich des 75. Jahrestages des Endes des 2. Weltkriegs dort einen Kranz niederzulegen. Für Ar.kod.M e.V., einem Verein, der unter anderem Nachforschungen zu sowjetischen Kriegsgefangenen und ZwangsarbeiterInnen anstellt, die im 2. Weltkrieg ermordet wurden, verstorben oder vermisst sind, legte Dmitriy Kostovarov, der zusammen mit Hannelore Tölke zum Gedenken gekommen war ebenfalls ein Kranz am Ehrenmal nieder. Leonora Ahmetaj von den Botschafter*innen der Erinnerung platzierte neben den Kränzen bemalte Steine. Ein uralter Brauch. Das sieht man oft auf jüdischen Gräbern. Der Brauch stammt aus der Zeit, in der Juden auf der Flucht aus Ägypten durch die Wüste zogen. Dort gab es keine Blumen und auch keine schönen Grabsteine. Das ist allerdings kein Ritual der
Religion und auch nicht in den jüdischen Schriften zu finden. In einer kurzen Ansprache nannte der Stellvertretende Generalkonsul Wladimir Kuzmin den 8. Mai einen besonderen Tag für das sowjetische Volk und die europäischen Völker. Er bedankte sich herzlich bei den am sowjetischen Ehrenmal erschienen Menschen für deren Gedenken und dafür, dass sie die Erinnerung an das im Zweiten Weltkrieg Geschehene weitertragen.
Auf dem Dortmunder Friedensplatz.
Der Dortmunder Arbeitskreis gegen Rechtsextremismus mit einer Gedenkveranstaltung an der Friedenssäule Für den Dortmunder Arbeitskreis (AK) gegen Rechtsextremismus erinnerte Pfarrer Friedrich Stiller gestern gegen 12 Uhr an der Friedenssäule auf dem Friedensplatz auf einer mit Gliedermaßstäben „pandemietauglich“ abgekastelten Fläche an das Kriegsende in Dortmund und die eine Woche andauernde Befreiung der Stadt durch die US-Armee im April 1945. Zunächst drückte er sein Unbehagen darüber aus, dass 35 Jahre nach den oben erwähnten Worten Richard von Weizsäckers die Diskussion darüber noch immer nicht beendet sei. Stiller: „Ich hätte mir nicht träumen lassen, dass es einen in den Bundestag gewählten Politiker gibt, der heute noch bestreitet, dass der 8. Mai 1945 ein Glückstag für unser Land war, der die Befreiung und das Empfinden der Befreiung nur für die Insassen der Kz’s sieht. Der ansonsten diesen Tag als Tag der absoluten Niederlage sieht.“ Das zeige, so Stiller weiter, wie wichtig das ist, dass wir diesen Tag würdigen. Deshalb heiße diesen Veranstaltung auch „8.Mai unsere Verpflichtung“.
Pfarrer Friedrich Stiller vor einer Tafel der Ausstellung.
Friedrich Stiller wies auf eine kleine Ausstellung zum Kriegsende an der Südseite des Friedensplatzes hin. Ihr Titel: „75 Jahre Kriegsende: 8. Mai – unsere Verpflichtung“ hin. Sie ist heute noch bis 16 Uhr dort an der Baumallee zu sehen. Einige der dort gezeigten Tafeln stellen den Zustand Dortmunds am Ende des Krieges und der Gewaltherrschaft dar. Andere zeigen auf, welche Lehren daraus gezogen wurden. Rabbiner Baruch Babaev zitierte Veteranen der Sowjetarmee: „Wer möchte mit unserem Volk tauschen?“ Rabbiner Baruch Babaev wurde an diesem Tag von Veteranen gefragt, die in der Sowjetarmee gegen die Nazis gekämpft hatten: „Wer möchte mit unserem Volk tauschen?“ Schließlich sei bis fast zum letzten Tag des 2. Weltkriegs gemordet worden. „Sind das nur die Befehle?“, habe ihn ein Neunzigjähriger gefragt. Er erinnerte an die Auslegung der Heiligen Schrift: „Es ist besser verfolgt zu werden als zu verfolgen.“ Babaev habe das lange nicht verstehen können. Doch seine weisen Lehrer in Jerusalam-Altstadt hätten ihm beigebracht: Die Verfolgung endet eines Tages. Aber der Verfolger lebt in seinem Hass – jeden Tag. Und er wird von seinem Hass bis ans Ende seiner Tage verfolgt.
„Die Heilung ist, sich von seinem Hass abzuwenden.“ Wenn jemand mordet aus Ideologie, könne man mit ihm in einen Dialog treten, überzeugen, die andere Seite zeigen – und er werde dann seine Ideologie nicht mehr verfolgen. „Aber wenn es aus dem Herzen kommt,
Rabbiner Baruch Babaev während seiner Rede an der Friedenssäule.
eine Herzensangelegenheit wird, Juden zu vergasen bis zuletzt – was ist die Heilung?“ Die jüdischen Weisen sagten, die Heilung muss von innen kommen. Und er wiederholte: „Wer will mit uns tauschen?“ Man lebe jetzt damit und müsse aber auch 75 Jahre danach erinnern, damit auch diejenigen, die es noch immer zur Herzensangelegenheit gemacht haben, von innen heraus diesen Hass zerstören und zur Liebe finden. Der 8. Mai 1945 sei für die Juden ein Tag des Neubeginns – ein Tag der Hoffnung gewesen. Weitere Worte zu den zum Gedenken anwesenden Menschen sprach Jutta Reiter (DGB). Musikalisch auf dem Saxophon begleitete Wim Wollner die Veranstaltung. Gedenken mit Kranzniederlegung auch in der Mahn- und Gedenkstätte Steinwache Auch im Hof der Mahn- und Gedenkstätte Steinwache (sie öffnet heute übrigens wieder für Einzelbesucher) versammelten sich am Freitagnachmittag einige Menschen zum Gedenken. Norbert Schilff, Vorsitzender der SPD im Rat der Stadt Dortmund legte einen Kranz nieder. Zugegen war auch Manfred Kossack, der Beauftragte der Stadt Dortmund für Vielfalt und Toleranz. Georg Deventer hat eigens an der Stelle über der Kranzablegestelle den Schwur von Buchenwald, welcher nach wie vor allen Verpflichtung sein solle, angebracht (im Wortlaut hier nachzulesen). Deventer verlieh der Hoffnung Ausdruck, dass auch die Schulen weiterhin die Themen Faschismus und des Rassismus im Auge gehalten. Die junge Generation dürfe nicht nachlassen sich das Wissen über das im Faschismus geschehene – und wie es überhaupt hat dazu kommen können – anzueignen und müsse dafür sorgen, dass es weitergegeben werde.
Gedenken im Hof der Mahn- und Gedenkstätte Steinwache (von li. Georg Deventer, Norbert Schilff und Manfred Kossack).
Von Thomas Engel:
Ausklang auf dem Friedensplatz mit dem Bündnis Dortmund gegen Rechts
Beschlossen wird der Gedenktag auf dem Friedensplatz. Wegen der von den Ordnungsbehörden verordneten Auflagen konnten sich auch dort nur wenige Teilnehmer*innen einfinden: gestattet waren 50 – so eine der „Maßregeln“, wie Volker Töbel, von Flüchtlingspaten Dortmund e.V. im Bündnis Dortmund gegen Rechts (BdgR), nicht ohne Unterton formuliert.
Nicht alles, was dieser Tage staatlicherseits zur Pandemie-Bekämpfung hervorgezaubert wird, stößt – werden Grundrechte ernst genommen – bekanntlich auf ungeteilte Gegenliebe.
Es ist der Einsatz für den Frieden, der am frühen Abend vor dem Rathaus im Mittelpunkt steht. Die Botschaft ist unmissverständlich: Der Frieden ist in Gefahr, vielleicht mehr denn je, hier und heute. Und dies aus zwei Gründen, wie Ula Richter, Mitbegründerin des BdgR, betont:
Ula Richter, Mitbegründerin des BDgR
„Militarismus und neu erwachter Faschismus“. Da zögen Nazis eine Blutspur durchs Land, deren Wurzeln in der Bundesrepublik nie gekappt, stets „ihre Gefährlichkeit verharmlost“ worden sei.
Und verliest eine Erklärung von Elif Kubaşık, deren Mann Mehmet vom NSU ermordet wurde. Die Witwe bezieht sich auf die Urteilsbegründung des Oberlandesgerichts München, das landesweit Empörung hervorrief. Da fallen Sätze wie: „Das ist kein gerechtes Urteil.“ – „Was wusste der Staat davon?“ – „Liefen die Helfer dieser Mörder vielleicht in einer dieser Nazi-Demonstrationen mit, die auch an unserem Haus vorbeiziehen?“
Gegen Faschismus und Militarismus: Es ist mehr denn je an der Zeit, um Frieden zu kämpfen
Der Umgang mit dem NSU, die verschwundenen Akten, so viele Fragen, keine Aufklärung. Ula Richter fährt fort: Dann sind da die alten Feinbilder, Russland, China, da ist das Säbelrasseln, die Hochrüstung: „So wird das internationale Klima vergiftet und auf neue Kriege vorbereitet.“ Diesem Wahnsinn müssten sich die Menschen in den Weg stellen.
Antikriegslieder, vorgetragen von Peter Sturm
Zwischendurch trägt Peter Sturm Antikriegslieder vor. Worte von Hannes Wader hallen über den Friedensplatz, wie er mit einem toten Soldaten spricht und im Refrain wiederholt: „Ja, auch dich haben sie schon genauso belogen – So wie sie es mit uns heute immer noch tun – Und du hast ihnen alles gegeben: deine Kraft, deine Jugend, dein Leben!“ „Es ist an der Zeit“, lautet der bekannte Titel. Es ist wie ein Aufruf.
Der unterstrichen wird mit dem symbolischen Ausfalten eines großen, regenbogenfarbenen Friedensbanners, auf dem in unterschiedlichen Sprachen das Wort „Frieden“ aufgetragen ist. Volker Töbel rezitiert aus dem „Schwur von Buchenwald“: „Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel.“
Forderung, den 8. Mai in der Bundesrepublik zu einem Feiertag zu machen – Esther Bejarano
Esther Bejarano, Musikerin, Auschwitz-Überlebende, engagierte Antifaschistin – diese große Frau schrieb im Januar dieses Jahres einen Offenen Brief „an die Regierenden“, kraft ihrer Autorität, adressiert an Bundespräsident wie Bundeskanzlerin.
Volker Töbel liest vor: „Ich will, dass wir alle aufstehen, wenn Jüdinnen und Juden, wenn Roma oder Sinti, wenn Geflüchtete, wenn Menschen rassistisch beleidigt oder angegriffen werden!“
Und weiter: „Ich will, dass ein lautes ,Nein’ gesagt wird zu Kriegen, zum Waffenhandel. Wer den letzten Krieg vergisst, der bereitet schon den nächsten vor. Ich will, dass wir gegen die Ausbeutung der Menschen und unseres Planeten kämpfen, Hilfesuchende solidarisch unterstützen und Geflüchtete aus Seenot retten. Eine Gesellschaft muss sich messen lassen an ihrem Umgang mit den Schwächsten.“
Wie viele Menschen in diesem Land fordert Esther Bejarano deshalb energisch, dass der 8. Mai in der Bundesrepublik ein Feiertag werden müsse. Denn es war der Tag der Befreiung. Und die Regierenden, die sie ansprach? – Blasiertheit der Macht: es hat sich nichts geändert. (Hier der Beitrag auf Nordstadtblogger.de)
Weitere Fotos vom Tag
Wladimir Kuzmin (li) während seiner kurzen Ansprache. Dmitriy Kostavarov (re) übersetzt. (Fotos. C. Stille
Der Stellvertretende russische Generalkonsul verneigt sich am Ehrenmal.
Teilnehmer des Gedenkens legt eine Rosen am Mahnmal nieder.
Von links: Wim Wollner, Baruch Babaev und Manfred Kossack.
Kürzlich erschien Aladin El-Mafaalanis neues Buch „Mythos Bildung – Die ungerechte Gesellschaft, ihr Bildungssystem und seine Zukunft“. Grund genug für ein „Talk im DKH“ bei dem der Soziologe Aladin El-Mafaalani ausnahmsweise nicht als Moderator, sondern selbst als Referent auftrat. Es moderierte die künftige Intendantin der Dortmunder Schauspiels, Julia Wissert, die ihre Aufgabe glänzend meisterte.
Aladin El-Mafaalani geht es in Sachen Bildung um das Machbare und real Umsetzbare
In seinem neuen Buch analysiert Aladin El-Mafaalani aus unterschiedlichen Perspektiven die Probleme und paradoxen Effekte des Bildungssystems, seine Dynamik und seine Trägheit. Eine umfassende Diagnose, ein Plädoyer dafür, soziale Ungleichheit im Bildungswesen endlich in den Fokus der Bildungspolitik und Bildungspraxis zu rücken, und zugleich eine Absage an Visionen und Revolutionen. Es gehe ihm darum zu tun, was jetzt wichtig und realistisch ist. Vor Reformen, bekannte El-Mafaalani, habe er Angst. Während seiner Arbeit im NRW-Integrationsministerium habe er die Erfahrung gemacht, wie zunächst gut ausgedachte Reformen letztlich zerredet und zusammengedampft würden. Um das wirklich durchzukämpfen – bis dahin „haben wir den Kommunismus in Reinform“, so El-Mafaalani. Man müsse sich hingegen vielmehr dem Machbarem und real Umsetzbarem widmen.
Levent Arslan: Gerade jetzt ist Austausch wichtig. Schweigeminute für die Opfer des Anschlags von Hanau
Bevor der Talk begann, nahm Levent Arslan (Leiter Dietrich-Keuning-Haus) Bezug zum schrecklichen Anschlag von Hanau. „Gerade jetzt ist der Austausch wichtig – nicht nur jetzt, sondern fortwährend“, postulierte Arslan. Er wies u.a. auf den nächsten „Talk im DKH“ am 3. April dieses Jahres unter dem Titel „Was tun gegen Hass und Gewalt? Zum Jahrestag des NSU-Mordanschlags in Dortmund auf Mehmet Kubaşık am 4. April 2006 hin. Referent ist der Journalist Michel Friedman. Der „Talk im DKH“ leiste von jeher einen wichtigen Beitrag zum Austausch, so Levent Arsan. Man müsse jedoch gleichzeitig konstatieren, „dass die Gegenseite sehr stark ist“.
Das zahlreich erschienene Publikum erhob sich zu einer Schweigeminute für die Opfer des Anschlags von Hanau.
Premiere für Moderation Julia Wissert – Glänzend bestanden
Dann der der Auftritt von Moderatorin Julia Wissert – ihre Premiere beim „Talk im DKH“. Sie bekannte, sie habe eine „ganz, ganz schlimme Bühnenangst“ – ein Grund dafür, dass sie Regisseurin und nicht Schauspielerin geworden sei. Es mache sie schon sehr nervös, ihre Wasserflasche auf der Bühne zu öffnen. Ganz Kavalier, sprang Referent Aladin El-Mafaalani auf, um die Flasche der Moderatorin zu öffnen. Was auch gelang, der Verschluss jedoch zu Boden viel. Julia Wissert: „Spannungsbogen.“ Nun ja …
Um es schon einmal vorwegzunehmen: Julia Wissert meisterte die Moderation dieses Talks ganz, ganz glänzend.
Julia Wisserts kleines Experiment mit dem Publikum als Einstimmung
Ihre Aufgabe als Regisseurin, so Julia Wissert, sei es Geschichten zu erzählen. Ein Teil des Jobs sei auch erwachsene Menschen dazu zu bringen, sich Dinge vorzustellen, zu spielen und zu träumen. Dessen eingedenk bat Wissert die Zuhörer kurz ihre Augen zu schließen. Versuchen sollten sich vorzustellen und zu erinnern an einen der ersten Momente, wo sie etwas gelernt haben. Einen schönen Moment, wo sie Bildung erlebt haben. In der Kita, im Kindergarten, in der Grundschule, im Heim, zuhause. Dann sollten die Leute darüber nachdenken, was das Schöne im Moment ausgemacht hat und wie die Rahmenbedingungen gewesen seien u.s.w.
Moderatorin Julia Wissert.
Dann sollten die Menschen gedanklich auf einen Moment zu springen, wo sie sich gewünscht hätten, sie hätten eine Möglichkeit gehabt zu lernen, sich weiter oder fortzubilden. Oder an sich einen Moment erinnern, wo sie sich vielleicht gegen etwas entschieden hätten. Sie sollten sich daran erinnern, was sie gebraucht hätten, entweder diesen Schritt zu gehen oder zu bleiben.
Dann sollten die Menschen sich noch an einen Moment erinnern, wo sie eine schlechte Erfahrung in einem Bildungskontext gemacht hätten. Dann sollten die Menschen die Augen wieder öffnen.
El-Mafaalanis Buch ist „ein liebevoller, kritischer Blick auf ein Bildungssystem, in auch ich sozialisiert wurde, fand Julia Wissert
Julia Wissert: „All das, was ich jetzt mit Ihnen gemacht habe, ist im Grunde bei mir passiert, als ich dieses Buch gelesen habe.
