Am Donnerstagnachmittag kamen anlässlich de UNO-Welttags zur Beseitigung großer Armut VertreterInnen von Dortmunder Hilfseinrichtung an den Rathaustreppen zusammen. Vertreten waren das Gast-Haus, die Kana Suppenküche, die Suppenküche Wichern und der Verein bodo e.V. Sie beteiligten sich gemeinsam an der Kundgebung vorm Dortmunder Rathaus, um auf die Situation der Wohnungslosen in Dortmund aufmerksam zu machen.

Dortmund zählt aktuell rund 1.400 Wohnungslose: Menschen, die keine eigene Wohnung haben, weil es keine bezahlbare Wohnung für sie gibt. Dazu kommen noch einige hundert Menschen, die ohne Obdach komplett auf der Straße leben. Die Stadt will die Wohnungslosenhilfe zwar weiter ausbauen, doch noch immer ist manches Zukunftsmusik. Zum Beispiel fehlen neue Unterkünfte.
Wohin im Winter? Alexandra Gehrhardt (bodo) zur aktuellen Lage
Mit dem Nahen der kalten Jahreszeit stehen viele Menschen ohne eine Wohnung auch in diesem Jahr wieder vor der Frage: Wohin im Winter?
Alexandra Gehrhardt von bodo e.V. informierte die vorm Rathaus versammelten Menschen über die aktuelle Lage. Demnach gibt derzeit in Dortmund 1.400 Wohnungslose (die im Hilfesystem überhaupt ankommen), welche sich auf dem Markt keine Wohnung besorgen können. Alexandra Gehrhardt beklagte einen starken Anstieg der Wohnungslosen. Noch vor zwei Jahren seien es weniger als die Hälfte gewesen. Zum einen läge das an der Statistik, weil seit diesem Jahr auch geflüchtete Menschen in diese einflössen. Welche nach ihrer Anerkennung eigentlich eine Wohung haben müssten, sich aber am Wohnungsmarkt nicht versorgen können. Vor zwei Jahren seien das schon fast tausend gewesen. Nichtsdestotrotz müsse festgestellt werden, dass die Gesamtzahl der Wohnungslosen auch ohne die Flüchtlinge anwachse.
Die Stadt hat ein Konzept zur Weiterentwicklung der Wohnungslosenhilfe, doch vieles davon ist „noch Zukunftsmusik
Im Jahr 2018, so Gerhardt, habe die Stadt ein Konzept über eine Weiterentwicklung der Wohnungslosenhilfe beschlossen. Demnach solle es mehr und auch neue Unterkunftsplätze geben und eine bessere Begleitung von wohnungslosen Menschen erfolgen. Lange Zeit sei ein Kritikpunkt die veraltete Männerübernachtungsstelle mit viel zu wenig Übernachtungsplätzen (sechs bis acht Männer in einem Zimmer) gewesen. Seit Anfang des Jahres gibt es nun ein neues etwas komfortableres Gebäude. Die Frauenübernachtungsstelle sei über viele Jahre hinweg „aus allen Nähten“ geplatzt. Sie soll nun im kommenden Jahr an einen neuen Standort nach Hörde umziehen und ebenfalls einige zusätzlich Plätze bekommen. Ändern solle sich auch etwas am System der Wohnungslosenhilfe. Ziel der Stadt sei es, die Menschen, die früher zum Teil Monate in den Notunterkünften verbracht hätten, in einer recht kurzen Zeit in Wohnungen gebracht werden. Die Stadt habe einen großen Pool an Notwohnungen – ungefähr 700 an der Zahl – über die sie verfügen kann. Allerdings, schränkte Alexandra Gerhrhardt ein, sei vieles davon eben „noch Zukunftsmusik“. Die neue Frauenübernachtungsstelle werde erst nächstes Jahr fertiggestellt sein. Die zwei geplanten Übernachtungsstellen, einmal für suchterkrankte Menschen und einmal für junge Erwachsene gebe es auch noch nicht. Die für Suchterkrankte soll erst 2020 fertig sein. Wie mit der für junge Erwachsene aussehe, sei überhaupt noch nicht klar. Keiner wisse, wer die betreiben soll und wie viel Plätze die haben werde.

Eigentlich, kritisierte Gerhardt, bräuchte man diese Plätze jetzt, denn der Winter stehe jetzt vor der Tür.
