Prof. Dr. Wolfram Elsner mit interessantem Vortrag in Dortmund: China, die neue Nummer eins ist anders

Beinahe drohte sich am vergangenen Montag die Freude über den erste wieder als Präsenzveranstaltung (zusätzlich per Videostream andernorts zu verfolgen) stattfindenden Nachdenktreff (getragen von Attac Dortmund und DGB Dortmund und Umgebung) einzutrüben. Der Referent Prof. Dr. Wolfram Elsner ( Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Bremen) war zunächst sozusagen mitten der Prärie auf der Schienenstrecke geblieben bleiben. Geschlagene 45 Minuten! Der große Saal im dritten Stock der Auslandsgesellschaft in Dortmund war voll. Die Veranstaltungsleitung hatte telefonisch mit dem heiß erwarteten Referenten Kontakt aufgenommen. Immerhin funktionierte in diesem unserem immer m.E. mehr zu verfaulen drohendem Lande die Telefonverbindung! Bald schon machte folgende Nachricht die Runde im Raum: „Elsner hat einen Stellwerksschaden.“ Einige lachten auf.

Ich musste unwillkürlich an das Buch von Arno Luik „Schaden in der Oberleitung“ (Westend Verlag) denken, das ich vor einiger Zeit rezensiert hatte. Und der Gedanke ging mir durch den Kopf: In China wäre ihm das gewiss nicht passiert.

Bald darauf, Punkt akademisches Viertel (19 Uhr 15!) erscholl von draußen im Vorraum ein erleichtertes „Ahhh!“ – Der Referent war erschienen. Wie im Fluge waren Laptop wie die weitere nötige Technik startklar gemacht – und ein Wunder: Alles funktionierte auf Anhieb!

Wolfram Elsner ging vom Zug kommend sofort in medias res

Und schon legte Wolfram Elsner mit seinem hochinteressantem Vortrag los. Er hatte ihn flugs aufgrund der knapp bemessenen Zeit (schon 21 Uhr 25 ging nämlich der einzige – letzte – Zug an diesem Abend zurück nach Bremen, auf die wichtigsten Punkte beschränkt. Ohnehin ist klar, dass die Zeit einer Abendveranstaltung nur für einen kleinen Ausschnitt aus Elsner breiten Einblicken ausreicht, die er im Laufe der Jahre über und in China erworben hat. Mehrfach bot er an diesem Abend an, gerne – bei entsprechender Einladung – zu weiteren Vorträge nach Dortmund zu kommen, um die zahlreiche weiteren Punkte zu referieren.

Am Schluss des Abends gab Elsner – auf eine freundliche Bitte aus dem Publikum hin – sozusagen kurz vor Toresschluss – sogar noch einen Einblick in ein weiteres Thema im Schnelldurchgang.

Ein wahren Parforceritt legte der Referent da hin. Ein Thema interessanter als das andere. Betreffend einer staunenswerten Entwicklung der Volksrepublik China mit Rückblicken auf eine vielfach alles andere als einfache Vergangenheit dieses Landes.

Gegenbild zum allgemeinen China-Bashing

Es zu bedauern, dass großen Teilen unserer Gesellschaft dieses Bild auf China nicht vermittelt wird. Im Gegenteil! Unsere Medien (leider auch die öffentlich-rechtlichen, die wir jährlich immerhin mit über 8 Milliarden Euro finanzieren müssen), die hauptsächlich nur noch Propaganda statt Journalismus machen, vermitteln im Grunde ein fast durchweg nur negatives Bild von China. Das einer Diktatur, das eines Landes, das die Menschenrechte mit Füßen tritt, etc. Und das, obwohl – wie Elsner auch im Referat ausführte – Deutschland der Volksrepublik nicht unwesentlich zu verdanken hat, in acht Jahren zum Exportweltmeister geworden zu sein.

Die verkürzte und von Propaganda durchtränkte Berichterstattung unserer Medien verfängt aber oftmals doch hierzulande.

Ein Zuhörer der Veranstaltung – der bekannte, selbst schon dreimal als Tourist in China gewesen zu sein – befand dann auch im kurzen Frageteil des Abends, dass ihm Professor Elsners Vortrag doch ein wenig zu positiv gefärbt erscheine.

Elsner antwortete, er wolle durchaus mit seinen Arbeiten auch ein wenig provozieren. So schafft er gewissermaßen ein Gegenbild zum allgemeinen China-Bashing, dass gleichzeitig ein ergänzendes Bild chinesischer Wirklichkeit sein will. Wobei seine Bücher immer Quellen enthalten, welche glaubhaft belegten, was er schreibe. Er mache sich den Spaß reputable westliche Quellen zu nutzen und anzugeben. So wäre ihm nicht vorzuwerfen, chinesische Propaganda zu verbreiten. Und Elsner liefert wie eingangs des Vortrags versprochen Fakten, die durch besagte Quellen auch via Google zu finden sind. Elsner: „Das jeder Journalist, jeden Tageszeitung leicht könnte.“

Der Grund für das China-Bashing

Das China-Bashing des Westens, besonders seitens der USA, hat vor allem damit zu tun, wie es zum Vortrag hieß:

„China hat sich in den letzten Jahrzehnten sehr dynamisch entwickelt und ist inzwischen zu einer Weltmacht aufgestiegen, die voraussichtlich in den nächsten Jahren die USA vom ersten Platz ihrer weltweiten Vormachtstellung verdrängen wird. Werden die USA diesen Führungswechsel kampflos hinnehmen oder werden sie den Status von Taiwan als Hebel nutzen, um China in einen Krieg hineinzuziehen? Die möglichen Folgen mag man sich gar nicht ausmalen. Die gewaltige Militärpräsenz der USA und ihrer Verbündeten in der unmittelbaren Nähe Chinas ist jedenfalls hoch gefährlich. Derzeit wird systematisch am Feindbild China gewerkelt. Dazu gehört eine Propaganda, die auch die inneren Angelegenheiten Chinas nutzt, um Stimmung zu machen. Dabei wird ausgenutzt, dass viele Menschen wenig über die Kultur, die Denkweise und die Traditionen der dortigen Bevölkerung wissen. Stattdessen wird eine Sichtweise angewandt, die sich an «westlichen Werten« orientiert. Diese werden gerne als universelles Vorbild propagiert und zum Maßstab der Betrachtung fremder Länder gemacht. Eines der Themen, die bei vielen Menschen Fragen aufwerfen, ist die inzwischen weit fortgeschrittene Digitalisierung. Aus westlicher Sichtweise steht hier die Frage der Überwachung und der Menschenrechte im Vordergrund, die keineswegs nur an der Digitalisierung festgemacht wird. Sehr einseitig ist auch die weit verbreitete Annahme, China gehöre zu den weltweit übelsten Umweltverschmutzern.“

NASA: China ist grünstes Land der Erde

Dabei ist die Luft China spürbar besser geworden. Sauberkeit werde groß geschrieben. Nicht zu vergessen „lebenswerte Megacitys … neue Hochhäuser und das ‚Netzwerk der 300 grünen Städte“. Wüsten werden erfolgreich zurückgedrängt. Neue Wälder gepflanzt „Ökorevolution an allen Fronten, Bäume, Bäume, Bäume …“. Unterdessen seien schon 1,5 Milliarden Bäume gepflanzt worden. Die NASA sage: China sei aus dem Weltraum betrachtet das grünste Land der Erde. Jede Chinese jede Chinesin soll ab dem Alter von 11 Jahren jedes Jahr drei Bäume pflanzen. Das Wachsen des eigenen Baumes könne dann via Drohne gefilmt auf dem Smartphone verfolgt werden.

China möchte ein wohlhabendes, blühendes sozialistisches Land mit einer „spiritueller Zivilisation“ werden

Seit 2015/2016 sei China die Nummer eins beim Sozialprodukt. China sagt selbst, es möchte ein „bescheidenes wohlhabendes Land“ werden. Letztlich „ein wohlhabendes, blühendes sozialistisches Land“. Man wolle kein Modell des exzessiven Konsums. China spreche auch von „spiritueller Zivilisation“. Elsner erinnert das an frühere Parteiprogramme der Grünen. Fast jeder Chinese sage ihm: „Wir wollen hin zu einer ökologischen Zivilisation.

Warum der Aufstieg Chinas den Westen nervös macht

Damit räumte Wolfram Elsner im Dezember vergangenen Jahres in einem längeren und faktenreichen Artikel in junge Welt gründlich mit Vorurteilen bezüglich Chinas auf. Für Wolfram Elsner ist China aufgrund seiner zahlreichen Aufenthalte und seiner Forschungen kein fremdes Land. Er war oft in der Volksrepublik und lehrte dort an Universitäten. Ehemalige Doktoranden von ihm sind heute selbst u.a. Professoren in China. Der Aufstieg Chinas mache halt, so Wolfram Elsner, den Westen und besonders die USA nervös. Was da passiere sei nichts anderes als das, was auf einem Markt geschehe. Der Westen versuche aber, statt zu analysieren was bei einem selbst schief laufe und nachzudenken wie man es besser machen kann, China auf die eine oder andere Weise zu behindern. Man habe es hier mit einem Systemwettbewerb, den man auch als Markt bezeichnen könnte, zu tun. „Wir konkurrieren um die Köpfe und Herzen der Menschen in der Welt. Das sei nichts anderes als eine neue, alte historischen jahrtausendealte Normalität.“ Bei Henry Kissinger könne man nachlesen, das China noch 1820, bevor die Engländer eingefallen und die anderen Europäer die Chinesen ausgebeutet und drogenabhängig gemacht haben, habe China noch um 30 Prozent des Weltsozialprodukts gehabt. Heute habe es 19 Prozent. „Genauso viel wie sein Bevölkerungsanteil. Wo ist die Dramatik?“, fragt Elsner.

Einschub meinerseits: Dass besonders am Feindbild China gewerkelt wird, wie es in der Einladung zum Vortrag lautete, ist vor allem damit zu erklären, dass das Imperium USA längst auf tönernen Füßen steht. Den USA geht es niemals um Menschenrechte und Demokratie. Die USA werden des ersten Platzes ihrer weltweiten Vormachtstellung mit ziemlicher Sicherheit verlustig gehen. Daher weht der Wind! Das werden sie nicht einfach akzeptieren. Nicht umsonst haben die USA weltweit über 800 Militärstützpunkte. Dass das friedlich abgeht ist vermutlich lediglich eine vage Hoffnung. Kürzlich ließ nämlich folgende Meldung aufhorchen: „Ein Vier-Sterne-General der Luftwaffe hat in einem internen Rundbrief an seine Top-Kommandeure die Ansicht geäußert, dass es zwischen den Vereinigten Staaten und China in zwei Jahren zum Krieg kommen werde.

„Ich hoffe, ich täusche mich. Aber mein Bauchgefühl sagt mir, dass wir 2025 kämpfen werden”, heißt es wörtlich in dem Schreiben von Mike Minihan, dessen Echtheit das Pentagon bestätigt hat.“ (hier der Link)

Schon 1997 veröffentlichte John Updike seinen lesenswerten Roman „Gegen Ende der Zeit“. In der Beschreibung lesen wir auf Perlentaucher: (…) „Einiges ist auch anders als gewohnt. Das Jahr ist 2020, es gibt keine Währung „Dollar“ mehr und Federal Express hat die Rolle der Polizei übernommen. Die Vereinigten Staaten haben den Krieg gegen China verloren … Und gibt es nicht auch andere Wirklichkeiten? Ben Turnbull als Grabräuber im alten Ägypten? Als Schüler des hl. Paulus? Als irischer Mönch?“

Als ich seinerzeit den Roman las und einem Kollegen von dem Roman erzählte, zeigte er mir – der ich die damals einen Krieg der USA gegen China durchaus befürchtet und für möglich hatte – einen Vogel …

Warum China als künftige Nummer eins so erfolgreich ist beschrieb Wolfram Elsner bereits in seinem empfehlenswerten Buch „Das chinesische Jahrhundert. Die neue Nummer eins ist anders“. Hier meine Rezension dazu.

Mit China geht es auf vielen Gebieten aufwärts

China, Elsner sein inzwischen unter den den Top 3 beim Glücksempfinden der Menschen. Es finde ein Umverteilen von oben nach unten statt. Gegen Korruption und Unternehmens-, Finanz- und der allgemeinen Kriminalität werde vorgegangen. Wer sich hat sich etwas zu schulden hat kommen lassen, kann mit Flugverbot bzw. einem Ausschluss von der Nutzung der ersten Klasse in Zügen sanktioniert werden.

Auch das rowdyhafte Verhalten vieler chinesischen Autofahrer im Straßenverkehr habe man mittels des Sozialkreditpunktesystems (chinesisch übersetzt „Vertrauenssysteme“ in den Griff bekommen. Übrigens gibt es diese Systeme nur punktuell in China – nicht im gesamten Land. Chinesen haben die Auflage ihre alten Eltern (60+) mindestens einmal im Jahr zu besuchen.

Das allgemeine Vertrauen und dass Vertrauen in den Staat, in die Kommunistische Partei sowie das Vertrauen in die Gewerkschaften und in die Firmen, sagte Elsner, sei sehr stark gewachsen. Etwa dem Gegenüber sollen nach US-Umfragen zufolge 80 Prozent (u.a Edelman-Trust-Barometer) der Menschen vertrauen. Tendenz steigend. In den USA: 33 Prozent – Tendenz fallend. In Deutschland seien es 40 Prozent, absteigend.

Selbst eine neue Tierethik gibt es. Hunde zu töten, das gehe gar nicht. Es heiße: „Hunde sind Partner des Menschen.“

Auch gebe es Kampagnen um den Essensabfall zu verringern.

Chinas Experimentismus

Und, wie Elsner etwa von Ingenieuren von Siemens gesagt bekam, käme man in China zuweilen mit eigenen typisch deutschen Plänen an, die dann vor Ort nicht funktionierten. Dann kämen selbst Arbeiter und böten Möglichkeiten an, anders zu verfahren – und plötzlich liefe alles. Die Chinesen stoppten halt Verfahren, die nicht funktionieren und dächte sich etwas anderes aus. Eine Kultur, die vor Veränderungen nicht zurückscheuten. Es gebe sozusagen einen Experimentismus. Alles stehe halt ständig auf den Prüfstand.

