«Notfallkapitalismus. Texte zur politischen Ökonomie des in Agonie befindlichen „senilen Kapitalismus“« von Fabio Vighi. Empfehlung der Broschüre

Kürzlich stellte ich hier die im pad-Verlag erschienene interessante Broschüre «Covid-19 und die Pandemie als Amoklauf des Finanzkapitals« von Fabio Vighi vor. Nun folgt – wiederum als Leseempfehlung – eine weitere Broschüre mit Texten von Vighi mit dem Titel «Notfallkapitalismus. Texte zur politischen Ökonomie des in Agonie befindlichen „senilen Kapitalismus“«.

Wiederum hochinteressant! Wir dürften uns bei genauerem Nachdenken bewusst sein (auch der Kognitionswissenschaftler Rainer Mausfeld hat das angemerkt), dass der Kapitalismus letztlich nicht mit einer wirklichen Demokratie vereinbar ist. Dennoch hat der Kapitalismus bis heute überlebt. Denn er sorgt nicht nur für Ungerechtigkeiten und Krisen, sondern ist immer wieder auch innovativ. Was ihn in die Lage versetzt, sich immer wieder neu zu erfinden und somit zu überleben. Nicht selten wurde sein kommende Ende vorhergesagt. Doch bekannterweise (über-)leben Totgesagte immer wieder.

Allerdings häufen sich die Krisen des Kapitalismus bedenklich. Der Raubtierkapitalismus, der immer rücksichtsloser agierende Neoliberalismus (besser: Marktradikalismus) hat – nach dem Fall des missglückten Sozialismus – alles nur noch schlimmer gemacht. Frisst sich das System zunehmend selber, steht es vor einer Implosion? Finanzexperten wie Ernst Wolff warnen seit Jahren davor.

Der Wirtschaftswissenschaftler Wolfram Elsner hat zur Broschüre ein interessantes Vorwort geschrieben:

«Das globale historische „Großereignis“ der Corona-Pandemie 2020-2022 befindet sich international in einer notwendigen kritischen Auf- und Nachbereitung. Zu verdächtig waren die Begleitumstände der Pandemie. Die internationale kritische Politische Ökonomie hatte schon seit den 2010er Jahren die zunehmende Labilität, Krisenanfälligkeit, Unhaltbarkeit, den Niedergang und insgesamt eine Unseriosität des ökonomischen, politischen und gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses des neoliberalen finanzialisierten Kapitalismus (NFK) aufgezeigt.

Die Analysen zeigten schon in der zweiten Hälfte der 2010er Jahre, und vor allem 2019, kurz vor der offiziellen Wahrnehmung der Pandemie, dass eine weitere, diesmal wohl massivere realökonomische Stagnation und Krise ins Haus stand und mit ihr, nach 2007/8 ff., eine weitere, größere und fundamentalere Finanzkrise. Es war klar geworden, dass die Schneeball-, Blasen- und „Ponzi“-Mechanismen der Derivate-Pyramiden des de-regulierten, enthemmten und explodierenden Spekulationssektors, der inzwischen nur noch aus sich heraus und für sich selbst existierte und arbeitete, selbst mit den jährlich real produzierten Werten der Erde (dem Weltsozialprodukt) und mit der laufenden Ausbeutung („Verwertung“) der vorhandenen realen Vermögensbestände („Assets“: öffentliches Vermögen und Infrastrukturen, Immobilien, industrielle Firmenwerte, Arbeitskraftwerte, Wasserressourcen und der gesamten Natur sowie am Ende der Atemluft) nicht mehr so viel an Mehrwert zu sich selbst hin umverteilen konnten, dass im Durchschnitt noch eine relevante Profitrate auf die die geschätzten 1,5 Billiarden USD der nominalen fiktiven Finanzwerte auf bedrucktem Papier, versehen mit Eigentumstiteln und Renditeanspruch, generiert werden konnte.

Die meisten realen Vermögensbestände der Gesellschaft (s.o.) waren ja in den Frühphasen des Neoliberalismus in den 1980er Jahren bereits geplündert worden, die Ressourcen der Welt bereits aufgekauft und große Landflächen in Afrika vereinnahmt. Die Wall Street besaß vor Corona rechnerisch im Durchschnitt Eigentumstitel für zwei, danach bis zu acht Welt-Jahres-Ernten an Weizen. Die Umverteilung auch der Einkommen zu den obersten 1% war „bis Anschlag“ umgesetzt: die Lohnsumme ausgequetscht, Staatshaushalte ausgequetscht und auf Umverteilung nach oben programmiert, die Gewinne der kleinen und mittleren Unternehmen ausgepresst und umverteilt, ebenso wie die Gewinnquote der Industrie zugunsten der Renditen des Spekulationssektors umverteilt worden waren. Die reale Ökonomie, reale Natur und reale Menschen konnten dem Spekulationskapital der kleinen Oligarchen- und Plutokraten-Schicht inzwischen gleichgültig sein.

Aber all das reichte nicht. Nichts konnte mithalten mit der Explosion der nominalen fiktiven Geldkapital-Werte und ihm auch nur „normale“ reale Renditen sichern. Umso mehr wurde das Spekulationskapital der 1 Prozent (1 Promille? 0,1 Promille? …) Motor immer weiter verschärfter Umverteilung, auch zulasten anderer Wohlhabender (kleine Spekulanten, Industriekonzerne als Finanzinvestoren, private Vermögende), die nicht so nah an der Quelle der Entscheidungen saßen und nicht rechtzeitig vor der nächsten Krise ihre Schäfchen durch Umswitchen in Realwerte (Ressourcen) ins Trockene bringen (in reale Sachwerte transformieren) konnten. Das Aufpumpen von Blasen entpuppte sich als ein ultimativer Umverteilungsmechanismus. Die Spekulation hatte die Verschuldungsexplosion als Voraussetzung, bei den Arbeitenden und ihren Haushalten, dem Staat, der kleineren Industrie und dem Gewerbe ohnehin, deren Verarmung mit umso mehr Krediten aufrechterhalten wurde. Aber auch bei den Großbanken und Schattenbanken, den Hedgefonds, Private Equity Firmen usw., die unendliche Kredite aus dem Nichts brauchten, da sie ja ihr Geschäft auch mit der Differenz zwischen Kreditkosten und kurzfristiger spekulativer Anlage machen. Die Zentralbanken waren daher ja unter dem Neoliberalismus exakt dafür umgegründet und oberhalb des politischen Systems gestellt worden, um den Spekulationssektor ständig mit Frischgeld zu versorgen und am Laufen zu halten.

Seit 2008 laufen die Kurven der geopolitischen Versorgung (Quantitative Easing) mit den spekulativen Ankagekurven1:1 parallel. Die staatliche Fiskalpolitik durfte im Neoliberalismus keine Rolle mehr spielen und hatte ihren Umverteilungsitrag nach oben ohnehin schon „bis zum Anschlag“, d.h. auch: bis zur Grenze der offenen politischen Legitimationskrise des Staates und der offenen Bürgerrevolte geleistet.

Kritische Politökonomen, Sozialwissenschaftler und feinfühlig beobachtende ZeitgenossInnen hatten ja bereits von „Nine-Eleven“, also seit 2001, und den unzähligen Widersprüchen des offiziellen Narrativs zum Einsturz des New Yorker World Trade Center gelernt, dass vieles nicht mehr stimmen kann im niedergehenden und um uns herum erkennbar verrottenden neoliberalen Finanzkapitalismus, der sich als eine immer gigantischere Umverteilungsmaschine entpuppte, der die Gesellschaften spaltet und ruiniert, die die „1 Promille“ immer reicher werden und den Armutssektor der Gesellschaft explodieren ließ, die Umweltkatastrophe beschleunigte, Kriege in alle Ecken der Welt trug, wo Länder unbotmäßig wurden, und im Grunde keines der drängenden Menschheitsprobleme mehr lösen konnte.

Die Menschen lernten, Fragen zu stellen und Zweifel anzumelden an „Nine-Eleven“ und darüber hinaus an all dem Genannten sowie an den mit ständigen Schock-Narrativen, angeblichen Bedrohungen, mit Krisen, Chaos und „Notfällen“ aller erdenklichen Arten begründeten, aber erkennbar bereits von langer Hand vorbereiteten Kriegen des hegemonialen Imperiums und seines Trabantensystems, seines „Global War on Terror“. Und sie mussten schmerzhaft lernen, dass ihre Fragen, Zweifel und Suchen zu keinem Zeitpunkt von offizieller Seite ernst genommen wurden. Vielmehr begann dieses System der Austerität, des ökonomischen Niedergangs, der Verarmung und Gesellschafts-Spaltung nach innen, der „einzigen Weltmacht“, der Weltbeherrschung, der Monopolarität und der imperialen Hegemonie, der Aggressivität und der Kriege nach außen, bei verschärfter „Demokratie“- und „Freiheits“- Rhetorik durch ihr zunehmend vereinheitlichtes offizielles Parteienkartell politisch zunehmend mit Unterdrückung, Zensur, „betreutem Denken“ in immer engeren Leitplanken, gesellschaftlicher Meinungsformierung und mit zu einer Hetz-, Kriegs- und Fake-Industrie mutierten OligarchInnen-

Medien die Zweifler und Kritiker mundtot zu machen, für verrückt zu erklären und als „Verschwörungstheoretiker“ und je nach Tagesbedarf als „Rechte“ und „Antisemiten“ abzustempeln, mundtot zu machen, zu ruinieren und abzuservieren.

Dabei hatte es sich im Laufe der Geschichte jeweils im Nachhinein, z.T. nach Jahrzehnten, immer wieder herausgestellt, dass selten eine aufgestellte Verschwörungstheorie so Schlimmes erahnt hatte wie die tatsächlichen Verschwörungen und politisch-staatlichen Verbrechen, die dann typischerweise nach 30 Jahren, wenn regelhaft die staatlichen Archive Dokumente freigeben, ans Tageslicht kamen.

Solche Erfahrungen kulminierten für immer mehr kritisch denkende Menschen dann insbesondere während der Pandemie zu einer zentralen Erfahrung des Skeptizismus, der eigenen Verfolgung und Unterdrückung, der Meinungsunfreiheit und der umfassenden Überschwemmung mit Fakes über die Weltveränderungen von offizieller Seite, gepaart mit einem unseriösem, unsouveränem, unglaubwürdigem, aber umso autoritärerem Auftreten des Staates und seines politischen Führungspersonals.

Man glaubte immer weniger an zufällige Zusammenhänge zwischen den realen Niedergangserscheinungen, zunehmendem Demokratieabbau, wachsendem Autoritarismus, Aggressivität und Kriegen nach außen, einer immer mehr dominierenden Fake-Industrie und dem Aufkommen und politischen Nutzen von sozialpsychologischen und emotionalen Schocks, Chaos, Katastrophen und „Notfällen“. Manche schütteten schon mal in antiautoritärer Überreaktion auch das gesamt Pandemie-Kind oder Klimawandel-Kind mit dem Bade des Skeptizismus und Nihilismus gegenüber allem und jedem aus. Viele konnten nun einfach gar nichts mehr glauben und stellten einfach alles in Frage. Einen Orientierungskompass des realen Lebens war ihnen im politischen Raum abhandengekommen. Nicht zuletzt übrigens, weil ehemalige Linke sich ins System integriert hatten, die Positionen der herrschenden „Eliten“ übernahmen, den Kapitalismus plötzlich gar nicht mehr problematisch fanden, sich wohlig einrichteten in ihren Minister- und Staatssekretären-Sesseln und sich außenpolitisch plötzlich bei den Kriegsreibern „für die Freiheit“ positionierten.

Das System offenbarte insgesamt eine massive Glaubwürdigkeitskrise, die Politik sprach mit ihren zunehmend hohlen Ritualen und Phrasen, dem Closed-Shop ihres Parteienkartells, einer „Herrschaft des Volkes“ (Demos Kratos), die sich im periodischen Kreuzchen machen erschöpft, und mit unrepräsentativen Regierungen, die am Ende nur noch etwa 30% der Wahlberechtigten vertreten, immer mehr Menschen nicht mehr an. Protest breitete sich aus, und die Erkenntnis macht sich breit, dass dieser zerfallende, und daher nach innen und außen umso aggressivere Kapitalismus und sein dequalifiziertes Politpersonal eine Menge zu verbergen haben, und daher Schocks-Chaos, Katastrophen, Notfälle, Tod und Todeskulte als Herrschaftsmechanismen brauchen und jede immanente Krise des Systems zu ihren Gunsten missbrauchen.

Manche schießen auch hier übereifrig über das Ziel hinaus, indem sie vermuteten, „das System“ generiere bewusst und politisch rational und kollektiv geplant jedwede Krise selbst, um die Herrschaft aufrechtzuerhalten. Nicht alles frühere Wissen aber über die endogene, immanente

Krisenhaftigkeit des Kapitalismus, insbesondere in seiner neoliberalen finanzialisierten Niedergangsstufe muss aber vor dem Hintergrund der gemachten skeptischen machenden Erfahrungen über den Haufen geworfen werden, nicht jede wissenschaftliche Erkenntnis über Viren und Bakterien, über Virologie und Epidemiologie, über Umweltzerstörung und CO2 müssen in falschen und überzogenen Umkehrschlüssen negiert werden. Es ist eben nicht so, dass die Menschheit plötzlich gar nichts mehr weiß.

Naomi Klein hatte bereits Jahre zuvor ausführlich dargelegt, dass dieser Kapitalismus von seinen funktionalen Herrschaftsmechanismen und von seiner antidemokratischen Ersatz-Legitimationsbeschaffung her die Katastrophe, das Chaos, den Schock, oder den Notfall als Herrschaftsmechanismus braucht.

Hier nun setzt Fabio Vighi mit seinen kritischen Texten aus den Corona- und Nach-Corona-Jahren an. Er steht für das oben Gesagte, für die Fortsetzung einer kritischen Politischen Ökonomie, praktischen Philosophie und Systemkritik. Und deren Aktualisierung vor der Hintergrund der Pandemieerfahrungen und der aktuellen Kriegserfahrungen mit diesem System. Er analysiert die finanzkapitalistischen Mechanismen, die Rolle der Zentralbanken, die Politische Ökonomie der allseitigen Überschuldung.

Und er breitet das Thema des neuen äußeren Feindes und des Krieges gegen ihn aus, ein Feind, den das System nach einer kurzen Zwischenzeit der relativen Friedlichkeit aufgrund von Irritation und Neuorientierung in den ersten 1990er Jahren dringend wieder brauchte. Er umspannt Corona-Pandemie und Ukraine-Krieg und ist aktuell bis ins Frühjahr 2024. Er entwickelt die Idee Naomi Kleins vom Schockstrategie- Kapitalismus weiter und bringt seine Ergebnisse auf den Punkt als „Notfallkapitalismus“ (Emergency Capitalism).

Damit liegt hier auch eine Aufsatzsammlung vor, die nach den Erfahrungen der Corona-Pandemie, des Krieges und der Kriegs(tauglichkeits)hetze, der dominierenden Einheiz-Fakes und des neuen zensierenden, unterdrückenden, autoritären politischen Systems deutlich skeptischer, fundamentaler skeptisch ist, als man es vor Corona war. Der Gegner kritischer und demokratischer Bewegung ist auch umfassender geworden: Wir sind mit einem „MIMPIK“ konfrontiert, einem Medial-Industriell(-Finanziell)-Militärisch-Politisch-Intellektuellen Komplex. Universitäten und Think Tanks sind voll in globale Konfrontations-, Rüstungs- und Kriegsstrategien integriert, auf Kriegstüchtigkeit umgetrimmt, und die Oligarchenmedien haben die politische Macht übernommen und treiben mit ihrem ihr Militär und Finanzkapital heutzutage Politik und Intellektuelle vor sich her.

Eine ungläubigere Generation kritischer Denker, eine Generation von kritischen Philosophen und Politischen Ökonomen meldet sich hier, die fast nichts mehr glauben kann, fast alles für möglich hält und nur noch wenig Zukunftsoptimismus für den alten Kapitalismus hat. Da hilft nur noch, die Welt in ganzer Breite hereinzuholen und zu sehen, wie schnell sie sich verändert. Und das keineswegs mehr nur noch zum Schlechten.«

Bremen, im August 2024

Wolfram Elsner

Hoch informativ, dieses Vorwort! Damit sind die Leser gut auf Texte vorbereitet. Was auch für Menschen gilt, welche wenig ökonomisch gebildet sind. Viele Leute sind ja auch betreffs der von Wolfram Elsner referierten Fakten kaum oder nicht informiert. Leider versagen ja diesbezüglich auch die meisten unserer Medien. Warum? Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Fabio Vighi gibt uns zu bedenken: «Ein globales Wirtschaftssystem, dass sich der Sättigung nähert, kann nicht auf eigenen Füßen stehen. Je mehr der Kapitalismus darauf beharrt, alles zu liquidieren, was sich seinen Gesetzen widersetzt, desto mehr implodiert er. Und je mehr er auch zur Geisel einer perversen Logik wird, die auf der Fantasie eines grausamen Feindes basiert, der bereit ist, uns zu vernichten.

Wie Domenico Losurdo zeigt, wurden die zivilen Errungenschaften der liberalen Ideologie in Symbiose mit den modernen Tragödien der Sklaverei, Deportation und des Völkermords etabliert. Diese Tragödien kehren im teuflischen Projekt der neoliberalen Globalisierung zurück. Das Paradoxon, das den moralischen Antrieb der heutigen „guten Politik“leitet, wurde von Baudrillard perfekt zusammengefasst:

„Wenn Le Pen nicht existierte, müsste er erfunden werden. Er ist es, der uns von der bösen Seite unserer selbst befreit, von der Quintessenz all dessen, was das Schlimmste in uns ist. Dafür ist er verflucht. Aber wehe uns, wenn er verschwindet, denn sein Verschwinden würde unsere rassistischen, sexistischen und nationalistischen Viren (wir haben sie alle) oder einfach die mörderische Negativität des sozialen Seins auslösen.“

Jean-Marie Le Pen ist nicht verschwunden. Er wurde geklont und in ein buntes Karussell von Monstern eingefügt, deren Aufgabe es ist, uns von den realen Prozessen sozioökonomischer Verwüstung abzulenken […]

Wie bei Colonel Kurtz in Apocalypse Now wird das Böse vom Guten hervorgebracht und muss beseitigt werden, um diese peinliche Wahrheit

zu verbergen. In dieser Hinsicht sollte man sich Max Horkheimers unsterbliche

Mahnung vor Augen halten: „Wer nicht bereit ist, über den Kapitalismus zu sprechen, sollte auch über den Faschismus schweigen.

