Europaabgeordneter Sven Giegold referierte in Dortmund: „Wer die EU vorschnell verdammt, macht aus meiner Sicht einen schweren Fehler“

Till Strucksberg (Attac-Regionalgruppe Dortmund), Sven (Giegold, MdEP), Birgit Weinbrenner (Ev. Akademie Villigst) und Klaus Wegener Präsident Auslandsgesellschaft NRW e.V.) Foto (v.l.n.r): Claus Stille

Die EU ist vielfach in der Krise. Ein Rechtsruck geht durch Europa. Antieuropäische Populisten und Fremdenfeindlichkeit haben in vielen Mitgliedsländern Oberwasser. Wirtschaftliche und soziale Ungleichheit verstärken die breite Unzufriedenheit mit der EU. Das gefährdet zunehmend die größten Errungenschaften des Projekts Europa: Das Zusammenwachsen des Kontinents und den Frieden. Darüber zu sprechen war Sven Giegold, Europaabgeordneter aus NRW und Sprecher der deutschen Grünen im EU-Parlament sowie Obmann der grünen Fraktion im Ausschuss für Wirtschafts- und Finanzpolitik, am Dienstag dieser Woche in die Auslandsgesellschaft NRW nach Dortmund gekommen.

Sven Giegold sieht keine Alternative zur EU

Schon nach wenigen Worten seines Referates wurde klar: Giegold, seit 2009 Abgeordneter im Europäischen Parlament, verkennt nicht was schief und unglücklich läuft in der EU. Jedoch tritt er Kritikern, welche zur EU nur noch sagen: „Hau wech den Scheiß“, vehement entgegen. Seine schwer wegzuwischenden Argumente: Auch in den Nationalstaaten laufe so manches falsch. Zudem wären diese oftmals gar nicht in der Lage große Herausforderungen – Giegold führte als Beispiel den Klimaschutz an – allein zu stemmen.

Bittere Fragen, die in der europäischen Politik schwer zu lösen sind

Zunächst sprach Sven Giegold in den letzten Jahren erfolgten Rechtsruck in der EU und auch hier in Deutschland an. Diese Rechtsparteien, so der Politiker, „werben dafür das Europäische Projekt zurück abzuwickeln“. Gründe dafür seien große, bittere Fragen, die in der europäischen Politik schwer zu lösen sind. Die Menschen zu recht zweifeln ließen. Das erste sei, das Europa ja ganz bewusst – wie in den Europäischen Verträgen zu lesen – nicht „als Zugewinngemeinschaft im wirtschaftlichen Sinne, sondern als Wertegemeinschaft“ gegründet worden sein. „In den letzten Jahren“, schätzte Sven Giegold ein, „ist es in Europa an die Grundwerte gegangen“. Als Beispiele führte er Ungarn unter Viktor Orban an, „der Wahlkampf mit antisemitischen Ressentiments“ und gegen Flüchtlinge gemacht habe sowie dafür sorge, dass die Presse in die Hände von Leuten gelange, die ihm politisch nahestehen. Des Weiteren sei die Steueroase Malta ein Problem, „wo nach wir vor zwei korrupte Minister im Amt sind“. Zypern hänge „massiv am Schwarzgeld aus Russland“. Auch die Morde an Journalisten in Malta und der Slowakei seien bedenkliche Anzeichen.

Wo es knirscht in der EU: die Euro- und die Flüchtlingskrise

Giegold nannte als einschneidendes Problem auch das Handeln von EU-Staaten in der Flüchtlingskrise. Das habe auch ein schlechtes Licht auf Deutschland geworfen. Jahrelang hätten die EU-Außenstaaten Ländern wie Deutschland die Flüchtlinge vom Hals gehalten. Deren Sorgen habe Berlin jedoch nicht hören wollen. Dann seien 2015 die Türen geöffnet worden. Giegold: „Deutschland entdeckte seine Liebe zur Solidarität.“ Berlin habe erwartet, dass andere Staaten die Flüchtlinge nach einem Verteilungsschlüssel übernehmen, „ohne dass es dazu eine europaweite Debatte gab“. Unterdessen sei Deutschland längst wieder umgeschwenkt und dafür die Flüchtlinge an den Außengrenzen der EU abzuwehren. „Das Gegenteil von dem was Menschenwürde eigentlich bedeute“, skandalisierte Sven Giegold. Das Handeln Deutschlands – den anderen Staaten Flüchtlinge sozusagen aufzwingen zu wollen – habe zu enormen Spannungen in der EU geführt. Die Euro-Krise sei das dritte große Thema, „wo es knirscht“. Es fehle an einer gemeinsamen Steuerpolitik. In der Praxis führe das zum Dumping. „Andere Länder empfinden, dass sie für eine Krise zahlen mussten, die sie gar nicht bestellt hatten.“ Stichwort: Kredite an Griechenland, Portugal, Spanien und Irland.

Die Länder wiederum, welche die Kredite empfingen, hätten harte Auflagen erfüllen müssen. Die Lasten landeten einseitig bei den ärmeren Bevölkerungsschichten, erinnerte Sven Giegold. „Was dort zu einem enormen Unwohlsein geführt hat.“

Der Unmut über die aufscheinenden Probleme in Europa wächst

Viele Leute bezweifelten heute, dass es ihnen besser als früher gehe. Das ursprünglich Versprechen der EU auf eine Erhöhung des Wohlstandes bröckele, merkte der Grünen-Politiker an. Der Unmut in Europa über die aufscheinenden Probleme dort wüchsen. Und diese dürften, da zeigte Giegold sicher, bei den Europawahlen im nächsten Jahr zu entsprechenden Reaktionen führen.

Die unerträgliche Arroganz Deutschlands

Deutschland schrieb Sven Giegold ins Stammbuch. Übel sei es, wenn derjenige, der gestärkt aus einer Krise hervorgegangen ist – wie eben der einstige „kranke Mann Europas“, Deutschland – in Brüssel, in den Medien „immer noch erzählt, ihr seid blöd und wir Deutschen wissen wie es geht und ihr müsst alle nur so werden wie wir und euch mal am Riemen reißen, dann wird’s schon“.

„Diese Schäuble-Art, diese Reden im Bundestag – Sie müssen sich mal anhören, wie das etwa in Italien ankommt“, erklärte Giegold und schickte hinterher: „Dieses Besetzen von Plätzen mit Handtüchern, dass hat man uns ja noch irgendwie nachgesehen, aber diese politische Arroganz ist unerträglich.“

Europas Einfluss oft zu gering

Der Referent wies auf die derzeit schwelenden schweren Konflikte in der Welt und das Thema Frieden hin: „Wie soll ein einzelner Staat dazu beitragen, dass es etwas friedlicher zugeht auf der Welt?“ Syrien etwa sei das klassische Beispiel, was passiert, wenn Europa keinen Einfluss ausübe. Ganz andere Mächte seien da am Start gewesen. Giegold nannte Russland, Saudi-Arabien und den Iran. Diese Aufzählung stieß bei einigen Zuhörern auf Unmut: Hätten nicht in erster Linie die USA genannt werden müssen? Ein Herr wandte ein: „Das ist ein geopolitischer Krieg!“ Giegold meinte die USA erwähnt zu haben. Hatte er aber nicht.