Der Westen scheitert immer mehr mit seiner Überheblichkeit

Wolfram Elsner befand, dass der Westen immer mehr mit seiner Überheblichkeit scheitere, wenn er meine (besonders ja auch in der BRD verbreitet): Unsere Werte sind die richtigen. „Wir“ sind die Richtigen, denke man. Und in diesem Sinne haue man anderen Staaten – der Welt – diese längst fragwürdig gewordenen Werte auf die Rübe. Elsner: „Nur die Welt will es nicht mehr.“

Die besten Innovationen kommen zunehmend aus China

Zum Schluss des pickepacke komprimiert hoch interessante Informationen vermittelt habenden – keine Sekunde langweiligen – Referats beantwortete Professor Elsner noch einige Fragen aus dem Publikum. Elsner unterstrich noch einmal: die besten Innovationen kämen mittlerweile hauptsächlich aus China. Peking werde – sei eine Antwort auf eine Frage – auch bald nicht mehr von der Chipproduktion in Taiwan abhängen, meinte Elsner. Auch fänden bald Wahlen in Taiwan statt. Eine chinafreundliche Partei könne gewinnen, wenn nicht die USA – die momentan zunächst verbal in der Taiwan-Frage aufrüsteten – dies vereitelten. Elsner meinte, eine Mehrheit der taiwanesischen Bevölkerung sei durchaus mit dem Status quo zufrieden.

Nach der Beantwortung der Frage packte der Referent flugs seine sieben Sachen zu packen, zum Glück nahen Hauptbahnhof zu streben, dann noch den letzten Zug Richtung Bremen zu erwischen.

Fazit: China, die neue Nummer eins ist anders

Die Zuhörerinnen und Zuhörer erfuhren viel Wissenswertes über die Volksrepublik China. Wissenswertes, dass uns die journalistisch heruntergekommenen Medien unseres immer mehr herunterkommenden Landes zumeist verschweigen und durch eine immer gleiche Propaganda ersetzen, damit möglichst ein Negativbild Chinas in unseren Köpfen erhalten bleibt bzw. abermals neue Nahrung erhält.

Was das Publikum mitnahm: China, die neue Nummer eins ist anders – wie es bereits in Elsners Buch „Das chinesische Jahrhundert“ im zweitem Teil des Titels heißt. Westliche Maßstäbe an China anzusetzen, das läuft zunehmend ins Leere.

Einem Zuhörer war das von Elsner gezeichnete China-Bild zu positiv. Wobei er den Vortrag jedoch gut fand.

Viele Fragen mussten zwangsläufig offen bleiben. Antworten kann man seinen letzten Buchveröffentlichungen in den Verlagen Westend und Papy Rossa entnehmen.

Zur Person

Wolfram Elsner: Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Bremen; 2012-2014 und 2014-2016 Präsident European Association for Evolutionary Political Economy – EAEPE ; Lehr- und Forschungsaufenthalte in Europa, USA, Australien, Südafrika, Russland, Mexiko, China; assoziierter Professor der Univ. of Missouri―Kansas City (UMKC), USA, und der Jilin Uni, Changchun, China; Editor-in-Chief des Review of Evolutionary Political Economy – REPE

Fotos: Claus Stille

Ex-MdB Alexander Neu (DIE LINKE) referierte in Dortmund über den Ukraine-Krieg

Kürzlich (am 21. März 2022) hatten die Veranstalter Attac-Regionalruppe Dortmund und DGB Dortmund-Hellweg den ehemaligen Bundestagsabgeordneten der Partei DIE LINKE (von 2013 bis 2021), Alexander Neu zu einer ZOOM-Veranstaltung eingeladen, um über den Ukraine-Krieg zu referieren. Trotz einer Corona-Erkrankung hatte er sich bereiterklärt seinen angekündigten Vortrag zu halten.

Alexander Neu: Die Atmosphäre ist im Moment „hochtoxisch“

Neu sprach von einer momentan sehr unangenehmen Atmosphäre im politischen Berlin , wo das Wort Frieden völlig in den Hintergrund getreten sei. Es heiße dort, „der Russe“ verstehe nur Stärke. Die Atmosphäre sei im Moment „hochtoxisch“. Wer nicht auf Linie sei, „das Freund-Feindbild“ nicht teile, „ist automatisch beim Feind anzusiedeln“. Dazu passe, dass der unkrainische Präsident Zelensky ein Vielzahl von oppositionellen Parteien (11 Parteien!) verboten habe, mit der Begründung, die Reihen müssten geschlossen sein. Auch seien ja im Jahr 2021 Medien verboten worden. Beides hätte im Westen keinerlei Kritik herbeigerufen. Wenn dies – wie auch geschehen – in Russland geschähe, werde das – zu recht – kritisiert. Also: es wird im Westen mit zweierlei Maß gemessen. Neu kritisierte ausdrücklich etwas das Verbot von RT in der EU. Gerade, wo der doch der Westen die Meinungs- und Pressefreiheit stets wie eine Monstranz vor sich hertrage.

Moskau zeigte rote Linien auf und kam mit Vertragsentwürfen – Der Westen zeigte die kalte Schulter

Der Angriff der Russischen Föderation auf die Ukraine habe Neu wie viele andere auch geschockt.

Dass das nicht geschähe, habe Neu schon zuvor bezweifelt. Immerhin habe Russland dem Westen schon im letzten Jahr seine Forderungen (mittels Vertragsentwürfen) und roten Linien aufgezeigt. Es sei abzusehen gewesen, dass die NATO nicht von ihrem Prinzip und den Erweiterungen ablassen würde. Russland habe darauf bestanden, dass nur die nationalen Armeen (etwa die bulgarische) als NATO-Armee und nicht fremde Truppen auf dem Boden des eigenen Landes agieren sollten. So habe etwa Viktor Orban kürzlich deutlich gesagt: In Ungarn gibt es NATO-Truppen und das ist die ungarische Armee. Fremde Truppen wollen wir nicht. Des Weiteren forderte Moskau, keine fremden Truppen in die Ukraine zu verlegen. Die russische Seite sei damit sogar einen Schritt zurückgegangen und habe sich selbst unter Druck gesetzt. Die Antworten des Westens seien unzureichend, weil nur verbaler Natur gewesen. Ohne Taten folgen zu lassen.

Schließlich habe Russland den Krieg gewählt, um keinen Gesichtsverlust zu erleiden.

Die Bundesregierung setzt offenbar auf Propaganda und auf das Kurzeitgedächtnis und die Dämlichkeit der Menschen

Alexander Neu bezeichnete die Äußerungen von Bundeskanzler Scholz und anderen Regierungsmitgliedern, wonach der Angriff Russlands auf die Ukraine der erste völkerrechtswidrige Krieg seit dem Zweiten Weltkrieg sei, als Propaganda und totalen Blödsinn, der verzapft wurde. Immerhin sei doch schon vor 20 Jahren, am 24. März 1999 Jugoslawien durch die NATO überfallen worden. Schon zuvor hätte man Grenzen in Europa erstmalig nach 1945 gewaltsam verändert. Nämlich mit der Sezession von Slowenien und Kroatien 1991 und 1992. Sowie 1999 mit der Loslösung des Kosovo von Jugoslawien. Es würden halt Legenden gesponnen und setze dabei wohl auf das Kurzzeitgedächtnis bzw. „der Dämlichkeit“ der Menschen.

Wladimir Putin streckte die Hand gen Westen aus und sagte zeitig: eine unipolare Welt ist nicht mehr akzeptabel

Alexander Neu wies daraufhin, dass Wladimir Putin 2001 in seiner Rede im Deutschen Bundestag seine Hand ausgestreckt und auf seiner Rede 2007 auf der Münchner Sicherheitskonferenz klar gemacht, dass eine unipolare Welt nicht mehr akzeptabel ist.

Und noch weitere Vorschläge – etwa die nach einer gemeinsamen Sicherheitsarchitektur – und darüber hinaus hätten der russische Außenminister Lawrow und Präsident Putin dem Westen offeriert. Es habe eine Vielzahl von ausgestreckten Händen der Russischen Föderation gegeben, „um mit Europa und auch mit dem Westen einen gemeinsamen Raum für Sicherheit und auch einen gemeinsamen Wirtschaftsraum zu schaffen“. Neu: „Alles wurde beiseite und ausgeschlagen. Man wollte Russland nicht in Europa haben. Insbesondere die USA wollen das nicht.“ Mit dem nun begonnenen Krieg sei ein Kulminationspunkt erreicht worden. Russland habe sich nicht weiter in die Ecke drängen lassen, so Neu.

Neu: Der Ukraine-Krieg ist völkerrechtswidrig, hat aber eine Vorgeschichte und Verantwortung für den ganzen Prozess hin zum Krieg hat der Westen auch. Und zwar nicht wenig

Alexander Neu bekannte, kein besondere Freund von Russland zu sein. Er möchte jedoch – wie zu anderen Ländern – gute Beziehungen auch zu Moskau. Den Krieg Russlands gegen die Ukraine bezeichnete Neu eindeutig als völkerrechtswidrig und inakzeptabel: „Aber es ist ein Krieg, der nicht alleine eine Schuldfrage der russischen Seite mit sich bringt.“

Der Westen versuche aber ausschließlich Putin die Schuldfrage zuzuschreiben. Wer auf die Vorgeschichte dieses Krieges verweise, werde als Putin-Versteher diffamiert und damit sozusagen mundtot gemacht. Neu: „Eine ganz geschickte Demagogie. Es sollen bloß keine Zweifel an der westlichen Politik und deren Aufrichtigkeit aufkommen zu lassen. „Was natürlich total verlogen ist.“

Neu machte ließ aber keinen Zweifel daran, dass die Verantwortung für den Krieg eindeutig beim russischen Präsident liege. „Die ganze Verantwortung für den ganzen Prozess hin zum Krieg hat der Westen auch. Und zwar nicht wenig.“

Wie könnte es nun weitergehen?

Alexander Neu verwies auf einen amerikanischen Militär, welcher davon ausgehe, dass aufgrund der militärischen Überlegenheit der russischen Seite entweder in den nächsten Wochen Kiew fallen wird und man mit Westukraine einen Reststaat habe. Und der Osten des Landes wird in irgendeiner Weise an Russland fallen oder einen Status wie die Volksrepubliken Lugansk und Donezk haben. Und die Westukraine und der Westen wird dann keinen Zugang mehr zum Schwarzen Meer haben. Oder aber die Ukraine stimme zu und man wird es schaffen, dass die Krim und die beiden Volksrepubliken nicht mehr Teil ukrainischen Republik sind. Diese beiden Szenarien würde auch Alexander Neu für möglich ein.

Gewinner des Krieges

Der Gewinner dieses Krieges seien ausschließlich die Vereinigten Staaten von Amerika.

Begründung: Die russischen Vertragsentwürfe seien vom Tisch. Die Reihen der NATO so eng geschlossen wie lange nicht mehr. „Die USA sind wieder die unangefochtenen Führer der sogenannten freien westlichen Welt.

Auch wirtschaftlich dürften die USA von diesem Krieg profitieren.

Verlierer des Krieges

Verlierer seien in erster Linie die Ukraine und vor allem die Menschen in der Ukraine. Und in zweiter Linie Russland. Der dritte Verlierer sei die Europäische Union. „Wir werden enormen wirtschaftlichen Schaden davontragen. Und auch die Menschen in Deutschland werden das spätestens Ende des Sommers und ab Herbst dieses Jahres zu spüren bekommen“, ist sich Alexander Neu sicher.

Ein interessantes Referat, dem sich nicht weniger interessante Fragen aus dem ZOOM anschlossen

Dem interessanten Vortrag von Alexander Neu schlossen sich nicht weniger interessante Fragen aus dem kleinen Auditorium im ZOOM an.

Ebenfalls wurden einige Ergänzungen vorgetragen. Ein Herr erinnerte an den Maidan-Putsch und faschistische Tendenzen in der Ukraine. Ebenso an das von einem rechten Mob verübte Massaker an etwa 40 Personen in Odessa, welche in einem Gewerkschaftshaus am lebendigen Leibe verbrannt worden waren. Bis heute wurde niemand dafür zur Verantwortung gezogen (anbei der Film „Remember Odessa“ von Wilhelm Domke-Schulz).

Auch wurde an dem Beitrag eines jüngeren Disputanten deutlich, dass nicht alle Menschen über alle Informationen verfügen, die schon länger zurückliegen. Das dürfte unseren Mainstream-Medien und dem deutschen Journalismus zuzuschreiben sein, der seit vielen Jahren ziemlich auf den Hund gekommen ist. Dieser Teilnehmer fragte sich einfach auch, ob es denn nicht richtig sei, dass jedes Land der NATO beitreten könne. Alexander Neu antwortete, jedoch müsse nicht automatisch jedes dieser Länder aufgenommen werden. Offenbar ist auch nicht jedem klar, dass Ländern etwa wie die USA und Russland gerne bestimmte Militärsysteme wir Raketen oder gar Atomwaffen unmittelbar vor der Haustüre stationiert haben wollten, die in kurze Zeit Ziele im Lande erreichen können und die eigene Reaktionszeiten auf einen etwaigen Angriff einfach zu kurz sind.

Alles in allem ein interessanter Abend.

Beitragsbild: via Alexander Neu

Wider die „Antisemitenmacher“. Der Vortrag des Journalisten Andreas Zumach in Dortmund fand statt: „Israel, Palästina und die Grenzen des Sagbaren“

Die Veranstaltung von DGB Dortmund, At­tac Dortmund, dem Nachdenktreff und der AG Globalisierung konkret in der Aus­landsgesellschaft mit dem Journalisten Andreas Zumach und dessen Vortrag: „Israel, Palästina und die Grenzen des Sagbaren“ in der Pauluskirche hatte im Vorfeld Kritik ausgelöst. Die Jüdische Gemeinde hatte die Veranstaltung sogar verhindern wollen. Leider kein Einzelfall in Deutschland. Die junge GEW erhob ebenfalls Widerspruch. Indes die Veranstaltung fand statt. Andreas Zumach konnte seine Sicht auf die Dinge darstellen, Missverständnisse ausräumen und auf falsche Tatsachenbehauptungen hinweisen. Und im Anschluss wurden an ihn aus dem Publikum Statements und Fragen herangetragen. Es ging kontrovers – im Großen und Ganzen aber – einigermaßen sachlich zu. Vor der Veranstaltung hatte die junge GEW und die Antifa eine Protestkundgebung gegen diese vor der Kirche abgehalten.

Protest gegen die Veranstaltung vor der Pauluskirche. Fotos: Stille

Der Hintergrund

Im September 2019 hatte die Jury des angesehenen Nelly-Sachs-Preises der Stadt Dortmund bekannt gegeben, den diesjährigen Preis der pakistanisch-britischen Schriftstellerin Kamila Shamsie zuzuerkennen.
Drei Tage später nahm sie davon wieder Abstand. Was war passiert? Kamila Shamsie bekennt sich zur BDS-Bewegung („Boycott, Divestment and Sanctions“), die in Anlehnung an die frühere Kampagne gegen den Apartheid-Staat Südafrika für einen internationalen, gewaltfreien Boykott des Staates Israel eintritt, bis die völkerrechts- und menschenrechtswidrige Besatzungs- und Be­siedlungspolitik der israelischen Regierung beendet ist.