[…] Die totalitäre Ordnung unterscheidet sich von ihrer bürgerlichen Vorgängerin nur dadurch, dass sie ihre Hemmungen verloren hat.“ So wurde uns beispielsweise kürzlich eingeredet, dass Donald Trump für alle Schrecken der Erde verantwortlich ist, von der Sklaverei, auf der die Vereinigten Staaten von Amerika aufgebaut wurden, bis hin zum neuesten ‚apokalyptischen‘ Virus. Es spielt keine Rolle, ob das Imperium des Guten für dasselbe Böse verantwortlich ist, das es dem anderen zuschreibt. Wichtig ist, dass die sanfte Seite unserer Intelligenz nicht gestört wird […]

Weiter schreibt Vighi: «Die industrielle Produktion von Notfällen erfordert wiederum glaubwürdige Akteure auf der globalen Bühne sowie ein Publikum, das bereit ist, sich von zynischer Medienpropaganda schockieren zu lassen.

Der Cashflow in Richtung Aktienmärkte muss weiter steigen, was auch immer dafür nötig ist. Wie ich in meinen früheren Beiträgen zu diesem Thema argumentiert habe, war COVID-19 im Wesentlichen ein beispielloser Versuch, die expansive Kapazität künstlicher Liquidität zu einem kritischen Zeitpunkt in der Geschichte des Kasino-Kapitalismus wiederherzustellen. Ende 2019 drohte der Finanzsektor erneut, rasch illiquide zu werden, da das Monopoly- Geld versiegte – ein vorhersehbares Ereignis, das bereits die Große Finanzkrise ausgelöst hatte. Im Jahr 2019 stand jedoch viel mehr auf dem Spiel als 2008, denn die Geldsucht des Systems hatte ihren Höhepunkt erreicht.

Was sind die Triebkräfte des senilen Kapitalismus? Ich werde fünf davon in keiner bestimmten Reihenfolge auflisten und dann ihre Zusammenhänge erörtern:

1. Schulden. Der einzige Weg in die kapitalistische Zukunft wird weiterhin durch Programme zur Liquiditätsschöpfung geebnet. Geld „aus dem Nichts“ zu schöpfen und es als Kredit in Umlauf zu bringen, ist die elementare geldpolitische Strategie, die unsere Gesellschaften davor bewahrt, in den Abgrund zu stürzen – wie die Comicfigur, die, nachdem sie über den Rand einer Klippe gelaufen ist, in der Luft schwebt, bevor sie die Schwerkraft wahrnimmt. Die Anziehungskraftder Schwerkraft ist jedoch jetzt unwiderstehlich, und der Abstieg hat mit einer heftigen Währungsabwertung begonnen.

2. Blasen. Finanzblasen, die durch billige Kredite aufgeblasen werden und einen wahnhaften Mechanismus der ewigen Bewegung nähren, sind das einzige aussagekräftige Maß für die noch verbleibende Vermögensbildung. Für die Handlanger der „schönen Maschine“ geht es nur noch darum, die Blasen am Platzen zu hindern. Während sich die finanzialisierte Wirtschaft von ihren sozialen Bindungen entfernt, wird die menschliche Existenz zur Sicherheit für den spekulativen Algorithmus.

3. Kontrollierte Zerstörung. Lohndumping und ein Abwärtswettbewerb um immer weniger Arbeitsplätze sind die notwendige Kehrseite des Blasenparadigmas. Damit die spekulativen Märkte fortbestehen können, muss die „Arbeitsgesellschaft“ schrittweise verkleinert werden, da sich die heutigen künstlich aufgeblähten Finanzanlagen und die reale Nachfrage gegenseitig ausschließen. Einfach ausgedrückt: Die Main Street ist eine Belastung für die Wall Street, weshalb sich der Konsumkapitalismus nun in die Verwaltung der kollektiven Verelendung verwandelt.

4. Notfälle. Unsere existenzielle Lage in der Endphase des Bubble-to-Bubble-Kapitalismus ist eine zutiefst terroristische Meta-Notfall-Ideologie, eine Permakrise, die uns von der Wiege bis zur Bahre begleiten muss. In dieser Hinsicht war die Pseudo-Pandemie des Jahres 2020 nur der Eisbrecher. Machen wir uns nichts vor: Eine Welt, die so fanatisch ihre eigene Implosion verteidigt, hat noch viele weitere Schocker für uns auf Lager.

5. Manipulation. Medienpropaganda ist im Zeitalter der digitalen Hypervernetzung eine Selbstverständlichkeit, und so ist es nur natürlich, dass der senile Kapitalismus, der seinen Zusammenbruch spürt, das Beste daraus macht. Hier ist ein hartnäckiges Zusammentreffen von blinder Dummheit und zynischer Berechnung am Werk. Wie George

Orwell schon lange vor dem Internet voraussagte, geht es darum, Lügen zu erzählen und sie gleichzeitig zu glauben: „Der Prozess [der massenmedialen Täuschung] muss bewusst sein, sonst würde er nicht mit ausreichender Präzision durchgeführt werden, aber er muss auch unbewusst sein, sonst würde er ein Gefühl der Falschheit und damit der Schuld mit sich bringen.“

Jean Baudrillard nannte das Ergebnis dieses Prozesses „Hyperrealität“

Während das Bewusstsein für die Massenbetrug langsam erwacht, bevorzugen die meisten Menschen die Vogel-Strauß-Politik: Besser nichts wissen, als das eigene Maß an Leichtgläubigkeit in Frage zu stellen. Und doch hat es wenig Sinn, sich gegenseitig Vorwürfe zu machen. Stattdessen ist es von entscheidender Bedeutung, sich daran zu erinnern, dass Virus der unsichtbare Schutzschild war, der eingesetzt wurde, um eine Banken- und Finanzkrise zu vermeiden, die 2008 in den Schatten gestellt hätte, und gleichzeitig eine Notfallstrategie für das koordinierte Management der Massenverarmung einzuleiten – nicht nur in den Randgebieten der kapitalistischen Welt, sondern auch in ihrem Zentrum. Es ist besonders aufschlussreich, dass wir jetzt dazu überredet werden, den wirtschaftlichen freien Fall als Schicksal zu akzeptieren: eine Art mythische Stagflation, die ihren Ursprung in externen und weitgehend unkontrollierbaren Auslösern (Pandemie) […]«

«Die Mainstream-Medien werden uns niemals über die Ursachen einer strukturell insolventen Wirtschaft informieren, aus dem einfachen Grund, dass sie ein Zweig dieses bankrotten Systems sind. Im Gegenteil, sie werden versuchen, uns davon zu überzeugen, woanders hinzuschauen: Pandemien, Kriege, kulturelle Vorurteile, politische Skandale, Naturkatastrophen und so weiter. Die reaktiven Medien können den Niedergang zwar nicht mehr verbergen,aber sie haben gelernt, exogenen Ereignissen die Schuld zu geben. «

«Es ist daher von entscheidender Bedeutung zu erkennen, dass wir vor einem totalen sozioökonomischen Zusammenbruch stehen“, mahnt Vighi. «Diejenigen, die den finanziellen Saftladen antreiben, werden weiterhin Konflikte und Spaltungen aller Art fördern, um den systemischen Zusammenbruch zu verbergen. Jeder Konflikt, ob geopolitisch oder anderweitig, beginnt und endet im „Krisenkapitalismus“. Der Niedergang des Sozialismus in den 1980er Jahren lüftete den Schleier der Maya. Seitdem ist,wie ein Buddhist sagen würde, „Dualität eine Täuschung“: Es gibt nur ein sozioökonomisches Dogma, und es funktioniert nicht mehr. Es ist nun unmöglich, den Konsumkapitalismus am Leben zu erhalten und gleichzeitig die Verschuldung ins Unendliche zu steigern. Der Berg an Schuldscheinen übersteigt bei Weitem das, was wir als Sicherheit besitzen (im Wesentlichen unser Vermögen, unsere Arbeitskraft und unser Leben), während die Fiat-Währungen längst ihre Reise ins Land des Mülls angetreten haben. Das gesamte Bankensystem steht kurz vor dem Zusammenbruch, weshalb es dringend neue inflationäre Liquidität benötigt, um sich über Wasser zu halten. Der „Great Reset“ ist der autoritäre Versuch unserer Eigentümer, auf diese systemische Bedrohung zu reagieren, indem sie die Kontrolle über die Sicherheiten (unser Leben) übernehmen und am Steuer bleiben. Alles andere ist Wahrnehmungsmanagement. Die westlichen Mittelschichten sind Gefangene ihrer Vergangenheit und davon überzeugt, dass der liberaldemokratische Kapitalismus der Nachkriegszeit als Modell der sozialen Organisation nicht nur grundsätzlich gerecht, sondern auch ewig und unbestreitbar ist. Diese optische Täuschung, die bislang (auch bei scharfer Kritik) zu einem fast bedingungslosen Vertrauen in unsere Institutionen geführt hat, ist verständlich:

Die westlichen Mittelschichten sind seit Jahren Gegenstand der liebevollsten Aufmerksamkeiten des Großkapitals, im Kontext einer profitabler Gesellschaftsvertrag, der um Massenlohnarbeit und wachsende Konsumgewohnheiten herum organisiert ist. Mit anderen Worten:

Das Kapital hat eine Arbeitsgesellschaft geformt und gleichzeitig ausgebeutet, die sich am „idealen Standard“ des Arbeiter-Konsumenten orientiert, der vom Traum einer sozialen Aufstiegsmobilität befriedigt wird. […]«

Die Gefahr einer Katastrophe wird

durch die Gefahr anderer Katastrophen abgewendet“

(T. Adorno)

Die Crux: «Vielleicht ist es ein Zeichen der Zeit, dass selbst die scharfsinnigsten Denker, Historiker und geopolitischen Kommentatoren Schwierigkeiten haben, die existenzielle Natur der Verbindung zwischen unserem schuldenbasierten Wirtschaftssystem und militärischen Eskalationen zu begreifen. Vor allem scheinen sie nicht zu verstehen, warum der überschuldete Westen immer wieder versucht, einen geopolitischen Kampf vom Zaun zu brechen. Dabei ist die Logik dahinter ganz einfach: Die heutigen Notfälle sind keine unabhängigen Variablen, sondern der zerstörerische Modus Operandi der implosiven kapitalistischen Reproduktion.

Das Donnern der Bomben in der Ukraine, in Gaza und im Nahen Osten ist die Opernbegleitung zum tödlichen Tanz von Rezession und Inflation im Zeitalter von QE-Infinity, stagnierenden Einkommen und struktureller Schuldenmonetarisierung. Die unausweichlichen Realitäten der wirtschaftlichen Implosion müssen in der ohrenbetäubenden Kakophonie des Krieges oder der Förderung seiner Bedrohung ertrinken.

Psychopathische Finanzeliten lieben den Geruch von Napalm am Morgen.

Die Maginot-Linie ihres Finanzkasinos steht unter so starkem Druck, dass nur ein kontinuierliches geopolitisches Rauschen die Illusion systemischer Nachhaltigkeit aufrechterhalten kann. [..}«

Die Sackgasse des Notfallkapitalismus zeigt, dass es in der Geschichte der Moderne keine progressive Teleologie gibt, da die Bedingungen für Barbarei regelmäßig wieder auftauchen. Der Kapitalismus als „sozial notwendige Illusion“ bricht aus allen Nähten, und doch hält er sich durch die schiere Kraft der Manipulation und unverfälschte Gewalt. Im Kern dieser Beharrlichkeit liegt auch eine weitere entscheidende Errungenschaft: die fragmentierten und verarmten Arbeiter davon zu überzeugen, dass sie für ihr eigenes Schicksal verantwortlich sind. Sie müssen Verantwortung übernehmen. Sie müssen auch Opfer bringen, indem sie sich anpassen, umschulen, disqualifizieren und neu qualifizieren, während sie von den Medien und der politischen Klasse bevormundet werden.

«Wer gewinnt?«, fragt Fabio Vighi

Der Westen ist zu einem totalitären Raum geworden

dem Raum einer selbstverteidigenden Hegemonie,

die sich gegen ihre eigene Schwäche verteidigt.“

(Jean Baudrillard)

Wenn wir also eine einzige moralische Pflicht haben, dann ist es, die neuen Generationen dazu zu erziehen, kritisch über die wahren

Ursachen hinter der gewaltsamen Implosion des Systems nachzudenken. Doch das Kapital scheint einen solchen Schritt schon lange vorhergesehen zu haben, indem es alle Bereiche, einschließlich der Bildung, kolonisiert hat. Die Heranbildung der neuen Generationen zu einer „Kultur“ der narzisstischen Stumpfsinnigkeit und der stolzen Ergebung ist für die Errichtung eines neuen totalitären Regimes, in dem Armut, Gewalt und Manipulation zur Normalität werden, von entscheidender Bedeutung. Die Social-Media-Konglomerate sind ein perfektes Beispiel dafür. Die Sucht nach dem Scroller am Telefon ist beispielsweise per se hypnotisch, unabhängig von den Inhalten, die kurz auf dem Bildschirm erscheinen. Sobald die Augen in der teuflischen Vorrichtung gefangen sind, wird der Geist sofort desensibilisiert und ist nicht mehr in der Lage, ernsthaft kritisch zu denken.«

Knallhart geschilderte Realität. Sind wir noch zu retten? Gute Frage! Sagen wir es so: Die Hoffnung stirbt zuletzt. Informieren wir uns zuerst und denken wir darüber nach, was zu tun ist. Noch sind wir nicht verloren. Doch, schauen wir uns in der derzeitigen Welt um. Und schauen wir uns die Politiker an. Besonders auch in Deutschland. Darüber hinaus in der EU sind es nicht besser aus. Unvermögen, Kriegslüsternheit allenthalben. Man schlägt die Hände tagtäglich über dem Kopf zusammen. Politikerformate wie De Gaulle, Olof Palme, Willy Brandt, Helmut Schmidt, andere und selbst Helmut Kohl sucht man vergebens. Dabei werden sie hängeringend dringendst gebraucht! Zu lange schauen wir – mit Nietzsche gesagt – bereits in den Abgrund, der längst immer bärbeißiger zurück schaut.

Fazit

Liebe Leserinnen und Leser, ich legen ihnen diese Texte von Fabio Vighi ans Herz. Und empfehlen sie sie gern weiter. Ihr Kaufpreis dürfte für alle Interessierten erschwinglich sein. Greifen Sie zu, bestellen sie – am besten beide der hier erwähnten – Broschüren von Fabio Vighi und rezipieren sie diese. Danach werden sie klüger sein! Und ja: Hinter den meisten im pad-Verlag veröffentlichten Texten stecken kluge und klüger werdende Köpfe. Früher wurden kluge Köpfe immer hinter der FAZ verortet. Längst vorbei …

INHALT der Broschüre:

Vorwort von Prof. Dr. Wolfram Elsner / Prolegeomena zu einem franziskanischen Kapitalismus / Von Covid-19 bis Putin-22: Wer braucht schon Freunde mit solchen Feinden? / Ein System zur Lebenerhaltung / Senile Wirtschaft: Blasenontologie und die Schwerkraft / Willkommen im “Niedrigenergie-Kapitalismus” oder: Proletarier der Welt, tragt Gesichtsmasken / Weihnachtsgeschenkideen? Eine Weihnachtsmann-Rallye, ein Völkermord, ein Sündenbock und die Kritik eines Philosophen / Vertrauen in Institutionen und Kriegsdividende / Unser Interessengebiet: Der Lärm des dauernden Krieges / Der Feind und die libidinöse Ökonomie der Apokalypse / Wer gewinnt? / Über den Autor

Schriftenreihe des Forum Gesellschaft & Politik Redaktion und Übersetzung: Peter Rath-Sangkhakorn

unsere Seite im Netz: http://www.pad-Verlag.de E-Mail: pad-verlag@gmx.net

Titelblattabbildung: Pixabay

Die in diesem Heft wiedergegebenen Veröffentlichungen von Fabio Vighi erschienen zuerst in “The Philosophical Salon” s. S. 97

© pad-Verlag – Am Schlehdorn 6 – 59192 Bergkamen Bergkamen 2024 Printed in Germany ISBN 978-3-88515-372-6

Preis: 7 Euro

Zu Fabio Vighi

Fabio Vighi ist Professor für Kritische Theorie und Italienisch an der Universität Cardiff/Großbritannien. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören Ideologiekritik, politische Ökonomie, theoretische Psychoanalyse, Hegel’sche Dialektik und Film.
Zu seinen jüngsten Arbeiten gehören Critical Theory and the Crisis of Contemporary Capitalism (Bloomsbury 2015,mit Heiko Feldner) und Crisi di valore: Lacan, Marx e il crepuscolo della società del lavoro (Mimesis 2018), Unworkable: Delusions of an Imploding Civilization(SUNY Press, 2022); Crisi di valore: Lacan, Marx e il crepuscolo della societa‘ del lavoro (Mimesis, 2018); States of Crisis and Post-Capitalist Scenarios (Ashgate, 2014; gemeinsam mit Heiko Feldner und Slavoj Zizek herausgegeben), Critical Theory and Film: Rethinking Idology

Nur die richtige Meinung ist frei. Von Danghong Zhang – Rezension

Das erste Mal, dass ich etwas über die am 1. Oktober 1949 gegründete Volksrepublik China erfahren habe, kann in der vierten oder fünften Klasse zu DDR-Zeiten in meiner Polytechnischen Oberschule gewesen sein. Und zwar in einer Geographiestunde. Die VR China war damals sehr arm. Ein Entwicklungsland. Nicht bewusst war uns Schülern damals, dass China ein Land mit tausenden von Jahren Geschichte und einer hochentwickelter Kultur ist. Welches durch westliche Interventionen und Zerstörungen in der Entwicklung weit zurückgeworfen worden war.

Unser Lehrer erzählte uns damals, dass sich China unter Mao Zedong anschickte Stahl in kleinen Hinterhofhochöfen zu produzieren.

«Die Stahlproduktion galt neben der Getreideproduktion für die chinesische Führung als „Hauptkettenglied“ für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes und die Erhöhung der Stahlproduktion galt deshalb als ein entscheidendes Element für den Erfolg des Großen Sprungs« (1).