Was also wäre zu tun?

Den Rechtspopulisten könne man nicht nur entgegentreten mit Rationalität. Man müsse zunächst einmal sagen was man an Europa habe und bisher erreicht habe im positiven Sinne. Als gutes Beispiel führte Sven Giegold „zuspitzend“ eine Million „Erasmus-Babys“ an,

dadurch, dass Studierende heute international mobil seien. Sowie vier Millionen „Erasmus-Großeltern“, wo Familien über Grenzen hinweg Bande geknüpft hätten. Giegold: „Das ist ein unglaublicher Beitrag zur Völkerverständigung, der es viel viel schwerer macht wieder aufeinander loszugehen.“ Dennoch müsse zugegeben werden, dass „Europa in vielerlei Hinsicht inperfekt ist“. Als große Errungenschaft bezeichnete Giegold die europäische Gerichtsbarkeit (Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte).

Eine europäisches Steuersystem bauen, für „dass alle ihren Beitrag leisten“ gegen Steuervermeidung und Steuerhinterziehung

Für soziale Gerechtigkeit und mehr Solidarität in Europa sorgen könnte man, so Giegold, indem man ein Steuersystem baue, „dass dafür stehe, dass alle ihren Beitrag leisten“. Denn im Moment sei es ja so, dass die EU sehr viele Möglichkeiten bietet Steuern zu vermeiden oder zu hinterziehen: „Tausend Milliarden Euro gehen uns jährlich durch die Finanzkriminalität verloren.“

Es brauche einen europäischen Mindeststeuersatz.

Sven Giegold: Eine Trennung zwischen dem Geld der Mächtigen und der demokratischen Politik herstellen!

Im 19. Jahrhundert sei es gelungen „eine relative Trennung zwischen Kirche und Staat“ zu erreichen. „Eine absolute Voraussetzung für die Demokratisierung und Rechtsstaat“, erinnerte Giegold. Nun im 21. Jahrhundert stelle „sich die Frage ob es uns gelingt eine Trennung zwischen dem Geld der Mächtigen und der demokratischen Politik herzustellen“. Und Sven Giegold überzeugt: „Wenn wir das nicht schaffen, verlieren wir als demokratische Rechtsstaaten jeden Respekt vor den Bürgerinnen und Bürgern.“

Die europäische Einigung zu verdammen, wäre ein großer Fehler, meinte der Grünen-

Zusammenfassend, fand Sven Giegold, die europäische Einigung sei eine enorme Errungenschaft. „Und jeder der sie es vorschnell wegen Unzufriedenheit über Punkte verdammt, macht aus meiner Sicht einen schweren Fehler. In Europa laufen viele Dinge schief, genauso wie in Berlin, in NRW, in Dortmund – aber dass wir das haben ist die Voraussetzung dafür, dass wir demokratische Kontrolle zurückgewinnen. Deshalb lohnt es sich darüber zu streiten welche Richtung diese EU nimmt und ob sie demokratischer, solidarischer und ökologischer wird.“

Die sich an den Vortrag anschließende Frage- und Diskussionsrunde ließ noch einmal klarwerden, wie kritisch diese EU und ihr derzeitiges Erscheinungsbild von verschiedenen Köpfen im Saale mittlerweile bedacht und gesehen wird. Von Menschen übrigens, die gewiss keine EU-Gegner, sondern vielmehr sehr unzufrieden mit dem Ist-Zustand dieser Gemeinschaft sind. Dementsprechend kontrovers verlief dann auch die Diskussion. Till Strucksberg (Attac Dortmund) ging u.a. auf die vielen Visionen ein, die Giegold geäußert hatte – „die muss man auch haben“ – und beklagte, dass erreichten Erfolge bei den Protesten gegen TTIP und CETA nun wieder im Sande verliefen. Das Investitionsschutzabkommen EU etwa mit Japan rufe so gut wie keine Resonanz hervor, obwohl nun wieder in Geheimen verhandelt werde. Strucksberg meinte, er benötige „Nachhilfe“ von Sven Giegold wie etwa die von ihm geforderte einheitliche Besteuerung in der EU erreicht werden solle – selbst wenn die Grünen oder der fortschrittliche Teil der Abgeordneten einmal die Mehrheit im EU-Parlament haben sollte -, wenn doch alle 27 EU-Staaten zustimmen müssten. Eine Zuhörerin empfand das Vorgetragene als zu negativ. Ein Herr entgegnete: „So ist der momentane Zustand halt.“

Sven Giegold nahm sich viel Zeit für die Beantwortung der komplexen Fragen aus dem Publikum, welche eine komplexe Befassung damit notwendig machte.

Die interessante Veranstaltung – getragen von der Attac-Regionalgruppe Dortmund, dem DGB Dortmund-Hellweg sowie der Evangelischen Akademie Villigst – reizte die von Auslandsgesellschaft vorgesehenen Schlusszeit reichlich aus. Referent Giegold hatte, indem er die Vorzüge des Europäischen Projekts gegen deren nicht wenige, nicht weg zu retuschierenden Fehler, standhaft und im Brustton der Überzeugung verteidigte, sozusagen einen Ritt auf der Rasierklinge gewagt. Den Gesichtern so mancher Menschen im Publikum war abzulesen, wie aus deren Äußerungen in der Diskussion und den Gesprächen nach der Veranstaltung herauszuhören war, dass man aufgewühlt, wenig überzeugt oder gar enttäuscht nachhause gehen würde. Wie lautete noch einmal das Thema des Vortrags? „Europa gerecht umsteuern“! Dagegen dürfte gewissn keiner der Anwesenden gewesen sein. Ganz im Gegenteil. Nur der Glaube an die Umsetzung dieser hehren Worte fehlt wohl Vielen. Bliebe freilich noch die Hoffnung. Die stirbt bekanntlich zuletzt.