Außerdem bestünden in diesem städtischen Wohnungshilfesystem Ausschlüsse: „Die Angebote sind für Dortmunderinnen und Dortmunder.“ Und nicht für Menschen, welche aus einem anderen EU-Land kommen und in Deutschland keinen Leistungsanspruch haben. Auch seien in den Notunterkünften keine Hunde erlaubt. Aber oft hätten Wohnungslose, die draußen lebten, Hunde. Diese Menschen täten sich verständlicherweise schwer damit ihren Hund abzugeben. Man erhebe die Forderung, dass die Angebote so gestaltet würden, wie die Menschen sie brauchten.
Eine Studie der Fachhochschule ergab: Es gibt noch viel mehr Wohnungslose
Steffi Szczepanek und Tim Sonnenberg von der Fachhochschule Dortmund erstatteten Bericht über die wichtige, von 80 freiwilligen ihrer StudentInnen, angehende SozialarbeiterInnen, erstellten Studie vom Mai diesen Jahres. Die StudentInnen hätten es nämlich unternommen, diejenigen Wohnungslosen zu zählen, welche nicht in den Hilfeeinrichtungen bzw. dem Hilfesystem auftauchen. Zusätzlich zu diesen 1.400 Menschen seien noch einmal 600 Wohnungslose festgestellt worden. Allerdings sei abzuschätzen, dass es darüber hinaus noch wesentlich mehr seien. Tim Sonnenberg geht von einem vierstelligen Bereich aus. Kaum erreicht habe man Menschen mit Roma-Hintergrund und auch wenig Personen mit bestimmtem Migrationshintergrund aufgrund der Sprachbarriere. Die ausführenden StudentInnen, berichtete Steffi Szczepanek, haben festgestellt, dass die von ihnen befragten Wohnungslosen sehr viel zu sagen gehabt hätten.

Wohnungslosen auf Augenhöhe begegnen und ihnen Anerkennung entgegenzubringen. Tim Sonnenberg: „Das ist mehr als nur ein Schlafplatz“
Die StudentInnen seien sehr ge- und betroffen von diesem Begegnungen gewesen. Viele von denen seien inzwischen ehrenamtlich in dem Bereich tätig. Einer der größten Wünsche, die die Wohnungslosen gegenüber den StudentInnen geäußert hätten, habe der Menschenwürde gegolten. Die Menschen wollten, dass man ihnen zuhöre. Dafür hätten sie sich gegenüber den StudentInnen sehr dankbar gezeigt. Fazit von Tim Sonnenberg: Es gehe nicht darum den Menschen nur etwas zu essen zu geben. „Es geht darum sie auf Augenhöhe zu sehen und sie als Menschen wahrzunehmen. Es geht nicht darum die Leute nur zu verwalten.“ Es gehe um deren Würde. Und Anerkennung müsse ihnen entgegengebracht werden. Sonnenberg: „Das ist mehr als nur ein Schlafplatz.“
Das Gast-Haus wird auch in diesem Winter die Winternothilfe über warme Decken und Schlafdecken hinaus anzubieten versuchen
Ganz schwer sei es, so Kathrin Lauterbach vom Gast-Haus statt Bank e.V. , die Menschen im Winter in die Kälte ziehen zu lassen, wenn ihr Einrichtung schlösse. Im letzten Jahr hätten alle Dortmunder Initiativen über zehntausend Schlafsäcke verteilt. Woran man den Bedarf sehe. Würden die Schlafsäcke draußen nass, seien sie unbrauchbar. Bei Minusgraden habe man im vergangenem Jahr erstmals das Gast-Haus geöffnet. In der ersten Etage sei eine „bedingungslose Winternotübernachtung“ – auch mit Hund – angeboten worden. Toilettenbenutzung und warmes Duschen wurden ermöglicht. Im Vorhinein geäußerte Bedenken hätten sich nicht bestätigt. In diesem Jahr habe man vor die Winternothilfe über warme Getränke und Schlafdecken hinaus
abermals anzubieten.