Die Rücknahme des Jury-Beschlusses stützt sich auf einen Beschluss des Dort­munder Rates vom Februar des Jahres, in dem die BDS-Bewegung als „antisemitisch“ bezeichnet wird. Dieser Beschluss reiht sich ein in eine Anzahl weiterer Beschlüsse von Kommu­nen, Landesparlamenten und dem Bundestag.

Zu Andreas Zumach und dessen Vortrag

Andreas Zumach, selber kein Unterstützer von BDS, wandte sich in seinem Vortrag gegen die zahlreichen Versuche, legitime Kritik an der völkerrechts- und menschenrechtswidrigen Politik der israelischen Regierung als antisemitisch oder antiisraelisch zu diffamieren und zu unterbinden.

Für einen Boykott von Waren aus und gegen ein Investment in den von Israel besetzten Gebieten spricht er sich aus.

Gegen einen Boykott von Wissenschaftler und Künstlern aus Israel ist er strikt.

Andreas Zumach ist seit 1988 Schweiz- und UNO-Korrespondent der taz  am europ­äischen Hauptsitz der Vereinten Nationen in Genf. Als freier Journalist arbei­tet er auch für andere deutsch- und englisch­sprachige Print- und Rundfunkmedien. Dar­über hinaus hat er mehrere Bücher
veröf­fentlicht. 2009 wurde ihm für sein friedens- und men­schenrechtspolitisches Engagement der Göt­tinger Friedenspreis verliehen.

DGB-Vorsitzende Jutta Reiter: Die Gewerkschaft lehnt einen Boykott gegen Israel ab, ist aber stets zu einem sachlichen Meinungsaustausch bereit

Zur Information der zahlreich erschienen Besucher in der Dortmunder Pauluskirche erinnerte die Vorsitzende des DGB Dortmund Hellweg, Jutta Reiter, daran, dass in dieser auch vom DGB mit getragenen Veranstaltungsreihe öfters schon Referenten aufgetreten seien, die sich mit unterschiedlichen kritischen Themen auseinandersetzten, „die nicht mit den Positionen des DGB übereinstimmen“. Im Sinne einer lebendigen Demokratie hielte es der DGB jedoch für notwendig zuzuhören und zu streiten. Das gelte auch für die Veranstaltung mit Andreas Zumach. Reiter machte deutlich, dass der DGB Dortmund sowie der DGB insgesamt die BDS-Bewegung in keiner Weise unterstütze. Reiter: „Wir lehnen Boykott gegen Israel ab und wir distanzieren uns eindeutig von den Kampagnen“. Auf allen Plätzen der Kirche lag ein dementsprechendes Papier mit der eindeutigen Positionierung des DGB dazu aus.

Die Chefin des DGB Dortmund Hellweg weist auf das auf den Kirchenbänken ausgelegte Positionsverband des DGB-Landesvorstands NRW hin.

Für Reiter selbst ist besonders problematisch, dass der Austausch zwischen Wissenschaftlern, Kulturen – zwischen Menschen gestoppt werden soll. Das entmenschliche uns und bringe uns bezüglich von Lösungen in keiner Weise weiter. Man habe der Veranstaltung nur zugestimmt, befürchtet, dass aufgrund der vom Bundestag beschlossenen Definition, die auch von Ländern übernommen worden sind, Diskussionen zum Thema in städtischen Räumlichkeiten verunmöglicht werden. Und womöglich rechtsgerichtete Organisationen, die nichts mit unseren Werten zu tun hätten, die Meinungsführerschaft über das Thema übernähmen. „Alleine mit Abtauchen und Beschlüssen ist es nach unserer Meinung nicht getan. Wir sehen uns in der Pflicht einer aktiven Auseinandersetzung zu diesem Thema“, erklärte die DGB-Chefin.

Es gelte zu diskutieren, einen Meinungsstreit zu führen und nicht totzuschweigen.

Der eigentlich Skandal in der heutigen Zeit für Jutta Reiter ist, „dass Jüdinnen und Juden in unser Stadt aber auch anderswo Angst haben müssten, wenn solche Veranstaltung wie heute stattfinden“. Da habe man gemeinsam noch große Herausforderungen zu bestehen.

Till Strucksberg (Attac) kritisierte das ausgelegte Positionspapier des DGB NRW und, dass massiv versucht worden sei die Veranstaltung zu unterdrücken

Till Strucksberg (Attac Dortmund) in seiner Funktion als Mitveranstalter bedauerte, auf das in der Kirche vom Landesverband des DGB NRW stammende ausgelegte Positionspapier verweisend, dass darin „nicht mit einem Wort auf den eigentlichen Grund für die Notwendigkeit dieses heutigen Abends eingegangen worden sei. Nämlich auf die menschenrechtswidrige Politik der israelischen Regierung in den von Israel widerrechtlich besetzten Gebieten, auf die Frage, ob diese Kritik mit unserer besonderen Verantwortung als Nachfahren der Täter des Holocaust vereinbar ist und ob diese Kritik mit dem Totschlagargument ‚Antisemitismus‘ unterdrückt werden darf“.

Till Strucksberg von Attac Dortmund.

Auch hier in Dortmund sei diese Unterdrückung in einem Maße versucht worden, wie es die Artikel in den Medien nur ansatzweise ahnen ließen. Weshalb sein Dank an Jutta Reiter, den DGB Dortmund gingen, die bei allen Meinungsverschiedenheiten das Recht auf die Diskussion auch „von unter uns strittigen Themen“ immer verteidigt hätten. Strucksberg gab allerdings auch zu bedenken: „Das Bestehen auf dem Recht auf freie Meinungs- und Diskussionsmöglichkeit ist keineswegs mehr normal.“ Das zeige sich bei der fehlenden öffentlichen Diskussion des Anlasses für diese Veranstaltung.“ Till Strucksberg bezog sich auf die hier bereits erwähnte Grundsatzerklärung zur Bekämpfung von Antisemitismus und den Beschluss des Rates vom Februar, der die BDS-Bewegung explizit als „antisemitisch“ bezeichnet.

Ebenfalls ohne öffentliche Diskussion sei die Zurücknahme des diesjährigen Nelly-Sachs-Preises an die Schriftstellerin Kamila Shamsie „unter den Teppich gekehrt“ worden, weil sie sich als Unterstützerin der BDS-Bewegung offenbart habe.

Andreas Zumach: Dank an die Kirchengemeinde, „dass sie nicht vor dem Druck zurückgewichen sind, diese Veranstaltung doch noch zu verbieten

Andreas Zumach dankte eingangs seines Vortrages der Pfarrerin, dem Pfarrer, dem Kirchengemeinderat ausdrücklich, „dass sie nicht vor dem Druck zurückgewichen sind, diese Veranstaltung in diesen Räumen dann vielleicht doch noch zu verbieten“. So sei das leider in den letzten zwölf Monaten in der Mehrheit aller Fälle gewesen, dass in kirchlichen Einrichtungen das ein Auftreten mit kritischen Inhalten zur israelischen Regierungspolitik verboten wurde. Von mehren jüdischen Gemeinden in Deutschland, erzählte Zumach, sei er diffamiert worden in diesem Jahr.

Wir Deutsche haben eine besondere, eine doppelte Verantwortung „für eine gesicherte und auf Dauer unbedrohte Existenz der Staates Israel“, stellte Zumach fest

Zumach verwies angesichts dieser Veranstaltung auf die besondere, eine doppelte Verantwortung, die wir Deutschen „für eine gesicherte und auf Dauer unbedrohte Existenz des Staates Israel“ haben. Des Weiteren hätten wir die Verantwortung, „jeder Form von Judenfeindlichkeit, wo und wie immer sie sich äußert, entschieden öffentlich und sofort entgegenzutreten“.

Diese Verantwortung wolle Zumach aber ausdrücklich differenziert vom Begriff „Staatsräson“ wissen. Den Begriff gebrauche leider nicht nur immer wieder Bundeskanzlerin Merkel, wenn sie das Verhältnis zu Israel kennzeichne, sondern auch etwa Gregor Gysi. Staatsräson, habe Zumach einmal gegenüber Gysi erklärt, sei eine Begrifflichkeit aus der Zeit der Nationalstaatswerdung auf dem europäischen Kontinent. Der zunächst positiv besetzt gewesen sei. Der Begriff habe gemeint, dass Staat und dessen gewählte Regierungen eine Verpflichtung hatten, zum Schutz gegenüber allen Bürger*innen, aber auch das Gewaltmonopol haben. In der Phase des preußischen Obrigkeitsstaates sei dieser Begriff „immer mehr pervertiert“ worden. Da sei es nämlich darum gegangen, jemanden zur Räson zu ziehen, um Befehl und Gehorsam ohne Widerspruch, ohne kritische Nachfragen. Bei jüngeren Leuten, habe er Gregor Gysi bedeutet, werde man so bei der Bekämpfung von Antisemitismus das genaue Gegenteil bewirken. Man müsse immer wieder neu begründen, warum wir Deutschen eine besondere Verantwortung gegenüber Israel haben.

Eine unbedrohte Existenz des Staates Israel kann es nur geben, wenn auch die universell gültigen Menschenrechte für die Palästinenser*innen umgesetzt sind

Der Kern des Streites sei doch, wie denn unsere besondere Verantwortung wahrzunehmen sei. Andreas Zumach: „Es wird und kann eine sichere und auf Dauer auch unbedrohte und nicht mehr infrage gestellte Existenz eines Staates Israel nur geben und nur geben können,wenn auch die universell gültigen Menschenrechte für die Palästinenserinnen und Palästinenser umgesetzt sind. Und ihr völkerrechtlich verbrieftes Anrecht auf staatliche Selbstbestimmung.“

Wenn das stimme, so Zumach, dann sei Kritik an völkerrechtswidriger Besatzungs- und Besiedlungspolitik auch aus deutschem Munde nicht nur völlig legitim und zwar ganz präzise Kritik an Regierungspolitik. Nur darum gehe es: „Es geht nicht um Israel-Kritik. Das ist ein Pappkamerad,, der hier aufgebaut ist.“ In diese Falle solle man nicht gehen.

Es gehe darum, „dass es eines Tages eines Tages eine unbedrohte Existenz Israels gibt und auch die Verwirklichung der Menschenrechte und der Völkerrechte der Palästinenser*innen.

Zumach: Einiges, was im Vorfeld seines Vortrages geäußert wurde, war „einfach falsch“

Zumach verwies auf seinen im letzten Jahr an der LMU in München gehaltenen Vortrag (Links dazu unter diesem Beitrag) und darauf, dass einiges, was im Vorfeld seines Vortrages hier in Dortmund geäußert worden sei, „einfach falsch“ ist.

Unterschiedliche historische Narrative, von denen ausgegangen wird

Der Referent: Man müsse sich unbedingt verdeutlichen, was denn die historischen Narrative betreffs Palästinas seien, von denen man jeweils ausgeht. Dazu hatte Zumach eine Karte von Palästina von 1946 bis in unsere Zeit (unter diesen Beitrag verlinkt) per Projektion gezeigt. Allerdings war ein technischer Fehler aufgetreten, sodass die erste Grafik nicht sichtbar war. Da wäre das Territorium zwischen Mittelmeer und Jordan, erklärte Zumach, – zu 90 Prozent grün und zehn Prozent weiß: der Stand des Jahres 1946 unter britischer Mandatsverwaltung.

Foto (Archiv): Stille, aufgenommen bei einem Vortrag der Botschafterin Palästinas, Daibes, in Dortmund vor einigen Jahren.

Eine Minderheit unter den Palästinenser*innen betrachte das als ihr Staatsgebiet. Das weist Zumach aber zurück.

Auch in der israelisch-jüdischen Community wiederum gebe es ein Minderheitennarrativ: Man hätte seit 3000 bzw. 5000 Jahren jüdischer Geschichte Anspruch auf dieses Land. Das könne ebenfalls nicht akzeptiert werden, so Andreas Zumach.

Die Entwicklung ist über den Status von 1947 hinausgegangen. Resolution 181 bis heute ohne Einschränkung gültig

Zumach erläuterte am Bild wie 1947 die UNO-Generalversammlung in ihrer Resolution 181 am 29. November 1947 den Teilungsplan beschloss. 54 Prozent des Territoriums war darin für einen künftigen Staat Israel und 46 Prozent für einen künftigen Staat Palästina vorgesehen.

Bestimmte Palästinenser*innen bestünden heute noch auf diesen 46 Prozent. Zumach: Dagegen könne nichts eingewendet werden. Schließlich sei die Resolution 181 bis heute ohne Einschränkung gültig.

Doch Zumach würde allerdings auch dieses Narrativ zurückweisen. Denn die Entwicklung seit 1947 sei über diesen Status weit hinausgegangen. Das sei auch von relevanten Vertretern der Palästinenser*innen anerkannt worden.

PLO-Präsident erkannte Israel an

Schon nach Gründung des israelischen Staates (1948) habe Israel bereits im Jahre 1949 de facto über 78 Prozent für die israelisch-jüdisches Seite unter ihre Kontrolle gebracht. 22 Prozent blieben für einen künftigen palästinensischen Staat. Im 1967er Krieg seien diese 22 Prozent (Westjordanland, Gaza und Ostjerusalem) auch noch unter israelische Besatzung geraten.

Verhandlungen, die unter der Bedingung in Genf stattfanden, dass PLO-Präsident Yassir Arafat vor der UNO-Generalversammlung Israel anerkenne und und bestimmte Sätze der Gründungscharta der PLO revidiere, habe es 1988 in Madrid gegeben.

Das Oslo-Abkommen weckte Hoffnungen auf die Realisierung der Zweistaatenlösung

Später hätten dann Geheimverhandlungen unter norwegischer Vermittlung zum Oslo-Abkommen geführt. Was dann zu großen Hoffnungen Anlass gegeben habe, dass nun die Zweistaatenlösung in greifbare Nähe rücke.

Diese habe auf der Territorialverteilung von 1978 basiert, zu 22 Prozent für die Palästinenser*innen. Dahinter, meinte Zumach, könne man nicht zurück.

Später habe Israel aber beklagt, man habe auf palästinensischer Seite keinen Partner auf der anderen Seite mehr. Die sei aber, so der Referent, auch kein Argument dafür den Palästinenser*innen einen eignen Staat vorzuenthalten und die Besatzung die illegale Besiedlung immer weiter zu treiben.

Auch die Hamas verübte – wie die israelische Armee – Kriegsverbrechen.