Was Sven Giegold dazu meint, stand in der Einladung zur Veranstaltung:

„Europa braucht mutige Verteidiger und konsequente Reformen. Wir wollen in Gemeinschaftsprojekte investieren, die Europa ökologisch, sozial und wirtschaftlich nach vorne bringen. Das kann Europa leicht bezahlen, wenn wir konsequent gegen Steuerdumping und Wirtschaftskriminalität vorgehen. Dafür braucht es an wichtigen Stellen mehr Europa. Doch mehr Europa wird nur breite Unterstützung finden, wenn Europa demokratischer und sozialer wird. Dazu gilt es, die Macht einflussreicher Lobbygruppen einzuschränken und die EU insgesamt transparenter, bürgernäher und solidarischer zu machen.“

Streitgespräch: „…raus aus dem Euro?“ mit den Professoren Bontrup und Höpner in Dortmund

Prof. Dr. Heinz-J. Bontrup und Moderator Peter Rath-Sangkhakorn (v. links nach rechts); Fotos: C.-D. Stille

Prof. Dr. Heinz-J. Bontrup und Moderator Peter Rath-Sangkhakorn (v. links nach rechts); Fotos: C.-D. Stille

Die EU liegt mit schwerer Krise danieder. In der Auslandsgesellschaft NRW in Dortmund gab es am Dienstag unter dem Titel „… raus aus dem Euro? – Die Plan-B-Diskussion und die Frage nach einer sozialverträglichen Auflösung der Euro-Zone“ ein Streitgespräch mit Prof. Dr. Heinz-J. Bontrup (Diplom-Ökonom) und Prof. Dr. Martin Höpner ((Politikwissenschaftler und Germanist) statt.

Veranstalter des Streitgesprächs waren DGB, Attac und der Nachdenktreff, vertreten durch Peter Rath-Sangkhakorn.

Prof. Dr. Höpner sieht in der Belebung des früher unbeliebten Europäischen Währungssystems eine Lösung

Peter Rath-Sangkhakorn und Prof. Dr. Martin Höpner (von links nach rechts).

Peter Rath-Sangkhakorn und Prof. Dr. Martin Höpner (von links nach rechts).

Martin Höpner ging der Frage nach, ob es wohl gelingen könne, die Euro-Krise zu lösen ohne den Euro zu verlassen. Diese definierte Höpner als eine private und öffentliche Verschuldungskrise. Aus Sicht der südeuropäischen EU-Länder als Konjunktur- und Stagnations- bzw. gar Schrumpfungskrise. Wären das die einzigen Symptome der Eurokrise, dann hätten (progressive Kräfte keine Schwierigkeiten „eine stimmige Antwort zu formulieren“. Schulden würden garantiert und mithilfe transnationale Transfers könnten im Süden Investitionen finanziert werden. Dazu müsste das Europäische Parlament mehr Rechte erhalten. Vielleicht in Richtung des Mottos „Europa neu begründen“ nach den Vorstellungen des griechischen Ex-Finanzministers Yanis Varoufkakis.

Alles stelle sich jedoch viel komplexer und schlimmer dar. Und zwar in Gestalt einer Wettbewerbs- und Leistungsbilanzkrise. Eine Währungsunion funktioniere nur, „wenn sich die Teilnehmer in die Lage versetzen ihre Lohn- und Preisauftriebe zu synchronisieren.“ Ganz einfach, weil in einer Währungsunion keine nationalen Währungen existieren, die man auf- und abwerten könne. Höpner: „Diese notwendige Sychronisation hat nicht stattgefunden.“ Nominallöhne und Preise sind in Südeuropa „übergeschossen“, während der Norden der Eurozone „mit Deutschland als Speerspitze“ (Stichwort „Exportweltmeister“) gezielt dahinter zurückgeblieben ist.

Ein Dilemma: „Eine Wirtschaft wird bei fallenden Preisen nicht wachsen. Und wenn sie doch wächst, werden garantiert die Preise nicht fallen.“ Eine Lösung könnte die Verhandlung der Euroländer unter Einbeziehung der Europäischen Zentralbank (EZB) in Brüssel eines „transnationalen Pakts“, eines „imaginären Sozialpakts“, sein. Die Nord- könnten den Südländern Transfers und Investitionshilfen gewähren.

Niemand müsste den Euro verlassen. Eine Verwirklichung steht nicht erwarten. Die EZB ist für Höpner nicht das Problem. Vielmehr ist es Deutschlands „radikalisierte Überexportorientierung“. Eine Inflationierung Deutschlands sei jedoch nicht einmal mit Gewerkschaften wie der IG Metall zu machen. Was im Gegenzug bedeute, dass Deutschland seine europäischen Partner mit diesem Problem alleine lasse. Wie die sogenannten Institutionen mit Griechenland umspringen, dass sei ein „beispielloses zynisches Experiment“ mit den Folgen Verarmung, Deindustrialisierung, Entdemokratisierung und Zerstörung von Tarifautonomie. Damit müsse Schluss sein. Höpner, bei der Einführung des Euro noch enthusiastischer Befürworter des Euro, heute: „Die Einführung des Euro war eine grausige Fehlentscheidung“. Ein besser auf Europa passendes, flexibles Währungsregime favorisiert Höpner. Die Finanzmärkten müsste außen vor bleiben. Das aber werde „nie mit dem merkantilistischen Deutschland in dieser Währungsunion klappen“, meint Höpner. Er zieht das einst unbeliebte Europäische Währungssystem (EWS) – aktiv zwischen 1979 und 1998 – für heute als eine Lösung in Betracht.

Prof. Heinz-J. Bontrup: Endlich mit der verfehlten Austeritäts-“ und neoliberalen Wirtschaftspolitik brechen

Für Heinz-J. Bontrup ist der Euro eine Erfolgsgeschichte. Dass der eine Weichwährung würde, hätten Viele befürchtet. Es sei nicht eingetreten: „Der Euro ist stabil“. Bontrup gefallen allerdings die enormen deutschen Exportüberschüsse ebenfalls nicht. Dass es jedoch so sei, liegt für ihn „an der deutschen wirtschaftlichen Performance“. „Wir sind eben so gut und so stark“. Bontrup zeigte sich froh darüber, dass wir nun einmal kein Griechenland sind. Für ihn hängt das mit der menschlichen Arbeit zusammen: „Da ist der deutsche Michel nun einmal verdammt gut.“ Eine Währungs- und Eurokrise gibt es für ihn nicht. Jedoch eine „massive, tiefe europäische Wirtschaftskrise“. Die EU als Wirtschaft befände sich „in der Tat in Auflösung und im Verfall“. Die Ursache läge in dem Kapitalismus immanenten widersprüchlichen System zwischen Kapital und Arbeit sowie auch innerhalb der Klassen.

