Andreas Zumach hielt Vortrag in Dortmund zum Thema „Krieg zwischen Israel und Hamas“

Andreas Zumach ist Experte für internationale Beziehungen und Konflikte. Von 1988 bis 2020 war er Schweiz– und UN-Korrespondent für die taz mit Sitz am europäischen Hauptsitz der Vereinten Nationen in Genf. Der Journalist arbeitet als freier Korrespondent für deutsch- und englischsprachige Print- und Rundfunkmedien.

Er hat mehrere Bücher veröffentlicht. 2009 wurde ihm für sein friedens- und menschenrechtspolitisches Engagement der Göttinger Friedenspreis verliehen.

Vergangenen Donnerstag war Andreas Zumach Gast einer Sonderveranstaltung in Dortmund, welche in der Werkhalle im Union-Gewerbehof stattfand. Der Titel seines Referats: „Der Krieg zwischen Hamas und Israel“.

Zuletzt war Andreas Zumach 2019 zu einem Vortrag in Dortmund

Zuletzt war Andreas Zumach 2019 mit seinem Vortrag „Israel, Palästina und die Grenzen des Sagbaren“ in der Dortmunder Pauluskirche zu Gast. Die Ankündigung des Vortrages hatte seinerzeit im Vorfeld unbegreifliche Kritik ausgelöst. Die Jüdische Gemeinde hatte die Veranstaltung sogar verhindern wollen. Leider kein Einzelfall in Deutschland, wenn Kritik an israelischer Politik im Spiel ist. Indes die Veranstaltung fand statt. Andreas Zumach konnte seine Sicht auf die Dinge darstellen, Missverständnisse ausräumen und auf falsche Tatsachenbehauptungen hinweisen. (Meinen damaligen Bericht können Sie hier lesen.)

Bericht zu Andreas Zumachs Referat am 14. März 2024 in Dortmund

Zumach sprach die Äußerungen von UNO-Generalsekretär António Guterres an, die er nach dem Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 getätigt hatte. Diesen Überfall, so Zumach, habe Guterres „ohne Einschränkung vollständig als Kriegsverbrechen bzw. Verbrechen gegen die Menschheit“ verurteilt und die Hamas aufgefordert sofort sämtliche israelische Geiseln freizulassen und den weiteren Raketenbeschuss auf Israel einzustellen. Dann aber habe er den verhängnisvollen Satz „Aber dieser Krieg passiert nicht in einem Vakuum, nicht im luftleeren Raum. Sondern er habe eine Vorgeschichte. Dies erinnere auch an den Ukraine-Krieg. Schließlich habe auch dieser eine Vorgeschichte. Die oft von Medien und Politik ausgeblendet werde.

Dann sei vorallem Israel heftig über Guterres hergefallen. Nie zuvor in der Geschichte der UNO sei so mit einem UN-Generalsekretär so respektlos umgegangen worden.

Ohne die Vorgeschichte, merkte Andreas Zumach an, sei eben auch der Nahostkonflikt nicht zu verstehen.

Zu dieser Vorgeschichte führte Zumach dann aus. Er ging bis 1921 zurück und führte das Publikum weiter bis zur Situation, in welcher es zur Staatsgründung Israels im Jahr 1948 und der Vertreibung der Palästinenser, Nakba (Katastrophe), wie diese es nennen, gekommen sei. Im Jahre 1947 habe die UNO-Generalversammlung den Teilungsplan beschlossen. Wonach auf dem in Frage stehendem Territorium der jüdische Staat Israel mit 56,5 Prozent und ein Staat Palästina mit 43,5 Prozent entstehen sollte. So allerdings kam es bekanntlich nicht.

An dieser Stelle möchte ich einen Hinweis einflechten: Andreas Zumachs Referat fand hybrid statt – also sowohl in Präsenz als auch via Livestream. Aus Zeitgründen konnte ich nicht persönlich vor Ort dabei sein, weshalb ich den Livestream nutzte. Leider war der Vortrag besonders anfangs akustisch äußerst schwer verständlich. Aus diesem Grund empfehle ich meine Rezension zur kürzlich im pad-Verlag erschienenen Broschüre „Israel – Vom Opfer zum Täter zum Opfer – ein Hin und Her seit 80 Jahren“ zu lesen, beziehungsweise diese Broschüre im pad-Verlag zu bestellen. Es lohnt sich sie zu lesen. In ihr wird genau auf die Historie des Nahostkonfliktes eingegangen. Allerdings gehe ich einmal davon aus, dass Andreas Zumach sich den Inhalt dieser Broschüre möglicherweise nicht zu eigen macht. Also bitte ich meine Leser, Andreas Zumach nicht für Inhalte dieser Broschüre in Verantwortung zu nehmen.

Für die USA ist es ein Einfaches auf Israels Tun Einfluss zu nehmen

In Verlaufe von Zumachs Schilderungen der Geschichte erinnerte er daran, dass es für die USA ein Einfaches wäre und immer schon war, auf Israels Tun Einfluss zu nehmen. Der seinerzeitige US-Außenminister James Baker habe, nachdem die USA Israel gegen die Raketen aus dem Irak beschützt hatte, Tel Aviv aufgefordert, mit den Palästinensern über eine Lösung des Konfliktes zu verhandeln. Premier Yitzchak Schamir habe das brüsk abgelehnt. Im Juni 1991 sei Baker dann wieder gekommen und habe gesagt, wenn Israel nicht zu Konfliktlösungen bereit sei, dann werde ein schon vom Kongress abgenickter zinsloser Kredit von 13 Milliarden US-Dollar eingefroren. Unter diesen Druck signalisierte Tel Aviv Bereitschaft mit den Palästinensern zu reden. Zumach erinnerte an diese Episode, weil sie zeige, dass eine amerikanische Regierung Druck auf Israel auszuüben vermag; dann hätten sie die Instrumente: „Das gilt heute genauso wie damals.“

Lichtblicke in Richtung Frieden

Die PLO erkannte Israel an. Das Oslo-Abkommen wurde abgeschlossen. Ein kurzer Lichtblick Richtung Frieden sei das gewesen. Während der Regierung von Yitzchak Rabin sei Oppositionsführer der heutige Premier Benjamin Netanjahu gewesen. Und der arbeitete dagegen. Plakate hinter Netanjahu auf der Bühne beiseinen Reden waren zu sehen, die Rabin in SS-Uniform mit einer Schlinge um den Hals am Galgen hängend mit der Aufschrift „Verräter“ zeigten. In dieser Stimmung wurde Rabin am 4. November 1994 von einen, wie es bis heute heiße, „Einzeltäter“ ermordet. Das Friedens- und Versöhnungslager und das Lager, was für eine Zweistaatenlösung standen waren geschwächt. Netanjahus Likud-Partei war damals und ist bis heute gegen eine Zweitstaatenlösung.

Netanjahu finanzierte die Hamas, um die Fatah zu schwächen

Netanjahu habe immer wieder dafür gesorgt, die Hamas mit Millionen von Dollar finanziell zu stärken und zu pampern, um die PLO, die säkulare Fatah, zu schwächen. Um die Zweistaatenlösung zu torpedieren.

Mit Camp-David II im Jahre 2000 sollte später das Oslo-Abkommen gerettet werden. Für den Staat Palästina seien dann nur noch 6 Prozent des Territoriums vorgesehen gewesen. Mahmud Abbas habe dem nicht zustimmen können. Ansonsten wäre er wohl physisch tot gewesen.

US-Präsident Trump erklärte  der Zweistaatenlösung eine Absage

Noch später habe US-Präsident Trump der Zweistaatenlösung eine Absage erteilt. In einem völkerrechtswidrigen Akt hatte er die US-Botschaft nach Jerusalem, die er als Hauptstadt Israels anerkannte, verlegen lassen.

Der Anschlag der Hamas am 7. Oktober 2023

Schließlich kam der Referent auf das Heute und die Frage zu sprechen warum wohl die Hamas diesen Angriff auf Israel durchgeführt hat. Zumach meinte, ihn habe das nicht überrascht und bat darum dies nicht falsch zu verstehen. Zumach: „Angesichts der zunehmenden Frustration und der immer schwierigeren humanitären Lage auch im Gaza-Streifen – schon lange vor dem siebten Oktober – und die UNO-Berichte über die Lage dort sind ja deutlich. Die sagen es gibt kein anderes Gebiet auf der Welt wo auf so engem Raum so viele Menschen unter völlig unzureichenden Lebensverhältnissen leben … plus die Repression durch die Hamas, deren Islamisierung … dass es wieder zu einer Gewalteskalation kommen würde, war nur eine Frage der Zeit.“

Andreas Zumach zur Zukunft

Die Zukunft unterteilte Zumach in kurzfristig, mittelfristig und langfristig.Kurzfristig sei erst einmal die Frage zu klären, wie die bedrohliche humanitäre Situation im Gaza-Streifen, wo bis zu 2,3 Millionen Menschen vor allem vom Verhungern und Verdursten, sowie fehlender medizinischer Versorgung bedroht sind. Zumach ist nicht erinnerlich, in seinen 35 Jahren als UNO-Korrespondent jemals eine vergleichbare Situation erlebt zu haben, in der nun alle, die etwas zu tun haben mit humanitären Programmen im UNO-Bereich so dringend warnen, jetzt etwas zu tun. Niemals zuvor seien in so kurzer Zeit in einem militärischem Konflikt so viele Zivilisten und ein so hoher Anteil von Kindern zu Tode gekommen.

Zumach war klar: Netanjahu würde sich nie auf einen Waffenstillstand einlassen

Zumach sei von Anfang an klar gewesen, dass sich Netanjahu keines Falls auf einen Waffenstillstand einlassen würde. Gewiss allein schon deshalb, weil auf ihn diverse Prozesse u.a. wegen Korruption warten, die ihn wohl hinter Gitter bringen würden.

Andreas Zumach ist nicht der einzige, der der Meinung ist, dass, möglicherweise Israel die Evakuierung des Gaza-Streifens weiter durchzieht und somit sozusagen die Nakba (Vertreibung der Palästinenser) von 1948 fortsetzt oder gar vollendet. Und Israel zynisch darauf setzt, dass die Vertriebenen nicht zurückkommen. (Ich empfehle anbei das Buch „Die ethnische Säuberung Palästinas“ von Ilan Pappe.)

Ein Protektorat, um die Menschen im Gaza-Streifen zu schützen?

Andreas Zumach und Mitstreiter empfehlen eine durch ein robustes UNO-Truppenkontigent UN-geschützte Zone (Andreas fand dafür den Begriff Protektorat) für die Menschen im Gaza-Streifen. Zumach erinnerte an Folgendes: „Die Palästinenser sind die einzige Flüchtlingspopulation in dieser Welt, die bis heute keinen Staat haben, in den sie bitteschön zurückkehren können.“

Zwar, merkte Zumach an, wächst weltweit und auch in den USA, wo Chuck Schumer, der dienstälteste der beiden US-Senatoren des Bundesstaates New York nun Israel aufforderte, baldmöglichst Wahlen abzuhalten, die Kritik am Vorgehen Israels; doch gleichzeitig würden weiter Waffen an Tel Aviv geliefert.

Eine Einstaatenlösung?

Auch eine Einstaatenlösung, ein säkularer Staat, wo alle Bewohner jeglicher Konfession mit völlig gleichen Rechten friedlich, mit dem Recht ihre jeweilige Religion auszuleben, zusammenleben könnten, hat wohl keine Chance Realität zu werden. Allerdings, so Zumach, habe in 1950er bis in die frühen 1960er Jahre gerade auch auf der palästinensischen Seite Leute, Prominente, die dieses für das richtige Modell hielten. Der bekannteste von ihnen sei der berühmte Orientalist des letzten Jahrhunderts, Eward Said ,gewesen.

Ein binationaler Staat?

Auch ein Modell eines binationalen Staates gebe es. Zwei Staaten, aber nur ein Territorium. Entwickelt an der schwedischen Lund-Universität. Der eine Staat ist für die palästinensischen Bürger zuständig, der andere für die israelischen. Nur Sicherheitsfragen nach außen die sollte man gemeinsam machen.

Außenministerien Baerbock spricht von der Zweistaatenlösung. Sie sagt aber nicht, was passieren müsste, um sie ins Werk zu setzen

Andreas Zumach gibt zu bedenken: Wenn Leute, wie etwa Frau Baerbock heute von einer Zweistaatenlösung sprächen, müssten sie auch sagen, was passieren müsste, um das umzusetzen. Da müsse gesagt werden, was mit den 700.000 jüdischen Siedlern geschehen solle, die auf palästinensischem Gebieten leben.

Dazu führte Zumach dazu aus, dass er im Mai 2009 mit Medico International und mit dem Kabarettisten Georg Schramm in Palästina und Israel gewesen sei. Abschließend sei man zusammen bei Moshe Zuckermann – damals noch Professor an der Uni in Tel Aviv – gewesen. Zumach damals zu Zuckermann: „Erklär uns doch mal wie eine Zweitstaatenlösung zustande kommt.“ Zuckermann entgegnete genervt: „Lass mich damit doch in Ruh’! Guck dir das doch an.“

Archivfoto: ©Claus Stille

Damals habe es sich um nur 330.000 Siedler gehandelt. Zumach zitierte Zuckermann: „Wenn man eine Zweistaatenlösung will, dann muss eine israelische Regierung den Siedlern sagen, ihr müsst die Koffer packen und umziehen. Und dann muss bereits Ersatzwohnraum bereitgestellt sein in Israel. Und dann werden 80 Prozent der Siedler zwar murren, aber sie werden die Koffer packen und umziehen. Und zwanzig Prozent werden zur Knarre greifen. Und dann muss eine israelische Regierung bereit sein, die Armee in das Westjordanland zu schicken. Und dann werden wir bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzungen mit hunderten von Toten auf beiden Seiten haben. Das ist der Preis, wenn man eine Zweistaatenlösung will.“

Was heißt denn Staatsräson?

Dann: Der Vorhang zu und alle Fragen offen. Noch geht das Morden Israels im Gaza-Streifen weiter – es sterben immer weiter Menschen. Über 300.00 Menschen sind tot. Wohl schon 12.000 Kinder sind um ihr Leben gebracht. Werden wir eine Lösung des Nahostkonflikts erleben? Wohl vorerst leider nicht. Aber klar: Die Hoffnung darauf stirbt zu allerletzt …

Eines immerhin sei klar, sagte Zumach noch gegen Ende, „die Illusion, die spätestens seit 1967 geherrscht hat, die Illusion, man könne diesen Zustand mit sicherheitspolitischen, militärischen und anderen unterdrückerischen Maßnahmen unter Kontrolle halten und managen und man müsse sich nicht um eine politische Lösung des Grundkonflikts kümmern – diese Illusion ist, glaube ich, innenpolitisch in Israel endgültig zerbrochen. Und warum ist sie zerbrochen? Weil Netanjahus Hauptslogan in all den 16 Jahren, in denen er in der Regierung war immer war: Ich garantiere eure Sicherheit. Das ist das zentrale Versprechen von ihm gewesen. Und dieses Versprechen ist nun durch die Taten der Hamas am 7. Oktober in einer Weise unglaubwürdig geworden – das lässt sich nicht mehr reparieren.“ Im Übrigen, informierte Zumach, würden in den jüdisch-israelischen Medien alle Fragen um den Anschlag der Hamas in einer ziemliches Offenheit und aller Schärfe diskutiert. Zumach die Zeitung Haaretz, die hier auch online auf Englisch gelesen werden kann. Des Weiteren gebe es ein ausgezeichnete Internetplattform mit dem Plus972Magazin, gemacht von jüdischen und palstinensischen Journalisten. Da würden Informationen diskutiert, die man in den meisten deutschen Medien nicht findet.

Andreas Zumach ging auch auf den Begriff Staatsräson ein, den einst Angela Merkel bei einer Rede vor der Knesset, dem israelischen Parlament, in die Welt gesetzt habe. Auch Gregor Gysi, so Zumach habe sich diesen Begriff damals zu eigen gemacht. Darauf von Zumach einmal angesprochen wusste er angeblich nichts mehr davon und konnte den Begriff auch nicht erklären. Zumach erklärte es ihm. Im Grunde komme das aus dem preußischen Obrigkeitsstaat. Und bedeute gehorchen, sozusagen: ein Basta! Erkläre man das in künftigen Jahren etwa Jugendlichen, bewirke man damit das Gegenteil des Gewünschten.