Klar sei auch, dass die Hamas mit Angriffen auf Israel auch Kriegsverbrechen verübe. Allerdings sei dafür längst nicht immer die Hamas verantwortlich, sondern inzwischen auch Kämpfer des IS. Genau wie umgekehrt Luftangriffe der israelische Armee auf den Gazastreifen ein Kriegsverbrechen seien.

Diese und die Einschnürung des Gazastreifens durch Israel treibe unter den Palästinenser*innen eine Frustration und Radikalisierung voran.

Das Narrativ der Zweistaatenlösung sei zwar auf beiden Seiten noch nicht völlig verschwunden, jedoch die Chance einer Realisierung kleiner geworden.

Andreas Zumach: „Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte ist das wichtigste Dokument, was es auf der Erde überhaupt gibt“

Andreas Zumach beteuerte, dass die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte für ihn „das wichtigste Dokument ist, was es auf dieser Erde überhaupt gibt“: „Ein Schatz!“

Andreas Zumach: „Ich bin ein Menschenrechtsfetischist.“

Zumach bekannte: „Ich bin ein Menschenrechtsfetischist. Wir haben keine andere verlässliche Richtschnur für politisches Handeln als diese Allgemeine Erklärung der Menschenrechte.“

Völkerrecht ist unmittelbar gültiges Recht – auch bei uns“

Die Resolution des UNO-Sicherheitsrates 242 (nach dem 1967er Krieg), wonach die israelische Seite zur vollständigen und sofortigen Beseitigung der völkerrechtswidrigen Besatzung aufgerufen wurde, gelte bis heute uneingeschränkt. Auch die BRD und alle in ihr tätigen Politiker seien daran verantwortlich gebunden. Zumach: „Völkerrecht ist unmittelbar gültiges Recht – auch bei uns.“

Er sagte das ausdrücklich im Zusammenhang mit dem kürzlich erfolgten Beschluss des Europäischen Gerichtshofs, wonach Waren aus den von Israel besetzten palästinensischen Gebieten, die in die EU exportiert werden exakt ausgezeichnet werden müssen, damit die Kund*innen die souveräne Entscheidung haben, ob die sie kaufen wollten oder nicht.

Kritik an israelischer Regierungspolitik als antisemitisch-antiisraelisch zu brandmarken, das wird schon länger betrieben. Eine Kampagne richtete sich vor allem gegen Juden

Legitime Kritik an israelischer Politik, merkte Andreas Zumach an, seitens Israels als antisemitisch zu brandmarken habe es übrigens schon lange vor dem Erscheinen der BDS-Kampagne gegeben. Bereits in den Mitte der 1970er Jahre. Schon 1974 habe Israel eine Kampagne zur Erklärung der eignen Politik namens Hasbara gestartet. Eine Propagandakampagne, die das eigne Image international aufpolieren soll. Was auch andere Staaten täten. Jedoch sei bis dahin zurückzuverfolgen, wie seither Kritik an israelischer Regierungspolitik als antisemitisch-antisraelisch gebrandmarkt wird. Diese Kampagne habe sich vor allem gegen Juden gerichtet. Gegen israelische, deutsche und amerikanische Jüd*innen, die gewagt hätten, sich kritisch gegen israelische Regierungspolitik zu äußern. Zumach nannte einige Beispiele, inzwischen teilweise verstorbener Personen: Uri Avnery, die Rechtsanwältin Felicia Langer sowie Friedensaktivist Reuven Moskovitz, Rolf Verleger (einst Vorsteher der jüdischen Gemeinde in Lübeck und Mitglied im Zentralrat der Juden in Deutschland), Reiner Bernstein (wurde als „selbsthassender Jude“ bezeichnet, obwohl er gar kein Jude ist) sowie den Völkerrechtler Richard Goldstone.

Zu Goldstone: er sollte die Kriegsverbrechen der Hamas im Gaza-Krieg in Israel untersuchen, durfte aber niemals nach Israel einreisen. Er hat aber über Telefoninterviews viele Fakten zusammengetragen, die den Vorwurf von Kriegsverbrechen der Hamas rechtfertigten. Allerdings hat Goldstone auch im Gazastreifen die Tatsachen israelischer Kriegsverbrechen festgestellt. Der so entstandene Goldstone-Bericht sei ihm zum Verhängnis geworden. Zumach: „Ich habe selten erlebt, wie ein Mann so zerstört worden ist.“ Auch Goldstone wurde zum Antisemiten gestempelt.

Ministerpräsident Benjamin Netanyahu habe einmal gesagt: „Israel unterliegt keinerlei militärischen Bedrohung.“ Aber BDS sei eine existentielle Bedrohung. Es geht wohl in erster Linie um das Image des Landes. Zur BDS-Bekämpfung sei eigens eine Sonderabteilung geschaffen worden.

Ein Vorwurf, der dem BDS gemacht wird, läuft ins Leere

Diese Kampagne sei also nicht neu, sondern habe in Reaktion auf BDS nur eine neue Eskalationsspirale erreicht. Die Forderung des BDS nach Rückkehr aller palästinensischer Flüchtlinge werde von deren Kritiker*innen immer gerne dazu benutzt zu sagen, damit solle die Existenz Israels zerstört werden. Völkerrechtlich klar sei zwar: Jeder Flüchtling besitze das Recht in seine Heimat zurückzukehren. Umfragen jedoch hätten ergeben, lediglich 800.000 Palästinenser*innen würden das Recht dann auch wirklich in Anspruch nehmen.

Die drei Ziele des BDS (Quelle: Wikipedia)

  • die „Besatzung und Kolonisierung allen besetzten arabischen Landes“ beenden und die Mauer abreißen,
  • das „Grundrecht der arabisch-palästinensischen BürgerInnen Israels auf völlige Gleichheit“ anerkennen,
  • das Recht der palästinensischen Flüchtlinge, in ihre Heimat und zu ihrem Eigentum zurückzukehren, respektieren, schützen und fördern, wie es in UN-Resolution 194 vereinbart worden sei.[24]

Klarstellungen, Kritik an Falschbehauptungen und das Recht auf Meinungsfreiheit

Andreas Zumach befürwortet den BDS nicht. Den Vorwurf jedoch, der BDS sei antisemitisch hält er aber für falsch.

Dass die Jüdische Gemeinde Dortmund behauptet habe, er hätte versucht BDS vom Vorwurf des Antisemitismus reinzuwaschen, sei „eine schlichte Falschbehauptung, eine tatsachenwidrige Falschbehauptung“ machte Zumach in der Pauluskirche klar. An die Adresse des DGB-Landesvorstandes NRW gerichtet, sagte der Journalist: in der dessen Erklärung hätte er sich differenzierte Töne gewünscht. Selbst, wenn man dort den BDS für antisemitisch halte, gebe es ein Recht auf Meinungsfreiheit für die BDS-Leute. Das habe selbst die ehemalige EU Außenkommissarin Federica Mogherini immer wieder betont.

Klage gegen Anti-BDS-Beschluss in München

In München, berichtete Zumach, existiere ein Beschluss, wonach sich in städtischen Räumen niemand zu BDS äußern dürfe. Das gelte selbst dann, wenn gegen den BDS gesprochen werden solle. Dagegen wurde geklagt. Die Klage eines Mannes sei zunächst abgewiesen worden. Aber womöglich werde der sich an höhere Instanzen wenden.

240 jüdische und israelische Wissenschaftler wandten sich mit einem Aufruf an die Bundesregierung

240 jüdische und israelische Wissenschaftler, informierte Zumach, hätten sich mit einem „Aufruf an die Bundesregierung mit der Bitte gewandt: Setzen sie „BDS“ nicht Antisemitismus gleich“ (Link unter diesem Artikel).

Andreas Zumach zur Demo vor der Kirche

Zur Demo der jungen GEW vor der Veranstaltung auf der Straße äußerte sich Zumach ebenfalls. Er teilte die Meinung einer Rednerin, wonach man gegen Judenfeindlichkeit und Antisemitismus angehen müsse. Aber Behauptungen über seine Person, die ihn in „assoziative Nähe zu Rechtspopulismus“ stellten, seien infam.

Klare Distanzierung

Ebenfalls stellte er klar, dass er sich von populistischen Sprüchen, wie in der Stellungnahme der Jüdischen Gemeinde Dortmund erwähnt, „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen“, immer schärfstens distanziert hat. Die Gemeinde, kritisierte Zumach habe ihn in ihrer Stellungnahme falsch und verzerrt zitiert.

Man möge sich doch bitte nicht des Rufmordes bedienen, wie dies bestimmte Kreise täten.

Ein Vergleich, den Zumach als infam bezeichnete

Auch zum Boykott sagte Zumach noch etwas. Dass von BDS-Gegnern immer wieder der Vergleich zu „Kauft nicht beim Juden“ in Anschlag gebracht wird, sei in Bezug auf von BDS angeprangertem Besatzungsunrecht infam.

Andreas Zumach: „Die ganze Geschichte wirtschaftlicher Druckmaßnahmen ist ausschließlich eine Geschichte von wirtschaftlichem Druck, um Situationen des Unrechts und Unterdrückung der kolonialen Ausbeutung und Diskriminierung zu überwinden. Das fange mit den Quäkern in den USA an, welche zu wirtschaftlichem Druck gegen Sklavenhalter aufriefen. „Kauft nicht beim Juden!“, sei das einzige Beispiel in der Geschichte, wo wirtschaftliche Druckmaßnahmen gegen eine Minderheit zu ihrer Diskriminierung und ihrer Schädigung eingesetzt wurden und war der Beginn der Straße, die nach Auschwitz führte Wer den Vergleich anstellt, der hat entweder den Holocaust nicht verstanden oder aber verharmlost den Holocaust und seine Opfer.“

Fragen aus dem Publikum und kontroverse Wortwechsel

Andreas Zumach stellte sich vielen kritischen Fragen. Die diffamierenden Anwürfe betreffs der Veranstaltung kritisierte ein Herr hart. Worum es Andreas Zumach hauptsächlich geht, erklärte er so: „Weil ich sehe, dass dieser inflationäre Antisemitismusvorwurf mit dem immer wieder gearbeitet wird, den dringend notwendigen Kampf gegen Judenfeindlichkeit schwächt.“

Nach einem Statement eines älteren GEW-Gewerkschafters sprachen Andreas Zumach „schon problematische Zustände in unseren Gewerkschaften“ an. In München habe die DGB-Jugend, die Linksjugend, Die Falken und die Grüne Jugend eine Veranstaltung mit Falschbehauptungen diffamiert.

Von anderen ähnlichen Vorgängen hatte Zumach Kenntnis. Man müsse davon abkommen, hinterrücks und mit Verleumdungen zu agieren. Er wies diesbezüglich auch auf das bedenkliche Treiben der Antideutschen hin.

Ein Mann stellte sich am Mikrofon als „Antisemit“ vor. Ihm wurde entsprechend eines zur Kenntnis gegebenen Hinweises zur Veranstaltung verwehrt sich zu äußern.

Andreas Zumach sprach noch die sogenannte Arbeitsdefinition von Antisemitismus an, auf der Antisemitismus-Beschluss des Bundestages sowie der von Ländern und Kommunen beruhe. Dieser wiederum orientiere sich an an einer Vorlage der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA). Deren Definition

Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Juden, die sich als Hass gegenüber Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Wort und Tat gegen jüdische oder nicht-jüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum, sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen und religiöse Einrichtungen.“

bezeichnete Zumach „als fürchterlich vage“. Kritiker sagten, das sei nicht wirklich brauchbar.

In Deutschland gebe es in Bezug auf Antisemitismus keinen Strafrechtsparagrafen. In der Schweiz, wo Zumach seit 30 Jahren wohnt, gibt es Antisrassismus-Strafnorm, unter der sei es auch möglich gewesen, Menschen, die sich judenfeindlich geäußert hätten, juristisch vorzugehen.

Zumach selbst nannte seine persönliche Definition, die seiner Meinung nach völlig ausreichen würde:

Judenfeindlichkeit ist jede Form von Diskriminierung, Beleidigung, Unterdrückung, Gewalt gegen und sonstiges Vorgehen gegen Menschen, weil sie Juden sind.“

Andreas Zumach gab auch zu bedenken, dass der Zentralrat der Juden immer so tue, als vertrete er alle Jüd*innen in Deutschland – das tue er nicht. „Aber wenn der Zentralrat dann immer wieder, wenn es um israelische Politik geht, um israelisches Vorgehen – auch militärisches – von sich aus völlig ohne Not sich dazu öffentlich verhält, das unterstützt, dann kann er sich nicht darüber wundern, das Menschen dann auch den Zentralrat kritisch ansprechen bezüglich israelischer Politik.“

Zu Diffamierungen Veranstaltung in Dortmund sagte Zumach noch: Er finde es schon absurd, dass diejenigen, die die Meinungsfreiheit einschränken wollen, indem sie eigentlich diese Veranstaltung verhindern wollten und das mit Verleumdungen tut. Und wenn man sich dann dagegen wehrt, dass sie dann aufschreien: O, der will ja unsere Meinungsfreiheit einschränken.“

In der DGB-Jugend gibt es ein Problem, meinte Zumach. Dort hätten die Antideutschen (hierzu mehr) in den letzten zehn Jahren sehr erfolgreich agitiert. Damit müsse sich der Erwachsenenteil des DGB stärker auseinandersetzen.

Fazit

Eine wichtige Veranstaltung war das in der Pauluskirche Dortmund. Man wünschte sich auch an anderen Orten in Deutschland mehr Mut bei angefragten Veranstaltern – seien es kirchliche oder kommunale. Die Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut. Der Vortrag von Andreas Zumach „Israel, Palästina und die Grenzen des Sagbaren“ fand statt. Das ist gut so. „Antisemitenmacher“ (nach einem Buchtitel von Abraham Melzer) und Diffamierer, die den Vortrag massiv hatten verhindern wollen, kamen nicht durch damit. Das ist den mutigen Veranstaltern des Abends zu verdanken, die sich nicht hatten einschüchtern lassen. Die Meinungsfreiheit siegte. Einer bedenklichen Entwicklung, wobei unbequeme Meinungen be- und verhindert sollen, ist hier einmal entgegengetreten worden. Fast könnte man bezüglich dieser Entwicklung – in zwar etwas anderem Zusammenhang – von einer Art neuem McCarthyismus sprechen. Jedenfalls was deren diffamierende Wirkung angeht.