Neoliberale Politik habe „Riesenverwerfungen“ in der Gesellschaft gezeitigt. Die wahre Ursache für die Krise in der EU sieht Bontrup in der verfehlten neoliberalen Wirtschaftspolitik. Von Beginn des Euro an sei es bis dato nicht gelungen die tiefe Dichotomie zwischen Geld- und Fiskalpolitik aufzuheben. Mit der „unsäglichen Austeritäts-“ und neoliberalen Wirtschaftspolitik müsse gebrochen werden. Dass das Schuldner-Gläubiger-Verhältnis aus den Fugen gekommen sei – darin stimmte er mit seinem Kollegen Höpner überein. Heinz Bontrup kritisierte die nicht demokratisch legitimierte EU-Kommission. Die fahre eine Politik, welche den EU-Verfall beschleunigt. Alternativen hingegen gebe es immer. Nötig sind seiner Meinung nach im Sinne eines „Linkskeynesianismus“ eine expansive Lohnpolitik, eine Arbeitszeitverkürzung und „ein gezielter Kapitalschnitt bei den Reichen und Vermögenden“. Des Weiteren fordert Heinz Bontrup eine Demokratisierung der Wirtschaft. Die Rückkehr zu nationalen Währungen hält Bontrup für katastrophal. Ohnehin würde wieder D-Mark dominieren. Schwere Verwerfungen wären die Folge.

Streit und kluge Fragen aus dem Publikum

Im Anschluss an die Eingangsbeiträge entspann sich eine rege Diskussion mit dem Publikum, das kluge Fragen zu stellen wusste. Und die Professoren gerieten in einigen Punkten tatsächlich in Streit. So zweifelte Dr. Höpner Heinz-J. Bontrups Narrativ, wonach der deutsche Leistungsbilanzüberschuss daherkomme, weil deutsche Arbeiter tüchtiger seien als ihre europäischen Kollegen, heftig an. Bontrup ließ der Kritik ein dreifaches trotziges „Doch!“ folgen. Die enormen Ungleichgewichte zwischen den Ländern, konterte Martin Höpner wiederum, schüfen enorme Probleme. Kontrovers vorgetragene Argumente flogen hin und her. Bontrup mahnte ein solidarisches anstelle eines „neoliberal verkommenen Europa“ an. Höpke ging damit d’accord.

Prof. Bontrup: „Eine Euro-Auflösung ist keine Lösung.“ Sie brächte allein schon für Griechenland, das Europa eiskalt habe über die Klinge springen lassen, riesige Aufwendungen wegen der Ablösung der Euro-Verbindlichkeiten (die letztlich nicht zu stemmen sein würden) mit sich und zögen weitere schmerzhafte Entbehrungen mit sich. Große Sorgen bereitet Bontrup die derzeit destabile Verfassung Europas. Auch politisch – vor dem Hintergrund der Flüchtlingstragödie – bis in die einzelnen Länder seien enorme rechtsradikale Verwerfungen vorauszusehen. Die AfD ist für ihn nur eine Erscheinung in diesem Zusammenhang. Wer glaube die Rechtspopulisten zögen 2017 nicht in den Bundestag ein, so Heinz Bontrup, sei naiv. Eine Euro-Auflösung dürfte die Lage zusätzlich politisch destabilisieren, von der rechte Kräfte wohl profitieren würden. „Das wäre das endgültige politische Ende Europas.“

Heinz-J. Bontrup klagte über eine in weiten Teilen schmutzig und borniert zu nennende Politik und das grausame ökonomischen Nichtwissen vieler „sogenannter“ Volksvertreter. Die glaubten tatsächlich daran, dass ein staatlicher Haushalt einem privaten gleichzusetzen sei. Schuldenbremse im Grundgesetz und schwarze Null seien fürchterliche Ergebnisse dessen.

Fazit

Ein spannendes Streitgespräch, gar nicht arg professoraler Art war das zwischen Heinz-J. Bontrup und Martin Höpke in der Auslandsgesellschaft ausgetragene. Und wie vom Publikum angemerkt waren die beiden sich zivilisiert die Klingen kreuzenden Herren auf dem Podium im Kern gar nicht einmal so weit auseinander. Festgestellt wurde ebenso deutlich: Die von Vielen gewünschten einfachen Lösungen gibt es nicht. Der Vorhang zu und alle Fragen offen, also? Nicht ganz, so der Eindruck. Aber Aufmerken, dass brachten die Professoren herüber, ist dringend angesagt. Vielleicht steht es für Europa schon nach zwölf? Wir haben sinngemäß mit Nietzsche gesprochen schon zu lange in den Abgrund hineingeschaut. Längst schaut er in uns zurück. Raus aus dem Euro ist aber gewiss keine Lösung.

Dortmund: „Raus aus dem Euro?“ – Ein Streitgespräch mit den Professoren Heinz-J. Bontrup und Martin Höpner

In Dortmund wird heute um den Euro gestritten. Foto: C.-D. Stille

In Dortmund wird heute um den Euro gestritten. Foto: C.-D. Stille

Die EU steckt in einer schweren Krise. Ein Scheitern des Europäischen Projektes ist durchaus denkbar. Und scheitert die EU, mahnte des Öfteren u.a. der Ökonom Heiner Flassbeck, könnte einige Zeit später auch der Euro folgen und sozusagen den Bach hinunter gehen. Zur Euro-Debatte findet heute in der Auslandsgesellschaft NRW in Dortmund unter dem Titel „Raus aus dem Euro?“ ein Streitgespräch mit Prof. Dr. Heinz-J. Bontrup und Prof. Dr. Martin Höpner statt.

Die Veranstalter es Streitgesprächs, DGB, Attac und Nachdenktreff, verlautbarten dazu (weitere Informationen auch auf dortmund initiativ):

„Die EU hat sich gerne als Friedensprojekt der europäischen Völker dargestellt. Die Hoffnungen in die EU und den Euro waren groß. Wurden in der Nachkriegszeit in den Nationalstaaten Demokratie und Sozialstaat auf- und ausgebaut, so baut das Euro-System diese Schritt für Schritt ab. Immer deutlicher entwickeln sich in der EU zwei Pole, die unübersehbare Zeichen einer Desintegration zwischen Zentrum und Peripherie sind. Die EU ist zu einem Synonym für Zwietracht und Verfall geworden.

Professor Heinz-J. Bontrup während eines früheren Vortrags an der Auslandsgesellschaft in Dortmund; Foto: Claus-D. Stille

Professor Heinz-J. Bontrup während eines früheren Vortrags an der Auslandsgesellschaft in Dortmund; Foto: Claus-D. Stille

Auf dem Hintergrund der Griechenland-Krise wurde die Frage eines „Grexit“ aufgeworfen und die Frage gestellt, ob „ein linke Euro“ möglich ist. Inzwischen sind Initiativen wie Plan-B (Lafontaine/Mélenchon) und DiEM 25 (Yanis Varoufakis) oder „Euroexit“ gegen Sozialabbau entstanden. Die vor allem von Gewerkschaftern getragene Initiative „Europa neu begründen“ plant in diesem Jahr eine größere Konferenz.