Aladin El-Mafaalani habe ein Buch geschrieben, „das ein liebevoller, kritischer Blick auf ein Bildungssystem ist, in welchem aus sie sozialisiert wurde“.
Das Buch zu lesen, habe sie „wahnsinnig wütend und traurig gemacht und genervt und gestresst.“
Sie habe nach dessen Lektüre vieles für sich anders beleuchten müssen.
Und sie habe sich an eine Situation erinnert, die sie in einer kleinen Ortschaft in Baden-Würrtemberg erinnert, wo sie herkomme. Es ging um die Empfehlungen für die weiterführenden Schulen. Unverhofft habe es viele Gymnasialempfehlungen gegeben. Sie habe sich an einen Jungen aus ihrem Ort erinnert, der zu Fastnacht mit einem Gespensterkostüm (einen Bettlaken mit ausgeschnittenen Augen) in die Schule kam. Das simpelste Kostüm in der Schule. Er hatte ein Armutshintergrund. Die Lehrer*innen empfahlen für ihn den Ganz auf die Hauptschule. Sie wussten nichts von den Begabungen des Jungen: er baute fast jeden Tag Autos und Konstruktionen zu bauen, die funktionierten. Was eigentlich, nach dem Julia Wissert El-Mafaalanis Buch gelesen haben, auf eine Hochbegabung hindeute.
An diesem Abend kennzeichnete Julia Wissert Aladin El-Mafaalani als einen liebevollen, konstruktiven Wissenschaftler. Er sei nämlich immer um Lösungen von Problemen bemüht. Nie sei er zynisch oder polemisch.
Das neue Buch ergänzt gewissermaßen sein Buch „Das Integrationsparadox“. Beim Schreiben hat er sich seine Tochter als Leserin vorgestellt
Aladin El-Mafaalani hatte beim Schreiben des Buches seine Tochter als Leserin vorgestellt.
Aladin El-Mafaalani selbst sieht sein neues Buch im Grunde als Fortsetzung bzw. Ergänzung seines vorhergehenden Buches „Das Integrationsparadox“. Er sei durch seine Herkunft sehr privilegiert gewesen. Zwei Mitschüler – ohne Migrationshintergrund – hätten ihm, der damals noch nicht gut Deutsch gesprochen habe, viel Unterstützung in der Schule gegeben. Seines Erachtens seien sie talentierter als er gewesen. Auf dem Gymnasium seien sie aber nicht gelandet. El-Mafaalani: „Die haben beide heute schwierige Lebenssituationen.“
Beim Schreiben des neuen Buches habe El-Mafaalani sich seine Tochter als Leserin vorgestellt. Was die Herausforderung mit sich gebracht habe, „dass man sehr komplexe Dinge sehr einfach formulieren muss“.
El-Mafaalani: Heute ist die Situation „dramatisch schlimmer“
Die Metapher vom Tisch (im Buch „Das Integrationsparadox“) an welchem im Laufe Jahrzehnte halt immer mehr Menschen Platz genommen haben – die zuvor am Boden gesessen hätten – , schreibt das neue Buch fort. Jetzt sei die Situation „dramatisch schlimmer“. Zwar säßen weniger Menschen am Boden. Nur diese hätten zugesehen, wie immer mehr Menschen an den Tisch gegangen seien. Nur sie säßen nun noch immer am Boden.
„Es gibt nichts schlimmeres, was Menschen erleben können“, machte der Autor deutlich.
Die Leute am Tisch erzählten die Geschichte:
„Guck, sogar ’ne Julia Wissert schafft’s und so’n Aladin El-Maffaalani. Wer jetzt noch auf dem Boden sitzt, ist selber schuld.“
Die Solidarität unter den Menschen ist immer brüchiger geworden, stellte der Autor fest
Man beobachte eine zunehmende Resignation. Dabei, meinte El-Mafaalani, habe sich das Lebensniveau der untersten Schichten der Gesellschaft „nicht wesentlich verschlechtert.“
Unten hätten die Menschen resigniert. Und die, die nicht resignieren wollen, entwickelten eine „parallelgesellschaftliche Solidarität“.
Am meisten benachteiligte Kinder wüchsen in „resigniertem Milieu“ auf.
El-Mafaalani gab zu bedenken: „Wenn wir jetzt nichts tun, haben wir in zwanzig Jahren Erwachsene , wo wir im Bildungssystem nicht interveniert haben.“ Menschen, die in einem resigniertem oder parallelgesellschaftlichem Milieu aufgewachsen sind. Weshalb jetzt gehandelt werden müsse.
Wenn der Bildungsaufstieg gleich unwahrscheinlich ist: „Es scheint also an der Klasse zu liegen – Unterschicht bzw. Unterklasse.“
Migranteneltern schützten ihr Kind, wollten, dass es erfolgreich wird. Aber es solle aber genauso wie die sie sein. Sie zögen das Kind, es bleibe aber so. Nichtmigranteneltern hätten kaum diese Erwartungshaltungen. Sie schützen nicht und zögen nicht. Das Ergebnis in beiden Fällen sei gleich: Man
bleibt am gleichen Punkt stehen. Nur die eine Person werde durchgeschüttelt und bleibt stehen und die andere Person wird in Ruhe gelassen. El-Mafaalani befand stolz auf sich: „Dieses Bild ist ziemlich genial. Bin selbst drauf gekommen.“ Der Bildungsaufstieg sei gleich unwahrscheinlich: „Es scheint also an der Klasse zu liegen – Unterschicht bzw. Unterklasse.“
Interessante Publikumsfragerunde mit guten Vorschlägen oder Anregungen
In der Publikumsfragerunde wurden sehr interessante Fragen, das Bildungssystem und die Lehrer*innen betreffend und auch darüber hinaus kluge Vorschläge gemacht oder Anregungen gegeben. Ebenfalls sprachen die Menschen über eigene Erfahrungen im Bildungssystem.
Aladin El-Mafaalani, einstmals sechs Jahr lang Grundschullehrer, befand: „Wir müssen Elternarbeit machen.“ Aber er hatte später aus eigener Ansicht als Wissenschaftler beim Hospitieren in Klassen mit Scham erkannt: „Die schlechteste Profession, um Elternarbeit zu machen, sind Lehrerinnen und Lehrer.“
Als gutes Beispiel nannte El-Mafaalani das Bildungssystem der Skandinavier. Das zu vervollkommnen habe aber zwanzig Jahr und mehr gebraucht. An den Schulen seien im Vergleich zu Deutschland zehnmal so viele Nichtlehrkräfte tätig. Die da wären: Ärzte, Krankenschwestern, Psychologen, Sonderpädagogen, „richtige Hausmeister, gut bezahlt“. Und die Schulen hätten Zugang zu Künstlern u.v.a.m.
Des Weiteren wurde über eine Verlängerung des gemeinsamen Lernens und die Vor- und Nachteile von Waldorf-Schulen diskutiert. El-Mafaalani
Autor Aladin El-Mafaalani im Gespräch mit Julia Wissert.
fände es bedenkensweirt, das Gute aus beiden Schulformen zu verbinden.
Ein kleiner Eklat
El-Mafaalani: „Wenn wir in den heutigen Schulen – wie sie derzeit ausgestattet sind – die Noten und das Selektieren abschaffen, dann entsteht Chaos. Diese Äußerung zog einen kleinen Eklat nach sich: Aus den hinteren Reihen buhte ein Herr lautstark. Und pöbelte brüllend: „Das macht die Kinder kaputt!“ Er sei neun Jahre auf dem Gymnasium gewesen und krank geworden. „Und Du willst das abschaffen?! El-Mafaalani beteuerte daraufhin: „Ich will’s nicht abschaffen.“
Fazit
Ein interessanter und erkenntnisreicher „Talk DKH“ mit dem Soziologen Aladin El-Mafaalani war das. Er stellte fest: Er habe übrigens ab dem Alter von drei Jahren (im Kindergarten) bis heute – mit einem Ausflug in ein Ministerium – quasi sein ganzes bisheriges Leben im deutschen Bildungssystem verbracht. Sein Bemühen adressiere er, betonte El-Mafaalani, an die Schwächsten in der Gesellschaft.
Im Anschluss an die Buchvorstellung gab es die Möglichkeit zur Diskussion sowie einen Büchertisch und eine Signierstunde.
Zu seinem Buch hat Aladin El-Mafaalani Folgendes zu sagen:
„Mit Bildung löst man kein einziges der großen gesellschaftlichen Probleme, etwa die vielen offenen Fragen der Digitalisierung, den fortschreitenden Klimawandel oder den Umgang mit globaler Migration. Selbst die aufgeheizte gesellschaftliche Stimmung oder die Konzentration von Problemlagen in bestimmten Stadtteilen wird sich durch eine Ausweitung und Aufwertung von Bildungsinstitutionen nicht abschwächen. Es geht um eine Verringerung von Chancenungleichheit, um die Erweiterung von Erfahrungshorizonten und Zukunftsperspektiven für alle Kinder und um die Vorbereitung der nächsten Generationen auf die unbekannten Herausforderungen einer zunehmend komplexer werdenden Gesellschaft. Nur darum geht es. Nicht mehr und nicht weniger.“
Die nächsten Termine vom „Talk im DKH“
3. April 2020: Michel Friedman (Journalist, Publizist, Jurist, Politiker) „Was tun gegen Hass und Gewalt? Zum Jahrestag des NSU-Anschlags in Dortmund.
19. Juni: Kübra Gümüşay (Bloggerin, Journalistin) mit ihrem neuen Buch „Sprache und Sein“.
Die Kölner Künstlerin und Fotografin Karin Richert hat zehn Jahre lang, von 2005 bis 2015, die rechtsgerichtete Szene in NRW mit ihrer Kamera beobachtet und dokumentiert. Vom 7. bis 27. Februar sind ihre Bilder in der Galerie im Dietrich-Keuning-Haus (Leopoldstr. 50-58) ausgestellt.
Im Oktober d.J. hat der Rat der Stadt
Dortmund eine „Grundsatzerklärung zur Bekämpfung von
Antisemitismus in Dortmund“ gefasst, obwohl schon im Oktober
vorher ein ähnlicher Beschluss abgestimmt worden war. Neu an diesem
Ratsbeschluss ist die Kennzeichnung einer konkreten Aktion, nämlich
der BDS-Bewegung, als „antisemitisch“. Die BDS-Bewegung tritt
in Anlehnung an die frühere Kampagne gegen den Apartheid-Staat
Südafrika für einen internationalen, gewaltfreien Boykott des
Staates Israel ein, bis die völkerrechts- und
menschenrechtswidrige Besatzungs- und Besiedlungspolitik der
israelischen Regierung beendet ist.
Auf Grundlage dieses Beschlusses hat im
September die Jury des angesehenen Nelly-Sachs-Preises der Stadt
Dortmund bekannt gegeben, den diesjährigen Preis der
pakistanisch-britischen Schriftstellerin Kamila Shamsie doch nicht
zuzuerkennen, weil sie sich als Unterstützerin dieser Bewegung
bekennt.
In der gemeinsamen Bildungsreihe von
Attac, DGB , Nachdenktreff und der „AG Globalisierung konkret in
der Auslandsgesellschaft“ soll der Ratsbeschluss und die sich
daraus ergebenden Folgen diskutiert werden. Wir haben deshalb den
bekannten Journalisten Andreas Zumach eingeladen. Er ist selber
kein Unterstützer von BDS, wendet sich aber in seinem Vortrag
gegen die zahlreichen Versuche, legitime Kritik an der völkerrechts-
und menschenrechtswidrigen Politik der israelischen Regierung als
antisemitisch oder antiisraelisch zu diffamieren und zu unterbinden.
Andreas Zumach ist seit 1988 Schweiz-
und UNO-Korrespondent der taz am europäischen Hauptsitz der
Vereinten Nationen in Genf. Als freier Journalist arbeitet er auch
für andere deutsch- und englischsprachige Print- und
Rundfunkmedien. Darüber hinaus hat er mehrere Bücher veröffentlicht.
2009 wurde ihm für sein friedens- und menschenrechtspolitisches
Engagement der Göttinger Friedenspreis verliehen. Er hat schon
mehrfach in unserer monatlichen Bildungsreihe zu unterschiedlichen
Themen referiert.
Andreas Zumach (2.v.l.) während einer Podiumsdiskussion auf einer Medienkonferenz in Kassel.
Er wird am Mittwoch, 11. Dezember, um 19 Uhr in der Dortmunder Paulus-Kirche, Schützenstr. 35 sprechen und sich den Fragen und der Diskussion stellen.
Update (1) vom 5. Dezember 2019: Die übliche Maschinerie läuft an. Hanebüchene Kritik im Vorfeld der Veranstaltung. Kritik an israelischer Politk wird unter Antisemismus verortet. Ein Folge auch von in Bundestag und Kommunen gefassten fragwürdigen Beschlüssen
An viele Mailadressen von Dortmunder Organisationen und Vereinen, sowie der Kirche ging dieser Tage folgende Mail:
Stellungnahme der Jüdischen Gemeinde Dortmund zur DGB Veranstaltung „Israel, Palästina und die Grenzen des Sagbaren“
Populistische Sprüche wie „das wird man ja wohl noch sagen dürfen“ kannten wir bisher nur von den Rechten („Israel ist unser Unglück“). Nun hat also auch der DGB Dortmund das dringende Bedürfnis , die angebliche Tabuisierung von Kritik an der Politik Israels zu thematisieren. Dabei sind „die Grenzen des Sagbaren“ längst überschritten. Dies hat – ausgerechnet – ein Gewerkschaftler vor wenigen Tagen auf seiner Facebook Seite in erschreckend eindrucksvoller Weise belegt. Wir zitieren:„Eine gute Entscheidung des EuGH für mehr Transparenz .Der zionistische Terrorstaat verwechselt Ursache und Wirkung: Diskriminierend ist alleine die völkerrechtswidrige Besetzung der palästinensischen Gebiete und die Vertreibung ihrer Bewohner, damit die „jüdischen Herrenmenschen“ dort ihren Anbau treiben können!!! P.S. Das ist nicht antisemitisch, sondern völkerrechtswidrig und muss deshalb auch so gekennzeichnet werden, damit möglichst niemand diese Waren kauft.“ – Zitatende- Hier zeigt sich lehrbuchmäßig, was häufig hinter sog. „Israelkritik“ steckt, nämlich lupenreiner, israelbezogener Antisemitismus!
In der Veranstaltungsankündigung des DGB heißt es, es handele sich um eine „Bildungsveranstaltung“ mit einer „differenzierten Diskussion“. Aus den bisherigen Auftritten des alleinigen Referenten Andreas Zumach ist aber hinlänglich bekannt, dass es ihm allein darum geht, die antisemitische Boykottbewegung BDS vom Vorwurf des Antisemitismus rein zu waschen. Wir Dortmunder Juden werden uns diese tendenziöse Veranstaltung nicht antun. Gleichzeitig fragen wir uns , warum der Deutsche Gewerkschaftsbund Dortmund nicht gesellschaftlich relevantere Themen aufgreift, wie beispielsweise: „Die gesellschaftliche Entgrenzung des antisemitischen Ressentiments „.
Für alle linken Genossen, die sich über die Komplexität des Nahostkonflikts und die wahren Ziele von BDS informieren wollen, empfehlen wir ein Blick in die wohl unverdächtige „TAZ“, zum Beispiel hier oder hier .