Kathrin Lauterbach: Wir müssen auch in unserer Stadt gemeinsam über eine große Winternothilfe – wie es sie in Köln, Hamburg und Berlin gibt – nachdenken
Allerdings, regte Kathrin Lauterbach an, müsse einmal gemeinsam darüber nachgedacht werden, warum es unserer Stadt keine große Winternothilfe gibt, wie in anderen Städten. Lauterbach nannte als Beispiel Köln, Hamburg und Berlin, wo es im Winter etwa tausend Extraschlafplätze gibt. Niedrigschwellige Angebote, die einfach dazu dienten, dass Menschen bei Minusgraden nicht draußen schlafen müssen. Man wolle einfach noch einmal das Bewusstsein dafür schärfen, „dass im Winter unsere Gäste nicht gut versorgt sind“. Es gebe immer weniger Leerstand in der Stadt und kaum noch wind- und wettergeschützte Stellen, wo Wohnungslose einen trockenen Unterschlupf finden könnten. Lauterbach machte klar, dass man diesbezüglich seine Stimme erheben müsse: „Und wir sind die Stimme unserer Gäste.“

Skandalöse Zustände angesichts steigendem Reichtums in unserem Land, das sich der Menschenwürde verpflichtet hat
Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAGW) schätzt aufgrund aktueller Zahlen, dass im Jahr 2017 etwa 440.000 Menschen in Deutschland ohne Wohnung waren. Für 2019 zählt die aktuelle Wohnungsnotfallberichterstattung für NRW 44.434 wohnungslose Menschen. Das ist ein Anstieg von fast 40 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Mehr als 48.000 Menschen leben bundesweit ohne jede Unterkunft auf der Straße. Von ihnen starben im vergangenen Winter mindestens 12 in Folge von Unterkühlung.
In der Erklärung (siehe unten) von Suppenküchen und Tagestreffs in NRW zum „Welttag zur Bekämpfung großer Armut“ am 17. Oktober 2019 heißt es: „Angesichts steigendem Reichtums in unserem Land sind diese Zustände nicht nur skandalös, sondern schlichtweg unnötig, vermeidbar und in einem Land, das sich der Menschenwürde verpflichtet hat, nicht länger hinnehmbar.

Die Kundgebung am Dortmunder Rathaus musikalisch begleitet hat Peter Sturm mit gesellschaftskritischen Liedern zur Gitarre. Zum Ausklang wurde Kaffee und Kuchen angeboten. Vertreter der Jungen Borussen (JuBos) übergaben an Bernd Büscher (Kana-Suppenküche) vier Schlafsäcke als Spende. Bernd Büscher moderierte die Kundgebung. Er bedankte sich herzlich dafür, dass sich in diesem Jahr weitere Hilfeeinrichtungen beteiligten und reichlich Interessierte erschienen waren.

Erklärung von Suppenküchen und Tagestreffs in NRW zum „Welttag zur Bekämpfung großer Armut“ am 17. Oktober 2019
Die Bundesarbeitsgemeinschaft
Wohnungslosenhilfe (BAGW) schätzt aufgrund aktueller Zahlen, dass im
Jahr 2017 etwa 440.000 Menschen in Deutschland ohne Wohnung waren.
44.434 wohnungslose Menschen zählt die aktuelle
Wohnungsnotfallberichterstattung 2019 für NRW, ein Anstieg von fast
40 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Mehr als 48.000 Menschen
bundesweit leben ohne jede Unterkunft auf der Straße. Von ihnen
starben im vergangenen Winter mindestens 12 in Folge von
Unterkühlung. Angesichts steigenden Reichtums in unserem Land sind
diese Zustände nicht nur skandalös, sondern schlichtweg unnötig,
vermeidbar und in einem Land, das sich der Menschenwürde verpflichtet
hat, nicht länger hinnehmbar.
Am 17. Oktober 2019, dem von den
Vereinten Nationen ausgerufenen „Welttag zur Bekämpfung großer
Armut“, wenden wir uns deshalb mit dieser Erklärung an die
Öffentlichkeit und die politisch Verantwortlichen. Wir werden
unseren Forderungen durch Aktionen in einigen Städten
Nordrhein-Westfalens Nachdruck verleihen.
Wir Suppenküchen und
Tagestreffpunkte bilden ein „Netzwerk der Gastfreundschaft“. Wir
wollen Menschen in schweren, scheinbar ausweglosen Lebenssituationen
– ohne sie nach Herkunft, Alter, Geschlecht oder sonstigen äußeren
Merkmalen zu kategorisieren – einen Ort des respektvollen Willkommens
bieten. Bei uns bekommen Arme und Obdachlose nicht nur Essen,
Kleidung oder medizinische Versorgung, sondern fassen auch neuen Mut.
Sie erleben, dass sie in ihrer Menschenwürde wahrgenommen werden,
dass sich andere mit ihnen für eine gerechtere Welt einsetzen. In
diesem Sinne verstehen wir Initiativen uns als „Stachel im Fleisch“
der Gesellschaft. Wir wollen nicht zulassen, dass immer noch Menschen
in Not kein Dach über dem Kopf haben, dass in unseren Innenstädten
kein Platz ist für die Gesichter der Armut.