Mit einem Streitgespräch zwischen Prof. Dr. Heinz-J. Bontrup (Sprecher der Memorandum-Gruppe) und Prof. Dr. Martin Höpner wollen wir Sachinformationen und Orientierungshilfen in der aktuellen Debatte um die Zukunft des Euro geben.“

Das dürfte ein sehr interessanter Abend in Dortmund werden, an dem sicher auch kontrovers diskutiert werden wird. Interessenten erreichen den Veranstaltungsort verkehrsgünstig mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder auch mit dem Auto

Die Veranstaltung soll von 19:00 bis 21:30 Uhr dauern. Ort: Auslandsgesellschaft NRW Dortmund, Steinstr. 48 (Nordausgang Hauptbahnhof, neben Cinestar, dort auch Parkplätze im Parkhaus). Eintritt frei!

Flassbeck_-_66_starke_Thesen_zum_Euro__zur_Wirtschaftspolitik_und_zum_deutschen_WesenHat sich auch Gedanken um den Euro gemacht: Heiner Flassbeck.

Dortmund: Cécile Rimboud von Gauche revolutionnaire über den Front National und die politische Situation in Frankreich

Cécile Rimboud (Bildmitte) referierte in Dortmund über den Front National und die aktuelle politische Situation in Frankreich; Fotos (4): Claus Stille

Cécile Rimboud (Bildmitte) referierte in Dortmund über den Front National und die aktuelle politische Situation in Frankreich; Fotos (4): Claus Stille

Der Ökonom Heiner Flassbeck lebt in Frankreich. Einst war er Finanzstaatsekretär unter Minister Oskar Lafontaine, dann Chefökonom der UNCTAD. In Vorträgen und in Presseveröffentlichungen warnte er mehrfach vor der nicht unrealistischen Gefahr, die Chefin des Front National, Marine Le Pen, könnte aus den Präsidentschaftswahlen Frankreichs 2017 als Siegerin hervorgehen (dazu hier und hier). Am vergangenen Freitag war in Dortmund aus berufenem Mund etwas über das Wesen des rechtspopulistischen Front National zu erfahren. Die Dortmunder Linksjugend [’solid] hatte nämlich Cécile Rimbaud, die  Frankreich aktiv in der Gauche révolutionnaire arbeitet, eingeladen.

Der Front National: früher offen faschistisch – heute eher rechtspopulistisch

Die seit zehn Jahren in Paris aktive Cécile Rimboud (26)  berichtete über den Kampf gegen die rechtspopulistische Partei Front National und die aktuelle Situation in Frankreich.
Die Dortmunder Linksjugend dazu im Vorfeld:

„Der Front National (FN) gehört seit den 1980ern zu den stärksten Rechtsparteien Westeuropas. Die früher offen faschistische Partei tritt heute eher rechtspopulistisch auf und hat damit große Wahlerfolge. Bei den Regionalwahlen Ende 2015 wählten 27% FN. Die Partei profitiert von antimuslimischer Stimmung und treibt diese weiter an. Die herrschenden Parteien schaffen es nicht eine Alternative für Mehrheit der Bevölkerung zu sein. Sie betreiben eine Armutspolitik und beteiligen sich selber am Abbau demokratischer Rechte.
Wir wollen diskutieren, welche Lehren wir aus den Erfahrungen in Frankreich für die Auseinandersetzung mit der AfD ziehen können.“

Auf der sehr gut besuchten Veranstaltung im Büro der Linkspartei in der Dortmunder Schwanenstraße wurde seitens der Versammlungsleiterin vom Podium aus zunächst eingeschätzt, dass die AfD momentan – entgegen auch mancher Meinung in der LINKEn – nicht als faschistisch, wohl aber als „rechtspopulistisch mit in Teilen faschistischen Zügen“ einschätzen müsste.

Cécile Rimboud: Das Programm der AfD entspricht eher der Agenda des  FN unter Jean-Marie Le Pen

Die Referentin notiert sich die Fragen der jungen Leute.

Die Referentin notiert sich die Fragen der jungen Leute.

Cécile Rimboud, die in Englisch referierte und ins Deutsche übersetzt wurde, hielt den Zeitpunkt für diese Veranstaltung für gut ausgewählt. Zumal derzeit in Europa nahezu überall rechte Kräfte einen Aufstieg erlebten. Die Aktivistin ist der Meinung, dass es zwischen dem FN, der bei den Regionalwahlen 2015 um die 27 Prozent holte und der AfD, die beim Umfragen zuletzt bei 13 Prozent lag, einen großen Unterschied gebe. Man müsse sich jedoch genau anschauen, wie die hohen Zahlen beim FN zustande gekommen seien. Der FN habe knapp 6 Millionen Stimmen geholt. Was als ein Rekordergebnis gelten kann. Schon einmal habe es in Vergangenheit solch Situation gegeben. Und man habe gemeint, der Faschismus stehe vor der Tür. Indes das trat nicht ein. Cécile Rimboud  glaube auch aktuell nicht an diesen den Eintritt dieses Falls. Schließlich sei die hoch erscheinende Zahl von 27 Prozent im Verhältnis zur Wahlbeteiligung zu betrachten. Es müsse von 15 Prozent der Wahlberechtigten ausgegangen werden. Die FN-Wählerschaft bestehe vorwiegend aus Bürgerinnen und Bürgern vom Land. Unter Jugendlichen und Arbeitern erhalte der FN dagegen kaum Unterstützung. Im zweiten Wahlgang zu den letzten Regionalwahlen habe sich schließlich die Befürchtung, der FN könne ein oder zwei Regionen übernehmen nicht bestätigt. Wenngleich die Partei nun einige Regionalräte stelle.

Viele Menschen seien im Gegensatz zum ersten Wahlgang beim zweiten zahlreicher an die Urnen geströmt, um den FN zu verhindern. Zustrom erhalte der FN vor allem, weil er sich – seitdem Marine Le Pen Parteichefin ist – verstärkt als soziale und Kümmererpartei darstelle. Und vorgebe die Interessen von Armen und Arbeitern zu vertreten. Sowie als Antiestablishment-Partei stets gegen die Brüsseler Bürokratie wettere. Dagegen, meinte der Gast aus Paris, entspreche das Programm der AfD eher dem FN unter dem Vater von Marine, Jean-Marie Le Pen, eher dem früheren Vorsitzenden der Partei. Der FN habe sich den heutigen neoliberalen Bedingungen immer stärker angepasst. Selbst die alte Forderung, aus dem Euro wieder auszutreten und den Franc wieder einzuführen, höre man kaum noch vom FN. Vielmehr wolle Le Pen wohl sozusagen den Cameron machen und Sonderbedingungen für Paris aushandeln. Da inzwischen auch rechtskonservative Parteien auf rassistische Inhalte setzen, konzentriere sich der FN nun stärker auf soziale Fragen. Inzwischen verträten ja etwa die Gaullisten Themen, wie Grenzschließungen und die Abwehr von Migranten, die einst dem FN zuzuordnen waren. Infolgedessen greift der FN auf andere Themen zu und biete sich als Protestpartei an. Neuerdings werden sogar Fotos von ausländische aussehenden Menschen auf Plakate gedruckt, um den Eindruck von Fremdenfeindlichkeit vergessen zu machen.