Welche Verantwortung wir haben

Zumach: Klar, wir haben Israel gegenüber eine Verantwortung, sogar ein doppelte Verantwortung: Eintreten für eine dauerhafte, gesicherte Existenz Israels. Und zweitens eine besondere dazu. Jeder Form von Judenhass (Zumach zieht diesen Begriff dem Begriff Antisemitismus vor) wo immer wir ihn begegnen müsse entschieden lautstark entgegen getreten werden. Zur Verantwortung gehöre auch zu erkennen, dass die völkerrechtswidrige und menschenrechtsfeindliche Besatzungs- und Siedlungspolitik der israelischen Regierung die größte Gefährdung für eine auf Dauer unbedrohte Existenz des Staates Israel ist. Dann haben wir als Deutsche nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht die israelischen Freunde, die Regierung zu kritisieren in ihrer Politik. Allerdings geschehe bei uns genau das Gegenteil. „Bei uns wird in einer Art und Weise jede noch so präzise Kritik an israelischer Regierungspolitik als Antisemitismus diffamiert. Auch um Auftritte zu verhindern, wie auch in Dortmund schon geschehen.“ Auch Worte wir Israelkritik solle man aus dem Wortschatz streichen, weil sie falsch seien.

Kritisch sieht Andreas Zumach den Zentralrat der Juden in Deutschland. Der Zentralrat spiele oft den Lautsprecher der israelischen Regierungspolitik. Dies sei natürlich ein Problem. Das sei eigentlich auch nicht seine Aufgabe. Er ist zuständig für die bei uns in Deutschland lebenden Juden. Er vertritt nicht einmal 50 Prozent von ihnen. Dabei gebe es bei uns auch Menschen – deutsche wie israelische Juden – die eine völlig andere Meinung vertreten als der Zentralrat der Juden. Dies sei vorellem die „Die jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost“. Das seien etwa etwa 170 hierzulande lebende deutsche und israelische Juden.

Deutschlands Verantwortung: Dazu beitragen, diesen Krieg zu beenden

Die Verantwortung Deutschlands liege jetzt darin mit beizutragen, diesen Krieg zu beenden. Und möglichst vielen Menschen im Gaza-Streifen das Leben auch ohne Verletzung zu ermöglichen. Und uns dann ehrlich für eine politische Lösung einzusetzen. Und zwar nicht nur verbal, sondern auch mit der Bereitschaft mitzumachen. Käme es zu einer Zweistaatenlösung unter dem Schutz einer Blauhelmtruppe unter amerikanischer Führung, dann hätte Andreas Zumach überhaupt keine Probleme damit, dass da auch deutsche Bundeswehrsoldaten dabei sind – wenn niemand da in der Region Bedenken hätte.

Ein interessanter Vortrag. Mit anschließenden, ebenso interessanten Fragen aus dem Publikum.

Beitragsbild: Andreas Zumach (Archivfoto: © Claus Stille)

Zum Thema Palästina passender Beitrag aus meinem Archiv.

Israels Angst vor der Bildung der Palästinenser

Das Leben in einer Welt der „Zufälle“ kann grausam und tödlich sein. Kurz nachdem der Internationale Gerichtshof (IGH) Südafrikas Klage gegen Israel wegen des Vorwurfs des Völkermords im Gazastreifen anerkannt hatte, stand „plötzlich“ das UN-Hilfswerk UNRWA unter dem Verdacht, die Hamas zu unterstützen. Beweise dafür gab es nicht und gibt es bis heute nicht.

Von Tom J. Wellbrock

Einst sang Reinhard Mey:

„Der Minister nimmt flüsternd den Bischof beim Arm:
‚Halt Du sie dumm, ich halt sie arm.'“

Was Reinhard Mey meinte, sieht man an vielen Stellen, zum Beispiel am Zustand des deutschen Bildungssystems, das zu einem Instrument verkommen ist, um statt eigenständiger Bürger willfährige Dummköpfe zu erziehen. Ähnliches soll nach dem Willen Israels künftig auch im Gazastreifen passieren. Die Attacken auf das UNRWA belegen das.

Angriff durch Bildung

Schon im Jahr 1949, als das Hilfswerk UNRWA gegründet wurde, war klar, dass die durch die Gründung Israels vertriebenen Palästinenser dringend diese Hilfe benötigen werden. Zuvor wurde bereits 1948 der Sonderfonds United Nations Relief for Palestine Refugees (UNRPR: Hilfe der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge) gegründet, ein Jahr später folgte wegen Notwendigkeit die Gründung des UNRWA. Zu dessen Kernaufgaben gehörten und gehören:

Fürsorge und Sozialdienste
Ausbildung
Medizinische Versorgung
Lagerinfrastruktur und -verbesserung
Kleinkredite
Schutz
Humanitäre Hilfe (darunter Lebensmittelversorgung)

Selbst die deutsche Wikipedia, die sich ohne Problembewusstsein auf die aktuellen Vorwürfe gegen das UNRWA gestürzt und diese – ebenso wie die meisten anderen westlichen Medien – ungeprüft übernommen hat, schreibt zu der Aufgabe von Bildung und Ausbildung unter Federführung des UNRWA:

„UNRWA betreibt eines der größten Schulsysteme im Nahen Osten. Jeden Tag erhalten ca. 500.000 Kinder ihre Schulbildung in einer der knapp 700 UNRWA-Schulen in der Region, deren Lehrplan jenem der staatlichen Schulen angeglichen wurde. In einem UNRWA-Schulgebäude sind oft zwei Schulen untergebracht, der Unterricht findet dann in zwei Schichten statt. Durch acht UNRWA-Zentren in der Region fördert UNRWA auch technische und handwerkliche Ausbildung (TVET – Technical Vocational Education and Training) für ungefähr 7200 Palästina-Flüchtlinge.

Mit der Zeit haben sich die UNRWA-Schulen einen Ruf für hohe schulische Leistungen und niedrige Abbrecherquoten bei gleichbleibender Geschlechterparität seit den 1960er-Jahren verdient. UNRWA-Schulen übertreffen öffentliche Schulen kontinuierlich um eine Spanne, die mehr als einem zusätzlichen Schuljahr entspricht, heißt es in einem Bericht der Weltbank aus dem Jahr 2014.

Nach der Hauptschule können palästinensische Kinder die Oberstufe einer öffentlichen Mittelschule besuchen und sich um ein UNRWA-Stipendium für eine Hochschule bewerben. Oder sie können versuchen, einen der etwa 5.600 Studienplätze in einer der acht Berufsschulen bzw. Lehrerbildungsanstalten des Hilfswerks zu bekommen. Viele Absolventen dieser Schulen fanden Posten in den Golfstaaten und in anderen arabischen Ländern.“

Zum palästinensischen Bildungssystem sagte Noga Arbel, eine Forscherin beim israelischen Thinktank Kohelet Policy Forum:

„Das palästinensische Bildungssystem ist die größte Sicherheitsbedrohung für Israel, UNRWA ist der Kern des Problems. Wenn wir zulassen, dass das Problem des palästinensischen Exodus weiter bestehen bleibt, wird die Bedrohung nur noch größer.“

Der Thinktank Kohelet Policy Forum (KPF) setzt sich auch vehement für die stark kritisierte israelische Justizreform ein und bezeichnet sich selbst als eine vom israelischen Staat unabhängige Denkfabrik, die sich ausschließlich über private Spenden finanziere. Über die anonymen Spender ist wenig bekannt, aber die größten Einnahmen belaufen sich auf mehrere Millionen Dollar, die über eine amerikanische gemeinnützige Organisation namens „American Friends of Kohelet Policy Forum“ gespendet wurden.

Die vermeintliche Unabhängigkeit des KPF hinderte die Denkfabrik nicht daran, an Strategiepapieren mitzuarbeiten, die die geplante israelische Justizreform aus dem Jahr 2023 beförderten. Sie setzte sich mit Themen wie der staatlichen Kontrolle bei der Ernennung von Richtern auseinander und arbeitete mit daran, richterliche Überprüfungen von Gesetzen und Regierungsentscheidungen durch die sogenannte „Überschreibungsklausel“ stark einzuschränken.

Nach Arbels Äußerungen zur angeblichen Gefahr durch palästinensische Bildung fuhr sie fort:

„Es wird unmöglich sein, den Krieg zu gewinnen, wenn wir die UNRWA nicht zerstören, und diese Zerstörung muss sofort beginnen.“

Da das UNRWA nicht nur für ausgezeichnete Bildung unter den Palästinensern sorgt, was im Falle einer Zwei-Staaten-Lösung ein Größtmaß an Autonomie sichern könnte, sondern darüber hinaus eine seit 1949 gewachsene Organisation ist, die heute mit ca. 300.000 (meist palästinensischen) Angestellten an vielen „Baustellen“ arbeitet, ist sie als Hilfswerk faktisch unverzichtbar und nicht ohne Weiteres austauschbar, wie nun in Israel und zahlreichen westlichen Ländern kolportiert wird.

Das UNRWA versorgt mittlerweile 5,7 Millionen palästinensische Flüchtlinge sowie deren Nachfahren, die neben dem Gazastreifen teils auch in Ost-Jerusalem, im Westjordanland, im Libanon, in Syrien und Jordanien leben. Als Flüchtlinge gelten nicht nur die 1948/1949 vertriebenen Palästinenser, sondern auch deren Nachfahren, weshalb sich deren Zahl von anfangs einer halben Million inzwischen auf die genannten 5,7 Millionen registrierte Flüchtlinge erhöht hat. Durch das Bildungs- und Ausbildungsprogramm des UNRWA wurden bis heute zahlreiche Fachkräfte und Lehrpersonal qualifiziert, die wichtige staatliche Aufgaben im Falle eines eigenen Staates übernehmen könnten.

Keine Zwei-Staaten-Lösung!

Nach dem 7. Oktober 2023 wurde aus dem ohnehin schon offenen Geheimnis eine Gewissheit: Israel will unter keinen Umständen einen autarken palästinensischen Staat zulassen. Zahlreiche Äußerungen israelischer Politiker – nicht zuletzt auch vom Premierminister Netanjahu – lassen daran keinen Zweifel.

Neben dem durch Israel verübten Völkermord ist der Plan erkennbar, mit fadenscheinigen Argumenten das UNRWA zu eliminieren. Das ist ein weiterer Beleg für das Vorhaben Israels, Palästina zu zerstören und vollständig einzunehmen. Fadenscheinig deshalb, weil es keinerlei Beweise für die angeblichen Verbindungen zur Hamas oder gar eigenen „terroristischen Aktivitäten“ von UNRWA-Mitarbeitern gibt. Die Meldung entstand durch die Behauptung eines „anonymen israelischen Beamten“, und der wurde nicht einmal nach Belegen für seine Aussage befragt.

Für die „gewissenhaften“ Medien in Deutschland ist all das aber noch längst kein Grund, vielleicht an solchen „Informationen“ zumindest gewisse Zweifel zu hegen und zu verbreiten. Es ist eben alles eine Frage der Bildung.

Tom J. Wellbrock ist Journalist, Sprecher, Texter, Podcaster, Moderator und Mitherausgeber des Blogs neulandrebellen.

Quelle: RT DE

Hinweis: Gastbeiträge geben immer die Meinung des jeweiligen Autors wieder, nicht meine. Ich veröffentliche sie aber gerne, um eine vielfältigeres Bild zu geben. Die Leserinnen und Leser dieses Blogs sind auch in der Lage sich selbst ein Bild zu machen.

Beitragsbild: Tim Reckmann via Pixelio.de

Anzeige gegen Kaya Yanar: Wenn rassistische Hetzer die Antisemitismuskeule schwingen

Dem Satiriker Kaya Yanar wird „antisemitische Volksverhetzung“ vorgeworfen. Wegen eines Videos, in dem er Israels Krieg im Gazastreifen kritisiert und Kriegslügen aufdeckt, wurde er angezeigt. Als Moralapostel schwingt sich auch ein Verbreiter rassistischer Kollektivschuld-Thesen auf.

Von Susan Bonath

Große moralische Floskeln über „humanitäre Werte“ zu schwingen, ist eine Spezialität deutscher Politiker. Doch wehe, jemand fordert Humanismus für die „falschen“ Menschen ein, zum Beispiel für Palästinenser. Der bekannte deutsch-türkische Satiriker Kaya Yanar wurde deshalb angezeigt, die Staatsanwaltschaft Osnabrück prüft den Vorwurf der Volksverhetzung gegen ihn. Sein „Vergehen“: Yanar kritisierte in einem Video die israelische Kriegsführung im Gazastreifen, die bereits zu Zehntausenden Toten führte.

Antisemitismuskeule

Zuerst berichtete das Schweizer Onlineportal 20 Minuten über den Fall. Ihm bestätigten die Polizei und die Staatsanwaltschaft in Osnabrück den Eingang der Strafanzeige wegen eines „Verdachts auf Volksverhetzung“. Der Tatvorwurf werde geprüft, heißt es.

Yanar wurde als Sohn türkischer Gastarbeiter in Deutschland geboren, heute lebt er mit seiner Schweizer Ehefrau in Zürich. Er startete 2001 mit der Sat.1-Satireshow „Was guckst du“ als Komiker durch und wurde bundesweit bekannt. In seinen Shows schlüpft er in verschiedene Rollen, nimmt die Eigenheiten verschiedener Gruppen aufs Korn und setzt sich so für Integration und Zusammenhalt ein.

Auch privat engagiert sich Yanar gegen Diskriminierung von Minderheiten, zum Beispiel als Pate beim Projekt „Schule ohne Rassismus“. Ihm also rassistische Ambitionen vorzuwerfen, ist, gelinde gesagt, schwer. Leichter lässt sich die Antisemitismuskeule schwingen. Die trifft ihn nun hart. Was hat er getan?

Kritik an Israels Kriegsführung

In einem Ende Januar auf YouTube veröffentlichten Video schlüpfte Yanar in die Rolle des türkischen Fahrschullehrers Yıldırım, der sein „Statement zum Nahen Osten“ abgibt. Im Westen könne man sich „nicht vorstellen, was die schrecklichen Ereignisse vom 7. Oktober und der darauffolgende Krieg im Gazastreifen für die Zivilbevölkerung in Israel und Palästina bedeuteten“, schreibt Yanar dazu keineswegs so einseitig, wie es ihm vorgeworfen wird.

Die Reaktion Israels auf den Anschlag der Hamas und anderer bewaffneter Gruppen aus dem Gazastreifen gehe weit über Selbstverteidigung hinaus. Es sei ein bekannter Fakt, so Yanar am Ende des Videos, „dass im Gazastreifen täglich unschuldige Zivilisten sterben“. Getötet worden seien bereits „tausende Kinder, tausende Frauen, hunderte medizinische Kräfte, hunderte UN-Mitarbeiter und Journalisten“. Über zwei Millionen Einwohner habe Israel zudem hin und her vertrieben, für sie gebe es keine Schutzzonen.

Als Yıldırım prangerte Yanar unter anderem die westlichen Rüstungsexporte nach Israel an. „Wie würde die IDF aussehen, ohne US-Waffen?“, fragte er rhetorisch. Keine israelischen Geiseln habe Israels hochgerüstete Selbstverteidigungsstreitkräfte (IDF) durch die Bombenteppiche über dem Gazastreifen befreien können, betonte er.

Kriegslügen und rassistische IDF-Clips

Scharf kritisierte „Yıldırım“ die westliche Propaganda. Das erste Opfer im Krieg sei die Wahrheit, zitierte er, um dann eine Reihe bereits durch Medien aufgedeckter Kriegslügen Israels vorzuführen. Dazu gehört etwa die Behauptung, die Hamas habe am 7. Oktober 40 israelische Babys enthauptet. Auch die Erzählung, die IDF hätten in einem Tunnel unter einem Krankenhaus einen „Terroristenplan“ gefunden, entpuppte sich als Lüge – tatsächlich handelte es sich um einen Kalender, auf dem Wochentage eingetragen waren.