Update (2) vom 9. Dezember 2019
Die junge GEW Dortmund stellt sich gegen jeden Antisemitismus Pressemitteilung
Der DGB Dortmund-Hellweg lädt gemeinsam mit Attac, Nachdenktreff und der AG Globalisierung in der Auslandsgesellschaft für den 11.12. 2019 in die Pauluskirche zu einer Veranstaltung mit dem Titel “Israel, Palästina und die Grenzen des Sagbaren” mit dem Referenten Andreas Zumach ein. Andreas Zumach bezeichnet sich selbst nicht als Unterstützer des israelfeindlichen Bündnisses BDS (Boykott, Divestment and Sanctions) bestreitet jedoch, dass dieses Bündnis antisemitisch sei. Die DGB Jugend hat schon 2017 auf ihrer Bundesjugendkonferenz einen Beschluss gegen die antisemitische BDS-Kampagne gefasst. Genauer begründet Jonas Holnburger von der EGB-Jugend diese Position noch einmal in einem Interview:https://jugend.dgb.de/dgb_jugend/material/magazin-soli/soli-archiv-2018/soli-aktuell-8-92018/++co++b813dfcc-90ad-11e8-a678525400d8729f?fbclid=IwAR1S8Mt6UYvh1gYdmXcd8YYcO2j37DrX5vUEdxdxpBu50q_S08vvyl4Z3rA Die junge GEW Dortmund hat im Vorfeld der Veranstaltung versucht über interne Kontaktaufnahme zu DGB und GEW Stadtverband den DGB zum Rückzug aus dem Veranstalter*innenkreis zu bewegen, jedoch ohne Erfolg. Betrachtet man die medialen Reaktionen auf Auftritte von Andreas Zumach, wird aus unserer Perspektive ersichtlich, dass dieser Redner keine analytische Perspektive auf die Konfliktlinien wirft, sondern die Fronten befeuert. Er stellt seine Position einseitig da und versucht kritische Nachfragen zu umgehen. Beispielsweise hat er in einer Fragerunde einer kritischen Person vorgeworfen, sie habe den Holocaust nicht verstanden. Um tatsächlich eine „Bildungsveranstaltung“ mit einer „differenzierten Diskussion“ durchzuführen ist dieser Referent wohl die absolut falsche Wahl. Leider war der DGB auch auf Bitten der Jüdischen Gemeinde nicht dazu bereit, das Podium zumindest um eine weitere Position zu erweitern, damit eine kritische Diskussion möglich ist. Wir zeigen uns solidarisch mit der Jüdischen Gemeinde Dortmund, die in einer Stellungnahme (https://www.ruhrbarone.de/stellungnahme-der-juedischen-gemeinde-dortmund-zurdgb-veranstaltung-israel-palaestina-und-die-grenzen-des-sagbaren/176133) bereits ebenfalls klar gegen diese Veranstaltung Position bezogen hat. Wir als junge GEW Dortmund distanzieren uns deutlich von der Veranstaltung. Wir stellen uns gegen jede Form von Antisemitismus und verurteilen insbesondere die moderne Form des als “Israelkritik” getarntenAntisemitismus. Schon in der Veranstaltungsankündigung wird bewusst offengehalten, ob die Kampagne BDS als antisemitisch einzustufen sei. Jonas Holnburger der DGB Jugend begründet jedoch noch einmal deutlich warum dies falsch ist: “Die Organisationen fordern einen kulturellen, politischen, wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Boykott Israels, stellen dessen Existenzrecht in Frage, kooperieren mit antisemitischen Organisationen und tolerieren antisemitische Aktionen und Positionen in ihren eigenen Reihen.” Zudem plädieren wir auf eine enge Zusammenarbeit mit unserer Partnerorganisation, dem israelischen Dachverband Histadrut und der palästinensischen Gewerkschaft PGFTU, die beide eng zusammenarbeiten und die BDS Kampagne ablehnen. Wir bedauern sehr, dass uns dies in den Strukturen unserer eigenen Organisationen begegnet und werden weiterhin gegen diese Positionen ankämpfen. Um unseren Widerspruch gegen die Veranstaltung, den BDS und gegen jeden Antisemitismus deutlich zu machen, rufen wir zu einer Kundgebung am 11.12.2019 ab 18.00 Uhr, auf dem Vorplatz der ev. Pauluskirche, Schützenstraße 35 in Dortmund auf.
Update (3) vom 9. Dezember 2019: Attac wehrt sich: Keine Nähe zu Antisemiten!
In der Stellungnahme der Jüdischen Gemeinde wird versucht, die globalisierungskritische Bewegung Attac in die Nähe von rechtspopulistischen oder sogar neonazistischen Antisemiten zu rücken. Dies ist ebenso falsch wie bedauerlich. Mit einem angeblichen Zitat („das wird man ja wohl noch sagen dürfen“) und dem angeblichen Ausspruch eines uns unbekannten angeblichen Gewerkschafters soll leider nur Stimmung gemacht, aber gerade die sachliche Erörterung unterschiedlicher Bewertungen unterbunden werden.
Mit dieser Methode soll eine bisher unterbliebene, öffentliche Diskussion eines Ratsbeschlusses weiter verhindert werden, der eine Einschränkung der Rede- und Gedankenfreiheit bedeutet, wie es in der Rücknahme der Verleihung des diesjährigen Nelly-Sachs-Preises an die Autorin Kamila Shamsi überdeutlich wird. Wir wenden uns gegen die zahlreichen Versuche, legitime Kritik an der völkerrechts- und menschenrechtswidrigen Politik der israelischen Regierung in den besetzten Gebieten als antisemitisch zu diffamieren. Wir rufen die Dortmunder auf, sich nicht durch Verleumdungen abhalten zu lassen, sich durch den Besuch unserer Veranstaltung am Mittwoch in der Paulus-Kirche eine eigene Meinung zu bilden.
Die Junge GEW und die Antifaschisten haben selbstverständlich das Recht auf Demonstration und freie Meinungsäußerung, das wir aber auch für uns einfordern. Im Anschluss an den Vortrag können sie an erster Stelle in der Reihe der Meinungsäußerungen zu Wort kommen.
Attac Regionalgruppe Dortmund
Darüber hinaus zur Kenntnis:
„An die eigene Vergangenheit gekettet – Deutschlands Einstellung zur Ungerechtigkeit gegenüber dem palästinensischen Volk
17. Oktober 2019 um 8:53 Ein Artikel von: Redaktion
Der Beschluss des Bundestages vom 17. Mai, mit dem die BDS-Kampagne als ein Beitrag zur zunehmenden Bedrohung durch den Antisemitismus in Europa verurteilt wird, ist ein schwerwiegender Anlass zur Sorge. Er markiert die BDS, eine gewaltfreie palästinensische Initiative, als antisemitisch und fordert die Bundesregierung auf, nicht nur der BDS selbst, sondern einer jeden sie fördernden Organisation jegliche Unterstützung zu verweigern. Der Beschluss verweist auf die besondere Verantwortung Deutschlands gegenüber den Juden, und zwar ohne Israels anhaltenden Missbrauch des grundlegendsten Menschenrechts, der Selbstbestimmung, bezüglich des palästinensischen Volkes auch nur zur Sprache zu bringen. Ebenso wenig verweist dieser Beschluss auf die bedeutende Rolle, die eine frühere BDS-Kampagne, nämlich die gegen den Rassismus Südafrikas, bei der Herbeiführung einer gewaltlosen Beendigung des dortigen Apartheid-Regimes gespielt hat; auch fehlt jeder Hinweis darauf, dass selbst diejenigen, die aus strategischen oder pragmatischen Gründen gegen diese BDS-Kampagne gewesen waren, nie versucht hatten, deren Vertreter zu dämonisieren. Von Richard Falk & Hans von Sponeck.
Was uns besonders verstört, ist der von der deutschen Legislative gewählte Ansatz, der BDS durch Rekurs auf Strafen beizukommen. Es sollte nicht vergessen werden, dass im Fall von Südafrika sich die dortigen Aktivisten trotz vieler Widerstände gegen die damalige BDS-Kampagne nie hatten sagen lassen müssen, dass es rechtlich und moralisch inakzeptabel sei, sich an dieser Kampagne zu beteiligen. Die Einwände basierten auf Problemen der Durchführbarkeit oder der Auswirkungen.
Um unsere Position auf den Punkt zu bringen: Wir glauben, dass diese Entschließung des Bundestags der falsche Weg ist, aus der deutschen Vergangenheit zu lernen. Anstatt sich für Gerechtigkeit, Recht und Menschenrechte zu entscheiden, wurden vom Bundestag das palästinensische Volk kein einziges Mal auch nur erwähnt; und so auch nicht die Torturen, denen dieses Volk ausgesetzt ist – und gegen die sich die BDS-Initiative schließlich wendet. Wer für eine israelische Unterdrückungs- und Expansionspolitik grünes Licht gibt, befürwortet damit implizit eine Politik der kollektiven Bestrafung und des Missbrauchs der Schwachen.
Wir schreiben als zwei Menschen mit sehr unterschiedlicher Vergangenheit; gleichwohl setzen wir uns beide für eine starke UNO ein sowie dafür, dass alle Länder, die großen wie die kleinen, zur Einhaltung des Völkerrechts und zur Förderung der globalen Gerechtigkeit verpflichtet sind.
Gemeinsam sind wir uns auch weiterhin des Holocausts als einer schrecklichen Tragödie für das jüdische Volk und für andere ohne Einschränkung voll bewusst, wie auch der Tatsache, dass dieser ein schreckliches Verbrechen des ehemaligen Deutschlands und anderer Länder in der Vergangenheit darstellt. Wir teilen eine vorrangige Bindung an eine globale Ordnung, der zufolge solche Tragödien und Verbrechen gegenüber dem jüdischen Volk wie auch gegenüber allen anderen Völkern (wo auch immer) ausgeschlossen sind. Und wir sind uns dessen bewusst, dass solche Tragödien und Verbrechen auch nach 1945 gegen Ethnien und andere Zielgruppen verübt worden sind, unter anderem in Kambodscha, Ruanda, Jugoslawien und in jüngerer Zeit gegen die Rohingya in Myanmar.
Auch unser Hintergrund ist ein verschiedener. Einer von uns ist Deutscher und Christ (von Sponeck), der andere (Falk) ist Amerikaner und Jude. (Zu unseren Biographien mehr am Ende dieses Beitrags.)
Wir haben das Versagen der internationalen Diplomatie analysiert, für den Konflikt zwischen Israel und Palästina eine Lösung zu finden. Wir glauben, dass für dieses Versagen Israel die Hauptverantwortung trägt, was dem palästinensischen Volk jahrzehntelang permanent großes Leid beschert hat. Wir glauben, dass die Wurzel dieses Scheiterns in dem zionistischen Projekt liegt, einer nichtjüdischen Gesellschaft einen jüdischen Staat aufzuzwingen. Dies hat unweigerlich zum palästinensischen Widerstand und zu einer zunehmend rassistisch geprägten Struktur geführt, die das gesamte palästinensische Volk in seinem eigenen Land unter Kontrolle halten soll. Wir glauben weiterhin, dass Frieden für beide nur dann eintreten kann, wenn diese Apartheidstrukturen abgebaut werden.
Vor diesem Hintergrund empfinden wir die Zurückhaltung, mit der Bundesregierungen und Teile der deutschen Öffentlichkeit auf diesen Zustand der Ungerechtigkeit reagieren, als inakzeptabel und die stillschweigende Billigung dieser Ungerechtigkeit gerade in Deutschland als besonders besorgniserregend und äußerst bedauerlich. Wir beide und unsere Familien sind in verschiedener Hinsicht selbst Opfer des Nationalsozialismus. Dies hindert uns jedoch nicht daran, darauf zu bestehen, dass das deutsche Zögern, den israelischen Ethnozentrismus zu kritisieren, ein gefährliches Missverständnis der Relevanz der nationalsozialistischen Vergangenheit darstellt. Der Holocaust sollte vor allem dazu dienen, die Welt vor Ungerechtigkeit, vor staatlichen Verbrechen und vor der Entwicklung, dass ein ganzes Volk aufgrund seiner rassischen und religiösen Identität zum Sündenbock gemacht wird, zu warnen. Er sollte Israel nicht von rechtlicher und moralischer Verantwortlichkeit befreien, nur weil seine Führung jüdisch ist und viele seiner jüdischen Bürger mit Opfern des Holocaust verwandt sind.
Durch die Annahme eines Grundgesetzes durch die Knesset im Jahr 2018, wonach Israel der National-Staat des jüdischen Volkes ist, beansprucht Israel nunmehr eine Identität, als wäre ihm damit ein Mandat der Straflosigkeit verliehen. Die Lehre des Holocaust hat mit Macht-Missbrauch, mit Verbrechen und mit der Zuschreibung der Sündenbockrolle zu tun und sollte nicht durch die subversive Folgerung pervertiert werden, dass Juden deshalb, weil sie in der Vergangenheit schreckliche Verbrechen zu erleiden hatten, von jeder Rechenschaftspflicht befreit sind, wenn sie heute selber in erheblicher Weise die Menschenrechte brechen. Wir erinnern an Albert Einsteins Brief an Chaim Weizmann von 1929, in dem er schrieb:
“Wenn es uns nicht gelingt einen Weg zu finden, auf dem wir mit den Arabern ehrlich kooperieren und uns mit ihnen einigen können, dann haben wir aus unseren zweitausendjährigen Leiden überhaupt nichts gelernt – und verdienen das Schicksal, das uns bevorsteht!”
Wir sind mit der Schlussfolgerung des ‚verdienten Schicksals‘ nicht einverstanden. Gleichzeitig meinen wir aber, dass die israelische Regierung sich der Tatsache stellen muss, dass ein Großteil des bedrohlichen Anstiegs der anti-jüdischen und anti-israelischen Stimmung in Europa und anderswo auch auf die von ihr selbst verfolgte Politik zurückzuführen ist.
Diese Stimmung ist freilich keineswegs ursächlich für die erbärmliche Niedertracht solch pathologischer Mordattacken wie die von Halle oder auch von Christchurch. Derartige Taten finden ihren Nährboden viel eher in den Hetzreden unbelehrbarer politischer ‚Rattenfänger‘ aus rechtsradikalen Kreisen.
Die fraglos vorhandene Bereitschaft der Bevölkerungsmehrheit, sich solidarisch gerade auch um die jüdischen Mitbürger in Deutschland und auf der ganzen Welt zu scharen, würde durch eine an Recht und Friedensbereitschaft orientierten Politik Israels vermutlich enorm zunehmen.
Wir erwarten, dass sich unser Plädoyer trotzdem starken Angriffen als antizionistisch und sogar als antisemitisch ausgesetzt sehen wird. Ein Teil der Funktion solcher Angriffe besteht darin, deutsche Reaktionen einfach kaltzustellen: zum einen durch Erinnerungen an den Holocaust, zum anderen durch die falsche Unterstellung, dass die Kritik an Israel und am Zionismus einen erneuten Angriff auf Juden und das Judentum darstellt. Wir bestehen darauf, dass dies absolut nicht der Fall ist. Richtig ist genau das Gegenteil. Die betreffende Kritik bekräftigt, dass die Grundwerte der jüdischen Religion und die humanistischen Werte im Allgemeinen an Gerechtigkeit gebunden sind und dass „Antisemitismus“-Verleumdungen antisemitische Verleumdungen eine völlig inakzeptable Taktik sind, um Israel vor berechtigter Kritik zu schützen. Solcherart Einschüchterung gilt es zu bekämpfen und zu überwinden.
Aus dieser Perspektive ist es unser Glaube und unsere Hoffnung, dass die Menschen in Deutschland stark genug sind, um sich von der durch schlechte Vergangenheits-Erinnerungen bewirkten moralischen Taubheit zu befreien und am Kampf gegen die Ungerechtigkeit teilnehmen zu können. Eine solche Dynamik der moralischen Kräftigung würde sich darin manifestieren, dass Deutschland für das palästinensische Leid Empathie zeigt und gewaltfreie Initiativen unterstützt, die darauf abzielen, Solidarität mit der palästinensischen Nationalbewegung zu bekunden und diese zu ermutigen, die Grundrechte aufrecht zu erhalten, insbesondere das unveräußerliche Recht auf Selbstbestimmung.
Wir sind ermutigt, dass unser Handeln hier in Deutschland nicht im luftleeren Raum stattfindet. Wir nehmen die engagierten Bemühungen der Drei Humboldtianer (zwei Israelis und ein Palästinenser – siehe hier) zur Kenntnis, die gegen die israelische Apartheid protestierten; ebenso die Unterstützung, die die Aktionen dieser jungen Menschen durch die Bevölkerung erfahren haben. Ihre inspirierende Botschaft ist unserer eigenen ähnlich: Es ist an der Zeit, dass die deutsche Regierung und Bürger ihr Schweigen brechen und anerkennen, dass die NS-Vergangenheit am besten durch friedlichen Widerstand gegen die ungerechte Unterdrückung des palästinensischen Volkes überwunden werden kann. Verbunden fühlen wir uns auch mit dem offenen Brief, der von Intellektuellen aus der ganzen Welt, darunter auch vielen aus Israel, unterstützt wird, und fordern somit auf, alle Versuche zu beenden, Kritik an Israel mit Antisemitismus gleich zu setzen.
Wir glauben, dass der Frieden zwischen Juden und Arabern in Palästina davon abhängt, dass Schritte unternommen werden, um die Gleichheit der Beziehungen zwischen diesen beiden zu lange in gegenseitige Kämpfe verstrickten Völkern wiederherzustellen. Dies kann nur geschehen, wenn – als ein Auftakt zum Frieden – die derzeitigen Apartheidstrukturen abgebaut werden. Der südafrikanische Präzedenzfall zeigt uns, dass dies möglich ist – aber nur, wenn sich internationaler Druck mit nationalem Widerstand verbindet. In Südafrika schien das bis zu dem Moment unmöglich zu sein, bis dieser eingetreten ist. Auch in Bezug auf Israel scheint das derzeit unmöglich zu sein. Aber das Unmögliche geschieht, wenn die Forderungen der Gerechtigkeit in Kraft treten und so die Unterstützung durch Menschen guten Willens aus der ganzen Welt mobilisiert wird. In den großen antikolonialen Bewegungen der letzten Hälfte des 20. Jahrhunderts hatte der Lauf der Geschichte die schwächere Seite militärisch begünstigt, und so sollten wir trotz des gegenwärtigen Kräfteverhältnisses, das die israelische Dominanz favorisiert, unsere Hoffnung auf ein gerechtes Ergebnis für die Israelis und die Palästinenser keineswegs aufgeben.
Es ist auch wichtig zu bedenken, dass es keinen Frieden geben kann, solange dem palästinensischen Volk dessen Grundrechte verweigert werden. Jede Vereinbarung, die unter den Bedingungen der Apartheid erzielt wird, ist nichts weiter als ein Waffenstillstand. Ein nachhaltiger Frieden hängt davon ab, dass die Gleichheit der beiden Völker auf der Grundlage beidseitiger Selbstbestimmung anerkannt und umgesetzt wird. Deutschland und die Deutschen haben die große Chance, eine solche Vision zu fördern und ihr Land damit von einer schweren Altlast zu befreien. Das ist es, was wir dem jüdischen und dem palästinensischen Volk letztlich schuldig sind, egal, ob wir nun Deutsche oder Amerikaner oder was auch immer sonst sind.