Der Front National muss demaskiert werden: In Wahrheit steht er auf der Seite der Kapitalisten

„Der FN bleibt vom Kern her reaktionär“, führte die Referentin weiter aus. Etwa beim letzten Bahnstreik heuchelte die Partei Verständnis für die Lohnforderungen der SNCF-Beschäftigten, erklärte jedoch das Streiken quasi für böse. Wie passe das zusammen? Diese Diskrepanzen vermeintlichem Anspruch und wirklichem Tun strenge sich Gauche révolutionnaire an, gegenüber der Öffentlichkeit, sichtbar zu machen. Der FN müsse demaskiert werden. In Wahrheit stehe dieser nämlich auf der Seite der Kapitalisten. Hinter dessen sozialen Forderungen stehe im Grunde außer purer Propaganda nichts. Der FN spricht gegen das Streikrecht und hat nicht nur für den von Präsident Hollande verhängten Ausnahmezustand gestimmt, sondern unterstützt gar Forderungen diesen für dauerhaft in der Verfassung zu verankern. Werden FN-Leute in Stadträte gewählt, bedienten diese zuerst ihr eigenes Klientel. Und erhöhten die Gehälter ihrer Freunde im Verwaltungsapparat. Auf kommunaler Ebene betreibt der FN auch Sozialabbau. Das einst kostenlose Kantinenessen einer Gemeinde wurde kostenpflichtig gemacht, die kostenlose Verpflegung armer Kinder abgeschafft.

In einer anderen Stadt ließ der FN-Bürgermeister Hightech-Überwachungskameras im Rathaues installieren, die sogar den Inhalt der von Mitarbeitern geschriebenen SMS oder Whatsapp-Nachrichten erfassen könnten.

Die soziale Situation in Frankreich macht die Stärke des Front National aus

Es kamen überdies jüngst Skandale, die FN-Führung betreffend, heraus. Marine Le Pen etwa hat Fehler bei ihrer Steuererklärung gemacht. Nun muss sie 355 000 Euro Strafe zahlen. Als Aktivisten müssten sie Wählerinnen und Wählern immer wieder geduldig erklären, so der Gast aus Paris, dass der FN deren Interessen tatsächlich überhaupt nicht vertrete. Die anderen Parteien versäumten das nämlich. Die verpassten der Partei im Grunde nur das Prädikat „böse“. Die soziale Situation in Frankreich mache die Stärke des Front National aus. Die Sozialistische Partei und Präsident Hollande hätten u.a. mit Kürzungen im Öffentlichen Dienst und Einschränkungen beim Arbeitslosengeld sowie dem Propagieren von Rassismus zu Verschlechterungen beigetragen. Cécile Rimboud: „Menschen werden gegeneinander ausgespielt. Eine große relevante Opposition, die dagegen antritt, gibt es nicht. Das ist schrecklich.“

Gauche révolutionnäire ruft zur Gründung einer neuen linken Partei auf

Das Infoblatt des Gauche revolutionnaire.

Das Infoblatt des Gauche revolutionnaire.

Die Front Le Gauche (Linksfront) hatte bereits vor dem ersten Wahlgang erklärt in der zweiten Runde die Sozialisten (PS), die Regierungspartei, zu unterstützen. Cécile Rimboud  zeigte sich davon überzeugt, dass, wenn es in Frankreich eine wirklich starke linke Kraft gäbe, der Front National viel weniger an Zulauf erhielte.

Aus dem Grund ruft Gauche révolutionnaire zur Gründung einer neuen linken Partei auf. Die müsse sich gegen die zunehmende Spaltung der Gesellschaft und gegen Rassismus engagieren. Der FN wende sich immer, wenn es Widerstand gegen Sozialabbau aufflamme, letztlich gegen die Interessen der davon Betroffenen.

Massenbewegung gegen geplante Verschlechterungen im Arbeitsrecht könnte den AfN schwächen

Zum Schlüssel, den FN zu schwächen, könne der Kampf der gegen ein Gesetzesvorhaben der Regierung werden, das Arbeitsrecht sehr beschneiden soll, meint Cécile Rimboud. Dagegen läuft momentan eine Massenbewegung in Frankreich, die mit einer Online-Petition begonnen habe, welche schon 650 000  Menschen unterschrieben haben. Der AfN habe nämlich dazu bis jetzt keine Entgegnung gefunden.

Die mögliche neue linke Partei hätte eine demokratische sozialistische Gesellschaft ins Werk zu setzen. Mit dem Ziel, die Spaltung innerhalb der Bevölkerung zu überwinde. Eine gerechtere Gesellschaft, in der kein Oben und Unten mehr existiert.

Kluge Fragen kluger junger Leute im Anschluss

Auf dem Vortrag folgte eine Fragerunde. Von den anwesenden klugen und gut informierten jungen Leuten sind sehr kluge Fragen gestellt worden. Eine der Antworten aus dem Mund des Gastes aus Frankreich darauf: „Immer wenn der FN stark in Umfragen war, dann in Zeiten von verstärkten Klassenkämpfen.“ Ergo: Nehmen die Klassenkämpfe zu, schwächt dies den FN. Gehen die Klassenkämpfe zurück, schnellen die Werte der Rechtspopulisten wieder in die Höhe. Die Kommunisten (PCF), beklagte der Gast, hätten sich oft an Bündnissen beteiligt, dann allerdings die Oppositionspolitik zugunsten von Regierungsbeteiligungen aufgegeben. Das habe auch dem FN dazu verholfen, sich als einzige Oppositionspartei zu gerieren. Weil habe glaubhaft gemacht werden können, dass man sich nicht an irgendwelchen Hinterzimmergesprächen beteilige.

Ob es zur Bildung von linken Bündnissen komme, hänge davon ab, ob die ins Auge gefassten Arbeitsrechtsverschärfungen durchkämen.

Cécile Rimboud: FN hat keine Chance bei den Präsidentschaftswahlen 2017.

Marine Le Pen räumt Rimboud  keine Chance bei den Präsidentschaftswahlen 2017: „Der FN schafft das nicht.“ Es sei denn, es komme zu großen Klassenauseinandersetzungen. Und die Gewerkschaften würden extrem geschwächt. Auch müsse bedacht werden, dass alle Umfragen vor der letzten Regionalwahl mit vorhergesagten hohen FN-Werten am Ende nur in die Irre geführt hätten.

Das Bild, so antwortete die Referentin auf eine weitere Frage, des FN habe sich nur gewandelt, weil er fast alles tue, um Wahlen zu gewinnen. Dafür ist ihm sogar ein Migrant auf dem Wahlplakat gerade gut genug.