Dazu passend: „Diskurs-Manipulation“ von Karin Leukefeld (Quelle: Rubikon)

Links

https://www.rosalux.de/publikation/id/41168/gutachten-zur-arbeitsdefinition-antisemitismus-der-ihra/

https://www.anders-denken.info/informieren/%E2%80%9Earbeitsdefinition-antisemitismus%E2%80%9C-ihra

https://de.wikipedia.org/wiki/Boykott

https://www.infosperber.ch/Medien/Antisemitismus-BDS-Israel-Lobby-Suddeutsche-Andreas-Zumach

https://de.wikipedia.org/wiki/Goldstone-Bericht

http://palaestina-portal.eu/texte/boykott_israel_BDS.htm

https://de.wikipedia.org/wiki/Hasbara

Klicke, um auf Zumach-2018.pdf zuzugreifen

https://www.ngo-online.de/2013/10/05/zur-geschichte-israels-und-palastinas/

http://palaestina-portal.eu/Karten-palestina-von-der-landkarte-verschwunden.htm

https://de.wikipedia.org/wiki/Antideutsche

INF-Vertrag erhalten! Nur Abrüstung schafft Sicherheit. Regina Hagen referierte in Dortmund

1991 stand die »Doomsday Clock«, die die Bedrohung von Mensch und Umwelt insbesondere durch Atomwaffen anzeigt, auf 17 vor 12. Heute zeigt sie erschreckende 2 vor 12 an, obwohl in den vergangenen Jahrzehnten zahlreiche Rüstungskontroll- und Abrüstungsverträge zustande kamen und umgesetzt wurden, darunter der 1987 von Ronald Reagan und Michael Gorbatschow unterzeichnete US-sowjetische INF-Vertrag. Diesen haben nun zuallererst die USA und darauf reagierend auch Russland zum 2. August 2019 gekündigt. Außerdem: Falls sich die USA und Russland nicht auf eine Verlängerung des New-START-Abkommens einigen, läuft auch das letzte noch gültige Abkommen über die Reduzierung strategischer Atomraketen in weniger als zwei Jahren aus. Im Jahr 2021 hätten wir dann keinen einzigen Abrüstungsvertrag zwischen den USA und Russland!

Welche Konsequenzen müssten gezogen werden?

Was ist passiert, dass die nukleare Abrüstung vor einem Scherbenhaufen steht, und was könnten die Konsequenzen sein?

Und genau so wichtig: Gibt es Alternativen, und was können wir   Friedensbewegte, kritische Öffentlichkeit, aber auch (deutsche) PolitikerInnen   tun?

Dazu referierte und diskutierte hernach darüber mit interessiertem Publikum Regina Hagen, verantwortliche Redakteurin der Quartalszeitschrift

Referentin Regina Hagen beim Nachdenktreff in Dortmund. Foto: C. Stille

Wissenschaft & Frieden„, Sprecherin der Kampagne „Büchel ist überall! – atomwaffenfrei.jetzt“. Sie weilte kürzlich auf Einladung von Attac Dortmund, DGB Dortmund – Hellweg und Nachdenktreff in der Auslandsgesellschaft NRW e.V. in Dortmund. Regina Hagen ist seit mehr als 20 Jahren im Trägerkreis „Atomwaffen abschaffen – bei uns anfangen!“ und auf internationaler Ebene aktiv.

Atomwaffenstaaten sind dabei aufzurüsten

Die Referentin wies auf die bedenkliche Tatsache hin , dass derzeit alle 9 Atomwaffenstaaten (Nordkorea dazu gerechnet) dabei seien aufzurüsten. Hauptsächlich gehe es um „qualitative Aufrüstung“, was gemeinhin unter dem „euphemistischen Begriff Modernisierung“ laufe, was freilich nicht als positiv bezeichnet werden könne. Auch Deutschland sei betroffen. Man gehe davon aus, dass hierzulande etwa 20 US-Atomwaffen in Büchel gelagert würden. Diese sollten „gegen welche mit besseren Charakteristika“ mit elektronischer Schnittstelle ausgetauscht werden. Der Tornado (Deutschland könnte im Rahmen der sogenannten „nuklearen Teilhabe“ im Ernstfall in die Verlegenheit kommen, US-Atombomben auszutragen und abzuwerfen) sei aber für neuen Atombomben nicht geeignet. Jetzt heiße es in Deutschland wir bräuchten im Jahren 2019 (!) einen neuen neuen Atombomber.

Gefährliche Unsicherheiten

Kreuzgefährlich sei die kürzlich wieder aufgeflammte neue militärische Konfrontation von Pakistan und Indien – beide Staaten sind Atommächte. Aufgeworfen werden müsste die Frage: Wie gut geschützt bzw. kontrolliert die Atomwaffen (vor allem in Pakistan) in diesen Staaten sind und ob diese möglicherweise in falsche Hände gelangen könnten.

INF-Vertrag ist nicht allumfassend

Betreffs des gekündigten INF-Vertrages merkte Regina Hagen an, dass sich die USA und Russland im Grunde genommen schon vor ein paar Jahren einig darüber waren, dass dieser Vertrag veraltet sei: Denn neue Player, wie etwa China wären ja gar nicht an diesen Vertrag gebunden. Der russische Präsident Putin habe sich schon Februar 2016 darüber beschwert.

Britische Navy will 50 Jahre Besitz von Nuklearwaffen feiern – Protest

Regina Hagen berichtete, sie habe am Tag des Vortrags eine E-Mail von Campaign for Nuclear Disarmament (diese Organisation hat in 1950er Jahren die Ostermärsche ins Leben gerufen) aus Großbritannien erhalten, die zeige, für wie normal manche Ländern Atomwaffen halten. Wonach geplant würde vor der altehrwürdigen Westminster Abbey in London im Mai ein Protest ins Werk zu setzen, welcher sich gegen einen Dankgottesdienst der britischen Navy richtet, der sozusagen 50 Jahre britischen Besitzes von Nuklearwaffen abfeiere.

Aufrüstung

Trump habe, informiert Regina Hagen, Atomwaffen im Weltraum. Russland habe vor dem UNO-Sicherheitsrat Kritik an US- Raketenabwehrstandorten in Rumänien und später auch in Polen geübt , die Moskau als gegen sich gerichtet empfinde. Über was Russland dort allerdings nicht geredet habe, sei das Aufrüstungsprogramm Russlands betreffs neuer Interkontinentalraketen, darunter von nuklear angetriebenen Marschflugkörpern mit Atomsprengköpfen (eine doppelt gefährliche Waffe). Allerdings, so Hagen, müsse gefragt werden, ob sich Russland diese Waffen betreffs der angekündigten Fähigkeiten überhaupt technisch dazu in der Lagen wäre. Auch, ob das letztlich finanzierbar sei. Schließlich habe Russland seinen Rüstungsetat ohnehin reduziert. Offiziell weise Moskau 60 Milliarden Dollar dafür aus.

Die USA kürze bei Bildungsausgaben, bei Wohnen und Stadtentwicklung, Umweltschutz und für Diplomatie. Dafür gehe mehr Geld in Rüstung, auch in die Finanzierung von Nuklearwaffen – auch im Weltraum.

Auch andere Länder – wie etwa Indien – rüsteten auf. Jedoch seien die USA der Player, der die Standards setze.

Was sagt Deutschland?

Deutschlands Außenminister Heiko Maas (SPD) habe vor dem UN-Sicherheitsrat vor einer neuen Aufrüstungslogik gewarnt, lehnt jedoch gleichzeitig den vorhandenen Verbotsvertrag für Kernwaffen ab. Er redete nicht über die Atomwaffen in Büchel, die Suche nach einem neuen Atombomber und nicht über den geplanten Austausch der US-Atomwaffen in Büchel gegen neue – auch lenkbare Atombomben.

Regina Hagen: „Er selbst fordert und bietet für Deutschland nichts an.“ Und Maas betone gleichzeitig, dass eine weitere Reduzierung der Atomwaffenarsenale keinerlei Sicherheitsverlust bedeuten würde.

Fazit

Es sei noch einmal daran erinnert: Im Jahr 2021 hätten wir dann keinen einzigen Abrüstungsvertrag zwischen den USA und Russland mehr.

Regina Hagen: Leider gibt es wenig Interesse am Protest gegen Atomwaffen. Dennoch: Nicht verzagen, nicht aufgeben.

An Aktionen beteiligen. Politiker nicht aus der Pflicht lassen. Deutschland darf Stationierung neue Atomwaffen nicht zustimmen. Wir müssen den Abzug der US-Atomwaffen fordern. Deutschland darf sich kein neuen Atombomben zulegen. Die Nato als „nukleares Bündnis“ (Obama) ist inakzeptabel.

Nächste Veranstaltung:

Ist eine andere/bessere EU möglich?

Für ein Europa der Demokratie, des Friedens und der Solidarität“

Prof. Dr. Andreas Fisahn während eines früheren Vortrags an der Auslandsgesellschaft NRW e.V. Dortmund. Fotos: C.-D. Stille

Referent: Andreas Fisahn, Professor für öffentliches Recht an der Universität Bielefeld, Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat von Attac.

Montag, 20. Mai 2019, 19 Uhr

Auslandsgesellschaft Dortmund, Steinstraße 48

Dortmund heute: Schmutzige Kohle für Dortmund. Zwei Referenten aus Kolumbien berichten

Pressemitteilung von Attac Dortmund

Eine Veranstaltung der Initiative Dortmund Kolumbien (Attac, Bündnis dew-kommunal, Ev. Kirche, Iberoamerika-Kreis der Auslandsgesellschaft, IZ3W)

Aus der Ankündigung:

Riesige schwarze Wunden klaffen in der Landschaft der zwei ärmsten
Provinzen im Norden Kolumbiens. Seit über 30 Jahren wird hier, nahe der
Atlantikküste, Steinkohle für den Export abgebaut. Die Minen
verschlingen Schritt für Schritt den Lebensraum der dort ansässigen
indigenen und afrokolumbianischen Bevölkerung:
Dörfer, die der Mine im Weg sind, werden – z.T. sogar gewaltsam –
geräumt und in abgelegene und unfruchtbare Gegenden „umgesiedelt“, ohne
Zugang zu natürlichen Gewässern und ohne geregelte Wasserversorgung.
Flüsse werden umgeleitet oder trocken gelegt. Brunnen und Grundwasser
sind kontaminiert. Regelmäßige Sprengungen in den Gruben sowie
ungesicherte Kohletransporte, mitten durch bewohnte Ortschaften, sorgen
für eine starke Staubentwicklung.
Für die Region und die dort lebenden Menschen bedeuten diese
Umwälzungen: Armut, Abhängigkeit, häufige Erkrankungen, hohe
Kindersterblichkeit und schwerwiegende Umweltschäden.

El Cerrejón, die größte Kohlemine Kolumbiens und gleichzeitig eine der
größten der Welt beliefert u.a. die deutschen Stromerzeuger STEAG und
RWE. An beiden Unternehmen hält die Stadt Dortmund beachtliche Anteile.
So sind auch wir Bürgerinnen und Bürger unmittelbar mitverantwortlich,
nicht nur als Konsumenten, sondern sogar als Mitbesitzer!

Es ist Zeit, Verantwortung zu übernehmen und gemeinsam mit den
betroffenen Menschen des globalen Südens nach verträglichen Lösungen zu
suchen.

Maria Fernada Herrera Palomo, Diplom Wissenschaftlerin Lateinamerika,
Universität zu Köln. Seit 2013 arbeitet sie zu dem Thema „Globale
Umwelt- und soziopolitische Verhältnisse zwischen den Ländern des
globalen Nordens und globalen Südens“ und befasst sich besonders mit den
Widerstandsbewegungen der Völker, die unter den verheerenden
Auswirkungen des Kohleabbau in Kolumbien leiden. Aktiv ist sie beim
Informationsbüro Nicaragua, der Initiative Dortmund Kolumbien und
Ausgeco2hlt.

Alejandro Rodriguez, Kolumbianer, Biologe der Universidad Nacional in
Kolumbien und internationaler Korrespondent von El Centro de Estudios
del Trabajo (http://cedetrabajo.org). Er arbeitet seit Jahren zusammen
mit dem Comité Cívico por la dignidad de la Guajira (Bürgerkomitee für
die Würde von La Guajira).

(Veranstaltungssprache: deutsch)

Wann und wo?

Montag, 24.9., 19 Uhr, Dortmund, Auslandsgesellschaft, Steinstr. 48
(Nordausgang Hbf, neben Cinestar und Steinwache)

Grafik via Auslandsgesellschaft NRW.

Prof. Dr. Andreas Fisahn spricht am kommenden Donnerstag bei Attac zum Thema: „Halbierte Demokratie in der EU und Deutschland“

Snapshot vom YouTube-Video MrMarxismo
Am 06.02.2018 veröffentlicht Vortragsreihe: „Ein anderes Europa ist möglich“ – VHS Lübeck & attac Lübeck – „Halbierte Demokratie durch die Hintertür?“ Prof. Dr. Andreas Fisahn (attac), (6. November 2017)

Am kommenden Donnerstag, den 12. Juli 2018, lädt Attac Dortmund in der Reihe „Globalisierung konkret“ wieder zu einem interessanten Vortrag ein. Dieser trägt den Titel „Halbierte Demokratie in der EU und Deutschland“. Prof. Andreas Fisahn (Universität Bielefeld) holt damit sein im Februar dieses Jahres wegen Erkrankung ausgefallenes Referat in der Auslandsgesellschaft NRW e.V. in Dortmund nach.

Prof. Andreas Fisahn gibt einen Überblick über Ansprüche an die Demokratie und kontrastiert sie mit der Wirklichkeit in der EU und Deutschland. Er fragt, ob überhaupt Demokratie und Kapitalismus vereinbar ist oder ob nicht die Spaltung zwischen Arm und Reich zwangsläufig zu ihrer Zerstörung führen muss.

Als Wiege der Demokratie gilt das antike Athen. Dort wurde die Auswahl der Regierenden nicht durch Wahlen, sondern per Los bestimmt. Den Gründern der us-amerikanischen Verfassung war solche Demokratie suspekt; sie sprachen lieber von Republik. James Mason, einer von ihnen, forderte, die Regierungsform müsse so gestaltet sein, dass die Minorität der Reichen gegen die Majorität der Armen geschützt werde. Deshalb wurde dort wie auch nach der Französischen Revolution das System der Wahl von Repräsentanten installiert, das uns heute als die einzige, alternativlose Form der Demokratie erscheint.

Aber die Demokratie ist in Verruf geraten. Das zeigt die große Anzahl der Veröffentlichungen von populären und wissenschaftlichen Büchern über das Thema „Demokratie“. Repräsentation ist eine Technik – so konstatieren viele der AutorInnen – zur Besetzung von Herrschafts- und Führungspositionen und zur Vortäuschung, der Wille des Volkes.