Richard Falk lehrte 40 Jahre an der Princeton University, zuletzt als Albert G.Milbank Professor für Internationales Recht. Seine Mitte des 19.ten Jahrhunderts in die USA ausgewanderten Großeltern väterlicherseits stammten aus Bayern. Von 2008 bis 2014 war Falk Sonderberichterstatter für das besetzte Palästina im Namen des Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen. Zahlreiche Veröffentlichungen zu internationalen Themen; jüngeren Datums: Power Shift: On the New Global Order (2016) und Palestine: The Legitimacy of Hope (2017).
Hans von Sponeck ist der Sohn eines Generals, der gegen Ende des Zweiten Weltkriegs von den Nazis hingerichtet wurde. Er ging 1957 nach Israel und arbeitete dort in Moschawim und Kibbuzim. 32 Jahre diente er bei den Vereinten Nationen, zum Schluss im Rang eines beigeordneten UN Generalsekretärs. Seine UN-Karriere endete, als er als UN-Koordinator des Oel-für-Nahrungsmittelprogramms (1998-2000) aus Protest gegen die Irak Sanktionspolitik des UN-Sicherheitsrates zurücktrat. Seine neueste Publikation: The Politics of Sanctions on Irak and the UN Humanitarian Exception, U. of California Press (2017).“
Mag sich jeder selbst eine Meinung über diese Reaktionen bilden. Ich kann nur empfehlen – auch den Kritikern – unvoreingenommen diese Veranstaltung zu besuchen und nach dem Vortrag von Andreas Zumach an einer sachlichen Diskussion zu beteiligen.
(C.S.)
Zur Kenntnis gegeben sei meinen LeserInnen auch noch ein Brief (Quelle: Telepolis) von Rolf Verleger an die Hochschulrektorenkonferenz (HRK).
Hinweis: Hier geht es zur Eigendarstellung von BDS.
Vom deutschen Philosophen Immanuel Kant
stammen die Worte: „Wer im Gedächtnis seiner Lieben lebt, der
ist nicht tot, der ist nur fern. Tot ist nur, wer vergessen wird.“
Diese Worte sprechen Trost zu, aber ermahnen uns gleichzeitig dazu
uns zu daran zu erinnern, was Schlimmes geschah – damit Derartiges
nicht wieder geschieht. Etwa 200 DemokratInnen waren am
Volkstrauertag an zwei Gedenkstätten gekommen, um dafür
einzutreten.
Gedenken bei den deutschen Kriegsgräbern: Oberleutnant André Rosarius, Bürgermeisterin Birgit Jörder, Polizeipräsident Gregor Lange und Dr. Stefan Mühlhofer (Leiter des Stadtarchivs Dortmund. Fotos: C. Stille
Am Volkstrauertag steht das Gedenken
vielerorts im Mittelpunkt. Auch in Dortmund wurde einmal mehr der
Opfer von Gewalt, Terror, Vertreibung der beiden Weltkriege gedacht.
Dieses Gedenken macht den Volkstrauertag zugleich zu einem
Friedensmahntag.
Die zentrale Gedenkstunde der Stadt
Dortmund fand abermals auf dem Hauptfriedhof statt.
Zunächst versammelten sich die zum
Gedenken erschienenen Menschen – darunter viele SchülerInnen der
Europaschule – am Mahnmal bei den deutschen Kriegsgräbern.
Bürgermeisterin Birgit Jörder
postulierte: „Der Friede in Europa ist ein Schatz, den es zu
pflegen und zu bewahren gilt; das bester Erbe, das wir künftigen
Generationen vermachen können.“
In ihrer Ansprache sagte
Bürgermeisterin Birgit Jörder, dass dieser stille Gedenktag
zugleich ein Tag der Besinnung sei: „Wir halten inne und überlegen
zugleich, was wir heute zu Frieden, Freiheit und Menschlichkeit
beitragen können.“
Bürgermeisterin Birgit Jörder.
Angesichts der vielen Millionen Tote
der vergangenen Weltkriege, der „monströsen Opferzahlen“,
versage unser Vorstellungsvermögen.
Weiter mahnte sie an: „Auch wenn
heute der Krieg fern zu sein scheint, muss dieser Tag weiterhin
fester Bestandteil unserer Gedenkkultur sein. Auch, weil die
Schrecken des Krieges Teil unserer Identität sind.“
An die Worte des französischen
Präsidenten Macron zum Volkstrauertag vor einem Jahr erinnere sie
gern. Er habe damals darauf hingewiesen, „dass unsere Jugend die
Zukunft nur aufbauen kann, wenn sie die Vergangenheit kennt“.
Wir alle, strich Jörder heraus, seien
aufgefordert mitzuhelfen, neues Blutvergießen zu verhindern und
Versöhnungsprozesse voranzutreiben.
Eine zentrale Lehre unsere Geschichte
sei, Verantwortung zu übernehmen.
Jörder gab zu bedenken: „Wir
brauchen diesen Gedenktag auch deshalb, weil Bürgerkriege,
militärische Auseinandersetzungen und die Taten politisch oder
religiös Verblendeter immer stärker zunehmen.“
Die Kränze werden zum Ehrenmal für die deutschen Kriegstoten getragen.
Überdies benötigten wir den
Volkstrauertag in einer Zeit in der aufkommender Nationalismus den
Frieden in Europa bedrohe.
Des Weiteren zitierte Jörder den in
diesem Jahr scheidenden EU-Kommissionspräsidenten Juncker, der
bereits 2008 gesagt habe: „Wer an Europa zweifelt, wer an Europa
verzweifelt, der sollte Soldatenfriedhöfe besuchen. Nirgendwo
besser, nirgendwo eindringlicher ist zu spüren, was das europäische
Gegeneinander am Schlimmsten bewirken kann.“
Jörder dazu: „Wie wahr!“
„Insofern muss“, davon zeigte sich
Bürgermeisterin Jörder überzeugt, „dieser Gedenktag auch Anlass
sein, die Beziehungen zu unseren europäischen Nachbarn im Geist der
Versöhnung und der Partnerschaft wieder neu zu festigen.“
Die Bürgermeisterin postulierte: „Der
Friede in Europa ist ein Schatz, den es zu pflegen und zu bewahren
gilt; das bester Erbe, das wir künftigen Generationen vermachen
können.“
Herzlichen Dank stattete die
Bürgermeisterin dem Volksbund Deutscher Kriegsgräberfürsorge für
die Organisation und Planung dieser Gedenkveranstaltung und allen
Mitwirkenden ab.
Sie und alle zum Gedenken erschienenen
Menschen hätten an diesem Volkstrauertag des Jahres 2019 ein Zeichen
gesetzt, „dass Freundschaft zwischen den Völkern stärker ist als
der kriegerische Wahn und geben Hoffnung, dass wir auch weiterhin in
Frieden und Freiheit miteinander leben können“.
Polizeipräsident Gregor Lange zum
Artikel 1 des Grundgesetzes: „Unsere Verfassung schützt die Würde
aller Menschen. Unabhängig von Herkunft, Religion oder Hautfarbe“
Im Anschluss an Bürgermeisterin Jörder
fragte sich Gregor Lange, der sich als einen „zunehmend
nachdenklicher werdenden Polizeipräsidenten“ bezeichnete, in
seinem Grußwort, ob die weltweit rund 65 Millionen vom
faschistischen NS-Regime zu verantwortenden Kriegstoten als Schrecken
wirklich ausgereicht hätten, „um die deutsche Gesellschaft gegen
Faschismus, Hass und Ausgrenzung zu immunisieren“.
Polizeipräsident Gregor Lange.
Der Dortmunder Polizeipräsident
erinnerte an die Väter und die Mütter des Grundgesetzes, die mit
dessen Artikel 1 ein kostbares Fundament in unsere freiheitliche
Verfassung gelegt hätten: „Die Würde des Menschen ist
unantastbar“, heiße es da. „Nicht etwa die Würde des Deutschen,
nicht die Würde des Christen und auch nicht die Würde angeblicher
Patrioten für das Abendland.“ Lange: „Unsere Verfassung schützt
die Würde aller Menschen. Unabhängig von Herkunft, Religion oder
Hautfarbe.“
In diesem Artikel liege der Schlüssel
für 70 Jahre innerer Frieden in Deutschland.
Allerdings, gab Gregor Lange zu
bedenken, werde dieses Wertefundament in der Zukunft nur
fortbestehen, „wenn es von überzeugten Demokratinnen und
Demokraten aktiv vertreten und gelebt und vor allen Dingen immer
wieder gegen die Angriffe ihrer Feinde selbstbewusst verteidigt
wird“.
Aktuelle Entwicklungen in unserem Land
forderten gerade jetzt, „ein beherztes Engagement von Staat und
Gesellschaft“.
Lange: „Wie müssen sich Menschen
fühlen, die vor Krieg und Terror aus ihren Heimatländern zu uns
geflohen sind und dann hier mit Hass, Hetze, Gewalt und Ausgrenzung
konfrontiert werden?“
Und welche Gefühle bewegen wohl
Menschen jüdischen Glaubens, die anders als viele ihrer Angehörigen
und Freunde den Holocaust überlebt haben und heute auf offener
Straße antisemitischer Hetze und Gewalt ausgesetzt sind?“
Ebenfalls müsse man sich fragen, was
davon zu halten sei, „wenn rechtspopulistische Parteien selbst nach
dem brutalen Anschlag auf eine Synagoge und nach der Ermordung des
Kasseler Regierungspräsidenten durch einen Rechtsextremisten immer
noch Zuspruch bei Teilen der Bevölkerung bekommen.“
Auch müsse man darüber nachdenken,
wie es wohl VertreterInnen unseres demokratischen Rechtsstaates gehe,
„wenn sie im Netz bedroht oder auf offener Straße in SA-Manier
angegriffen werden“.
Polizeipräsident Gregor Lange
versprach: „Die Polizei Dortmund ist fest entschlossen, alle
rechtlichen Instrumente, die ihr der wehrhafte demokratische
Rechtsstaat zur Verfügung stellt auszuschöpfen, um die Bevölkerung
vor aggressiv-kämpferischen Verfassungsfeinden zu schützen.“
Geistigen Brandstiftern, so Lange, müsse das Handwerk gelegt werden.
Dabei setze er „auf kluge
Staatsanwälte und Richter, die unseren Gesetzen die notwendige
Durchschlagskraft geben können“.
Letztlich frage sich Lange noch, wie
schwer manche Mutter und mancher Vater sicherlich getroffen sein
müssten, deren Söhne oder Töchter in NS-Gedankengut abdriften und
sich einer rechtsextremistischen Szene anschlössen. Mit den Worten
(nach einer chinesischen Weisheit) des englischen Schriftstellers
Charles Reade (1814-1884) schloss Lange sein Grußwort:
„Achte auf deine Gedanken, denn sie
werden Worte. Achte auf deine Worte, denn sie werden
Handlungen. Achte auf deine Handlungen, denn sie werden
Gewohnheit. Achte auf deine Gewohnheiten, denn sie werden dein
Charakter. Achte auf deinen Charakter, denn er wird dein
Schicksal.“
Bürgermeisterin Birgit Jörder, Dr. Stefan Mühlhofer (Leiter des Stadtarchivs) und Oberstleutnant Oberstleutnant André Rosarius (Bundeswehr) legten am Mahnmal bei den deutschen Kriegsgräbern Blumen nieder. Es wurde eine Schweigeminute eingelegt.
Neonazis und Mitglieder der Partei Die
Rechte – die bis dahin durch einen Pulk von SchülerInnen und ein
auf dem Boden liegendes Dortmund-bunt-statt-braun-Transparent auf
Abstand gehalten worden waren, legten Blumen und Kränze am Mahnmal
ab, offenbar um ihrem „Heldengedenken“ zu frönen. Das empörte
viele Teilnehmer des Gedenkens.
Friedensmarsch zum Mahnmal für die
getöteten sowjetischen Kriegsgefangenen
Die anwesenden DemokratInnen machten
sich auf zu ihren „Friedensmarsch“.
Das Ehrenmal für die toten sowjetischen Kriegsgefangenen am Rennweg in Dortmund. Davor Schüerinnen der Europaschule Dortmund.
Dieser führte zum Friedhof am Rennweg
vor das Mahnmal für die in Dortmund zu Tode gekommenen sowjetischen
Kriegsgefangenen.
Dort stellten SchülerInnen der Europaschule das Projekt „Namensziegel und der digitale Parcours“, „Gegen das Vergessen“, welcher in Zusammenarbeit mit dem Volksbund Deutscher Kriegsgräberfürsorge in Verantwortung von Verena Effgen erarbeitet wurde. Gefördert wurde es durch das Bundesprogramm „OPENION – Bildung für eine starke Demokratie“. Die BIPARCOURS-App, kündigte eine Schülerin an, könne ab sofort im App Store oder bei Google Play kostenlos heruntergeladen werden. (Siehe unter diesem Artikel den QR-Code).
Verena Effgen begrüßte die Gäste am sowjetischen Ehrenmal und freute sich, dass eine so große Zahl von Menschen gekommen waren.Viele waren zum Gedenken gekommen.Namensziegel und Friedensbänder.
Zuvor hatten die Teilnehmer des Friedensmarsches die Leinen, welche den Weg zum Mahnmal säumten, passiert, an denen 5.095 Namensbänder (Nordstadtblogger berichtete) zum Gedenken an in Dortmund zu Tode gekommenen sowjetische Kriegsgefangene befestigt waren. Zu sehen waren auch einige Personalkarten der einstigen Kriegsgefangenen und die Namensziegel. Sogar ein sechs Monate altes Baby ist in Dortmund zu Tode gekommen. Die Bänder waren in der VHS Dortmund, an der Europaschule Dortmund sowie von Gästen des Evangelischen Kirchentages erstellt worden. Am Ende des Gedenkens wurde noch eine Anzahl weiterer Friedensbänder an die Leinen geknüpft. Die Gelegenheit dazu ergriffen auch Bürgermeisterin Birgit Jörder, Oberstleutnant André Rosarius und Dr. Stefan Mühlhofer.
Die Personalkarte eines sowjetischen Kriegsgefangenen.Den Weg säumten die Friedensbänder zum Gedenken an die in Dortmund verstorbenen sowjetischen Kriegsgefangenen.
Die musikalischen Beiträge anlässlich
diesen Gedenkens, „Winter“ und „war girl“, interpretierten
Finn und Jonas Ulrich. Marina Kalmykowa sang zur Gitarre „’S
brennt“ von Mordechaj Gebirtig.
Marina Kalmykowa singt zur Gitarre.Finn und Jonas Ulrich mit ihrem Musikbeitrag.
Gemeinsam mit Schülerinnen legte
Bürgermeisterin Birgit Jörder ein Blumengebinde vor den Mahnmal für
die getöteten sowjetischen Kriegsgefangenen ab. Auch hier wurde der
Toten mit einer Schweigeminute gedacht.
Bürgermeisterin Birgit Jörder (Mitte) ehrt mit den Schülerinnen die toten sowjetischen Kriegsgefangenen.
Etwa 200 DemokratInnen nahmen jeweils am Gedenken am Mahnmal an den deutschen Kriegsgräbern sowie am Obelisken für die toten sowjetischen Kriegsgefangenen am Volkstrauertag 2019 teil.
Einige Impressionen vom Gedenken am sowjetischen Ehrenmal von Ulrich Streffing.
Memorial
Sowjetische Kriegsopfer können über ein eigens eingerichtetes OBD-Memorial gesucht (Russisch/Englisch). Wichtig dabei ist, dort nicht nur den Vornamen und Nachnamen der gesuchten Person, sondern auch den Vatersnamen einzugeben.
Wie Rechtsextremismus und
menschenfeindlicher Hetze am Besten zu begegnen sei und was
diesbezüglich von Claus Schenk von Stauffenberg zu lernen wäre,
darüber wurde in der Auslandsgesellschaft Dortmund gesprochen. Zu
Gast war der Enkel des Hitler-Attentäters Karl Schenk Graf von
Stauffenberg. Einig war man sich, dass sich der Einzelne mehr in die
Demokratie einbringen und die Stadtgesellschaft positive Zeichen
setzen muss.
In den letzten Jahren hat sich die politische Kultur nicht nur in
Deutschland, sondern auch in Europa sehr verändert. Durch die
Anonymität sozialer Medien ist menschenfeindliche Hetze alltäglich
und auf erschreckende Weise sozusagen salonfähig geworden. Der
rechtsterroristische Anschlag in Halle am 9. Oktober verdeutlicht,
welche Konsequenzen dieses veränderte Klima haben kann und
unterstreicht die Notwendigkeit von zivilem Widerstand in der
heutigen Zeit.