Die Lage in den Banlieues und die Angst vor islamistischen Terrorismus oder den Einfluss dessen auf Proteste und Demonstrationen wollte Cécile Rimboud nicht dramatisieren.

Einer der jungen Teilnehmer der Veranstaltung beklagte die europaweite Schwäche linker Kräfte. Und wollte sogar deren – letztlich doch selbstverschuldeten – sinkenden politischen Einfluss auf die Gesellschaften auf lange Sicht nicht ausschließen. Gerade die vor dem Hintergrund der Fluchtbewegungen in unsere Länder und den in diesem Kontext nun aufbrechenden Diskussionen, wollte ein weiterer junger Mann als Momentum sehen. Das Linke jetzt unbedingt nutzen sollten, um an Einfluss zu gewinnen, um Veränderungen anzustoßen. Gewerkschaften sollten mit ins Boot geholt und europäisch gedacht werden. Werde die AfD stark und komme gar in Regierungen, müssten Gewerkschaften und Linke möglicherweise mit einer Unterdrückung rechnen, befürchtete ein anderer Diskussionsteilnehmer.

Aufruf zum Finale der interessanten Veranstaltung: „Werdet politisch aktiv, wenn ihr es nicht schon seid!“

Der "Werbeblock" am Ende der Veranstaltung für kommende Aktionen in Dortmund.

Der „Werbeblock“ am Ende der Veranstaltung für kommende Aktionen in Dortmund.

„Wenn man als linke Partei die Möglichkeit hat Leute auf die Straße zu bringen, dass aber nicht tut, sei das kriminell , aber wenn man aber eine rechte Partei hat, die Leute auf die Straße bringt und man nicht dagegen auf die Straße geht, dann ist das noch krimineller“, merkte Cécile Rimboud  an und rief diejenigen auf die es noch nicht sind: „Werdet politische aktiv!“ Den Gästen der interessanten Veranstaltung in Dortmund brauchte man das gewiss nicht zu sagen. Aber Vielen in unserer Gesellschaft muss man das zurufen. Und vielleicht noch hinterdrein: Bleibt nicht länger Schlafschafe oder Sofademokraten! Man könnte es auch so sagen: Wer nicht handelt, wird behandelt.“ Der Ausspruch stammt zwar von Rainer Barzel, einem einst strammen CDU-Mann und als Oppositionsführer bissig-bösen Widersachers des sozialdemokratischen Bundeskanzlers Willy Brandts, dessen Sachbuch so heißt. Aber ist er deshalb gleich weniger wahr?

Um noch einmal auf den eingangs erwähnten Heiner Flassbeck zurückzukommen: Sicherlich wäre auch der froh, wenn Cécile Rimbouds Einschätzung 2017 einträfe und der FN und Marine Le Pen bei den Präsidentschaftswahlen 2017 keine Chance hätten. Doch beim derzeitigen bedenklichen und von Tag zu Tag immer bedenklicher werdendem Zustand der EU und dem Fall der immer so hoch gehaltenen europäischen Werte wird es einem doch mulmig. Was ist, wenn die EU zerbricht und etwas später – wie Heiner Flassbeck befürchtet auch noch der Euro fällt? Rechte und nationalistische Bewegungen würden noch rapider Zulauf erhalten fröhliche Urständ feiern!

Aber wir wollen keine Schwarzmalerei betreiben. Wir Europäer (und Demokraten!) sollten tun – zu was Cécile Rimboud in Dortmund zum Abschied aufrief: Politisch aktiv werden. Wer nicht kämpft, hat bekanntlich schon verloren.

Buchtipp: Albert F. Reiterer Denkwende – Zur „Schlacht um den Euro“, erschienen bei pad

Wie geht es weiter?, Photo: I-vista via Pixelio.de

Wie geht es weiter?, Photo: I-vista via Pixelio.de

Das „Griechenland-Problem“ lenkt ab. Soll ablenken? Von einer Misere der Europäischen Union überhaupt. Es ist kein Alarmismus, zu behaupten: Die EU befindet sich in einer schweren Krise. Sie kann schon bald so scheitern, dass das eigentlich großartige europäische Projekt dahin ist. Der Euro ebenso. Beides hängt zusammen. Gewissermaßen ist der Euro der eigentliche Sargnagel, am Projekt EU. EWG (Europäische Wirtschaftsgemeinschaft; der Verf.) war m.E. der ehrlichere Begriff. EU tönt unverdächtiger. Klar, wir Europäer haben die Vorteile von Freizügigkeit und Reisefreiheit ohne Grenzkontrollen. Nicht zu verachten. Wohl vermutlich eher ein süße Dreingabe, gedacht für die Masse der Menschen, damit sie alles andere ohne großes Murren schlucken. Mehr denn je dient und nützt die EU aber der Wirtschaft. Das walte Hugo!

Albert F. Reiterer: „Der Euro ist ein höchst effektives Instrument der Gesellschaftsspaltung.“

Anton F. Reiterer erinnert uns eingangs seiner aktuellen Veröffentlichung „Denkwende – Zur Schlacht um den Euro“ daran, dass alles so gedacht gewesen war: „Euro und WU (Währungsunion; der Autor) wurden als Automatismus einer neoliberalen Zentrum-Peripherie-Struktur in Europa entworfen. Das sollte ständige politische Eingriff zu Gunsten des Großkapitals und der Finanz-Oligarchie überflüssig machen. Alle, die lesen können und wollen, können dies in der Debatte seit Anfang der 1970er nach verfolgen, im Werner- und Tindemans-Plan, im Delors-Bericht, auch im gescheiterten EWS der Prägung von Helmut Schmidt und V. Giscard d‘ Estaing. Der Kern ist: Nicht mehr Abwertungen mit ihrer vergleichsweise schonenden Verteilung der Lasten sollen zum Ausgleich von Produktivitäts-Differenzen zwischen den Starken und den Schwachen eingesetzt werden. An ihre Stelle soll die ‚Innere Abwertung‘ treten, der sinkende Lebensstandart ausschließlich für die Arbeitenden.“ (S. 5/6)

Es gab bekanntlich Experten, die rechtzeitig vor den Folgen der Einführung des Euro warnten, koordinierte man nicht gleichzeitig auch die Sozial- ,Finanz- und Steuerpolitiken der Euro-Länder. Man könnte sagen, die Todesursache trug der Euro sozusagen bereits bei seiner Geburt in seinen Genen.