Durch die Entwicklung internationaler Konzerne und ihren Einfluss auf die Politik hat sich die Kritik am bestehendem demokratischem System vertieft: Von „Postdemokratie“, „simulativer Demokratie“ und „Fassadendemokratie“ wird gesprochen.

Prof. Fisahn überprüft die unterschiedlichen Konzeptionen von Demokratie in der Philosophie und der Rechtswissenschaft anhand der wirklichen Entwicklung der Institutionen in der EU und Deutschland und endet mit einem Ausblick: „Autoritär halbierter Rechtsstaat“ versus Ermächtigung und Kooperation der emanzipatorischen Zivilgesellschaft in Europa.

Andreas Fisahn ist Professor für öffentliches Recht an der Universität Bielefeld, Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat von Attac. Zahlreiche Veröffentlichungen, darunter der Attac Basis Text 51 „Hinter verschlossenen Türen: Halbierte Demokratie?“ VSA-Verlag 2017.

Quelle: Attac Dortmund

Ort und Zeit

Donnerstag, 12. Juli 2018, 19:00 Uhr

Eintritt frei!

Grafik via Auslandsgesellschaft NRW.

Auslandsgesellschaft NRW, Steinstr. 48 (neben Steinwache, Cinestar,
Nordausgang Dortmund Hbf)

Prof. Dr. Wilhelm Heitmeyer sprach in Dortmund zum Thema „Deutschland auf dem Weg in eine „prekäre Zivilität“? – Hass und Gewalt gegen Minderheiten“

Das Forschungsinteresse des Soziologen und Erziehungswissenschaftlers Prof. Dr. Wilhelm Heitmeyer gilt seit mehr als 30 Jahren Rechtsextremismus, Gewalt und Fremdenfeindlichkeit. Im Mittelpunkt seiner Forschungsarbeit stehen die Bielefelder Desintegrationstheorie und die empirischen Prüfung bei Konflikten und Gewalt. Seine Kernthese lautet: Je weniger faktisch oder gefühlt materielle Sicherheit, soziale Anerkennung und persönliche Akzeptanz gegeben sind, desto stärker werden diejenigen ausgegrenzt, die anders sind als man selbst. Als weiteren Grund für Gewalt sieht Heitmeyer eine „rohe Bürgerlichkeit“: Durch ein ökonomistisches Denken in der Gesellschaft würden Einzelne nach Nützlichkeit, Verwertbarkeit und Effizienz beurteilt.

DIE ZEIT urteilte über ihn und seine Arbeit:

Wilhelm Heitmeyer erforscht, was die Gesellschaft zusammenhält und wie Gewalt entsteht. Seine Ergebnisse sind vielen unheimlich: Den Politikern, den Freunden der Multikultur, den Islamisten.“

Warnsignale kamen von Prof. Wilhelm Heitmeyer und dessen Forschungsgruppe schon zeitig

Prof. Dr. Wilhelm Heitmeyer. Fotos: Claus Stille

Schon früh, so erinnert Heitmeyer eingangs seines Referats zu Wochenbeginn in einer Veranstaltung von Attac Dortmund und DGB Dortmund – Hellweg in der Auslandsgesellschaft NRW in Dortmund, habe er sich mit den Schattenseiten der Globalisierung beschäftigt und vor den möglichen Folgen gewarnt. Und zwar zu einem Zeitpunkt, da davon in der Regel noch nicht die Rede gewesen sei. Es sei die Zeit der neoliberalen Politik gewesen. Seinerzeit daran Kritik zu üben, habe dazu geführt, dass man dann gar nicht mehr „ungeschoren“ davon kam. Schon 2001 hat Heitmeyer (zusammen mit Dietmar Loch) einen Suhrkamp-Band mit dem Titel „Schattenseiten der Globalisierung“ (die da wären: Rechtsextremismus, Rechtspopulismus und separatistischer Regionalismus in westlichen Demokratien) veröffentlicht. In dem Band schrieb Heitmeyer einen Aufsatz mit dem Titel „Autoritärer Kapitalismus, Demokratieentleerung und Rechtspopulismus“.

Der Kapitalismus erlangte massiven Kontrollgewinn mit Folge einer Demokratieentleerung

Die daraus entspringende These 2001: „Wir haben es mit der Entwicklung eines autoritären Kapitalismus zu tun, der seine Maxime durchsetzen kann wie er will. Heißt: „Der Kapitalismus hat einen massiven Kontrollgewinn. Auf der anderen Seite hat die nationalstaatliche Politik einen massiven Kontrollverlust erlitten.“ Die Folgen: „eine Demokratieentleerung in der Gesellschaft“. Bedeutet: „Der politische Apparat läuft wie geschmiert. Aber die Menschen verlieren sukzessive das Vertrauen in die Regulierungsfähigkeit nationalstaatlicher“ Institutionen.Es war zu befürchten die Kontrolle „die eigene Geografie zu verlieren“. Heitmeyer: „Die äußere Struktur bleibt erhalten als System. Aber die innere Entleerung schreitet sukzessive voran“, gekoppelt an erhebliche Desintegrationsprozesse Teile der Bevölkerung betreffend. Der Besitzer-Kapitalismus habe sich in einen Finanzkapitalismus gewandelt, der sich in immer anonymer werdenden – nahezu unübersichtlichen – Strukturen zu äußern begann. Die endgültige These 2001 aus alledem: „Dass der Gewinner dieser Entwicklung Ende des letzten Jahrtausends sozusagen ein rabiater Rechtspopulismus sein.“ Wilhelm Heitmeyers Resümee heute: „Offensichtlich war die These nicht ganz schräg.“ Man könne das inzwischen „ganz gut nachzeichnen“.

Uns sind ziemlich alle Gewissheiten abhanden gekommen, stellte Heitmeyer fest

Unterdessen, stellte der Referent fest, seien uns so ziemlich alle Gewissheiten abhanden gekommen: „Und die sind auch nicht wieder herstellbar.“ Das mache uns an vielen Stellen auch wieder anfällig für die Wiederkehr des Autoritäten. Betreffs der Zeit nach der Jahrtausendwende spricht Heitmeyer deshalb auch von den „die entsicherten Jahrzehnte“. Welche erhebliche Krisen beinhaltet hätten, die Folgen nach sich zogen. Krise bedeute, wenn bestimmte Routinen im Alltag nicht mehr funktionierten. Die Politik kommt wie die Ökonomie mit ihren Routinen nicht weiter. Wichtig zu bedenken dabei: „Man kann den Zustand vor die Krise nicht wieder herstellen.“ Für eine wichtige Wende hält Prof. Heitmeyer die Zeit nach 9/11. Deutliche Verschiebungen von Koordinaten gegenüber Fremden seien damals erzeugt worden. Plötzlich seien Türken keine Türken mehr, sondern Muslime gewesen. Das Religiöse – der Islam – sei plötzlich mit dem Terrorismus konnotiert worden. Als zweite Krise sei 2005 Hartz IV auf den Plan getreten. „Für Viele in der Gesellschaft eine soziale Krise.“ Es sei klargeworden: „Statusbewusste kommen ins Schwanken.“ Die dritte Krise sei die Banken- und Finanzkrise 2008/2009 – begleitet von diversen terroristischen Anschlägen – gewesen. Auch könne 2015 die Flüchtlingsbewegung „in der Tat als Krise“ bezeichnen. Immer unter den beiden Kriterien zu betrachten: „Die Routinen versagen. Und man kann den Zustand vor den Ereignissen nicht wieder herstellen.“ All das habe in der Bevölkerung Spuren hinterlassen.

Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit

Von 2002 bis 2011 (wird jetzt noch weitergeführt) habe man an der Uni Bielefeld eine Arbeitsgruppe eine zehnjährige Langzeituntersuchung mit einer repräsentativen Bevölkerungsbefragung (2000 bis 3000 Personen) zu gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit durchgeführt. Hieße, das Menschen allein aufgrund ihrer Gruppenzugehörigkeit und unabhängig von ihrem individuellen Verhalten in den Fokus von Abwertung und Diskriminierung und zum Teil Gewalt hineingeraten. Die Untersuchung zu sozialer Desintegration habe – was manche frappieren mag – ergeben, dass nicht nur Migranten, sondern auch Teile der ursprünglich deutschen Gesellschaft ebenfalls nicht integriert seien. Menschen brauchten natürlich einen Zugang zu den Funktionssystemen: Arbeit, Wohnungsmarkt usw.

Des Weiteren sei für Menschen auch die Frage von Anerkennung (wg. des Jobs, des Wohnumfelds) wichtig und die Frage: Habe ich in der Gesellschaft eine Stimme? Wilhelm Heitmeyer: „Werde ich nicht gehört, oder habe ich gar keine Stimme, werde ich nicht wahrgenommen. Wer nicht wahrgenommen wird ist ein Nichts.“ Auch so etwas wie emotionale Anerkennung sei von Wichtigkeit.

Sich selbst aufwerten, indem man andere abwertet

Jeder male ja an einen positiven Selbstbild von sich, gab der Referent zu bedenken. „Wenn man dann aber in Anerkennungsdefizite hineingerät, dann setzt so ein Mechanismus sich in Gang, dass man sich selbst aufwertet, indem man andere abwertet.“

Heitmeyer zitiert den Soziologen Klaus Dörre, der die These vertritt, dass der Kapitalismus nicht ohne Landnahme existieren könne. Ihm zufolge müsse der Kapitalismus immer mehr Lebensbereiche in seine Logiken hinein zu zwingen. Es gehe nurmehr um Verwertbarkeit, Nützlichkeit und Effizienz des Menschen. Angetrieben von einem „ökonomistischen Denken“, die eine „Ungleichwertigkeit des Menschen“ zur Folge habe. Da, sagte Wilhelm Heitmeyer, käme dann „das ins Spiel was wir zunächst immer als unter Rechtspopulismus eingeordnet haben“.

Wilhelm Heitmeyer: „Man hat gar nicht bemerkt, oder wollte es nicht bemerken – wir haben es ja immer publiziert – dass sich dort etwas zusammenbraute“

In 2002 habe man in einer ersten Untersuchung zu rechtspopulistischen Einstellungen in der Bevölkerung mit den Kriterien Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit und autoritäre Aggression. Es stellte sich heraus, dass in der Bevölkerung 2002 ein Potential diesbezüglich von zwanzig Prozent vorhanden war. Das spätere Erstaunen in der politischen Landschaft darüber wunderte wiederum den Soziologen Heitmeyer, waren doch diese Einstellungsmuster „lange von den Pegida-Demonstrationen, lange vor der AfD in ihrer jetzigen Verfassung und lange vor den Flüchtlingsbewegung bekanntgewesen“.

„Man hat gar nicht bemerkt, oder wollte es nicht bemerken – wir haben es ja immer publiziert – dass sich dort etwas zusammenbraute.“ Im politischen Bereich sei das nichts selten als Alarmismus abgetan worden. Heitmeyer zu den realen Folgen: „Daran konnte sich dann die AfD, nachdem sie sich gespalten hatte, direkt anschließen.

Der Begriff „Rechtspopulismus“, meint Heitmeyer, ist betreffs der AfD verharmlosend

Inzwischen, schränkte Prof. Dr. Heitmeyer ein, habe er sich von dem Begriff Rechtspopulismus im Zusammenhang mit der AfD völlig verabschiedet. Denn der Begriff für diesen neuen parteipolitischen Typ sei „nämlich völlig verharmlosend“. Und er erklärte: „Der Rechtspopulismus will nämlich mit einer ganz flachen Ideologie Lärm machen über die Medien.“ Gleichzeitig sei die AfD jetzt nicht eine rechtsextreme Partei. Denn der Rechtsextremismus operiere an vielen Stellen ja auch mit Gewalt. Damit jedoch AfD-Wähler nichts zu tun haben. Was etwas mit deren hoher Bürgerlichkeit zusammenhänge. Gerade in Dortmund könne man sehen, dass die Rechtsextremen vor allem Schrecken verbreiten wollten.

Neuer Typus: Autoritärer Nationalradikalismus

Für Heitmeyer sei die AfD deshalb ein neuer Typus. Der sei nicht vom Himmel gefallen, sondern deren Erfolgsgeschichte sei, dass sie einen autoritären Nationalradikalismus verträten. Die AfD arbeitet seiner Meinung nach betreffs des Autoritäten mit einem „Kontrollparadigma“ (Kontrolle über Lebensentwürfe, über Grenzen, in so gut wie allen Lebensbereichen). Das Nationale sei klar: Deutschsein sei eine Schlüsselideologie in Sachen Umformung dieser Gesellschaft. Erkennbar auch an einem stark geschichtsrevisionistischen Bild, mit dem die AfD arbeite. Das Radikale ergebe sich aus den ständigen Grenzüberschreitungen, die über all die bekannte Sprüche äußerten. Ein ganz, ganz wichtiger Punkt“, betonte Wilhelm Heitmeyer, sei, dass gegen die wahrgenommenen Kontrollverluste in der Bevölkerung jetzt ein anderes Kontrollparadigma gesetzt wird nach dem Muster „Wir holen uns unser Volk zurück, wir holen uns unser Land zurück“. Heitmeyer konzedierte, der Job könne einen verloren gehen, man habe Anerkennungsverluste, wird im politischen Bereich nicht wahrgenommen, hat moralische Anerkennungsverluste – all das könne einem abhanden kommen. „Was einem aber nicht genommen werden kann, das ist das Deutschsein.“ Dies bekäme plötzlich „das Gewicht eines ganz zentralen Identitätsankers“. Genau an dieser Stelle setze der neue autoritäre Nationalradikalismus an und arbeite an den sehr einsichtigen Weltbildern, dichotomischen Gesellschaftsbildern – Gegenüberstellungen und Begrifflichkeiten wie z. B. homogene Gesellschaften zu denen es zurück soll, gegen heterogene Gesellschaften. Gleichwertigkeit gegen Ungleichwertigkeit und die Kategorie: „Wir gegen die“

Verschiebungen von Normalitätsstandards mithilfe von Eliten

Es gehe um Verschiebungen von Normalitätsstandards. Verschiebungen, die sich langsam und sukzessive vollzögen. Daran beteiligt wären die politischen, wissenschaftlichen und medialen Eliten. Namentlich nannte Heitmeyer nur Sarrazin und den Philosophen Peter Sloterdijk. Alles was als normal gelte, kann man nicht mehr problematisieren. Gerade im Verwandtenkreis sei das schwierig. Wer habe da schon dem Mut zu sagen: So geht es aber nicht! „Das wird man hart trainieren müssen.“ Wir seien immer bereit uns vom Extremen zu distanzieren. Jedoch das Destruktive in der Normalität – im Alltäglichen – zu bekämpfen, da „wird es echt anstrengend“. Damit gelte es ich immer wieder zu beschäftigen und darauf hinzuweisen, dass die Flüchtlingsbewegung nicht Ursache dieser ganzen Entwicklung ist.