Unsere hiesigen Medien verbreiten über Jahre hinweg meist die immer gleichen Klischees über China und stellen in erster Linie ständig durch Peking verletzte Menschenrechte in den Vordergrund ihrer Berichterstattung oder kritisieren eine die angebliche exorbitante Umweltverschmutzung in China. Es wird in der Regel ein allgemeines China-Bashing geritten Dabei sind die allermeisten deutschen Journalisten, die über die Volksrepublik China schreiben weder je dort gewesen und schon gar nicht beherrschen sie die Landessprache. Noch dürften sie einen blassen Schimmer von der mehrere tausend Jahre alten Kultur Chinas haben. Mag sein, es handelt sich bei vielen von ihnen um „Sitzjournalisten“. So bezeichnet der Politikwissenschaftler, Publizist und last but not least, erfahrene langjährige Journalist Patrik Baab diejenigen Schreibtischtäter, welche in der mehr oder weniger komfortablen Redaktionsstube vorm Computer sitzen und aus dem, was da heraus poppt eine Story zusammenkloppen. Negativer Höhepunkt in letzter Zeit bezüglich China: Völlig undiplomatisch entblödete sich unsere Außenministerin Baerbock nicht den chinesischen Staatschef Xi als „Diktator“ zu bezeichnen. Was Peking so sehr verstimmte, dass der deutsche Botschafter einbestellt wurde.

Ich kann nur empfehlen zunächst einmal die westliche Brille wegzuwerfen, wenn wir uns angemessen und unvoreingenommen über die VR China informieren wollen. Persönlich waren mir zu diesem Behufe Bücher von Wolfram Elsner Das chinesische Jahrhundert (2) und Rolf Geffken Mein China (3) sowie ein Vortrag Egon Krenz, beruhend auf dessen China-Buch CHINA. Wie ich es sehe (4) sehr dienlich.

Dass die VR China seit den Wirtschaftsreformen 1978 mehr als 850 Millionen Menschen aus der Armut befreit hat – was in der Weltgeschichte seinesgleichen sucht – , hören wir dagegen eher selten hierzulande. Es passt wohl nicht ins Narrativ.

Da hängen sich die Medien und Politiker schon eher an der fehlenden Meinungsfreiheit in China auf.

Diesbezüglich gibt es sicher Kritikpunkte. Besonders wenn Kritik an der Partei- und Staatsführung Chinas geäußert und verfolgt wird.

Aber wie sieht es eigentlich hierzulande damit aus? Wir sind doch angeblich die Guten in nahezu jeder Beziehung. Weshalb wir gerne andere Länder, die nicht zum „Wertewesten“ gehören, oberlehrerhaft belehren. Da steht bei uns China ganz vorn auf der Liste. Welch Hybris! Wie ich finde, sollten wir uns der Redewendung „Hochmut kommt vor dem Fall“ besinnen.

Die in China geborene Journalistin Danhong Zhang, die lange Zeit in der China-Redaktion der Deutschen Welle arbeitete, hat das Buch „Nur die richtige Meinung ist frei“ geschrieben. Es ist soeben bei Fiftyfifty erschien. Der Verlag dazu:

«Leben wir in einem Land mit Meinungsfreiheit? Die allermeisten würden die Frage mit einem klaren „Ja“ beantworten und den in der Frage implizierten Zweifel mit Empörung beiseiteschieben. Hier kann jeder seine Meinung kundtun, ohne im Gefängnis zu landen. Wir haben doch keine chinesischen Verhältnisse. China dagegen hat den Ruf, keine freie Presse zu haben und auch die Meinungsfreiheit nicht einzuhalten. Doch ausgerechnet eine chinesischstämmige Journalistin ist sich da nicht so sicher,was Situation in Deutschland angeht. Nach ihren eigenen Erlebnissen zu urteilen, ist der Unterschied zu China vielleicht ein quantitativer, und aber nicht unbedingt ein qualitativer.Immerhin: laut einer aktuellen Allensbach Umfrage glauben nur noch 40 Prozent der Deutschen ihre politische Meinung frei äußern zu können. Da fällt es besonders ins Auge, dass eine chinesischstämmige Journalistin der deutschen Mainstream-Medien ihre Stelle bei der Deutschen Welle nach dreißig Jahren kündigt, weil sie den Maulkorb der ausgesprochenen und unausgesprochenen Regeln der deutschen Medien abschütteln will. Dass sie nach China zurückkehrt, um frei über ihre Erfahrungen schreiben zu können, statt wie die Kollegen Kritik an China zu üben, scheint noch überraschender.
Nach dem Erfahrungsbericht der Journalistin Danhong Zhang, der am31.Septemberunter dem Titel Nur die richtige Meinung ist frei Deng erschienen ist, stellt sich durchaus die Frage: Entspricht das Bild des bösen China und der gerechten und freien öffentlich-rechtlichen Medien nicht so vollumfänglich der Realität, wie die Berichterstattung uns glauben lässt?«

Auf Frau Zhangs Buch war ich gespannt. Allein schon der Titel triggerte mich. Schließlich musste ich – der ich aus der DDR komme und von dort aus immer den in der BRD gängigen Meinungspluralismus geschätzt hatte – etwa ab 2014 mit zunehmendem Erschrecken und enormer Ent-Täuschung konstatieren, dass der Journalismus in Deutschland zunehmend auf den Hund kam, beziehungsweise gebracht wurde. Als vierte Gewalt spielt er im Grunde genommen die ihm diesbezüglich zugedachte Rolle nicht mehr.

Danhong Zhang ist weit davon entfernt ihre Heimat nur in rosarotes Licht zu tauchen. Lebte sie doch in ihre Kindheit in den Wirren der Kulturrevolution. Sie erinnert sich: «Ein Nachbarjunge wurde für mehrere Monate in ein Arbeitslager gesteckt, weil er versehentlich aus einer Zeitschriftenseite mit dem Konterfei von Mao ein Schiffchen gebastelt hatte. Öffentliche Kritik am Großen Vorsitzenden mussten etliche Chinesen mit dem Leben bezahlen. Von der Meinungsfreiheit war China soweit entfernt von Peking zum Mond und wieder zurück.«

Weiter schreibt sie: «Da ich von der Gnade der späten, aber nicht zu späten Geburt profitierte, durfte ich während meiner Studienzeit Mitte der 1980er Jahre das liberalste China der letzten Jahrzehnte erleben. Von 1983 bis 1988 studierte ich Germanistik an der Peking-Universität. Damals lenkte der Reformpolitiker Deng Xiaoping die Geschicke Chinas.« (S.12) Der süße Duft der Freiheit und auch der Meinungsfreiheit wehte und zog Zhang in die Welt.

In ihrer zweiten Heimat Deutschland wurde ihr Kindheitstraum, Journalistin zu sein, wahr. Ernüchtert zieht sie Bilanz: «In den dreißig Jahren meiner journalistischen Laufbahn, von 1989 bis 2019, wurde ich jedoch Zeugin eines besorgniserregenden Prozesses, bei dem der Korridor für die «Meinungsfreiheit immer weiter verengt wurde.« (S.13)

Weiter: «Kurz nach meiner Rückkehr nach China kam, aus heiterem Himmel, die Corona-Pandemie, gefolgt vom Ukraine-Krieg. Die Berichterstattung der Mainstream-Medien fiel von einem Tiefgang zum nächsten. Der Riss in meinem Glauben an die Meinungsfreiheit wurde zu einem riesigen Loch.«

Folgendes sollte uns allen – aber vor allem den Journalisten hierzulande – wirklich zu denken geben und endlich zum Handeln bringen. Danghong Zhang:

«Inzwischen hege ich ernsthafte Zweifel, ob die von der Verfassung garantierte Meinungsfreiheit überhaupt noch das Papier wert ist, auf dem sie steht. Mit diesem Buch möchte ich einen winzigen Beitrag leisten dieses hohe Gut zu verteidigen, bevor es zu spät wird.«

Frau Zhang, die dreißig Jahre lang Journalistin bei deutschen Mainstream-Medien war, hat die beklagte Diskursverengung am eigenen Leib gespürt.

Zhang stellt heraus: «Dass ich von der „Causa Zhang“ und anderen Anekdoten aus der Deutschen Welle berichte, soll nicht als Abrechnung mit meinem damaligen Arbeitgeber verstanden werden. Ich schreibe dieses Buch, weil mir durch meine Biografie und meinen Journalistenberuf die Meinungsfreiheit besonders ab Herzen liegt.« (S.12)

Dass das so ist, atmet jede Zeile ihres interessanten Buches. Mit der Kündigung bei der Deutschen Welle, schreibt sie, habe sie ihre Rede- und Meinungsfreiheit wiedergewonnen. Und, dass Frau Zhang davon gebraucht machte, davon profitieren wir, indem wir ihr Buch lesen.

Danhong Zhang hilft uns dankenswerterweise auf die Sprünge:

«Was ist überhaupt die Meinungsfreiheit? Wie ist sie definiert?
Werfen wir einen Blick ins Grundgesetz. In Artikel 5 steht:

(I) «Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.

(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.«

Will man von der Meinungsfreiheit Gebrauch machen, gibt Donhang Zhang zu bedenken, müsse man freilich erst einmal eine Meinung haben.
Also muss man sich informieren. Zumeist täten wir das über die Massenmedien.

Zhang zitiert den Soziologen und Gesellschaftstheoretiker Niklas Luhmann: «Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien.«

Aus diesem Grund, so die Autorin, setze sie sich in ihrem Buch mit den Medien und deren Machern auseinander. Sie ging deshalb folgenden Fragen nach:

«Können wir uns auf die Medien verlassen? Ist das, was wir durch die Medien erfahren, tatsächlich die Wirklichkeit? Oder ist sie verzerrt, verformt oder gar verfälscht? Und was ist mit der Meinung? Wird die Breite des Meinungsspektrums in unseren Medien gespiegelt? Anscheinend nicht.« Sie ruft Worte des Kabarettisten Dieter Nuhr auf. Diesem sei aufgefallen, dass er mit der Bemerkung «Nie war die Differenz zwischen der öffentlichen und der veröffentlichten Meinung so groß wie heute« seinen sichersten Szenenapplaus habe.

Dank ihres Fleißes und des dadurch erreichten hohen Niveaus im Beherrschen der deutschen Sprache hatte es Zhang bald zu einer Festanstellung bei der Deutschen Welle gebracht. Was sie zu recht stolz machte. Die Eltern waren zunächst nicht begeistert, da ja der deutsche Staatssender in China als „Feindsender“ gesehen worden war.

In Deutschland war sie mit dem oft negativ gezeichneten Bild seitens der Mainstream-Medien über China konfrontiert. Sie wusste, dass westliche Medien grundsätzlich kritisch berichten: «Nur bad news sind good news.« (S.36)

Nach der Frühgeburt ihren zweiten Tochter war Danghong Zhang fast drei Jahre nicht in China gewesen. Erst 2006 kam sie wieder in ihre Heimat. Und sie fand ein so ganz anderes Land vor als es die deutschen Medien gezeichnet hatten: „Die Medienlandschaft war vielfältig, die sozialen Missstände wurden schonungslos angesprochen. Den meisten Menschen ging es materiell besser.“ Selten sah sie unzufriedene Menschen.

Die Reise hatte sie sehr nachdenklich gemacht. Sie konstatierte: «Die deutschen Medien haben es geschafft, dass sogar eine gebürtige Chinesin ihr eigenes Land durch deren Brille betrachtete.«

Danghong Zhang: «Nach meiner Heimatreise 2006 habe ich mich entschlossen, gegen den Strom zu schwimmen und das schiefe Bild über China in Deutschland zurechtzurücken.« (S.37)

Am Anfang ihrer journalistischen Karriere ahnte sie nicht, dass sie sich an der Verbreitung von Fake-News beteiligt hatte. Es war die Zeit der irakischen Invasion Kuweits. Die Rede ist von der sogenannten «Brutkastenlüge« im Ersten Golfkrieg. (S.26) [dazu (5), Quelle: Wikipedia; C.S.]

Mit der Zeit bekommt Zhang mit wie es um die Meinungsfreiheit in der BRD bestellt ist: Solange man im Einklang mit den gängigen Narrativen schreibt, fährt man als Journalist ganz gut. Aber wehe man weicht ab. Mit der steiler werdenden Karriere spürt sie bald, dass dann auch die Fallhöhe steigt.

Bloß nicht allzu positiv über die Entwicklungen in China berichten! Selbst dann nicht, wenn diese Entwicklungen zweifelsohne der Wahrheit entsprechen. Das Negativ-Narrativ bezüglich Chinas darf ja keine Kratzer bekommen und muss hochgehalten werden! Im Kapitel „«Expertin lobt Chinas KP« – die Kampagne kommt ins Rollen“ (S.56) lesen wir, was passiert, wenn man journalistischen Grundsätzen folgt. Die Lektion lernen freilich auch in Deutschland geborene Journalisten in der Regel recht schnell. Blitzen sie mit Artikelvorschlägen vielleicht dreimal beim Redaktionsleiter ab, haben sie verstanden. Sie schreiben wie gewünscht. Meist sogar ohne, dass der Redakteur ihnen das sagen muss. Schließlich brauchen sie ihre Stelle, haben vielleicht Familie und ein Haus abzuzahlen. Ob sie damit glücklich werden, ist eine andere Frage. Es kommt auf den jeweiligen Charakter an.

Manche Journalisten haben sich diesen Beruf aber womöglich ganz anders vorgestellt. Während sich die einen quasi erst rundlutscht werden müssen – bringen wiederum andere schon von Hause aus (die meisten deutschen Journalisten kommen aus gut situierten Haushalten) einen entsprechenden Stallgeruch und die passende Denke mit) und spuren. Manch ehrlichere Naturen mögen womöglich auch zur Flasche greifen müssen.

Einschub: Mir fällt da nebenbei bemerkt ein Kulturredakteur eines Parteiorgans aus DDR-Zeiten ein. Der hatte sich immerhin in die Nische des Kultur- und Kunstjournalismus gerettet, wo er wohl nicht ganz zu Unrecht glaubte, weniger der obligatorischen Parteipropaganda verpflichtet zu sein. Dennoch schien er nicht so recht glücklich zu sein. Was mir damals durch Gespräche mit ihm mehr oder weniger deutlich durchschien. Bei Premierenfeiern nach Theateraufführungen, über welche er Kritiken zu schreiben hatte, schoss er sich regelmäßig mit Alkohol ab. Was wohl aus ihm geworden sein mag? Neben anderen aufkommenden Bedenken beim mir gab übrigens dessen Beispiel den Ausschlag für meine Entscheidung, den zunächst verlockendem Vorschlag der Lokalredaktion, mich zu einem Journalistik-Studium zu delegieren, dankend, aber schweren Herzens, abzulehnen. Als schließlich die DDR gefallen war – ich hatte mich bereits zuvor über Ungarn und Österreich in die BRD verabschiedet -, schrieb ich einmal auf der Festung Ehrenbreitstein in Koblenz eine Karte an die Kollegen der Lokalredaktion in meiner Heimatstadt und beglückwünschte sie dazu, nun endlich ehrlichen und kritischen Journalismus betreiben zu können. Ein bisschen schäme ich mich heute dafür. Denn da war ich wohl doch etwas zu naiv.

«Die Aufgabe des Journalismus in der DDR war vorbestimmt durch die herrschende Politik in der DDR. Die Journalisten waren die Hand der Partei auf dem Gebiet der politischen Propaganda und Agitation«, bemerkt Karl-Heinz Röhr, der bis zum Ende der DDR Journalisten an einem Institut der Leipziger Universität ausbildete. (6)

DDR-Journalisten bekamen eine hervorragende Ausbildung, mussten aber linientreu im Sinne der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) zu sein. Kurzum: Sie hatten sich als Parteijournalisten zu verstehen.

Seit einiger Zeit ist hierzulande der sogenannte Haltungsjournalismus in Mode kommen, dem sich nicht wenige Journalisten verpflichtet sehen. Das tönt Danhong Zhang in ihrem Buch auch kritisch an. Für mich selbst hat dieser Haltungsjournalismus ein Geschmäckle. Was nicht heißen soll, dass Journalisten keine Haltung haben sollten. Doch dieser Haltungsjournalismus ist meines Erachtens ein ähnliches Übel wie der Parteijournalismus zu DDR-Zeiten. Denn auch er verpflichtet Journalisten auf eine bestimmte Linie. Was sich mit den Grundsätzen eines ordentlichen Journalismus beißt. In schlimmer Ausformung erlebten wir das in der Corona-Zeit und nun wieder in Sachen Ukraine-Krieg. Wer da nicht die „richtige“ Meinung hat, ist schnell weg vom Fenster. Danghong Zhang orientiert sich wohl eher an Hanns Joachim Friedrichs Credo:

 „Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er Distanz zum Gegenstand seiner Betrachtung hält; dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten Sache; dass er immer dabei ist, aber nie dazugehört.“

Zum Haltungsjournalismus schreibt Zhang: «Jeder Journalist weiß, was eine gute Haltung ausmacht: Die Grünen loben – hui, die AfD für einen Gesetzesvorschlag lobend erwähnen – pfui; Willkommenskultur hochhalten – hui, Probleme der Migration ansprechen – pfui; China für alles anprangern – hui, Fortschritte in der chinesischen Gesellschaft würdigen – pfui. Haltungsjournalismus beginnt schon bei der Themenauswahl. Denn Themen, die nicht ins Weltbild der Mainstream-Journalisten passen, fallen einfach weg.« (S.108)

Zhang lehnt den Begriff „Lügenpresse“ vehement ab. Sie neigt realistisch – nämlich aus eigener Erfahrung – eher der Einschätzung des Politikwissenschaftlers und Sachbuchautors Ulrich Teusch zu, der stattdessen den Begriff „Lückenpresse“ prägte.

Im Abschnitt „Cursor-Journalismus – Wissen wo der Cursor steht“ (S.112) verweist die Autorin auf den Philosophen Richard David Precht und den Soziologen Harald Welzer, die den Begriff „Cursor-Journalismus“ prägten. Ihnen zufolge, so Zhang, habe «das Links-Rechts-Muster sowohl bei den Parteien also auch im Journalismus längst ausgedient. Alle tummeln sich in der unscharf definierten Mitte. Das ist der Schwarm. Dazu muss man gehören.“

Danhong Zhang musste erkennen, dass in Deutschland eine Mehrheit der Medien, respektive der Journalisten rotgrün ticken. Sie schreibt: «Meine Kollegen waren mehrheitlich rot und grün« (S.27)

Sie erlebte das sogar in optischer Form, als eine rotgrüne Koalition unter Bundeskanzler Gerhard Schröder nach der Bundestagswahl ans Ruder abzeichnete. Da hätten sich nach der Bundestagswahl sogar Kolleginnen und Kollegen am nächsten Tag erfreut in entsprechend gefärbter Kleidung gezeigt.

