In Dortmund-Eving wird jetzt mahnend an die Rolle Emil Kirdorfs als Hitler-Förderer erinnert

Von Ulrich Sander

Im Juli 2018 titelten die RuhrNachrichten im Dortmunder Lokalteil: “Die braune Vergangenheit des Emil Kirdorf: Verwirrung um verschwundene Tafel”. Und weiter hieß es: “Der Industrielle Emil Kirdorf förderte den Aufstieg von Adolf Hitler. In der nach ihm benannten Siedlung in Dortmund Eving sollte vor Jahren eine Mahntafel aufgestellt werden. Von ihr fehlt jede Spur.” Zur Vorgeschichte hieß es: “Einstimmig beschloss die Bezirksvertretung Eving bereits 2011 die Aufstellung einer solchen Tafel und stellte dafür 10.000 Euro zur Verfügung. Fast sechs Jahre nach dem Beschluss ist von der Tafel noch weit und breit nichts zu sehen. Gibt es sie überhaupt. Und wenn ja, wo ist sie abgeblieben?” Dem Beschluss lag ein Antrag der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten zu Grunde.

Im November 2023 hieß es in den RuhrNachrichten unter Bezugnahme auf eine Erklärung der Grünen: “Ein Mahnmal, das auf die problematische Nazi-Vergangenheit von Emil Kirdorf hinweist, soll in der Kirdorf-Siedlung aufgestellt werden. An der Umsetzung hapert’s.”

Weitere zwei Jahre später teilte Oliver Stens (SPD), Evinger Bezirksbürgermeister, den Abgeordneten nunmehr unter dem Datum des 21. Juli 2025 mit: “Der Beschluss der Bezirksvertretung zur Aufstellung der Kirdorf-Stele ist umgesetzt und die Stele aufgestellt.”

„Warum es 14 Jahre dauerte, den Beschluss umzusetzen, kann nur als Mischung aus Schildbürgerstreich und skandalöser Frechheit verbunden mit Geschichtsklitterung bezeichnet werden“, meinte dazu ein Sprecher der VVN-BdA. Es sei beispielsweise die Aufstellung der Mahntafel “im Vorfeld von Wahlen mit erheblichen Hürden verbunden” gewesen, so hatte Stens behauptet. Eine Hürde sei wohl, so die VVN-BdA, die Tatsache gewesen, dass aus der Gedenkstätte Steinwache eine Bewertung des Emil Kirdorf ebenso verschwand wie auch der Raum mit dem Titel “Die Schwerindustrie setzt auf Hitler”. Warum? Weil angeblich neue Erkenntnisse die Aussage über die Schwerindustrie nicht mehr zuließen, so das Stadtarchiv.

Die Konzerne der Schwerindustrie aus dem Ruhrrevier gehören allerdings zu den Unterzeichnern einer Erklärung von 49 Konzernleitungen zum 80. Jahrestag des 8. Mai 1945, dem Tag der Befreiung von Krieg und Faschismus. In dem späten Geständnis, das vom ehemaligen IG Farben-Betrieb Bayer AG initiiert worden ist, heißt es:

„Die Machtübernahme durch die Nationalsozialisten 1933 wäre ohne das Versagen der damaligen Entscheidungsträger in Politik, Militär, Justiz und Wirtschaft nicht denkbar gewesen. Deutsche Unternehmen trugen dazu bei, die Herrschaft der Nationalsozialisten zu festigen. Auf ihren eigenen Vorteil bedacht, waren viele Unternehmen und ihre damaligen Akteure verstrickt. Heute übernehmen wir als deutsche Unternehmen Verantwortung, die Erinnerung an die Verbrechen der NS-Zeit sichtbar zu machen.”

Die Erklärung der Konzerne ist wohlfeil und kostet sie nichts – so vermuten man offenbar. Doch die Zeit der Entschädigungen ist nicht zu Ende, wie man einer Forderung antnehmen kann, die von der VVN-BdA aufgestellt wurde: Es sollen die Erben der ökonomischen Eliten der Hitlerzeit zu gunsten der Nachkommen der Opfer, vor allem der Zwangsarbeiter enterbt werden. Und die Geschichtsklitterung, wie sie mit der Beseitigung des Raums 7 mit der Anklage der Schwerindustrie verbunden war, muss auch beendet werden. Mit der Stele zu Kirdorf wird ein Anfang gemacht, wenn auch nach langem Zögern. Nunmehr wird das Verbrechen des Emil Kirdorf auch in Eving andeutungsweise sichtbar gemacht, und zwar mit diesen Worten auf der Stele:

„Emil Kirdorf – 8.4.1847 – 13.7.1938 – Die Kolonie Kirdorf ist eine Bergbausiedlung. Erbaut wurde sie 1912-1913 von der Gelsenkirchener Bergwerks AG im Stil einer Gartenstadt für Arbeiter und benannt nach ihrem Generaldirektor Emil Kirdorf. – Als er 1873 bei der GBAG eintrat, förderte das Unternehmen auf zwei Zechen 156 000 t Kohle. Als er sie 1926 – nach 53jähriger Leitung – verließ, war sie zum größten Kohlenbergbauunternehmen Deutschlands und Europas geworden. – Emil Kirdorf war politisch ein Reaktionär und sah in der Person Bismarcks den deutschen Gedanken verwirklicht. Er war von Beginn an ein entschiedener Gegner der Weimarer Republik und betätigte sich deshalb früh und aktiv als Förderer des Aufstiegs Adolf Hitlers. Von 1927 bis zu seinem Tode war er mit Unterbrechungen Mitglied der NSDAP. –
Stadt Dortmund“

Siehe dazu auch: https://www.nordstadtblogger.de/?s=Emil%20Kirdorf

Die Entschädigungsforderung der VVN-BdA sieht vor, aus dem Erbe der Profiteure des faschistischen Raubkrieges und der Zwangsarbeit im Naziregime den Nachfahren der Zwangsarbeiter/innen den vorenthaltenen Lohn nachzuzahlen. Dies geschehe analog den aktuellen Regelungen zur Rückgabe von durch Nazis geraubten Kunstschätzen an die Erben der Opfer. Die VVN-BdA erklärte:

„Die Schuldigen aus den Kreisen der ökonomischen Eliten blieben bisher unbestraft, und ihr Wirtschaftssystem gehörte zu den Wurzeln des Faschismus. Den Hinterbliebenen der Räuber darf die Beute nicht länger gehören.“

Folgende Rechnung ist in diesem Zusammenhang von Bedeutung: Es gibt in Deutschland derzeit 132 Milliardäre. 71 Prozent dieser Milliardäre sind deshalb so reich, weil sie Milliardenvermögen geerbt haben. Zum Vergleich: Von den 2800 Milliardären, die es weltweit gibt, haben nur 36 Prozent ihr Vermögen geerbt. Die Zahl der deutschen Milliardärserben ist prozentual doppelt so hoch aufgrund des Raubzugs ihrer Vorfahren vor 1945. (Quelle: ARD Reschke Fernsehen, 16.1.2025)

Beitragsbild: via U. Sander

Hinweis: Gastbeiträge geben immer die Meinung des jeweiligen Autors wieder, nicht meine. Ich veröffentliche sie aber gerne, um eine vielfältigeres Bild zu geben. Die Leserinnen und Leser dieses Blogs sind auch in der Lage sich selbst ein Bild zu machen.

Oberstarzt a.D. Reinhard Erös mit hochinteressantem Afghanistan-Vortrag in Dortmund

Afghanistan. Ich war sofort angetriggert. Das Land trat – wenn ich mich richtig erinnere – 1979 in mein Bewusstsein. Was in erster Linie damit zu tun hatte, dass die Sowjetunion im Dezember 1979 militärisch in einen innerafghanischen Konflikt intervenierte. Was mich und viele andere in der DDR damals schockierte. (1)

Über Afghanistan wussten wir damals bis dato praktisch nichts.

Was sich ändern sollte. Nicht nur über Nachrichten, die man dann zu sehen bekam. Ein für uns zunächst quasi weißer Fleck auf der inneren Weltkarte bekam nach und nach Konturen. Für mich nicht zuletzt deshalb, weil ein junger Afghane an meinem Theater als Beleuchter anfangen sollte. Farid war mit seiner Frau Nagiba in die DDR gekommen, um zu studieren. Mit ihm hatte es im Gegensatz zu seiner Frau an der Uni nicht geklappt. Nun hatte man ihn – der in Kabul beim Fernsehen gearbeitet hatte – in ein Praktikum in die Beleuchtungsabteilung des Theaters vermittelt, mit der Aussicht im Anschluss seinen Beleuchtungsmeister zu machen. Was er übrigens dann auch wurde.

Farid brachte uns sein Heimatland über Bildbänder (mit herrlichen Natur- und anderen Bildern) sowie über Erzählungen nahe. Farid tat das mit einer sehr leisen Stimme. Öfters wurden wir, seine Kollegen, ins Studentenheim, wo er mit seinen Landsleuten wohnte, eingeladen. Sie musizierten mit ihm. Wir tranken Tee zusammen.

Wir lernten, dass Afghanistan ein Land mit schöner Natur, aber teils auch ein karges Land mit hohen Bergen, mit vielen Ethnien und freundlichen, gastfreundlichen Menschen ist. Welches jedoch auch eines der ärmsten Länder der Erde ist, dass seit Jahrzehnten keinen Frieden kannte.

Afghanistan erlebte bis heute 40 Jahre Krieg.

Dass Dr. med. Reinhard Erös, welcher für vergangenen Donnerstag von der Auslandsgesellschaft in Dortmund angekündigt worden war, um zum Thema „Afghanistan 2023 – die politische und soziale Lage unter dem neuen Taliban Regime“ zu referieren, versprach interessant zu werden.

Reinhard Erös, Oberstarzt der Bundeswehr a.D., kennt das Land am Hindukusch seit 35 Jahren. Und er hatte in der Tat viel Interessantes zu erzählen.

Quo vadis Afghanistan?

Der studierte Arzt übersetzte das erst einmal aufs Medizinische. Brach die Frage auf das Verhältnis Arzt – Patient herunter. Und fragt somit bezüglich Afghanistan: Wie geht es dir? Wo gehst du hin? Wohin entwickelst du dich? Und er musste sich demzufolge zunächst fragen, wie kamst du dahin, wo du jetzt stehst?

Erös hält die Berichterstattung über Afghanistan für eine Katastrophe. Demnächst käme wieder so ein Artikel eines FAZ-Journalisten, der das Land kürzlich besucht hatte. Eine Katastrophe seien etwa 95 Prozent der Artikel über das Land. „Nicht weil die dumm sind, die Journalisten oder gar bösartig. Sondern weil sie halt überhaupt keine Ahnung haben vom Land. Ihnen fehlen die Sprachkenntnisse und Sprachführungskenntnisse, wie sie für Afghanistan unabdingbar wären. „Und natürlich die generelle Kulturkompetenz.“ Das betreffe auch Politiker und Bundeswehrgeneräle. Sie könnten sich eben so kein reales Bild vom Land zu machen. „Sie sind halt dann blind, taub und stumm.“

Wichtig zu wissen: Afghanistan war nie eine Kolonie und hat sich nie domestizieren lassen.

Erös hat in den 1970er Jahren Medizin und Politik studiert. Und er war fünf Jahre bei der Bundeswehr und dort bei den Fallschirmjägern. Er war für Hilfsorganisationen, u.a. die Nato, die EU, die WHO, das IKRK und das Auswärtige Amt in Sachen Entwicklungshilfe in Kriegs- und Krisengebieten unterwegs.

Warum der Afghanistan-Einsatz nicht nur für die Bundeswehr in die Hose ging

Warum sind also die letzten zwanzig Jahre in Afghanistan nicht nur für die Bundeswehr in die Hose gegangen? Reinhard Erös: „Die Bundeswehr wurde rausgeschmissen!“

„Diese Barfußsoldaten, diese Taliban mit Waffen aus dem Mittelalter haben die größte Militärmacht der Welt, das größte Militärbündnis der Welt, mit den bestens ausgebildetsten Soldaten, mit dem besten Material der Welt, vernichtend geschlagen und vertrieben!“

Das sei bei uns auch nicht so richtig in die Köpfe reingegangen, was damals passiert ist.

Da hätten bei den ganzen Islamisten der Welt sozusagen „überall die Sektkorken geknallt“.

Bei unseren Medien sei das damals auch nicht so richtig dargestellt worden.

Überhaupt kenne er keinen einzigen Journalisten in Deutschland, der vom Militär eine Ahnung hat. Der letzte sei Peter Scholl-Latour gewesen.

Allenfalls kannte man den „Schwarzen Afghanen“

Erös selbst habe zu Studentenzeiten auch nichts über Afghanistan gewusst. Allenfalls kannte man den „Schwarzen Afghanen“. Erös selbst habe das Kraut nie konsumiert: „Ich komme aus Bayern, das raucht man nicht.“ Das Kraut war teuer hierzulande. Weshalb damals zehntausende junge Leute aus Europa nach Afghanistan sich auf den sogenannten Hippie Trail begaben. Dort habe das Kraut so gut wie nichts gekostet.

In der Sterbehäusern von Kalkutta bei Mutter Teresa

Erös` erster Einsatz sei in Kalkutta in Slums des Molochs von Stadt bei Mutter Teresa gewesen. Wo er in den sogenannten „Sterbehäusern“ als Arzt gearbeitet habe. Jeden Tag seien dort bis zu vierhundert Kranke gekommen, weil bei man bei den „Sisters of Charity“ kostenlos behandelt wurde. Das wäre kaum zu bewältigen gewesen. Etwa sechzig Patienten habe er da am Tag zu behandeln geschafft. Wenn er abends nach Hause ging seien dort zehn, zwanzig Tote vor der Tür gelegen.

Thema der nächsten Jahrzehnte: Massenmigration

Damals hatten die Leute ja kein Internet und Fernsehen vielleicht auch nicht. Inzwischen fragten sich die Leute in der Dritten Welt, warum sie in ihrer Not bleiben sollten. Erös: „Die sind doch nicht bescheuert!“ Und so käme es massenweise zu Flucht. Das Migrationsthema werde das beherrschende Thema der nächsten Jahrzehnte sein. Ein britischer Migrationsforscher habe veröffentlicht: Wir müssen damit rechnen, dass wir in Europa – allein wegen der Probleme, die der Klimawandel verursacht – in den nächsten 30 Jahren bis zu 150 Millionen aus diesen Ländern an Migranten bekommen. Das werde er, so Erös, auch am nächsten Tag den Schülerinnen und Schülern an einem Dortmunder Gymnasium sagen und anmahnen: „Interessiert euch für Politik. Mischt euch ein!“

Afghanistan lässt sich nicht domestizieren

Nun wieder zu Afghanistan. Dort können man so momentan so sicher und frei wie vermutlich nirgends auf der Welt bewegen.

Das Ausland interessiere die Taliban überhaupt nicht. Da hätten sie keine Interessen.

Erös: „Es sei denn, das Ausland mischt sich wieder in Afghanistan ein.

Das britische Imperium hat das 1842 spüren müssen. Ihre Armee von 18.000 Mann sei damals in einer Schlucht in einen Hinterhalt geraten und von den Paschtunen aufgerieben und vernichtend geschlagen worden. Übrig seien nur ein Offizier, ein Arzt, sowie ein Hund des Bataillions wieder lebend aus Afghanistan herausgekomme. Der Hund wurde später von den Briten zusammen mit dem Major ausgezeichnet. Erös: „Das war das Stalingrad der britischen Armee.“ Theodor Fontane hat dazu das Gedicht „Das Trauerspiel von Afghanistan“ geschrieben.

Auch die Sowjetunion habe 1989 schmählich abziehen müssen.

Und auch die USA und die Nato hätten diese Erfahrung am 31. August 2021 machen müssen. Die „Barfußsoldaten“ hätten sie aus dem Land geworfen.

9/11 als Kriegsgrund – dabei hatte kein Afghane etwas mit dem Anschlag zu tun

Hätten die USA mal nach 9/11, machte Erös klar, daran gedacht! Stattdessen habe man sich von dem „dummen Bush“ in dieses Fiasko führen lassen. Den Briten war durch ihre fürchterliche Niederlage 1842 klar: In solche Länder geht man besser nicht. Ich erinnere mich auch, dass einstige Offiziere der Sowjetunion die USA damals warnten, als sie in Afghanistan einfielen.

Die Taliban hätten überhaupt nichts gewusst von dem Anschlag, meinte Reinhard Erös. Kein Afghane sei an dem Anschlag beteiligt gewesen. Keine Polizei der Welt und die CIA hätten einen einzigen Afghanen ermittelt, der an 9/11 beteiligt gewesen wäre. Aber Afghanistan musste herhalten!

Auch ein deutscher Bundeskanzler habe dann da mitgemacht und die Bundeswehr geschickt, sprach von „uneingeschränkter Solidarität“ mit Washington, kritisierte der Referent. „Uneingeschränkt heißt auf Deutsch, egal was du machst, ich mache mit.“ Etwa 60 Bundeswehrsoldaten ließen ihr Leben in Afghanistan.

Am Ende hätten auch die Deutschen abziehen müssen. Ein deutscher General hätte vorher noch gesagt, die afghanische Armee sei nun gut aufgestellt und könne das Land selbst verteidigen. Der Einsatz des Westens sei erfolgreich gewesen! Da rief Erös die Zeitung an, wo dieser Sager des Generals erschienen war. Der Mann war nüchtern gewesen, versicherte der Chefredakteur.

Ähnliches hätte nämlich ein General der sowjetischen Armee gesagt, obwohl der Einsatz Moskaus am Hindukusch ein einziger GAU gewesen sei. Eine Lüge. Nun log ein Bundeswehrgeneral in gleicher Weise.