Die Flüchtlingsbewegung zu beruhigen wird nicht die Lösung sein

Denke man nun, wenn man die Flüchtlingsbewegung beruhige, sei alles wieder in Ordnung, unterläge man einem Irrtum, beschied Wilhelm Heitmeyer dem zahlreich erschienen Publikum der Dortmunder Auslandsgesellschaft. Dass dieses autoritäre Gesellschaftsmodell, das ja gegen die offene Gesellschaft, gegen die liberale Demokratie gerichtet ist, mir nichts dir nichts verschwinde, vermag sich Heitmeyer derzeit nicht vorzustellen. Dazu müsse man sich nur einmal die europäische Landkarte ansehen: Rechtsentwicklungen in Polen, Ungarn, der Slowakei in Österreich und in der komischen Mischung in Italien zwischen Rechts- und Linkspopulismus in Italien.

Positive Aussichten vermochte der Referent nicht zeichnen

Mit positiven Aussichten konnte Prof. Dr. Wilhelm Heitmeyer seine ZuhörerInnen indes nicht aus diesem interessantem Vortrag entlassen. Er fürchte, wir werden uns wohl damit befassen müssen, dass dieser autoritäre Nationalradikalismus unter Umständen ein politisches Wachstumsmodell ist. Die Hunderttausend-Dollar-Frage sei: Was tun? Heitmeyer: „Dazu fragen Sie mich besser nicht.“ Geschocktes Lachen im Publikum.

Wilhelm Heitmeyer (links) mit Moderator Peter Rath-Sangkhakorn (rechts).

 

Eine interessante Frage- und Diskussionsrunde schloss sich dem Vortrag unter dem Titel „Deutschland auf dem Weg in eine „prekäre Zivilität“? – Hass und Gewalt gegen Minderheiten

an. Moderator Peter Rath-Sangkhakorn schloss die Veranstaltung mit dem stets am Ende vom „Literarischen Quartett“ vom Großkritiker Reich-Ranicki benutzten Brecht-Zitat „Und so sehen wir betroffen / Den Vorhang zu und alle Fragen offen“.

Antworten aus der Fragerunde

Wilhelm Heitmeyer:

„Wenn Statussicherheiten ins Rutschen kommen, dann kennen viele Menschen keine Verwandten mehr.“

„Die alte Bundesrepublik war eine Erfolgsgeschichte. Den Kindern sollte es mal besser gehen. Diese Aufstiegsgeschichte (der „Fahrstuhleffekt“ nach Ulrich Beck; d. Autor) ist an ein Ende geraten. Jetzt gibt es eher das Bild einer Paternoster-Gesellschaft: Für einige geht’s nach Oben, für andere geht’s nach Unten.“

Im derzeitigen Koalitionsvertrag stünde der Begriff „Sozialer Zusammenhalt“. Heitmeyer hält das für den Versuch einen Alleskleber anzubieten und fragt angesichts einer Politik, an der nichts geändert wird: „Das steht ja nicht wie dieser soziale Zusammenhalt erzeugt werden soll. Man weiß ja nicht einmal was das heißt. Wer soll denn mit wem zusammenhalten? Wenn unsere Ökonomie, ja eine Konkurrenzökonomie ist!“

„Ungleichheit zersetzt Gesellschaften. Was übrig bleibt, ist an vielen Stellen nur ‚Rette sich wer kann‘.“

„Frau Merkel hat ihre Politik als alternativlos dargestellt. Eine solche Position demokratieavers. Das gehört nicht in eine Demokratie. Es gibt immer Alternativen.“

Auch Merkels Ausspruch, wir brauchten eine „marktkonforme Demokratie“, hieße „es ist die Auslieferung der Politik an die Ökonomie.“

Was nicht verhandelbar ist in der Gesellschaft:

„Erstens: Die Gleichwertigkeit von Menschen. Zweitens: Die psychische und physische Unversehrtheit.“

„Ich gucke mit Schaudern nach Bayern … bei diesem Anpassungsmuster. Es gibt keine einzige nationalen, internationale Beispiele, wenn ich bei dieser AfD mit Anpassung reagiere, das dass dann zu einem Erfolg führt. Vielleicht hat ja Söder demnächst den großen Erfolg? Aber: Die Anpassung funktioniert hinten und vorne nicht. Die Frage ist, ob die Leute nichts lesen … vielleicht brauchen sie auch politische Weiterbildung?“

Zum Referenten

1996 bis 2013 Direktor des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld

seit 1982 Leiter verschiedener Forschungsgruppen zu Rechtsextremismus, Gewalt, Fremdenfeindlichkeit und ethnisch-kulturellen Konflikten, darunter das Langzeitprojekt „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit (GMF)“

Autor / Herausgeber zahlreicher Publikationen u.a. zu Gewalt, Rechtsextremismus, Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, soziale Desintegration

seit August 2013 Senior Research Professor an der Universität Bielefeld

Quelle: Attac

„Deutsche Zustände ist der Titel einer kontinuierlich über 10 Jahre hinweg durchgeführten Studie über den Zusammenhang zwischen sozialen und ökonomischen Verhältnissen und der Entwicklung von Vorurteilen gegenüber gesellschaftlichen Minderheiten in Deutschland. Die jährlich veröffentlichten Bände enthalten vornehmlich statistische Analysen, aber auch Essays und Interviews zum Thema. Die Langzeitstudie wurde von einer Forschungsgruppe des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld unter Leitung des Pädagogikprofessors Wilhelm Heitmeyer zwischen 2002 und 2011 durchgeführt.“[1] (Quelle: Wikipedia)

Referiert am 18. Juni auf Attac-Veranstaltung in Dortmund: Prof. Wilhelm Heitmeyer – Deutschland auf dem Weg in eine „prekäre Zivilität“? – Hass und Gewalt gegen Minderheiten

Das Forschungsinteresse des Soziologen und Erziehungswissenschaftlers Prof. Dr. Wilhelm Heitmeyer gilt seit mehr als 30 Jahren Rechtsextremismus, Gewalt und Fremdenfeindlichkeit. Im Mittelpunkt seiner Forschungsarbeit stehen die Bielefelder Desintegrationstheorie und die empirischen Prüfung bei Konflikten und Gewalt. Seine Kernthese lautet: Je weniger faktisch oder gefühlt materielle Sicherheit, soziale Anerkennung und persönliche Akzeptanz gegeben sind, desto stärker werden diejenigen ausgegrenzt, die anders sind als man selbst. Als weiteren Grund für Gewalt sieht Heitmeyer eine „rohe Bürgerlichkeit“: Durch ein ökonomistisches Denken in der Gesellschaft würden Einzelne nach Nützlichkeit, Verwertbarkeit und Effizienz beurteilt.

DIE ZEIT urteilte über ihn und seine Arbeit:

Wilhelm Heitmeyer erforscht, was die Gesellschaft zusammenhält und wie Gewalt entsteht. Seine Ergebnisse sind vielen unheimlich: Den Politikern, den Freunden der Multikultur, den Islamisten.“

Zum Referenten

1996 bis 2013 Direktor des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld

seit 1982 Leiter verschiedener Forschungsgruppen zu Rechtsextremismus, Gewalt, Fremdenfeindlichkeit und ethnisch-kulturellen Konflikten, darunter das Langzeitprojekt „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit (GMF)“

Autor / Herausgeber zahlreicher Publikationen u.a. zu Gewalt, Rechtsextremismus, Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, soziale Desintegration

seit August 2013 Senior Research Professor an der Universität Bielefeld

Quelle: Pressemeldung Attac

„Deutsche Zustände ist der Titel einer kontinuierlich über 10 Jahre hinweg durchgeführten Studie über den Zusammenhang zwischen sozialen und ökonomischen Verhältnissen und der Entwicklung von Vorurteilen gegenüber gesellschaftlichen Minderheiten in Deutschland. Die jährlich veröffentlichten Bände enthalten vornehmlich statistische Analysen, aber auch Essays und Interviews zum Thema. Die Langzeitstudie wurde von einer Forschungsgruppe des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld unter Leitung des Pädagogikprofessors Wilhelm Heitmeyer zwischen 2002 und 2011 durchgeführt.“[1] (Quelle: Wikipedia)

Grafik via Auslandsgesellschaft NRW.

Veranstaltung/Ort

Prof. Heitmeyer: Hass und Gewalt gegen Minderheiten

Am 18. Juni 2018

Beginn 19:00 Uhr

Auslandsgesellschaft, Steinstr. 48 (Nordausgang Hbf, neben Steinwache)

Eintritt: frei

Ex-Wirtschaftsminister Ecuadors Pedro Paez zu Gast beim Nachdenktreff Dortmund über Globalisierung und Neoliberalismus. Dystopisch anmutende Aussichten, die an die Nieren gingen

Dr. Pedro Paez (rechts) mit Übersetzerin Kerstin Sack (links). Fotos: Claus Stille

Das internationale Handels- und Finanzsystem ist weiterhin in keinem guten Zustand. Experten rechnen fest mit einer neuen Finanzkrise. Die sozialen Errungenschaften der Bevölkerungen sind längst angegriffen und beschädigt. Fazit der hier beschriebenen Veranstaltung: Sie dürften künftig noch weiter abgebaut werden.

Pedro Paez: Steuerflucht und Steuervermeidung zu verhindern wird auch künftig eine Illusion bleiben

Gerade als Dr. Pedro Paez, der vormalige Wirtschaftsminister Ecuadors zu einem Vortrag bei der UNCTAD (Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung) in Genf weilte, erhielt er Kenntnis von den Paradise Papers. Gestern referierte Paez bei der Veranstaltung „Nachdenktreff“ in der Reihe „Globalisierung konkret“.

Hoch angesehene Monarchien, Gruppe Unternehmen oder Oligarchen, welche durch die Paradise Papers bekannt geworden seien, hätten „am Rande der Legalität, aber auf jeden Fall außerhalb der Legitimität“ operiert. Steuervermeidung oder Steuerflucht zu verhindern werde auch in diesem Falle eine Illusion bleiben, war sich Pedro Paez sicher. Schließlich hätte sich auch nach dem Bekanntwerden der Panama Papers nichts verbessert. „Im Gegenteil. Es ist noch schlechter geworden“, konstatierte der Ex-Wirtschaftsminister Ecuadors gestern in der Auslandsgesellschaft NRW e.V. Dortmund.

Wir befinden uns in einer kriminellen Situation

Der Niedergang der Möglichkeiten der Regulierung bedeute gerade für die Länder des Südens geringere Möglichkeiten zur Entwicklung. Es gebe eine immer größere Konzentration von Reichtum und damit eine enorme Fülle von Macht auf globaler Ebene. Dazu käme noch die Rolle der Kommunikationsmedien und der Wissenschaft. Einer der wichtigsten Intellektuellen der USA, Noam Chomsky, habe nachgewiesen, dass die Herstellung eines Konsenses ein großes Problem ist. Die Korruption durchziehe eigentlich alles. Was mit den Finanzmärkten zu tun habe. Wir befänden uns eigentlich „in einer kriminellen Situation“. Es gehe nicht um Einzelfälle. Vielmehr sei das „ein systemischer Prozess“.

0,001 Prozent der Reichen agieren zum Nachteil des Rests der Menschheit

Die Mehrheit der Bevölkerung werde „disqualifiziert“. Es sei das erste Mal in der Geschichte der Menschheit, dass diejenigen, welche die Gesetze anwenden und die Institutionen, die zur Kontrolle vorgesehen seien, gegen eben diese Gesetze verstießen. Was im einher gehe mit der „Degradierung der Zivilgesellschaft“. Vergleichsweise geringe 0,001 Prozent der Reichen agierten zum Nachteil des Rests der Menschheit.

Oxfam:  Acht Milliardäre besitzen genauso viel Vermögen wie die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung

Und Paez zitierte die von der Nichtregierungsorganisation Oxfam veröffentlichten Berichten zur jährlich immer weiter aufklaffenden Schere zwischen Arm und Reich. Unterdessen (2016) verfügten demnach acht Milliardäre genauso viel Vermögen wie die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung. Vor drei Jahren seien es noch 285 gewesen. Paez: „Ein Prozess, der in der Geschichte der Zivilisation noch nie dagewesen ist.“ Das bedeute eine Enteignung der Menschen, auch die Unmöglichkeit wichtige Entscheidungen zu treffen. Das betreffe auch wichtige Anteile der Unternehmen und der Nationalstaaten. Gerade in den Ländern des Südens sei dadurch ein wichtiger Part der öffentlichen Wirtschaft zerstört worden. Das sei ein Prozess, der uns unpersönlich erscheine. Anscheinend seien die „unsichtbaren Märkte“ dafür verantwortlich. Es erscheine uns wie „ein Naturereignis, das unabwendbar“ sei. Die Erzählung wäre, dass nur diese Märkte effizient seien. Alles was um das Geld herum passiere, erscheine uns als „ein unvermeidliches Phänomen“.

Soziale Verhaltensweisen wurden durch antisoziale Verhaltensweisen ersetzt

Einst habe der britischer Minister Gresham den Goldgehalt des Geldes verringern lassen. Es gab dann sozusagen gutes und schlechtes Geld. Dasselbe passiere bei uns heute mit der Ethik. Es gibt gutes Verhalten und schlechtes. Soziale Verhaltensweisen wären durch antisoziale Verhaltensweisen ersetzt worden. Diese negativen Verhaltensweisen verbrauchten immer mehr Ressourcen. Letzterer – in den letzten Jahrzehnten rasend schnell verstärkt – hätten eine unglaubliche Konzentration von Macht zur Folge gehabt. Die Globalisierung sei eine neue Form des Kapitalismus. Verbunden mit der Durchlässigkeit der Grenzen und der Zerstörung des Nationalstaates. Was vorher die Voraussetzung zu dessen Entwicklung gewesen sei, verkehre sich ins Gegenteil. Alles Versprechungen, die den Menschen gemacht worden betreffs einer Verbesserung ihrer Verhältnisse seien nicht eingetreten. Höchstens für einen geringen Prozentsatz von ihnen von Nutzen gewesen. Dr. Paez: „Das Paradoxe daran, dass sich all dies entwickelt hat in einer der besten Phasen des meisten Wachstums.“ Im Grunde sei ab den 1970ern damit begonnen worden, alles Soziale – angefangen vom New Deal in den USA – und größeren Umverteilung in Zeiten einer starken Sozialdemokratie einem Zurückdrehen zu unterziehen.