Donghang Zhang aber blieb sich treu, gegen das hierzulande verbreitete schiefe Bild über ihr Heimatland anzuschreiben. Sie schrieb auch gegen das schräge Bild an, was anlässlich der in China stattfindende Olympischen Spiele hierzulande verbreitet wurde. Wobei sie aber nie berechtigte Kritik aussparte. Berichte, welche China entlasten, sagte ihr einmal ihr Chef, wolle niemand lesen. Zhang verfuhr nach journalistischen Kriterien, wonach stets beide Seiten angehört werden müssten und eine Nachricht mindestens auf zwei Quellen basieren muss.

Deutsche Medien hätten oft Vorwürfe von chinesischen Dissidenten ungeprüft wiedergegeben. In der China-Redaktion sei das gängige Praxis gewesen, „nach dem Motto: Der Feind meines Feindes ist mein Freund. So werden chinesische Dissidenten automatisch zu Verbündeten der westlichen Staaten. Leider wird dabei übersehen, dass ein Anti-Kommunist noch längst kein Freund der Demokratie sein muss. Aber das ist für manche deutsche Kollegen zu kompliziert. Dass dadurch Unwahrheiten verbreitet werden können, kümmert die meisten Kollegen ebenfalls nicht.“ (S.42)

Danhong Zhang arbeitete weiter nach journalistischen Kriterien, so gut es eben ging. Freilich rief das Gegner aus unterschiedlichen Ecken auf den Plan. Entsprechend ideologisch gestrickte – und in Deutschland gern zitierte chinesische Dissidenten, sowie treu das Böse-Narrativ bezüglich Chinas befördernde Journalisten oder Politiker schossen verbal gegen sie. Manche von ihnen werfen ihr vor, Propaganda für die Volksrepublik China zu machen oder gar ein verkapptes KP-Mitglied zu sein. Das schlägt Wellen in Politik und Medien. Es erscheinen offene Briefe, die die Journalistin der Deutschen Welle quasi auf eine Anklagebank setzten. Es gab eine – wie sonst sollte man es nennen? – Gesinnungsprüfung (ein Abgeordneter hatte Zhang zu diesem Behufe in Begleitung des Intendanten der Deutschen Welle eingeladen), der die Journalistin Zhang unterzogen wurde. Ein Mikrofon-Verbot und die Enthebung von ihrer damaligen Leitungsfunktion (bei Beibehaltung des Gehalts) wurden ins Werk gesetzt. Sie wurde in die Wirtschaftsredaktion versetzt. Wurde Frau Zhang zu Vorträgen oder Podiumsgesprächen eingeladen, musste sie sich erst die Erlaubnis der Intendanz einholen. Diese Zeit erlebte sie als „weichen“ «Hausarrest«. Dieser dauerte ganze drei Jahre. (S.93)

All das roch nach Zensur. Die ja in unserem Land laut Grundgesetz nicht stattfindet. Dafür sprach sich aber dem zum Trotz ein offener Brief eines Autorenkreises aus.

Unfassbar! Nicht in China fand das statt, sondern im angeblich ach so freien Deutschland.

Es wurden jedoch auch Widerworte laut und öffentlich. Und zwecks Unterstützung und Verteidigung für die angegriffene Journalistin wurde am 16. Oktober 2008 ein offener Brief von über hundert China-Wissenschaftlern, Publizisten und Politikern unterschrieben. Zhang: «Die größte Überraschung war für mich Günter Grass.« Nach eingehender Recherche hatte er, so äußerte er sich damals, seine Unterschrift unter den offenen Brief gesetzt. [Quelle (7): Böll-Stiftung]

Sogar kam es zu einer Anhörung (ohne Publikum) im Deutschen Bundestag. Zur „Causa Zhang“ hat sich Volker Bräutigam, der dieser Anhörung beiwohnte (und danach Danghong Zhang darüber in Kenntnis setzte), geäußert. [Quelle: (8)]

Bräutigam hatte die Kampagne gegen die Deutsche Welle seinerzeit aus rundfunkrechtlicher Sicht zerpflückt. (S.83)

Einen Tag vor der Bundestagsanhörung hatte Intendant Bettermann seinen Freund, Tagesthemen-Moderator Ulrich Wickert, gebeten, den Fall Zhang zu übernehmen. Dessen in einen Bericht eingeflossene Recherchen bedeuteten einen hundertprozentigen Befreiungsschlag für Danghong Zhang.

Sie notierte: „Ulrich Wickert und Hans Leyendecker (er berichtete in Süddeutsche Zeitung; Anm. C.S.), zwei Lichtgestalten des deutschen Journalismus, haben mich freigesprochen. Eine Freundin von mir sagte: «Den Bericht kannst du in Gold einrahmen lassen und an die Wand hängen.«“ (S.85)

Danghong Zhang hätte freilich diesem Ärger aus dem Weg gehen können. «Herdenjournalismus – mit dem Strom schwimmen ist am sichersten« (S.106) schreibt sie.

Im Kapitel 5 gibt Danhong Zhang zu bedenken: «Der Weg nach China ist kürzer, als man denkt« (S.175)

Ein Kollege der Journalistin sagte auf einer Redaktionskonferenz des chinesischen Programms der Deutschen Welle: «Wir werfen China jeden Tag seine fehlende Presse- und Meinungsfreiheit vor. Nun hat Danghong einen Maulkorb verpasst bekommen, weil sie China in Schutz genommen hat. Sind das nicht chinesische Verhältnisse? Redaktionsleiter Matthias von Hein konterte: „Nein, da gibt es einen großen Unterschied. Im Gegensatz zu China droht Danghong hier keine Gefängnisstrafe.“

Das ist tatsächlich ein Unterschied, aber ein wesentlicher?« Im Buch bringt Zhang ein Sprichwort an: «Fünfzig Schritte lachen über hundert Schritte.« Das geht auf den Gelehrten Meng Ke zurück. Der erzählte dem König die Geschichte von zwei Deserteuren: Zwei Soldaten ergreifen die Flucht nach einer verlorenen Schlacht. Derjenige, der fünfzig Schritte gelaufen ist, macht sich lustig über den anderen, der hundert Schritte zurückgelegt hat.«

Was bedeute: «das über dem Beklagen von Defiziten anderer die eigenen Probleme übersehen werden. Tatsächlich stellen die Defizite anderer und die von einem selber nur einen quantitativen Unterschied und keinen qualitativen dar. In den Bezug auf den Vergleich von zwischen Deutschland und China in Sachen Presse- und Meinungsfreiheit eine sehr gewagte These?«

Danghong Zhangs ehrlichen Erfahrungsbericht kann ich nur viele Leserinnen und Leser ans Herz legen. Mögen darunter viele Journalisten sein! Und zu empfehlen, so sie denn den Mut dazu aufbringen, ist dieses Buch auch jungen Menschen, die sich damit tragen, den Beruf des Journalisten zu ergreifen. Nicht etwa zur Abschreckung, sondern, um sich zu befragen, ob sie dazu bereit sind, die Kraft aufzubringen in ihrer künftigen Laufbahn wieder journalistische Kriterien in den Vordergrund ihrer Arbeit zu stellen.

Denn es steht außer Frage, dass der Journalismus im vergangenen Jahrzehnt hierzulande größtenteils auf den Hund gebracht wurde. Wachhund sein, sich als vierte Gewalt zu verstehen die die Herrschenden kontrolliert, das erleben wir kaum noch. Stattdessen, Haltungs- und „Cursor-Journalismus“ sowie Beteiligung an der Einengung des Meinungskorridors und unkritische Verbreitung von Regierungspropaganda, wie er es schlimm in der Corona-Zeit erlebten und weiter konstatieren müssen betreffs des Ukraine-Kriegs.

Danghong Zhang hat das alles am eigenen Leibe erfahren. Als sie nach China zurückgekehrt war, warf man ihr auf Twitter vor, eine Diktatur vorgezogen zu haben. „Aber“, so schreibt sie. „China ist nun mal auch meine Heimat. Ein chinesisches Sprichwort besagt, dass gefallene Blätter zum Baumstamm zurückkehren. Ich fühle mich noch nicht wie ein gefallenes Blatt. Aber Heimat ist Heimat. Den Duft der Pfirsichblüten in Peking kann ich endlich wieder einatmen.“

Und, fährt sie fort: „In Peking habe ich dem Deutschlandmythos den Kampf angesagt. In Kurzvideos erkläre ich den Chinesen, wie das Land im Herzen Europas von innen wirklich aussieht. Seit 2024 baue ich den Chinesen eine Brücke nach Deutschland. Im Kant-Jahr habe ich natürlich mit Immanuel Kant angefangen. Sein Appell an die Menschen «Habe Mut dich deines eigenen Verstandes zu bedienen« ist heute immer noch hochaktuell, sowohl für die Deutschen als auch für die Chinesen. Ich hoffe, dass viele der Botschaft zuhören.“

Sich des eigenen Verstandes zu bedienen, das empfehle ich auch den Lesern und Leserinnen meines Blogs. Und zwar täglich!

Dieses hier besprochene Buch empfehle ich ohne Einschränkungen. Geschrieben von einer verantwortungsbewussten klugen Journalistin, die aus einem anderen Kulturkreis stammt, aber in unserem dreißig Jahre tätig war, vermag es auch den Blick auf unser eigenes Land zu schärfen. Wir hier mittenmang sehen womöglich oft den Wald vor lauter Bäumen nicht. Und ein deutscher Journalismus, der inzwischen vielfach verkommen ist, lässt sich leider dazu missbrauchen, dass es auch weiterhin so bleibt. Möge das Buch zum Nachdenken anregen.

Danhong Zhang

NUR DIE RICHTIGE MEINUNG IST FREI

Erfahrungsbericht einer Journalistin

SOFTCOVER

24,00 €*

 Neuerscheinung / Neuauflage Oktober 2024

Links/Quellen:

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Anbei: Walter Van Rossum hat mit Danhong Zhang gesprochen:

Danhong Zhang spricht mit Walter van Rossum.

… und GAZA und … – Politische Gedichte von Rajani Kanth. Rezension

Bisher sind durch die israelischen Angriffe auf Gaza nach dem Hamas-Überfall auf Israel rund 22.000 Tote zu beklagen. Darunter eine hohe Anzahl von Frauen und Kindern. Die Rede ist von nahezu 8000 Kindern! Viele tote dürften noch unter den Trümmern liegen. Es sind also sehr viele Zivilisten ums Leben gekommen. Ein großes Verbrechen.

Warum ist der Aufschrei über das widerliche Gemetzel nicht viel größer – besonders bei uns hierzulande? Südafrika hat Israel vor dem Internationalen Gerichtshof verklagt und des Völkermords beschuldigt. Die Anhörungen dazu wurden nun für den 11. und 12. Januar angesetzt.

Für unser Land kann man sich nur schämen. Deutschland macht sich in doppelter Weise mitschuldig am Verbrechen des Völkermordes: durch den geschichtlichen Holocaust seitens Hitlerdeutschlands an den Jüdinnen und Juden, sowie beim gegenwärtigen Genozid an den Palästinenserinnen und Palästinensern und der Vertreibung aus ihrer angestammten Heimat.

Die Menschen in Palästina sind im übertragenen Sinn Opfer der jüdischen Opfer des verbrecherischen NS-Regimes. Das Versprechen einer Zwei-Staaten-Lösung wird von Israel sabotiert. Sie ist – wie Moshe Zuckermann, ein israelisch-deutscher Soziologe und emeritierter Professor für Geschichte und Philosophie an der Universität Tel Aviv, immer wieder anmerkt – inzwischen tot. Zumal ja in den vergangenen Jahren immer mehr israelische Siedler auf dem möglichen palästinensischen Staatsgebiet seßhaft gemacht worden sind. Zuckermann ist sich überdies darin sicher, dass Israel nie einen Frieden mit den Palästinensern gewollt hat. Der Krieg in Gaza ist nicht ein Krieg zwei Staaten, sondern zwischen Besatzern und Besetzten. Die Blockade jeglicher Zufuhr von Energie, Wasser, Nahrungsmitteln und Medikamenten nach Gaza, die Zerstörung humanitärer und und lebensnotwendiger Infrastruktur wie Krankenhäuser und Schulen sowie Moscheen und Kirchen nimmt bewusst die Zivilbevölkerung ins Visier und verantwortet deren totale Ausrottung. Der Krieg gegen Gaza ist Völkermord. Die Gleichsetzung von Jüdinnen und Juden mit Israel, die Enthistorisierung eines langen schwelenden Konfliktes wird durch das undemokratische Konstrukt von ,,Staatsraison“ und ,,bedingungsloser Solidarität“ zur Teilhabe an Kriegsverbrechen.

Der kleine pad-Verlag aus Bergkamen (hier auf meinem Blog finden Sie übrigens eine Reihe von Rezensionen, welche sich mit dort erschienen interessanten Broschüren beschäftigen) hat zeitnah auf den unmenschlichen Gaza-Krieg Israels gegen die Zivilbevölkerung im Gaza-Streifen reagiert. Er veröffentlicht eine Reihe von politischen Gedichten von des Inders Rajani Kanth. Der Titel: „ … GAZA und … “

Gewidmet ist die Veröffentlichung dem palästinensischen Lyriker Ri`at al-Ar`ir, welcher in Gaza durch einen gezielten Angriff der israelischen Armee am 6. Dezember 2023 zusammen mit seinem Bruder und dessen Sohn sowie seiner Schwester und deren drei Kindern ermordet worden ist.

Im Vorwort zur Broschüre macht Rudolph Bauer darauf aufmerksam, dass ihr Titel an Erich Fried (1921-1988) an dessen Lyrikband und VIETNAM und. Frieds Einundvierzig Gedichte – so der Untertitel seines Buches – sind während des Zweiten Indochina- / Vietnamkriegs (1955-1975) erschienen.

Bauer: „Nach seiner Erstveröffentlichung im September 1966 wurde der Gedichtband von überregionalen Presse totgeschwiegen – insofern auch damals schon im Mainstream. Die Vietnam-Gedichte wurden weder von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) rezensiert, noch von der Zeit oder der Frankfurter Rundschau, weder von der Welt noch von der Süddeutschen Zeitung.“ (S.5)

„In der jetzigen, bedrohlich fortschreitenden Situation der Hochrüstung, Militarisierung, Mobilmachung und Kriegshetze bedeuten die Gedichte von Rajani Kanthmit vollem Namen: Rajani Kannepalli Kanth – ein verzweifeltes Innehalten, eine dramatische Anklage, ein Aufleuchten schriftstellerischer Verantwortung, Bruderworte der antimilitaristischen Solidarität. Sie sind ein nicht zu überhörender Ruf nach Gerechtigkeit, Menschlichkeit und Frieden.“

(Aus der Einleitung von Rudolph Bauer)

Seinem Gedicht unteilbare schande (S.33) hat Rajani Kanth Worte von Mahatma Gandhi vorangestellt:

Der Westen – in unteilbarer Schande

Was ist das für ein Sieg, wenn der Sieger besiegt bleibt? Macht es für die Toten, die Waisen und die, deren Häuser zerstört wurden, einen Unterschied, ob das wütende Vernichten im Namen des Totalitarismus begründet wurde oder im Namen von Freiheit und Demokratie? Was ist ein Kriegsverbrecher? Ist nicht der Krieg selbst ein Verbrechen gegen Gott und die Menschheit? Sind daher nicht all diejenigen Verbrecher, die Kriege gutheißen, anzetteln und durchführen? Die Schwachen können es nicht vergessen. Vergebung ist das Attribut der Starken. Die Nicht-Kooperation mit dem Bösen ist eine heilige Pflicht.

(Mahatma Gandhi)


unteilbare schande


es gibt keine andere art es festzustellen


der holocaust in Gaza ist ihr letzter strohhalm


nicht-europäer abzuschlachten wie tiere war über vierhundertjahre lang ihr leitmotiv


was bei Gaza den unterschied macht das ist weil alle es sehen unwiderlegbar mit eigenen augen auf breiten bildschirmen ein für alle mal


sicher | sie haben allen ausländischen journalisten den zugang verboten (und wie gewöhnlich das recht der „freien rede“ zelebriert) aber die tapferen palästinenser berichteten ununterbrochen auch wenn sie beschossen und erschossen werden


schulen krankenhäuser bäckereien kirchen moscheen: das neo-faschistische gemetzel ist unaufhörlich und findet kein ende

? haben sie historisch nicht genug blut an ihren händen und warum wünschen sie sich noch mehr reißende sturzbäche davon […] (S.33) (Ausschnitt)

Ein Nachwort von Wolfram Elsner

Das Nachwort zur Broschüre hat Wolfram Elsner geschrieben
Er hatte Rajani Kanth im Jahr 1987 an der University of Utah (UofU) in Salt Lake City (SLC) kennengelernt und in Abständen immer wieder getroffen. „Kanth stammt aus wohlhabender Familie – und Marxist. Mit seiner Herkunftsfamilie hatte er gebrochen.
Er war lebendig, interessiert, diskussionsfreudig, stellte Fragen … und eine mehr als 35-jährige Kollegialität und Freundschaft begann bei diesem Lunch. Wir trafen uns öfter, hatten uns was zu sagen, ich der theoretisch ,,evolutionäre und Institutionen-Ökonom“, er der Marxist „plus“.“
Zwei Jahre später kam er zur Lehre nach Bielefeld. Wäre ich bewusster vorgegangen, hätte ich ihn für ein Sommersemester eingeladen. Aber es wurde ein Wintersemester. Er kam also in einen norddeutschen November. Über norddeutschen Spätherbst und Winter wusste er offenbar nichts.“ […]

Ich schließe mich den Worten Wolfram Elsners betreffs der Beurteilung der Gedichte an und mache sie sozusagen mit Verlaub auch zu meinen: «Spaß beim Lesen kann man nicht wünschen. Es wird sich sicher nicht einstellen, aber Aha-Effekte en masse. Kanth schöpft aus einem großen lebenslangen interkulturellen Wissens-, Erkenntnis- und Erfahrungsfundus und wendet seine wissenschaftlichen Erkenntnisse und Methoden an, in künstlerischer Form. Das ist eine spektakuläre Ergänzung und Erweiterung zum vorhandenen „Konzert“ der aktuellen Nachrichten und Kommentierungen.