Immerhin habe ein US-General ehrlich gesagt, ihre Erfolgsbilanz Afghanistan sei „beschissen“. Ungefähr 3500 US-Soldaten starben für Bushs Abenteuer.

Wie viele Afghanen getötet worden, könne nicht gesagt werden.

Auch nicht wie viele Kinder ums Leben gebracht wurden.

Allerdogs die Nachrichtenagentur AP recherchierte vor Ort über getötete Kinder und fand heraus: 346 in einem Jahr!

In keiner deutschen Zeitung habe das gestanden, skandalisierte Erös dies. Als er selbst das veröffentlichte, wurde er angegriffen.

Afghanistan wurde der Bayer Erös zur zweiten Heimat

Dem Bayer Erös ist Afghanistan zur zweiten Heimat geworden. Gründe: das Land geografisch, topografisch und historisch betrachtet. Und die Menschen.

In Afghanistan in vielerlei Beziehung komplex. Allein 50 ethnische Gruppen gibt es. Die sich untereinander nicht verstehen, so sie nicht die Sprache des anderen sprechen. Beziehungsweise wenn sie kein Paschtun (dem Persischen verwandt) sprechen.

Die Mehrheit der Afghanen sind Sunniten aber es gibt auch eine Minderheiten von Schiiten.

Das höchste Rechtsgut der Afghanen ist die Gastfreundschaft

Erös: Das höchste Rechtsgut in Afghanistan ist die Gastfreundschaft. „Wenn ich Gast eines Afghanen bin und er mich als solcher deklariert hat, dann tut der alles, damit es mir gut geht. Dann tut er alles, damit mir kein Leid geschieht.“ So wird auch niemand, der als Gast deklariert ist an eine andere Macht ausgeliefert.“ Das sei auch der Grund dafür gewesen, dass die Taliban Osama bin Laden seinerzeit nicht an George Bush ausgeliefert wollten.

Das zwei höchste Rechtsgut ist die Blutrache

Habe man etwa jemand in einem Dorf einen Mensch umgebracht, oder die Tochter einer anderen Familie vergewaltigt, gelte die Blutrache. Ein Gericht wie bei uns, gebe es in Afghanistan nicht. Dann käme bei den Paschtunen die Dorf-Schura, der Rat des Dorfes, mit dem Verdächtigen zusammen. Irgendwann werde ein Urteil gefällt. In der Schura hat das letzte Wort – so es noch lebt – das Opfer oder die Familie des vergewaltigten Opfers. Die könnte sagen: den Täter müsse man eigentlich aufhängen. „Aber wir kennen seine Familie. Vielleicht seit Jahrzehnten. Eigentlich sind das anständige Leute.“ Sie könnten sagen, der Täter müsse der Opferfamilie zehn Kühe und zehn Schafe geben. Und er muss die hässlichste Tochter dieser Familie heiraten. „Dann gilt dieses Urteil.“

Außerhalb des Hauses spielen nur die Männer eine Rolle

Ob es uns das nun gefalle, bei den Taliban sei es halt so, dass die Frau außerhalb des Hauses keine Rolle spielen. Das ist den Männern vorbehalten.

Unter den Taliban gibt es – wie vorher durch die Besatzer eingeführt – nun keine Berufe für Frauen wie beispielsweise TV-Moderatorinnen oder andere Tätigkeitsfelder und schon gar nicht in Machtpositionen – wie das von der Sowjetunion und der westlichen Besatzung gefördert worden war – mehr.

Verstoßen Frauen gegen die islamischen Kleidungsvorschriften, würden die nicht etwa wie im Iran ausgepeitscht oder ins Gefängnis gesteckt. Nein, in Afghanistan werden die männlichen Verantwortlichen, die Väter oder Brüder zunächst wegen des falschen Verhaltens der Ehefrauen oder Schwestern „zur Brust genommen“, verwarnt und bei Wiederholung mit Knast bestraft.

Was nicht heiße, so Reinhard Erös, dass die Taliban die Frauen mögen – nein: Sie hielten sie halt wie Kinder einfach für zu dumm, um diese Vorschriften zu befolgen.

Allerdings, so der Referent, habe er letztens in Kabul auf der Straße neunzig Prozent der Frauen gesehen, die kein Kopftuch trugen. Und schon gar keine mit einer Burka. Was freilich auf den Lande anders sei. Da sei das schon sei 500 Jahren so.

Korruption ist eine westliche Erscheinung

Was interessant ist: Afghanistan ist in puncto Korruption auf Platz 15 – 20 heruntergegangen. Erös: „Korruption ist eine westliche Erscheinung.“

Der Afghanistan-Krieg ist der teuerste Krieg in der Geschichte der Menschheit

Von den vielen Milliarden Dollar bzw. Euro, die nach Afghanistan gegangen seien, sei viel versickert, jedenfalls wäre es nicht den Afghanen zugute gekommen. Tausendzweihundert Milliarden Dollar habe der Westen in zwanzig Jahren in Afghanistan ausgegeben. Für Militär! „Es ist der teuerste Krieg in der Geschichte der Menschheit“, sagte der Referent. Nicht einmal zehn Prozent seien für zivile Infrastruktur ausgegeben worden.

Während „unserer Präsenz“ wurden 9000 Tonnen Opium produziert

Opium-Produktion habe es in Afghanistan immer schon gegeben. In 2001 habe die Produktion von Rohopium 180 Tonnen betragen. In „unseren Präsenz“, so Reinhard Erös, waren daraus 9000 Tonnen geworden. Wie Heroin hergestellt wird, hätten die USA in 1980er Jahren den Afghanen in ihrer Botschaft in Kabul erst beigebracht. Damit könne viel Geld verdient werden, sagte sie ihnen, dass man im Kampf gegen die Sowjets verwenden könne.

Unter den neuen Taliban sei der Anbau von Opium seit anderthalb Jahren wieder verboten worden. Alle Drogen einschließlich Alkohol sind laut deren Interpretation des Korans verboten.

Das Hauptziel der Taliban sei in den Himmel, respektive ins Paradies zu kommen. Ansonsten interessiere sie nichts. Erös bezeichnete sie als „strohdumm“. Sie lernten das, was Erös in seinem Religionsunterricht einst lernte: Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als ein Reicher kommt ins Himmelreich.

Ein hochinteressanter Vortrag!

Kompakt

Afghanistan 2023 – die politische und soziale Lage unter dem neuen Taliban Regime

Der Referent, Dr. med. Reinhard Erös, Oberstarzt der Bundeswehr a.D., kennt das Land am Hindukusch seit 35 Jahren. In den 80 er Jahren, während der sowjetischen Besatzung des Landes, hat er über fünf Jahre unter Kriegsbedingungen die Bevölkerung in den Bergdörfern ärztlich versorgt. Nach dem Sturz der Taliban gründete er 2001 mit seiner siebenköpfigen Familie die Stiftung Kinderhilfe Afghanistan. (2) Seither wurden in ehemaligen Taliban-Hochburgen im Osten des Landes und im Westen Pakistans u.a. 30 Schulen mit ca. 60.000 Schüler*innen, drei Berufsschulen, eine Universität, zwei Waisenhäuser und drei Mutter-Kind-Kliniken gebaut und ausgestattet. Alle Projekte werden ausschließlich mit privaten Spenden, unter Verzicht auf öffentliche Mittel, finanziert. Mehr als 2.000 Afghanen finden dort Arbeit und Lohn.
Erös lebt und arbeitet die Hälfte des Jahres vor Ort. Er spricht die Sprache der Menschen und begegnet ihnen mit Respekt und auf Augenhöhe. Seit seiner Pensionierung 2002 hat Erös Polizeibeamte, Offiziere der NATO, Hilfsorganisationen und Journalisten für ihren Einsatz in Afghanistan ausgebildet. Er hat das Auswärtige Amt und den Bundestagsausschuss „Entwicklungshilfe“ beraten und in mehr als 3.000 Veranstaltungen im In- und Ausland zu Afghanistan vorgetragen. Für seine Arbeit wurde Erös u.a. mit dem Bundesverdienstkreuz Erster Klasse, dem Bayerischen Verdienstorden, sowie dem Theodor Heuss- und dem Europäischen Sozial-Preis ausgezeichnet.
In seinen beiden Bestsellern „Tee mit dem Teufel – als Arzt in Afghanistan“ und „Unter Taliban, Warlords und Drogenbaronen“ erklärt Erös Kultur und die jüngste Geschichte und schildert seine persönlichen Erfahrungen aus einem noch immer archaisch geprägten Land.

Fotos: C. Stille

(1) https://de.wikipedia.org/wiki/Krieg_in_Afghanistan

(2) https://www.kinderhilfe-afghanistan.de/

Bericht im ARD-Weltspiegel.

Noch schlimmer geht immer: Miosga statt Will

Noch schlimmer geht immer 

Der NDR-Rundfunkrat macht’s vor: Caren Miosga wird die neue Anne Will

Von Friedhelm Klinkhammer und Volker Bräutigam 

Es ist passiert. Caren Miosga, bisher Tagesthemen-Moderatorin, wird Anne Wills Nachfolgerin und übernimmt vom nächsten Jahr an deren Sendeplatz sonntags um 21.45 Uhr. So beschlossen und verkündet von der NDR-Rundfunkratsvorsitzenden Sandra Goldschmidt. Der Vertrag über 60 Folgen der Sendung in den kommenden beiden Jahren – Arbeitstitel: „Miosga“ – ist unter Dach und Fach. Zugleich mit dieser Personalie teilte der NDR-Rundfunkrat mit, dass er zwei weitere Programmbeschwerden gegen Sendungen der Tagesschau abgelehnt habe, von deren Inhalt das Publikum natürlich nichts erfährt. Wie eh und je. Transparenz ist nicht. Wo kämen wir sonst hin mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk. 

Welchen Millionenbetrag der NDR-Rundfunkrat für das sonntagabendliche Gelaber samt transatlantischer Einstimmung auf den erwünschten Krieg diesmal zum Fenster hinaus- und der Moderatorin Miosga hinterherwirft, wird natürlich ebenfalls nicht mitgeteilt. Für Anne Will waren es mindestens 2400 Euro pro Sendeminute. Günter Jauchs unverschämte 4487 Euro Bruttohonorar pro Sendeminute erzielte sie damit nicht, aber ist noch dicke genug Miosga wird mit Anne Will Vergleichbares abgreifen. Es ist dicke genug. Mehr dazu am Schluss dieses Artikels.

Was Miosga den Rundfunkbeitragszahler sonst noch kostet, weiß man hingegen genau: Wertvolle Lebenszeit, die er wesentlich sinnvoller verbringen könnte, ohne den Zaungast beim albernen Polittalk zu spielen. 

Der NDR-Rundfunkrat sieht das natürlich vollkommen anders. Seine Vorsitzende Sandra Goldschmidt umkränzte die Entscheidung für Miosga mit Lob und Selbstlob: 

„Nach 16 erfolgreichen Jahren der Sendung ‚Anne Will‘ soll der Sonntagsplatz mit einer neuen Moderatorin und einem überarbeiteten Konzept in die Zukunft gehen. Der NDR hat mit Caren Miosga eine erfahrene und versierte Journalistin für diese Aufgabe gewonnen. Frau Miosga verfügt über eine große Popularität, hohe Sympathiewerte und ist bekannt für ihre ebenso charmant wie hartnäckig geführten Interviews in den ‚tagesthemen‘.“ 

Von „hartnäckig geführten Interviews“ scheint der Rundfunkrat eine recht eigenwillige Vorstellung zu haben, wenn ihm dabei ausgerechnet Miosga einfällt. Näheres wollen wir nicht wissen. Wie das „überarbeitete Konzept“ konkret aussieht, mit dem die Sendung „in die Zukunft gehen“ soll, hätte uns hingegen schon aus professioneller Wissbegierde interessiert. Das aber verschweigt die NDR-Aufseherin Goldschmidt. Von wegen Transparenz. Wie eh und je.

Miosga soll es wuppen. Im Land der Dichter und Denker brauchen wir halt wie Schiller selig unsere faulen Äppel in der Schublade, sonst kriegen wir den genialen Durchblick nicht. Heißt heutzutage: mit Caren Miosga „mehr Qualitätsjournalismus wagen“. Flachbildschirmgerecht, versteht sich. Wie eh und je. 

Vom Moderieren und vom Quasseln 

Moderierte Nachrichtensendungen – und als deren Verlängerung auch die politischen Talkshows – sind ein nach Deutschland geschwappter US-typischer Mix aus seriösem TV-Journalismus und Show-Business, von den Akteuren oft mit eigenen Politambitionen verbunden. Nach unserer (zugegeben: sehr beschränkten) Kenntnis dürfen Sarah Palin und Tucker Carlson als prägende Beispiele genannt werden. Genre-Vertreter wie sie haben nicht die geringsten Hemmungen, in jeder denkbaren Weise abzusahnen.

Dieser kulturelle Segen aus USA hatte seinen entsprechenden Einfluss auf unsere deutschen Mattscheiben-Größen: „Talk“, selbstdarstellerisches Geschwafel, statt informativer Gedankenaustausch. Wie ihre US-Kollegen sind auch viele deutsche TV-Moderatoren Millionäre, mehr Unternehmer als Journalisten. Jahrmarktgrößen mit Kultstatus. Manche pflegen enge Beziehungen zum US-Lobby-Verein Atlantikbrücke.

Was Caren Miosga aus ihrer Rolle als Talkmasterin macht, wird sich nächstes Jahr zeigen. Wie sie ihre Aufgabe als Tagesthemen-Moderatorin erfüllt, durchleiden wir schon seit 16 Jahren, insbesondere ihre methodische Vorwegnahme und Interpretation dessen, was in der anschließenden Filmreportage berichtet wird – Bauchlandung nicht ausgeschlossen. Zwei Beispiele sollen der Nachwelt erhalten bleiben: 

Am 17. November 2017 wechselte Miosga vom Thema „Berliner Sondierungsgespräche über eine Jamaika-Koalition“ (Schwarz-Grün-Gelb) in steiler Gedankenkurve zum Thema „Bonner UN-Klimakonferenz“: 

„Dass Jamaika überlebt, und zwar im buchstäblichen Sinne, darum wird gerade in Bonn auf der Weltklima-Konferenz gerungen.“

Und – platsch – die Offenbarung des eigenen Bildungsnotstands:

„Denn auch die Karibikinsel wird vom steigenden Meeresspiegel bedroht.“ 

Tja. Da war das Tagesthemen-Servierfräulein wohl nicht ganz „auf der Höhe“. Die Insel Jamaika hat Steilküsten mit bis zu 500 Metern. Sie ist ein großenteils gebirgiges Fleckchen Erde. Mit einem Blick in den Atlas hätte die ARD-aktuell-Spitzenmoderatorin erkennen können, dass der Commonwealth-Splitter Jamaika vom steigenden Meeresspiegel sicher weniger bedroht ist als vom anglo-amerikanischen Neokolonialismus.

Aber da ist der tiefernste Blick unserer Pippi Miosga! Mit dem sie die meeresspiegelbedrohte „Welt“ vorstellt! Und ist die nicht willig, dekretiert Miosga die Lösung: 

„Die Welt will und muss etwas tun, um die Erderwärmung zu begrenzen.“(ebd.)

Jawoll, jetzt muss sie mal ran, die Welt. Bloß so im All rumeiern bringt‘s nicht mehr. Wegen „Erderwärmung“. verwenden sprachlich notleidende Journalisten als bedeutungsgleichen Ersatz für „Klimaveränderung“. Die Erde erwärmt sich schließlich nicht, sondern kühlt in ihrer Gesamtheit ab. Und zwar von außen nach innen. Ihr flüssiger Kern glüht ja immer noch bei circa 5000 Grad Celsius. Nur die Lufthülle der Erde heizt sich dagegen auf. 

Klein Erna weiß das natürlich, in der Grundschule wurde das durchgenommen. Müsste eine erwachsene Wunderlampen-Moderatorin solch Basiswissen nicht draufhaben und sich entsprechend korrekt ausdrücken können? Müsste sie – nicht aber die ARD-aktuell-Blume Miosga. 

Mit Zitronen gehandelt 

Oft und oft haben wir‘s schon vorgebracht: Sprache ist ein Spiegel des Denkens. Freilich, nonverbales (wortloses) Denken gibt´s auch. Das lassen wir hier mal beiseite. Wir begutachten das unter Moderatoren verbreitete Gegenteil, das Sprechen ohne Denken. Im vorliegenden Fall ohne Unterscheidung von Erde und Atmosphäre. Macht ja nichts, ist eh alles wurscht, und Putin muss sowieso weg. 

Bedauerlich, dass wir auch für den Moderatorenunfug Rundfunkbeitrag zu zahlen haben, obwohl das Geld laut Gesetz (Medienstaatsvertrag) nur für Sendungen zur Information, Bildung und Unterhaltung (in dieser Reihenfolge!) verwendet werden soll.

Doch Caren Miosga moderiert nun schon seit Mitte 2007. Wäre ein Hartwig von Mouillard, wären der Tagesthemen-Gründer Dieter Gütt oder sein Stellvertreter Günter Müggenburg zu jener Zeit noch Chefredakteur der ARD-aktuell gewesen, dann hätte die Frau den Job nicht lange behalten. Im Februar 2009 hatte sie eine Reportage über das „Zitronenfest“ in Menton anzutexten (wo die biblische Eva die ersten Zitronen gepflanzt haben soll), das jährlich eine Viertelmillion Touristen anzieht. Mit Fasching hat das farbige Ereignis allenfalls indirekt etwas zu tun, weil zeitgleich im 30 Kilometer entfernten Nizza der „Carnaval de Nice“ stattfindet. Ansonsten wird in Frankreich eher selten Fasching gefeiert. Miosga deutete das Zitronenfest einfach um und schöpfte dazu tieferen Sinn: 

„Was hat Karneval mit Zitronen zu tun? Ich sach (sic!) es Ihnen. Dass man als Beginn des Karnevals den Elften Elften gewählt hat, geht auf die Theorie zurück, nach der dafür die Anfangsbuchstaben des Mottos der Französischen Revolution herhalten mussten: Égalité, Legalité (sic!), Fraternité, zusammen: ELF. Indem sich die Städte Köln und Mainz über diese Worte lustig machten, rächten sie sich an ihren französischen Besatzern.“

Kann man unterstellen, Miosga habe diesen – unmotivierten – Schmarren über das „Motto“ der Französischen Revolution spaßig gemeint? Es spricht nichts dafür. Ist anzunehmen, dass jeder der zwei Millionen Tagesthemen-Gucker sofort erkennen konnte, dass sie puren, logikfreien Blödsinn verzapfte? Eher nicht.