Schlimmer Mechanismus: Sich Verschulden, um Schulden zu bezahlen

Die Überproduktion habe Krisen entstehen lassen. Produktion und Konsum seien auseinander gefallen. Man verlegte sich auf die Spekulation. In der ersten Phase wurden Offshore-Center vergrößert und Steueroasen geschaffen. Die zweite Phase wäre die Steigerung der Zinsraten seitens der FED. „Die Diktatur der Weltbank, der WTO und des IWF“, die auf der Grundlage der Verschuldung von Staaten agierte, führte auch zu einem Druck auf selbige, um ihre Politik zu ändern. Die Derregulierung der Finanzen, bezeichnete Pedro Paez als „unverantwortlich“. Die Situation der Menschen in den einzelnen Ländern verschlechterte sich. Der Mechanismus dahinter: „Sich verschulden, um Schulden zu bezahlen.“ Paez warnte ausdrücklich davor, dass uns dasselbe jetzt nochmal bevorstehe. Die dritte Phase zeige die zerstörerische Kraft dieser Politik. Paez sieht eine weltweite Instabilität des Finanzsystems. Von der ersten bis zur dritten Phase habe sich der Prozess umgekehrt. Ein zwangsläufiger Prozess meint Paez, der sich selbst verstärke.

Angebliche Krisenlösungen beruhen auf Nicht-Nachhaltigkeit

Alle angeblichen Krisenlösungen seien Scheinlösungen, meint Paez. Weil es Instrumente sind, welche Krisen weiter verschärften. In Zeiten einer bevorstehenden, nie zuvor gesehenen technischen Revolution, sehe es zwar zunächst nach einer ständigen Verbesserung des Lebens aus. In Wirklichkeit aber hätten wir es mit einer systemischen Krise zu tun, die auf einer Nicht-Nachhaltigkeit beruhe.

Dr. Paez: Die etzte Finanzkrise war nur die Spitze des Eisberges

Die Modernisierung unserer Gesellschaft lasse das Materielle hinter uns. Wir träten in eine „post-industrielle Phase“ ein. Die unsicheren Beziehungen in der Finanzwelt führe zur Anwendung von Praktiken (etwa Schattenbanken, Derregulierung), welche früher verboten gewesen seien. „Vormoderne Instrumente“, sagte Paez, „die man uns als ganz tolle Instrumente“ verkaufe, die jedoch nur zum Bankrott „und zu noch größeren Problemen unserer Zivilisation“ führten. Die letzte Finanzkrise sei nur die Spitze des Eisbergs gewesen. Pedro Paez: „Wir werden erleben, dass wir wieder in genau so eine Phase eintreten. Das wird zu einer noch größeren Enteignung führen. Sowie eine noch geringere Einflussnahme der Politik hervorrufen.

Schlimme Folge: „Weniger Instrumente und weniger Macht für die ganze Menschheit“

Es werde zu einer noch größeren Konzentration von Geld und Macht kommen. „Das ist dann die neue Nachkrisenwelt“. Die Spekulanten würden noch mehr Instrumente in die Hand bekommen, um ihre Macht auszuüben. Das hieße: „Weniger Instrumente und weniger Macht für die ganze Menschheit.“

Wir stünden, ist sich Pedro Paez sicher, vor einer Epoche großer Gefahren. Das werde nicht nur den Süden, sondern auch den Norden betreffen. Mit verheerenden Folgen für die Ethik, die Gesetzgebung, den Umweltschutz und vielen anderen mehr.

Im Vergleich zu Trump erscheine uns Bush jr. moderat, dessen Vater noch moderater und im Vergleich zu diesem Reagan wiederum als moderater und im Vergleich zu diesen Nixon moderater. „Eisenhower“, schmunzelte Paez, „war im Vergleich zu alldem fast Kommunist.“

Die Bevölkerung werde sukzessive um ihre sozialen Errungenschaften gebracht, meint Pedro Paez

Die dazu ergriffenen Maßnahmen erinnerten an das frühere Agieren der extremen Rechten. Pedro Paez: „Manche angebliche Krisenlösungen kommen gefährlicher Weise sehr einfach daher.“ Manche dieser „Lösungen“ habe man vor 50 oder 60 Jahren in Europa erlebt. Durch die neuen Technologien seien diese Lösungen viel einfacher ins Werk zu setzen. Leider litten wir unter dem Druck der größten Mächte unserer Welt. Dr. Paez: „Während wir hier sitzen erhöht sich die finanzielle Intensität gigantisch“. Allein durch verschiedene Instrumente, etwa der Kryptowährung Bitcoin verringerten sich die Kontrollmöglichkeiten des Staates bzw. verunmögliche sich eine Übernahme von Verantwortung. Eigentlich sollten alle Gewinne aus produktiven Handlungen hervorgehen. Alle produktiven Aktivitäten seien ein Teil der Realökonomie.

Durch „den Staatsstreich von Monica Lewinski“, lächtelte Paez süffisant, kamen die Finanzderivate samt Derregulierung auf. „Es scheint, als sei Präsident Clinton nicht ganz bei Bewusstsein gewesen, als er die entsprechende Gesetzesänderung unterschrieben hat.“

Reise nach Jerusalem – Die vorhandenen Schulden können realwirtschaftlich niemals beglichen werden

Allein die traditionellen Schulden würden zu einer Insolvenz führen. „Mit dem was auf der Welt erwirtschaftet wird“, gab Pedro Paez zu bedenken, „können die Schulden niemals erwirtschaftet werden“. Wenn man den „Wert“ der Derivate hinzuzähle erst recht nicht. Allein die Deutsche Bank habe 57 Billionen Dollar an Derivaten gehabt. Bei JP Morgan Chase war es noch schlimmer. Eine einzige Bank hatte so viel an Schulden wie die ganze Welt (63 Billionen) erwirtschaftet hat. Peaz warf zur Veranschaulichung das Spiel „Reise nach Jerusalem“ ein. Man habe nur sechs Stühle, aber 21 Tänzer. Aber dann kommen auf einmal noch 150 dazu. Pedro Paez: „Könnt ihr euch vorstellen, was passiert, wenn die Musik auf einmal aufhört?“ Die Politik der Zentralbank habe anstatt mehr Stühle zur Verfügung zu stellen, gemacht, dass die Musik einfach nicht aufhört. „Jede Sekunde kommt ein neuer Tänzer hinzu! Das ist eine explosive Situation.“

Aber wie kann von Überproduktion gesprochen werden, wenn auf der anderen Seite Menschen Hunger leiden?“, gab Dr. Paez zu bedenken

Die Ergebnisse für die Bevölkerung seien gravierend. Für die Gesundheit heißt es, ist kein Geld da. Für Flüchtlinge gibt es kein Geld. Für Umweltprojekte gibt es auch kein Geld. Auch nicht für die Entwicklung von Wissenschaft und die Kultur. Unter dem Tisch ist jedoch Geld für die Rettung von Banken da. Paez: Zur Verantwortung würden sie für Verfehlungen jedoch nicht gezogen – „too big to fail. Too big to jail“. Die Politik erzähle es gehe um Freiheit und um Demokratie, wenn irgendwo militärisch interveniert wird. Dafür sei Geld da. Diese ganze fehlgeleiteten Finanzwelt überdecke schon lange die Realwirtschaft. Es werde dafür gesorgt, dass die vorhandene Torte nicht wächst. Das koste Arbeitsplätze. Nicht nur die Kriegsindustrie töte. Millionen Menschen hungerten. Allein etwa u.a. dadurch, weil Brennstoffe aus Pflanzen gemacht würden – subventioniert durch die stärksten Länder der Welt. „Ich weiß, dass euch die Dinge, die ich hier sage ans Herz, den Kopf schwer machen und vielleicht an die Nieren gehen. Aber wie kann von Überproduktion gesprochen werden, wenn auf der anderen Seite Menschen Hunger leiden?“ Dabei sei es noch nie zuvor möglich gewesen so viel Produktivkraft zu entwickeln wie jetzt. Das vorhandene System mache es indes unmöglich dies zum Vorteil aller Menschen zu nutzen.

Der Neoliberalismus hat nie das Ziel gehabt, die Bedingungen für die Mehrheit der Menschen zu verbessern

Aus der ganzen Misere heraus könne auch der Westen nur durch die weitere Senkung wichtiger Standards kommen. Die Differenzen lägen zwischen den Oligarchien, der Bourgeoisie und der Bevölkerung der Welt. Der Neoliberalismus bedeutete die Verbesserung der Einkommen der Oligarchien und führte zugunsten des Konsums. Die Torte werde immer kleiner.

Das habe zur Folge, dass der Kalte Krieg sich wieder erhitze. Was auch bedeute, einen Finanz-, Handels und Wirtschaftskrieg erleben zu müssen.

Rechte Kräfte in Lateinamerika führen Restauration herbei

Für Lateinamerika sei zu verzeichnen, dass in einigen Ländern, wo progressive Regierungen wirken konnten und Investitionen anstießen negative Auswirkungen – sogar eine Verbesserung auf das Bruttoinlandsprodukt wurde möglich – auf die Bevölkerungen gemindert werden konnten. Nun verschlechtert sich das wieder. Leider greife nun wieder eine konservative Restauration rechter Kräfte in Lateinamerika um sich. In Argentinien und Brasilien sind erneut konserva­tive Kräfte an der Macht. Auch in Peru und Paraguay sind die Linksregie­rungen abgewählt.

Der Neoliberalismus habe nicht zum Ziel gehabt, die Bedingungen für die Mehrheit der Bevölkerungen zu verbessern.

Dystopisch anmutenden Aussichten, die an die Nieren gingen. Das Schreckensszenario ist längst in Anwendung

Links im Bild Moderator Till Strucksberg.

Ein spannender, sachlich fundierter Vortrag des Ex-Wirtschaftsministers von Ecuador Pedro Paez in Dortmund. Mit dystopisch anmutenden Aussichten, die an die Nieren gingen. Eine ehrliche Sicht auf die Dinge. Das gruselige daran: die Schreckensszenario ist längst in Anwendung .Den Veranstaltern des Nachdenktreffs, DGB Dortmund Hellweg und Attac Dortmund ist dafür zu danken. Moderator der gut besuchten Veranstaltung war Till Strucksberg (Attac), die Übersetzung vom Spanischen ins Deutsche hatte Kerstin Sack (Attac-Koordinierungskreis) übernommen.

 

 

 

Hier geht es zum Vorbericht.

Warum gegen den G20-Gipfel demonstrieren? Alexis Passadakis macht das heute in der Auslandsgesellschaft NRW in Dortmund deutlich

Politikwissenschaftler Alexis Passadakis während eines früheren Referats in Dortmund. Fotos: C. Stille

Der G20-Gipfel in Hamburg wirft seine Schatten voraus und gleichzeitig viele Fragen auf. Und daraus resultierende Kritik wird laut.

Attac Dortmund informiert:

„Am 7./8. Juli 2017 versammeln sich die Staatsoberhäupter und
Regierungschefs der G20 in Ham­burg zum  jährlichen Gipfeltreffen. Die
Gruppe der 20 ist ein in­formeller Club der 20 bedeutendsten Industrie-
und Schwellenländer“, schreibt Till Struckberg und fährt fort:
„Die G 20-Staaten unterscheiden sich zwar in ihren politischen Systemen, auch
ver­treten sie unterschiedliche Strategien bei der wirtschaftlichen
Regulierung und ih­rer Einbindung in den Weltmarkt. Wofür demonstrieren wir dann?

Es läuft etwas gehörig falsch auf der Welt:

*   Kriege und bewaffnete Konflikte scheinen kein Ende zu nehmen. 1,8
Billionen Euro werden jährlich für Rüstung und Krieg ausgegeben.
Gleichzeitig steigen die Rüstungsexporte.
*   Über 65 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht. Auf der
Suche nach Sicherheit ertrinken tausende Menschen im Mittelmeer, das zur
tödlichsten Grenze der Welt geworden ist.
*   Rassismus und offener Hass nehmen in vielen Ländern der Welt zu –
auch in Deutschland. Die herrschende Politik gibt diesen Stimmungen nach
und befeuert sie noch. Inzwischen werden Geflüchtete sogar in
Kriegsgebiete wie nach Afghanistan abgeschoben.
*   Der menschengemachte Klimawandel ist eine bedrohliche Realität.
Seine Auswirkungen sind schon heute spürbar und treffen vor allem
diejenigen Men­schen und Länder, die ihn am wenigsten verursacht haben.
*  Die soziale Spaltung hat dramatische Ausmaße erreicht. Gerade
einmal 8 Männer haben mehr Vermögen als die ärmere Hälfte der
Weltbevölkerung.

Am 7. und 8. Juli treffen sich die politisch Verantwortlichen für dieses
menschli­che und soziale Desaster. Sie reden über „Bekämpfung von
Fluchtursachen“, aber keines der großen Herkunftsländer sitzt am Tisch.
Sie reden über „Partner­schaft mit Afrika“, aber es fehlt fast der
gesamte Kontinent. Sie reden über den Klimawandel, vertreten aber die
Interessen der Erdöl-, Kohle- und Autoindustrie. Sie reden über Frieden,
sind aber selbst die größten kriegführenden und rüs­tungsproduzierenden
Staaten.

Die Welt ist aus den Fugen. Wer sie ändern will, braucht eine neue Politik.

Gemeinsam wollen wir zum G20-Gipfel den solidarisch-emanzipatori­schen
Pol der Gesellschaft sichtbar machen. Dem zynischen „Weiter so“ der G20
wollen wir unsere Entwürfe für eine sozial gerechte, friedliche und
ökologisch zukunfts­fähige Welt entgegenstellen. Dazu wird es in
Ham­burg einen Dreiklang von Ge­gengipfel, Aktionen zivilen Ungehorsams
und einer Großdemonstration am 8. Juli geben; vorbereitet von vielen
Initiati­ven und Organisationen in der G20-Platt­form.“

Am heutigen Montag referiert Alexis Passadakis zum Thema unter dem Titel

„Global gerecht statt G 20“ – Warum wir gegen Trump, Erdogan… und die
ungerechte Weltordnung am 8. Juli in Hamburg demonstrieren (müssen)!

Die Demonstranten, welche nach Hamburg reisen, um gegen den G20-Gipfel zu protestieren, werden ein festungsmäßig abgesperrtes Hamburg und gewiss auf Polizeibeamte mit martialisch wirkender Ausstattung treffen. Ein Polizist hat sich dazu mit einem Offenen Brief zu Wort gemeldet.

Logo via AGNRW

Heute Abend 19 Uhr in der Auslandsgesellschaft NRW Dortmund, Steinstr. 48 (Nordausgang Hauptbahnhof, neben
Cinestar)