Yanar präsentierte Auszüge aus einem inzwischen als gefälscht enttarnten Video, in dem die IDF eine als palästinensische Krankenschwester verkleidete Frau behaupten ließ, die Hamas besetze und nutze eine ganze Klinik. Zudem erklärte er eine Aussage des israelischen Staatspräsidenten Jitzchak Herzog für unglaubwürdig, wonach die IDF in einem zerbombten Kinderzimmer – ganz unversehrt! – Adolf Hitlers Buch „Mein Kampf“ gefunden hätten.

„Yıldırım“ präsentierte zudem einen Auszug aus einem der vielen von IDF-Soldaten im Internet verbreiteten Videos mit teils menschenverachtender Hetze gegen Palästinenser. Im gezeigten Beitrag feierten IDF-Soldaten die Bombardierung einer Universität im Gazastreifen, verhöhnten getötete Palästinenser und bezeichneten Tiere als „einzige unbeteiligte Zivilisten“.

Aussagen eines Arztes im Gazastreifen

Schließlich lässt „Yıldırım“ den norwegischen Arzt Mads Gilbert zu Wort kommen, der 16 Jahre lang im Al-Schifa-Krankenhaus in Gaza Stadt gearbeitet und bereits 2008 und 2009 palästinensische Opfer der israelischen Militäroperation „Gegossenes Blei“ operiert hatte. Die Behauptung der israelischen Regierung, keine unschuldigen oder zumindest möglichst wenig unbeteiligte Zivilisten in den Kampfhandlungen zu töten, sei „Teil des Propagandakrieges, einer Desinformationskampagne“, so Gilbert, und weiter:

„Ich denke, dass die Palästinsener derzeit auf dieser Welt die Einzigen sind, die beweisen müssen, dass sie getötet werden.“

Dies sei nicht neu, betonte Gilbert in der Erklärung. Er forsche seit 20 Jahren dazu und habe dieses Vorgehen immer wieder erlebt. Die Propaganda suggeriere, alles, was Palästinenser sagen, sei gelogen, während Israel und der Westen stets die Wahrheit sprächen.

Medienkampagne gegen Yanar

Kaum hatte Yanar sein Video veröffentlicht, schlug die mit viel Staatsgeld ausgestattete deutsche Israellobby zu. Die vom Zentralrat der Juden in Deutschland herausgegebene Jüdische Allgemeine warf dem Satiriker Antisemitismus vor. Nur wenige Tage zuvor, am 18. Januar, hatte dieselbe Zeitung einen menschenverachtenden Kommentar des Autors Tobias Huch (FDP) veröffentlicht, dessen Überschrift und Unterzeile lauteten:

„Die Zivilisten in Gaza sind nicht unschuldig – Wenn es so etwas wie kollektive Verantwortung für Verbrechen gibt, dann trifft diese im Falle des 7. Oktober zu.“

Huch kreierte in diesem Beitrag eine Kollektivschuld aller Palästinenser und erklärte, warum Israel die Palästinenser zu Recht in Sippenhaft nehme und kollektiv bestrafe – ein schwer zu überbietender Fall von Rassismus. Erst als die Zeitung daraufhin scharf kritisiert wurde, änderte sie zehn Tage nach der Erstveröffentlichung die Überschrift, nahm die Unterzeile und ein ganzes Stück Text heraus – viel ist nicht übrig geblieben von Huchs Beitrag.

Hetzer mimt Moralapostel

Völlig unbeeindruckt von seiner eigenen rassistischen Hetze, die sogar die Jüdische Allgemeine zensieren musste, warf Huch dem Satiriker bereits am Tag des Erscheinens von dessen Clip auf X vor, ein „ekelhaftes Video“ zu verbreiten. Dieses sei angeblich gespickt mit antisemitischen Fake News und werde von „Antisemiten, Israelhassern, Islamisten, Fake-News-Journalisten, bildungsfernen Menschen“ gefeiert.

Na klar, bei rechten Hardlinern wie Huch darf auch ein pauschaler Tritt gegen eine angeblich „bildungsferne“ Unterschicht nicht fehlen. Offenbar war Huchs Posting, dem er tags darauf ein YouTube-Video hinterherschob, der Anstoß für den Artikel in der Jüdischen Allgemeinen und die anschließende Kampagne in weiteren Medien gegen Yanar, beispielsweise in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ).

Ob Huch, der mit seinen eigenen Ergüssen eindeutig ein rassistisch minderwertiges Kollektiv kreierte, auch selbst Anzeige erstattete, ist nicht bekannt. Dazu angeregt hat er allemal.

Andichten von Kollektivschuld „fühlt sich rassistisch an“

Auf der sozialen Plattform Instagram hat sich Yanar nun auch selbst zu den Vorwürfen geäußert. Er bezeichnete den Antisemitismusvorwurf als „herbei gedichtet“ sowie „haltlos und verletzend“, und weiter:

„Wie kann man aus einer Kritik an einem militärischen Vorgehen einer Regierung schlussfolgern, dass man das Volk Israels und sogar darüber hinaus alle Menschen jüdischen Glaubens zur Verantwortung zieht? Diese Denke fühlt sich für mich rassistisch an und entspricht nicht meiner Art zu denken.“

Yanar hat recht: Es gibt viele jüdische Gemeinschaften, sogar in Israel, die das Vorgehen der IDF scharf kritisieren und laut gegen die seit 75 Jahren von Israel praktizierte Vertreibung von Palästinensern und die Besetzung ihrer Gebiete protestieren. Viele Juden sind ganz und gar nicht einverstanden mit Israels Führung.

Ganzen Bevölkerungsgruppen einheitliche politische oder religiöse Einstellungen oder aber eine Kollektivschuld an den Taten Einzelner oder Herrschender anzudichten, ist eindeutig Rassismus – egal, ob es Palästinenser, Araber, Muslimen oder eben Juden trifft.

Quelle: RT DE

Beitragsbild: Snapshot Kaya Yanar Via YouTube

Hinweis: Gastbeiträge geben immer die Meinung des jeweiligen Autors wieder, nicht meine. Ich veröffentliche sie aber gerne, um eine vielfältigeres Bild zu geben. Die Leserinnen und Leser dieses Blogs sind auch in der Lage sich selbst ein Bild zu machen.

Palästinenser als gebärwütige Dschihad-Monster: Rassistische Propaganda beim Axel-Springer-Verlag

Springers „Welt“ hat mal wieder in der braunen Tonne des deutschen Rassismus gewühlt, um den Massenmord in Gaza zu rechtfertigen. Frauen bekämen dort ihre Kinder nur für „den Kampf gegen Juden“, so die These des Autors Posener. Dies sei gar unveränderbar genetisch-kulturell bedingt,

Von Susan Bonath

Der Gazastreifen ist ein Freiluftgefängnis des Elends. Die zivile Infrastruktur ist zerbombt. Zwei Millionen Menschen hausen in Ruinen, Zelten oder im Freien, zusammengepfercht auf wenigen Quadratkilometern, inmitten von Bombenhagel und Geschützfeuer. Sie hungern, trinken schmutziges Wasser, wühlen in Trümmern nach Essbarem und Verschütteten, begraben täglich dutzende Tote. Laut WHO sind fünf Prozent der Menschen in Gaza nach vier Monaten Krieg getötet oder verstümmelt, mehr als zwei Drittel davon Kinder und Frauen. Die Welt ist Zeuge schwerster Kriegsverbrechen durch die israelische Armee IDF.

Das fortgesetzte Massaker an großteils unschuldigen Zivilisten, das trotz aller Versuche Israels, die Berichterstattung vor Ort zu unterbinden, mittels Bildern und Videoaufnahmen nach außen dringt, ist weder nach menschlichem noch völkerrechtlichem Ermessen zu rechtfertigen. Zivilisatorische Leitsätze im Völkerrecht verbieten aus gutem Grund rachsüchtige Kollektivbestrafung. Doch genau das ist es, und jeder Versuch der Verharmlosung kann nur einhergehen mit einer Riesenportion Rassismus.

Rassistische Thesen

Das deutsche Flaggschiff dieser Art der Entmenschlichung ist – mal wieder – der Axel-Springer-Verlag. Die neueste Kostprobe seiner rassistischen Fantasien vom palästinensischen „Untermenschen“ lieferte Autor Alan Posener jetzt im Springerblatt Welt. Frauen in Gaza, so seine Behauptung, würden „Kinder kriegen für den Kampf gegen die Juden“.

Man kann Poseners These wie folgt kurz zusammenfassen: Frauen in Gaza seien es gewohnt, Kinder für den Dschihad zu gebären, nicht nur um Juden zu töten, sondern um mit UN-Hilfen zu faulenzen und Europa zu „überfluten“ – und dies nicht etwa, weil es an Bildung fehle, sondern weil Palästinenser von Natur aus kulturell so veranlagt seien, ja eine Art genetisch bedingter, unabänderbarer „Tätergemeinschaft“ bildeten.

Das ist lupenreiner Rassismus, der an dunkelste Kapital auch der deutschen Geschichte erinnert. Nach Poseners Theorie, unterstützt vom Springerverlag durch ihre Publikation, ist Kollektivbestrafung der Palästinenser dann wohl erlaubt, inklusive Massenmord durch Bomben und Aushungern aller Mitglieder dieser Gruppe. Ist es das, Herr Posener, was Sie Ihrer Leserschaft damit sagen wollen? Offenbar schon.

Historische Fake News

Der Autor untermalt seine menschenverachtenden Fantasien vom „primitiven Kollektiv“ der Palästinenser als Sündenbock mit allerlei unbelegten Behauptungen und verdrehten Geschichtserzählungen. Angeblich, so Posener, rufe die Hamas Frauen in Gaza seit 17 Jahren „dazu auf, mehr Kinder zu bekommen – damit ihnen der Nachschub für die Terrortruppen nie ausgeht.“ Belege? Braucht der Autor nicht.

Dann tischt Posener seinen Lesern das Märchen vom „faulen Gazabewohner“ auf. Die Frauen dort bekämen lieber Kinder als zu arbeiten, nicht einmal 15 Prozent von ihnen hätten einen Job, mahnt er. Er vergleicht das mit Deutschland, wo 75 Prozent der Frauen erwerbstätig seien, und mit Israel, wo 60 Prozent der weiblichen Bevölkerung einer Lohnarbeit nachgingen.

Was Posener bei seinem schrägen Vergleich nicht erwähnt: Im Gazastreifen beträgt die Arbeitslosigkeit insgesamt fast 50 Prozent. Denn dort gibt es schlicht kaum Arbeit. Und daran ist Israel nicht unschuldig. Indem es vor 17 Jahren damit begann, das 360 Quadratkilometer kleine Areal abzuriegeln, mit Zäunen, Wachtürmen und Marine zu umzingeln, regelmäßig zivile Infrastruktur zu bombardieren und mit harten Sanktionen zu belegen, hat es jede wirtschaftliche Entwicklung des Streifens verhindert. Vor allem aus diesem Grund leben rund drei Viertel der Einwohner in bitterer Armut.

Unter Leugnung dieser Tatsache schießt der Autor gegen das UN-Palästinenserhilfswerk UNRWA, das er geflissentlich in Anführungsstriche setzt, als handele es sich um etwas Illegitimes. Die Palästinenser vermehrten sich, so suggeriert der Autor, um den Flüchtlingsstatus zu erben und von der UN „durchgefüttert“ zu werden – ganz so, als hätte Israel die Menschen nicht entschädigungslos enteignet und teils brutal vertrieben, als wären sie andernfalls nicht staaten- und rechtlos, als wäre Palästina kein von Israel besetztes Land. Posener leugnet schlicht historische Tatsachen, um seinem Rassismus Futter zu geben.

Pseudowissenschaften

Dann versteigt sich Posener zu einer Theorie, die in israelischen und besonders israelfreundlichen Medien auch häufiger zu lesen ist: Das Anwachsen der Bevölkerung im Gazastreifen durch Geburten (Frauen nennt er „Gebärmaschinen“) sei ein Beleg dafür, dass gar kein Genozid – wie selbst vom Internationalen Gerichtshof (IGH) aufgrund von zahlreichen Belegen, die der Ankläger Südafrika vorgelegt hatte, befürchtet wird – stattfinden könne. Wörtlich schreibt der Autor:

„Das „Flüchtlingshilfswerk“ rechtfertigt seine Existenz damit, dass es – so viel zu den ‚Genozid‘-Vorwürfen gegen Israel – eine stets wachsende Zahl sogenannter Flüchtlinge der dritten und vierten Generation versorgen muss.“

Mit anderen Worten: Weil es heute mehr Palästinenser gibt als vor 50 Jahren, kann die fortgesetzte gezielte Tötung von bisher mindestens 30.000 Menschen dieser Gruppe, darunter 70 Prozent Frauen und Kinder, ihre massenhafte Verletzung, Vertreibung und Einpferchung unter grausamen Bedingungen, inklusive bewusster Zerstörung ziviler Infrastruktur und Herbeiführens von Wasser- und Nahrungsmangel, gar kein Völkermord sein. So ein bisschen „Rasenmähen“, wie israelische Politiker ihr Vorgehen schon mal nannten, wäre demnach so legitim wie das Ausdünnen einer Wildschweinpopulation durch Jäger.

Falsche Zahlenspiele

Diesen schwer zu überbietenden Grad an Menschenverachtung untermalt Posener mit falschen Zahlen. Zunächst gibt er sich als „Feminist“: Die Emanzipation der Frau sei neben verbesserter Gesundheitsfürsorge „ein entscheidendes Mittel im Kampf gegen die Überbevölkerung“. Um sogleich seine Portion Rassismus hinzuzufügen:

„Es gibt aber eine Ausnahme von der Regel: Gaza.“

Dort sei die Geburtenrate seit 1991 zwar von 8,3 Kindern pro Frau auf etwa vier gesunken, aber immer noch eine der höchsten der Welt.

Poseners Zahlen stimmen bloß nicht, und es fehlt ihnen jeder Kontext. Nach UN-Angaben lag Palästina 2021 bei der sogenannten Fertilitätsrate, also der durchschnittlichen Anzahl der Geburten pro Frau, nämlich mit 3,5 Kindern im weltweiten Mittelfeld. Nach Angaben der US-Statistik „CIA Factbook“ waren es im Jahr darauf noch 3,23 Geburten pro Frau im Schnitt – offenbar also Tendenz fallend.

Auf der deutschen Plattform Statista ist zu lesen, dass auf jede Frau im Gazastreifen im Jahr 1997 etwa 6,2 Geburten kamen, im Jahr 2023 waren es noch knapp 3,4. Damit, und das verschweigt Posener ebenfalls geflissentlich, liegt Gaza nur marginal über der Fertilitätsrate in Israel. Dort bekommt im Schnitt jede Frau – seit Jahrzehnten anhaltend – demnach etwa drei Kinder.

Es geht dem Springer-Autor ersichtlich nicht um seine Furcht vor einer Überbevölkerung im Allgemeinen, sondern vor „Vermehrung“ einer Gruppe, die er offenbar für „kulturell minderwertig“ hält. Das sagt er freilich so explizit nicht, doch einen anderen Schluss lassen seine einseitig aufgebauschten Zahlen und der fehlende Vergleich kaum zu. Das ist ganz klassischer Rassismus.

Die braune Tonne westlicher Doppelmoral

Was die Welt-Redaktion mit der Publikation solcher Autorenbeiträge (die dem vom Springerverlag eigens publizierten Wertekanon, darunter „die Ablehnung jeder Art von Rassismus“, selbstredend widersprechen) offensichtlich bezweckt, zeigt sich in Dutzenden von Kommentaren unter dem Beitrag. Zustimmend geben Nutzer Schauergeschichten vom gemeinen „grausamen“, „primitiven“, „vermehrungswütigen“ oder „Bürgergeld abgreifenden Moslem“ zum Besten, belegt mit Betitelungen wie „Karnickel“.

Ein Nutzer unter dem Namen Matthias M. ruft gar dazu auf, „der Westen“ solle bezüglich geburtenstarker Länder des globalen Südens „auch im eigenen Interesse über Rekolonisierung nachdenken.“ All diese Menschenverachtung passt offenbar zielgenau ins politische Programm, nicht nur von Springer. Andernfalls hätte wohl das Netzwerkdurchsetzungsgesetz, zumindest erst einmal die Welt-Moderation, hier als Erstes zuschlagen müssen. Nicht jeder Hass- und Gewaltaufruf ist eben Ziel dieses Zensurapparats.