Wenn sich eine Moderatorin wie Miosga den Stoff für ihren Aufsager schon von der Internetseite eines Karnevalsvereins holt, sollte sie wenigstens sauber abschreiben können: 

„ELF“ lässt sich aus den Anfangsbuchstaben der Französischen Revolution bilden: „Egalité, Liberté, Fraternité“ – „Gleichheit, Freiheit, Brüderlichkeit“.

Die weltbekannte „Losung“ beginnt mit dem Wort „Liberté“, in dieser Reihung ergäben die Anfangsbuchstaben jedoch nur ein sinnloses „LEF“, nicht das erwünschte „ELF“. Karnevalisten allerdings dürfen sich jedes Zitat für ihre harmlosen Zwecke zurechtbiegen. 

Aber der Französischen Revolution in den Tagesthemen allen Ernstes ein – obendrein verfälschtes! – „Motto“ anzudichten, wie in der Miosga-Moderation geschehen, lässt arge Rückschlüsse auf die Autorin und das Niveau der Tagesthemen zu. Ihre Behauptung, das Wort „Legalité“ (= Rechtsstaatlichkeit!) sei Teil des revolutionären Schlachtrufs gewesen, ist ein Armutszeugnis. 

Die Französische Revolution (1789) begann bekanntlich als Hungerrevolte gegen den reichen Adel. Ein „Motto“ hatte sie nicht. Erst 50 Jahre nach dem Sturm auf die Bastille wurde das anfeuernde „Liberté, Egalité, Fraternité!“ zur Leitidee der revolutionären abendländischen Zeitenwende erklärt. Mit „Liberté“ am Anfang, Miosga! Ohne „Legalité“ in der Mitte! 

Auch unter aller Würde

Wenden wir uns, auf dass man uns keinen Antifeminismus unterstelle, dem Moderator Ingo Zamperoni zu, dem Strahlemann von der „Atlantik-Brücke“, solide transatlantisch abgerichtet im Verlauf seiner beruflichen Aktivitäten in den USA. Am 3. Januar 2019, am Tag, an dem die Volksrepublik China eine Sonde auf der „dunklen Seite“ des Mondes gelandet hatte, brachte er diese Spitzenleistung der Weltraumtechnologie mit folgenden Worten aufs Tagesthemen-Tapet:

„Dass chinesische Machthaber keine Scheu vor Großprojekten haben, bewiesen sie schon mit dem Bau der Chinesischen Mauer. Nun kreisen ihre ‚All’-Machtphantasien um den Mond. Als Erste haben die Chinesen nun eine Sonde auf der Mondrückseite gelandet, auf der Seite also, die wir Menschen von der Erde aus nie sehen …“

Mag sein, dass Zamperoni mit diesen albernen Sprüchen und Wortspielereien ein US-amerikanisches Durchschnittspublikum beeindruckt hätte. Aber ein deutsches? Seine Sätze offenbaren Nonchalance, Arroganz und einen frappierenden Mangel an Nachdenklichkeit – und Allgemeinbildung. Die „Große Mauer“, mehr als 21 000 Kilometer lang, war nämlich gerade nicht Resultat von „Allmachtphantasien“ ihrer Auftraggeber. Im Gegenteil, sie war Ausdruck des Schutzbedürfnisses des chinesischen Kaiserreichs, speziell des Kaisers Qin Shihuan; sie spiegelt die Furcht, das Reich könnte (u.a. von den Mongolen) überrannt und sein Herrscher umgebracht werden. Qui Shihuan hatte bekanntlich auch angeordnet, sein Leben nach dem Tod in einer Grabstätte von Tausenden lebensgroßer Terrakotta-Soldaten beschützen zu lassen…

Zamperoni: „Chinesen haben eine Sonde auf der Mondseite gelandet, die wir Menschen nie sehen…“ Der Chinese im Unterschied zum Menschen? Die fragwürdige Formulierung war ihm wohl einfach nur so herausgerutscht. Aber das ist der Punkt: Er belegt einen erschütternden Mangel an Gespür und transportiert eine dickfellige Gedankenlosigkeit, für die es keine Entschuldigung gibt. Moderatoren haben ausreichend Zeit, den vom Teleprompter abzulesenden Inhalt sorgfältig zu formulieren und auszufeilen, und sie werden dafür auch erstklassig bezahlt. Mindestens 11 000 Euro monatlich für maximal 12 Auftritte vor der Kamera und 120 Schreibmaschinenzeilen pro Tag. 

Freilich, solche Zamperoni-Schlenker sind nur kleine aber bezeichnende Offenbarungen im TV-Nachrichten-Unwesen der Westlichen Werte-Gemeinschaft. Die kann sich einfach nicht damit abfinden, dass die Volksrepublik China – unter Führung der Kommunistischen Partei – mittlerweile Spitzenpositionen einnimmt: in der Erforschung des Weltraums, in der Grundlagenforschung, in den Schlüsseltechnologien, bei der Entwicklung der Künstlichen Intelligenz. 

Das wären Stichworte für angemessene Anmoderation zum Thema „Chinesische Mondsonde“. Dünkelhafte Wortspiele rund um den Schmähbegriff „Machthaber“ sind es nicht. 

Wie es anfing und wo es endet

Wozu braucht eine Nachrichtensendung überhaupt Moderatoren? Warum genügt für die Präsentation der „Tagesthemen“ kein herkömmlicher Sprecher? Ursprünglich sollten die Moderatoren – anders als beim reinen Nachrichtenangebot der Tagesschau-Hauptausgabe 20 Uhr – „den Zuschauern ergänzende Informationen, übergeordnete Zusammenhänge und Hintergrundinformationen“ bieten. So war ihre Aufgabe einst gedacht. Den Tagesthemen von heute ist das nicht mehr anzumerken.

Nachrichten-Moderatoren gibt es im Ersten Deutschen Fernsehen seit 1978. Die bis dahin übliche „Tagesschau-Spätausgabe“ kurz nach 22 Uhr entfiel, statt ihrer wurden die „Tagesthemen“ eingeführt, im wöchentlichen Wechsel präsentiert von Barbara Dickmann und Hanns-Joachim Friedrichs: sachlich, knapp, atmosphärisch dicht, journalistisch sauber und sprachlich präzise; ein seriöser, anschaulicher Faktenrahmen, hilfreich zur Einordnung des Weltgeschehens. Die Naheinstellung von beiden Moderatoren beherrschte den Bildschirm, Dickmann und Friederichs hampelten nicht in einer virtuellen Studiowelt herum, sie hatten nämlich dem Zuschauer tatsächlich „etwas zu sagen“. 

Auch noch nach elf Jahren, im deutschen Schicksalsnovember 1989, machten Dickmann und Friedrichs die Tagesthemen zu einem informativen Ereignis, wie das Beispiel vom 9. November belegt. Vor der Kamera damals Hanns-Joachim Friedrichs:

„Bundeskanzler Helmut Kohl ist heute Nachmittag um 15 Uhr in Warschau eingetroffen, zu einem sechstägigen offiziellen Besuch in Polen. Eine Reise, die eine stürmische, für viele auch ärgerliche Vorbereitungszeit hatte, belastet durch Ungeschicklichkeiten bei der Zusammenstellung des Reiseprogramms, aber auch durch eine scharfe Kontroverse über den Beitrag des Kanzlers zur gemeinsamen deutsch-polnischen Erklärung zum Thema der polnischen Westgrenzen. Es ist zwar durch die Entschließung des Bundestages Klarheit geschaffen worden, gleichwohl hat man die Verkündung der ‚Gemeinsamen Erklärung’ erst einmal verschoben – auf den kommenden Dienstag. Aus Warschau berichtet Dierk-Ludwig Schaaf…“

Das Zitat zeigt, wie knapp, distanziert aber adäquat ein qualifizierter Moderator selbst komplizierte Tagesthemen vermitteln konnte. 

Wenn eine Nachricht so dürftig und schlecht formuliert ist, dass sich ihre Relevanz nicht von selbst ergibt und erst von Moderatoren „hergestellt“ oder erfunden werden muss, dann nähern wir uns zügig dem aktuellen Tagesthemen-Standard. Wer dort einige Jahre lang serviert und Publizität gewonnen hat, weil regelmäßig auf dem Bildschirm, der kann auch Dummtalk moderieren – meinten die begnadeten NDR-Rundfunkräte. Und machen mit ihrem jüngsten Votum nach Anne Will die nächste Aufsagerin zur Millionärin.

Wie alle ARD-Talkshows wird nämlich auch die am Sonntagabend nicht vom öffentlich-rechtlichen Sender kostengünstig selbst produziert, sondern für sündhaft teures Geld an eine private Produktionsgesellschaft vergeben. Derzeit ist das die Will Media GmbH, Berlin, mit Anne Will als Geschäftsführerin. Das Unternehmen erzielte im Schnitt der letzten Jahre einen Bilanzüberschuss von 1,7 Millionen Euro

Die Herstellungskosten der Will Media für die Talkshow werden nicht veröffentlicht, sollen aber bereits 2011 satte 7,85 Millionen Euro betragen haben. Eine Grobschätzung sei gewagt: Wenn der NDR für Günter Jauch seinerzeit pro Jahr 10,5 Millionen Euro hinblätterte, dann sind es jetzt für Anne Will 9 Millionen – und für Miosga werden es nicht weniger sein.

Wie auch immer: Als Eigenproduktion des NDR würde die Talkshow höchstens ein Viertel davon kosten. Talkshows sind nun mal eines der preisgünstigsten Sendeformate – wenn sie keinen privaten Profit abwerfen müssen.

Verstehen Sie jetzt, warum ARD und ZDF 8,32 Milliarden Euro Beitragseinnahmen pro Jahr haben und trotzdem den Hals nicht vollkriegen?

Anmerkung der Autoren:
Unsere Beiträge stehen zur freien Verfügung, nichtkommerzielle Zwecke der Veröffentlichung vorausgesetzt. Wir schreiben nicht für Honorar, sondern gegen die „mediale Massenverblödung“ (in memoriam Peter Scholl-Latour). Die Texte werden vom Verein „Ständige Publikumskonferenz öffentlich-rechtlicher Medien e.V.“ dokumentiert: https://publikumskonferenz.de/blog

Beitragsbild: Claus Stille

NATO-oliv-Habeck wird Deutschland ruinieren

Der untauglichste Wirtschaftsminister aller Zeiten erweist sich nur als „nützlicher Idiot“ der USA – und tGareibt Deutschland in die Armut

Gastbeitrag  von Friedhelm Klinkhammer und Volker Bräutigam

Ich will Sie nicht vergackeiern“ schleimt Robert Habeck vor hundert Raffinerie-Arbeitern im brandenburgischen Schwedt. Beflissen berichtet die Tagesschau [1], wie der Grüne Minister für Wirtschaft und Umweltschutz hier einen auf ehrliche Haut macht. Selbstverständlich – wir leben schließlich in einer Informationsdiktatur – schweigt sich die wichtigste TV-Nachrichtensendung der Republik jedoch darüber aus, dass Habeck im Auftrag des „Paten“ in Washington das Gegenteil von dem tut, was er sagt: Er verkauft seine Zuhörer für dumm. Er drängt die deutsche Wirtschaft in den Abgrund. Von charakterlosen Journalisten hochgejubelt, besticht der „Superminister“ leider nur mit fachlicher Ahnungslosigkeit und großer Klappe. Ein anonym gebliebener Parteifreund: „Er hält sich für Gottes Geschenk an die Menschheit“. [2] Ja dann …! Dann ist unser reicher und mächtiger Wohlfahrtsstaat wohl bald beim Teufel.

Der ehemalige Schweizer Geheimdienstoffizier und NATO-Berater Jacques Baud erachtet regierende Politiker vom Schlage des Habeck als ein in Kriegszeiten schwerwiegendes Problem des “Wertewestens”:

„… ich glaube, an dem Beispiel der Ukrainekrise sieht man, dass die europäische Führungsebene nicht besser ist als das, was wir in den USA haben. Wahrscheinlich eher noch schlimmer … dass wir Leute haben, die ohne jede Grundlage Entscheidungen treffen, und das ist extrem gefährlich.“ [3]

Tagesschau-Journalismus und Ehrgefühl schließen sich mittlerweile aus. Die ARD-aktuell-Redakteure bringen Gossen-Propaganda. Andere Blickrichtungen aufs Weltgeschehen als die Washington und Berlin genehmen werden nicht geduldet. Daher unser Begriff „Informationsdiktatur“. Nicht Experten wie Baud kommen zu Wort, auch kein Willy Wimmer (CDU), vormals Staatssekretär im Kabinett Kohl:

„Erreicht wurde zugunsten der USA eine Reduzierung des EU-Potentials als Konkurrenz, vor allem bei Deutschland, das verarmen wird.“ [4]

Auch die Altersweisheit eines Klaus von Dohnanyi schafft es nicht in die Tagesschau-Nachrichten:

„Für Kriege gibt es immer Geld … Alles begann Ende Dezember 2013 mit dem Besuch der US-Außenpolitikerin Victoria Nuland auf dem Maidan in Kiew. Damit drohte der Ukraine das Schicksal von Jugoslawien, Irak, Libyen, Syrien, Afghanistan: blutige Machtergreifung, Zerstörung, Krieg.“ [5]

Jederzeit hingegen finden faschistoide Russenhasser und Kriegshetzer wie der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk mediale Aufmerksamkeit, eine Knallcharge, die wegen ihrer gülletriefenden Beschimpfung deutscher Politiker [6] längst hätte heimgeschickt werden müssen. Die Tagesschau wittert Gemeinsamkeiten und hält ihm eilends das Mikrophon hin. In der verworrenen Gedankenwelt dieser Marktschreier wird gegen alle Erfahrung und Vernunft argumentiert und gehandelt. Die andere Seite, die Vladimir Putins oder Gerhard Schröders, sind zu entmenschlichen und zu beseitigen. Weil „Russland diesen Krieg nicht gewinnen darf“. Ein Naturgesetz? Wo steht das geschrieben? In den Programmrichtlinien der öffentlich-rechtlichen-Rundfunkanstalten jedenfalls nicht.

Ethikfreie Gesinnungstäter

Habeck, Baerbock, Strack-ZimmermannRobert Habeck mit Moderator Aladin Al Mafaalani nach dem Talk im DKH. Noch unbescholten. Foto: C. Stille

und Kanzler Scholz liefern sich einen Wettstreit um die dümmste und gefährlichste politische Aufwartung. Sie versuchen, Deutschland im Auftrag Washingtons zumindest ökonomisch Selbstmord begehen zu lassen. Dem Marionetten-Regime in Kiew Waffen zur Verlängerung des Krieges liefern ist o.k., Öl und Gas aus Russland kaufen ist nicht o.k. Nach diesem neudeutschen Glaubenssatz gelten weder ukrainische Menschenleben etwas noch die vitalen Interessen der deutschen Bevölkerung. [7] Von der friedenspolitischen Tradition, keine Rüstungsgüter in Spannungsgebiete zu liefern, schon gar nicht an Kriegsparteien, haben wir uns zu verabschieden. Habeck und Konsorten wollen es so. Das „Geschenk Gottes an die Menschheit“ sagt unverblümt, was seine ethikfreie Sache ist:

„Mit den Waffen, die auch ich, Robert Habeck, in die Ukraine geschickt habe, werden also höchstwahrscheinlich Menschen getötet. Die Entscheidung war trotzdem, gemessen an den Alternativen, notwendig.“ [8]

Seit Kindesbeinen haben wir gelernt, dass Konflikte nicht mit Schlägereien gelöst werden. Habeck aber behauptet, Töten sei „notwendig“. Der Gedanke, dass es sich bei den meisten Getöteten um „befreundete“ und längst erschöpfte ukrainischen Soldaten handelt [9], bewegt ihn offenbar nicht. Parole: Weitersterben! Und wie es ohne Gas und Öl aus Russland in Deutschland weitergehen soll, muss er uns auch nicht verraten, wo er doch selbst keinen blassen Schimmer davon hat. [10]

Habeck, der NATO-oliv-Grüne, zeigt sich immerhin leidensfähig: Er meint, nicht ins Gehör, sondern in eine rückwärtige, weiter südlich gelegene Körperöffnung seines amerikanischen Kriegsherrn hineinkriechen zu müssen. Tief! Tiefer! Das kommentiert er bei einem USA-Besuch so:

„… Je stärker Deutschland dient, umso größer ist seine Rolle“. [11]

Und wenn der Dienst in servilen Kriegsdienst entartet, dann findet Habeck das eben alternativlos. Mitte März hatte er noch erklärt:

„Wir können nicht in einen Krieg mit Russland ziehen. Wir können keinen Dritten Weltkrieg riskieren.“ [12]

Anfang Mai dann seine verbale Volte:

„Ich habe keine Angst vor einem Dritten Weltkrieg“. [13]

Wir glauben ihm. Angst vor dem Weltkrieg wäre ein Nachweis von Intelligenz und Empathie. Man möchte auf den Einwurf seines Parteigenossen Fischer zurückgreifen: „Mit Verlaub, Sie sind ein …“. Habeck ist ein unappetitlicher Aufschneider, unfähig, durchdachte und verantwortungsbewusste Entscheidungen in angespannten Krisenzeiten zu fällen. Der dritte Weltkrieg – Schlachtfeld Mitteleuropa – wäre eine Menschheitskatastrophe. Sogar US-amerikanische Experten warnen in ihren Analysen des Ukraine-Konflikts:

„USA und NATO haben … in großem Maße dazu beigetragen, eine Krise auszulösen … die zum Dritten Weltkrieg führen könnte. Das wäre das Ende der Welt, wie wir sie kennen. Und wenn die Menschen nicht anfangen, sich auch der Diplomatie zu bedienen, werden wir in den Dritten Weltkrieg stolpern … [14]

Habeck und seine Grünen-Entourage propagieren statt Frieden die Eskalation der Gewalt, gegen die Interessen breiter Teile der Bevölkerung.