„Stauffenberg zu heißen ist kein Privileg, sondern eine
Verpflichtung“
Das war Thema bei einer Veranstaltung
von Multikulturelles Forum e.V. in der Auslandsgesellschaft in
Dortmund. Um Widerstand gestern und heute ging es dort bei einem
Vortrag von Karl Schenk Graf von Stauffenberg, dem Enkel von Claus
Schenk Graf von Stauffenberg, dessen Bombenattentat auf Adolf Hitler
am 20. Juli 1944 scheiterte. Dem Vortrag, welchem sich eine
Podiumsdiskussion anschloss, war der Titel „Stauffenberg zu heißen
ist kein Privileg, sondern eine Verpflichtung“ gegeben worden.
Karl Schenk von Stauffenberg
zeichnete ein Bild von seinem Großvater und der Zeit in der
aufwuchs und lebte
Dem Gast aus Franken war freilich klar,
dass ZuhörerInnen auch gekommen waren, um etwas über seinen
Großvater erfahren, dessen Todestag sich in diesem Jahr zum 75. Mal
jährte. Dabei ging es ihm, wie er sagte, auch darum mit einen oder
anderen Legende aufzuräumen bzw. Sachverhalte aus Sicht der Familie
darzustellen. Zu diesem Behufe zeichnete Karl Schenk von
Stauffenberg zunächst einmal ein Bild der Menschen, die mit dem
Attentat auf Hitler im Zusammenhang standen. In letzter Zeit sei
sozusagen eine „dunkle Wolke über die Offiziere des 20. Juli, die
Offiziere des Widerstandes“ heraufbeschworen worden. Es habe
geheißen, diese Offiziere hätten nicht aus Gewissensgründen
gehandelt, sondern deshalb, „weil Adolf Hitler ein schlechter
Feldherr gewesen und der Krieg augenscheinlich schon verloren sei“
und sie mit diesem Attentat „schlimmeres von deutschen Volk“
hätten abwenden wollen. Selbst wenn es wirklich so gewesen wäre, so
Von Stauffenberg, wäre das ja auch nachvollziehbar.
Karl Schenk Graf von Stauffenberg. Foto: Alexander Völkel.
Notwendig wäre, so der Gast, erst
einmal zu schauen, was diese Reichswehr- und später
Wehrmachtsoffiziere anfangs des 20. Jahrhunderts für Menschen
gewesen sind. In erster Linie seien sie eben Offiziere und mit
meisten anderen Menschen nicht zu vergleichen gewesen wären. Als
Berufssoldaten hatten sie apolitisch zu sein und deshalb während der
Weimarer Republik noch nicht mal über ein Wahlrecht verfügt. Dies
alles bedenkend, sei über seinen Großvater zu sagen: ein Demokrat
war er nicht. „Aber“, gab Stauffenberg zu bedenken, „nicht
jeder Nichtdemokrat ist gleichzeitig ein Nazi gewesen“. Ein Held
sei sei Großvater nicht gewesen.
Der Großvater wuchs am Hof des Königs
von Baden-Württemberg auf – wo der Urgroßvater Kammerherr gewesen
sei -, wo er zusammen mit den Königskindern im Königsschloss in
Stuttgart spielte.
Dann sei er unter dem Eindruck des
Ersten Weltkriegs mit 18 Jahren Soldat geworden. Der Großvater habe
erlebt, dass mit der Weimarer Republik der erste deutsche
Demokratieversuch gescheitert war. Dann kam 1933 und Hitler an die
Macht. Das erste, was Hitler tat, war den Versailler Vertrag von 1918
zu kündigen. Das sei bei den Deutschen auf große Zustimmung
gestoßen. Denn dieser Vertrag hatte dazu geführt, so Stauffenberg,
„dass Deutschland seiner Schätze beraubt wurde“. Das Ruhrgebiet
etwa war von den Franzosen besetzt und die hier abgebaute Kohle ging
nach Frankreich. Das Saarland war von Frankreich annektiert.
Claus Schenk von Stauffenberg habe die
Kündigung des Versailler Vertrags wohl begrüßt, sei aber dennoch
„kein Freund des Nationalsozialismus, so wie wir ihn heute kennen“,
sondern „ein königstreuer Mensch“, ein sehr gläubiger Christ
und musisch begabter Cellist gewesen, der eigentlich Architekt oder
Musiker hätte werden wollen.
Auch habe er sehr unter dem Eindruck
des damals sehr bekannten Dichters Stefan George gestanden.
Das müsse über seinen Großvater
gewusst werden, merkte Karl Schenk Graf von Stauffenberg an. Und im
jugendlichen Alter von 25 Jahren sei dieser gewiss noch kein Gegner
von Hitler von Anfang an gewesen.
Allerdings gebe es in Reaktion auf den
Überfall der Wehrmacht auf Polen „ein verbrieftes Zitat“ von
seinem Großvater: „Jetzt macht der Narr Krieg.“ Als Soldat war
er aber Befehlsempfänger und habe seine Arbeit machen müssen.
Stauffenberg fragt sich, warum es
wieder extreme Parteien in unsere Parlamente schaffen
Schließlich ging Stauffenberg auf den
derzeitigen gesellschaftlichen Zustand ein. Er fragte, wie wir
eigentlich dazu kämen, dass „nach der Geschichte, die wir haben
bzw. unsere Vorfahren hatten“ – heute weit an den politischen
Rändern wieder extreme Parteien in unsere Parlamente schaffen.
Er sprach von zwei „Unrechtsstaaten“,
die wir hinter uns hätten. Und meinte damit auch die DDR und
kritisierte, dass eine Ministerpräsidentin und ein Ministerpräsident
hierzulande diese nicht als „Unrechtsstaat“ sehen wollten.
Stauffenberg: Das Grundgesetz
garantiert uns Freiheit – die aber hat eine Kehrseite
Wir alle, bemerkte der Gast, hätten in
den vergangenen sieben Jahrzehnten kriegerische Auseinandersetzungen
auf deutschen Boden nicht mehr erlebt. Das Grundgesetz garantiere
uns Freiheit. Diese Freiheit habe aber auch eine Kehrseite: die
Verantwortung des Einzelnen. Die Freiheit nähmen wir als eine
Selbstverständlichkeit hin – sozusagen als „Naturgesetz“.
Karl Schenk Graf von Stauffenberg malte
ein (im Vergleich zu anderen Ländern auf der Welt) ein äußerst
positives Bild vom gegenwärtigen Deutschland. Und fragte sich, „wie
man so unzufrieden sein kann mit dem was wir hier erreicht haben,
dass man wiederum anfängt, Parteien zu wählen, die am liebsten um
Deutschland herum eine Mauer bauen möchten“. Wir müssten doch
alle etwas für unsere Gesellschaft tun. Doch diesbezüglich habe
gewissermaßen unsere Politik ein bisschen Schuld. Die Parteien
sagten: „Seid ihr mal frei und wir kümmern uns um den Rest“. Das
könne gar nicht funktionieren.
Menschen, die sich nicht bemühten
der Gesellschaft zurückzugeben, was diese ihnen als Hilfe gegeben
habe, sollten sanktioniert werden. Das findet Stauffenberg gerecht
Dann präsentierte Stauffenberg das –
wie er selbst zugab – „populistische Beispiel“ eines jungen
Menschen, der „lieber vor seine Spielkonsole sitzt als in die
Schule zu gehen“. Letztlich lande der ohne Schulabschluss und
Lehrstelle in Hartz IV. Dort habe er sich gut eingerichtet. Dann käme
irgendwann die Gesellschaft und die sage ihm, er habe die letzten
Jahre auf Kosten der Gesellschaft gelebt und nun verlange man von
ihm, dass er dieses Geld in Form von eigener Leistung zurückzugeben.
Man sei nicht unsozial und gebe ihm einige Umschulungsmaßnahmen und
später Vorstellungsgespräche. Der junge Mann habe aber letztlich
keine Lust. Dann käme die Gesellschaft, in den Fall die Agentur für
Arbeit, daher und kürze diesem jungen Mann sein Hartz IV-Satz.
Stauffenberg: „Ist das gerecht? Ist das menschenunwürdig, wie
bestimmte Politiker sagen? Ich behaupte, es ist gerecht.“
Er sei sehr wohl dafür Menschen im
sozialen Netz aufzufangen. Aber es könne nicht zugelassen werden,
Menschen zu finanzieren, die nichts für ihren Lebensunterhalt tun
wollen, obwohl sie dies könnten. Das findet Stauffenberg „zutiefst
ungerecht“.
„Der Staat sind wir alle“
Ebenso wenig könne er verstehen, dass
Leute nicht mehr wählen gingen.
Wir müssten doch verstehen, dass wir
selber für unser Land Verantwortung trügen!
Warum, skandalisierte der Gast, gingen
nicht zehntausende Menschen für unseren Rechtsstaat auf die Straße?
Stattdessen müsse man Pegida erleben, die gegen Ausländer
demonstrierten.
Wann gehe denn „die große Mitte“ –
die Menschen, die mit dem Leben hier sehr zufrieden sind auf die
Straße und sagten: „Wir lassen uns die öffentliche Wahrnehmung
nicht von Extremisten wegnehmen!“
Überall in der Gesellschaft müssten
wir extremistischen Meinungen vehement entgegentreten, forderte Von
Stauffenberg. Wir müssten uns klarmachen und hätten ein
Verantwortung zu übernehmen: „Der Staat sind wir alle!“
Mit Platon war Stauffenberg auch einer
Meinung: „Wenn die Guten nicht kämpfen, gewinnen die Schlechten.“
Stauffenberg kann Forderungen nach
Verstaatlichung und Enteignung nicht verstehen und erntete
Widerspruch
Stauffenberg prangerte Menschen an, die
grundgesetzwidrig laut darüber nachdenken dürften, ob man
Unternehmen wie BMW verstaatlichen und kollektivieren sollte.
Auch gebe es „Leute vom linken Rand“,
die laut darüber nachdächten, Wohnungsbaugesellschaften in Berlin
zu enteignen. Stauffenberg habe da den „großen kollektiven
Aufschrei unserer Gesellschaft“ vermisst: „Wir glauben es ist
ungerecht, wenn Mieten in Berlin höher werden.“
Ein Herr aus dem Publikum fand diese
Sicht „sehr vereinfacht und oberflächlich“ und, dass
Stauffenberg die Auswirkungen des „Neoliberalismus völlig außer
Acht gelassen“ habe. Überdies sei in Deutschland „die Schere
zwischen arm und reich extrem auseinandergegangen“. Und auf das
Beispiel mit dem Jungen mit der Spielkonsole anspielend, sagte der
Herr: „Wir haben inzwischen sechzig Prozent prekär verdienende
Menschen“. Auch habe der Staat Kontrolle und Grenzen aufgegeben,
wie sie früher gegenüber Auswüchsen des Kapitalismus hätten
Wirkung entfalten können.
Das sei schwierig geworden, so
Stauffenberg, verwies auf die Globalisierung und meinte, das stünde
auf einem anderen Blatt Papier.
Ob der Stauffenbergschen
Einschätzung der Thüringen-Wahl bekam eine Dame Bauchschmerzen
Zur Thüringen-Wahl meinte
Stauffenberg, „beide Ränder zusammennehmend“ hätten über
fünfzig Prozent der WählerInnen dort Parteien gewählt, die in
ihren Parteien Funktionsträger duldeten, die das System Deutschland
verändern wollten, die „Nichtdemokraten, Nazis oder Kommunisten in
ihren eigenen Reihen dulden“.
Eine Dame aus dem Publikum bekannte
gegenüber dieser Aussage Bauchschmerzen bekommen zu haben. In
Wirklichkeit habe man Bodo Ramelow in Thüringen ganz viel zu
verdanken. Die AfD hätte ohne seine Person womöglich 30 oder sogar
mehr Prozent bekommen. „Die Partei DIE LINKE aber mit der AfD in
irgendeiner Weise in Zusammenhang zu bringen, dass ist nicht
richtig“, wendete die Dame ein. Gerade in Richtung Chancengleicheit
und Bildung habe sich die Partei in Thüringen stark gemacht.
Stauffenberg ruderte darauf leicht
zurück: Er habe die Linke mit der AfD nicht in einen Topf schmeißen
wollen. Aber eine Partei sei für ihn nicht wählbar, in ihren Reihen
Funktionäre oder Mandatsträger habe dulde, die das System unserer
Demokratie hier ablehnten. Einen Beweis dafür blieb Stauffenberg
allerdings schuldig.
Podiumsdiskussion mit Micha Neumann
(Projekt Quartiersdemokraten) und Alexander Völkel
(Nordstadtblogger) zusammen mit dem Gast
Im der sich anschließenden
Podiumsdiskussion wurde gemeinsam mit Micha Neumann (Projekt
„Quartiersdemokraten“) und Alexander Völkel (Leitender Redakteur
der Nordtstadtblogger) über aktuelle Formen des Widerstandes unter
besonderer Berücksichtigung der Aktivitäten in Dortmund gegen
Rassismus und Antisemitismus diskutiert.
Von Links: Micha Neumann, Moderatorin, Karl Schenk Graf von Stauffenberg und Alexander Völkel.
Alexander Völkel stellte bezüglich
der von Karl Schenk von Stauffenberg Empörung über Forderungen nach
der Enteignung von Wohnungsgesellschaften in Berlin zunächst einmal
klar: Dass dort „massenhaft soziale und kommunale Wohnungen
privatisiert und den Hedge-Fonds überlassen werden und Menschen aus
ihren Quartieren verdrängt werden“. Und ihr Lebensunterhalt nicht
mehr bestreiten können. Das gehöre auch zur Wirklichkeit. Aus
Völkels Sicht sind das Auswirkungen einer verfehlten Politik „Privat
vor Staat“, die sehr viele Probleme verursacht und wenig gelöst
habe.
Auf die Entgegnung von Stauffenberg,
einem privatwirtschaftlichen Unternehmen könne man schwer vorwerfen,
wenn sie günstig Wohnungen kaufen darf, sie dann auch zu kaufen,
„warf
Völkel ein: „Die sind für’n Appel
und Ei verramscht worden.“
Dann schwenkte die Runde auf das
eigentliche Thema Widerstand ein. Karl Schenk von Stauffenberg sah es
als unsere Aufgabe an, eingedenk der Tat seines Großvaters,
Verantwortung zu übernehmen. Und zwar da, wo sie zwingend geboten
ist, wie im Dritten Reich. Ein Despot, der der ganzen Welt Schaden
zufügt müsse bekämpft werden. Seinen Großvater beschrieb er als
ambivalente Person – wie wir alle welche seien -, die keine
jungfräuliche Person gewesen, die ohne Sünde war.
Micha Neuman zur Erinnerungsarbeit
in Dorstfeld
Was hinsichtlich dem bevorstehenden
Gedenken angemessene Erinnerungsarbeit Dorstfeld zu leisten sei,
darüber stand Micha Neumann vom Projekt Quartiersdemokraten Rede und
Antwort. Am Freitag steht ja die Erinnerung an die Pogromnacht an. Am
Mahnmal der ehemaligen Synagoge in Dorstfeld, wo sich einst ein
Zentrum des Judentums befunden habe, werde am Freitag abermals eine
Gedenkveranstaltung abgehalten. Neumann erinnerte daran, dass diese
in den letzten Jahren von den im Stadtbezirk wohnenden Neonazis
massiv angegriffen worden war. Es komme neben dem auf die
Vergangenheit bezogenem Gedenken auch darauf an, eine Brücke zur
Gegenwart zu schlagen und den Antisemitismus und Rassismus von heute
zu thematisieren. In Schulklassen werde in diesem Sinne eine
hervorragende Arbeit geleistet.
Die Stadtgesellschaft muss „positive
Zeichen“ setzen, meint Alexander Völkel
Alexander Völkel meinte, es sei sehr
wichtig zu hinterfragen, was all das heute mit uns zu tun habe.
Dortmund habe ja eine sehr bunte Stadtgesellschaft. Auf die Nordstadt
bezogen müsse gesagt werden, dass die erwähnte Geschichte im
Zweifelsfall für sechzig bis siebzig Prozent der Bevölkerung im
Stadtbezirk nicht die ihre ist, dennoch aber etwas mit ihnen zu tun
habe. Bestimmte Ausgrenzungs- und Verfolgungsmechanismen seien
nämlich dieselben – damals wie heute. Als Problem benannte Völkel
Ritualisierungen und als Beispiel das städtische Gedenken am
Volkstrauertag. In den letzten Jahren träten dort auch um die
sechzig Neonazis in Erscheinung, die nach dem offiziellen Teil dort
ihr „Heldengedenken“ abhielten. Auch der erste Mai werde von
Neonazis mit dem Spruch „Arbeitsfrei seit 1933“
instrumentalisiert und somit missbraucht.
Da müsse die Stadtgesellschaft
„positive Zeichen“ setzen. In dem Sinne, so Völkel, könnten
auch positive Beispiele in Dortmund genannt werden, wie das
mittlerweile gut etablierte Gedenken in der Mahn- und Gedenkstätte
Steinwache und im Rombergpark das Karfreitagsgedenken für die in den
letzten Kriegstagen von den Nazis ermordeten Kriegsgefangenen und
politisch anders denkenden Menschen. Es existiere also eine gute
Gedenkkultur in Dortmund, bei der junge Menschen als „Botschafter
der Erinnerung“ eine hervorragende Rolle spielten. So werde der
Wert der Demokratie deutlich gemacht.