Poseners Erguss ist dabei längst nicht der einzige Griff der Welt in die tiefbraune Tonne westlicher Doppelmoral. Abgesehen von den wiederkehrenden Kampagnen aller Springer-Zeitungen gegen Arbeitslose, Flüchtlinge und andere unterprivilegierte Gruppen hat das Blatt auch kein Problem mit Nazis, jedenfalls dann, wenn sie in der Ukraine ihr Unwesen treiben.

Im April 2022 erklärte das Blatt zum Beispiel das offen faschistische Asow-Bataillion zur demokratischen Vorzeigetruppe, die zu Unrecht als Naziregiment bezeichnet werde – bebildert mit einem Foto, das Asow-Kämpfer patrouillierend mit SS-Symbolen zeigt.

Ein Schelm, wer vermutet, dass die Entnazifizierung in Deutschland so gründlich nicht gewesen sein kann?

Quelle: RT DE

Hinweis: Gastbeiträge geben immer die Meinung des jeweiligen Autors wieder, nicht meine. Ich veröffentliche sie aber gerne, um eine vielfältigeres Bild zu geben. Die Leserinnen und Leser dieses Blogs sind auch in der Lage sich selbst ein Bild zu machen.

Beitragsbild: Cover der Broschüre „… und GAZA und …“ von Rajani Kanth/ Rudolph Bauer aus dem pad-Verlag Bergkamen.

Bericht der „Internationalen Untersuchungskommission der besetzten palästinensischen Gebiete einschließlich Ost-Jerusalem und Israel“ vom 14. September 2022, UNGA A/77/328. Die NachDenkSeiten haben ihn veröffentlicht

Von Norman Paech – Der Menschenrechtsrat gibt sich wirklich Mühe. Dies ist nun der dritte Bericht, der über die Lage des Völkerrechts und der Menschenrechte in den von Israel besetzten Gebieten Palästinas in diesem Jahr vom Menschenrechtsrat vorgelegt wird. Nach den beiden Berichten der Sonderberichterstatter Michael Lynk (HRC A/HRC/49/87 v. 21. März 2022) und Francesca Albanese (UNGV A/77/356 v. 21. 9. 22) hat der Menschenrechtsrat nun den Bericht einer Internationalen Kommission am 27. Oktober vorgelegt (UNGA A/77/328 v. 14. September 2022). Den Auftrag dazu hatte er am 27. Mai 2021 erteilt, „in den besetzten palästinensischen Gebieten, einschließlich Ost-Jerusalem, und in Israel alle mutmaßlichen Verletzungen des humanitären Völkerrechts und Verstöße gegen das internationale Menschenrecht vor und nach dem 13. April 2021 zu untersuchen.“

Lesen Sie weiter auf den NachDenkSeiten.

Hinweis von Albrecht Müller, Herausgeber der NachDenkSeiten:

Nachbemerkung Albrecht Müller. Bitte beachten Sie, dass Sie einen solchen Bericht zu einem wichtigen Vorgang vermutlich in keinem anderen deutschen Medium lesen. Das nennt man Pressefreiheit. Das nennt man Demokratie. Von allem ein Schatten! Propaganda und Realität klaffen weit auseinander.“

Beitragsbild: Claus Stille; Archiv 2016

„Israel-Palästina-Karikaturen: Israels Besatzung Palästinas aus Sicht eines Karikaturisten“. Rezension

Wir alle kennen den stetig schwelenden Konflikt zwischen Palästinensern und dem Staat Israel. Immer wieder flammt Gewalt auf. Geht die Gewalt von den Palästinensern – etwa vom in Form von abgefeuerten primitiven, selbstgebauten Raketen, vom Gazastreifen aus – wird die vom israelischen Militär mit unverhältnismäßiger Wucht beantwortet. Die Palästinenser wollen einen eigenen Staat. Doch die Chance, dass es dazu kommt, wird von Jahr zu Jahr geringer: eine Zweistaatenlösung rückt in immer weitere Ferne. Sie ist im Grunde tot.

Derweil schaffte und schafft Israel weiter Tatsachen: das den Palästinensern verbliebene Land ist in viele kleine Teile – ja: zu einem Flickenteppich gemacht worden – zerstückelt. Eine auf palästinensischen Gebiet errichtete Mauer wurde errichtet. Aber auch eine Einstaatenlösung dürfte es nicht geben. Davor hat Israel Angst. Schließlich ist die Geburtenrate der Palästinenser wesentlich höher als die der jüdischen Israelis. Eine Lösung dieses Kernkonflikts im Nahen Osten – so dringend nötig und wünschenswert sie auch wäre – ist nicht in Sicht. Wir wissen auch, dass das Leid der Palästinenser eng mit der Ansiedlung und Gründung des Staates Israel zusammenhängt. Und wir Deutsche wissen auch, dass der von den Nazis verübte Holocaust an den Juden nicht zuletzt, dazu führte, dass es zur 1948 Gründung Israels kam. Was uns Deutsche eine besondere Verantwortung dem Staate Israel gegenüber auferlegt.

Wenn Israel seine Staatsgründung feiert, gedenken die Palästinenser der Nakba, zu Deutsch Katastrophe, oder der Vertreibung und Flucht aus ihrer Heimat, „dem früheren britischen Mandatsgebiet Palästina, welches zu einem Teil am 14. Mai 1948 als Staat Israel seine Unabhängigkeit erlangte“ (Wikipedia).

Wir wissen also, dass den Palästinensern Leid und Unrecht angetan wurde und weiter wird. Schon über ein halbes Jahrhundert lang währt die Knechtung und entwürdigende bis brutale Behandlung der Palästinenser seitens Israel.

Doch alles ist noch viel schlimmer (gewesen) wie es uns vermittelt worden ist.

Vor zehn Jahren kam es zur Erstveröffentlichung von Ilan Pappes Buch „Die ethnische Säuberung Palästinas“ in fünfzehn Sprachen. Es erschien auch auf Deutsch (hier meine Besprechung). Doch die wenigsten von uns werden das Buch wohl gelesen, noch Kenntnis von dessen Existenz gehabt haben. Die Medien in Deutschland dürften – aus naheliegenden Gründen – wenig Interesse daran gehabt haben, das Buch allzu bekannt zu machen. Nun hat es dankenswerterweise der Westend Verlag übernommen das m.E. über die Maßen wichtige Buch als Neuerscheinung herauszubringen.

Ilan Pappe ist der Sohn von deutschen Juden, die als Folge der Machtergreifung Adolf Hitlers nach Palästina gekommen waren.

„Ihre Lebensgeschichte“ schreibt er im Vorwort zur aktuellen deutschen Ausgabe seines Buches, seine Eltern betreffend, „und das, was mit ihren Familienangehörigen geschah, ist einer der Hauptgründe für die tiefgehende Verpflichtung, die ich empfinde, die Geschichte der Nakba auch deutschen Lesern zu vermitteln.“

Und weiter „Aber auch jenseits meiner persönlichen Geschichte fühle ich, dass die Geschichte der Nakba auf Deutsch eine besondere Bedeutung hat. Wie schon der palästinensische Intellektuelle Edward Said sagte, sind die Palästinenser ‚die Opfer der Opfer‘. Deshalb gibt es eine besondere deutsche Verantwortung für das, was die zionistische Bewegung und später der Staat Israel den Palästinensern angetan haben.“

Es sei seine Absicht gewesen, so Pappe, „zu verdeutlichen, dass die ethnischen Säuberungen von 1948 und vergleichbare israelische Aktionen bis heute das Ergebnis der siedlerkolonialistischen Ideologie ist, die in der indigenen Bevölkerung keine gleichwertigen Menschen sieht“ (S.7). Und: „Die Dehumanisierung der Palästinenser ist ein wichtiger Bestandteil der zionistischen Ideologie (Nicht von Anfang an, sondern erst ab dem Augenblick, an dem die zionistischen Führer Anfang des Zwanzigsten Jahrhunderts beschlossen, dass der einzige Weg sich des europäischen Antisemitismus zu erwehren, die Kolonisation Palästinas sei). Der einzige Weg, die Kolonialisierung zu vollenden, so wie es in Nordamerika geschah, in Australien und Süd-Afrika, war, sich der ursprünglichen Bevölkerung zu entledigen.“

Die Besatzung Palästinas aus Sicht eines Karikaturisten

Carlos Latuff kommt das Verdienst zu, Israels Besatzung Palästinas aus Sicht eines Karikaturisten eindrücklich dazustellen. Latuff, geboren 1968 in Rio de Janeiro, ist ein brasilianischer Cartoonist und Karikaturist. Er bezeichnet sich als künstlerischen Aktivisten. Seine Bilder versteht er als »antikapitalistisch, antiimperialistisch« und als Unterstützung der Menschenrechte. Seine politischen Karikaturen thematisieren häufig den Nahostkonflikt mit antizionistischer Ausrichtung. Natürlich warf man ihm vor, wie allen, welche Zionismus und die Unterdrückung der Palästinenser mit scharfen Worten und in seinem Fall Zeichnungen kritisieren, Antisemit zu sein. Viele seiner Karikaturen, weiß etwa Wikipedia zu vermelden, seien als antisemitisch kritisiert worden.

Dankenswerterweise sind nun etliche seiner Karikaturen in einem Buch bei Politikchronist e.V. erschienen.

Dazu heißt es bei Politikchronist: „Dieses Buch enthält Karikaturen, welche Politikereignisse zwischen Juli 2019 und Oktober 2021 kommentieren. An die wir uns als Leser sofort erinnern, wenn sie im Buch vor unseren Augen aufscheinen.

Jochen Mitschka und Andrea Drescher kommentieren die Karikaturen und erklären für deutschsprachige Leser die Zusammenhänge. Andere Autoren werden von ihnen zitiert.

Evelyn Hecht-Galinski hat ein bedenkenswertes Vorwort zum Buch geschrieben

Apartheid in Bildern. Dieses gemeinnützige Projekt, das hinter diesem Buch steht, ist so unterstützenswert, gerade in der heutigen Zeit, in der Palästina immer mehr als nicht existent in der Versenkung der zionistischen Vorherrschaft verschwinden soll. Wie wir wissen, ist es ja mit Karikaturen so eine Sache. So mancher deutsche Karikaturist scheiterte, wenn es um Israel ging. Ich denke hierbei speziell an Dieter Hanitzsch, der es wagte, eine mehr als treffende Karikatur über den ehemaligen Regierungschef von Israel, Benjamin Netanjahu für »seine« Zeitung, die Süddeutsche, zu machen. Kaum war sie erschienen, kam der Shitstorm der Israel-Lobbyisten und schrie: »Haltet den Antisemiten!« Die Süddeutsche fühlte sich sofort bemüßigt im vorauseilenden Gehorsam zu reagieren und der langjährige Karikaturist Hanitzsch war seinen Posten los. So schnell kann es gehen in der deutschen Medienlandschaft. In Deutschland ist Israel und Palästina ein Tabuthema.

Ganz anders, wenn es um Carlos Latuff und seine Karikaturen geht. Mein lieber, leider viel zu früh verstorbener Freund, Peter Kleinert, brachte mich schon 2012 zu Carlos Latuff und seinen Bildern.

Er wies mich darauf hin, wie gut diese Karikaturen mit meinen Palästina-Kommentaren »harmonieren« würden, sich ergänzen und die gleichen Ziele im Blick hätten, nämlich die Menschen aufzurütteln für den Kampf Palästinas für Selbstbestimmung und Befreiung.

Latuff versteht es meisterhaft, mit seinen provokanten Bildern genau den »Pinsel« in die Wunde der Besatzung zu legen. Alle Versuche seine Bilder als antisemitisch darzustellen können nur kläglich scheitern, angesichts der noch viel grausameren Wirklichkeit im »jüdischen Staat«. Schließlich ist es der »jüdische Staat«, der ganz bewusst »heilige, religiöse Symbole« verwendet, wie die Menora oder den Davidstern, und das blutige Symbol der Unterdrückung auf seine Tötungsmaschinen F-16-Jets malt.

Wer also sind hier die Antisemiten? Sind es nicht gerade die, die diese Symbole instrumentalisieren, um kritiklos ihre schrecklichen Verbrechen im Schatten der jüdischen Symbole ungestört ausüben zu können? Die Stärke von Latuff besteht in der Fähigkeit, die Leiden des palästinensischen Volkes vor der Weltöffentlichkeit anzuprangern und die Doppelmoral des »Werte-Westens« bloßzustellen. Schonungslos hinterfragt Latuff, wieso die Beleidiger von Muslimen in Karikaturen, die den Propheten Mohammed als Bombenleger darstellen, sich auf »Meinungsfreiheit« berufen können und sogar noch beklatscht werden, während Zeichnungen über den Holocaust, als »Hass gegen Juden« und antisemitisch diffamiert werden? Es gibt keinen anderen Zeichner, der es so brillant versteht, die Leiden des palästinensischen Volkes so authentisch darzustellen und das Schicksal der Palästinenser zu Recht mit dem der Juden zu vergleichen. Wohl bemerkt, er vergleicht und setzt nicht gleich. Aber gibt es ein anderes Schicksal, das so tief verbunden ist wie das zwischen Palästinensern und Juden im Holocaust und im »jüdischen Staat«? Sind nicht die Palästinenser die letzten Opfer? Kann man die Nakba und den Holocaust nicht vergleichen? Warum darf man die »Einmaligkeit« des Holocaust nicht hinterfragen und angesichts der vielen Genozide auch den in Gaza, begangenen von jüdischen Israelis, in eine Reihe stellen?

Es ist an der Zeit sich offen dem Thema der bekannten, aber unredlichen Taktik der Vermischung von Antizionismus und Antisemitismus zu stellen und diese als Hasbara (Propaganda) zu entlarven. Latuff schuf unvergessliche Leitmotiv-Poster für die Israel-Apartheid Week, aber auch die der Militäreinsätze im Irak und Afghanistan – kein politisches Thema ist vor ihm sicher und ihm fremd. Es gibt viel Karikaturisten, aber es gibt nur einen Carlos Latuff, der es wagt, die Apartheid in Bildern darzustellen und der sich nicht beirren lässt von Anfeindungen auf seinem Weg in der Darstellung der politischen Verbrechen. Dieses Buch ist ein Gewinn für uns, ebenso wie Carlos Latuff und seine einmaligen und treffenden Karikaturen.

Zu Evelyn Hecht-Galinski:

Sie ist Tochter des 1992 verstorbenen Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, Heinz Galinski. (Quelle: Wikipedia) Sie ist u.a. auch publizistisch tätig.