Fatale Fehlbesetzung

Habeck, der waffenschiebende US-Lakai, ist auch als „Superminister“ fatal. Er wollte partout das Doppelamt eines Wirtschafts- und Klimaschutz-Ministers – und hat sich übernommen. Maulheldentum, fehlende ökonomische Kompetenz, Mangel an selbstkritischem Bewusstsein plus Vetterleswirtschaft prägen seinen Regierungsstil. Kaum im Amt, versorgte er zum Beispiel seine Kumpel mit lukrativen Pöstchen. Typisch dafür: die Schwippschwager-Affäre „Graichen/Kellner“. [15]

Kurz vor der Bundestagswahl 2021 sagte Habeck zur ungewöhnlichen Inflationsrate von damals immerhin schon 4,1 Prozent:

„Die Preissteigerungen liegen im Rahmen des Erwartbaren.“ [16]

Als soziale Gegenmaßnahme versprach Habeck eine „sofortige“ Erhöhung des Mindestlohnes und eine Erhöhung der Hartz-IV-Regelsätze mit einem Sofortzuschlag von 100 Euro. [17] Das war vor der Wahl. Nach der Wahl reichte es nur noch für eine mickrige Mindestlohn-Erhöhung um 1,25 auf 12 Euro, jedoch erst ab Oktober 2022; die Hartz IV Regelsätze dagegen bleiben unverändert.

Die Ärmsten der Gesellschaft leiden aber am meisten unter der Inflation. Die beträgt durchschnittlich bereits 7,5 Prozent, bei Lebensmitteln 8,6 Prozent und bei Energie sogar 35,3 Prozent. [18] Sozialhilfe-Empfänger sollen zwar eine Einmalzahlung von 200 Euro bekommen, allerdings erst am 1. Juli. Aufs Jahr gerechnet sind das monatlich nur rund 17 Euro. Damit lässt sich nicht einmal die Hälfte der Preissteigerungen für Lebensmittel auffangen, der Preisauftrieb geht aber weiter. Schon jetzt muss der Sozialhilfebezieher mit 5 Euro täglich für drei Mahlzeiten auskommen.[19]

Dazu schweigt der werte Wirtschaftsminister Habeck. Es macht halt mehr Spaß, im gepanzerten First-Class-Dienstwagen zu Aufschneider-Partys zu gondeln, als sich um Bedürftige zu kümmern. [20]

„Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren (und) Schaden von ihm wenden … werde“.

Auch Habeck hat zu diesem Spruch die Hand gehoben. Der Amtseid hat allerdings nur deklamatorischen Wert. Ihn zu brechen ist nicht strafbar. [21]

Die EU hat bisher 770 Sanktionen über Russland verfügt, die USA mehr als 1000. [22] Für einen erklecklichen Teil hat auch Habeck gestimmt. Als Folge dieses Sanktionsregimes werden wir gigantische volkswirtschaftliche Schäden hinnehmen müssen. Habeck stört das nicht:

„Es ist viel Mühe darauf verwendet worden, die Sanktionen so zu formatieren, dass sie möglichst scharf in Russland wirkten und möglichst wenig die deutsche Wirtschaft treffen … ein gewisser Schaden wird natürlich immer bleiben“  [23], [24]

tönte er am 23. Februar. Zweieinhalb Monate später sehen wir, was aus den großmäuligen Ansagen geworden ist. Russland zeigt sich von den Sanktionen unbeeindruckt, der Rubel hat an Wert gewonnen. Die russische Wirtschaft wird nicht „ruiniert“ (Baerbock), sie wird vielmehr zielstrebig konvertiert und auf eine Zukunft außerhalb des schrumpfenden Einflussbereichs der USA ausgerichtet. Hingegen ist mehr als ein Drittel der ukrainischen Infrastruktur bereits zerstört (Brücken, Eisenbahnlinien, Straßen, Tanklager); der Wiederaufbau des Staates wird mindestens 600 Milliarden Euro kosten. Nicht die ukrainischen Oligarchen werden diese Unsumme aufbringen, sondern die EU soll/will dafür einstehen [25], konkret: hauptsächlich der deutsche Steuerzahler. Geht das in die Köpfe?

Massenflucht und Folgekosten

Der grüne Doppelminister Habeck lag mit seiner Einschätzung von Anbeginn daneben: Es bleibt nicht nur bei einem „gewissen Schaden für uns“, sondern wir steuern auf eine Katastrophe zu. In der Ukraine haben bereits fast ein Drittel der Erwerbstätigen ihre Arbeitsplätze verloren. [26] Fünf Millionen Ukrainer sind schon geflüchtet, 600 000 nach Deutschland. Die Zahlen werden steigen. Und sie steigen, je länger sich der Krieg dank der westlichen Waffenlieferungen und Milliardengeschenke noch hinzieht.

Eine Schätzung der Kosten für die Grundversorgung aller geflüchteten Ukrainer beläuft sich auf 30 Milliarden US-Dollar pro Jahr. Für Deutschland werden circa 3 Milliarden Euro erwartet. Die Bundesländer rechnen allerdings bereits mit 10 Milliarden Euro. [27], [28] Das Ende ist damit noch längst nicht erreicht. Wegen des Bruchs einiger Lieferketten und des Wegfalls wichtiger Rohstoffe aus Russland sowie wegen der drastischen Kostensteigerungen für Energie werden Stützungsmaßnahmen unumgänglich: mindestens 100 Milliarden Euro, wenn nicht reihenweise Unternehmen pleite und hunderttausende Arbeitsplätze verloren gehen sollen.

Was fällt dem fürs wirtschaftliche Wohlergehen zuständigen Superminister Habeck dazu ein? Dieses:

„Wir werden uns aber natürlich selbst schaden. Das ist ja völlig klar. Der Sinn von Sanktionen ist, dass eine Gesellschaft, in diesem Fall die europäische Gesellschaft, Lasten trägt. Die Wirtschaft, die Verbraucher, die Konsumenten. Alle werden einen Beitrag leisten müssen. [29]

„Ja da legst di nieder und stehst nimmer auf“, sagt der Bayer. Das kommt davon, wenn man Grüne wählt und zu Ministern macht. Schauen wir mal, was Habeck zu den Sanktionsfolgen noch zu sagen wusste:

„Richtig ist selbstverständlich, dass höhere Verbraucherpreise und gerade auch höhere Preise an der Zapfsäule die Menschen sehr unterschiedlich belasten. Menschen, die weniger Geld haben, werden proportional stärker belastet, es sei denn, man gleicht das politisch aus.“ [30]

Tja. Es sei denn. Es war bloß bisher nicht. Die Kraftstoff-Preise sind um weitere 70 Prozent gestiegen. Für „politischen Ausgleich“ zu sorgen hatten Herr Minister leider noch keine Zeit. Zu regeln wären im Schnitt 700 Euro Mehrkosten pro Haushalt. [31] Vorgesehen ist zwar eine einmalige Energiekosten-Hilfe von 300 Euro für Arbeitnehmer, die soll aber versteuert werden. Leer ausgehen werden die Rentner, obwohl sie mehrheitlich – Stichwort „Altersarmut“ – eine Energiekosten-Unterstützung besonders dringend bräuchten. Bomben und Panzer für die Ukraine haben demgegenüber Vorrang. Man kann halt nicht alles auf einmal finanzieren.

Viele Mitmenschen heizen ihre Wohnungen noch mit Öl und sind überhaupt nicht in der Lage, von jetzt auf gleich auf Wärmepumpe umzustellen. Für einen 4-Personen-Haushalt und bescheidene 2000 Liter Ölverbrauch entstehen jährlich schon jetzt weitere Mehrkosten von 2000 Euro, Tendenz rasant steigend. Kommt das von Habeck und Baerbock unterstützte Ölembargo der EU gegen Russland tatsächlich zustande, dann werden die Preise geradezu explodieren.

Dabei ist es erst wenige Wochen her, dass Habeck die Idee mit dem Ölembargo noch überhaupt nicht witzig fand. Sein Durchblick reichte allerdings nicht weit. Der EU-Boykott von russischem Öl könne bewirken,

„dass die europäische Wirtschaft wankt, richtig eine schwere Rezession erleidet, und wir damit die anderen Sanktionen gar nicht mehr durchhalten können.“ [32]

Schwere soziale Schäden einer Rezession? Egal. Aber wegen „richtig schwerer Rezession“ die Sanktionspolitik gegen Russland nicht mehr durchhalten können, das geht gar nicht. Ist der Mann noch bei Trost?

Seine Besorgnis, die EU würde nach einem Schuss ins eigene Knie Russland nicht mehr richtig trietzen können, hat Habeck inzwischen überwunden. Auch er ist jetzt für den EU-Ölboykott. Und das, obwohl er weiß, dass trotz der drastischen Verteuerung des Öls der Gaspreis weiter daran gekoppelt bleibt, sich Gas also ebenfalls exorbitant verteuert und dann Matthäi am Letzten ist. Und obwohl er wissen müsste, dass Russland aufgrund des EU-Boykotts zwar etwas weniger Öl exportieren wird, dafür aber höhere Preise verlangen kann. Russland dürfte laut dem US-Informationsdienstleister Bloomberg schon jetzt sogar Rekordeinnahmen mit seinen reduzierten Energieexporten erzielen. [33] Ein echtes „Win-Win“ für Moskau, wie der gebildete Ostfriese sagt. Das russische Öl ist nicht per EU-Boykott aus dem Markt zu werfen:

„Es ist unmöglich, die Herkunft von Rohöl, einschließlich des russischen, zu identifizieren, wenn es anderswo raffiniert und als ein Produkt aus diesem Land weiterverkauft wird“,

sagte Shell-Chef Ben van Beurden. [34] Träumt der Grüne Habeck also nur den Traum seiner Parteifreunde weiter [35], mittels einschneidender Verteuerung des Ölpreises den CO2-Ausstoß zugunsten des Klimaschutzes zu verringern? Träumt er das unter der Daunendecke „Freiheit für die Ukraine“?

Mach ´nen Diener, Robert

„Bückling für Deutschland“ machen, das kann er. Im Golf-Scheichtum Katar suchte Habeck nach teurem Flüssiggas als Ersatz für das wesentlich billigere und ökologisch bessere „Russengas“ aus der Pipeline. Vor dem Emir Al Thani, einem Sklavenhalter und Menschenrechtsverächter der Extraklasse, machte er einen so tiefen Diener, dass sein Kopf fast auf Ebene des Hinterns lag. Der Videoclip mit dieser Szene ist eine arge Peinlichkeit. Doch auf die ARD-aktuell war Verlass: Sie zeigte nicht die originalen Zappelbilder, sondern nur eine überarbeite Version, in der  Habeck dem allmächtigen Herrscher noch aufs Kinn sieht und nicht schon auf die Füße. [36],[37]

Aus der „Energiepartnerschaft“ zwischen Katar und Deutschland wird wahrscheinlich aber nichts, der gewünschte Vertragsabschluss droht zu platzen. [38] Habeck kann seinen Tunnelblick weiterhin auf das Null-Gas/Null-Öl/Null-Kohle-Ziel richten. Bis es erreicht ist, will er die deutsche Energielücke mit dem teureren, schmutzigeren und kalorienärmeren Fracking-Gas aus USA füllen lassen:

„Alle Schritte, die wir gehen, verlangen eine enorme gemeinsame Kraftanstrengung aller Akteure und sie bedeuten auch Kosten, die sowohl die Wirtschaft wie auch die Verbraucher spüren. Aber sie sind notwendig, wenn wir nicht länger von Russland erpressbar sein wollen.“

Das freut den Ami. Denn für den wollen wir gerne erpressbar sein. Der importierte im April eine Extraportion russisches Öl [39] und freut sich darüber, wie stumpfsinnig die Berliner Polit-Mollusken ihm trotzdem parieren und selber Sanktionsdisziplin wahren.

Russland ist jetzt auch auf den Geschmack gekommen, sanktioniert nun seinerseits deutsche Gasversorger und schickt kein Gas mehr durch Polen nach Deutschland. [40] Wir brauchen füglich neue Gaslieferverträge, und die werden garantiert noch teurer als alle bisherigen. Durchhalteminister Habeck hat´s geschnallt: „Damit diese Preise erbracht werden können, braucht es finanzielle Garantien, und die werden wir geben.“

Schön schön. Bloß, dass man Gas mit Geld bezahlt und nicht mit Garantien. Neuerdings in Rubel, weil die Russen nicht noch einmal ihre Auslandskonten beklauen lassen wollen. Habeck-Minister gibt es in Moskau nämlich nicht. Solche Typen sitzen dort höchstens in der Poststelle.

Quellen:  

[1] https://www.tagesschau.de/wirtschaft/raffinerie-schwedt-habeck-101.html

[2] https://www.focus.de/politik/deutschland/biografin-erklaert-methode-habeck-fuer-seinen-gegner-mag-es-sich-wie-noetigung-anfuehlen_id_24293361.html

[3] https://www.nachdenkseiten.de/?p=83221

[4] https://seniora.org/politik-wirtschaft/dringend-was-ist-um-die-ukraine-los-ergebnisse-des-kuestenfunks

[5] https://twitter.com/i/status/1521334491494686722

[6] https://www.heise.de/tp/features/Arschloch-Leberwurst-Putin-Versteher-Die-Top-Ten-der-Andrij-Melnyk-Attacken-7081189.html

[7] https://qpress.de/2022/05/11/putin-kann-der-eu-bei-russland-sanktionen-helfen/

[8] https://www.rnd.de/politik/waffen-fuer-ukraine-habeck-kritisiert-promis-fuer-brief-an-kanzler-scholz-2C2SR2M5TVC7BO6BG7OYQSTVYQ.html

[9] https://www.digitaljournal.com/world/ukraine-seeks-to-stall-relentless-russian-onslaught-in-donbas/article

[10] https://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/519291/Gefaehrlicher-Blindflug-Habeck-hat-keinen-Plan-wie-es-nach-einem-OEl-Embargo-weitergehen-soll

[11] https://www.focus.de/politik/deutschland/besuch-in-den-usa-habeck-sieht-deutschland-in-einer-dienenden-fuehrungsrolle_id_61552626.html

[12] https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/habeck-lemke-101.html

[13] https://www.presseportal.de/pm/9377/5212964

[14] https://scheerpost.com/2022/03/25/ted-postol-what-you-really-need-to-know-about-the-threat-of-nuclear-war/

[15] https://taz.de/Wirtschafts–und-Klimaministerium/!5822657/

[16] https://www.sueddeutsche.de/politik/inflation-parteien-bundestagswahlkampf-1.5340364

[17] https://www.derwesten.de/politik/hartz-4-satz-erhoehung-2022-robert-habeck-regelsatz-inflation-id234306787.html

[18] https://www.destatis.de/DE/Themen/Wirtschaft/Preise/Verbraucherpreisindex/_inhalt.html

[19] https://www.kreiszeitung.de/politik/gesund-leben-mit-hartz-4-iv-bezieher-empfaenger-allgii-viel-rat-und-wenig-hilfe-aus-der-spd-91499903.html

[20] https://www.handelsblatt.com/unternehmen/flottenmanagement/bundesregierung-das-sind-die-neuen-und-alten-dienstwagen-der-minister/28066820.html

[21] https://www.bundestag.de/resource/blob/824992/ecff38ec4faf0149accb69f4720878cd/WD-7-142-20-pdf-data.pdf

[22] https://de.statista.com/themen/9109/sanktionen-gegen-russland/#topicHeader__wrapper

[23] https://www.wallstreet-online.de/nachricht/15092545-habeck-rechnet-folgen-sanktionen-deutschland

[24] https://freier-einblick.de/2022/02/24/habeck-sanktionen-gegen-russland-werden-auch-deutschland-treffen/

[25] https://www.tagesschau.de/inland/von-der-leyen-417.html

[26] https://www.n-tv.de/ticker/Nach-Berechnungen-der-UNO-fast-ein-Drittel-aller-Arbeitsplaetze-in-der-Ukraine-verloren-article23324650.html

[27] https://www.cgdev.org/article/new-analysis-hosting-ukrainian-refugees-could-cost-nations-around-world-estimated-30-billion

[28] https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/ukraine-krieg-streit-um-fluechtlingskosten-die-ministerpraesidenten-sind-auf-180-/28235334.html

[29] https://sciencefiles.org/2022/05/03/habecks-haerten-sanktionen-zur-schaedigung-der-eigenen-wirtschaft-bettelarm-aber-gluecklich/

[30] https://www.rnd.de/politik/benzinpreis-robert-habeck-wirft-kritikern-unehrlichkeit-vor-P36WHXITHNHYLNI4UZ3DV7POLU.html

[31] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/73902/umfrage/pkw-kraftstoffverbrauch-der-privaten-haushalte-in-deutschland/

[32] https://www.boerse-frankfurt.de/nachrichten/05d4a804-363d-4744-83c7-cf7622aec3ee

[33] https://krass-und-konkret.de/politik-wirtschaft/usa-importieren-mehr-russisches-oel-und-heben-sanktionen-fuer-russische-duengemittel-auf/

[34] https://www.businessinsider.de/wirtschaft/shell-chef-sagt-es-gaebe-kein-system-um-russisches-oel-zurueckzuverfolgen-das-in-anderen-laendern-raffiniert-wurde-a/

[35] https://www.freethewords.com/2022/05/04/gruene-juchzen-benzinpreis-von-drei-euro-rueckt-in-greifbare-naehe/

[36] https://www.wochenblick.at/politik/ard-bildmanipulation-minister-habeck-ploetzlich-auf-augenhoehe-mit-katar-scheich/

[37] https://aktuelle-nachrichten.app/ard-bildmanipulation-minister-habeck-ploetzlich-auf-augenhoehe-mit-katar-scheich/

[38] https://www.tichyseinblick.de/meinungen/habeck-de-industrialisierung-schreitet-voran/

[39] https://krass-und-konkret.de/politik-wirtschaft/usa-importieren-mehr-russisches-oel-und-heben-sanktionen-fuer-russische-duengemittel-auf/

[40] https://www.n-tv.de/wirtschaft/der_boersen_tag/Neue-Vertraege-fuer-Gazprom-Germania-Toechter-kein-Gas-mehr-ueber-Jamal-article23327854.html

Anmerkung der Autoren:

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Hinweis: Das ist ein Gastbeitrag

Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich veröffentliche sie aber gerne, um eine vielfältigeres Bild zu geben. Die Leserinnen und Leser dieses Blogs sind auch in der Lage sich selbst ein Bild zu machen.