Karl Schenk Graf von Stauffenberg
ist vom Dortmunder Engagement gegen Rechts begeistert
Karl Schenk Graf von Stauffenberg
engagiert sich im Verein „Mittendrin statt EXTREM daneben“, die
eine eine Gemeinschaft von Menschen sein will, die mit demokratischen
Mitteln gegen jegliche Form des Extremismus und Radikalität kämpfen.
Von dem Engagement gegen Rechts in
Dortmund zeigte er sich begeistert. Dortmund sei wohl „so eine Art
ideelle Insel im deutschen Großstadtdschungel, was er sehr
bewundernswert finde. Das fände sich etwa in München in dieser Form
nicht. Das sei etwas, dass er auch gerne mitnehme als Anregung von
Dortmund.
Micha Neumann erklärte, dass habe ja
auch mit einer sehr vitalen Neonaziszene hier in Dortmund zu tun, die
in anderen westdeutschen Städten so nicht existiere. Aber ja,
Dortmund habe mittlerweile ein Vorreiterrolle. Zeit etwa zehn Jahren
werde im Kampf gegen Antisemitismus und Rassismus in Dortmund auch
einiges an Geld investiert. Hier sei auch die erste Beratungsstelle
für Opfer von rassistischer Gewalt eingerichtet worden. Auch gebe es
andere Träger, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren. Neumann
erinnerte daran, dass in Dortmund in der Vergangenheit bereits fünf
Menschen – drei davon waren Polizisten – von Neonazis ermordet
wurden. Micha Neumann zeigte sich empört darüber, dass in
Deutschland Gelder für wichtige Präventionsarbeit befristet oder
gar gestrichen werden.
Alexander Völkel: Rechtsextremismus
und Linksextremismus nicht reflexartig gleichsetzen: „Wir haben
seit 1990 zweihundert politische Morde von Rechts!“
Alexander Völkel erwähnte die Aussage
eines CDU/CSU-Innenexperte im Bundestag, der nach dem als Mord mit
rechtsextremen Hintergrund am CDU-Politiker Lübcke davon gesagt
habe: Wenn sich der rechtsextremen Hintergrund bestätige, dann wäre
das der erste politisch motivierte Mord seit 1945. Völkel habe da
gedacht: „Guter Mann, wo hast du denn gelebt in den letzten
Jahren?“
Stauffenberg sprach diesbezüglich von
einem „politischen Wachkoma der Union“. Völkel weiter: „Wir
haben seit 1990 zweihundert politisch motivierte Morde von Rechts!“
Auf der linken Seite sei seit der RAF „nicht wirklich was präsent“.
Der Journalist wollte nicht falsch
verstanden werden: Gewalt sei für ihn überhaupt keine Lösung und
abzulehnen. „Nur das Reflexartige, wenn wir etwas gegen Rechts
machen, müssen wir auch etwas gegen Linksextremismus machen“,
kritisiere er. Völkel merkte an: „Auf der einen Seite brennen
Autos, auf der anderen Seite brennen Menschen!“
Das Thema Anfeindungen habe man ganz
massiv auch im Journalismus. Es kämen Todesdrohungen, man erhalten
Briefumschläge mit Pulver und Schweineschnauzen und Kollegen hatten
rote Winkel in der Post.
Wegbereiter eines solchen Tuns seien
auch bestimmte AfD-Politiker mittels verbaler Ausfälle.
Was also kann man von Claus Schenk
von Stauffenberg lernen und in Dortmund besser machen?
Alexander Völkel meinte dazu in der
Schlussrunde, man müsse sich gegenüber bestimmten Strukturen nicht
gefangen geben. Gesellschaftspolitisch gebe es viele Möglichkeiten
sich demokratisch einzubringen. Er habe allmählich die Sorge, dass
der Kabarettist Volker Pispers recht habe, der einmal gesagt habe, es
sei offenbar das Problem in dieser Demokratie, dass man nicht in der
Lage ist, eine Politik zu machen, von der achtzig Prozent der
Menschen etwas haben. Völkel fürchtet, im Moment gehe durch
entsprechenden Lobbyismus und die immer stärker werdende
Ungleichheit gerade in Deutschland die Reise wohl leider eher in die
andere Richtung. Doch, wenn mehr Menschen bereit seien, das nicht
mehr zu akzeptieren und sich entsprechend artikulieren, könne man
vielleicht doch wieder ein lebenswerteres Deutschland gestalten.
Karl Schenk Graf von Stauffenbergs
Fazit an diesem Abend: Gegenüber dem Eindruck, den er über die
letzten fünf Jahre gewonnen hatte, habe ihn Dortmund eines Besseren
belehrt, weil die öffentliche Anstrengung dem Rechtsextremismus zu
begegnen hier wirklich greifbar sei.
Im Anschluss an die diesjährige
Mitgliederversammlung des Unternehmensverbandes Östliches Ruhrgebiet
e.V. referierte der Rechtsanwalt und Politiker Dr. Gregor Gysi am
vergangenen Dienstag im Dortmunder Verbandshaus zum Thema „Zukunft
der sozialen Marktwirtschaft“. Der Vortrag kam an. Gysi referierte
gewohnt rhetorisch geschliffen. Sein Vortrag war humorvoll und
aufgepeppt mit jeder Menge Anekdoten. Am Ende gab sich
Vorstandsvorsitzender Arndt Dung begeistert: Er habe gemeint, in dem
Politiker der Partei DIE LINKE ein ganz anderes Parteimitglied erlebt
zu haben.
Von links: Arndt Dung, Vorstandsvorsitzender, Dr. Gregor Gysi und Ernst-Peter Brasse, Geschäftsführer. Fotos: C. Stille
Wieso der Unternehmerverband
ausgerechnet auf den Linken Gregor Gysi kam
Gregor Gysi ist Mitglied der Partei DIE
LINKE und Präsident der Europäische Linke (EL). Nordstadtblogger
wollte vom Unternehmerverband wissen, wie es dazu kam, ausgerechnet
Gysi zum diesjährigen Herbstvortrag anzufragen. Geschäftsführer
Ernst-Peter Brasse erklärte, die Unternehmensverbände seien
„grundsätzlich überparteilich“. Gegenüber Linken habe man
deswegen keine Berührungsängste. Brasse: Herr Gysi ist aus unserer
Sicht eine Person, die ihren Anteil an der Entwicklung Deutschlands
im Anschluss an die Wiedervereinigung gehabt hat und auch noch hat.
Rhetorisch geschickt und in der Sache klar vertritt er sein Meinung
auch in seiner eigenen Partei, was aus unserer Sicht nicht bei jedem
Abgeordneten in dieser Form der Fall ist.“
Aus Sicht der Unternehmensverbände sei
es, so Brasse, die soziale Marktwirtschaft, die einen gerechten
Ausgleich zwischen Kapitalismus und Umverteilung suche. „Herr Gysi
hat eine bestimmte und auch klare Vision zur Zukunft der sozialen
Marktwirtschaft, die gewiss nicht jeder Unternehmensvertreter teile.
Doch sei es wert sei gehört und diskutiert zu werden. Brasser
schränkte ein, diese beträfe jedenfalls den Teil, der sich nicht
mit Enteignungen beschäftigt.“
Der Beruf des Rinderzüchters nannte
Gysi die beste Voraussetzung, um in die Politik zu gehen: „Ich kann
mit Hornochsen umgehen“
Letzteres brachte freilich Gregor Gysi
dann doch am Rande unaufgeregt aufs Tapet. Er sprach allerdings von
Überführung in Gemeineigentum, die nötig werden könnte. Niemals,
versprach der Referent, würde er den gesamten Mittelstand enteignen
wollen.
Dr. Gregor Gysi.
Arndt Dung, der Geschäftsführer des
Unternehmensverbandes, hatte nach der herzlichen Begrüßung es
Gastes aus Berlin dessen gewesenen Funktionen aufgezählt, die von
heute bis in die letzten Tage der DDR zurückverfolgbar sind. Gysi
ergänzte noch, dass er mehrere Talkshows moderiere und erinnerte
daran, dass er zusammen mit dem Abitur den Facharbeiterabschluss für
Rinderzucht (in der DDR als Berufsausbildung mit Abitur auch in
anderen Berufen üblich) erwarb. Eine „Schwachsinnsregelung der
DDR“, wie Gysi meint, denn das sei herausgeworfenes Geld und
gewesen. Die meisten Menschen studierten ja dann und arbeiteten nicht
im Ausbildungsberuf. Sein Vater sagte damals zu ihm: „Wenn du je
mal Asyl in einem anderen Land beantragen musst, kannste deine
Ausbildung zum DDR-Juristen vollständig vergessen. Aber als Cowboy
bist du weltweit gefragt.“ Außerdem, findet Gysi, sei das beste
Voraussetzung um in die Politik zu gehen. Denn da sei Ausmisten ganz
wichtig. „Und ich kann künstlich besamen. Wenn Sie das nicht
können, gehen Sie nicht in der Politik. Und vor allem: Ich kann mit
Hornochsen umgehen.“
Gregor Gysi konstatiert eine
tiefgehenden Verunsicherung in der Gesellschaft, die sich in
politischer Instabilität äußere
Gysi wie er leibt und lebt! Da hatte er
sein Publikum mit ein paar Anekdoten aufgelockert damit sozusagen in
der Tasche.
Die derzeitige politische Situation
nach den letzten Landtagswahlen bezeichnete Gysi als Kern einer
tiefgehenden Verunsicherung. Die sich dann auch in einer politischen
Instabilität äußere. Die Union, die SPD und auch DIE LINKE hätten
zunehmend verloren. Gysi sprach darüber hinaus von einem „weltweiten
Trumpisierungsprozess“. Es begänne der Hang der Leute „zum
sogenannten starken Mann“. Das Problem dabei, so Gysi: „Der
starke Mann achtet nicht besonders die Demokratie und man werde ihn
unter Umständen nicht wieder los. Demokratie ist ja nicht nur das
Recht zum Wählen, sondern auch das Recht zum Abwählen.“
Das alte Parteiensystem geht zu Ende
„Die Zeit der alten Volksparteien ist
vorbei. Es geht zu Ende“, stellte der Referent fest. Das
Parteiensystem wandele sich grundlegend. All das habe seine Gründe.
Spätestens seit 2005 gebe es keinen politischen Richtungsstreit mehr
zwischen verschiedenen Gesellschaftskonzepten. Habe man ein
konservatives und ein sozialdemokratisches Lager, würden
Alternativen sichtbar. Gregor Gysi erinnerte an die Zeit von
Kurt-Georg Kiesinger und Willy Brandt: „Das waren doch
Auseinandersetzungen! Sowohl in der Gesellschafts- als auch in der
Außenpolitik.“ Da sei noch mit Leidenschaft gekämpft worden.
Und die eine Hälfte der Gesellschaft
habe doch immer damit leben können, wenn die andere gesiegt habe.
Man ging ja mit seinen Rechten nicht unter.
Die Unterscheidung von Konservativen
und Sozialdemokratie wird immer schwieriger
Seit 2005 habe man nun eine Große
Koalition. Die Unterscheidung von Konservativen und Sozialdemokratie
werde immer schwieriger.
Heute müsse doch überlegt werden, was
man wolle. Sei man für Schwarze Null oder dagegen, für mehr Geld
für Rüstung oder dagegen, für Steuersenkungen für
Besserverdienende, für eine weitere Flexibilität des
Arbeitsmarktes, für weniger Mieterschutz und das Ausbleiben von
öffentlichen Investitionen oder für das Gegenteil. Zum Beispiel
pro Investitionen in Bildung und Infrastruktur, für
Steuergerechtigkeit und eine wirksame Bekämpfung der Alters- und
Kinderarmut und die Schaffung bezahlbaren Wohnraums?
Parteibindungen lösen sich auf
Über all das könne man ja
hervorragend streiten im Parlament oder auf den Straßen. Es könnte
über Alternativen diskutiert werden. Stattdessen lösten sich
Parteibindungen auf. Mit der immer tieferen sozialen Spaltung würden
die Klassengegensätze so hoch, „dass Parteien schlicht nicht mehr
in der Lage seien, die widerstreitenden Interessen in ein oder zwei
Volksparteien zu artikulieren – geschweige denn politische
Repräsentanz zu verschaffen. Langfristig gesehen hält es Gysi für
möglich, dass im Bundestag vier bis sieben Parteien mittlerer Größe
sitzen.
Glaubwürdigkeit geht verloren.
Parteien müssen Stil und Inhalt ihrer Politik ändern
Als Ding der Unmöglichkeit bezeichnete
Gysi – und nahm seine eigene Partei dabei nicht aus – wenn man in
der Politk etwa in Menschenrechtsfragen mit zweierlei Maß messe.
Dann verliere man an Glaubwürdigkeit. Gleiches gelte für
„Kungelrunden“ in den Parteien betreffs der
KandidatInnenaufstellung. Was ebenso für die Art und Weise gelte,
wie Ursula von der Leyen plötzlich zur EU-Kommissionspräsidentin
vorgeschlagen wurde. Sie sei doch im Wahlkampf für das EU-Parlament
überhaupt nicht aufgetaucht. Viele WählerInnen schrecke das ab.
Entweder sie wählten überhaupt nicht mehr oder rechtspopulistische
Parteien aus Protest. Was Deutschland betreffe, so werde die AfD mit
dergleichen immer stärker gemacht. Auch wenn man deren Konzepten
entgegenkomme, wie z. B. die CSU in Bayern, wählten die Leute dann
doch lieber das Original. Die Parteien, ist sich Gysi sicher, müssten
Stil und Inhalt ihrer Politik ändern, damit sich das Interesse die
AfD zu wählen, um ihnen einen Denkzettel zu verpassen, erledigt.
Statt schlanken Staat braucht es
eine Investitionsinitiative, stellt sich Dr. Gysi vor
Das Dogma vom schlanken Staat sei
womöglich auch von den anwesenden UnternehmerInnen begrüßt worden,
nahm Gysi einmal an. Doch nun sei der Staat zu schlank und habe sich
auch von bestimmten kulturellen und sozialen Verantwortungen
zurückgezogen.
In Wirklichkeit bräuchte es doch eine
Investitionsinitiative, stelle sich Gysi vor.
Was damit verbunden wäre, dass die
Privatwirtschaft Aufträge bekäme. Höhere Löhne, Renten und
Sozialleistungen wären ebenfalls vonnöten. Um die Kaufkraft und die
Binnenwirtschaft zu stärken. Gysi: „Das deutsche Exportmodell
stößt an seine Grenzen.“ Schließlich müssten sich die
Abnehmerländer verschulden, um unsere Waren zu erwerben. Die würfen
wir ihnen dann wiederum vor.
Gysi brachte einen Holzweg ironisch
auf den Punkt: „Wir haben zur Schwarzen Null ein sexuell-erotisches
Verhältnis“
Der Redner ironisierte: „Wir haben
zur Schwarzen Null ein sexuell-erotisches Verhältnis.“ Da käme
man mit Logik nicht dagegen an. Er erklärte: Er habe überlegt,
wann er in seinem Leben für Vernunft nicht zugänglich war: „Das
war in den wenigen sexuell-erotischen Momenten, die ich hatte.“ Da
sei der Mann eben außerhalb seiner selbst. Es müsse unbedingt
zwischen privaten Haushalten, beim ihm ergebe Sparen einen Sinn, und
Staatshaushalt unterschieden werden. Der Staat müsse nämlich, wenn
die Konjunktur lahme und die Steuereinnahmen sänken, mehr ausgeben,
um die Wirtschaft anzukurbeln.
Investitionen in die Zukunft müssten
möglich sein. Die kämen doch unseren Kindern und Enkelkindern
zugute. Gerade heute wären Darlehen, die die Bundesregierung
aufnimmt günstig – man käme doch statt Zinsen zu zahlen
zusätzlich noch Geld dafür, dass man es aufnehme!
Die Mitte bezahlt alles
Gregor Gysi skandalisierte, dass in
Deutschland die Mitte quasi alles bezahle. An die Großen trauten
sich die Regierenden nicht ran. Er würde einen neuen
Spitzensteuersatz (wie er unter Helmut Kohl noch galt) von 53
Prozent, aber nur für das, was über 100.000 Euro im Jahr verdient
würde – favorisieren. Das würde uns alle nicht ruinieren, zeigte
sich der Linkspolitiker sicher. Im Übrigen gab Gysi zu bedenken,
dass die berühmten Steuerschlupflöcher ja nicht von den Konzernen,
sondern vom Gesetzgeber geschaffen werden. Der Gesetzgeber sei
schuld. Dass die Konzerne sie freilich ausnutzten sei ja nicht
verwunderlich. Sie seien ja eben sogar den Aktionären gegenüber
dazu verpflichtet, machten sich sonst gar strafbar. Dr. Gysi dazu:
„Es gibt seitens des Gesetzgebers viel zu wenig Reparatur
diesbezüglich.“
Das Land nicht länger auf
Verschleiß fahren
Vehement mahnte Gysi an, das Land nicht
länger auf Verschleiß zu fahren. Die Bundesländer freuten sich
über höhere Einnahmen: „Aber unsere Infrastruktur: Straßen,
Brücken, Schienen, verfallen“, Schulen bröckelten vor sich hin
und LehrerInnen fehlen!