Selbstverteidigung“

Gleich die erste Karikatur im Buch – überschrieben mit „Selbstverteidigung“ – spart nicht an Deutlichkeit. Ein israelischer Militär geht den U.S. – Kongress an, klappt die Kuppel hoch und ruft „We need Iron Dome for self-defense!“. Und im Hintergrund sehen wir eine verzweifelt, wütende „Mutter“ Palästina (sie taucht immer wieder auf den Karikaturen auf), die schreit: „What about an Iron Dome for us?!!“

Darunter der Kommentar:

„Im September 2021 verabschiedete der US-Kongress ein Gesetz, welches weitere Millionen Dollar für den Ausbau der Raketenabwehr Israels bewilligt. Das Bild will die Ungerechtigkeit darstellen, welche dadurch zum Ausdruck kommt. Nun muss man wissen, dass Israel sich »verteidigt« gegen einen von den UN ausdrücklich legitimierten Aufstand gegen eine militärische Besatzung nach einem Angriffskrieg. Die Generalversammlung der Vereinten Nationen hat ausdrücklich das Recht von Menschen, die unter einer Kolonialmacht leiden, (und dabei insbesondere Palästina) genannt, sich mit »allen verfügbaren Mitteln, insbesondere dem bewaffneten Widerstand«, zu widersetzen. 1974 ging die Generalversammlung sogar so weit zu erklären, sie »verurteile aufs Schärfste alle Regierungen, die das Recht auf Selbstbestimmung und Unabhängigkeit von Völkern, die unter kolonialer und ausländischer Herrschaft und Unterwerfung stehen, nicht anerkennen, insbesondere die Völker Afrikas und das palästinensische Volk.«

Insofern, so die Intention der Karikatur, unterstützen die USA den hochger üsteten Atomstaat Israel, sich gegen einen legitimen Aufstand zu schützen, nicht aber die Palästinenser vor den Bomben und Raketen Israels.“

Die folgende Karikatur geht richtig an die Nieren. Hier der Kommentar dazu:

„Die allermeisten Opfer der israelischen Bombardierung Gazas sind Zivilisten, viele davon Kinder, weshalb Latuff von israelischem Terrorismus spricht, während das US-Außenministerium erklärt: »Israel hat das Recht auf Selbstverteidigung.« Das Bild zeigt die weinende »Mutter« Palästina mit 9 toten Kindern, welche gerade von einem israelischen Luftangriff getötet wurden, während die Welt erschrocken zuschaut und Onkel Sam mit einem Anhänger »US-Außenministerium« lakonisch der Welt erklärt: »Israel hat das Recht auf Selbstverteidigung.«

»Wenn es eine Hölle auf Erden gibt, dann ist es das Leben der Kinder in Gaza.« – António Guterres,

UN-Generalsekretär Ein Artikel vom 27. August 2021 erklärt, dass am 26. August 2014 einer der Kriege Israels gegen den Gazastreifen endete. Israel nannte ihn »Operation Protective Edge« und zerstörte im Laufe der Bombardierung von 50 Tagen die Infrastruktur des Gazastreifens, tötete über 2.100 Palästinenser. Die Autorin Justina Poskeviciute wies darauf hin, dass über 520 Getötete, also fast ein Viertel aller Getöteter Palästinenser, Kinder unter 18 Jahren waren. Sie erwähnte dann auch die Geschichte von vier Kindern, die vor den Augen internationaler Medienvertreter bei einem Luftangriff gezielt getötet wurden. Die Angreifer behaupteten, dass sie die Kinder für Hamaskämpfer gehalten hatte, und wurden nie bestraft. Dass besonders Kinder von solchen Kriegen betroffen sind, sei nicht überraschend, denn in Palästina seien 38,4 % der Bevölkerung Kinder im Alter von 14 Jahren und darunter, in Gaza seien es sogar über 40 %.

Deshalb, so die Autorin, sei jeder Angriff auch ein Angriff auf Kinder. Einiges deutet aber darauf hin, dass die Tötungen von Kindern keine Zufälle sind. Die Organisation Defense for Children International Palestine dokumentierte Fälle, welche sie der UNO vorlegte, Fälle, die nach deren Aussage darauf hindeuten, dass die israelischen Streitkräfte direkt auf Kinder zielen. Sieben Jahre nach »Protective Edge« leben sowohl der Gazastreifen als auch und besonders die Kinder unter Bedingungen, die sich noch einmal dramatisch verschlimmert haben.

Und insbesondere halte das Trauma, das durch die israelischen Angriffe und die totale Belagerung verursacht werde, weiter an. Die anhaltende Zerstörung, das fehlende Reparieren der Gebäude und Infrastruktur verursachen eine Verlängerung des Traumas. Die Autorin berichtete, dass einem 13-jährigen Jungen aus dem Streifen von einem israelischen Scharfschützen in den Kopf geschossen worden war und er sich in einem kritischen Zustand befand. Es war jedoch nur einer von Dutzenden verwundeten Demonstranten, die sich am 21. August 2021 an der israelischen Grenze zum Gazastreifen versammelt hatten.

Hunderte von demonstrierenden Palästinensern hätten sich auf der Seite des Gazastreifens am Grenzzaun versammelt, um gegen die Verwüstungen zu protestieren, die Israels 15-jährige Belagerung in der Region angerichtet hat. Bisher, so der Artikel, habe Israel mit scharfer Munition, Tränengas und Bomben reagiert. Wenn es einen Ort gäbe, an dem eine Besatzungsmacht gelegentlich Bomben auf eine belagerte Bevölkerung abwirft, um auf »Brand-Lufballons« zu reagieren, dann sei das Gaza. Es sei nicht das erste Mal, dass sich Demonstrationen am Grenzzaun ereignen.

Von März 2018 bis Dezember 2019 gab es wöchentliche Demonstrationen, genannt »Großer Marsch der Rückkehr«, bei der die Forderung von vertriebenen Palästinensern kommuniziert wurden, zurück in ihre Heimat ziehen zu dürfen. Wie der Bericht des UN-Büros für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) aussage, habe Israel mit Abwurf von Gaskanistern, Gummigeschossen und scharfer Munition geantwortet. Die Schüsse wären meist von Scharfschützen abgegeben worden. Dabei seien 214 Palästinenser, davon 46 Kinder getötet und über 36.100 verletzt worden, darunter wiederum 8.800 Kinder. Nicht in dem Artikel steht, dass ein Großteil der Verwundung mit einer Munition erfolgte, welche Extremitäten zersplittern ließ und schwer heilbare Wunden verursachte, die zu einer dauerhaften Behinderung führen. Weiter im Artikel heißt es, dass psychische Probleme bei 22.578 Kindern auftraten, welche nun zusätzlich zu den 248.111 Kindern in Gaza psychosoziale Kinderschutzmaßnahmen benötigen. 53,5 % der Kinder seien an PTBS erkrankt, aber diese Zahle stammen aus der Bombardierung vom Mai 2021.“

Auf eine weitere aussagekräftige Karikatur sei unbedingt noch hingewiesen:

„Mit dieser Karikatur weist Carlos Latuff darauf hin, wie die Demonstrationen und der Aufstand der Menschen in der Westbank, cover-vorneGaza und Jerusalem gegen die ethnischen Säuberungen der überwältigenden Militärmacht mit dem Namensschild Apartheid Israel einen Schlag versetzte. Drei Fäuste in den Farben Palästinas aus der Flagge Palästinas in der Form des Landes schlagen einen schwer bewaffneten Soldaten mit der Aufschrift Apartheid mit den Fäusten. Der Aufstand der Palästinenser gegen die Besatzungsmacht gilt als Terrorismus. Also waren die Mitglieder der französischen Resistance Terroristen, da sie sich gegen die deutsche Besatzungsmacht wehrten? Eine Frage, die man in Deutschland besser nicht stellt?“

Lesen Sie unbedingt die Bemerkung des Herausgebers:

In diesem Buch erscheinen Karikaturen, welche jüdische Siedler immer mit Sturmgewehr und als Aggressoren gegen Palästinenser darstellen. Tatsächlich gab es auch Siedlungen, in denen Palästinenser gleichberechtigt neben jüdischen Menschen lebten und arbeiteten. Diese zeigten die Koexistenz von Juden und Arabern in einer beispielhaften Weise vor.

Leider gingen sie aber weitgehend unter der Politik der israelischen Regierungen zugrunde. Sie bewiesen aber für zukünftige Generationen, dass ein Zusammenleben möglich ist. Die Siedler wären nie nach Israel gekommen, gäbe es nicht eine übereinstimmende Gutheißung des westlichen Establishments zu der Kolonialisierung Palästinas. Wenn diese Kreise nun langsam ihre Einstellung unter dem Druck der Straße ändern, dürfen nicht die verführten Siedler diejenigen sein, die nun als neue Vertriebene entstehen.

Israel und Palästina haben Platz genug, und die ehemaligen Unterstützer dieses neokolonialen Projektes ausreichend Mittel, um sowohl diese, als auch die zurückkehrenden Palästinenser so auszustatten, dass beide Gruppen ein würdiges Leben führen können. Es würde vermutlich schon ausreichen, die Milliarden für Rüstung nicht mehr für die Bombardierung, sondern den Aufbau zu nutzen.

In der Geschichte Palästinas gab es über Jahrhunderte eine gute Nachbarschaft zwischen den Religionen und Ethnien. Diese wurde aber zerstört durch die Unterstützung der westlichen Welt für Einwanderer, welche keine Beziehungen zu der Tradition und dem Leben der Region hatten und teilweise erst den jüdischen Glauben annahmen, um die Voraussetzung für das Siedlungsleben zu erlangen. Auch wenn Jahrzehnte der Dämonisierung und der Erzeugung von Hass einen tiefen Graben zwischen jüdisches und palästinensisches Leben getrieben haben, ist dies lediglich der Politik geschuldet. Nicht dem Willen der Menschen. Sollte Israel seine Apartheid-Politik beenden, wird die Versöhnung schneller vonstattengehen als man sich das nun vorstellen kann.

Zu den kommentierenden Autoren

Jochen Mitschka

Jahrgang 1952, bezeichnet sich manchmal als Teil der letzten Generation, die noch mit den Menschen sprach, welche den Krieg und den Weg zum Krieg erlebt hatten. Er erklärte, wie schmerzvoll die Erkenntnis war, dass Geschichtsschreibung, Politik und Medien, denen man vertraute, einen belogen. Wie schwierig es war, sich selbst einzugestehen, dass man in einer Lüge lebte. Heute versteht er sich als Chronist, der zukünftige Generationen warnen will. Jochen war in seinem ersten Leben selbstständiger Unternehmensberater mit Schwerpunkt Südostasien und arbeitete von 2009 bis zu seinem Ruhestand im Jahr 2017 als Projektleiter und -Koordinator in einem führenden Softwareunternehmen. Seitdem schreibt er Artikel und Bücher zu politischen Themen und ist erster Vorsitzender des Vereins »Der Politikchronist e.V.«.

Andrea Drescher

Jahrgang 1961, lebt seit Jahren in Oberösterreich. Sie ist Unternehmensberaterin, Informatikerin, Selbstversorgerin, Friedensaktivistin und freie Journalistin in alternativen Medienprojekten sowie seit ihrer Jugend überzeugte Antifaschistin. Andrea war in ihrer Jugend Zionistin, da ihre Familie mütterlicherseits in Bergen-Belsen gelitten hatte, was sie politisch stark geprägt hat. Sie gehört aber inzwischen zu jenen Menschen mit jüdischen Wurzeln, die den Staat Israel scharf kritisieren. Sie glaubt, dass nicht Religion und Staatsangehörigkeit, sondern alleine das Verhalten gegenüber Mitmenschen uns verbindet oder trennt.

Unbedingte Empfehlung für dieses wichtige Buch mit den mitten ins Herz treffenden Karikaturen von Carlos Latuff

Liebe Leserinnen und Leser, bevor sie das Buch erwerben – was ihn unbedingt empfehle – schauen sich doch einige von Carlos Latuff berührenden und daher aufrüttelnden Karikaturen hier an. Machen Sie sich selbst ein Bild. Kann man wirklich darauf kommen, Latuffs Karikaturen antisemitisch zu nennen? Sie sind es mitnichten. Latuff beweist ein Herz für die Leiden des palästinensischen Volkes.

Mit seinen treffenden Karikaturen ergreift Carlos Latuff für ein beraubtes, malträtiertes Volk Partei. Er leidet im Grunde mit ihm und will es nicht bei diesem Leid allein belassen. Und er zeigt mit seinen Karikaturen überall auf der Welt wo sie zu sehen sind, worauf den Palästinensern ankommt. Überdeutlich wird mit ihnen angezeigt, was ihnen seit den vielen nach der Nakba verflossenen Jahrzehnten geschehen ist und weiter geschieht. Das können sie tausend Mal besser als es jeder lange Text in diesem oder jenem Buch tun kann. Ein Blick auf Latuffs Karikaturen genügt und man begreift. Das ist glasklare Information, das geht zu Herzen, das beunruhigt und lässt Empörung wachsen. Weil gesagt wird, was ist.

Gewiss tun diese mit spitzer Feder gezeichneten Karikaturen auch weh. Aber, dass sollen sie eben auch. Nicht umsonst sieht sich Carlos Latuff auch als Aktivist.

Das empfehlenswerte Buch könnte einen Platz auf dem Gabentisch an Weihnachten finden. Leider steht zu befürchten, dass das Buch nicht groß oder sogar gar nicht von wichtigen Medien besprochen wird. Sie können sich denken warum.

Aber ich will wenigstens darauf aufmerksam gemacht haben. Sagen Sie es weiter, machen Sie auf das Buch aufmerksam.

Danksagung

Wir danken den vielen Helfern, die das Buch möglich gemacht haben, aber natürlich in erster Linie Carlos Latuff, der auf Honorare verzichtet. Leider konnten wir von der Seite Mondoweiss keine Lizenz zur vollständigen Wiedergabe von Artikeln erhalten, da die meisten Artikeln mit individuellen, unterschiedlichen Lizenzvereinbarungen mit den Autoren belegt sind. Wir hätten gerne die kompletten Artikel veröffentlicht, weil wir lieber eine authentische Berichterstattung liefern, die nicht durch Interpretationen der Buchautoren verändert wurden, müssen aber daher auf die übliche verkürzte und interpretierte Version zurückgreifen. Der Leser sollte daher möglichst nicht nur wegen der Bilder und weiterführenden Links die angegebene Artikelseite besuchen. Aber natürlich danken wir auch den Käufern bzw. genauer gesagt Spendern, die es ermöglichen, dass wir Erlöse aus dem Verkauf dieses E-Books an eine Organisation spenden können, die sich mit dem Schicksal palästinensischer Waisen beschäftigt.

Quelle: Politikchronist e.V.

Israel-Palästina-Karikaturen: Israels Besatzung Palästinas aus Sicht eines Karikaturisten (Weltpolitik) Taschenbuch – 9. November 2021

Via Politchronist e.V.

von Carlos Latuff (Autor), Jochen Mitschka (Autor), Andrea Drescher (Autor), Evelyn Hecht-Galinski (Autor)

Hardcover 9,99

Paperback 29,90

E-Book 9,99 Euro

Via Amazon

Sprache ‏ : ‎ Deutsch

  • Gebundene Ausgabe ‏ : ‎ 226 Seiten

  • ISBN-10 ‏ : ‎ 398586019X

  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3985860197

  • Abmessungen ‏ : ‎ 15.24 x 1.83 x 22.86 cm





Quelle: https://latuffcartoons.wordpress.com/

Dr. Shir Hever referierte bei Attac: „Hamas siegt, aber Tausende verlieren – Der Nahe Osten nach dem Waffenstillstand“

Inzwischen gibt es im Nahen Osten einen Waffenstillstand. Tote, Verletzte auf beiden Seiten – der palästinensischen und der israelischen – sowie schlimme Verwüstungen der Infrastruktur und viele zerstörte Wohnquartiere in Gaza bleiben zurück. Der immer wieder aufflammende und in nahezu regelmäßigen Abständen in Gewalt umschlagende Nahost-Konflikt ruht wieder. Aus den Nachrichten ist er ebenso wieder verschwunden.

Die Attac-Gruppe Dortmund hatte für den 31.Mai 2021 zu einer Sonderveranstaltung eingeladen. Unter den Corona-Bedingungen finden die Attac-Veranstaltungen online statt. So auch die gestrige.

Als Referent eingeladen war Dr. Shir Hever. Er ist Geschäftsführer des „BIP – Bündnis für Gerechtigkeit zwischen Israelis und Palästinensern“ und Vorstandsmitglied der „Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost“. Zudem ist Dr. Hever unabhängiger Wirtschaftsforscher und Journalist.

Dr. Shir Hever, hat die jüngsten Ereignisse in Nahost intensiv verfolgt und darüber mehrere Artikel veröffentlicht.

Der Titel der Veranstaltung: „Hamas siegt, aber Tausende verlieren – Der Nahe Osten nach dem Waffenstillstand“

Hamas bezeichnet sich als Sieger nach elf Tagen Bombardement. Verlierer sind die Menschen: 248 Palästinenser*innen wurden getötet; in Israel starben 13 Menschen. Tausende wurden verletzt und obdachlos. Die Ursachen der Eskalation werden und wurden von den meisten Medien in Deutschland wie gewohnt einseitig dargestellt.

Was zweifellos mit unserer unrühmlichen nationalsozialistischen Vergangenheit und zuvörderst mit dem von Hitlerdeutschland verursachtem Holocaust im Zusammenhang steht. Und beim ersten Gedanken anscheinend richtig zu sein scheint und einleuchten mag. Aber letztlich – zu Ende gedacht – auch Fragen aufwerfen muss. Erst recht die Äußerung von Bundeskanzlerin Angela Merkel, wonach Israels Sicherheit Teil deutscher Staatsräson sei. Wenn er das liest oder hört runzelt selbst Professor Moshe Zuckermann (hier mehr zu ihm) regelmäßig die Stirn und meint, er habe bisher immer gedacht, die Sicherheit Israels sei Staatsräson Israels. Um die jüngste Eskalation zu verstehen, muss man die Situation in den von Israel besetzten Gebieten Palästinas kennen, muss die Interessen analysieren, die das Pulverfass Jerusalem, vor allem den Stadtteil Scheich Dscharrach, zum Explodieren brachten, und die auslösenden Momente für die Kriegshandlungen erforschen. Das hat Dr. Shir Hever getan und in seinem interessanten Vortrag zum Ausdruck gebracht. Hever lebt seit elf Jahren in Deutschland.