Volker Bräutigam (links) und Friedrich Klinkhammer. Foto: C. Stile

„Eine Zensur findet nicht statt“? – Wie die ARD die Sperre von RT DE feiert

Gegen den Strich bürsten verboten? Der Kampf um Informationsfreiheit und gegen Bürokratenwillkür geht in die nächste Runde. Wie hochgesinnt klingt doch dagegen noch unser wunderbares Grundgesetz.

von Friedhelm Klinkhammer und Volker Bräutigam

Wie hochgesinnt es doch klingt, unser wunderbares Grundgesetz:

„Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.“

Selbstzensur hingegen ist nicht nur statthaft, sie ist den Regierenden sogar hochwillkommen. Die Schmocks der Redaktion ARD-aktuell haben sich ergo zu Meistern der journalistischen Selbstverstümmelung entwickelt. Wichtigste Instrumente ihrer Nachrichtengestaltung: Unterschlagen wesentlicher Informationen, Verschleiern problematischer Fakten, verzerrte Darstellung von Sachzusammenhängen, irreführende Ausdrucksweise per Sprachregelung, Verzicht auf Gegenrecherche, Ignorieren missliebiger Aussagen …

Kurz vor Weihnachten wurde das deutschsprachige Fernseh-Magazin des russischen Senders RT (vormals Russia Today) nach sechs Sendetagen schon wieder vom Satelliten abgeklemmt. Veranlasser: die Medienanstalt Berlin-Brandenburg. Und siehe da, siehe oben: Die Tagesschau unterschlug alle Nachrichten über diesen ideellen Bruch mit der Rundfunkfreiheitsnorm des Grundgesetzes.  

Die Entscheidung, den Skandal zu ignorieren, gehörte zu ihrer Funktion des Haushofmeiers der Bundesregierung. Der hält gefügig den Mund (er wird auch gut bezahlt), anstatt aufs Schärfste zu kritisieren, dass original russische Sichtweisen aus unserem gesamtgesellschaftlichen Diskurs herausgehalten werden – von den Bürokraten einer Medienaufsichtsbehörde. Als ob es in diesen spannungsreichen Zeiten für uns Deutsche nicht von allergrößtem Interesse wäre, auch originale Gegenpositionen zu unserem US-amerikanisch und NATO-dominierten Mainstream zur Kenntnis zu bekommen, ohne vorgeschaltete Filter. Als ob nicht genau diese Offenheit der wichtigste der „anerkannten journalistischen Grundsätze“ wäre, die Objektivität garantieren sollen und deren Beachtung die Rundfunkgesetze ausdrücklich verlangen.

In seiner eigenen Russland-Berichterstattung lässt der deutsche Qualitätsjournalist hingegen gern die Sau raus, meist ohne es mit den Fakten allzu genau zu nehmen. Journalistische Heckenschützen wie Ina Ruck, Silvia Stöber oder Patrick Gensing dürfen ihre paranoide Russophobie getrost ausleben.

Der Internet-TV-Kanal RT DE war schon im September 2021 in einem Akt US-konformer Liebedienerei von Google aus dem YouTube-Angebot gekippt worden. Zum Jahresausklang fiel nun auch das neue Fernsehprogramm RT auf Deutsch der Zensur zum Opfer, seine Ausstrahlung via Eutelsat 9B wurde unterbunden

Der zwangsweisen Abschaltung eines bereits in Betrieb genommenen Senders geht normalerweise ein rechtsstaatlich einwandfreies, justiziables und öffentlich einsehbares Verwaltungs-Verfahren voraus. Mit RT DE jedoch wurde kurzer Prozess gemacht. Warum das ohne Absprache mit dem Lizenzgeber Serbien klappte und warum das kommerzielle Satelliten-Konsortium Eutelsat S.A. in Paris sich dabei zum Komplizen machen ließ, bleibt vorerst im Dunkeln.

Deutsche Selbstgerechtigkeit.

Welche Gründe bewegen Politiker und Behördenleiter, einen russischen Nachrichtenanbieter wie RT DE in Deutschland bis aufs Messer zu bekämpfen? Vor der Suche nach Antworten ist daran zu erinnern, dass die deutsche Öffentlichkeit nachdrücklich in dem arroganten Irrglauben bestärkt wird, hierzulande herrsche vorbildliche Meinungs-, Presse- und Rundfunkfreiheit – im Gegensatz zu Russland und anderen Ländern. Von diesem hohen Ross verkünden unsere Weißen Ritter:

„Der Sender RT DE verbreitet im Auftrag des russischen Staates Verschwörungstheorien und Desinformationen.“

Ins gleiche Horn bläst der medienpolitische Sprecher der FDP Tobias Hacker:

„Zu Recht haben Medienanstalt und YouTube dem Piratensender der Demokratie-Feinde und Querdenker sofort den Stecker gezogen. Dieser wiederholte Umgehungsversuch europäischer und nationaler Gesetze unterstreicht die Gefahr dieses selbsternannten TV-Senders und erfordert Handeln auf allen Ebenen.“

Es liegen Welten zwischen solch konfus-reaktionärem Geifern und dem häufig zitierten, dem Philosophen Voltaire zugeschriebenen Satz:

„Ich bin zwar anderer Meinung als Sie, aber ich würde mein Leben dafür geben, daß Sie die Ihre frei aussprechen dürfen.“

Auch ARD-aktuell scheute sich nicht, beim Thema „YouTube kappt RT“ auf FDP-Hackers mieses Niveau herabzusteigen, ganz die beflissene Gehilfin der russlandfeindlichen deutschen Kräfte in Politik und Gesellschaft. Exakt dazu passte, dass die Redaktion auf den Eutelsat-Blitzkrieg gegen RT DE mit keinem Wort mehr einging.  Silvia Stöber, ARD-aktuell-Expertin für gehässige Berichterstattung über Russland, hatte allerdings schon in früheren Beiträgen Gift und Galle gegen RT gespuckt. Als die RT-Verantwortlichen in Frankreich von ihrem Recht Gebrauch machten, gegen Verleumdungen und Beleidigungen zu klagen, diffamierte Stöber das als „Instrumentalisierung des Rechtsstaates“: 

„Misserfolge vor Gericht halten (sie) nicht davon ab, immer weiter zu klagen. Das zeigt das Vorgehen RTs in Frankreich.“

Reichlich unverblümt legt Stöber hier nahe, den russischen Kollegen stehe dieses Recht eigentlich nicht zu. Das läuft letztlich darauf hinaus, Russen als Wesen minderen Wertes, als Untermenschen zu betrachten – in altem deutschem Ungeist, dem längst nicht ausgestorbenen. Stöbers Artikel erschien sinnigerweise unter der ARD-aktuell-Rubrik „Investigativ“.

Nicht minder unsachlich und denunziatorisch der „Faktenfinder“ Gensing:

„Der russische Staatssender RT DE ist eine der wichtigsten Quellen für Corona-Leugner und ‚Querdenker‘ in Deutschland.“

Saudumme Totschlag-Begriffe ersetzen Argument und Beweisführung in diesem Meinungskampf. Kaffeesatzleser Gensings „Analyse“ stützt sich ausschließlich auf Studienergebnisse des Institute for Strategic DialogueISD. Diese „Denkfabrik“ mit Sitz in London und Büros in Washington, D.C. und Toronto nennt sich selbst „unabhängig“. Sie beansprucht, die hehre Erkenntnis vom einzig richtigen Weg zu haben. Darum ist dieser Club von Atlantizisten für ein sachliches Gutachten über die RT-Nachrichten genauso hochqualifiziert wie der Vegetarier für ein neutrales Urteil übers Schweinehack.

Absurd die Annahme, unsere staatlichen Strukturen seien gefährdet, weil auf den RT DE-Seiten Kritik an der Regierungspolitik in der COVID19-Pandemie veröffentlicht wird (dort sind übrigens auch zustimmende Auffassungen vertreten). Erst recht beknackt die Vorstellung, Putin unterstütze mittels RT DE die „Verschwörungstheoretiker“ und „Corona-Leugner“ publizistisch, weshalb der Verfassungsschutz zu aktivieren sei. Der ARD-aktuell ins Stammbuch: Wer sich als Herold für die geheimdienstliche Ausforschung eines missliebigen Rundfunksenders hergibt – und sei es auch nur halbherzig –, darf selbst als antidemokratisch durchgeknallt betrachtet werden. 

Die kaffeesatzlesenden Scheindemokraten in den Amtsstuben und Redaktionen übersehen bei ihrem Ruf nach der staatlichen (geheimdienstlichen, polizeilichen) Ordnungsmacht etwas Entscheidendes: Auch Meinungsäußerungen, die der verfassungsmäßigen Ordnung zuwiderlaufen, also weit mehr sind als das, was Kritiker der Anti-Pandemie-Politik und Impfskeptiker von sich geben, sind grundgesetzlich (Art.5 GG) geschützt. Das Grundgesetz vertraue darauf, so die Bundesverfassungsrichter, dass sich unvertretbare Meinungen in der Öffentlichkeit nicht durchsetzen. Dabei weiß der hyperaktiv schnüffelnde Verfassungsschutz nicht einmal ungefähr zu sagen, um wie viele auf dem RT DE-Forum und anderwärts sich tummelnde „Querdenker“ es sich überhaupt handelt. Trotzdem wird der Alarmzustand ausgerufen

„Faktenfinder“ vom Schlage Gensing treiben die staatliche Einschüchterung Andersdenkender voran und bestätigen damit jene Verhältnisse in Deutschland, die sie Russland vorwerfen. Sie schämen sich nicht einmal der Quelle, auf die sie sich berufen: Das bereits erwähnte Institute for Strategic Dialogue wird nicht nur von Universitäten und humanitären Stiftungen unterhalten, sondern vor allem von einem Konglomerat atlantischer Ministerien, getarnter Geheimdienstinstitute und ebenso superreicher wie obskurer Mäzene wie Gates und Soros finanziert. Es ist fraglos antirussisch orientiert.

Im ISD-Verwaltungsrat („Board Members“) sitzen Geldsäcke und Meinungsmacher wie Mathias Döpfner (Springer), der Investor und Unternehmensberater Roland Berger sowie der Chef der Münchner „Sicherheitskonferenz“ Wolfgang Ischinger, ein Vordenker der NATO-kalten Krieger. Ebenfalls in dem erlauchten Kreis: der Aufschneider und Abschreiber Karl-Theodor von und zu Guttenberg – einst Kriegsminister, heute Lobbyist, unter anderem für die Skandalfirma Wirecard.

tagesschau.de-„Faktenfinder“ Gensing kupferte übrigens den Titel für seinen Schmäh – Ein Virus des Misstrauens: Der russische Staatssender RT DE und die deutsche Corona-Leugner-Szene – Wort für Wort von der ISD-Analyse ab. Die ideelle Nähe zu unserer Grünen Spitzendiplomatin Baerbock ist nicht zu übersehen. Stachel im Fleisch. Keine Frage, RT DE stört den Verein der transatlantischen Liebediener in Politik und Massenmedien. Der Sender bietet ein professionell gestaltetes Kontrastprogramm mit Nachrichten zu wichtigen politischen und gesellschaftlichen Fragen. Er hat damit schon häufig die entsprechenden Meldungen des Mainstreams widerlegt und dessen Manipulationen aufgedeckt.

Auffallend: RT DE pflegt bei aller Kritik an den westlichen Verhältnissen in seinen Nachrichten eine weitgehend wertungsfreie Sprache und trennt Fakten von Meinung strikter als die Konkurrenz. Verbale Entgleisungen und Stillosigkeit – bei ARD-aktuell gang und gäbe („Kreml-Chef Putin“, „Machthaber Assad“, „Diktator Lukaschenko“, „Autokrat Orban“) – gibt es in RT DE-Nachrichten nicht. Die Redaktion zahlt nicht mit gleicher Münze: „Machthaber Biden“ sucht man auf RT DE vergebens.

Seit seinem ersten Auftritt in der deutschen Medienlandschaft hat RT DE erheblich an Bedeutung gewonnen. Ulrich Heyden berichtet im Magazin Telepolis:

„Seit 2014 gewann RT Deutsch als Video-Kanal massiv an Popularität. Im Bereich News und Politik lag RT DE im August 2021 bei Nachrichtenkanälen auf Platz 5 der Videoaufrufe … vor der Abschaltung durch YouTube hatte der Kanal RT DE 614.000 Abonnenten.“   

RT DE beunruhigte schon bald nach dem Start den deutschen Mainstream und die Politiker im (früheren) Reichstagsgebäude und ließ – in ungebrochener Tradition seit Kaiser Willem Zwo – auch die deutschen Sicherheitsbehörden aktiv werden. In Ermangelung besserer Argumente schlugen die Missgünstigen mit dem verbalen Stuhlbein drauf: „Staatsfernsehen“, „hybride Kriegsführung“, „russischer Propagandasender“ u.a. entstammen ihrem Kampfvokabular, es wird auch von ARD-aktuell gepflegt. Als Selbstprojektion erkennen die Herrschaften das natürlich nicht.

Tagesschau-trübe Quellen. Es ist ihr Job, Schockmeldungen aus dem Arsenal für psychologische Kriegsführung der Geheimdienste – speziell der „Five Eyes“ – als Nachricht getarnt weiterzugeben und sich nichts dabei zu denken, dass sie auf diese Weise dem AgitProp-Material das Gewicht von Tatsachen beimessen. Sie sagen nicht „die CIA behauptet“ oder „der Pentagon-Geheimdienst NSA bezichtigt“, sondern verschleiern ihre Quellen:

Nach westlichen Schätzungen stehen 60. – 90.000 russische Soldaten im Grenzgebiet …“

Die Tagesschau entblödet sich auch nicht, vorbehaltlos aus Berichten des Bundesamtes für Verfassungsschutz zu zitieren, wörtlich, als handele es sich um gerichtsfeste Befunde und nicht bloß um Geheimdienst-Gewäsch: RT Deutsch und die Nachrichtenagentur Sputnik versuchten,

„die politische und öffentliche Meinung in Deutschland im Sinne der russischen Politik zu beeinflussen.

Den Balken im eigenen Auge bemerken solche Qualitätsjournalisten nicht. Mit ihrer überschäumenden Verherrlichung des Maulhelden Nawalny als der „führende Oppositionspolitiker“ und unterstützenswerte „Kremlkritiker“ beispielsweise beteiligen sie sich an der psychologischen Kriegsführung gegen Russland. Sie übersehen, was sich die Deutsche Welle (DW) in ihrem Russlandprogramm an regierungsfeindlicher Einflussnahme erlaubt: DW berichtete sogar über Nawalnys Aufruf, die Präsidentenwahl zu boykottieren. Sie gab umfangreiche Tipps, wie Stimmen ungültig zu machen seien oder mit welchen anderen Mitteln der Wahlprozess beeinträchtigt werden könne. Das war nicht mehr nur journalistische Berichterstattung, sondern direkte Einmischung in die inneren Angelegenheiten Russlands.

Das hier ist typisch für ARD-„‚Russia Today‚ (RT) als Flaggschiff der russischen Auslandsmedien berichtet genau das, was die Führung in Moskau der Welt mitteilen will.“

Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen. Regierungshöriger Journalismus ist schließlich das Markenzeichen der Tagesschau-Teams.

Den Begriff „russischer Staatssender“ verwendet die Tagesschau in abwertender Absicht. Staatssender – Hauptmerkmal: direkte Finanzierung aus der Staatskasse (demnach ist auch die Deutsche Welle einer) – gelten als Einflussinstrument und Machtapparat. Sich selbst will die ARD-aktuell natürlich nicht so nennen lassen und beruft sich auf ihre Zugehörigkeit zu einer öffentlich-rechtlichen Anstalt (NDR).

Nun denn: ARDZDF und Deutschlandradio werden zwar nicht direkt aus der Staatskasse finanziert, wohl aber mit gesetzlich festgelegtem Rundfunkbeitrag – mit einer „Rundfunksteuer“, die nur anders heißt. Die als Aufseher bestallten Mitglieder der Rundfunkgremien sind nicht demokratisch gewählt, sondern werden nach einem amtlichen Schlüssel von (aus Sicht der jeweiligen Landesregierung) „relevanten“ Gruppen entsandt. Wer relevant ist, wird in den Staatskanzleien der Bundesländer ausgekungelt. Politische Subordination ist im öffentlich-rechtlichen Rundfunk deutscher Prägung ebenso sichergestellt wie in anderer Länder „Staatsrundfunk“.