Wir fordern:
– Keine Vertreibung! Unsere
Gäste sind keine Menschen zweiter Klasse, nur weil sie arm und
obdachlos sind. Sie haben ein Recht auf Teilhabe am öffentlichen
Leben und auf den Aufenthalt auf öffentlichen Straßen und
Plätzen.
– Öffnung von geschützten, trockenen öffentlichen
Räumen bei Minustemperaturen! Eine U-Bahn-Station ist keine Wohnung,
ein Schlafsack ist kein Bett – dennoch können großräumige,
niedrigschwellige Angebote wie z.B. Bahnhöfe, Turnhallen, Kirchen
oder Wohncontainer für obdachlose Menschen in kalten Winternächten
überlebensnotwendig sein.
– Unterbringung an den Bedürfnissen
der Betroffenen ausrichten! Wer einen Schlafplatz braucht, muss einen
bekommen – ohne Ämtergänge, ohne Kostenträger. Neben bestehenden
Angeboten wie städtischen Übernachtungsstellen, Beratungs- und
Wiedereingliederungshilfen müssen erfolgreiche Ansätze wie „Housing
First!“ verstärkt entwickelt und verwirklicht werden.
–
Bezahlbaren Wohnraum schaffen! Die Anzahl der Sozialwohnungen hat
sich seit 2006 halbiert. Eine soziale Wohnungspolitik muss angesichts
explodierender Mieten in den großen Städten diesen Trend stoppen
und sich auch an den Bedürfnissen der schwächsten Mitglieder der
Gesellschaft orientieren.
unterzeichnende Initiativen:
– Herforder Mittagstisch
e.V.
-Bielefelder Tisch e.V.
-Gütersloher Suppenküche e.V.
–
Suppenküche Hagen e.V.
-Emmaus Gemeinschaft Köln e.V.
-Emmaus
Gemeinschaft Krefeld e.V.
-bodo e.V., Dortmund und Bochum
–
Suppenküche Wichern, Dortmund
-Gast-Haus statt Bank e.V.,
Dortmund
-„Gemeinden laden ein“ (Obdachlosenfrühstück),
Dortmund
-ObdachlosenKaffee St. Reinoldi, Dortmund
-Kana
– Dortmunder Suppenküche e.V.
Kommentare (1)
Wir schaffen das !!!
Im Prinzip ja, aber diese Sicht der Dinge greift zu kurz.
Die erste Furcht ist, die Flüchtlinge könnten uns wirtschaftlich überfordern. Viele Menschen haben erlebt, und erleben das noch, wie sie von der Schröder.Bande aus dem Berufsleben hinausgekickt worden sind, weil nicht genug Arbeit da ist. Nun kommen Flüchtlinge hierher und Arbeitgeber überlegen, wie die zu Dumpinglöhnen ausgebeutet werden könnten. Der Mindestlohn sei zu viel, meinen die. Dabei ist der Mindestlohn nur die Notbremse des Staates gegen die Ausbeutung der Staatsfinanzen mit den Hartz.Gesetzen. Der Mindestlohn folgte notwendigerweise auf den ersten Fehler der Wirtschaftslenkung durch die SPD. Damit wurde die interne Kaufkraft reduziert. Deutschland zahlt ca 23 Milliarden Euro an Subventionen. Wenn nun 2 oder 3 Milliarden Euro für die Flüchtlinge dazu kommen, ist das eine Subvention in die Kaufkraft, die bei einer Staatsquote von 45% schnell wieder beim obersten Kassenwärter Schäuble landen. Die Kaufkraft in D ist sowieso zu gering und schadet der Wirtschaft.
Die zweite Furcht ist, die Flüchtlinge könnten uns kulturell überfremden. Was ist das für eine Kultur, die sich nicht selbst tragen kann? Die eigene Kultur will gepflegt sein, dann ist sie selbstreferenziell und entwickelt sich auch weiter. Eine Kultur, um die ich fürchten muß, ist schon lange keine Kultur mehr, sondern hat sich in Konsumismus und Glotze aufgelöst.
Die dritte Furcht ist die Fluchtursache. Kein Mensch verläßt seine angestammte Heimat ohne Grund. Die Gründe sind vielfältig. In den islamischen Staaten selbst ist ein Grund die Auseinandersetzung mit der Herrschaft von Regierung und Religion. Einige Menschen aus der Türkei, aus Afghanistan und Syrien haben mir erzählt, daß religiöse Riten (wie das Kopftuch) schon einmal sehr viel weniger verbreitet waren. Die kulturelle Auseinandersetzung findet darum nicht zwischen den Kulturen statt, sondern im Islam selbst.