Dr. Shir Hever: Es ist kein Religionskonflikt

Hever machte gleich eingangs seines Referats klar, dass er die Definition, wonach es sich in Nahost um ein Religionskonflikt handele nicht teilt. Sehr wohl aber gebe es von Seiten der israelischen Regierung – namentlich von Premier Benjamin Netanjahu – einen Versuch, diese Angriffe und die Gewalt als Religionskonflikt darzustellen. Ohne Umschweife spricht Hever betreffs der Situation in Israel/Palästina von Apartheid. Dazu möchte ich anmerken: Erst kürzlich stellte Human Rights Watch fest: Israelische Behörden begehen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, nämlich Apartheid und Verfolgung. Das sagt die Menschenrechtsorganisation in einem am 27. April 2021 veröffentlichten Bericht. Auch die israelische Menschenrechtsorganisation B’Tselem stellte einen Bericht vor, der beweise, das Israel ein Apartheidregime „vom Fluss bis zum Meer“ aufrecht erhalte. Unterdessen hat der Internationale Strafgerichtshof (ISGH) in DIen Haag die Zuständigkeit für Palästina anerkannt und eine Untersuchung über israelische Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit eingeleitet. Das trifft auch auf die Verbrechen der Hamas und andere Gruppen im Gazastreifen. Im Unterschied allerdings zu Israel haben die Hamas sowie die Regierung (Palästinensische Autonomiebehörde) in Ramallah im Westjordanland die Zuständigkeit des Den Haager Gerichtshofs akzeptiert. Tel Aviv ignoriere das. Dr. Shir Hever: „Aber die Israelis wissen, dass dies keine effektive Strategie ist.“

Israelische Provokationen in Scheich Dscharrach sowie an und in der al-Aqsa-Moschee

Betreffs der Ursachen des neuen Konflikts im Mai sprach Hever über die israelischen Provokationen im Ramadan-Monat im hier bereits erwähnten Jerusalemer Stadtteil Scheich Dscharrach, nördlich der Altstadt von Jerusalem. Dem Koran nach war Scheich Dscharrach der Leibarzt des Propheten Mohammed. Scheich Dscharrach, so Dr. Hever, sei nur eines von vielen Gebieten in Palästina, wo israelische Behörden versuchen, diese von Palästinenser*innen ethnisch zu säubern. Die auf diese Weise freigewordenen Häuser sollen dann Juden bekommen. Scheich Dscharrach sei allerdings der einzige Ort, wo jüdischen Kolonisten vor einem Gericht geklagt haben, weil die Häuser vor dem Krieg 1948 Jüd*innen gehört hätten. Was tatsächlich stimmt. Und es ein Gesetz gibt, was den Vorbesitzern das Recht zuspricht, die Häuser zurückzuerhalten.

Shir Hever berichtete, dass vor 12 Jahren selbst Zionisten gegen diese Kolonisierung des Viertels protestiert hätten. Weil sie warnten, dass hier ein gefährlicher Präzendenzfall geschaffen werden könnte. Millionen palästinensischer Flüchtlinge die im Krieg von 1948 ihre Häuser verloren haben, könnten ebenfalls fordern, ihre Häuser zurückzubekommen. Allerdings entschied ein israelisches Gericht, nur Juden hätten das Recht ihre Gebiete von vor 1948 zu beanspruchen.

Premier Netanjahu hat Probleme mit der Regierungsbildung. Der Mann, der in Israel „der Zauberer“ genannt wird, weil er sozusagen immer wieder einen Hasen aus dem Hut zaubert, habe eine rechtsextreme, aus der Knesset ausgeschlossen gewesene Partei wieder zugelassen. Ausgerechnet wurde ein Büro dieser Partei in der Nachbarschaft von Scheich Dscharrach eingerichtet. Provokativ stellte die Partei Tische mit Essen und Getränken mitten im Ramadan auf die Straße, um die fastenden Muslime zu verspotten.

Später habe Netanjahu mit der Partei abgesprochen, dass sie Scheich Dscharrach verlässt. Dafür schickte er starke Polizeikräfte nach Scheich Dscharrach sowie zur al Aqsa-Moschee. Die Polizei sei nachts in die Moschee eingedrungen und habe die Muslime mitten im Gebet angegriffen. 330 Gläubige seien verletzt worden. Israel provozierte auch am Jerusalem-Tor.

Die Reaktion der Hamas folgte auf dem Fuß

Neben dieser empörenden und aggressiven Provokation brachten auch die bevorstehenden Delogierungen von Palästinser*innen in Scheich Dscharrach das Fass zu überlaufen. Die Hamas habe verlangt, dass die israelische Polizei al-Aqsa verlasse. Die aber sei geblieben. So habe die Hamas von Gaza aus ihre Raketen nach Israel gefeuert. Die israelische Armee antwortete auf den gewiss völkerrechtswidrigen Angriff der Hamas elf Tage lang mit massiven Luftschlägen. Die israelische Bomben seien absichtlich auf große Wohnhäuser abgeworfen worden und hätten gezielt ein Hochhaus, in welchem internationale Medien ihre Büros hatten, in Schutt und Asche gelegt.

Im Vorfeld sei in Ostjerusalem ein Progrom organisiert und versucht worden. Hunderte jüdische jugendliche Männer hätten nach Arabern gesucht, um sie zu töten. Davon sei hier in Deutschland nicht berichtet worden, meinte Dr. Hever. Auch nicht darüber, dass die Hamas 2017 ihre Politik geändert hat. Und von ihrer ursprünglichen Charta abgerückt sei. In der späteren Fragerunde führte Hever das genauer aus: In einem politischen Manifest, das 42 Punkte umfasse. Es sage etwa: Wir haben keinen Streit mit Juden, sondern nur mit der Besatzung. Und sie seien bereit für ein unbefristeten Waffenstillstand und eine effektive Anerkennung der anderen Seite. Und sie stimmte darin zu, in Friedensverhandlungen von der PLO vertreten zu werden. Die deutsche Regierung aber ignorierte das Dokument der Hamas. (Hier finden Sie die Erklärung. Leider nur auf Englisch.)

Über die Anstrengungen Netanjahus, einen Keil zwischen die israelischen Palästinenser zu treiben und sie so zu spalten sei hierzulande ebenso nichts bekannt.

Massaker in der Stadt Lod

Des Weiteren sprach Dr. Hever über die von Juden und Palästinensern bewohnte Stadt Lod. Wie wurde sie aber zu einer gemischten Stadt? Hevers Großvater sei ein Kämpfer in der Palmach, einer Eliteabteilung der Hagana, gewesen. Einer zionistischen Miliz, die im Krieg von 1948 kämpfte. Erst nach dem Tode seines Großvaters habe Shir Hever erfahren, dass dieser an einem Massaker beteiligt war. Dabei seien etwa 8000 Bewohner*innen der Stadt vertrieben worden, die dann zu Fuß nach Jordanien gehen mussten. Alte, Kranke und Junge, die zu schwach für den Fußmarsch waren, hätten Zuflucht in einer großen Moschee gefunden. Neben bei bemerkt: Ich empfehle Ilhan Pappes Buch „Die ethnische Säuberung Palästinas“.

Die Palmach brannten die Moschee mit den Menschen darin nieder. Juden, meist Auswanderer aus arabischen Ländern wurden in der Stadt angesiedelt. So sei die Stadt zu einer gemischten Stadt gemacht worden. Heute sei sie eine der ärmsten Städte Israels mit Problemen wie Drogensucht, Kriminalität und Gewalt.

Die Situation in Israel

Dr. Shir informierte darüber, dass Premier Netanjahu (nach mehreren Wahlen gibt es noch immer keine stabile israelische Regierung) weiter alles daran setze, um an der Macht zu bleiben. Nur so bleibt er vor einem Gerichtsverfahren wegen Korruption verschont, an dessen Ende er höchstwahrscheinlich im Gefängnis landen würde.

Obwohl Israel inzwischen politisch weit nach rechts gerutscht sei, gebe es dennoch – auch in wenigen Medien – noch versöhnliche Stimmen. Wer sich allerdings gegen Apartheid und die Gewalt der israelischen Armee kritisch aus dem Fenster lehne werde bedroht. Einige Journalisten müssten sich von Leibwächtern schützen lassen.

Die Israelis beschleiche, so Dr. Shir,allmählich das Gefühl, dass das Ende des israelischen Staates sehr nahe ist.

Erstmals seit den 1930er Jahren zeigten Palästinenser*innen im Gazastreifen, in Israel und dem Westjordanland große Einigkeit

Im kürzlich beendeten Konflikt haben nach Ansicht von Dr. Hever die Palästinenser*innen sowohl im Gazastreifen, als auch in Israel und dem Westjordanland mehr Einigkeit gezeigt als je zuvor in den 1930er Jahren. Am zurückliegenden 18. Mai sei der erste Generalstreik der Palästinenser*innen ausgerufen. Er umfasste Gaza, das Westjordanland und Israel – „im gesamten historischen Palästina“, so merkte Dr. Hever an. Die israelischen Palästinenser*innen wurden wegen ihrer Teilnahme am Generalstreik entlassen.

Die israelische Seite hat verloren. Die Hamas machte klar, dass sie Zugeständnisse erzwingen kann. Allerdings zu einem hohen Preis

Nach der jüngsten gewaltsamen Auseinandersetzung und nach der Unterzeichnung des Waffenstillstandsabkommens hätten sich, sagte Shir Hever, „meldeten sich viele israelische Generäle und Politiker und gaben zu, dass die israelische Seite verloren hat“.

Hever: „Aus strategischer sich hat die Hamas bewiesen, dass sie israelische Zugeständnisse in Jerusalem und besonders bei der al-Aqsa-Moschee erzwingen kann. Und dass sie entscheiden kann, wann die Gewalt beginnt und wann sie endet.“

In Gaza habe man den Waffenstillstand gefeiert, als wäre er ein militärischer Sieg. Ein Sieg zu einem hohen Preis.

Die deutschen Medien verstehen die Hamas nicht und wollen es auch nicht lernen

Inwiefern das für uns hier in Deutschland relevant ist, erklärte der Referent so: „ Die deutschen Medien verstehen die Hamas nicht und wollen es auch nicht lernen.“ In der Tagesschau wiederhole man stets die lange Phrase „radikal-islamische Terrorgruppe Hamas“. Sie sprächen aber nicht über die „radikal-jüdische Terrorgruppe Likud“. „Denn, wenn sie das sagen würden, würde das als antisemitisch oder rassistisch gegenüber Juden angesehen werden“, so Hever. Und weiter: „Aber hat der Likud nicht mehr Hass und Gewalt gegenüber Zivilist*innen verbreitet als Hamas je getan hat?“ Die Hamas-Partei sei sehr konsequent mit ihrer Botschaft an das palästinensische Volk gewesen. Sie sagten: Wir Palästinenser sind allein auf der Welt. Die internationale Gemeinschaft wird uns nicht helfen. Sie wird nur Israel helfen. Wir müssen mit Waffen für unsere Freiheit kämpfen. Ein anderer Weg ist nicht möglich.

Shir Hever: Ich habe eine persönliche Verpflichtung, eine Alternative zu Gewalt zu schaffen

Hever ist in Jerusalem aufgewachsen. In seiner Schule wurden in den 1990er Jahren zwei Schüler durch von der Hamas angeordnete Selbstmordattentate getötet. Hever: „Für mich ist es keine Frage, ob die Palästinenser irgendwann die Besatzung besiegen und frei wird. Natürlich wird es geschehen. Aber die Frage ist wie. Ich habe eine persönliche, moralische Verpflichtung, eine Alternative zu Gewalt zu schaffen. Um zu beweisen, dass die Palästenser*innen ohne Bomben und ohne Raketen frei werden können. Die Alternative, die die Menschen in Europa anbieten können, ist die BDS-Bewegung, Boykott, Desinvesitionen und Sanktionen, eine Bewegung die von zivilgesellschaftlichen Organisationen geführt wird, die 2005 gegründet wurde und Millionen von Anhängern auf der ganzen Welt mitreißt.“ Sie basiere auf den Menschenrecht und dem Völkerrecht. Vielen Palästinensern gebe BDS viel Hoffnung.

Hamas allerdings stelle sich konsequent gegen BDS.

Die Verleumdung des BDS in Deutschland

Dr. Hever stellte klar, dass das „BIP – Bündnis für Gerechtigkeit zwischen Israelis und Palästinensern e.V.“, deren Geschäftsführer er ist, keine Pro-BDS-Position habe. Obwohl BIP die Position vertritt, dass Menschen ein Recht haben, BDS zu unterstützen.

Der Referent erinnerte daran, „dass in Deutschland die Versuche, BDS zu verleumden, zu zensieren und zu unterdrücken besonders ekelhaft“ sind. Der Bundestag habe entschieden, dass BDS antisemitisch sei und hat öffentliche Einrichtungen in Deutschland aufgefordert, Räume für Veranstaltungen zu verbieten, in denen BDS diskutiert wird. Politiker wie der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Dr. Felix Klein und der Uwe Becker, Bürgermeister von Frankfurt am Main und Vorsitzender der Deutsch-Israelischen Gesellschaft haben behauptet, merkte Shir Hever an, ihre Kampagne gegen BDS zum Wohle der deutschen Juden gedacht ist. Obwohl BDS nicht zum Boykott von Juden aufrufe, schon gar nicht von deutschen Juden. „Es ist einfach eine zynische Manipulation, um die Juden in Deutschland zu Geiseln der Politik des Staates Israel zu machen“, meinte Hever.

Traurigerweise seien ähnliche Versuche, BDS zum Schweigen zu bringen, um der rechtsgerichteten Regierung Israels beizuspringen, von der Trump-Administration in den USA unternommen worden. Und in geringerem Maße auch in anderen Ländern wie Frankreich und Ungarn.

Als Freunde von Hever deutschen Beamten sagten, dass sie der Hamas in die Hände spielen, wenn sie BDS ablehnen, hätten die nicht zugehört. „Ihre blinde Unterstützung“, so Dr. Hever weiter, „für die israelische Regierung, ungeachtet der Verbrechen, die sie begeht, hat die Hamas-Unterstützer in Palästina davon überzeugt, dass sie keine andere Wahl haben als sich zu bewaffnen uns mir Gewalt zu kämpfen, um ihre Recht zu erlangen.“

In diesem Monat habe man das Ergebnis gesehen.

Es bleibe die Frage, beschloss Dr. Hever sein Referat, ob wir den Palästinenser*innen beweisen können, dass „unsere Solidarität effektiver ist als Raketen, um Gerechtigkeit zu erreichen“.

Interessante Frage- und Antwortrunde

An das Referat von Dr. Shir Hever schloss sich eine Interessante Frage- und Antwortrunde an. Till Struckberg von Attac Dortmund eröffnete sie. Er bekannte, Bauchschmerzen wegen des Titels des Referats „Hamas siegt, aber Tausende verlieren …“ zu haben.

Dazu erklärte Hever, dass jeder israelische Offizier eine Reihe von Büchern lesen müsse, die von Militärdenkern wie beispielsweise von Heeresreformer Carl von Clausewitz geschrieben worden sind.

Betreff eines Sieges sei bei Clausewitz definiert, ein Sieger zu sein sei keine Frage, welche Seite mehr Menschen verloren habe. In den meisten Kriegen der Welt verliere der Sieger mehr als der Verlierer.