Danke, Raj“ Danke, Rudolph! Gut zu wissen, dass es Wissenschaftler und Menschen wie euch gibt. Denkende und mitfühlende Menschen werden Euch las LeserInnen finden.«

Noch ein Hinweis

Und, verehrte Leserinnen und Leser, bitte verabsäumen Sie nicht dem Kapitel „Zeitleiste größerer Kriege der USA Jahr für Jahr (von 1776 – 2011)“ (S.63) intensive Aufmerksamkeit zu widmen. Erschreckend! Diese Daten werden ja von den meisten unserer Politiker und ihnen zum Munde schreibenden und sendenden Mainstream-Medien gern unterschlagen. Sie finden diese der original-Daten-Quelle auch hier.

Und: Bitte empfehlen Sie diese wichtige Broschüre gern weiter.

Der Autor

Rakamı Kanth


Rajani Kannepalli Kanth ist Professor, Wirtschaftswissenschaftler, Philosoph und Gesellschaftstheoretiker. Er ist in Indien geboren und besitzt die US-amerikanische Staatsbürgerschaft. Er lehrt auf den Gebieten der Anthropologie, der Soziologie und Politikwissenschaft, der Geschichte, der Wirtschaft und der Philosophie. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Ökonomie, Sozialtheorie und Politik sowie Frauenfragen. Neben seiner weltweiten universitären Lehr- und Forschungstätigkeit war er in New York als Berater für die Vereinten Nationen tätig. Im Jahr 2007 gründete er in Salt Lake City, Utah, den Weltfriedenskongress; siehe https://en.wikipedia.org/wiki/World_Peace_Congress.


Leben und Bildung


Rajani K. Kanth wuchs in Madras, Indien, auf und hat an verschiedenen Institutionen in Indien und im Ausland studiert, darunter am St.George’s College, am Loyola College, an der Delhi School of Economics, der Columbia University und der New School for Social Research. Er hat einen Bachelor-Abschluss in Wirtschaftswissenschaften/Statistik/Politik erworben, sowie je einen Master-Abschluss in Soziologie und Ökonomie. Promoviert hat er 1980 auf dem Gebiet der Wirtschaftswissenschaften mit ciner Arbeit über,,Politische Ökonomie und Laissez-faire“, die 1986 publiziert wurde.


Akademischer Werdegang


Kanth begann seine akademische Laufbahn als Dozent fir politische Soziologie an der neu eröffneten indischen Jawaharlal Nehru Üniversity in Neu Dehli. 1974 besuchte er die Columbia University, von der er 1975 an die New School for Social Research in New York wechselte.1979 lehrte er an der UN International School in New York, an der St.Jho Oniversity sowie als Teaching Fellow an der New School for Social Research. Im selben Jahr erwarb er seinen zweiten Master in Wirtschaftswissenschaften, während er gleichzeitig als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Columbia University tätig war und 1980 in Wirtschaftswissenschaften promovierte. Seine Doktorarbeit wurde 1986 als Buch mit dem Titel,,Politische Ökonomie und Laissez-faire““ veröffentlicht.


Nach einer Zeit als Wirtschaftsberater der Vereinten Nationen, des UNFPA und des Centre for Transnational Corporations in New York zwischen 1979 und 1981 kehrte er an die Akademie zurück und wech、selte dann an die State University of New York, wo er bis 1985 lehrte.Von da an übernahm er Positionen in einer Vielzahl von Institutionen:u. a. am Providence College der University of Utah, der Oxford University in Großbritannien, an den deutschen Universitäten Bielefeld und Bremen, der Universität Aarhus in Dänemark, der University of New South Wales und der University of Technology in Australien, am Wag ner College in New York, an der National University of Singapore und an der Harvard University. 2012 war er als Fellow am Institute for Advanced Studies der Jawaharlal Nehru University in Indien.
Wissenschaftliche Veröffentlichungen
Political Economy and Laissez-Faire. 1986 – Explorations in Political Economy. 1991 – Capitalism and Social. Theory. 1992 – Paradigms in Economic Development. 1994 – Against Economics: Rethinking Political Economy. 1997 – Breaking with the Enlightenment.1997 – Against Eurocentrism. 2005 – The Challenge of Eurocentrism. 2009
Towards Immediacy in World Peace. 2013 – The Post-Human Society.
2013


Schriftstellerische Publikationen


The ‚Forever Young Regime. 2013 – Revue: A Boutique of Verse.2013. The Matter With Danny. 2013 – The Last Journey: A Voyage to the Center of the Soul. 2013.

Zu Rudolph Bauer

Rudolph Bauer ist Politikwissenschaftler, Schriftsteller und Künstler. Einer der wenigen, die sich in Bild und Schrift auch künstlerischer Ausdrucksmittel bedienen, um ihr fachliches Wissen mit politisch-kritischem und gesellschaftlichem Engagement zu verbinden. Er war Professor für Wohlfahrtspolitik und Soziale Dienstleistungen an der Universität Bremen. Geboren 1939 in Amberg/Oberpfalz, studierte er nach dem Abitur u. a. die Fächer Politologie, Soziologie und Philosophie an den Universitäten in München, Erlangen, Frankfurt am Main und Konstanz. Berufliche Erfahrungen sammelte er u. a. als freier Mitarbeiter und Journalist bei Tageszeitungen und Zeitschriften, bei „konkret“ und der Frankfurter Studentenzeitung „Diskus“; als freiberuflicher Sozialforscher in Offenbach/Main; als Forschungsassistent und Vertretungsprofessor an der Universität Gießen; als Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Arbeitsgruppe für das Chinesisch-Deutsche Lexikon am Fremdspracheninstitut Nr. 1 der Universität in Beijing in der VR China; als Fellow in Philanthropy am Institute for Policy Studies der Johns Hopkins University in Baltimore/Mass. in den USA. Bauer ist Autor bzw. Herausgeber einer Vielzahl von wissenschaftlichen Publikationen.

Zu Wolfram Elsner

Wolfram Elsner: Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Bremen; 2012-2014 und 2014-2016 Präsident European Association for Evolutionary Political Economy – EAEPE ; Lehr- und Forschungsaufenthalte in Europa, USA, Australien, Südafrika, Russland, Mexiko, China; assoziierter Professor der Univ. of Missouri―Kansas City (UMKC), USA, und der Jilin Uni, Changchun, China; Editor-in-Chief des Review of Evolutionary Political Economy – REPE.

Zur Broschüre

INHALT: Vorwort Rudolph Bauer / Das Biest / Was ist das Leben von Nicht-Europäern wert? / Ulima Thule / Das Ende des Imperiums / Die Wurzeln allen Übels / Helfershelfer der Massenmörder /Der Westen in unteilbarer Schande / Wer stoppt den Genozid in Gaza? / Haben 30 Tage die Welt verändert?/Gruß nach Gaza / Brüderlichkeit / von Guernica bis Gaza. Oder: Die endlose Kette des Bösen / Gräueltaten: Guernica, Dresden und Gaza / Wertfrei? / Über die Einzigartigkeit / Zeitleiste größerer Kriege der USA Jahr für Jahr (von 1776 – 2011) / Nachwort von Wolfram Elsner I Zur Person: Der Autor der politischen Gedichte – Der Übersetzer und Bildmonteur – Der Verfasser des Nachwortes

Rajani Kanth
… und GAZA und …
Politische Gedichte
ca. 80 Seiten, 6.– e*
Nachdichtungen und Bildmontagen: Rudolph Bauer
Nachwort: Wolfram Elsner

Redaktion pad-Verlag: Peter Rath-Sangkakorn


*Staffelpreis bei Direktbestellung ab 5 Expl: 5.–/St.
pad-Verlag- Am Schlehdorn 6

59192 Bergkamen /pad-Verlag@gmx.net

Beitragsfoto, Foto Wolfram Elsner: Claus Stille

Foto Rifat El-Arir: Screenshot C.S.

Foto: Rudolph Bauer: via Screenshot weltnetz.tv

Anbei gegeben:

Prof. Dr. Wolfram Elsner mit interessantem Vortrag in Dortmund: China, die neue Nummer eins ist anders

Beinahe drohte sich am vergangenen Montag die Freude über den erste wieder als Präsenzveranstaltung (zusätzlich per Videostream andernorts zu verfolgen) stattfindenden Nachdenktreff (getragen von Attac Dortmund und DGB Dortmund und Umgebung) einzutrüben. Der Referent Prof. Dr. Wolfram Elsner ( Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Bremen) war zunächst sozusagen mitten der Prärie auf der Schienenstrecke geblieben bleiben. Geschlagene 45 Minuten! Der große Saal im dritten Stock der Auslandsgesellschaft in Dortmund war voll. Die Veranstaltungsleitung hatte telefonisch mit dem heiß erwarteten Referenten Kontakt aufgenommen. Immerhin funktionierte in diesem unserem immer m.E. mehr zu verfaulen drohendem Lande die Telefonverbindung! Bald schon machte folgende Nachricht die Runde im Raum: „Elsner hat einen Stellwerksschaden.“ Einige lachten auf.

Ich musste unwillkürlich an das Buch von Arno Luik „Schaden in der Oberleitung“ (Westend Verlag) denken, das ich vor einiger Zeit rezensiert hatte. Und der Gedanke ging mir durch den Kopf: In China wäre ihm das gewiss nicht passiert.

Bald darauf, Punkt akademisches Viertel (19 Uhr 15!) erscholl von draußen im Vorraum ein erleichtertes „Ahhh!“ – Der Referent war erschienen. Wie im Fluge waren Laptop wie die weitere nötige Technik startklar gemacht – und ein Wunder: Alles funktionierte auf Anhieb!

Wolfram Elsner ging vom Zug kommend sofort in medias res

Und schon legte Wolfram Elsner mit seinem hochinteressantem Vortrag los. Er hatte ihn flugs aufgrund der knapp bemessenen Zeit (schon 21 Uhr 25 ging nämlich der einzige – letzte – Zug an diesem Abend zurück nach Bremen, auf die wichtigsten Punkte beschränkt. Ohnehin ist klar, dass die Zeit einer Abendveranstaltung nur für einen kleinen Ausschnitt aus Elsner breiten Einblicken ausreicht, die er im Laufe der Jahre über und in China erworben hat. Mehrfach bot er an diesem Abend an, gerne – bei entsprechender Einladung – zu weiteren Vorträge nach Dortmund zu kommen, um die zahlreiche weiteren Punkte zu referieren.

Am Schluss des Abends gab Elsner – auf eine freundliche Bitte aus dem Publikum hin – sozusagen kurz vor Toresschluss – sogar noch einen Einblick in ein weiteres Thema im Schnelldurchgang.

Ein wahren Parforceritt legte der Referent da hin. Ein Thema interessanter als das andere. Betreffend einer staunenswerten Entwicklung der Volksrepublik China mit Rückblicken auf eine vielfach alles andere als einfache Vergangenheit dieses Landes.

Gegenbild zum allgemeinen China-Bashing

Es zu bedauern, dass großen Teilen unserer Gesellschaft dieses Bild auf China nicht vermittelt wird. Im Gegenteil! Unsere Medien (leider auch die öffentlich-rechtlichen, die wir jährlich immerhin mit über 8 Milliarden Euro finanzieren müssen), die hauptsächlich nur noch Propaganda statt Journalismus machen, vermitteln im Grunde ein fast durchweg nur negatives Bild von China. Das einer Diktatur, das eines Landes, das die Menschenrechte mit Füßen tritt, etc. Und das, obwohl – wie Elsner auch im Referat ausführte – Deutschland der Volksrepublik nicht unwesentlich zu verdanken hat, in acht Jahren zum Exportweltmeister geworden zu sein.

Die verkürzte und von Propaganda durchtränkte Berichterstattung unserer Medien verfängt aber oftmals doch hierzulande.

Ein Zuhörer der Veranstaltung – der bekannte, selbst schon dreimal als Tourist in China gewesen zu sein – befand dann auch im kurzen Frageteil des Abends, dass ihm Professor Elsners Vortrag doch ein wenig zu positiv gefärbt erscheine.

Elsner antwortete, er wolle durchaus mit seinen Arbeiten auch ein wenig provozieren. So schafft er gewissermaßen ein Gegenbild zum allgemeinen China-Bashing, dass gleichzeitig ein ergänzendes Bild chinesischer Wirklichkeit sein will. Wobei seine Bücher immer Quellen enthalten, welche glaubhaft belegten, was er schreibe. Er mache sich den Spaß reputable westliche Quellen zu nutzen und anzugeben. So wäre ihm nicht vorzuwerfen, chinesische Propaganda zu verbreiten. Und Elsner liefert wie eingangs des Vortrags versprochen Fakten, die durch besagte Quellen auch via Google zu finden sind. Elsner: „Das jeder Journalist, jeden Tageszeitung leicht könnte.“

Der Grund für das China-Bashing

Das China-Bashing des Westens, besonders seitens der USA, hat vor allem damit zu tun, wie es zum Vortrag hieß:

„China hat sich in den letzten Jahrzehnten sehr dynamisch entwickelt und ist inzwischen zu einer Weltmacht aufgestiegen, die voraussichtlich in den nächsten Jahren die USA vom ersten Platz ihrer weltweiten Vormachtstellung verdrängen wird. Werden die USA diesen Führungswechsel kampflos hinnehmen oder werden sie den Status von Taiwan als Hebel nutzen, um China in einen Krieg hineinzuziehen? Die möglichen Folgen mag man sich gar nicht ausmalen. Die gewaltige Militärpräsenz der USA und ihrer Verbündeten in der unmittelbaren Nähe Chinas ist jedenfalls hoch gefährlich. Derzeit wird systematisch am Feindbild China gewerkelt. Dazu gehört eine Propaganda, die auch die inneren Angelegenheiten Chinas nutzt, um Stimmung zu machen. Dabei wird ausgenutzt, dass viele Menschen wenig über die Kultur, die Denkweise und die Traditionen der dortigen Bevölkerung wissen. Stattdessen wird eine Sichtweise angewandt, die sich an «westlichen Werten« orientiert. Diese werden gerne als universelles Vorbild propagiert und zum Maßstab der Betrachtung fremder Länder gemacht. Eines der Themen, die bei vielen Menschen Fragen aufwerfen, ist die inzwischen weit fortgeschrittene Digitalisierung. Aus westlicher Sichtweise steht hier die Frage der Überwachung und der Menschenrechte im Vordergrund, die keineswegs nur an der Digitalisierung festgemacht wird. Sehr einseitig ist auch die weit verbreitete Annahme, China gehöre zu den weltweit übelsten Umweltverschmutzern.“

NASA: China ist grünstes Land der Erde

Dabei ist die Luft China spürbar besser geworden. Sauberkeit werde groß geschrieben. Nicht zu vergessen „lebenswerte Megacitys … neue Hochhäuser und das ‚Netzwerk der 300 grünen Städte“. Wüsten werden erfolgreich zurückgedrängt. Neue Wälder gepflanzt „Ökorevolution an allen Fronten, Bäume, Bäume, Bäume …“. Unterdessen seien schon 1,5 Milliarden Bäume gepflanzt worden. Die NASA sage: China sei aus dem Weltraum betrachtet das grünste Land der Erde. Jede Chinese jede Chinesin soll ab dem Alter von 11 Jahren jedes Jahr drei Bäume pflanzen. Das Wachsen des eigenen Baumes könne dann via Drohne gefilmt auf dem Smartphone verfolgt werden.

China möchte ein wohlhabendes, blühendes sozialistisches Land mit einer „spiritueller Zivilisation“ werden

Seit 2015/2016 sei China die Nummer eins beim Sozialprodukt. China sagt selbst, es möchte ein „bescheidenes wohlhabendes Land“ werden. Letztlich „ein wohlhabendes, blühendes sozialistisches Land“. Man wolle kein Modell des exzessiven Konsums. China spreche auch von „spiritueller Zivilisation“. Elsner erinnert das an frühere Parteiprogramme der Grünen. Fast jeder Chinese sage ihm: „Wir wollen hin zu einer ökologischen Zivilisation.

Warum der Aufstieg Chinas den Westen nervös macht

Damit räumte Wolfram Elsner im Dezember vergangenen Jahres in einem längeren und faktenreichen Artikel in junge Welt gründlich mit Vorurteilen bezüglich Chinas auf. Für Wolfram Elsner ist China aufgrund seiner zahlreichen Aufenthalte und seiner Forschungen kein fremdes Land. Er war oft in der Volksrepublik und lehrte dort an Universitäten. Ehemalige Doktoranden von ihm sind heute selbst u.a. Professoren in China. Der Aufstieg Chinas mache halt, so Wolfram Elsner, den Westen und besonders die USA nervös. Was da passiere sei nichts anderes als das, was auf einem Markt geschehe. Der Westen versuche aber, statt zu analysieren was bei einem selbst schief laufe und nachzudenken wie man es besser machen kann, China auf die eine oder andere Weise zu behindern. Man habe es hier mit einem Systemwettbewerb, den man auch als Markt bezeichnen könnte, zu tun. „Wir konkurrieren um die Köpfe und Herzen der Menschen in der Welt. Das sei nichts anderes als eine neue, alte historischen jahrtausendealte Normalität.“ Bei Henry Kissinger könne man nachlesen, das China noch 1820, bevor die Engländer eingefallen und die anderen Europäer die Chinesen ausgebeutet und drogenabhängig gemacht haben, habe China noch um 30 Prozent des Weltsozialprodukts gehabt. Heute habe es 19 Prozent. „Genauso viel wie sein Bevölkerungsanteil. Wo ist die Dramatik?“, fragt Elsner.

Einschub meinerseits: Dass besonders am Feindbild China gewerkelt wird, wie es in der Einladung zum Vortrag lautete, ist vor allem damit zu erklären, dass das Imperium USA längst auf tönernen Füßen steht. Den USA geht es niemals um Menschenrechte und Demokratie. Die USA werden des ersten Platzes ihrer weltweiten Vormachtstellung mit ziemlicher Sicherheit verlustig gehen. Daher weht der Wind! Das werden sie nicht einfach akzeptieren. Nicht umsonst haben die USA weltweit über 800 Militärstützpunkte. Dass das friedlich abgeht ist vermutlich lediglich eine vage Hoffnung. Kürzlich ließ nämlich folgende Meldung aufhorchen: „Ein Vier-Sterne-General der Luftwaffe hat in einem internen Rundbrief an seine Top-Kommandeure die Ansicht geäußert, dass es zwischen den Vereinigten Staaten und China in zwei Jahren zum Krieg kommen werde.