Der absolute Skandal sei: „Insgesamt
haben wir einen Investitionsrückstand laut Kreditbank für
Wiederaufbau von 126 Milliarden Euro!“ Was solle da die Schwarze
Null?!, fragte Gysi: „Wir müssen sinnvoll investieren!“
Wichtig: Überwindung der sozialen
Spaltung
Als extrem wichtige Aufgabe markierte
der Referent die Überwindung der sozialen Spaltung, die
hierzulande, in Europa und weltweit wachse.
Stabiler sozialer Frieden machte
unsere Wirtschaft zu dem was sie heute ist
Unsere Wirtschaft sei unter den
Bedingungen eines stabilen sozialen Friedens zu dem geworden was sie
heute ist. „Das war die soziale Marktwirtschaft“, rief Gregor
Gysi in Erinnerung. „Wir sollten dieses Pfunde, des sozialen
Zusammenhalts der Gesellschaft nicht leichtfertig für einen
eventuellen kurzfristigen Vorteil größeren Gewinnmargen aus der
Hand geben. Niemand weiß, was dann passiert.“
Das alte Sozialstaatsverständnis habe
geheißen Aufstieg für alle, oder zumindest für die meisten.
Ansonsten habe es Systeme zu sozialen Sicherung gegeben.
Die Löhne hätten sich an der
Produktivität orientiert.
Leiharbeit und prekäre Arbeit geißelte
Gysi hart. Und den Niedriglohnsektor, der der größte in der EU ist
ebenfalls: „Zwanzig Prozent der Beschäftigten arbeite zum
Niedriglohn!“
Gysi zum Kapitalismus: er hat 1990
nicht gesiegt, er ist nur übriggeblieben
Eines sieht der Linkenpolitiker sein
Verhältnis zum Kapitalismus und zur Wirtschaft so: „1990 hat der
Kapitalismus nicht gesiegt. Er ist nur übriggeblieben.“
Der Kapitalismus könne eine höchst
effiziente Wirtschaft, eine Top-Forschung und Wissenschaft und auch
eine Top-Kunst- und Kultur hervorbringen. Was er nicht kann, ist den
Frieden zu sichern. Es gehe immer wieder um Ressourcenzugang. Und an
Kriegen werde zu viel verdient. Wenn wir diese Strukturen nicht
überwänden, würden wir auch die Kriege nicht loswerden.
Außerdem könne der Kapitalismus keine
soziale Gerechtigkeit herstellen. Und mit der ökologischen
Nachhaltigkeit habe er Schwierigkeiten. Die Emanzipation des Menschen
könne er ebenfalls nicht herstellen.
Bei der öffentlichen
Daseinsvorsorge müssen wir „höllisch aufpassen“
Dennoch abschaffen will der
demokratische Sozialist Dr. Gregor Gysi den Kapitalismus nicht. Es
müsse aber überlegt werden was bewahrt und was schrittweise
überwunden werden muss. Bei öffentlicher Daseinsvorsorge, Energie,
Wasser, Bildung, Gesundheit, Mobilität und in puncto Wohnen müsse
man „höllisch aufpassen“. Die Daseinsvorsorge müsse entweder in
öffentlichem Eigentum stehen oder in einer öffentlichen
Verantwortung. Große Banken und Konzerne seien ihm zu mächtig. Gysi
würde sie verkleinern. Wenn das nicht gelänge, dann würde er sie
in Gemeineigentum überführen wollen.
Sich nicht dem Zug der Zeit
widersetzen
Im Anschluss an den erwartbar
kurzweilig gehaltenen Vortrag von Dr. Gregor Gysi wurden von einigen
der Anwesenden mehrere interessante Fragen – etwa betreffs der
Auswirkungen der Digitalisierung – gestellt. Gysi antwortete, die
müsse differenziert betrachtet werden. Dem Zug der Zeit jedoch dürfe
man sich nicht widersetzen: „Maschinenstürmerei bringt nichts“.
Und so Gysi: „Wir werden noch erreichen die Streichung der
Lohnnebenkosten.“ Es brauche eine Wertschöpfungsabgabe, die sie
ersetze.
Unternehmer Werner Wirsing bewundert
Gregor Gysi schon lange
Der anwesende „Genussmensch“
(Süddeutsche Zeitung) Werner Wirsing, einstiger
Selfmade-Unternehmer, outete sich als langjähriger Bewunderer von
Gregor Gysi. Er habe in den 1990er Jahren immer gehofft, eine andere
Partei würde Gysi ein Angebot machen zu ihr zu wechseln. Mit Gysi in
Regierungsverantwortung, meinte Wirsing, wäre es mit Deutschland
besser gegangen. Wirsing bot Gysi eine Wette darauf an, dass die
Lohnnebenkosten in beider Lebenszeit nicht abgeschafft werden.
Ansonsten habe ihm Gysi aus dem Herzen gesprochen. Sein Frust über
die Politik aber hätte sich beim ihm gleichzeitig auch verstärkt.
Wirsing kritisierte die heutige Politikergeneration. Er skizzierte
diese so: „Kreißsaal, Hörsaal, Plenarsaal“. Solche Politiker
könnten ohne ihren Beruf nicht mehr existieren und klebten deshalb
an ihrem Abgeordnetenmandat.
Gregor Gysi ist ein Zweckoptimist:
„Wir schaffen das schon!
Gregor Gysi ist seit seinem 23.
Lebensjahr Rechtsanwalt. Zu einem Rechtsanwalt kämen nur Leute mit
Problemen, so Gysi: „Probleme ziehen mich an.“ Und er sei bemüht
sie zu lösen. Er sei ein Zweckoptimist. Damit erklärte er, was ihn
stets motivierte so viele Probleme und Schwierigkeiten auch mit
seiner Partei aus- und durchzustehen. Gysi: „Ich muss jetzt
höllisch aufpassen, die SPD hat so viele Probleme …“ Heiterkeit
allenthalben. Ein unterhaltsamer und rhetorisch geschliffen
vorgetragener Herbstvortrag war das, der allen gefallen haben dürfte.
Gregor Gysi munterte Werner Wirsing und das gesamte Publikum zum
Schluss dazu Optimismus zu wagen: „Sie dürfen nicht so
pessimistisch sein. Wir schaffen das schon!“ Abermals Heiterkeit
und herzlicher Beifall. Dr. Gregor Gysi düste weiter nach Düsseldorf
…
Im April 2019 weilte eine Seminargruppe des B.A. (Bachelor of Arts) Studiengangs Soziale Arbeit an der FH Münster, zur Feldforschung in Plowdiw-Stolipinowo. Geleitet wurde der Aufenthalt in Bulgarien von Dr. Sebastian Kurtenbach und Mirza Demirović. Auf diese Zeit haben sie sich ein halbes Jahr intensiv vorbereitet. Geforscht wurde in drei Themengruppen zu Familie, Diskriminierung und Armut in einem der größten mehrheitlich von Roma bewohnten Stadtteil der Europäischen Union.
„Durch diesen Blog wollen wir einerseits Eindrücke unserer Feldphase und andererseits Ergebnisse unserer Forschung einer interessierten Öffentlichkeit zugänglich machen. Dazu haben wir während der Feldforschungsphase im April 2019 regelmäßig aus Plowdiw berichtet, wozu Eindrücke aus dem Feld, Reflexionen zur Forschungserfahrungen und Gedanken zu unterschiedlichen Themen gehören. Ab Herbst 2019 stehen dann auch unsere Ergebnisse zum Download zur Verfügung.“
Im Rahmen des Roma Kulturfestivals „Djelem Djelem“ wurde kürzlich in Dortmund über die vorliegende Arbeit berichtet
Vom 3. bis 13. April 2019 befanden sich 15 Studierende der FH Münster im Rahmen eines Forschungsprojekts in Plowdiw, der zweitgrößten Stadt Bulgariens. Sie erforschten unter der Leitung von Dr. Sebastian Kurtenbach und Mirza Demirović die Lebensbedingungen von Roma im Vorort Stolipinowo. Das ForscherInnenteam forschte in drei Themengruppen zu Familie, Diskriminierung und Armut. Die Ergebnisse der Feldstudien wurden vergangene Woche im Dietrich-Keuning-Haus in Dortmund im Rahmen des Roma Kulturfestivals „Djelem Djelem“ zum ersten Mal der Öffentlichkeit präsentiert. Im Anschluss bestand die Möglichkeit mit Jugendlichen aus Plowdiw ins Gespräch zu kommen, die gemeinsam mit Jugendlichen aus Dortmund ihr transnationales Radioprojekt „Radio Plovmund“ unter dem Titel „Geschichten einer Jugendbewegung“ multimedial vorstellten.
Dortmund, speziell die Dortmunder Nordstadt, steht in vielfältiger Beziehung zu Stolipinowo. Denn in dort sind neben rumänischen Bürgern auch bulgarische Bürger ansässig geworden bzw. halten sich sporadisch dort auf, um Geld zu verdienen, das sie ihren Familien in beiden Ländern schicken. Unter ihnen befinden sich auch Roma.
Mirza Demirovic. Foto (bearbeitet) Klaus Hartmann.
Mirza Demirović, der die Gruppe Diskriminierung in der Feldforschungsarbeit leitete, regte an mehr über transnationale Zusammenhänge – besonders mit den Schulen – zu sprechen. Auch hält er einen regen Austausch zwischen beiden Städten für unverzichtbar. In Sachen Teilhabe findet er, müsse ebenfalls noch mehr geschehen.
Das sei um so wichtiger, da Demirović in Plowdiw aufgefallen sei, dass Dortmunder Rechte nach dorthin vernetzt sind und auch ab und an dort auftauchen und sich mit bulgarischen Rechten treffen. Die Sozial- und Aufklärungsarbeit, regte er an, müsse unbedingt ernster genommen und dementsprechend intensiviert werden.
„In der Bewerbung plante Plovdiv noch seine bedeutende Roma-Minderheit in zahlreiche Projekte einzubinden und ein gesellschaftsschichten-übergreifendes Programm als Europäische Kulturhauptstadt 2019 anzubieten. Viel ist davon nicht realisiert worden. Kritiker und ehemalige Projektpartner sprechen gar von einer verpassten Chance.“
Diese Feststellung machte auch die Forschungsgruppe aus Deutschland vor Ort. Viele Roma, hieß es, wüssten nicht einmal, dass Plowdiw Kulturhauptstadt Europas ist, geschweige denn, dass sie Kenntnis über die im Rahmen dessen stattfindenden Veranstaltungen in der Altstadt besäßen. Stadtobere Plowdiws sagen allerdings etwas anderes. Jedoch die Realität sieht offenbar anders aus. Nach wie vor haben die Roma (wie leider überall) auch in ihre Heimat mit vielen Vorurteilen, Diskriminierung und sogar mit Gewalt gegen sie zu kämpfen. Die Roma wissen, sie sind eigentlich nur gefragt, wenn mal wieder Wahlen anstehen. Dann verspreche man ihnen das Blaue vom Himmel.
Hinweis 1: Zur erwähnten Feldstudie und den Einzelheiten des damit verbundenen Besuchs der Seminar Studiengangs Soziale Arbeit an der FH Münster lesen sie alles auf dem eigens eingerichteten Blog.
Hinweis 2: Ein Beitrag der Nordstadtblogger über den Besuch einer Delegation der Stadt Dortmund in Plowdiw finden Sie hier.
Hinweis 3: Weitere Beiträge im Zusammenhang mit Roma finden Sie hier und hier.
Die Arbeiterwohlfahrt wurde am 13. Dezember 1919 auf Initiative von Marie Juchacz gegründet. Im Jahr 2019 feiert die AWO ihr 100-jähriges Bestehen. Die AWO zählt zu den ältesten Wohlfahrtsverbänden in Deutschland. In Berlin findet am 13. Dezember 2019 der offizielle Festakt statt
Gefeiert wird aber schon jetzt. In der warmen Jahreszeit. In der Dortmunder Innenstadt steigt Ende kommender Woche – vom 30.8. bis 1.9.2019 – ein Fest für die ganze Familie mit Konzerten, kulinarischen Speisen, Kultur und Politik. Der Eintritt zu allen Programmpunkten ist frei!
Drei Tage Geburtstagsparty in Dortmund, der heimlichen „Hauptstadt der AWO“
Die Geburtstagsparty geht also in Dortmund, der heimlichen „Hauptstadt“ der AWO, über die Bühne. Drei Tage lang, vom 30. August bis zum 1. September 2019 (11 bis 23 Uhr), steht die Dortmunder City ganz im Zeichen des Wohlfahrtsverbandes.
Höhepunkt des Jubiläumsfestes: Konstantin Wecker und Band
Mit Konstantin Wecker konnte ein herausragend engagierter Künstler gewonnen werden, dessen Liedtexte mit der gesellschaftspolitischen Einstellung der AWO übereinstimmen. Sein Konzert auf dem Friedensplatz vorm dem Dortmunder Rathaus am Samstagabend wird der Höhepunkt des Jubiläumsfestes sein und Zeichen setzen.
Die AWO will sich als kompetenter und innovativer Wohlfahrtsverband präsentieren
Die Feier ist ein wesentlicher Bestandteil der bundesweiten Aktivitäten der AWO im Jubiläumsjahr 2ß19. „Wir werden uns als kompetenter und innovativer Wohlfahrtsverband präsentieren: politisch denkend und handelnd – für und gemeinsam mit den Menschen. Ein Verband für alle Generationen“, so Uwe Hildebrandt, Geschäftsführer des AWO Bezirk Westliches Westfalen. Der Bezirk ist Deutschlands größte AWO-Gliederung und hat seinen Hauptsitz in Dortmund.
Dort wird das Engagement von rund 20.000 Beschäftigen und 35.000 Mitgliedern koordiniert. Allein in Dortmund hat die AWO über 6.500 Mitglieder, die sich in 50 Ortsvereinen organisieren. Mit seinen ca. 1.500 Mitarbeitern spannt der Unterbezirk in der ganzen Stadt ein starkes Netz sozialer Angebote für Kinder, Jugendliche, Familien, Senioren und Menschen mit Behinderungen. Das AWO-Herz gestaltet und prägt das Sozialleben der Stadt
Logo: via AWO
maßgeblich.
Es steht dafür, einer breiten Öffentlichkeit transparent aufzuzeigen, wie engagiert die AWO für Gemeinschaft und soziales Allgemeinwohl steht. Mit Informationen über: die Gründungsmotivation, die Werte, die vielfältigen Bereiche und Einrichtungen, die gesellschaftspolitische Bedeutung und die Unternehmenswerte. Vor allem auch darüber, wie die AWO die vor uns liegenden gesellschaftspolitischen Aufgaben angehen will.
Das Drei-Tages-Programm im Überblick:
Tagesbühne (30. Und 31.8.: Rund um die Reinoldikirche / 11 bis 19 Uhr): Auf der Tagesbühne werden sich die verschiedensten Musikstile wie Folk, Samba, Country und Kleinkunst in loser Reihenfolge abwechseln. Kurzweilige Gesprächsrunden werden über die Einrichtungen und Dienste der AWO informieren. Der Oberbürgermeister der Stadt Dortmund wird die Gäste begrüßen.
Kinderbühne (30. Und 31.8.: Kinderfest Reinoldikirche/Kampstraße / 11 bis 18 Uhr):
Ein Kinderfest lädt kleine und große Kinder zum Spielen, Spaß haben und Entdecken ein. Musik und Mitmachaktionen stehen im Zentrum des Programms auf der Kinderbühne.
Die AWO kennenlernen (30. und 31.8.: Kleppingstraße, Platz von Netanya, Katharinenplatz etc. / 11 bis 19 Uhr): Mehr als 100 Aussteller werden sich auf dem Fest präsentieren. Neben den Einrichtungen der AWO sind Geschäftspartner, befreundete Organisationen dabei. Alle Präsentationen stehen unter dem lebendigen Motto: „Nicht nur anschauen, sondern mitmachen“.
AWO unplugged (Teilbereich Alter Markt / Am Trissel / ca. 13 bis 19 Uhr): Eine kleine Pagodenstadt dient als Info-und Aktionsbühne. Dort wird das Dortmunder Original, die Dixie-Band „Pilspickers“ an beiden Tagen aufspielen.
Abendbühne (30. Und 31.8.: Friedensplatz / jeweils von 19 bis ca. 23 Uhr): An beiden Abenden wird auf dem Friedensplatz ein Musik- und Kulturprogramm geboten. Der Freitag steht ganz im Zeichen des „Geierabends“. Die „Komm Mit Mann!s“ regen stimmungsvoll zum Feiern, Mitsingen oder Tanzen an.
Konstantin Wecker und Band setzen am Samstagabend unter dem Motto „Poesie & Widerstand“ politische Zeichen
Familien-Konzert am Sonntag mit den Bands „RADAU!“ und „RANDALE – Rockmusik für Kinder“
Ein großes Familien-Konzert mit den Bands „RADAU!“ und „RANDALE – Rockmusik für Kinder“ startet am Sonntag auf dem Friedensplatz. Mit über 300 Konzerten in ganz Deutschland zählt RADAU! Zu den bekannteste Bands für Kinder und Familien im deutschsprachigen Raum. „RANDALE“ lockt mit geradlinig gespielten Songs mit pfiffigen Texten. Ergänzt wird der Familientag durch interessante Acts, Infostände und andere spannende Spiel- und Aktionsangebote.