Stattdessen müsse jede Seite ihre strategischen Ziele definieren. Und sehen, ob diese Ziele am Ende des Kampfes erreicht wurden oder nicht. Ziel der israelische Armee sei es gewesen die Hamas abzuschrecken. Was, so Hever, nicht erreicht worden sei. Interessant: die Hamas-Kämpfer läsen im Übrigen die gleichen Bücher der Militärdenker wie die israelischen Offiziere! Ziel sei es, auch ein Spieler zu werden in Jerusalem betreffs al-Aqsa. Dies hätte die Hamas erreicht. Zudem sei ihnen eine Demütigung Israels gelungen. Allerdings hätte es dabei tausende Verlierer gegeben. Wenn nicht Millionen. Schließlich seien die Ziele der Hamas nicht gleichzeitig die Ziele aller Palästinenser. Wiewohl die Ziele der israelischen Regierung nicht automatisch die Ziele aller Israelis seien.

Natürlich kam auch die Frage nach der Zweistaatenlösung. Shir Hevers Antwort: Sie ist möglich. Allerdings wären die Kosten dafür hoch. Und für die jüdischen Siedler selbstredend sehr schwierig. Ob das die beste Lösung ist wäre wiederum eine andere Frage, so der Referent.

So gebe es Palästinenser, die sagten eine Demokratie – eine Person/eine Stimme -, etwa wie in Südafrika, wäre die bessere Lösung.

Ob das realistisch ist, fragte jemand. Schließlich wären ja dann die Juden in der Minderheit. Shir Hever darauf: „Das Konzept von einem jüdischen Staat ist ein rassistisches Konzept. Das darf sowieso nicht existieren.“

Es gebe ein Unterschied zwischen Staat für Juden und einem jüdischen Staat. Hannah Arendt habe das ausführlich beleuchtet. Jüdischer Staat sage, der Staat selbst ist jüdisch. Die Menschen müssten diesem Staat in dieser Hinsicht dienen. Was eine sehr undemokratische Idee sei. Ein Konzept eines Staates für Juden bedeute, ein Staat, wo Juden gleiche Rechte haben, wie jeder andere. Ein Staat für Juden sei im Beginn des 20. Jahrhunderts kaum zu finden. Heute sei ein solcher Staat beispielsweise Deutschland. Warum also sollte ein künftiger Staat Israel oder Palästina – je nachdem wie dieser dann hieße – nicht so ein Staat für Juden sein?

Wer dann in diesem Staat die Mehrheit hat, sei ja dann den jeweiligen Staatsbürgern – Juden und Palästinensern – überlassen und deren Kinderplanung.

Ursprünglich habe es ja einst, erklärte Hever, auch kein Frauenwahlrecht gegeben. Davor hätten die Männer Befürchtungen gehabt, weil es mehr Frauen gebe.

Inzwischen habe sich das eingespielt und wohl kaum noch in Frage gestellt.

Dr. Hever wurde gefragt, ob man dann nicht befürchten müsse, dass Juden im Einheitsstaat getötet würden. Aus Rache. Darauf entgegnete Dr. Hever wieder mit einem Verweis auf Südafrika. Dort hätten ja die Weißen – einst mit Apartheid herrschende Minderheit – befürchtet, dass die Schwarzen sie dann ermorden würden. Dass sei aber dann nicht passiert.

Dr. Shir Hever hält durchaus – auf Nachfrage antwortend – auch eine Versöhnungskommission abermals mit Verweis auf Südafrika für angebracht. Auch Palästinenser*innen könnten sich das gut vorstellen. Sie verwiesen aber zu recht darauf: Das diese Versöhnungskommission in Südafrika erst möglich wurde nach dem Ende der Apartheid.

Die Frage nach den Möglichkeiten der EU den Nahostkonflikt einer Lösung zuzuführen, beantwortete Shir Hever so zunächst mit einem Hinweis auf das Assoziierungsabkommen der EU mit Israel, das bereits existiere. Den Bedingungen, der Menschenrechtsklausel nach, dürfe diesbezüglich kein Land eine solche Möglichkeit bekommen, das Menschenrechte systematisch verletzt.





Hever: Wenn die EU ihre eigenen Gesetze ernst nähme und sage, solange es keine Demokratie mit gleichen Rechten für alle in Israel/Palästina gibt, können wir das

Assoziierungsabkommen mit Israel nicht weiter verlängern. Das wäre für israelische Wirtschaft ein Desaster. Shir Hever: „Dann sehen wir in einer Woche – ich bin fest überzeugt – werde die israelische Regierung sagen, unter diesen Bedingungen haben wir keine Wahl. Wir müssen entweder die Besatzung zu Ende bringen oder ein Nationalwahl im Israel-Palästina-Gebiet haben, um eine demokratische Regierung zu bilden.“

Eine interessante Veranstaltung war das mit Dr. Shir Hever. Die wahrscheinlich, wäre sie öffentlich in einer städtischen Einrichtung geplant gewesen, keinen Raum gefunden hätte. Und die üblichen Verdächtigen hätten behauptet die Veranstaltung wäre antisemitisch. Allein, weil kurz über BDS gesprochen worden wäre. Darüber einmal nachzudenken ist angebracht.

Beitragsbild: via Weltnetz.TV

Anbei gegeben via Activismmunich

Abschließend noch einige Beiträge mit Links zu meinen Beiträgen, welche zur Thematik passen, sowie ein Link zu Videos, in denen Dr. Shir Hever spricht:

https://clausstille.blog/2019/11/22/pressemitteilung-von-attac-dortmund-und-dgb-dortmund-diskussion-zum-ratsbeschluss-gegen-antisemitismus-referent-andreas-zumach/




https://clausstille.blog/2018/09/18/der-allgegenwaertige-antisemit-oder-die-angst-der-deutschen-vor-der-vergangenheit-ein-neues-wichtiges-buch-von-moshe-zuckermann/


https://clausstille.blog/2021/04/07/jerusalemer-erklarung-200-holocaust-forscher-wenden-sich-dagegen-kritik-an-israel-als-antisemitismus-zu-diffamieren/


https://clausstille.blog/2017/10/04/die-antisemitenmacher-wie-neue-rechte-kritik-an-der-politik-israels-verhindert-ein-ungemein-wichtiges-buch-von-abraham-melzer/


https://clausstille.blog/2019/12/13/wider-den-antisemitenmachern-der-vortrag-des-journalisten-andreas-zumach-in-dortmund-fand-statt-israel-palastina-und-die-grenzen-des-sagbaren/


https://clausstille.blog/2014/03/25/dr-khouloud-daibes-botschafterin-palastinas-das-andere-gesicht-des-palastinensischen-widerstands/

https://weltnetz.tv/personen/shir-hever


IALANA fordert klare Stellungnahme und politische Schritte der Bundesregierung gegen die Pläne der israelischen Regierung, weite Teile des besetzten palästinensischen Westjordanlands zu annektieren

IALANA Rundbrief
Presseerklärung

Die neugebildete Koalitionsregierung unter Benjamin Netanjahu und Benjamin Gantz hält an den schon vorher von Netanjahu verkündeten Plänen fest, alle 128 Siedlungen und das Jordantal, den fruchtbarsten Teil Palästinas, zu annektieren. Das Wahlergebnis zeigt, dass diese Annexionspläne von dem größten Teil der nichtarabischen Bevölkerung Israels geteilt werden. Voraussetzung für diesen radikalen Schritt war die Zustimmung der USA, die US-Außenminister Pompeo am 25. April gegeben hat. Andere Regierungen sind offenbar nicht konsultiert worden, vor allem nicht die betroffenen Palästinenser.

Jede Annexion fremden Territoriums ist ein schwerer Verstoß gegen internationales Recht und daher illegal. Die Vereinten Nationen haben nie die Annexion Jerusalems und der Golan-Höhen anerkannt, der Internationale Gerichtshof hat die Annexion in seinem Gutachten zur Mauer von 2004 ausdrücklich als rechtswidrig und nichtig bezeichnet. Daran ändert auch nichts, dass US-Präsident Trump die Völkerrechtswidrigkeit der israelischen Besatzungs- und Siedlungspolitik bestreitet und die syrischen Golan-Höhen und Ostjerusalem als integralen Teil Israels anerkennt. Beides ist nach internationalem Recht irrelevant und selbst ein schwerer Verstoß gegen das Völkerrecht. Dies gilt auch für den sog. Nah-Ost-Plan der Trump-Administration, der auf der weitgehenden Enteignung und Annexion palästinensischen Territoriums aufbaut. Er zerstört damit endgültig die Zwei-Staaten-Lösung, die entsprechend zahlloser UNO-Resolutionen immer noch die Grundlage der internationalen Palästinapolitik bildet. Das Ziel eines palästinensischen Staates neben Israel, das seit der UNO-Resolution 181 aus dem Jahr 1947 immer noch gültig ist, wird aufgegeben und eine von den Palästinensern geplante Hauptstadt Ost-Jerusalem illusorisch. Für einen Staat Palästina mit eigenen Grenzen bleibt kein Territorium übrig. Die Reste Palästinas werden ohne eigene Selbstbestimmung und Souveränität faktisch der israelischen Willkür ausgeliefert – eine neue Art von Kolonie.

Ein Prozess der Zerstörung, Enteignung und Kolonisierung hat sich durch die Jahrzehnte vor allen Augen in den besetzten Gebieten vollzogen, ohne dass die internationale Gemeinschaft dagegen erkennbaren Widerstand geleistet hätte. Insbesondere die deutsche Bundesregierung hat nicht nur weitgehend geschwiegen, sondern im Rahmen der EU aktiv Initiativen verhindert, die Israel zum Stopp der Siedlungs- und Aufhebung der Besatzungspolitik bewegen sollten. Ihre gelegentliche und vorsichtige „Kritik“ konnten die israelischen Regierungen eher als Unterstützung denn als Ablehnung ihrer Politik auffassen. Zudem hat die Bundesrepublik Palästina die Anerkennung als Staat in der UNO verweigert, obwohl es über alle Merkmale eines Staates verfügt und von über 2/3 der Mitgliedstaaten in der UNO anerkannt wird. Sie hat sogar im jüngsten Verfahren vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag , in dem es um die Klage gegen Israel wegen schwerer Kriegsverbrechen im Krieg gegen Gaza 2014 und Menschenrechtsverstößen in den besetzten Gebieten geht, versucht, das Verfahren zu verhindern. Allerdings vergeblich, da die Generalanklägerin Fatou Bensouda die Rechtssprechungskompetenz des Gerichtshofs über Palästina ausführlich begründet und anerkannt hat.

Die Situation ist dramatisch. Netanjahu will unbedingt die Annexion bis zu den nächsten Wahlen in den USA unter der Präsidentschaft von Trump durchführen und hat den 1. Juli als Termin festgesetzt. Es bleibt wenig Zeit, in der die internationale Gemeinschaft ihr ständiges Bekenntnis zum Internationalen Recht durch wirksame Maßnahmen unter Beweis stellen kann. Die Staaten können nicht den Widerspruch begründen, Russland wegen des Anschlusses der Krim mit Sanktionen zu belegen, Israel aber bei der Zerstörung der staatlichen Existenz eines Volkes durch die Annexion ihres Territoriums gewähren zu lassen. Insbesondere die Bundesregierung muss ihre Verantwortung, die sie immer nicht nur gegenüber Israel sondern auch gegenüber den Palästinensern betont hat, wahrnehmen und ihre legitimen Rechte schützen.

Sie kann sich dabei auf internationale Kritik stützen, die sogar aus Israel selbst kommt. 56 ehemalige Knesset-Abgeordnete haben die Annexion als einen „tödlichen Schlag für eine Friedensmöglichkeit und die Schaffung eines Apartheid-Staates“ abgelehnt. 300 ehemalige Generäle und Offiziere der israelischen Armee und Chefs des Mossad haben ebenfalls die Pläne der Regierung scharf kritisiert. In Großbritannien haben sich 127 ehemalige und gegenwärtige Parlamentarier aller Parteien an die britische Regierung gewandt und  Premier Minister Johnson aufgefordert, die Illegalität der Annexionen zu rügen und „ernsthafte Konsequenzen inklusive Sanktionen“ anzukündigen.

Die Deutsche Sektion der International Association of Lawyers against Nuclear Armement (IALANA) schließt sich dieser Kritik an und fordert die Bundesregierung auf, ihren Verpflichtungen aus dem Internationalen Recht nachzukommen und alles zu unternehmen, dass Israel von seinen Annexionsplänen Abstand nimmt. Insbesondere sollte sie auf die Aussetzung des EU-Israel Assoziierungsabkommens dringen, solange Israel nicht die in Art. Zwei des Abkommens geforderte Einhaltung der Menschenrechte und des Völkerrechts garantiert. Dazu gehört, jegliche Handels- und Wirtschaftsbeziehungen mit den illegalen israelischen Siedlungen zu untersagen und sicherzustellen, dass keine Geschäftsbeziehungen mit israelischen Unternehmen in den besetzten Gebieten unterhalten werden. Desgleichen sollte jeder Waffenhandel untersagt und die militärische Kooperation mit Israel gestoppt werden. Die Bundesregierung sollte sich für die strafrechtliche Verfolgung von Kriegsverbrechen in Gaza und dem besetzten Westjordanland einsetzen, statt zu versuchen, das Verfahren vor dem Internationalen Strafgerichtshof zu verhindern. Dazu fordern wir, dass die Bundesregierung endlich den Staat Palästina völkerrechtlich anerkennt. Die Bundesregierung darf sich nicht mehr hinter der verbrecherischen Geschichte der Nazi-Herrschaft verstecken und aus falsch verstandener Verantwortung zum Komplizen einer offen völkerrechtswidrigen Politik machen. Sie muss gegen die Annexion Stellung beziehen und ein Ende der seit Jahrzehnte dauernden illegalen Besatzung fordern.

Otto Jäckel (Vorsitzender der IALANA). Foto: C. Stille.

RA Otto Jäckel     Prof. Dr. Norman Paech
Vorsitzender         Wissenschaftlicher Beirat

Quelle: IALANA-Presseerklärung

Leseempfehlung via NachDenkSeiten: „An die eigene Vergangenheit gekettet – Deutschlands Einstellung zur Ungerechtigkeit gegenüber dem palästinensischen Volk“

Meinen LeserInnen unbedingt empfohlen:

Der Beschluss des Bundestages vom 17. Mai, mit dem die BDS-Kampagne als ein Beitrag zur zunehmenden Bedrohung durch den Antisemitismus in Europa verurteilt wird, ist ein schwerwiegender Anlass zur Sorge. Er markiert die BDS, eine gewaltfreie palästinensische Initiative, als antisemitisch und fordert die Bundesregierung auf, nicht nur der BDS selbst, sondern einer jeden sie fördernden Organisation jegliche Unterstützung zu verweigern. Der Beschluss verweist auf die besondere Verantwortung Deutschlands gegenüber den Juden, und zwar ohne Israels anhaltenden Missbrauch des grundlegendsten Menschenrechts, der Selbstbestimmung, bezüglich des palästinensischen Volkes auch nur zur Sprache zu bringen. Ebenso wenig verweist dieser Beschluss auf die bedeutende Rolle, die eine frühere BDS-Kampagne, nämlich die gegen den Rassismus Südafrikas, bei der Herbeiführung einer gewaltlosen Beendigung des dortigen Apartheid-Regimes gespielt hat; auch fehlt jeder Hinweis darauf, dass selbst diejenigen, die aus strategischen oder pragmatischen Gründen gegen diese BDS-Kampagne gewesen waren, nie versucht hatten, deren Vertreter zu dämonisieren. Von Richard Falk & Hans von Sponeck

Quelle: NachDenkSeiten

Lesen hier den gesamten Text.

Dazu ebenfalls empfohlen ein älterer Beitrag von mir.

„Die ethnische Säuberung Palästinas“ von Ilan Pappe als Neuerscheinung. Absolute Leseempfehlung!