„Ich hoffe, ich täusche mich. Aber mein Bauchgefühl sagt mir, dass wir 2025 kämpfen werden”, heißt es wörtlich in dem Schreiben von Mike Minihan, dessen Echtheit das Pentagon bestätigt hat.“ (hier der Link)

Schon 1997 veröffentlichte John Updike seinen lesenswerten Roman „Gegen Ende der Zeit“. In der Beschreibung lesen wir auf Perlentaucher: (…) „Einiges ist auch anders als gewohnt. Das Jahr ist 2020, es gibt keine Währung „Dollar“ mehr und Federal Express hat die Rolle der Polizei übernommen. Die Vereinigten Staaten haben den Krieg gegen China verloren … Und gibt es nicht auch andere Wirklichkeiten? Ben Turnbull als Grabräuber im alten Ägypten? Als Schüler des hl. Paulus? Als irischer Mönch?“

Als ich seinerzeit den Roman las und einem Kollegen von dem Roman erzählte, zeigte er mir – der ich die damals einen Krieg der USA gegen China durchaus befürchtet und für möglich hatte – einen Vogel …

Warum China als künftige Nummer eins so erfolgreich ist beschrieb Wolfram Elsner bereits in seinem empfehlenswerten Buch „Das chinesische Jahrhundert. Die neue Nummer eins ist anders“. Hier meine Rezension dazu.

Mit China geht es auf vielen Gebieten aufwärts

China, Elsner sein inzwischen unter den den Top 3 beim Glücksempfinden der Menschen. Es finde ein Umverteilen von oben nach unten statt. Gegen Korruption und Unternehmens-, Finanz- und der allgemeinen Kriminalität werde vorgegangen. Wer sich hat sich etwas zu schulden hat kommen lassen, kann mit Flugverbot bzw. einem Ausschluss von der Nutzung der ersten Klasse in Zügen sanktioniert werden.

Auch das rowdyhafte Verhalten vieler chinesischen Autofahrer im Straßenverkehr habe man mittels des Sozialkreditpunktesystems (chinesisch übersetzt „Vertrauenssysteme“ in den Griff bekommen. Übrigens gibt es diese Systeme nur punktuell in China – nicht im gesamten Land. Chinesen haben die Auflage ihre alten Eltern (60+) mindestens einmal im Jahr zu besuchen.

Das allgemeine Vertrauen und dass Vertrauen in den Staat, in die Kommunistische Partei sowie das Vertrauen in die Gewerkschaften und in die Firmen, sagte Elsner, sei sehr stark gewachsen. Etwa dem Gegenüber sollen nach US-Umfragen zufolge 80 Prozent (u.a Edelman-Trust-Barometer) der Menschen vertrauen. Tendenz steigend. In den USA: 33 Prozent – Tendenz fallend. In Deutschland seien es 40 Prozent, absteigend.

Selbst eine neue Tierethik gibt es. Hunde zu töten, das gehe gar nicht. Es heiße: „Hunde sind Partner des Menschen.“

Auch gebe es Kampagnen um den Essensabfall zu verringern.

Chinas Experimentismus

Und, wie Elsner etwa von Ingenieuren von Siemens gesagt bekam, käme man in China zuweilen mit eigenen typisch deutschen Plänen an, die dann vor Ort nicht funktionierten. Dann kämen selbst Arbeiter und böten Möglichkeiten an, anders zu verfahren – und plötzlich liefe alles. Die Chinesen stoppten halt Verfahren, die nicht funktionieren und dächte sich etwas anderes aus. Eine Kultur, die vor Veränderungen nicht zurückscheuten. Es gebe sozusagen einen Experimentismus. Alles stehe halt ständig auf den Prüfstand.

Der Westen scheitert immer mehr mit seiner Überheblichkeit

Wolfram Elsner befand, dass der Westen immer mehr mit seiner Überheblichkeit scheitere, wenn er meine (besonders ja auch in der BRD verbreitet): Unsere Werte sind die richtigen. „Wir“ sind die Richtigen, denke man. Und in diesem Sinne haue man anderen Staaten – der Welt – diese längst fragwürdig gewordenen Werte auf die Rübe. Elsner: „Nur die Welt will es nicht mehr.“

Die besten Innovationen kommen zunehmend aus China

Zum Schluss des pickepacke komprimiert hoch interessante Informationen vermittelt habenden – keine Sekunde langweiligen – Referats beantwortete Professor Elsner noch einige Fragen aus dem Publikum. Elsner unterstrich noch einmal: die besten Innovationen kämen mittlerweile hauptsächlich aus China. Peking werde – sei eine Antwort auf eine Frage – auch bald nicht mehr von der Chipproduktion in Taiwan abhängen, meinte Elsner. Auch fänden bald Wahlen in Taiwan statt. Eine chinafreundliche Partei könne gewinnen, wenn nicht die USA – die momentan zunächst verbal in der Taiwan-Frage aufrüsteten – dies vereitelten. Elsner meinte, eine Mehrheit der taiwanesischen Bevölkerung sei durchaus mit dem Status quo zufrieden.

Nach der Beantwortung der Frage packte der Referent flugs seine sieben Sachen zu packen, zum Glück nahen Hauptbahnhof zu streben, dann noch den letzten Zug Richtung Bremen zu erwischen.

Fazit: China, die neue Nummer eins ist anders

Die Zuhörerinnen und Zuhörer erfuhren viel Wissenswertes über die Volksrepublik China. Wissenswertes, dass uns die journalistisch heruntergekommenen Medien unseres immer mehr herunterkommenden Landes zumeist verschweigen und durch eine immer gleiche Propaganda ersetzen, damit möglichst ein Negativbild Chinas in unseren Köpfen erhalten bleibt bzw. abermals neue Nahrung erhält.

Was das Publikum mitnahm: China, die neue Nummer eins ist anders – wie es bereits in Elsners Buch „Das chinesische Jahrhundert“ im zweitem Teil des Titels heißt. Westliche Maßstäbe an China anzusetzen, das läuft zunehmend ins Leere.

Einem Zuhörer war das von Elsner gezeichnete China-Bild zu positiv. Wobei er den Vortrag jedoch gut fand.

Viele Fragen mussten zwangsläufig offen bleiben. Antworten kann man seinen letzten Buchveröffentlichungen in den Verlagen Westend und Papy Rossa entnehmen.

Zur Person

Wolfram Elsner: Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Bremen; 2012-2014 und 2014-2016 Präsident European Association for Evolutionary Political Economy – EAEPE ; Lehr- und Forschungsaufenthalte in Europa, USA, Australien, Südafrika, Russland, Mexiko, China; assoziierter Professor der Univ. of Missouri―Kansas City (UMKC), USA, und der Jilin Uni, Changchun, China; Editor-in-Chief des Review of Evolutionary Political Economy – REPE

Fotos: Claus Stille

Rolf Geffken: „Mein China“. Rezension

China ist in letzter Zeit immer wieder in vieler Munde. Vor allem in den Medien kommt China vor. Meistens kritisch. Oft negativ. Leider auch in hetzerischer Weise diffamiert. In erster Linie setzen die USA auf Konfrontation. Da darf Deutschland, vasallenhaft agierend, freilich nicht zurückstehen. Prompt entsendet die BRD die Fregatte „Bayern“ und Annegret Kramp-Karrenbauer ist auch noch stolz darauf. Die Deutsche Welle titelt: „AKK will China im Indopazifik eindämmen“. Einst nannte man das „Kanonenboot-Diplomatie“. Kaiser Wilhelm II damals in seiner berüchtigten Hunnenrede (Ausschnitt):

„Kommt ihr vor den Feind, so wird derselbe geschlagen! Pardon wird nicht gegeben! Gefangene werden nicht gemacht! Wer euch in die Hände fällt, sei euch verfallen! Wie vor tausend Jahren die Hunnen unter ihrem König Etzel sich einen Namen gemacht, der sie noch jetzt in Überlieferung und Märchen gewaltig erscheinen lässt, so möge der Name Deutscher in China auf 1000 Jahre durch euch in einer Weise bestätigt werden, dass es niemals wieder ein Chinese wagt, einen Deutschen scheel anzusehen!“

Was da der Volksrepublik heute nicht alles vorgeworfen wird! Und klar, es darf nicht fehlen in der Litanei: die Verletzung von Menschenrechten. Doch wer glaubt den noch an den Weihnachtsmann? Selbstredend ist die Einhaltung von Menschenrechten wichtig und deren Einforderung nicht verkehrt. Wenn dies nicht oberlehrerhaft und belehrend getan wird.

Aber wer sich noch an Egon Bahr erinnert, weiß, was er vor Schülern sagte: „In der internationalen Politik geht es nie um Demokratie oder Menschenrechte. Es geht um die Interessen von Staaten. Merken Sie sich das, egal, was man Ihnen im Geschichtsunterricht erzählt.“

Und so ist es auch im Fall der USA, dem Imperium, das sich auf dem absteigenden Ast befindet, ist der wirtschaftliche Aufstieg Chinas ein Dorn im Auge. Die Volksrepublik ist unaufhaltsam auf dem Weg nach vorn. Das Amerikanische Jahrhundert ist vorbei. Daher weht der Wind. Allerdings darf auch nicht vergessen werden, dass die USA und China gewissermaßen aufeinander angewiesen sind: Die Volksrepublik ist der größte Schuldner der USA. Aber das hier einmal beiseite gelassen.

Rolf Geffken: „China – das ist ein Kosmos“

Viele fühlen sich berufen über China zu urteilen. In seinem neuen Buch „Mein China“ schreibt Dr. Rolf Geffken im ersten Satz des Vorwortes:

„Um es gleich vorweg zu sagen: China – das ist ein Kosmos. Und wer zu China etwas schreibt, obwohl der nie oder nur kurz da war, sollte vom Lesepublikum mit Nichtachtung bestraft werden. Gewiss: Es besteht weiter ein Bedarf an Literatur über China. Aber muss man gleich jeden Unsinn über China schreiben und ihn dann auch noch lesen lassen? Leute, die lange in China waren, schreiben, je länger ihr Aufenthalt dort dauert, immer weniger über das Land im Allgemeinen. Sie äußern sich zwar zu Detailfragen, aber zum Großen und Ganzen üben sie sich oft in Schweigen, weil sie es aufgegeben haben, gegen den ganzen Wall von Vorurteilen und Denkklischees anzuschreiben und weil sie selbst viel zu großen Respekt vor dem Gegenstand ihrer Überlegungen haben als dass sie bereit wären kurze und rasche Schlüsse zu ziehen.“

Der Autor beschäftigt mit China seit Ende der 1990er Jahre und war mit Unterbrechungen in den letzten 20 Jahren vor Ort. Im Laufe der Jahre hab er etwa 120 Einzelveröffentlichungen zu China heraus. Zu Fragen der der Politik, der Arbeitsbeziehungen, der Kultur, der Ökonomie und des Rechts.

Als über China Schreibender hatte er wohl schon mit typisch deutschen Schubladen-Denken zu tun: „Da heißt des dann: ‚der ist Anwalt‘. Will sagen: der hat nicht die Weihen eines allwissenden Professors für Politik und Ökonomie oder gar Sinologie und äußert sich nur ‚zu seinen fachlichen Detailfragen‘ oder besser: ’nur zu seinen Detailfragen wollen wir ihn zu Kenntnis nehmen‘ oder noch deutlicher: ‚Wir können diese Detailfragen getrost ausklammern und ignorieren, weil es für uns ja doch nur auf das Große und Ganze ankommt.’“

Rolf Geffken weiter: „Dass die zentralen Fragen eines großen Landes heute mehr denn je Rechtsfragen sind: „Wen interessiert es? Dass China heute mehr denn je der Vorwurf gemacht wird, es sei ein Unrechtsstaat und demzufolge dieses Gebiet mehr als jedes andere Aufmerksamkeit erheischt: D a s sollte alle interessieren. Jedenfalls richten wir uns alle, die mit China ein echtes Erkenntnisinteresse verbindet. Für diese ist das Buch geschrieben. Es erhebt nicht den Anspruch, die letztinstanzliche Sicht auf Chinas zu vertreten. Nein, dieses China-Bild ist das Bild des Autors von China. „s e i n China.“ Geschaut durch eine biografisch-determinierte Brille, nicht ‚objektiv‘, sondern im besten Sinne ‚eindeutig‘ aber stets der Wahrheit und nicht bloßen Schablonen verpflichtet. Mit seinem Blick auf das ganze China – auch die chinesische Geschichte und Kultur – wagt der Autor einen Blick in die Zukunft. Wird sie so sein, wie westliche Medien sie überwiegend zeichnen? Nämlich düster? Wie kommt es dann eigentlich, dass wir ausgerechnet in einer Zeit wachsender Abhängigkeit von China seines erneuten Aufstiegs besonders viel über das angeblich ‚böse‘ China hören? Wird die Zukunft so sein, wie sie die chinesische Partei- und Staatsführung wünscht? Haben diese Wünsche, die von manche hiesigen Optimisten geteilt werden, eine reale Basis?“





Geffken geht realistisch und sachlich zu Werke. Er warnt sowohl vor allzu großer Euphorie, was die Zukunft des Landes angeht, als auch „vor einem China-Bashing, das den Blick für die gewaltigen Erfolge Chinas in den letzten in den letzten 30 Jahren verstellt.“ Wozu unbedingt die Beseitigung der Armut von Millionen Chinesen zählt und die gewaltigen technischen Fortschritte des Landes zählen. „Seit der Gründung der Volksrepublik China 1949 wurden rund 850 Millionen Chinesen aus der Armut befreit. Darunter sind ca. 700 Millionen Bedürftigen dank der Einführung der Reform- und Öffnungspolitik 1978 der Armut entkommen.“ (Quelle: Botschaft der VR China in Bundesrepublik Deutschland; 2020/10/13)

Hinweis des Autors (S.9): „Es darf nicht verwundern, dass der Autor vor allem die s o z i a l e Seite der chinesischen Gesellschaft und die A r b e i t der Menschen in den Blick nimmt. Das unterscheidet ihn von den meisten anderen Autoren. Für ihn ist dieser Aspekt das entscheidende Kriterium für die Zukunftsfähigkeit e eines Landes und für die Frage, ob dieses Land wirklich auf dem Weg zum Sozialismus ist.“

Hintergrund: Nach der chinesische Führung befindet sich der chinesische Sozialismus in seiner Anfangsphase, die mindestens bis 2049 (bis zum 100. Gründungsjahr der Volksrepublik) dauere.

Rolf Geffken, der für den „kritischen Rat“ seiner Frau Meifeng und für die technische Unterstützung durch seine Mitarbeiterin Ines Rose dankt, löst überzeugend ein, was er im Vorwort ankündigt. Wir Leser erleben einen ganz anderen, eigenen Blick, auf China, das wir oft ganz anders und verzerrt (sogar zuweilen fahrlässig falsch) in den Medien dargestellt bekommen. Und, dass es im Buch öfters auch um Rechtsfragen und Gewerkschaften geht darf nicht verwundern: schließlich ist Rolf Geffken seit 40 Jahren Fachanwalt für Arbeitsrecht. All das (manchmal mit Verweis auf das deutsche Recht) ist durchaus interessant und öffnet uns auch da die Augen über dieses Land ein wenig mehr.

Beschönigt wird durch den Autor nichts

Auf diesem Gebiet – wie auch insgesamt gesehen – werden Sie bei der Lektüre von Geffkens Buch bemerken, dass er durchaus nichts beschönigt. Wo Kritik zu üben ist, da bringt er sie an. Aber sein Blick auf China ist immer von Sympathie für das Land getragen. Und stets atmet dieser in Worte gegossene Blick hohen Respekt vor der chinesischen Kultur und den Menschen. Wir erfahren ab und an auch, dass er selbst in China auch schon beschämt war, weil er in Fettnäpfchen trat, vor die ihm ein noch größeres Wissen über dieses Land, diesen Kosmos, sicher bewahrt hätte. Man lernt halt nie aus. Nie aber im Buch schreibt Rolf Geffken arrogant und besserwesserisch – niemals schwingt er sich zum Richter auf – über dieses Land und eine Menschen. Das ist wohltuend.

Das Problem des ‚Reitens‘ des Tigers

Geffken findet (S.105) es einer ferneren Zukunft notwendig, (…)„durch eine wenigstens partielle Politisierung der Menschen dauerhafte Sicherungen gegen eine schleichende z.B. neoliberale Unterwanderung des Partei- und Staatsapparates einzubauen“.

„Auch darin“ meint Rolf Geffken, „spiegelt sich das Problem des ‚Reitens des Tigers‘ wider: Überlässt die Bevölkerung weitgehend teilnahmslos die Zügel beim Reiten dem Apparat, so kann es sein, dass er Tiger fast unbemerkt selbst zum ‚Reiter‘ wird. Die nachhaltig durch das Trauma der Kulturevolution verhinderte Politisierung der Massen würde deren Mobilisierung gegen einen solchen Ritt unmöglich machen. Man sieht: das Trauma der Kulturevolution hat auch und gerade Bedeutung für die politische Gegenwart und Zukunft Chinas.“

Auf Seite 130 schreibt der Autor: (…) „Vor diesem Hintergrund lässt sich die Frage, ob der chinesische Staat ein neoliberaler Staat ist oder nicht ganz gut beantworten. Nein, ein neoliberaler ist er nicht. Aber ob er deswegen ein ’sozialistischer Staat‘ ist, eine ganz andere Frage. Jedenfalls ist er ein Staat, der dem privaten Einzelunternehmen unterordnet.“

Kardinaltugenden des Konuzionismus und die daraus abgeleiteten sozialen Pflichten

Inzwischen spielten auch wieder die Kardinaltugenden des Konfuzianismus wieder eine Rollte: Menschlichkeit, Gerechtigkeit, Sittlichkeit, Weisheit, Aufrichtigkeit. „Zu den daraus abgeleiteten sozialen Pflichten gehören: Loyalität gegenüber staatlichen Autoritäten, Folgsamkeit gegenüber Eltern, Wahrung von Anstand und Sitte.“

Die hier im Westen geübte harte Kritik am chinesischen Sozialkreditsystem (mit dem mancher Politiker im Westen wohl insgeheim selber liebäugelt, wie ich mutmaße) hängt Rolf Geffken niedriger: Erstens gebe es das Punktesystem gar nicht landesweit und zweitens begrüßten Chinesen durchaus solche Modelle im bestimmten Rahmen. Geffken (S.178): „Digitale Register existieren in einigen Städten und Regionen. Keineswegs überall und erst Recht nicht landesweit. Der angebliche Big Brother ist eine Chimäre.“

Und weiter: „Das ‚Schlimmste‘: Von der chinesischen Bevölkerung werden solche Systeme ausdrücklich begrüßt. Es ist die Regierung, die bei der Einführung oder Übernahme solcher Systeme bremst. Und spätestens da wird die Menschenrechtspolitik westlicher Staaten gegenüber China grotesk: Sie muss die Bevölkerung Chinas ‚zwangsbeglücken‘, weil diese Bevölkerung offensichtlich die ‚falschen‘ Maßstäbe hat ….“

Mehr davon, bitte!