Im Gegensatz zur Kernaussage des Grundgesetzartikels 5 darf auch durchaus nicht jeder, der das möchte, Rundfunksendungen veranstalten. Er braucht eine staatlich normierte Lizenz. Wie autoritär und bevormundend die Voraussetzungen dafür aussehen, zeigt ein kürzlich ergangenes Urteil des Verwaltungsgerichts Kassel. Es überlässt staatlichen Behörden die Entscheidung, ob 

„ein Rundfunkveranstalter die Gewähr dafür bietet, bei zukünftigen Rundfunkveranstaltungen die Würde des Menschen sowie die sittlichen, religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen anderer zu achten.“

Rundfunkfreiheit zu gewähren liegt demnach im staatlichen Ermessen, sie ist kein Freiheitsrecht an sich. Staatliche Willkür ist aufgrund derart vager Generalklauseln nicht ausgeschlossen. Vor diesem Hintergrund und angesichts der verbreiteten Neigung, russischen Antragstellern die übelsten Absichten zu unterstellen, hatte RT DE nie eine reelle Chance zur Lizenzierung in Deutschland. Der Sender muss nun für die europaweite Gültigkeit seiner serbischen Zulassung klagen.

Wozu nur diese feindselige Abwehr? Im TV-Programmangebot für die Wunderlampe im Wohnzimmer hätte der Sender doch eh nur einen kleinen „Markt“-Anteil. Die überwältigende Mehrheit seiner Kunden nutzt das RT DE-Magazin viel lieber via Internet. Dort ist es für alle zugänglich, die sich ihren Informationsanspruch nicht von deutschen Regulierern und Qualitätsjournalisten begrenzen lassen wollen. Was soll also die kindische Rechthaberei? Deutsche Bürokraten führen ihren Kleinkrieg gegen RT DE anscheinend unter Karl Valentins Parole:

„Nieder mit dem Verstand – es lebe der Blödsinn!“

RT DE bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.

Mehr zum Thema – In Treue fest: NATO-Mitglied Tagesschau

Das Autoren-Team: 

Friedhelm Klinkhammer (li.) und Volker Bräutigam (re.) währender der Medienkonferenz der IALANA in Kassel. Foto: Claus Stille

Friedhelm Klinkhammer, Jahrgang 1944, Jurist. 1975 bis 2008 Mitarbeiter des NDR, zeitweise Vorsitzender des NDR-Gesamtpersonalrats und des ver.di-Betriebsverbandes sowie Referent einer Funkhausdirektorin.

Volker Bräutigam, Jahrgang 1941, Redakteur. 1975 bis 1996 Mitarbeiter des NDR, zunächst in der Tagesschau, von 1992 an in der Kulturredaktion für N3. Danach Lehrauftrag an der Fu-Jen-Universität in Taipeh.

Anmerkung der Autoren:

Unsere Beiträge stehen zur freien Verfügung, nichtkommerzielle Zwecke der Veröffentlichung vorausgesetzt. Wir schreiben nicht für Honorar, sondern gegen die „mediale Massenverblödung“ (in memoriam Peter Scholl-Latour). Die Texte werden vom Verein „Ständige Publikumskonferenz öffentlich-rechtlicher Medien e.V.“ dokumentiert: https://publikumskonferenz.de/blog

„Möge Allah dich in die tiefste Hölle schicken“ von Hassan Geuad – Rezension

Hassan Geuad wurde 1990 in Bagdad geboren.. Vier Monate vor dem Zweiten Golfkrieg. Neun Jahre später verließ er mit seinen Eltern den Irak. Geuad empfand es so, als hätte er seine Mutter verloren. Der Neunjährige landet in Deutschland. Der Vater sei dankbar gewesen, dass er endlich mit der Familie in Deutschland war. Er fand das, was er sich für die Familie gewünscht hatte: „Ein Leben in Frieden, in Sicherheit und Freiheit.“ (S.8)

Geuad hatte vieles im Irak verloren, was ihm etwas bedeutete. Am neuen Ort sei er in manchen Momenten verzweifelt gewesen und habe manches zunächst einmal abgelehnt, was ihm begegnete. „Heute“, schreibt er, „kann ich sagen, ich wurde ins kalte Wasser geworfen und habe schnell schwimmen gelernt.“

Ja, er wurde gut aufgenommen. Auch in der Schule.

Probleme tauchten erst nach dem Terroranschlag von 9/11 auf. Wir erinnern uns: Ab da wurden in unseren Breiten Menschen, die etwa zuvor einfach als Türken gesehen wurden plötzlich als Muslime wahrgenommen. Und damit quasi als potentielle Terroristen. Hassan Geuad hat den Weggang aus dem Irak und die Ankunft hier in Deutschland ausführlich in seinem kürzlich erschienen Buch „Möge Allah dich in die tiefste Hölle schicken“ beschrieben.

Plötzlich wurde der Islam zum Hassobjekt

Im Kapitel „Religion als Hassobjekt“ (ab S.41) erinnert sich Geuad: „Seit dem 11. September ist der Islam zu einem zentralen Angst- und Hassobjekt in der westlichen Wahrnehmung geworden.“ Als 11-jähriger Junge hatte er zwar die Zusammenhänge nicht verstanden, aber auch er hatte die schrecklichen Bilder aus New York gesehen. Und er spürte im täglichen Leben die damit im Zusammenhang stehenden Veränderungen. Sie hatten sich ja von einem auf den anderen Tag eingestellt. Mitschüler und Freunde hatten an ihm eher eine freundliche Neugierde gezeigt. Religion war von der Familie privat gelebt und nicht im Alltag so gut wie keine Rolle gespielt.

Nun spürte der Junge häufiger Distanz und gar misstrauische Ablehnung:

„Früher war ich Hassan, ein Junge aus dem Irak. Ich wurde als ein Individuum wahrgenommen. Jetzt war ich plötzlich ‚ihr Moslems‘ und die waren mindestens gefährlich, wenn nicht gar alle Terroristen.“

Der Islamische Staat verbreitete Angst und Schrecken

Und die Zeiten wurden künftighin nicht besser. Der Islamische Staat wuchs auf. Andere Terroranschläge verbreiteten Angst und Schrecken. Nicht nur in den Medien wurde immer häufiger die Frage ventiliert: Warum schweigen die Muslime dazu? Und gar: Warum entschuldigen sie nicht? Und auch Hassan Geuad und andere Muslime stellten sich Fragen:

„Wir verstanden die Welt nicht mehr und schon gar nicht die Haltung der Muslime, hier in Deutschland wie überall in der Welt. Ihr tatenlosen Zuschauen und ihr Schweigen, so, als ginge sie all das, was da gerade im Irak und Syrien passierte, gar nichts an. Bloß, weil es irgendwie weit weg passierte? Ich kann mich noch erinnern, wie ich innerlich zu kochen begann.“ (S.71)

Waren denn nicht die Moslems selbst die meisten Opfer von islamischem Terror?

Andererseits dürften sich wiederum die Muslime hierzulande gefragt haben, warum sie sich dazu äußern sollten. Schließlich trugen sie doch keine Schuld an den Terrorakten! Und außerdem: Waren denn nicht die meisten Opfer – zumindest in ihren Heimatregionen – selbst Moslems? Na also!

Sei es drum, sagte sich Hassan Geuad im Kreise von Freunden bei einer Zusammenkunft bei seinem Freund Ali in Dortmund, wo sie sich empört über die Exekution des IS von hunderten Kadettenschülern des Luftwaffenstützpunktes Camp Speicher empörten:

„Waren es 1000 oder sogar an die 1700 Tote? Niemand weiß es. Doch der Tigris soll sich kilometerlang rot vom Blut der so sinnlich getöteten Menschen gefärbt haben.“ (S.71)

„Irgendwann brach es dann wütend aus mir heraus: ‚Wir müssen endlich aufstehen. Wir müssen etwas tun gegen den radikalen Islam.“

Und dann: „Wie wäre es mit einer Kunstaktion?‘, schlug Mohammed vor.“

Schockierende Kunstaktion in Essen

Gesagt, getan. Was sich im Herbst 2014 in Essen zutrug, war zwar kein Terroranschlag des Islamischen Staates, sondern nur Theater. Aber ganz schön schockierend war es es für die Passanten in der Fußgängerzone der Ruhrgebietsstadt dann doch. Und auch ganz und gar nicht ohne Risiko. Obwohl die Kunstaktion bei der Polizei angemeldet war und sie auch vor Ort anwesend war, wohnte ihr ein Risiko inne: Was war, wenn andere Muslime, gar Salafisten (immerhin gibt es eine nicht unbedeutende Salafistenszene im Ruhrpott), vor Empörung mit Gewalt reagierten? Die Aktivisten-Gruppe „12thMemoRise“ rund um den gläubigen schiitischen Muslim Hassan Geuad gegen islamistischen Terror verursachte schon ein ziemliches Aufmerken:

Via You Tube/12thMemoRise

Am helllichten Tag trieben in Schwarz gehüllte Aktivisten (anscheinend Kämpfer der Terrororganisation IS zwei Männer durch die Fußgängerzone in Essen. Sie bedrohten die Gefangenen in der orangenen Sträflingskleidung mit einem großen Krummsäbel und einer Pistole (man hatte sich für eine Softair-Waffe entschieden) und zwangen sie, mit auf den Rücken gefesselten Händen vor einem Einkaufszentrum in einem Fußgängerbereich der Großstadt Essen niederzuknien. Verängstigte Kinder rannten weg, oder deren Eltern hielt ihnen die Augen zu, andere Passanten blieben mit vor Schreck geweiteten Augen angewidert stehen. Dann knallt es. Ein Schuss hallt von den Häuserwänden zurückgeworfen durch die gut besuchte Einkaufsstraße. Einer der Gefangenen ist mit einem Schuss in den Hinterkopf hingerichtet, dem anderen mit dem Krummsäbel die Kehle durchtrennt worden. Beide Männer sanken auf das Pflaster.

Die Aktion blieb nicht ohne Widerhall

Die Aktion hatte die Passanten nicht nur in Angst und Schrecken versetzt, sondern auch eine Diskussion in Gang gebracht. Man „fütterte“ das Publikum mit Informationen.

Auch ein Video hatte man gemacht auf You Tube veröffentlicht. Es wurde schon in den ersten Stunden eine halbe Million Mal angeschaut. Die Medien meldeten sich, machten Interviews.

Hassan Geuad (S.95): „Gleichzeitig nahmen die üblen Beschimpfungen, Hasstiraden und die immer rabiateren Drohungen stetig zu. Und wo eben noch Euphorie über unseren Erfolg das dominierende Gefühl war, machte sich nun zunehmend Angst in unserer Gruppe breit.“

Im Kapitel „Drohungen, Gewalt und das Ende einer Verlobung“ (ab S.103) stellt der Autor klar: „Wir von 12thMemoRise betrachten den Islam und seine Protagonisten sehr kritisch. Aber wir handeln nicht aus Ablehnung oder gar Hass dem Islam gegenüber, sondern aus Liebe dazu.“

Die Beleidigungen und Drohungen nahmen zu

Es hätten sogar Fotomontage von ihm und seinem Bruder existiert, die sie in pornografischen Szenen zeigten. Hassan Geuad verlor in dieser Zeit viele Freunde. Jedoch das Traurigste, schreibt er, sei der Verlust seiner Verlobten gewesen. Seiner ersten großen Liebe. Sie habe ihn häufig angerufen und weinend immer wieder einen Satz wiederholt: „Ich kann nicht mehr!“

Unterstützung und Hilfe für ihr Ansinnen erwartete sich Hassan Geuad erwartete von Prominenten. Doch entweder wurde der Autor vertröstet wie von Jürgen Todenhöfer, traf bei Lamya Kaddor mehr oder weniger auf Desinteresse, vom angeschriebenen Norbert Lammert kam nie eine Antwort und auch von der Berliner Staatssekretärin Sawsan Chebli empfing man so recht keine positiven Signale.

Mit ihren Aktion geriet die Gruppe 12thMemoRise mit ihren spektakulären Aktionen zwischen alle Stühle

Sie wollten erkunden warum Muslime nicht weltweit zu Hunderttausenden gegen Terroristen protestierten, die im Namen des Koran morden. Sie fragten: „Warum gehen sie nicht gegen Rassismus auf die Straße und verteidigen ihre Rechte?“ Antworten auf diese brennenden Fragen wollen sie so provozieren. Sie gerieten dadurch zwischen alle Fronten. Weil Kritik am Islam in der islamischen Community noch immer tabu ist.

Veränderungen zum Besseren hin sind anscheinend – wenn überhaupt – nur im Kleinen möglich. Aber auch innerhalb der Familie – wo ständig Kontrolle herrscht – ist das sehr schwer. Was vielleicht nicht nur immer grundsätzlich mit dem Islam zusammenhängen mag, sondern auch mit überkommenen, archaischen, im Hintergrund weiterwirkenden Strukturen. „Wir leben in Deutschland“, führt Hassan Guead aus, „einem Land, in dem die Trennung von Kirche und Staat schon lange vollzogen worden ist.“

Wozu – das möchte ich anmerken – auch dazu einige kritische Fragen gestellt werden müssten.

Guead weiter auf S.217): „Doch diese Trennung gibt es in der muslimischen Community nicht, denn hier besteht weiterhin das strenge, geistlich-familiäre Kontrollssystem, das einen auf Schritt und Tritt beobachtet und schon die Diskussion über Veränderung und Anpassung verhindert.“

Ein Manko: In der komplett dezentralisiert organisierten Religion, wie dem Islam gibt es keine einheitliche Meinungshoheit

Auch gibt es ja im Islam keine Instanz mit einer einheitlichen Meinungshoheit wie es bei den Christen mit dem Papst der Fall ist, der für „alle Christen“ sprechen kann. Im Kapitel „Fehlt uns Muslimen ein Papst“ (ab S.179) merkt Geuad an: „Von seiner Struktur her ist der Islam eine komplett dezentral organisierte Religion.“

Und zuvor steht zu lesen: „Mit wem sollen wir uns über eine Reform unterhalten?“

Fehlt dem Islam eine Reform – gar eine Reformation? Schon die Frage wird von vielen Muslimen geradezu als Ketzerei aufgefasst.

Prof. Mouhanad Khorchide (Islamwissenschaftler und Soziologe, Leiter des Zentrums für Islamische Theologie an der Universität Münster) nennt Hassan Geuad als hoffnungsvolles Beispiel im Buch.

Zur besseren Verständnis möchte ich dazu hier aus einem Beitrag von SWR 2 zu „Gottes falsche Anwälte“ – Profunde Kritik an islamischer Theologie von Mouhanad Khorchide“

zitieren: „Mouhanad Khorchide skizziert nicht nur die Kalamitäten, in denen sich seine eigene Religion, der Islam, befindet, sondern bietet gleichzeitig auch – frei nach Kant – einen Weg aus deren „selbstverschuldeten Unmündigkeit“ an. Die ersten zehn Kapitel beschreiben den Status Quo – klar und unmissverständlich. So wurde der Islam laut Khorchide spätestens seit der Etablierung des Kalifats durch die Ummayaden im Jahr 661 – also knapp 30 Jahre nach Tod des Propheten Mohammad – durch vielfache Manipulationen zu einer Religion der Unterwerfung.“

Betreffs Hoffnungen auf einen Oberhirten für die Muslime, der der Institution Papst vergleichbar wäre, gibt Hassan Guead zu bedenken: „Ehrlich gesagt kann ich mir nicht vorstellen, wie es gelingen könnte, einen Menschen zu finden, dem nun alle Muslime vertrauen und den nötigen Respekt entgegenbringen würden. Das wäre wohl eine echte Herkules-Aufgabe, die zudem sehr wahrscheinlich als Sisyphus-Job enden würde. Einfach nicht machbar.“

Die islamischen Dachverbände in Deutschland sind eher Problem denn eine Hilfe

In die islamischen Dachverbände, die, worauf der Autor hinweist, die maximal zwanzig Prozent der Muslime in Deutschland repräsentieren, setzt er keine Hoffnung. Denn seien dann „höchstens diese zwanzig Prozent, die sich hier als Gottesbeschützer aufspielen und der überwiegenden Mehrheit der Muslime hier vorschreiben wollen, was sie zu glauben, zu denken, zu essen und zu fühlen haben.“

Sie erschwerten jeden Fortschritt „zu einem liberalen und aufgeklärten Islam und bauen immer neue Hürden auf dem Weg zu einem integrierten Zusammenleben mit allen Menschen hier in Deutschland“. (.S189)

Im Kapitel „Zurück zum Anfang“ (S.205) beschreibt der Autor seine Reise – es schließt sich sozusagen ein Kreis-, die ihn 2018 in seine Heimat, den Irak führte, die er mit seinen Eltern als Kind verlassen hatte.

Zum Schluss ist zeigt sich Hassan Geuad über Folgendes im Klaren: „Ich mache mir nichts vor, wir haben noch einen langen, beschwerlichen Weg vor uns. Aber wenn man wie wir erst einmal losgegangen ist, dann ist umkehren keine Alternative mehr, selbst wenn ich hier und heute nicht sagen kann, ob wir unsere Ziele je erreichen werden. Aber daran arbeiten werden wir weiterhin – so viel steht fest.“

Ein interessantes Buch eines hoch engagierten Menschen, der uns einen Blick eröffnet auf und in eine Welt von der wir oft nur Bruchstücke wissen, die zumeist vor allem ausschließlich aus Vorurteilen bestehen.