Wir alle kennen den stetig schwelenden Konflikt zwischen Palästinensern und dem Staat Israel. Immer wieder flammt Gewalt auf. Geht die Gewalt von den Palästinensern – etwa vom in Form von abgefeuerten primitiven, selbstgebauten Raketen, vom Gazastreifen aus – wird die vom israelischen Militär mit unverhältnismäßiger Wucht beantwortet. Die Palästinenser wollen einen eigenen Staat. Doch die Chance, dass es dazu kommt, wird von Jahr zu Jahr geringer: eine Zweistaatenlösung rückt in immer weitere Ferne. Derweil schaffte und schafft Israel weiter Tatsachen: das den Palästinensern verbliebene Land ist in viele kleine Teile – ja: zu einem Flickenteppich gemacht worden – zerstückelt. Eine auf palästinensischen Gebiet errichtete Mauer wurde errichtet. Aber auch eine Einstaatenlösung dürfte es nicht geben. Davor hat Israel Angst. Schließlich ist die Geburtenrate der Palästinenser wesentlich höher als die der jüdischen Israelis. Eine Lösung dieses Kernkonflikts im Nahen Osten – so dringend nötig und wünschenswert sie auch wäre – ist nicht in Sicht. Wir wissen auch, dass das Leid der Palästinenser eng mit der Ansiedlung und Gründung des Staates Israel zusammenhängt. Und wir Deutsche wissen auch, dass der von den Nazis verübte Holocaust an den Juden nicht zuletzt, dazu führte, dass es zur 1948 Gründung Israels kam. Was uns Deutsche eine besondere Verantwortung dem Staate Israel gegenüber auferlegt.

Wenn Israel seine Staatsgründung feiert, gedenken die Palästinenser der Nakba, zu Deutsch Katastrophe, oder der Vertreibung und Flucht aus ihrer Heimat, „dem früheren britischen Mandatsgebiet Palästina, welches zu einem Teil am 14. Mai 1948 als Staat Israel seine Unabhängigkeit erlangte“ (Wikipedia).

Wir wissen also, dass den Palästinensern Leid und Unrecht angetan wurde und weiter wird. Schon über ein halbes Jahrhundert lang währt die Knechtung und entwürdigende bis brutale Behandlung der Palästinenser seitens Israel.

Doch alles ist noch viel schlimmer (gewesen) wie es uns vermittelt worden ist.

Vor zehn Jahren kam es zur Erstveröffentlichung von Ilan Pappes Buch „Die ethnische Säuberung Palästinas“ in fünfzehn Sprachen. Es erschien auch auf Deutsch. Doch die wenigsten von uns werden es wohl gelesen, noch Kenntnis von dessen Existenz gehabt haben. Die Medien in Deutschland dürften – aus naheliegenden Gründen – wenig Interesse daran gehabt haben, das Buch allzu bekannt zu machen. Nun hat es dankenswerterweise der Westend Verlag übernommen das m.E. über die Maßen wichtige Buch als Neuerscheinung herauszubringen.

Ilan Pappe ist der Sohn von deutschen Juden, die als Folge der Machtergreifung Adolf Hitlers nach Palästina gekommen waren.

„Ihre Lebensgeschichte“ schreibt er im Vorwort zur aktuellen deutschen Ausgabe seines Buches, seine Eltern betreffend, „und das, was mit ihren Familienangehörigen geschah, ist einer der Hauptgründe für die tiefgehende Verpflichtung, die ich empfinde, die Geschichte der Nakba auch deutschen Lesern zu vermitteln.“

Und weiter „Aber auch jenseits meiner persönlichen Geschichte fühle ich, dass die Geschichte der Nakba auf Deutsch eine besondere Bedeutung hat. Wie schon der palästinensische Intellektuelle Edward Said sagte, sind die Palästinenser ‚die Opfer der Opfer‘. Deshalb gibt es eine besondere deutsche Verantwortung für das, was die zionistische Bewegung und später der Staat Israel den Palästinensern angetan haben.“

Es sei seine Absicht gewesen, so Pappe, „zu verdeutlichen, dass die ethnischen Säuberungen von 1948 und vergleichbare israelische Aktionen bis heute das Ergebnis der siedlerkolonialistischen Ideologie ist, die in der indigenen Bevölkerung keine gleichwertigen Menschen sieht“ (S.7). Und: „Die Dehumanisierung der Palästinenser ist ein wichtiger Bestandteil der zionistischen Ideologie (Nicht von Anfang an, sondern erst ab dem Augenblick, an dem die zionistischen Führer Anfang des Zwanzigsten Jahrhunderts beschlossen, dass der einzige Weg sich des europäischen Antisemitismus zu erwehren, die Kolonisation Palästinas sei). Der einzige Weg, die Kolonialisierung zu vollenden, so wie es in Nordamerika geschah, in Australien und Süd-Afrika, war, sich der ursprünglichen Bevölkerung zu entledigen.“

Manch Leser mag der Titel von Pappes Buch „Die ethnische Säuberung Palästinas“ (v)erschrecken, vielleicht sogar wie ein Hammer treffen. Andere womöglich werden gar die Hände von sich strecken und rufen: Nein, nein so war das doch nicht! Ja, es ist hart. Aber Leugnen und Abwiegeln hilft nicht weiter. Prof. Ilan Pappe, einer der Protagonisten der „Neuen israelischen Historiker“, die für eine Revision der „offiziellen Geschichtsschreibung des Zionismus und für einen kritischen Ausgleich“ – steht es im Klappentext – mit den Palästinensern plädieren“. Dafür musste er einen nicht unerheblichen Preis zahlen. Bis Anfang 2007 lehrte er politische Wissenschaften an der Universität seiner Geburtsstadt Haifa. Er geriet in fachlich und politisch Konflikt mit Universitätsleitung, bis er schließlich die Hochschule mit der Begründung verließ, es sei zunehmend schwierig, mit seinen unwillkommenen Meinungen und Überzeugungen in Israel zu leben und zu lehren.“ Derzeit hat Pappe eine Professur für Geschichte an der Universität Exeter inne.

Pappes Buch öffnet uns die Augen für Fakten, die entweder verschwiegen wurden oder gar bis heute geleugnet werden und unterrichtet seine LeserInnen über Tatsachen, welche der Weltöffentlichkeit – aus Unkenntnis oder mit Absicht .vielleicht in ganz anderem Licht dargestellt worden sein mögen.

Auch ist es wichtig, dass im Buch noch einmal explizit darüber informiert wird, dass der seinerzeitige britische Außenmister Arthur Balfour den Juden bereits 1917 eine „Heimstatt“ in Palästina versprochen hatte. Eine Vorgeschichte, die man kennen sollte.

Führenden Zionisten musste allerdings schon damals klar gewesen sein, dass man zu diesem Behufe dort lebende Palästinenser würde vertreiben müssen.

Auch der Zionist und spätere Staatsgründer Israels, David Ben Gurion – welcher uns vielleicht in Filmaufnahmen oder auf Fotos, wo er mit schlohweißen wallenden Haar gezeigt wird und immer so sympathisch erschienen sein mag – wird uns nach Lektüre von Ilhan Pappes Buch in eher in kritischem Licht erscheinen. David Ben Gurion bekannte bereits vor der Staatsgründung Israels: „Ich bin für Zwangsumsiedlung; darin sehe ich nichts Unmoralisches. (David Ben Gurion an die Exekutive der Jewisch Agency, Juni 1938)“

Bereits zehn Jahre nach dieser Aussage Ben Gurions „saßen am 10. März 1948, einem kalten Mittwochnachmittag, elf Männer zusammen – altgediente zionistische Führer und junge jüdische Offiziere – und legten letzte Hand an einen Plan für die ethnischen Säuberungen Palästinas. Noch am selben Abend ergingen militärische Befehle an die Einheiten vor Ort, die systematische Vertreibung der Palästinenser aus weiten Teilen des Landes vorzubereiten. Die Befehle gaben detailliert die Einsatzmethoden zur Zwangsräumung vor: groß angelegte Einschüchterungen, Belagerung und Beschuss von Dörfern und Wohngebieten; Niederbrennen der Häuser mit allem Hab und Gut; Vertreibung; Abriss und schließlich Verminung der Trümmer, um eine Rückkehr der vertriebenen Bewohner zu verhindern. (S.10)“ Der Plan trug den Codenamen Plan D (Dalet in Hebräisch). Wichtig zu wissen – was alles andere als ein gutes Licht auf Großbritannien wirft: „Noch während des britischen Mandats beginnen die Angriffe, geführt von Moshe Dayan (später Verteidigungs- und Außenminister), Menachim Begin (später Ministerpräsident und Friedensnobelpreisträger) Yitchak Rabin (später Ministerpräsident und Friedensnobelpreisträger).“ Die Briten sahen im Wesentlichen weg.

Pappe zitiert aus dem Plan Dalet (S.67): „Diese Operationen lassen sich folgendermaßen durchführen: entweder durch Zerstörung von Dörfer (indem man sie in Brand steckt, sprengt und die Trümmer vermint) und insbesondere von Wohngebieten, die auf Dauer schwer zu kontrollieren sind; oder durch Durchsuchungs- und Kontrollaktionen nach folgenden Richtlinien: Umstellen und Durchkämmen der Dörfer. Im Fall von Widerstand sind die bewaffneten Kräfte auszuschalten und die Einwohner über die Landesgrenzen zu vertreiben. (Plan Dalet, 10. März, 1948)“

Das ist deutlich.

„Elf Stadtviertel und 531 palästinensische Dörfer werden zwangsgeräumt, viele dem Erdboden gleichgemacht, 800 000 Menschen fliehen. Es kommt zu Plünderungen, Vergewaltigungen und zu Massakern, auch an Frauen und Kindern. Heute bedecken Wälder, Parks und Freizeiteinrichtungen die einstigen Dörfer.“

Die Rede ist davon, dass 800 000 der für die für Palästinas so bedeutungsvollen Olivenbäume dem Konflikt zwischen Israel und Palästina zum Opfer fielen – das macht etwa eine Fläche von 15 000 Fußballfeldern aus. Pappe informiert darüber, dass über zerstörten palästinensischen Dörfern heute wunderbar grünende Parks oder Wälder zu finden seien. Ausländischen Besuchern würde, so Pappe, empfohlen in diesen Parks neue Bäume zu pflanzen. Darüber informiert, dass sich dort einmal palästinensische Dörfer dort befanden, wird sie freilich nicht.

Wenn Ilan Pappe darüber schreibt, löst er bestimmt auch bei den LeserInnen folgende Frage in ihnen aus: Was bewegte jüdische Menschen, auch vor Hitler aus Europa geflohene – so kurze Zeit nach dem Holocaust an den Palästinensern derartige Verbrechen zu verüben? Wie konnten sie das mit sich vereinbaren?

Ilan Pappe beruft sich in seinem Buch auf Augenzeugenberichte und hat neu zugängliche Dokumente aus israelischen Militärarchiven nachgezeichnet. Diese stehen in eklatantem Widerspruch zur offiziellen Geschichtsschreibung sowie dem glorifizierten Gründungsmythos Israels.

Über die darin nachgezeichneten schlimmen, menschenverachtenden Geschehnisse zu lesen, ist hart und deprimierend. Stellenweise auch fast schier unerträglich. Sicher sogar werden manche Menschen diese Tatsachenberichte – so sie davon aus zweiter Hand erfahren, wie kürzlich auf Facebook geschehen, wo ich kurz Pappes Buch angekündigt hatte, empört und mit Unverständnis darauf reagieren. Eine Facebook-Freundin kommentierte, nachdem sie einen Verriss des Buches „Die ethnische Säuberung Palästinas“ im Tagesspiegel gelesen und ihrem Kommentar verlinkt hatte: „Ist klar: Die Juden sind die Schlimmen, die Palästinenser die Verfolgten.“

Wer Pappes Buch gelesen hat, wird feststellen: Das behauptet der Autor doch überhaupt nicht. So einfach darf man es sich auch nicht machen. Macht es sich Pappe auch nicht. Er schreibt über die nun einmal dokumentierten und im bereits erwähnten Plan D zuvor vorgezeichneten und dann auch so – mal mehr, mal weniger grausam – in die Tat umgesetzten Vertreibungen der Palästinenser und verübte Gewalt an ihnen.

Dass Pappe dabei auf erbitterte Gegenwehr trifft ist keineswegs verwunderlich. Aber ihn hat eben das fürchterliche Schicksal der Palästinenser nicht kalt gelassen. Und es beschäftigt ihn noch heute. John Pilger kennzeichnete das 2006 so – Der Satz ist auf der Buchrückseite zitiert : „Ilan Pappe ist der mutigste, unbestechlichste und der am schärfsten urteilende Historiker Israels.“

Der Offizier der Alexandroni-Brigade, Eli Shimoni wird von Ilan Pappe (Kapitel 6, S. 177) aus „Maariv“ (4. Februar 2004) mit dem Bekenntnis zitiert: „Ich habe keinerlei Zweifel, dass in Tantura ein Massaker stattfand. Ich bin nicht auf die Straße gegangen, um es herauszuposaunen. Es ist nicht gerade etwas, worauf man stolz ist. Aber wenn die Sache erst mal öffentlich gemacht wird, sollte man auch die Wahrheit sagen. Nach 52 Jahren ist der Staat Israel stark und reif genug, sich seiner Vergangenheit zu stellen.“

Der Staat Israel wird aber immer wieder daran erinnert werden. Indem einfach über grausame Tatsache hinweggegangen wird wie in den neuen Parks über die zerstörten Dörfern hinweggeschritten wird. Es wird zu einer Lösung zwischen Israel und den Palästinensern gekommen werden müssen, dass die Menschen beider Seiten künftig friedlich zusammenleben werden zusammenleben können. Danach aus sieht es augenblicklich nicht.

Ilan Pappe hegt immerhin eine Hoffnung. Auf den Seiten 330/331 des Buches schreibt er: „Dabei scheint die Lösung doch recht einfach zu sein: Als letzte postkoloniale europäische Enklave in der arabischen Welt hat Israel keine andere Wahl, als sich freiwillig eines Tages in einen bürgerlichen, demokratischen Staat zu verwandeln. Dass dies möglich ist, zeigen die engen sozialen Beziehungen, die Palästinenser und Juden in diesen langen, unruhigen Jahren innerhalb und außerhalb Israels untereinander geknüpft haben.“ Und weiter: „Dass wir dem Konflikt im zerrissenen Palästina ein Ende setzen können, wird ebenfalls klar, wenn wir uns Teile der jüdischen Gesellschaft in Israel ansehen, die sich entschlossen haben, sich von menschlichen Erwägungen statt von zionistischer Sozialtechnologie leiten zu lassen.“

Auch die Mehrheit der Palästinenser, meint Pappe, hätten sich in den Jahrzehnten brutaler israelischer Besatzung nicht entmenschlichen lassen. Trotz Vertreibung und Unterdrückung hofften sie noch auf Versöhnung. „Aber“ gibt der Autor gleichzeitig zu bedenken, „das Fenster dieser Chance wird nicht immer offen bleiben. Israel könne „auch dazu verdammt sein, ein Land voller Zorn zu bleiben, dessen Handeln und Verhalten von Rassismus und religiösen Fanatismus diktiert sind, ein Land, in dem das Streben nach Vergeltung die Züge der Menschen dauerhaft entstellt.“ Die Geduld ,das Vertrauen „von unseren palästinensischen Brüdern und Schwestern“ noch zu „erbitten“ wäre, könnte nicht auf ewig zu erwarten sein.

Der in Ilan Pappes Buch beschriebene Fall einer „ethnischen Säuberung“ am Beispiel Palästinas, schreibt der Autor, sei heute ein klar definierter Begriff (S.19). Dieser sei anfangs fast ausschließlich mit den Ereignisse im ehemaligen Jugoslawien assoziiert worden – inzwischen aber als Verbrechen gegen Menschlichkeit definiert. Was nach internationalem Recht strafbar sei.

Der Vergleich der Ereignisse in Palästina mit Ereignissen in Jugoslawien erscheint mir unpassend. Um seine Ansicht jedoch stetig erneut zu untermauern, hat Ilan Pappe einigen seiner Buchkapitel immer wieder entsprechende Zitate aus diesem Jugoslawien-Kontext vorangesetzt. Mir behagt das nicht, um es vornehm auszudrücken. Zumal wir heute wissen, dass so manche Nachricht, Vorfälle im damaligen Jugoslawien betreffend, aus Politikermündern oder aus Medienberichten nicht immer mit der Realität übereinstimmten. Auch dies bedarf einer Aufarbeitung seitens anderer AutorInnen und noch zu schreibende Bücher.

„Die ethnische Säuberung Palästinas“ gehört in jede Hand. Ein wichtiges Buch. Klar, es wird manch Gegenwind ertragen müssen. Aber das wird und muss es aushalten.

Ilan Pappe

Die ethnische Säuberung Palästinas

 

Erscheinungstermin: 02.05.2019
Seitenzahl: 416
Ausstattung: Klappenbroschur
Artikelnummer: 9783864892585

20,00 Euro