Für den möglichen Fall, dass Professoren und sich vielleicht besonders klug dünkende Sinologen hochnäsig moppernd an dem Buch abarbeiten, so sie es denn überhaupt lesen (was ich ihnen allerdings sehr empfehle) und dem Autor übergangslos das ausgrenzen sollende Etikett „der ist Anwalt“ anpappen sollten, sage ich an deren Adresse: ich, der ich „nur Blogger“ bin, habe viel aus der Lektüre dieses Buches für mich gewonnen. Es ist freilich noch immer nicht genug. Wie auch? Ich bekenne mit Sokrates im Allgemeinen und in puncto China im Besonderen: Ich weiß, dass ich nichts weiß. Wenn das doch nur auch andere so sehen wollten: Politiker und Auslandskorrespondenten! Deshalb: Mehr davon, bitte!

Eine Vielzahl von Themen werden ins Blickfeld genommen

Rolf Geffken hat für sein Buch eine Vielzahl von Themen ins Blickfeld genommen und das aus eigenem Erleben über Jahrzehnte hinweg gewonnenen Wissen für uns interessierte Leser gut lesbar aufgearbeitet. Weshalb es nahezu an keiner Stelle langweilig wird. Unglaublich viele Gebiete werden beackert, die Arbeit von Auslandskorrespondenten wird kritisch analysiert und an „Die Sicht eines Staatsmannes:“ (Anm. C.S: Ja, etwas hatten wir einst in der BRD!) „Helmut Schmidt und China“ (S.18) erinnert.

Helmut Schmidt seinerzeit z.B. (S.19): „Die chinesische Führung ist …. mitnichten totalitär. Ein hohes Wachstum der Ökonomie ist Voraussetzung für die Beseitigung der Arbeitslosigkeit. Das haben die Regierenden in China besser verstanden als alle Regierenden in Europa.“

Soweit waren wir schon einmal! Geffken: „In der Flut der plumpen Vorurteile gegenüber China sind diese vor immerhin vor 16 Jahren gesprochenen Worte ein Labsal. Aber es ist sinnlos ‚unsere‘ Politiker daran zu erinnern. Sie wollen es nicht hören!“

Zeiten der Kanonenbootdiplomatie sind endgültig vorbei

Gegen Ende seines Buches (S.179) postuliert Dr. Rolf Geffken: „Die Zeiten der Kanonenbootdiplomatie sind endgültig vorbei. Auch und gerade wenn uns eine ‚Demokratie-Aktivisten‘ in Hongkong oder ‚Freunde‘ der Uiguren oder Taiwans einreden wollen, es sei an der Zeit, China die Zähne zu zeigen:“

Annegret Kramp-Karrenbauer (AKK), die mir nebenbei bemerkt zugegebenermaßen als Putzfrau im Karneval besser gefiel als in deren jetziger Rolle als „Verteidigungsministerin“, sollte aufhorchen und aufmerken!

Eine Kritik am Buch habe dann doch: Die relativ kleine Schrift hat mit trotz lesebebrillten Augen allerdings einiges an Anstrengung abverlangt. Vielleicht brauche ich eine neue Lesebrille. Aber dem vorzüglichen Inhalt des Buches hat das doch keinen Abbruch getan.

Das Buch

Rof Geffken

Mein China

China sehen ist anders

Licht & Schatten im Reich der Mitte

Das Buch erschien im August 2021 und gibt Auskunft zur der in 20 Jahren gewachsenen Erfahrung des Autors mit und zu China. Es ist deshalb besonders authentisch,denn seine Schlussfolgerungen und Analysen resultieren auch aus eigenen Beobachtungen und Gesprächen vor Ort und nicht aus bloßer Bücherlektüre. Das Buch hat 200 Seiten, ist reich bebildert und kostet 19,90 Euro. Es kann bestellt werden unter ratundtat@drgeffken.de – Wir liefern zügig.  ISBN  978 – 3 – 924621 – 20 – 9 

Hinweis des Autors: Die bei amazon aufgestellte Behauptung, das Buch sei „derzeit nicht lieferbar“ ist FALSCH !

Anmerkung: Die Sicht Wolfgang Elsners auf China lesen Sie – so Sie mögen – auf meinem Blog unter dem Titel „Das chinesische Jahrhundert. Die neue Nummer eins. Werft die wesliche Brille weg“

Shanghai Angel (in Germany) – Ein Roman von Rolf Geffken

Zwischen deutscher Kultur und chinesischer Kultur liegen Welten. Und Luftlinie zwischen der BRD und der Volksrepublik China beträgt die Entfernung ca. 7.224 km. China gehört zu den ältesten Zivilisationen und Hochkulturen der Menschheit. Schriftliche Aufzeichnungen über die chinesische Kultur reichen über 3500 Jahre zurück.

Wenn Menschen beider Kulturen aufeinander treffen – es liegt nahe – kann es schon zu einem Zusammenprall kommen. Mindestens aber zu Missverständnissen und Irritationen. Rolf Geffken (ich habe erst kürzlich an dieser Stelle seinen Roman „Verdammt in alle Kindheit“ besprochen) hat diese Möglichkeit auf zwei Personen heruntergebrochen und sehr gut und fesselnd beschrieben. Erzählt wird die Liebe zwischen dem deutschen Strafrechtsprofessor, Gerhard Prosch, und seiner wissenschaftlichen Mitarbeiterin, Sunling Xing aus Shanghai. Prosch Ende der Fünfzig. Die gut gebildete und attraktive Sunling Xing Mitte der Zwanzig, aus einer durchaus privilegierten chinesischen Familie stammend.

Während Sunling erstmalig nach Europa und Deutschland kommt, ist dem Professor durch seine Verbindungen zu chinesischen Universitäten und der Zusammenarbeit in deutsch-chinesischen Projekten das ferne, riesige – auf einen gewaltigen Sprung nach vorne auf vielen Feldern befindliche Land (ich empfehle nebenbei das ebenfalls kürzlich von mir besprochene Sachbuch „Das chinesische Jahrhundert“ von Wolfram Elsner) durchaus kein Terra incognita.

Dennoch funkt und bruzzelt es zwischen beiden gehörig. Zunächst ist das keine gewöhnliche Liebesgeschichte. Angezogen voneinander sind sind jedoch beide Protagonisten von Anfang an. Der alternde Professor vielleicht noch mehr als Sunling.

Sunling verfügt offenbar über nahezu außergewöhnliche Fähigkeiten. Vieles in der gemeinsamen Arbeit an Proschs Institut gelingen dadurch, Kompliziertes lässt sich durch Sunling Dasein ins Werk setzen. Sunling ist Prosch eine große Hilfe. Prosch weiß die Hilfe sehr zu schätzen. Er ist schwer beeindruckt von ihr.

Ist er bald schon in Sunling verliebt? Wohl schon. Doch er will es noch nicht so recht wahrhaben, was ihn bewegt. Und Sunling hat die ihr von zuhause mitgegebenen „rules“ – ihre Regeln. Sie gehen nicht zuletzt auf den strengen Vater, Mitglied der Kommunistischen Partei Chinas und pensionierter Militär, zurück. Sunling hat hohen Respekt vor Prosch. Sie bewundert ihn sehr.

Und schon bald bekommt Prosch von Sunling zu hören: „I warn you…“ Er solle sich bloß nicht in sie verlieben. Prosch respektiert das. Dennoch braut sich da längst etwas zusammen – von beiden Seiten her-, nimmt seinen Lauf. Es gibt Irritationen. Aber Dinge kommen nicht zur Sprache, wie es notwendig gewesen wäre.

Und die (Beziehungs-)Kiste entwickelt eine Eigendynamik neben der vielen Arbeit her, die im Institut zu tun ist. Einmal ist ihm Sunling auch vor Gericht eine große Hilfe, erreicht mit ihrer geschickten Übersetzung so gar einen guten Ausgang für den vor Gericht stehenden chinesischen Landsmann, welchen Prosch für den Kollegen und Freund Rolf in einem Asylverfahren vertritt.

Ein andermal unterstützt Sunling ihn auch, als der Professor sich für die neue linke Partei (man kann sich denken, welche gemeint ist) engagiert und für einen Abgeordnetenmandat kandidiert. Geffken zeichnet uns Lesern auch fein sikzziert ein Bild von dem, auf was sich Menschen einstellen müssen, die sich in einer politischen Partei zu engagieren. Ein Unterfangen, dass eine gute körperlich-geistige Konstitution und eine riesige Portion Selbsbewusstsein erfordert, verbunden mit einem dicken Fell. Noch dazu in einer linken, wo mancher Träumer womöglich meint, dort herrschten Solidaridät oder gar Freundschaft unter den Mitgliedern. Man muss beim Lesen unweigerlich an die Konrad Adenauer zugeschriebene Steigerung „Freund – Feind – Parteifreund“ denken. Ja, sie ist ohne weiteres auch auf den Umgang von Mitgliedern einer linken Partei anwendbar. Da soll sich niemand etwas vormachen. Vor allem wenn es um Ämter und lockende Macht geht und gut gefüllte Futtertröge winken. Zu einer Kundgebung kommt der führende Politiker dieser neuen linken Partei, Gregorius Grips (!) aus Berlin.

„Grips kannte jeder. Er war der Liebling der Medien. Von Beruf Anwalt. Klein von Statur. Charmant in der Aussprache. Reaktionsschnell und debattierfreundig.(S.126)“  Wir Leser haben sofort das Bild im Kopf, wissen von wem die Rede ist.

Neben geistigen Annäherungen und Disputen, auch spaßiger Natur zwischen beiden, wobei Sunling viel hinzu lernt, deutet sich auch eine mögliche Annäherung auf anderer Ebene an. Doch zum Äußersten – wie man schön zu sagen pflegt – kommt es letztlich nicht, sieht man einmal von „der Nacht der linken Hand“ ab, die in Gerhard Prosch etwas ganz besonderes und einmaliges auslöst.

Prosch macht sie mit Goethe vertraut, den sie nicht besonders gut kennt. Sunling ist für Prosch – wie dieser spürt – zu einem, seinem „Eckermann“ – vielmehr zu seiner „Eckerfrau“ – geworden. Zu einer wichtigen Vertrauten, wie Johann Peter Eckermann, ein deutscher Dichter, Schriftsteller, seinerzeit „seinem“ Goethe enger Vertrauter gewesen war. Sie ist ihm als des Professors wissenschaftlicher Mitarbeiterin und eigentlich darüber hinaus mit aller, von Liebe getriebener Kraft ein Engel. Der „Shanghai Angel“ eben.

Doch beide Protagonisten sind auch Gefangene ihrer Biografien und Sunling ihrer Regeln, die sie nicht unbedingt befolgen will. Verletzungen entstehen und bleiben bestehen, weil sie nicht sofort geheilt werden. Obwohl das durchaus möglich gewesen wäre. Es bleibt zwischen beiden halt zu oft etwas im Raume stehen. Es wird geschwiegen, wo besser geredet worden wäre. Wir alle kennen solche Momente, wenn wir ehrlich sind. Man spürt es zuweilen im Augenblick und tut doch nicht, was getan werden müsste. Und dann ist der Moment, der etwas Schönes möglich gemacht hätte, verflogen wie ein scheuer Vogel. Ein Fenster, das sich geöffnet hatte, ist wieder geschlossen. Die Gelegenheit perdu. Vergossene Milch. Der Zug abgefahren. Der Frust hinterher groß. Die Traurigkeit auch. Hätte ich doch!

Der Engel verliert an Kraft. Grenzen stellen sich auf. Hoffnungen zerplatzen wie Seifenblasen.

Wir erfahren im Fortgang des Romans, welcher einen bis zum Schluss nicht loslassen will, viel über Politik, internationale Beziehungen und auch Recht (der Autor ist Fachanwalt) Wirtschaft sowie über Konventionen und die Gesellschaft hierzulande wie auch in China. Das ist nie dröge und eintönig, sondern interessant.

Eine unmögliche Liebe? Ein Liebe die möglich gewesen wäre – wenn! Beim Zusammenprall dieses ganz besonderen Paars kommt es zu Abstoßungen. Ein Drama all das. Tragisch nach hinten raus. Alles andere eben als Kitsch. Ein vor uns ausgebreitetes  Leben mit Ecken, Kanten und mit Hochs und Tiefs! Hoffnungen und Enttäuschungen. Eine letztlich tragische Liebe. Die nicht hatte sein sollen. Die Liebenden konnten (richtig) zueinander nicht kommen. Ein Scheitern beider intelligenten Protagonisten. Rolf Geffken hat das gut beschrieben, so dass wir förmlich an dieser Liebe mitleiden. Ja, eigentlich am liebsten als eine Art Deus ex machina in Geschichte eingreifen möchten.

Zum Buch lesen wir:

„Vor der Kulisse von internationaler Politik, Wirtschaft und Recht, zwischen Hamburg, Berlin, Beijing und Shanghai entfaltet sich die Geschichte einer Liebe, die nicht sein darf und die nicht sein kann.“ (…)Es ist die Geschichte einer Liebe, die weit mehr ist als ein Beziehungsabenteuer. Sie wird den Beteiligten zum Gleichnis ihres eigenen Lebens und scheitert schließlich an der Vielfalt und Schwere ihrer Aufgaben. (…)Es ist aber auch die Geschichte eines Engels, der all seine ihm verliehene Kraft in diese Liebe steckt, um am Ende kein Engel mehr zu sein. Und es ist die Geschichte eines modernen Fausts, der am Ende einem Werther gleich zugrunde geht.“

Und doppelt unterstrichen gehört diese Aussage:

Rolf Geffken gelingt es, mit diesem Roman die Erfahrung einer alles verändernden bedeutsamen Liebe vor dem real existierenden Hintergrund der aufkommenden chinesischen Turbogeneration zu formulieren.“

Das Buch ist bereits 2010 erschienen. Was der Lektüre keinen Abbruch tut. Prädikat Lesenswert! Am Schluss möchte ich nochmals auf Geffkens Roman „Verdammt in alle Kindheit – Verloren in den Wäldern des Mannesalters – Ein norddeutscher Entwicklungsroman“ verweisen. Auch der ist – immerhin zehn Jahre „abgelegen“ – sehr lesenswert. Und wer ihn aufmerksam liest, wird in „Shanghai Angel“ betreffs einer Familienenbeschreibung betreffs des Protagonisten eine Art „Link“ zu „Verdammt in alle Kindheit“ entdecken. Man darf autobiographische Hintergründe vermuten. Was auch für diesen nun besprochenen Roman gilt.

Wir kommen in diesem Roman auch Bild davon gezeichnet, wie das neue China tickt und was seine Menschen antreibt.

Und uns Leser*innen kann auch hier abermals deutlich in den Sinn kommen – sozusagen ein Licht aufgehen – wie viel eigentlich unser späteres Leben als Erwachsener von dem in früher Kindheit erlebten und erlittenen – im Guten wie im Schlechten – geprägt ist.

Biografie

Dr. Rolf Geffken. Foto: via Weltnetz.TV

Dr. Rolf Geffken, promovierte 1978 an der Universität Bremen über „Seeleutestreik und Hafenarbeiterboykott“ (s.u. Marburg 1979), Anwalt & Autor, Fachanwalt für Arbeitsrecht, publizistische Schwerpunkte: Arbeitsrecht, China, Schifffahrtsgeschichte, Gewerkschaftsbewegung. Referent für Arbeitsrecht, Fachautor und Autor belletristischer Bücher. Organisator der 1. Deutsch-Chinesischen Konferenz zum Arbeitsrecht an der Zhongshan-University in Kanton, der 1. Deutsch-Chinesischen Anwaltskonferenz in Tianjin 2008 und der 1. Deutsch-Chinesischen Gewerkschaftskonferenz an der Universität Oldenburg 2010. Erstes Buch: Klassenjustiz, Frankfurt 1972 (wegen dieses Titels erhielt der Autor das erste Berufsverbot für einen Juristen in der damaligen Bundesrepublik), später folgten u.a.: Über den Umgang mit dem Arbeitsrecht, VSA-Verlag 1980; Seeleutestreik und Hafenarbeiterboykott – Rechtsprobleme des Arbeitskampfes an Land und auf See, Marburg 1979 (Diss. Bremen 1978); Bundespersonalvertretungsgesetz – Kommentar, Frankfurt 1980; Shanghai Angel in Germany – Ein Roman, Schardt-Verlag 2011, Seeleute vor Gericht – Authentische Erinnerungen eines Anwalts aus den 1980er Jahren, NW-Verlag, jetzt: Schünemann-Verlag, 2. Auflage 2012; Streik auch in China ? VAR-Verlag 2011; Das Neue Chinesische Arbeitsvertragsgesetz VAR-Verlag 4. Auflage 2014; Die Große Arbeit – Rilke und Worpswede, Edition Falkenberg 2014, Arbeit & Arbeitskampf im Hafen, Edition Falkenberg 2015; Streikrecht – Tarifeinheit – Gewerkschaften, VAR-Verlag Cadenberge 2015; Das Chinesische Arbeitsvertragsgesetz – 5. Auflage, VAR-Verlag 2016; Kampf ums Recht – Beiträge zum komplizierten Verhältnis von Politik, Arbeit und Justiz, VSA-Verlag Hamburg 2016; Seeleute und Häfen ins Museum ? – Alternativen zu Seefahrt, Häfen und maritimer Erinnerungskultur, VAR-Verlag Cadenberge 2017; Legende & Wirklichkeit – Die IG Metall in der Automobilindustrie. Streiflichter aus der Werkstatt eines Arbeitsrechtsanwalts. Mit einem Anhang zum Thema „Gewerkschaftsfreiheit oder Monopolgewerkschaft ?“, VAR-Verlag Cadenberge 2018; Umgang mit dem Arbeitsrecht – Ein Handbuch für Beschäftigte, vollständig überarbeitete 2.und 3. Auflage VAR-Verlag Cadenberge 2019; Verdammt in alle Kindheit – Verloren in den Wäldern des Mannesalters – Ein norddeutscher Entwicklungsroman, Verlag Isensee Oldenburg 2020.