Kulinarik: „AWO à la Carte“
Unter dem Motto „AWO à la Carte“ steht der kulinarische Teil des Festes. Neben zahlreichen Getränkeständen werden die Köchinnen und Köche der AWO Einrichtungen ihr Können präsentieren. Fisch und Meeresfrüchte, mediterrane Köstlichkeiten, Gerichte aus aller Welt, aber auch Deftiges aus der Region werden geboten. Die AWO-Köche von MDS (integrativer Catering- und Partyservice aus Münster) präsentieren sich an allen Festplätzen. Foodtrucks werden im Bereich der Kinderbühne und auf dem Friedensplatz stationiert.
„Die AWO wird 100. Wir blicken mit Stolz zurück auf 100 Jahre Einsatz für Solidarität, Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit und Toleranz. Wir blicken aber vor allem auch nach vorne. Die AWO wird gebraucht: Damals wie Heute. Mit den Menschen und für die Menschen kämpfen wir für eine bessere Zukunft.
Und wir feiern. Kommen Sie nach Dortmund und feiern mit uns. 3 Tage lang.“
„Ein klares und deutliches Zeichen gegen Antisemitismus setzen 20 Organisationen und Verbände: sie haben eine entsprechende Grundsatzerklärung (hier der Link dorthin; C.S.) formuliert und werden sie unterzeichnen“, berichten die Nordstadtblogger aus Dortmund. Gut so. Denn:
„Der Antisemitismus war auch nach 1945 nie weg hierzulande. Und mindestens unterschwellig, noch eingenistet in von Nazi-Propaganda vernebelten Köpfen. Er hatte sich höchstens hinter Gardinen verborgen oder spitzte immer mal wieder widerlich in Form eines am Biertisch von Stammtischbrüdern zum Besten gegebenen Juden-Witzes aus rauchgeschwängerter Kneipenluft hervor.
Dazu merkte ich an: „Was jedoch seit einiger Zeit betreffs der Anwendung des Begriffs „Antisemitismus“ zu konstatieren ist, kommt einen ziemlich irre
Prof. Moshe Zuckermann. Foto: C.-D. Stille
vor. Kurzum. Es geht auf keine Kuhhaut. Moshe Zuckermann, israelischer Soziologe, als Sohn polnisch-jüdischer Holocaust-Überlebender in Israel geboren, hat da seine ganz persönlichen Erfahrungen machen müssen. Weshalb er aus innerem, stetig neu befeuerten Antrieb – gespeist aus An- und Vorwürfen gegen ihn – einfach nachgeben musste und ein neues Buch mit dem Titel „Der allgegenwärtige Antisemit oder die Angst der Deutschen vor der Vergangenheit“ geschrieben hat. Für uns LeserInnen ist das von großem Nutzen. Es lehrt uns die zugegebenermaßen alles andere als einfache Materie Seite um Seite besser zu verstehen.“
Ich schrieb weiter:
Im Vorwort (S.7) gleich Tacheles. Zuckermann schreibt: „Ein Ungeist geht um in Deutschland – es ist, als habe sich der Orwellsche Neusprech ein neues Feld für seine realhistorische Manifestation gesucht und es gefunden: im Antisemitismusdiskurs des heutigen Deutschland.“ Das ist bei weitem nicht zu dick aufgetragen, sondern bittere Tatsache, wie wir LeserInnen erfahren.
„In der Auseinandersetzung mit dem Antirassismus werden wahllos und ungebrochen Begriffe durcheinandergeworfen, Menschen perfide verleumdet und verfolgt, Juden von Nicht-Juden des Antisemitismus bezichtigt“, lesen wir auf dem Buchrücken. „Die Debattenkultur in Deutschland ist vergiftet und die Realität völlig aus dem Blickfeld des Diskurses geraten.“
Die „Arbeitsdefinition von Antisemitismus“
Grundsatzerklärungen wie die in Dortmund haben inzwischen mehrere Kommunen abgegeben. Diese Erklärungen – auch die Dortmunder – fußen auf der „Arbeitsdefinition von Antisemitismus“ der IHRA“:
„Grundlage für die Auseinandersetzung mit Antisemitismus ist die vom Deutschen Bundestag am 18. Januar 2018 beschlossene (BT Drucksache 19/444)»Arbeitsdefinition von Antisemitismus« der Internationalen Allianz für Holocaust-Gedenken (IHRA) mitsamt ihren Anhängen in der von der Bundesregierung am 27. September 2017 dargelegten Form.“
Und weiter:
„Im gemeinsamen Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen – und in Anlehnung an die IHRA-Definition – ist „Antisemitismus eine bestimmte Wahrnehmung von Juden,die sich als Hass gegen über Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Wort oder Tat gegen jüdische oder nicht-jüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum, sowie gegen jüdische Gemeinden, Institutionen oder religiöse Einrichtungen.“
So weit so gut. Aber dann kommt ein Passus, der in bestimmten Fällen problematische Auswirkungen zeitigen kann:
„Darüber hinaus kann auch der Staat Israel, der dabei als jüdisches Kollektiv verstanden wird, Ziel solcher Angriffe sein.
Die Definition umfasst alle aktuellen Erscheinungsformen des Antisemitismus als Praxis der Gewalt in Wort und Tat. So gilt es heute und in Zukunft gegen alle Formen von Antisemitismus vorzugehen – gleich ob traditionell-religiös, rassistisch, schuldabwehrend, islamistisch ‚antiimperialistisch‘ oder auf Israel bezogen.“
„Ein Ungeist geht um in Deutschland“, findet Moshe Zuckermann
Warum das problematisch Auswirkungen zeitigen kann und in der Praxis auch zeitigt, hat nicht nur Moshe Zuckermann erfahren müssen. Aus meiner Rezension: „Im Vorwort (S.7) gleich Tacheles. Zuckermann schreibt: „Ein Ungeist geht um in Deutschland – es ist, als habe sich der Orwellsche Neusprech ein neues Feld für seine realhistorische Manifestation gesucht und es gefunden: im Antisemitismusdiskurs des heutigen Deutschland.“ Das ist bei weitem nicht zu dick aufgetragen, sondern bittere Tatsache, wie wir LeserInnen erfahren.
„In der Auseinandersetzung mit dem Antirassismus werden wahllos und ungebrochen Begriffe durcheinandergeworfen, Menschen perfide verleumdet und verfolgt, Juden von Nicht-Juden des Antisemitismus bezichtigt“, lesen wir auf dem Buchrücken. „Die Debattenkultur in Deutschland ist vergiftet und die Realität völlig aus dem Blickfeld des Diskurses geraten.“
Aufgrund des etwas weiter oben von mir problematisierten Passus‘ können nämlich rasch Menschen, die den Staat Israel wegen seiner Politik kritisieren, unter Beschuss geraten. Dazu schrieb ich in der Rezension zu Zuckermanns Buch:
„Besonders perfide zu nennen ist, wenn Juden, sogar welche, die den Holocaust überlebt haben oder in der eigenen Familie Tote durch den Holocaust zu beklagen haben – nur weil sie in irgendeiner Form Kritik am israelischen Staat und dessen Tun üb(t)en, sich als „jüdische Antisemiten“ (so wurde der Dichter Erich Fried einst benannt, weil er sich gegen die Unterdrückung der Palästinenser aussprach) oder mindestens als „sich selbsthassende Juden“ bezeichnen lassen müssen. Was schlimm ist. Schlimmer noch ist, dass Kritiker Israels – so sie hierzulande eine Buchlesung vorhaben oder einen Vortrag halten wollen – immer öfters Schwierigkeiten haben eine Räumlichkeit dafür zu bekommen. Zumindest in manchen Universitäten und Sälen von Kommunen. Diese Personen werden dann auch über die Presse in die antisemitische Ecke gestellt. So manche jüdische Gemeinde, der Zentralrat der Juden in Deutschland und im Hintergrund die israelische Botschaft in Deutschland orchestriert diese Stimmung gegen missliebige, weil kritisch gegenüber Israels Politik gegenüber den Palästinensern eingestellte Menschen. Ein Weiteres tut die israelische Hasbara (Propaganda), welche – vom Staat finanziell gut dotiert – entsprechende Stimmung verbreitet.“
Moshe Zuckermann, in dessen Familie Holocaustopfer zu beklagen sind, bekam – bzw. Veranstalter – in Deutschland des Öfteren Schwierigkeiten in bestimmten Räumlichkeiten Vorträge zu halten. Dazu in meiner Rezension:
„Nicht selten im vorauseilenden Gehorsam stellen Kommunen und Unis einfach keine Räumlichkeiten für solche Veranstaltungen zur Verfügung oder
Buchcover, Buchabbildung
sie kündigen schon zugesagte Vermietungen. Manchmal gelingt es den als Antisemiten verunglimpften Referenten gerichtlich eine bereits zugesagte Raumvermietung durchzusetzen, manches Mal sind sie auch darauf angewiesen, dass private oder kirchliche Einrichtungen Räume zur Verfügung stellen. Wie bereits bemerkt: Moshe Zuckermann hat das selbst erlebt und dürfte das auch künftig wieder erleben. Auch Abraham Melzer („Die Antisemitenmacher“ (hier meine Rezension) war bzw. ist selbst damit konfrontiert. Und die Lobby der „Antisemitenmacher“ verfährt nach dem Motto: „Wer Antisemit ist, bestimme ich.“
Der wirklich reputable Journalist Andreas Zumach geriet in die Kritik
Solche Geschehnisse sind mittlerweile keine Seltenheit mehr: sie häufen sich. Das EineWeltHaus München berichtet:
„Medienrealität live fragt, was solche Tabus mit einer Gesellschaft machen, die auf Öffentlichkeit baut – auf Journalist*innen, die ungehindert Themen setzen und auf Bürger*innen, die sich aus einer Vielzahl von Quellen informieren können, damit die Gesellschaft sich über ihre Probleme klar werden und diese lösen kann. Dabei ist klar: Antisemitismus darf genau wie Rassismus keine Bühne haben. Aber was passiert, wenn der Vorwurf „Antisemit“ genutzt wird, um unbequeme Stimmen aus der Öffentlichkeit zu verbannen – Menschen, die die israelische Besatzungspolitik kritisieren oder Menschenrechtsverletzungen thematisieren?
Medienrealität live hat für die Veranstaltung einen prominenten Gast gewinnen können: Andreas Zumach ist einer der Motoren der Friedensbewegung und berichtet seit 1988 aus Genf für die taz und andere große Medien. Er war freiwilliger und hauptamtlicher Referent der Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste. 2009 bekam er den Göttinger Friedenspreis. Für das Thema des Abends besonders relevant: Andreas Zumach ist im Beirat des „Bündnisses zur Beendigung der israelischen Besatzung“.
Facebook-Veranstaltung: https://www.facebook.com/events/340204539869975/
Mehr Informationen: http://medienblog.hypotheses.org/“
Und noch einmal Andreas Zumach betreffend: Die Kontext Wochenzeitung informiert am 13.2.2019:
„Andreas Zumach ist ein exzellenter Journalist und ein Ausnahmetalent in der Erwachsenenbildung. Er arbeitet überwiegend von Genf aus, als UNO-Berichterstatter für viele Medien, und er ist seit Jahrzehnten gern gesehener Gast in Volkshochschulen und anderen Einrichtungen der Erwachsenenbildung, denn er besitzt die seltene Fähigkeit, komplexe Sachverhalte ohne Vereinfachung verständlich zu machen. Obwohl er hohe Anerkennung genießt, wurde Zumach im Dezember 2018 von der Evangelischen Erwachsenenbildung (EEB) Karlsruhe ausgeladen, für die er den Vortrag „Israels wahre und falsche Freunde“ halten sollte. Der zuständige Dekan Thomas Schalla teilte ihm mit, die Veranstaltung könne aufgrund von „Irritationen verschiedener Art“ nicht stattfinden. Solange Rosenberg von der Jüdischen Kultusgemeinde Karlsruhe hatte bei der EEB interveniert, denn Zumach sei bereits mit israelfeindlichen Äußerungen aufgefallen. Andreas Zumach intervenierte sofort seinerseits, und in der Folge willigte Solange Rosenberg ein, alle Anschuldigungen schriftlich zu widerrufen. Doch trotz schriftlicher Unterlassungserklärung blieb Dekan Schalla bei seiner Absage.
Bärbel Illi, Vorsitzende der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG), schrieb an die Landesregierung und an die Stadt Reutlingen, die Ausstellung sei Teil der Kampagne der Boykott-, Desinvestitions- und Sanktionsbewegung (BDS) und Andreas Zumach ein antiisraelisch agierender Referent. Zumach aktivierte seine Anwälte, und bereits einen Tag später unterschrieb Illi eine Widerrufs- und Unterlassungserklärung. Wir von der VHS Reutlingen zeigen die Ausstellung weiterhin, bis zum 2. März. Und wir haben keinerlei Anlass, Andreas Zumach auszuladen. Er wird am 20. März einen Vortrag halten mit dem Thema: „Die Grenzen des Sagbaren und unser aller Verantwortung für gerechten Frieden in Nahost“.“
Albrecht Müller und Jens Berger befürchten: „Kampagne gegen Antisemitismus wird vermutlich Antisemitismus stärken“
Fraglos ist es wichtig gegen Antisemitismus Flagge zu zeigen und entsprechend konsequent dagegen vorzugehen. Zum Problem werden aber solche Grundsatzerklärungen zur Bekämpfung des Antisemitismus, wenn sie dazu missbraucht werden würden, Kritiker der israelischen Politik zum Schweigen zu bringen. Albrecht Müller und Jens Berger (NachDenkSeiten) bringen das in ihrem Beitrag vom 1. März 2019 auf den Punkt. Sie befürchten „Kampagne gegen Antisemitismus wird vermutlich Antisemitismus stärken“ (Überschrift)
„Der alte und schlimme Antisemitismus nutzte geschickt die Unterstellung, Juden würden sich Vorteile dadurch verschaffen, dass sie abgesprochen und gemeinsam handeln. Die neue Kampagne der „Guten“, die die Kampagne gegen angebliche Antisemiten betreiben, befördert genau dieses Vorurteil. Man steht staunend am Wegesrand und stellt fest, was an absurder Behinderung offener Diskussion und demokratischer Willensbildung heute möglich ist“ (Fettung aus dem ursprünglichen Beitrag übernommen.)
Und Müller und Berger geben zu bedenken:
„Wer nur einen Hammer besitzt, sieht in jedem Problem einen Nagel. Und wer selbst nur über die „Waffe“ des Antisemitismusvorwurfs verfügt, der sieht nun einmal überall Antisemiten. Auffallend ist, dass längst vergessen geglaubte antisemitische Stereotype durch den angeblichen Kampf gegen den Antisemitismus heute ihre Wiedergeburt feiern. Wer käme denn sonst heutzutage ernsthaft auf die Idee, Angehörigen einer Religionsgemeinschaft eine wie auch immer geartete Kontrolle über das Finanzsystem zuzuschreiben? Derlei Unsinn sollte doch eigentlich seit mehr als zwei Generationen im Papierkorb der Geschichte verrotten. Wenn heute Kritik am Finanzkapitalismus und seinen Akteuren ohne Not und außerhalb des Kontextes unter Rückgriff auf längst verdrängte antisemitische Stereotype in eine antisemitische Ecke gedrängt werden soll, ist dies an Absurdität kaum zu übertreffen. Die Israel-Lobby hält jene antisemitischen Stereotype am Leben und nutzt sie selbst aktiv, um anderen Menschen Antisemitismus zu unterstellen. Damit erfüllt sie freilich ihrem angeblichen Ziel, den Antisemitismus zu bekämpfen, einen Bärendienst.“
Fazit
Nun setzen also auch 20 Organisationen und Verbände aus Dortmund ein „klares und deutliches Zeichen gegen Antisemitismus“. Gut? Gut gedacht ist nicht immer gut gemacht. Unter den 20 Organisationen und Verbänden aus der Stadt, die sich hinter die Grundsatzerklärung gestellt haben, befindet sich auch die Auslandsgesellschaft NRW e.V. Es wird zu beobachten sein, ob auch in Dortmund künftig Referenten, die sich kritisch mit der Politik Israels befassen, oder sich für die Rechte der Palästinenser einsetzen, Probleme haben werden, Räumlichkeiten zu bekommen. Wenn ihnen zuvor das Etikett „Antisemit“ angeklebt wird und die Veranstalter in vorauseilendem Gehorsam Räume kündigen. Bekäme denn Moshe Zuckermann – so er denn von der Auslandsgesellschaft eingeladen würde – die Möglichkeit in deren Räumen zu referieren?
Anbei gegeben:
Antisemitismus-Nichtdefinition
Über das Scheitern, den Antisemitismus zu definieren.
Ein Beitrag des Verfassungs- und Völkerrechtlers Norman Paech (Quelle: Rubikon)
Ein Blog zu Themen, die unsere Lebenskultur ausmachen. Die Liebe zur Schöpfung, Tägliche Arbeit mit Freude, Frieden, Arbeit am Energiefeld, Kunst, Meinungsfreiheit, Liebe. Wenn wir die Schöpfung lieben, dann sind die Kriege und das Gift Vergangenheit.