Der Westend Verlag über das Buch

Hassans Glaubenkrieg

Warum halten die Muslime still und demonstrieren nicht zu Hunderttausenden gegen Terroristen, die im Namen des Korans morden? Warum schauen sie tatenlos zu, wie ihre Religion von radikalen Glaubensbrüdern und -schwestern missbraucht wird? Warum gehen sie nicht gegen Rassismus auf die Straße und verteidigen lautstark ihre Rechte? Hassan Geaud gründete die Initiative „12thMemoRise“, um mit spektakulären Aktionen Antworten auf diese Fragen zu provozieren, und landete zwischen allen Stühlen. Denn Kritik von Muslimen an Muslimen ist in der islamischen Community noch immer tabu. Er erhielt Morddrohungen und seine Verlobte trennte sich auf Druck ihrer Familie von ihm. In seinem Buch berichtet er von seinem Kampf für einen modernen Islam und eine offene Gesellschaft.

Hassan Geuad

Möge Allah dich in die tiefste Hölle schicken

Warum ein Muslim für Vielfalt, Toleranz und Freiheit kämpft

Erscheinungstermin:15.03.2021
Seitenzahl:224
Ausstattung:Klappenbroschur
Artikelnummer:9783864893025

18,00 €

Anbei die ARD-Doku Glaubenskrieger über 12thMemoRise

Buch zur Tagesschau „Die Macht um acht“ mit ernüchterndem Fazit der drei Autoren

Die Tagesschau begleitet mich, wie sicherlich viele meiner LeserInnen ebenfalls, bereits viele Jahrzehnte. Zu DDR-Zeiten war die ARD-Nachrichtensendung gewiss nicht nur für mich ein wichtiges Korrektiv zu den im Lande verfügbaren Medien. Das DDR-Pendant „Aktuelle Kamera“ konnte man getrost vergessen, denn Hurra-Meldungen und Propaganda gaben einander die Hand. Die Zeitungen betreffend wurde gelernt zwischen den Zeilen zu lesen. Abends um acht wurde – außer im „Tal der Ahnungslosen“, Dresden und Umgebung, wurde die Tagesschau eingeschaltet. Da konnte man sein Nachrichtenbild einigermaßen vervollkommnen und sich eine eigene Meinung zum Weltgeschehen sowie zu den Vorgängen eignen Lande bilden.

Mein Verhältnis zur Tagesschau bekam einen Knacks

Wann bekam mein Verhältnis zur Tagesschau (nebenbei bemerkt auch zur ZDF-Nachrichtensendung) einen Knacks? Im Wesentlichen war das vor und während der Ukraine-Konflikt der Fall. Und später dann zusätzlich betreffs der für mich fragwürdigen Berichterstattung über die Vorgänge und den Krieg in Syrien. Ich nehme mal an, liebe LeserInnen, Sie wissen, was ich da meine. Um den deutschen Journalismus steht es anscheinend im Allgemeinen nicht gut.

Laut einer Reuters-Medienanalyse haben nur noch 40 Prozent der Deutschen Vertrauen in Journalisten. Was zu denken geben sollte. Viele Rezipienten der Tagesschau machen ihrer Kritik ob deren Nachrichtendarbietung immer öfters Luft. Keineswegs in flegelhafter Weise, sondern sachlich begründet und in hoher Kenntnis der betreffenden jeweiligen Materie.Man schaue nur einmal in die Foren von tagesschau.de.

Die Tagesschau, das „Flaggschiff der ARD“ wird ihrem Anspruch kaum noch gerecht

Die Tagesschau, täglich etwa von 10 Millionen Menschen gesehen, gilt als „Flaggschiff der ARD“ und gibt sich als verlässlich, neutral und seriös.

15 Minuten lang informiert die Tagesschau über die vorgeblich wichtigsten Ereignisse des Tages.

Diesen doch sehr hoch angesiedelten Anspruch hinterfragen Uli Gellermann, Volker Bräutigam und Friedhelm Klinkhammer detailliert und gründlich. Uli Gellermann ist der Herausgeber der kritischen Internetplattform „RATIONALGALERIE – Für Nachdenker und Vorläufer“. Volker Bräutigam und Friedhelm Bräutigam wurden über ihre zahlreichen Programmbeschwerden bekannt (hier).

Das Fazit der drei Autoren in ihrem Tagesschau-Buch „Die Macht um acht“ ist ernüchternd

„Sie gehen der Geschichte der Tagesschau nach, beleuchten Vermittlung und Auswahl von Nachrichten, kommentieren die Berichterstattung zu zentralen aktuellen Themenschwerpunkten wie dem Krieg gegen Syrien und dem Konflikt um die Ukraine, stellen die viel zu unbekannten „Programmbeschwerden“ als Möglichkeit des Zuschauerprotests und der demokratischen Auseinandersetzung mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk dar.

Ihr Fazit ist ernüchternd. Sie halten die Tagesschau weder für verlässlich noch für neutral, nur für bedingt seriös und bestenfalls für schlau. Nach diesen 15 Minuten weiß man, was die Regierung denkt; was die Republik denken soll und was zu denken unter den Tisch fallen kann.“

Cover des Buches via PapyRossa.

So heißt es in der Information zum von Gellermann, Bräutigam und Klinkhammer gemeinsam verfassten Buch „Die Macht um acht“.

Den Kollegen von Weltnetz.tv hat Uli Gellermann dazu etwas in Kamera und Mikrofon gesagt.

Was mich angeht, ist die Tagesschau längst nicht mehr das, was sie für mich einst und lange Zeit gewesen war: ein seriöser Nachrichtenlieferant. Nachrichten sind nämlich dazu gedacht, Informationen zu verbreiten anhand deren Inhalts sich die Rezipienten selbst eine Meinung zu bilden imstande sind. Leider macht die Tagesschau mit dem von ihr Vermeldetem ein ums andere Mal selbst Meinung. Das wäre jedoch nur im Kommentar vertretbar.

Die Autoren

Uli Gellermann, *1945, Journalist und Filmemacher. Hat als Creative Director gearbeitet. Verantwortet die Website rationalgalerie.de.

Friedhelm Klinkhammer, *1944, Jurastudium in Hamburg. Dreieinhalb Jahrzehnte angestellt beim NDR. Langjähriger IG Medien / ver.di-Vorsitzender und Gesamtpersonalratsvorsitzender im NDR.

Volker Bräutigam, *1941, Journalist. 14 Jahre bei Tageszeitungen, danach beim NDR in Hamburg, dort u. a. zehn Jahre Redakteur bei der Tagesschau und weitere zehn Jahre in der Kulturredaktion von N3. Seit 2001 freier Autor.

Botschafterin Palästinas mit kritischer Erklärung zur heutigen Ausstrahlung umstrittener Antisemitismus-Doku durch die ARD

Botschafterin Dr. Khouloud Daibes während einer Veranstaltung in Dortmund. Foto: Claus Stille

Botschafterin Palästinas, Dr. Khouloud Daibes erklärt zur heutigen Ausstrahlung des Films in der ARD über Antisemitismus in Europa:

„Heute wird die ARD einen Film, der angeblich Antisemitismus in Europa thematisiert, im Programm zeigen. Im Vorfeld dieser Ausstrahlung wurden bereit der Inhalt und Konflikt von Antisemitismus und Kritik an der israelischen Regierung kontrovers diskutiert. Anstatt dem Antisemitismus in Europa nachzuspüren, lenkt der Film die Aufmerksamkeit auf den palästinensisch-israelischen Konflikt, was irreführend und inakzeptabel ist. Sowohl Arte als auch WDR und ARD stellten journalistisch-handwerkliche Mängel des Films fest. Im Zusammenhang mit der heutigen Ausstrahlung des Films und den Debatten ist es sehr wichtig, einige Punkte zu Antisemitismus und dem israelisch-palästinensischen Konflikt klarzustellen:

Die in ihrer Dimension heute einzigartige 50-jährige israelische Besatzung seit 1967 hat zu schwersten Menschenrechtsverletzungen und Verstößen gegen das Völkerrecht geführt. Auch die palästinensische Bevölkerung in Israel ist einer zunehmend diskriminierenden Politik ausgesetzt. Ich begrüße es daher außerordentlich, dass immer mehr mutige Stimmen laut werden, die völlig zurecht das Festhalten an dieser Besatzungspolitik kritisieren und eine sofortiges Ende der israelischen Besatzung im Interesse beider, Palästinenser und Israelis, fordern.

Antisemitismus mit der Kritik an der israelischen Regierungspolitik in Einklang zu bringen dient nicht nur als Instrument denjenigen, die Kritiker der Besatzungspolitik zum Schweigen bringen wollen, sondern ist darüber hinaus sehr gefährlich. Denn die wirkliche Gefahr des Antisemitismus in Europa wird ignoriert. Nur ein sensibler, korrekter Umgang mit historischen Fakten und juristischer Sachlage hilft, Verzerrungen der politischen Realität des palästinensisch-israelischen Konfliktes zu vermeiden. Andernfalls führen fehlender Kontext, mangelnde Informationen und Propagandabilder, auch wenn sie als journalistisch-handwerkliche Mängel in einem Film deklariert werden, zur Einflussnahme auf das Verständnis von Grundbegriffen des Konfliktes. Sie führen ebenso zu einem verzerrten Bild, das nicht zur Bekämpfung des wirklichen Antisemitismus beitragen kann.

Das palästinensische Volk setzt sich entschieden gegen alle Formen von Rassismus und Diskriminierung ein. Unser Anliegen ist unverändert Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden in der Region. Diejenigen, die ihre Stimmen hierfür erheben, sind keine Antisemiten und dürfen auch nicht Neo-Nazis und Rassisten gleichgestellt werden. Das sollte die Botschaft nicht nur dieses Films sein!“

(via Palästinensische Mission – Die Vertretung Palästinas in Deutschland)

Jens Berger von den NachDenkSeiten schrieb zur Thematik letzte Woche folgenden Artikel mit der Überschrift:

Antisemitismus-Doku oder antipalästinensische Propaganda? Es ist schon seltsam, dass sich fast alle Medien für ein journalistisch mehr als fragwürdiges Werk starkmachen

Dafür, dass der Film nun in der ARD gezeigt wird, machte sich maßgeblich WDR-Intendant Tom Buhrow stark. Versendet wird der Film „Auserwählt und ausgegrenzt – Der Hass auf Juden in Europa“ von 22:15 bis 23:45 Uhr.

 

Stellenweise lief es dem Publikum eiskalt den Rücken herunter. Mo Asumang las in Dortmund aus ihrem Buch „Mo und die Arier – Allein unter Rassisten und Neonazis“

Moderator Ali Sirin und Autorin Mo Asumang in der Auslandsgesellschaft NRW Dortmund. Fotos: Stille

Moderator Ali Sirin und Autorin Mo Asumang in der Auslandsgesellschaft NRW Dortmund. Fotos: Stille

Die Wenigsten von uns dürften nachvollziehen können wie sich Fremdenhass auf der eignen Haut anfühlt. Die afrodeutsche TV-Moderatorin Mo (Monika) Asumang musste diese schreckliche Erfahrung machen. Einmal in einem ARD-Fernsehstudio teil man ihr mit: „Wir haben hier eine Morddrohung gegen Sie.“ Im dem den Fernsehleuten von einem Informanten zugespielten Song einer Neonazi-Band wird folgender Text gegrölt: „Die Kugel ist für dich, Mo Asumang. Die Kugel ist für dich.“ Asumang fühlt wie ihr der Boden unter den Füßen weggezogen wird. Sie verfällt damals in Regungslosigkeit. Angst breitet sich in ihr aus. Alle ihre Sinne schalten auf Alarmbereitschaft. Der Sänger der Band, erfährt sie, beging in ihrem Kiez einst eine schwere Körperverletzung. Mit mulmigem Gefühl fährt sie mit ihrem Auto an diesem Abend nachhause.

Körperliche Angriffe durch Rassisten

Nicht das erste Mal, das Mo Asumang mit Rassismus in Berührung kommt. Die Tochter einer Deutschen und eines Ghanaers führte in ihrer Geburtsstadt Kassel den Job einer Fahrgastbefragerin durch. Damals packte sie, nachdem er sie angepöbelt hatte, ein großer Kerl an der Kehle und hob sie in die Luft und würgte sie. Keiner der Fahrgäste sagte auch nur einen Mux oder griff gar ein. Und als sie während der Studienzeit in Berlin mit Taxifahren Geld verdient, gerät sie an einen Mann, der in den Osten – ein Waldgebiet – gefahren werden will und unterwegs aggressiv wird: „Ihr seid zu viele hier. Ich müsst alle wieder gehen.“ Sie versucht sich zu verteidigen, denkt bei sich: Immerhin bin ich hier geboren! Und der kommt ja aus dem Osten.“ Am Ende würgt sie der Mann als sie ihn an die Luft setzen will. Knallt ihren Kopf auf die Karosserie des Taxis …

Wie einen dieser Rassismus schwächt und das Selbstbewusstsein nimmt

Einen harten Einstieg hatte Mo Asumang da für ihre Lesung am vergangenen Mittwoch in der Auslandsgesellschaft NRW in Dortmund gewählt. Das Publikum hält die Luft an. Das aber müsse raus, verarbeitet und gesagt werden, so Mo Asumang. Weshalb sie das Buch „Mo und die Arier – Allein

Mo Asumang im Dialog mit dem Publikum.

Mo Asumang im Dialog mit dem Publikum.

unter Rassisten und Neonazis“ geschrieben hat.

Sie hat erlebt wie einen dieser Rassismus schwächt und das Selbstbewusstsein nimmt. Gerade „das Diffuse“ mache einen noch mehr Angst. Bis sich Asumang schließlich sagt: „Ich muss aus diesem Diffusen raus!“ Sie habe sich damals sogar mehrfach dabei ertappt wie sie in in den Kofferraum ihres Wagens schaute, ob da nicht ein Nazi drin läge.

Inzwischen kann sich Mo Asumang auch in Flüchtlinge, etwa aus Syrien, hineinversetzen. Die kämen ja nicht hier her, um anderen etwas wegzunehmen, sondern um nach Kriegserlebnissen endlich auch wieder etwas zu geben. Freilich lasse aber momentan nicht nur die AfD den Eindruck entstehen bzw. nutze die Ängste von bestimmten Deutschen (nicht selten auch denen mit Migrationshintergrund), um zu suggerieren, die Flüchtlinge nähmen ihnen etwas weg. Das sagt die Autorin auf Fragen aus dem Publikum. Die AfD suche geradezu die Ängstlichen, wie ja einmal Frauke Petry gesagt habe. Mo Asumang: „Sie halten sie in der Angst gefangen.“ Und sie hat ein erhellendes Beispiel: Ein Kind rufe nach der Mami und sage, da sei ein Monster unterm Bett. Die AfD würde antworten: „Da sind drei.“

Man erinnert sich: Mo Asumang wurde 1996 Deutschlands erste afrodeutsche TV-Moderatorin („Liebe Sünde“). Dass sie sage, sie sei Deutsche sei noch gar nicht solange her, bekennt sie. Das kennen wohl viele Menschen mit Migrationshintergrund, weiß sie. Als sie Vierzig war habe ihr Vater ein wenig spät gesagt: „Du musst dich überhaupt gar nicht entscheiden, wer du bist. Du kannst beides sein. Du bist dadurch Brückenbauer.“

Humorvoll, klug mutig und tough

Bei ihrem Auftritt in Dortmund merkt man schon bald: Mo Asumang hat trotz rassistischer Anfeindungen und selbst nach gefährlichen physischen Angriffen ihren Humor nicht verloren. Sie ist eine kluge und toughe Zeitgenossin.

Aber bis sie offensiv und mutig gegen Rassismus angehen konnte, musste viel Zeit vergehen. Schließlich wagt sie ein spektakuläres und einzigartiges journalistisches Experiment. Mutig und entschlossen sucht sie die offene Konfrontation mit rechten Hasspredigern – unter 3000 Neonazis auf dem Alex, bei einem rechten Star-Anwalt, in einem Brandenburger Gefängnis, unter braunen Esoterikern, auf einer Neonazi-Dating-Plattform, ja sogar bei Anhängern des Ku-Klux-Klan in den USA. Sie begegnet Menschen, die sie hassen – und entlarvt sie dadurch. In Gera trotzt sie 750 Neonazis, die teilweise gewalttätig sind. Sogar ihrem Kameramann die Kamera ins Gesicht stoßen. Sie erfährt, Nazis entsprechen nicht unbedingt dem Bild, was man gemeinhin von ihnen hat. Vor allem wenn man nicht in der Gruppe mit ihnen zu tun hat. Da sei doch tatsächlich einer der Neonazis zu ihr gekommen, um mit ihr ein Selfie zu machen! Wahrscheinlich, Asumang, habe bislang niemand von denen zuvor mit einer Schwarzen gesprochen. Mo Asumang meint, Nazis leben in Parallelwelten. Ein Vorwurf den Nazis Migranten stets machten. Das Diffuse bekam, in dem sie sich den Rechten stellte, für Mo Asumang allmählich Konturen. „Von da an ging es mir besser.“ Und sie hat festgestellt: „Die Nazis sind eigentlich ein ganz buntes Völkchen.“ Und ganz unterschiedlich. Das sei ihr nicht nur durch die Begegnung mit dem Rechtsanwalt Jürgen Rieger aufgefallen. Es gebe eben Stars wie den und „mitdackelnde Mitläufer“. Ein Neonazi-Aussteiger – heute befreundet mit Mo Asumang – habe letztere als „Kanonenfutter“ bezeichnet. Aber es gebe halt auch immer mehr „die Schlägertrupps“, bestimmte Aufträge exekutierten.