Der Autor liest eine Passage aus seinem Roman

Rolf Geffken

Shanghai Angel

in Germany

Taschenbuch: 229 Seiten

Preis: 14,80 €

  • Verlag: Schardt; Auflage: 1. (28. August 2010)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3898415384
  • ISBN-13: 978-3898415385

Rezension: Wolfram Elsner: Das chinesische Jahrhundert. Die neue Nummer eins ist anders. – Werft die westliche Brille weg!

Man kann es drehen und wenden wie man will: An China kommen wir nicht mehr vorbei. Statt aber auch die Vorteile des rasanten Aufstiegs der Volksrepublik für den Westen insgesamt zu sehen (außer, dass sie als billige Werkbank dient – was aber allmählich vorbei ist), wird immer noch – wo es eben noch geht – da und dort etwas Sand ins Getriebe geworfen. Nicht zuletzt von den Medien. Bei Berichten aus oder über China darf – selbst wenn von Positivem die Rede ist – in der Regel nie eine „Stichelbeere“ fehlen. Da wird dann noch etwas in Sachen Überwachung der Bürger*innen und natürlich von verletzten Menschenrechten eingeflochten. Und wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel nach Peking reist, darf die bange Frage der westlichen Journalisten nicht fehlen: Wird sie beim chinesischen Präsidenten auch die Frage der Menschenrechte ansprechen? Damit hier kein falscher Zungenschlag hineinkommt: In der Volksrepublik China ist beileibe nicht alles in Ordnung, weshalb verständlicherweise auch Kritik angebracht ist. Nur warum fehlen derlei „Einflechtungen“ zumeist bei Berichten etwa der ARD über andere Länder – etwa Saudi Arabien angehend, der Kopf-ab-Diktatur? Ganz einfach: Weil aus bestimmten Gründen mit zweierlei Maß (fast hätte ich „Maas“ geschrieben – aber mit Namen soll man ja kein Schabernack treiben) gemessen wird. Die Gründe dafür kann sich jeder noch selbst denkende Mensch leicht ausmalen.

Jede Publikation, die China sachlich ins Bild rückt, ist willkommen

Dessen eingedenk ist jede Publikation, welche einen sachlichen und vor allem von eigener Erkenntnis geprägte Sicht auf das 1,3-Milliarden-Einwohner-Land China wirft, hoch willkommen. Greifen wir das Buch „Das chinesische Jahrhundert. Die neue Nummer eins ist anders“ von Wolfram Elsner, erschienen bei Westend, einmal heraus. Wolfram Elsner (*1950) war Professor für Volkswirtschaftslehre an der Uni Bremen und Leiter des Bremer Landesinstituts für Wirtschaftsforschung.

Geleitwort von Folker Hellmeyer „Ohne ideologische Scheuklappen auf China schauen!“

Ich kann Folker Hellmeyer (Chefanalyst bei Solvecon Invest und zuvor Chefanalyst der Bremer Landesbank) betreffs seines ersten drei Sätzen im mit „Ohne ideologische Scheuklappe auf China schauen!“ überschriebenen Geleitwortes nur zustimmen: „Dieses Buch ist überfällig, da es das Potential hat, endlich die erforderliche Sachlichkeit in den Diskurs über China zu bringen. Weder im politischen noch im medialen Raum ist diese aktuell ausreichend gewährleistet und damit ist dieses Buch auch eine Provokation gegenüber den gängigen Darstellungen. Provokation ist aus meiner persönlichen Erfahrung zum Thema China bitter nötig, denn der selbstverliebte und moralinsaure Blick auf die eigene Position verstellt uns im Westen den Blick auf die Dynamik der globalen Veränderungen auf ökonomischer Ebene.“

Volle Zustimmung!

Tian’nmen 1989 war Anlass für Elsner eigene Erfahrungen und eigene Denkfähigkeit zu benutzen

In Wolfram Elsners Einleitung „China, die Chinesen und ich“ (ab S.13) berichtet er über den eigenen langen, immer wieder ins Stocken geratenen Weg auf China und die Chinesen zu. Darin wird sogleich noch einmal die geschichtliche Entwicklung der Volksrepublik in verschiedenen Zeiten erinnert. Eine historische Station ist u.a auch „1989 Tian’anmen“ (S.20). Auch da geht es sachlich zu. Der Westen, erinnert sich Elsner, habe die Bilder von gewalttätigen Eskalationen „durch bestimmte Führer und Gruppen“ (S.21) (von) „zahlreichen gelynchten Polizisten und Soldaten“ tabuisiert. Schließlich sei der Platz in Juni 1989 „militärisch geräumt“ worden. „Aber je mehr die ‚politisch-korrekten‘ und ’staatstragenden‘ Einheitsmedien im Westen die Hysterie um die ‚Niederschlagung des Volksaufstandes‘ anheizten, umgehend als ‚Massaker‘ gesprachregelt, umso mehr sah ich mich genötigt, erst einmal eigenen Erfahrungen und meine eigene Denkfähigkeit zu benutzen: Warum machte China etwas grundsätzlich anderes als die zerfallenden europäischen staatssozialistischen Länder? Wie können sie das? Tun sie das aus einer Position der Stärke oder der Schwäche? Was für sein Signal (an Washington ist das? Droht jetzt eine US-Militärintervention? Oder ist genau diese Gefahr jetzt gebannt?“

Elsner nahm sich fortan vor, genauer hinzuschauen.

Der Autor tauchte immer mehr in die chinesische Materie ein

Im Laufe der Jahre tauchte der Autor dann mehr und mehr ein in die chinesische Materie und besuchte das Land endlich auch persönlich. Er machte eigene Erfahrungen mit Land und Leuten, gerade auch in der beginnenden Zeit der rasanten Entwicklung des einstigen Entwicklungslandes. Eines Landes jedoch mit tausenden von Jahren Geschichte und hochentwickelter Kultur, welches durch westliche Interventionen und Zerstörungen in der Entwicklung zurückgeworfen worden war. In Gesprächen im Flugzeug auf dem Rückweg von China und in Gesprächen im eigenen Land sowie in der Deutschen Bahn (S.44/45) wird ihm immer mehr klar. Zwischen Abflugs- und Ankunftsland liegen Welten: Die sauberen Bahnhöfe in China und die modernen Züge (die auch noch pünktlich seien: käme einer zu spät, so Elsner, stünde es am nächsten Tag in der chinesischen Presse) und hier in Deutschland das bittere Kontrastprogramm: Verspätete Züge in nicht originaler Wagenreihung oder völlige Ausfälle. Während man in China mit dem Zugticket automatisch eine Sitzreservierung bekommt. Und WLAN sozusagen wirklich an jeder Milchkanne – ja: überall – hat. Und zwar kostenlos!

Wir Leser*innen staunen Bauklötzer

Das ist spannend zu lesen. Und man kommt als Leser aus dem Staunen gar nicht heraus. Weshalb man das Buch nur schwer aus der Hand legen kann. Wir lernen viel über die Herangehensweise der Volksrepublik China – nach wie vor unter Führung der der kommunistischen Partei, der KPCh. Freilich gibt es auch Konzerne und immer mehr Reiche. Doch die wiederum seien, so Elsner, auch verpflichtet einen Teil ihrer Profite und ihres Reichtums abzugeben, um der Gesellschaft zu nutzen. Milliardäre werden verpflichtet, ihre Gewinne für die Infrastrukturen einzusetzen, um diese weiter auszubauen und zu verbessern. Wozu eben auf das dichte WLAN-Netz gehöre. Längst ist China nicht mehr nur die große „Umweltsau“ der Welt – was der Westen stets unvergessen ließ zu erwähnen. Sondern die Luft ist spürbar besser geworden. Sauberkeit werde groß geschrieben. Nicht zu vergessen „lebenswerte Megacitys … neue Hochhäuser und das ‚Netzwerk der 300 grünen Städte“ (S.186). Wüsten werden erfolgreich zurückgedrängt. Neue Wälder gepflanzt („Ökorevolution an allen Fronten, Bäume, Bäume, Bäume …“ – Millionen wurden in den letzten Jahren gepflanzt (S. 193).

Und, erfahren wir, Bauklötzer staunend, China sei nun inzwischen zum weltweiten Vorreiter des Klimaschutzes geworden. Autobahnen aus Solarplatten ermöglichten Reisen mit Induktionsstrom, Inlandsflüge werden zunehmend ersetzt durch Magnetschwebebahnen, die 600 Stundenkilometer und mehr fahren, 1000 Kohlekraftwerke wurden außer Betrieb geworden. 800 Millionen Menschen hat China aus der Armut geholt. Die Volksrepublik verteile von oben nach unten zurück. Sie entlastet kleine und mittlere Einkommen.

Zu bestätigen ist, was der Westend Verlag via seinen Autor Wolfram Elsner zum Buch wissen lässt:

„Das Buch räumt auf mit Unwissen über China und zeigt das Land in seiner ungekannten Dynamik und Vielfalt. Es geht ein auf aktuelle Themen wie „Uiguren“, „Hongkong“, „Corona“ (es gibt ab S.58ff erfreulicherweise einen aktuellen Nachtrag in Sachen Coronavirus; C.S.), Cyber- und IT-Techniken oder die verschiedenen experimentellen Sozialkreditpunkte-Systeme. Schließlich wird die Neue Seidenstraße Initiative, von der auch Deutschland profitiert, als eine neue, alternative Form der Globalisierung in all seinen unbekannten und wiederum überraschenden Aspekten dargelegt. Im Buch wird auch diskutiert, wo bei alledem Deutschland und die EU bleiben. Welche Rolle wird in Zukunft China und sein System spielen? Eine Frage, die wie wir aktuell erkennen, nicht ganz unbedeutenden geworden ist für die Zukunft der Menschheit.

China verstehen lernen, ist also im eigenen Interesse. Und China verstehen bedeutet, uns selbst besser verstehen zu lernen. Beim Lesen dieses Buches setzen wir allmählich unsere europazentrierte Brille ab, und es ergeht uns wie den vielen Technikern und Ingenieuren, die China kennengelernt haben, mit denen ich in chinesischen Städten und Hotellobbys, im Flugzeug nach und von China und in der Deutschen Bahn gesprochen habe. Mit diesem Buch begeben wir uns auf die gleiche Abenteuerreise in die Zukunft, auf die diese beruflichen Chinareisenden auch geraten sind“

Von China lernen

Gerade wir Deutschen sollten das Buch verinnerlichen und von der Arroganz und Ignoranz absehen, mit der wir oft andere Länder und Systeme behandeln, als hätten wir die Weisheit mit Löffeln gefressen. Und von dieser empörenden Hybris! China geht einen Weg, von dem auch wir lernen können, die wir mit der Schwarzen Null und Schuldenbremsen (beides unsinnig und dumm) arbeiten und selbst auch dann noch an Wahnsinnsprojekten wie Stuttgart 21 weiter festhalten, wenn bereits zu wissen ist, dass sie letztlich zum Scheitern verurteilt und noch dazu lebensgefährlich sein werden. Die Chinesen arbeiten wohl oft so, dass sie Techniken und Programme ändern oder auswechselt, wenn sich gravierende Probleme einstellen.

Ausgetretene Wege, die uns kaum noch nutzen, verlassen

Auch wäre es längst auch Zeit dafür Chancen gegenseitiger Zusammenarbeit wie die Neue Seidenstraße („One Belt, One Road“) zu erkennen und bereit sind, neue Wege, die vielen Ländern nutzen können, zu gehen.

Es steht außer Frage, dass wir quasi das Chinesische Jahrhundert vor uns haben. Und klar: „Die neue Nummer eins ist anders“, so der Untertitel des hier besprochene Buches. Was uns nicht ängstigen muss. Und uns veranlassen sollte, längst ausgetretene Wege allmählich zu verlassen, die immer weniger – wenn wir den Nutzen für uns kaum noch erkennen vermögen.

Denn es steht fest wie das Amen in der Kirche: Das Amerikanischen Jahrhundert geht seinem Ende entgegen. Das Imperium – die USA – steht inzwischen auf tönernen Füßen und kommt ins Straucheln. Sollten wir uns neu orientieren, gilt es aber auch wachsam zu sein, denn das Imperium ist hoch bewaffnet und wird beim Straucheln womöglich ähnlich reagieren wie ein angeschossenes Tier.

Alte Denkmuster und Solidaritätsdefizite hinter uns lassen

Auch die Europäischen Union – so sie nicht vorher zerbricht, was nicht unwahrscheinlich ist – hat der neuen Nummer eins eigentlich nichts entgegenzusetzen. Was keine neue Erkenntnis ist. Vor vielen Jahren traf ich auf einer Veranstaltung zur Eröffnung der Ruhrfestspiele Recklinghausen an einem ersten Mai auf Martin Schulz, damals noch Chef der Sozialistischen Fraktion im Europäischen Parlament. Da orientierte der spätere Präsident des Europäischen Parlaments und noch spätere erfolglose Bundeskanzlerkandidat der SPD auf China darauf entsprechend zu reagieren, weil die EU doch im Gegensatz zu China letztlich ein Fliegendreck wäre. Doch dabei blieb auch er in alten Denkmustern gefangen. Und damit in Schuhen, die bald im Sumpf der eigenen Fehler, Demokratie- und Solidaritätsdefiziten der EU steckenbleiben dürften.

Ist es eigentlich nun nicht höchste Zeit, (auch) etwas von China zu lernen und gemeinsam im Sinne eines friedlichen Handels- und Wandels zum Nutzen und Wohle vieler Völker zu lernen und in dieser Hinsicht beginnen fortzuschreiten?

Es ist nicht zuletzt die Corona-Pandemie und deren grenzenlose Auswirkungen, die geradezu Schritte in diese Richtung anmahnt?

Welches „System“ hat China?

Wolfram Elsner hat sich auch Gedanken darüber gemacht, mit welchem „System“ wir es in China zutun haben. Ist es „Kommunismus“, „Sozialistische Marktwirtschaft“, „Turbokapitalismus“, ein „Chinismus“ oder eine „Diktatur“? Gar nicht so einfach. Elsner meint, China befinde sich in einem „Frühstadium des Sozialismus“ … „eines Sozialismus, den wir noch nicht kennen … der aber nicht der alte, europazentrierte ist“. (S.325) Elsner (S326): „China ist heute fähig, die jahrzehntelange Diskreditierung und Tabuisierung jeder Idee von realem Sozialismus im 21. Jahrhundert kein statisches, bürokratisches Armutssystem mehr ist, sondern diesbezüglich den real existierenden Kapitalismus sogar überflügeln und die menschlichen Perspektiven erweitern kann.“

Todesstrafe

Wenn er über die Todestrafe befragt würde, so Elsner im Buch, würde er sagen: „Weg damit.“ Doch die Chinesen erklärten sie mit konfuzianischer Ethik, „wonach ein Mörder eben mit dem Leben bezahlen müsse, seit dreitausend Jahren.“ Elsner: „Aber an der Stelle darf man sich auch ethisch weiterentwickeln.“

Ai Weiwei gilt Kunstexperten in China überschätzt

Auch kommt die Rede auf den hier so unwahrscheinlich hofierten Künstler Ai Weiwei, der nebenbei bemerkt Deutschland inzwischen enttäuscht verlassen hat. Es kommt heraus: eine lange Zeit hat er etwa als Architekt gut (und äußerst gut damit verdienend) und erfolgreich – an großen Projekten – mit der Macht zusammengearbeitet. Als Künstler – erfahren wir – urteilen Kunstexperten in China über ihn, halten sie ihn für äußerst überschätzt. Dreimal darf geraten werden, warum er hier in Europa und auch in Deutschland so hofiert und herumgereicht worden ist …

Die Lektüre dieses Buches bringt allen Leser*innen Nutzen. Also: Runter mit der westliche Brille und rein in dieses Buch!

Diese Buch ist wahrlich nicht nur für Ökonomen von Interesse. Es ist gut verständlich geschrieben und somit im Grunde genommen allen Menschen wirklich zu empfehlen.

Das Buch enthält im Anhang zahlreiche Anmerkungen und ein nachprüfbares Quellenverzeichnis, das Kunde davon gibt, wie akribisch der Autor recherchiert hat.

Wenn es nicht so militärisch tönen würde, müsste ich schreiben: Lesebefehl!

Ich verspreche jeder Leserin und jedem Leser: Sie werden aus der Lektüre dieses Buches etwas mitnehmen, was zu gebrauchen ist. Also: Runter mit der westlichen Brille! Denn unser Bild von China ist verzerrt und unterbelichtet. Wenn also Wolfram Elsner für einen offenen Dialog sowie verlässliche, langfristige und selbstbewusste Kooperation mit der neuen Nummer eins plädiert, dann sollten wir ihm ohne Ressentiments folgen – diese vielmehr in den Mülleimer werfen. Unbedingt empfehlen möchte ich dieses Buch auch Korrespondent*innen öffentlich-rechtlicher Sender und Journalisten überhaupt.

Wolfram Elsner

Das chinesische Jahrhundert. Die neue Nummer eins ist anders

Seitenzahl: 384
Ausstattung: Klappbroschur
Artikelnummer: 9783864892615

24,00 Euro

Zu erwerben ab dem 9. April 2020

Hinweis Westend Verlag:

Gastbeiträge zum Thema China von Prof. Dr. Rudolph Bauer, RA Dr, Rolf Geffken und Madeleine Genzsch finden Sie hier.

Weltnetz.tv-Interview, das Prof. Dr. Sönke Hundt mit Wolfram Elsner über sein Buch geführt hat

Anbei gegeben: zwei Videos zum Thema China. Eines zum chinesischen Arbeitsrecht (von RA Dr. Rolf Geffken)

Dazu: Wolfram Elsner bei KenFM

https://kenfm.de/wolfram-elsner/