Reiterer macht den Euro in seiner Wirkung kenntlich: „Der Euro ist ein höchst effektives Instrument der Gesellschaftsspaltung.“

Mit dem Euro in der Falle

Reiterer schreibt von einer „Euro-Falle“. Und in der säßen nicht nur Länder wie Griechenland (Tsipras scheiterte u.a. an ihr), sondern auch wir „in den Ländern des Zentrums, zumindest, soweit wir nicht der Oberschicht und den wenigen Gewinnern aus der Politik des Imperiums angehören“. Reiterer erinnert süffisant daran, dass Deutschland ironischerweise „zu seinem Glück gezwungen werden“ musste. Den Kohl wollte ja zunächst die Währungsunion gar nicht. Doch der französische Präsident Mitterand „stellte Kohl vor die Wahl: deutsche Einigung und WU, oder keines von beiden.“ Kohl schluckte die vermeintliche Kröte. Vermeintlich deshalb, weil Deutschland heute der Hauptprofiteur der WU ist. Frankreich schadet sie eher. Es konnte eine Struktur entstehen, „welche es der deutschen Politik ermöglicht, ihren Willen brutal durchzusetzen.“ (S. 11) Nichts anderes erleben wir im Umgang mit Griechenland. Was ein Volker Kauder (CDU) forderte ist längst bittere Realität: Es wird Deutsch gesprochen in Europa.

Zum Inhalt

Reiterer beschäftigt sich im Kapitel 2 „Denkumkehr – Die „gute“ EU, der Euro und die Folgen auch kritisch mit dem Buch „Nur Deutschland kann den Euro retten. Der letzte Akt beginnt“ von Heiner Flassbeck und Costas Lapavitsas sowie einer Vorbemerkung darin, geschrieben von Ex-Finanzminister Oskar Lafontaine. Sowie mit „Die Konservativen, Sozialdemokraten und Piketty / „Refeudalisierung“? Finanzialisierung: Die Rückkehr des Kapitals – Aus Anlass einer Arbeiter von Piketty/Zucman.

Überhaupt die Sozialdemokraten: Sie tragen nicht wenig Schuld an der derzeitigen Misere. Und da darf man dann auch nicht von den Gewerkschaften schweigen. Gerade in Deutschland, wo sie traditionell eng mit der SPD verbunden sind. Was die Crux ist. In der Zeit Der Schröder-Fischer-Regierung hatten sie bekanntlich deshalb Beißhemmung und verkauften viel von ihrer Seele. Professor Reiterer rät am Schluss seines Büchleins: „Die Gewerkschaften brauchen auf der einen Seite eine Partei, die allgemeinpolitisch in ihrem Interesse handelt. Aber sie dürfen sich von einer solchen Partei nicht abhängig machen, sie müssen Autonomie bewahren.“

Das europäische Volksvertretung, ein „Pseudo-Parlament“

Überhaupt zeichnet der Autor und im Unterkapitel „Und die Gewerkschaften?“

„Das Zentralproblem repräsentativer Demokratie. Das seltsame Gewand der Frage darf uns nicht darüber hinweg täuschen. Vor allem ist es das Hauptproblem der unteren Schichten in der Demokratie. Denn die Vertreter der Mittel- und Oberschichten treten nicht in eine andee Lebenswelt über, wenn sie z.B. Abgeordnete werden. Wohl aber trifft dies für die Abgeordneten zu, die selbst aus den unteren oder den Mittelschichten knapp darüber kommen. Sie werden nicht nur in eine materiell radikal veränderte Lage versetzt: Sie verdienen nu z. B. das Vierfache des mittleren Einkommens. Sie treten auch in eine Berufs- und Lebenswelt ein, die mit der ihren, bisher gewohnten, nichts mehr zu tun hat.“

Auch das Europaparlament – Albert F. Reiterer benennt es als das, was es real ist: als „Pseudo-Parlament“ – wird entsprechend beleuchtet.

Das Imperium mit Demokratiedefiziten

Die EU erscheint (neben dem US-amerikanischem) als Imperium (mit gravierenden Demokratiedefiziten): Die „wichtigste Ausprägung des nachnationalen Staates, die gegenwärtig erkennbar ist“. In diesem Brüsseler Imperium herrsche die „Allmacht des Marktes und der Finanzoligarchie“. Dass das in der Tat so ist, kann man beim griechischen Ex-Finanzminister Yanis Varoufakis – wenn er über die „Verhandlungen“ im Nachhinein Bericht erstattet. Überhaupt macht der Umgang mit Griechenland deutlich, dass sogar nicht nur von „Institutionen“, sondern auch von den mächtigen europäischen Eliten Demokratie wohl eher als störend empfunden wird.

Fraglos braucht es in Sachen Europa und Euro eine „Denkwende“. Mir sagt das Buch: Wir sollten uns von dem Griechenland-Problem nicht ablenken lassen. Zum Aufwachen sollte es uns bringen! Es ist m. E. kein Alarmismus, zu behaupten: Die EU und der Euro befinden sich in einer schweren Krise. Mir scheint ziemlich sicher: EU und Euro könnten in den nächsten Jahren zerstört und am Ende sein. Eine Neugründung der EU, die nicht nur der Wirtschaft und der Finanzoligarchie zu Vorteilen verhilft, sondern die sozial, gerecht und solidarisch mit ihren Mitgliedern ist, scheint nötig.

Tabula rasa machen

Dafür müsste jedoch erst einmal Tabula rasa gemacht werden. So lese ich es Reiterers Zeilen. In „Politische Konsequenzen“ – aus der Griechenland-Misere – (S. 58) notiert Reiterer an die Adresse der Linken: „Raus aus dem Imperium! Vielleicht sollten wir weniger erratische Marxisten sein, eher konsquente. (…) Man kann die EU nicht in ein soziales Europa verwandeln. Man muss den alten Staat zerschlagen, man muss die Eurozone zerschlagen, man muss die EU zerschlagen.“

Doch vor diesem – wohl unumgänglichen, wenn das Imperium sich nicht selbst den Garaus macht – Schritt muss freilich erst einmal die „Denkwende“ oder, wie es auf Seite 9 der Broschüre steht: eine „Denkumkehr“ erfolgen.

Dann denken Sie mal schön, liebe Leserinnen und Leser. Und lesen Sie – ich empfehle es dringend – als „Denkhilfe“ Reiterers Broschüre! Eine weitere, wieder wie gewohnt liebevoll von Peter Rath-Sanghakorn redaktionell betreute Veröffentlichung im Rahmen des für äußerst lobenswerten pad-Projektes „Ökonomisches Alphabetisierungsprogramm“. Die wachsende Anzahl dieser Veröffentlichungen leisten – jede für sich – einen nicht unerheblichen Beitrag im Sinne des von Immanuel Kantschen „Sapere aude“ .

Albert F. Reiterer: Denkwende. Zur Schlacht um den Euro. pad-Verlag, Bergkamen 2015, 76 Seiten, 5 Euro (für jede Broschüre Staffelpreis ab fünf Exemplaren 4,50 Euro, ab zehn Exemplaren 4 Euro).

Bezug: pad-Verlag, Am Schlehdorn 6, 59192 Bergkamen, E-Mail: pad-Verlag@gmx.net