Grimme-Preis nominierte Filme und ein interessantes Buch

Asumang hat als Filmemacherin für Furore gesorgt. „Roots Germania“ und „Die Arier“ wurden beide Grimme-Preis nominiert. Sie arbeitet als Dozentin und Schauspielerin. Zu ihrem Buch sagt sie: „Manche würden, was ich erfahren habe, Rassismus nennen, manche sagen Fremdenfeindlichkeit, und das wird es immer geben, viele erkennen es wieder als eine Form des Mobbing. Doch egal, wie man dazu sagt, es wird verübt von Menschen, die einen aus den unterschiedlichsten Beweggründen heraus klein machen, die einem das Selbstbewusstsein rauben wollen oder sogar das Leben. Aber es gibt Gegenmittel. Die Beobachtungen, die der Leser in meinem Buch machen kann, sollen zeigen, wie man langsam lernt, die Kampfstrategien der Rassisten umzudrehen, ohne jedoch selbst diesem Hass zu verfallen.“

Warum bist du eigentlich Nazi?“

Wie könne man dem Rassismus dem Abdriften nach Rechts begegnen, fragt jemand aus dem Publikum. Gut seien Gesellschaften in den viel gestritten werde, antwortet Asumang: „Vielfalt bringt einfach mehr.“ Und die Demokratie in der wir leben sei doch toll. Nur muss die eben ge- und belebt werden, hört man heraus. Mo Asumang spricht von ihrer Freundin, der 92-jährigen Esther Bejarano. Die Überlebende von Auschwitz hasse Nazis und könne nicht mit denen reden. Im Gegensatz zu Asumang. Sie kämpfe aber gegen sie, indem sie in Schulen geht und informiert. Gegen sie anschreibt oder ansingt. Und Asumang erinnert sich an das, was eine 15-jährige Mädchen ihren späteren Neonazi-Aussteigerfreund Chris fragte: „Warum bist du eigentlich Nazi? Was hast du davon?“ Das habe einen schmerzhaften Denkprozess bei diesem Chris ausgelöst. Asumang: „Diese kleinen Momente müssen einfach erzeugt werden.“ Ein Knoten könne sich lösen. Ein Funke ausgelöst werden. Das könnten wir alle bewirken, davon ist Mo Asumang überzeugt. Anderes freilich müsse Polizei und Justiz überlassen werden. „Auch wenn du einen Nazi vor dir hast, musst du dir sagen: Du sieht da diesen Mensch.“ Ihr habe das geholfen. Vielleicht sei es schon viel, Alltagsrassismus zweimal im Jahr entschieden entgegenzutreten.

Ein Sachbuch, das in der Sprache eines Romans daherkommt

Ein interessanter Abend im bis auf den letzten Platz voll besetzten Großen Saal der Auslandsgesellschaft, in der es hart zur Sache ging. Aber an dem die Zuschauer bei Lesung und Diskussion auch eine humorvolle, kluge und mutige Autorin kennenlernen durften. Den Zuschauern mochte an

Die Autorin beim Signieren ihres Buches.

Die Autorin beim Signieren ihres Buches.

mehreren Stellen der Lesung ein kalter Schauer über den den Rücken gelaufen sein. Und womöglich vermittelte sich ihnen immerhin ein wenig, wie sich wohl Rassimus auf der eignen Haut anfühlen mag. Mo Asumangs Buch „Mo und die Arier – Allein unter Rassisten und Neonazis“ dürfte sehr zu empfehlen sein. Die von Mo Asumang gelesenen Kapitel machten jedenfalls Appetit auf das Buch. Das ein Sachbuch ist, aber – wie die Autorin nach Lesungen immer wieder zu hören bekommt – fast in der Sprache eines Romans daherkomme. Nach dem am Mittwochabend Gehörten ist dem zuzustimmen.

Zu dieser Veranstaltung hatte der Planerladen e.V. in Kooperation mit der Auslandsgesellschaft NRW e.V., dem Verein junger Deutsch-Afrikaner e.V. und der Alevitischen Gemeinde Dortmund eingeladen. Die Veranstaltung wurde im Rahmen des Projektes KODIAQ als Dialogforum durchgeführt.

Friedensfragen #6 in Dortmund: Rüstungsgegner Jürgen Grässlin ruft zur Verteidigung der Demokratie auf

Jürgen Grässlin ist besorgt über fortschreitende Entdemokratisierung und Rechtsruck. Fotos: C.-D. Stille

Jürgen Grässlin ist besorgt über fortschreitende Entdemokratisierung und Rechtsruck. Fotos: C.-D. Stille

Einmal mehr machte der bekannte Rüstungsgegner Jürgen Grässlin im vergangenen Jahr nach der Ausstrahlung des Spielfims „Meister des Todes“ (mittlerweile 6 Millionen Zuschauer in Deutschland) in der ARD von sich reden. Grässlin, der Grimme-Preisträger, Träger des Stuttgarter

Buchtitel von Jürgen Grässlin.

Buchtitel von Jürgen Grässlin.

Friedenspreises und Buchautor war kürzlich zu Gast bei „Bildung für Frieden“ in der Gesprächsreihe „Friedensfragen #6“ in der Auslandsgesellschaft NRW in Dortmund.

Zur Person

Der Gast zunächst nicht etwa Kriegsdienstverweigerer, sondern Soldat der Bundeswehr gewesen

zu sein. Ausgebildet wurde er am G3-Gewehr, dem zweit meist verbreiteten Gewehr auf der Welt. Bei einer Schießübung hätte er gewiss geschossen, wenn am betreffenden Tag nicht auf Metallplatten mit einer menschlichen Silhouette darauf und einem völlig zerschossenen Gesicht mit aufgezeichneten Schlitzaugen gezielt werden sollte. Jürgen Grässlin verweigerte. Mit dem Hinweis, ein Feinbild Chinese habe er nicht. Fortan hatte er mit einer G3 in Form eines Holzknüppels herumzuspringen. Mit einem Soldaten, der nicht schießt war – zumal im Kalten Krieg – nichts anfangen.

Jürgen Grässlin wurde der „bestgehasste Mann der Stadt“

Grässlin wurde Pazifist und später Junglehrer in Sulz am Neckar. Einer Nachbarstadt in Oberndorf am Neckar. Dem Sitz der Firma Heckler & Koch (H & K). Schon damals lieferte die Firma „völlig enthemmt“, so Grässlin, Waffen in alle Welt, auch in Krisen- und Kriegsgebiete. Stets profitorientiert. Eigentlich hätten die Eheleute Grässlin eine Schule in Afrika aufbauen wollen. Letztlich blieben sie jedoch in der Nähe von Heckler & Koch, um die Firma im Auge zu behalten. Sie gründeten das Rüstungsinformationsbüro Oberndorf (RIO). Später ging das RIO in das 1992 von ihm mitbegründete RüstungsInformationsBüro (RIB e. V.) über. Zahlreiche Aktionen gegen H & K gingen über die Bühne.

Grässlin wurde in Oberndorf der „bestgehasste Mann in der Stadt“. Viele Waffenexporte mit Geschmäckle wurden nämlich ruchbar und öffentlich gemacht.

Die Aufklärung über illegalen Waffenhandel habe Grässlich damals als Fortschritt gesehen. Man habe mit vielen Freunden zusammen diese Aufklärung bis heute fortschreiben und umsetzen können. Der Referent nannte die „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“ (mit mehr als 100 verbündeten Organisationen der Friedens- und Entwicklungszusammenarbeit). Mit dem Erfolg, dass viele Sachen nicht liefen, die sonst gelaufen wären.

Was ja im Sinne einer Mehrheit von 83 Prozent der Deutschen sein dürfte, die Waffenhandel ablehnen.

Der Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft erklärte, der Widerstand dagegen wachse mit der fortschreitenden Militarisierung in Politik und Gesellschaft sowie der NATO-Erweiterung nach Osten.

Das Enthüllungsbuch im Mittelpunkt des Vortrags

Jürgen Grässlin (links) im Gespräch mit Moderator Mark Brill.

Jürgen Grässlin (links) im Gespräch mit Moderator Mark Brill.

Im Mittelpunkt des Vortrages von Jürgen Grässlin standen die Waffenexporte von Deutschland. Und somit das neue Enthüllungsbuch „Netzwerk des Todes. Die kriminellen Verflechtungen von Waffenindustrie und Behörden“ des Autorenteams D. Harrich, D. Harrich-Zandberg und J. Grässlin.

Grässlin setzte vier Schwerpunkte. Zum einen die ganz aktuelle Rüstungsexportpolitik. Wo landen deutsche Waffenlieferungen? Die Folgen von Waffenlieferungen: „Wer Waffen sät, wird Flüchtlinge ernten.“ Der Kern des Abends bildete einen Blick auf das Netzwerk des Todes.

Die USA sind vor Russland und Deutschland Hauptlieferant von Waffen auf der Erde. Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel, der einst versprach, mit ihm werde es keine Waffenexporte an menschenrechtsverletzende und Krieg führende Staaten geben, habe seine Versprechen leider gebrochen, so Jürgen Grässlin.

Verwerflich findet der Rüstungskritiker, dass Deutschlands fünf großen Rüstungsfirmen (Big Five) – anders als andere Rüstungsexporteure anderer Länder – selbst an verfeindete Konfliktparteien liefern. Einst an Irak und Iran. Immer noch an Indien und Pakistan. Was allerdings bedenkliche deutsche Tradition sei: im Ersten Weltkrieg lieferte Krupp Waffen an die deutsche Reichswehr und an die Briten Munition. Zählen tat und tut eben nur der Profit. Wahrung von Frieden? Kampf für Menschenrechte?

Damit habe das nichts absolut zu tun.

Undemokratische Entscheidungen des Bundessicherheitsrates

Alles abgenickt von der Bundesregierung. Vom intransparenten Bundessicherheitsrat.

An Israel lieferte Deutschland die ersten drei U-Boote mit Brennstoffzellenantrieb kostenlos. Wert eines jeden U-Bootes: 500 Millionen Euro. Bezahlt vom Steuerzahler. Werde der gefragt? Nein, „wir werden nicht gefragt beim Waffenhandel“, kritisiert Grässlin. Wenn so etwas entschieden wird, habe das nichts mit demokratischen Entscheidungsprozessen zu tun. Denn der Bundessicherheitsrat (ein weltweit einmaliges Gremium) tagt geheim und entscheidet geheim. Die Öffentlichkeit erhält erst davon Kenntnis, wenn der Export bereits passiert ist. Hoch bedenklich. Die deutschen U-Boote für Israel könnten als Träger von Atomwaffen dienen.

Massenvernichtungswaffe Gewehr und „das tödlichste Unternehmen Deutschlands“

Die „Massenvernichtungswaffe auf dem Globus“ aber sei das Gewehr. H & G mit seinem G3 ist da ganz vor mit dabei. Die Firma aus Oberndorf lässt Grässlin aktuell per Unterlassungsklage verbieten zu sagen, dass „alle vierzehn Minuten seit über fünfzig Jahren ein Mensch stirbt durch eine Kugel von Heckler & Koch“. Grässlins Rechtsanwalt habe – weil die Firma inzwischen neue Gewehre produziere, beziehungsweise es das um das G36 ergänzte G3 Gewehre gebe – an die Firma zurückgeschrieben: von nun an zu sagen, alle dreizehn Minuten sterbe ein Mensch durch eine Kugel von Heckler & Koch.

Ein eventuelles juristisches Verfahren verspreche spannend zu werden. denn man müsse dann in aller Fülle belegen, in welchen Kriegen, Massakern und Exekutionen Menschen getötet wurden durch Gewehre von H & G. Die dreizehn Toten pro Minute werde man dann belegen, sowie, dass diese Firma „das tödlichste Unternehmen Deutschlands“ ist.

Bemerkenswert: Dem CDU-Fraktionsvorsitzenden im Bundestag, Volker Kauder (Wahlkreis Rottweil), habe der Hauptgeschäftsführer von H & G auf dessen Bundestagswahlkampfveranstaltung quasi für die Unterstützung der Rüstungsgeschäfte von Heckler & Koch gedankt. Einem Christen, der sich sozusagen gegen Christenverfolgung einsetzt. Christen werden nicht nur in Saudi-Arabien von deutschen Waffen getötet.

Permanenter Rechtsbruch bei Kriegswaffenexporte an sonstige Drittländer

Schlimm auch: Waffen bleiben nicht am Ort. Sie wandern. Etwa die, welche in den Irak, an die Peschmerga, gelieferten. Sie tauchen bereits beim IS auf. Schon die Lieferung sei verfassungs- und völkerrechtswidrig, so Grässlin.

Was genau genommen widerrechtlich sei. Jürgen Grässlich bat seinen Anwalt Anzeige gegen die Bundesregierung zu stellen. Doch das geht gar nicht. Es gibt einfach keine Möglichkeit die Bundesregierung anzuzeigen. Grässlin: „Unglaublich!“

Schließlich dürfe Deutschland Kriegswaffen nur an NATO, an NATO-Staaten liefern. Man darf nicht liefern an sonstige Länder oder sogenannte Drittländer. Ausnahmen sind nur erlaubt, wenn deutsche sicherheitspolitische Interessen berührt werden. Fast zwei Drittel aller deutschen Kriegswaffenexporte gingen an sonstige Drittländer. Grässlin: „Hier passiert permanenter Rechtsbruch.“

Wie Gewehre von Heckel & Koch in unsichere mexikanische Bundesstaaten gelangen konnten

Nun zum Kernthema: Ein Insider des im Film „Meister des Todes“ thematisierten Deals, des Exports von Gewehren von H & G nach Mexiko hatte als Whistleblower über einen Trick informiert. Nämlich wie es dazu kam, dass deutsche Gewehre in mexikanische (unsichere) Bundesstaaten kamen, in welche der Export verboten war.. Nur der Export der Waffen in andere mexikanische (sichere) Bundesstaaten war legal. Man verfiel auf einen Kunstgriff. Das deutsche Bundeswirtschaftsministerium dealte mit dem Bundesausfuhramt. Das zunächst sich ablehnend verhaltende Auswärtige Amt wurde unter Druck gesetzt und stimmte einem faulen Kompromiss zu. Nun war das Modell aufgeweicht, dass in einen Staat entweder Waffen geliefert oder nicht geliefert dürfen.

Es konnte nachgewiesen werden, dass mit den deutschen Waffen im Zusammenspiel von Mafia und mexikanischer Mafia Menschen in Mexiko ermordet wurden. Die Akteure um Jürgen Grässlin übergaben Berge von Material – das die Beteiligung von Heckler & Koch belegt, der Stuttgarter Staatsanwaltschaft, bei der Anzeige erstattet worden war. In fünf Jahren unternahm die Staatsanwaltschaft fast nichts. Einmal zog man sogar den Staatsanwalt für ein halbes Jahr ab. Grässlin und Mitstreiter reagierten und veröffentlichten (nicht vollständig mit geschwärzten Stellen) Teile der Dokumentation und publiziert in Buchform („Netzwerk des Todes“).

Ermittlungen gegen die Behörden abgelehnt

Geht es nach Jürgen Grässlin und seinen Mitakteuren müssten Vertreter von Heckler & Koch, des Bundesausfuhramtes und des Bundeswirtschaftsministeriums. Wer aber steht vor Gericht? Nur Vertreter von H & G. Der zuständige Staatsanwalt lehnte Ermittlungen gegen die Behörden ab. Ein Skandal, findet Jürgen Grässlin. Die Sache ist nun auch noch verjährt.

Nachzulesen alles in „Netzwerk des Todes“.

Verrückt: Anzeige gegen diejenigen, welche Straftaten anzeigten

Nach dem erfolgreichen Film „Meister des Todes“ hat die Staatsanwaltschaft München Ermittlungen gegen dessen drei Autoren aufgenommen. Grund: Man habe im Buch „Netzwerk des Todes“ Dokumente partiell veröffentlicht, die jetzt der Staatsanwaltschaft gehören. „Weil wir sie ihr ja übergeben haben“, skandalisiert Jürgen Grässlin. Geht es verrückter? „Was“, fragte Grässlin: „wenn sich eine solche Rechtsprechung in Deutschland durchsetzen sollte?!“

Für ihn wäre das „ein knallharter Anschlag auf die Presse- und Meinungsfreiheit“.

Entdemokratisierung und Rechtsruck entgegentreten

Jürgen Grässlin ging es mit diesem Vortrag auch um den Zustand der Demokratie hierzulande. Immerhin sagten 83 Prozent der Deutschen man wolle

Jürgen Grässlin: Müssen uns einmischen, um der Demokratie willen.

Jürgen Grässlin: Müssen uns einmischen, um der Demokratie willen.

Rüstungsexporte nicht. „Was ist das für eine Regierung, die Volkes Wille völlig ignoriert? Man müsse sich nicht über Wahlergebnisse wie kürzlich in Mecklenburg-Vorpommern wundern. Wobei AfD-Wähler die falschen Schlussfolgerungen gezogen hätten. Aber es gehe um die Demokratie. Deren Zustand erinnere Jürgen Grässlin an die Zustände des Jahres 1928 bis 1930 in der Weimarer Republik. „Die Menschen glaubten noch, aber es ist gekippt! Dann waren die Braunen da.“

Soweit sei man wohl noch nicht. Jedoch auf „einen Entwicklungsstrang, auf einer Linie, die uns zielstrebig zur Entdemokratisierung und nicht nur in Deutschland zu einem Rechtsruck führe. Zum Schluss bat Jürgen Grässlin das Publikum „ernsthaft, dieser Entdemokratisierung, diesem Rechtsruck“ entgegenzutreten. „Mischt euch ein. Tretet für die Demokratie ein!“

Ein spannender Vortrag! Die Moderation lag in bewährt in Händen von Mark Brill.

Hinweis: Dankenswerterweise wurde der Vortrag aufgezeichnet. Er ist auf Weltnetz.TV abrufbar: