Recklinghausen: Die Ruhrfestspiele sind eröffnet – Im 70. Jahr lautet das Motto „Mare Nostrum?“

Der Demonstrationszug trifft am Ruhrfestspielhaus ein; Fotos: C.-D. Stille

Der Demonstrationszug trifft am Ruhrfestspielhaus ein; Fotos: C.-D. Stille

Es ist jedes Mal aufs Neue beeindruckend: Eine Sambagruppe und eine Formation der Grubenwehr gehen vornweg – der Zug der Demonstration anlässlich des 1. Mai – von der Herner Straße kommend – folgt ihnen. Am architektonisch imposanten Ruhrfestspielhaus warten zur Mittagszeit zum Empfang der Demonstrierenden bereits zahlreiche Menschen, So verschmelzen traditionell die Kundgebung zum 1. Mai und das Eröffnungszeremoniell der Ruhrfestspiele Recklinghausen zu einem grandiosen Ereignis. Und das Wetter spielt auch mit: Die Sonne lacht überm Grünen Hügel.

Volker Nicolai, Vorsitzender des DGB Kreis Recklinghausen, wendet sich an die Kundgebungsteilnehmer

Er nennt das diesjährige Motto des DGB: „Zeit für Solidarität – Viel erreicht und noch viel vor“. Es gehe um „Solidarität für die arbeitenden

DGB-Vorsitzender Volker Nicolai.

DGB-Vorsitzender Volker Nicolai.

Menschen, den Generationen von Einheimischen und Flüchtlingen und vor allem den Schwachen und den Starken“. Die Gewerkschaft trage Verantwortung dafür, dass Deutschland ein sozialer und demokratischer Rechtsstaat bleibe. Wie es unser Grundgesetz fordere. Die ebenfalls dort als unantastbar vorgeschriebene Würde des Menschen gelte unbedingt auch für die bei uns Schutz suchenden Menschen. Der DGB fordere u.a. das Ende der Deregulierung der privaten Güter und Dienstleistungen. Sowie ein Ende der Umverteilung von unten nach oben. „Hoch die Internationale Solidarität“ wird aus der Menge skandiert.

Bürgermeister Christoph Tesche spricht ein Grußwort

Eingangs spricht Bürgermeister Tesche die Wichtigkeit der Verteidigung der freiheitlich demokratischen Grundordnung an. Besonders im Fokus: das Asylrecht und die Koalitionsfreiheit. Tesche lobte die gegenüber den nach Deutschland gekommenen über eine Million Flüchtlingen (nach

Bürgermeister Christoph Tesche.

Bürgermeister Christoph Tesche.

Recklinghausen kamen gut 1600) geübten Solidarität. Aufgepasst werden müsse, dass Menschen die statt solidarische Hilfe zu leisten nur dumpfe Parolen im Munde führten, hierzulande nicht die Oberhand gewönnen.

Und Tesche macht aus seinem Herzen keine Mördergrube: Persönlich hält er es „für einen Fehler, dass der Bergbau komplett aus der Bundesrepublik Deutschland verschwindet“. Was die Bergleute über Jahrzehnte, über ein Jahrhundert geleistet hätten, dürfe die nicht der Vergessenheit anheimfallen. „Kohle und Stahl haben dieses Land – besonders das Ruhrgebiet – groß gemacht!“ Besonders erfreut zeigt sich Bürgermeister Tesche, dass dieses Jahr der Erste Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg, Olaf Scholz, die Ruhrfestspiele besuchen wird. Es geht dabei um die Erinnerung an die Geschichte der Entstehung der Ruhrfestspiele: Kohle für Kunst – Kunst für Kohle. Im bitterkalten Winter 1946/47 halfen Kohlekumpel der Zechen König Ludwig Hamburger Theaterschaffenden solidarisch mit Kohle zur Beheizung ihrer Musentempel – an den Besatzungsmächten vorbei – aus. Dafür revanchierten sich Hamburger Theaterleute mit einem Gastspiel in Recklinghausen. Ohne diese Aktion existierten die Ruhrfestspiele nicht.

Hauptredner ist Norbert Maus, Gesamtbetriebsratsvorsitzender der RAG Deutsche Steinkohle AG

Für Maus ist die Einführung des Mindestlohns der wichtigste Erfolg des DGB im letzten Jahr: „Sage und schreibe 3,7 Millionen Menschen profitieren inzwischen davon.“ Es bleibe aber noch viel zu tun hierzulande: „Die Vermögen sind extrem ungleich verteilt in diesem Land.“ Und er sagt klipp und

Gesamtbetriebsratsvorsitzender der RAG Deutsche Steinkohle, Norbert Maus.

Gesamtbetriebsratsvorsitzender der RAG Deutsche Steinkohle, Norbert Maus.

klar: „Wer als Arbeitgeber aus der Tarifbindung flieht, verhält sich definitiv verantwortungslos.“ Mit der Sozialpartnerschaft – sagt Maus – habe man gute Erfahrungen gemacht.

Auch Norbert Maus spricht das Flüchtlingsthema an. Die von Rechts erfolgten Angriffe (mehr als 1000 gab es letztes Jahr deutschlandweit) auf Flüchtlingsunterkünfte, auf Einsatzkräfte und Journalisten dürften nicht hingenommen werden. Das Schüren von Hysterie und das gezielte Aufwiegeln von Menschen gegenüber Fremden, gehe gar nicht. Er habe es eigentlich nicht machen wollen, sagt es dann aber doch: „AfD – Amateure für Deutschland oder wie die heißen, geht auch nicht.“ Man werde den Rassisten zeigen, dass sie nicht das Volk sind. „Wir sagen selbstbewusst: wir sind die Mehrheit in Deutschland. Wir lehnen Hetze und Gewalt gegen Menschen definitiv ab“.

Die falsche Krisenpolitik in Europa und die Politik der Schwarzen Null mache die Sozial- und Tarifsysteme kaputt. Europafeindlichkeit und Rechtspopulismus seien die Folge.

Im Bergbau, erinnert Maus, habe man immer schon Menschen aus vielen Ländern integriert. „Wir Bergleute labern nicht lange über Integration.“ Menschen- und fremdenfeindlich seien die Bergleute nicht. Und auf die derbe aber grundehrliche Art der Bergleute sagt Maus: „Ich unterscheide nicht zwischen Nationalität und Glauben. Ich unterscheide immer noch zwischen Arschloch oder Nichtarschloch.“ Beifall.

Zur geplanten Industrie 4.0 sagt Maus: „Wir wollen, dass die Chancen die darin stecken, auch bei den Beschäftigten ankommen.“

Zur ungleichen Vermögensverteilung gibt es für Norbert Maus nur einen Ansatz: „Starke Schultern müssen wieder mehr tragen!“

Nach wie vor stünde er als Bergmann zur Energiewende, sage aber auch ganz deutlich: „Wir brauchen bis dahin weiterhin Braun- und Steinkohle.“ Den völligen Rückzug aus dem deutschen Steinkohlenbergbau (er endet 2018) hält Norbert Maus nach wie vor für falsch. Verspricht aber: „Wir hinterlassen keine verbrannte Erde!“ Den noch verbliebenen 7800 Bergleuten in der Region, wo einst 27 Bergwerke tätig waren, ruft er zu: „Weiterhin keine Endzeitstimmung aufkommen lassen!“

Norbert Maus eröffnet mit „Kumpel“ Frank Hoffmann die 70. Ruhrfestspiele

Ruhrfestspielintendant Frank Hoffmann tritt ans Rednerpult. Norbert Maus führt Regie: „Auf drei sagen wir beide den Satz ‚Die 70. Ruhrfestspiele sind eröffnet‘.“ Und er zählt. Doch Regisseur Hoffmann patzt und spricht den Satz bereits vor drei. Frank Hoffmann dazu schmunzelnd: „Man sieht es

Ruhrfestspielintendant Dr. Frank "Kumpel" Hoffmann und Norbert Maus eröffnen die 70. Ruhrfestspiele.

Ruhrfestspielintendant Dr. Frank „Kumpel“ Hoffmann und Norbert Maus eröffnen die 70. Ruhrfestspiele.

ist sehr schwer für einen Regisseur auf einen anderen Regisseur im richtigen Moment das Richtige nachzusprechen.“

Hoffmann findet die Solidarität, der er jedes Jahr in Recklinghausen begegne, unglaublich toll. „Doch der Begriff“, beklagt Hoffmann, „ist irgendwie so ein bisschen mehr und mehr in Vergessenheit geraten.“ Heute morgen sei er in Gladbeck gewesen, wo ein Film von verd.i TV gelaufen sei. Junge Leute wurden für diesen Film zum Begriff Solidarität befragt. Ein paar hätten es gewusst. Einer habe gesagt: „Weiß nicht, habe ich nie gehört.“ Einer habe den Begriff so erklärt: „Das ist für mich Kompromiss .“ Frank Hoffmann fand das Unwissen furchtbar. Wir lebten in einer Zeit in der es normal geworden sei, „dass wir nur an uns denken.“ Eine Doktrin des Ich sei heutzutage anzutreffen. Er ist dem DGB deshalb dankbar, das Thema Solidarität zum Motto des diesjährigen 1. Mai gemacht zu haben.

Dr. Frank Hoffmann zum diesjährigen Motto der Ruhrfestspiele „Mare Nostrum?“

Die Literatur des Mittelmeerraumes, informiert der Intendant, stehe im Mittelpunkt des Festivals. Aus dieser Region komme ein Großteil unserer Kultur und unserer Werte. Erstmalig kommen mit Houcine Abassi, Generalsekretär des Gewerkschafts-Zentralverbandes, und Widet Bouchamaoui,

Frank Hoffmann zum diesjährigen Programm.

Frank Hoffmann zum diesjährigen Programm.

Präsidentin des Arbeitgeberverbandes aus Tunesien, Friedensnobelpreisträger (am 23. Mai um 18 Uhr) zu den Ruhrfestspielen.

Kunst und Kultur, meint der Ruhrfestspielintendant, ist der beste Schutz gegen Rassismus. Frank Hoffmann freut sich mitteilen zu dürfen, dass man

Gruppenbild zum Abschluss des Eröffnungszermoniells.

Gruppenbild zum Abschluss des Eröffnungszermoniells.

1200 Karten für Menschen aus der Region reserviert hat, die sich ein Ticket nicht leisten können. Zusätzlich gibt es 400 Karten für Flüchtlinge. Die Flüchtlinge aber zu instrumentalisieren, in Bühnenstücke einzubauen – wie es an bestimmten Theater getan worden sei – zur „eigenen Glorie“, das findet Hoffmann „ganz schrecklich“. „Zu uns kommen sie als Freunde.“

Mit einem herzlichen „Glückauf!“ rief Frank Hoffmann die Menschen auf: „Kommen Sie zahlreich!“

2002-02-17 23.56.02Unter dem Motto „Mittelmeer – Mare Nostrum?“ werden ab Dienstag bis zum 19. Juni mehr als 100 Produktionen in über 300 Vorstellungen gezeigt. Die Themen reichen von der Antike bis zur aktuellen Flüchtlingskrise. Als erste Premiere wird am Dienstag Carlo Goldonis „Diener zweier Herren“ gespielt.

2002-02-18 00.18.03Nach Angaben der Stimberg Zeitung drängten sich am Sonntag etwa 80 000 Menschen auf dem Grünen Hügel beim Großen Kulturvolksfest rundum das Ruhrfestspielhaus.

2002-02-18 00.08.05Mehr zu den diesjährigen Ruhrfestspielen hier.

 

Die Ruhrfestspiele Recklinghausen 2014 auf 1.Mai-Kundgebung eröffnet – Glück auf!

Ruhrfestspiele 2014 Die Ruhrfestspiele 2014 sind feierlich eröffnet. Es ist ein langjähriger, guter und auch bewährter Brauch, dass die Eröffnung auf die Maikundgebung folgt.

Der 1.Mai-Umzug in Recklinghausen führt stets von seinem Ausgangspunkt im Zentrum der Stadt bis vor das Ruhrfestspielhaus..

BildVornweg läuft eine Abordnung der Grubenwehr. Die Wehrleute in strahlendem Orange tragen ein Transparent mit der Aufschrift „1. Mai 2014 Gute Arbeit. Soziales Europa.“ voran. Hinter ihnen laufen im Aufzug viele Bürgerinnen und Bürger aus Recklinghausen, sowie Gewerkschafter der IGBCE und anderer DGB-Gewerkschaften. Im heran nahenden Pulk neben ihnen zudem Mitglieder verschiedener Parteien: Von der SPD, DIE LINKE, der MPLD und der DKP. Zu erkennen an ihren jeweiligen Plakaten und Transparenten.

Entgegen dem Wetterbericht, der eher nicht so gute Aussichten in petto gehabt hatte, setzt sich nun auch die Sonne durch. Die zahlreichen, schon vor dem Eintreffen des 1.Mai-Aufzuges auf den grünen Hügel des Stadtparks in Recklinghausen gekommenen Menschen vermischen sich zu einer ansehnlichen Masse von Kundgebungsteilnehmern.

DGB-Kreisvorstandsvorsitzender Volker Nicolai begrüßt die Kundgebungsteilnehmer

Begrüßt werden sie alle Minuten später durch den Vorsitzenden des DGB-Kreisvorstandes Recklinghausen, Volker Nicolai.

Nicolai spricht über die Würde des Menschen, wandte sich gegen die Aushebelung von Rechten seitens bestimmter Arbeitgeber und geißelt, dass Betriebsräte zuweilen bekämpft und sogar aus Betrieben gedrängt werden.

Den nun – wenn auch mit Ausnahmen – kommenden Mindestlohn bezeichnet er als einen Fortschritt, den die Gewerkschaften erkämpft hätten. Der DGB-Kreisvorsitzende begrüßt herzlich die Gäste: Bürgermeister Wolfgang Pantförder, den Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft der RAG-Betriebsräte, Norbert Maus, anwesende Volksvertreter, Landrat Cay Süberkrüb sowie last but not least den Hauptredner der diesjährigen Mai-Kundgebung, den früheren langjährigen Vorsitzenden der IG BAU, Klaus Wiesehügel.

Letzter wird allerseits herzlich beglückwünscht: Das SPD-Mitglied hat Geburtstag.

Bürgermeister Wolfgang Pantförder nennt die Ruhrfestspiele „kommunikativ und bereichernd“

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Der scheidende Bürgermeister von Recklinghausen, Wolfgang Pantförder, bei seiner Ansprache

Bürgermeister Wolfgang Pantförder (CDU) – er wird im nächsten Festspieljahr nicht mehr die Geschicke der Stadt Recklinghausen leiten – unterstreicht wie schon so oft zuvor die Bedeutung der Ruhrfestspiele für die Stadt. Das Stadtoberhaupt lobt zudem die kontinuierliche Qualität der Aufführungen und hebt hervor, dass das Programm für Viele etwas biete. Indem nicht nur Hochpolitisches auf die Bühne gebracht würde, sondern auch Programm, das Entspannung für Viele vom anstrengenden Alltag möglich mache. Etwas eben, das nicht hochtrabend daherkomme, was aber nicht bedeute in irgendeiner Weise niveaulos zu sein. Die Ruhrfestspiele nennt Pantförder „kommunikativ und bereichernd“.

Pantförder bezeichnet die Ruhrfestspiele Recklinghausen als das größte Festival dieser Art in Deutschland. Zugleich sei es ebenfalls das größte Theaterfestival Europas. Und darüber hinaus auch das wohl einzigartigste auf diesem Kontinent.

Bezüglich des Tages der Arbeit weist der Bürgermeister daraufhin, wie wichtig es sei, Verantwortung besonders auch für die künftigen Arbeitnehmer zu übernehmen. Schließlich wüchsen die Anforderungen an diese ständig.  Pantförder gratuliert Klaus Wiesehügel zum Geburtstag.

Klaus Wiesehügel: „Wenn man selbst aktiv wird, dann ist viel mehr drin als nur eben der Mindestlohn. Aber gewinnen kann man nur wenn Viele mitmachen und man ’ne starke Gewerkschaft im Rücken hat“

BildGewerkschafter Klaus Wiesehügel, Hauptredner der 1.Mai-Kundgebung von Recklinghausen

Hauptredner Klaus Wiesehügel bedankt sich freundlich für die Geburtstagsgrüße und dafür „an diesem Tage vor so vielen Leuten reden zu dürfen“. An seinem Wiegenfeste habe er immer reichlich Gratulanten. Kein Wunder an diesem Datum.

Glückwünsche wolle er an diesem Tag an die Mitarbeiter im öffentlichen Dienst überbringen, die „Mut bewiesen haben, die durchgezogen haben, bei den Tarifverhandlungen.“ Sie hätten, wie er findet „ein gutes Tarifergebnis erreichen konnten“.

Die Gebäudereinigerinnen hätten vor einigen Jahren trotz Ängsten begriffen, „dass man sich organisieren muss, um etwas zu erreichen. Und so haben sie sie für Tariflöhne gestreikt. Wiesehügel: „Nur deshalb haben sie es geschafft ihre Entlohnung deutlich zu verbessern“. Ein Beispiel für andere: „Wenn man selbst aktiv wird, dann ist viel mehr drin als nur eben der Mindestlohn. Aber gewinnen kann man nur wenn Viele mitmachen und man ’ne starke Gewerkschaft im Rücken hat“.

Klaus Wiesehügel meint, „es geht nicht nur um mehr Gewinn“. Gemeint sind bestimmte Unternehmen, die unfaire Arbeitsbedingungen schaffen. „Es geht ihnen auch immer um Macht, um unsere Schwächung, unsere Spaltung. Werkverträge, Leiharbeit, Minijobs, Scheinselbsständigkeit, Arbeit auf Abruf, Entsendung, sachgrundlose Befristung … da gibt es mittlererweile ganz viele Namen. (…) Die Arbeitgeber wollen damit den Schutz durch Sozialgesetze und Arbeitsrecht umgehen. Sie wollen Tarifverträge aushebeln und sie wollen uns spalten. Je mehr Untergruppen entstehen je besser für sie. Teile und herrsche – das wussten schon die alten Römer. Und wenn jeder das Risiko des Absturzes vor Augen hat, macht das eben Vielen auch Angst. Und oft macht Angst stumm. Augen zu, Maul halten und durch, so hätten sie uns gerne!“.

Dieser deutsche Arbeitgeberwerkzeugkasten sei nach nunmehr 30 Jahren „prall gefüllt“. Nun werde er gar überhaupt in nahezu der ganzen EU zum Nachahmen angeboten.

Die aktuellen Meldungen über den „niedrigsten Arbeistlosenstand seit Jahren“ unterzieht Wiesehügel einer kritischen Überprüfung. Die Anzahl der Arbeitsstunden sei nämlich überhaupt nicht gewachsen. Dafür arbeite nun ein Viertel der Beschäftigten für einen Hungerlohn. „Nun haben wir Millionen Menschen die trotz Vollzeitarbeit nicht von ihrem Lohn leben können“, so Klaus Wiesehügel: „Die verfügbare Arbeit wurde nur umverteilt. Von anständig entlohnt zu schlecht bezahlt. Von sicheren Arbeitsplätzen zu sicheren Jobs.“ Damit muss endlich schlussgemacht werden, forderte der Gewerkschafter.

Im Mindestlohn sieht er eine „Angstbremse“, unter die niemand mehr fallen könne. Vormachen wolle er niemanden, dass ein Stundenlohn von 8,50 Euro schon ein wirklich guter Lohn sei. Dann eine sachte Kritik auch an seiner Partei: „Der Entwurf der Regierung enthält für mein Geschmack noch zu viele Ausnahmen.“

Gewisse Betriebe würden dann gewiss Langzeitarbeitslose oder Jugendliche mit befristeten Verträgen einstellen. Diese Ausnahmen führen dazu, dass es in einigen Betrieben noch schlimmer wird. Wiesehügel: „Diese Ausnahmen müssen verschwinden!“

Zugleich mahnt der Gewerkschafter eine effektive Kontrolle der Einhaltung des Mindestlohnes an. „Die zuständige Behörde heißt ‚Finanzkontrolle Schwarzarbeit‘ und ist beim Zoll“, sei aber „total unterbesetzt“.

Junge Menschen, so Wiesehügel weiter, fühlen sich verhöhnt. Sie möchten gerne eine Ausbildungstelle, bekommen aber keine. Dann wird ihnen auch noch im Rahmen der Mindestlohndiskussion angedichtet, „sei seien geil auf eine ungelernte Tätigkeit für 8,50 Euro und würden sich deswegen nicht ausbilden lassen. “ Wiesehügel nennt das „zynisch“. „So einen Unsinn, den habe ich selten gehört. Es gibt eben nach wie vor nicht genügend Ausbildungsplätze“.

Als besonders schlimm empfindet der Sozialdemokrat, dass junge Menschen aus anderen europäischen Ländern im Rahmen eines Jugendprogramms, das von noch Ursula von der Leyen in ihrer Funktion als Arbeitsministerin angeregt worden war, nach Deutschland geholt worden seien. Ohne dass es Ausbildungsplätze gibt. Nun gibt es kein Geld für Programme und für Deutschkurse. Stattdessen sind vieler dieser Menschen aus Spanien oder von anderso verschuldet. Und wieder nach Hause zurückgekehrt. Klaus Wiesehügel: „Wir müssen uns dann nicht wundern, dass unser Politikbild im Ausland nicht besonders als beliebt gilt“.

Gegen die Rente mit 63 laufen die Arbeitgeber Sturm.  Warum? Gewerkschafter Wiesehügel zitiert den uns aus vielen Talkshows zur Genüge bekannten Michael Hüther: „Wir haben die Rente 67 gegen den Willen der Mehrheit in der Bevölkerung durchgesetzt. Diese Beute dürfen wir nicht wieder hergeben.“

Hüther ist vom Institut der Deutschen Wirtschaft, gibt Klaus Wiesehügel zu bedenken: „Der muss so einen Quatsch reden, denn das will die Wirtschaft hören.“ Auch das geplante Freihhandelsabkommem TTIP spricht der an. Es läuft letztlich auf die Aufweichung von Arbeiterrechten und den Gesundheitsschutz hinaus. Die Gewerkschaften müssen da wachsam sein: „Da kommt was auf uns zu.“

Zum Schluss geht Wiesehügel noch auf die kommenden Wahlen zum Europäischen Parlament ein. „Dies“, entschuldigt sich der Sozialdemokrat beim CDU-Bürgermeister, „ist bis jetzt leicht rechtslastig. Wir brauchen ein starkes Europäisches Parlament, dass verstärkt wieder Interessen der Arbeitnehmer vertritt.

Um Mängel in der Infrastrukur des Landes zu beheben und neue Investitionen zu tätigen, muss, so der Redner, das nötige Geld dafür dort geholt werden, „wo es rumliegt“. Aber die Regierung habe sich gegen die Besteuerung der Reichen entschieden. Wiesehügel nennt das in Kombination mit Schuldenbremsen fatal.

Und Klaus Wiesehügel gibt zu bedenken: Wäre man früher so verfahren, „hätten wir kein Rhein-Herne-Kanal“ sowie Wasserleitungen und Abwassersysteme: „All das ist über Kredite finanziert“.

Betriebsratsvorsitzender Norbert Maus: Aus für Steinkohlebergbau ist falsch. Gravierende Folgen für die Region befürchtet

Nach dem  früheren IG-Bau-Chef tritt Betriebsratsvorsitzender Norbert Maus ans Mikro. Wie schon in den Jahren zuvor zählt er die Leistungen des Ruhrkohlebergbaues auf. Und kritisiert das Aus für den Steinkohleabbau im Jahre 2018 als Fehler. Tausende Arbeitsplätze gehen dann verloren. Auch die Lehrausbildung geht den Bach runter. Maus weis, das bleibt nicht ohne gravierende Folgen für Region: „Nach dem Schließen einer Zeche braucht es ungefähr zehn Jahre, bis dort Neues entstehen kann.“ Maus weigert sich das, was in dem Bereich geschieht als Strukturwandel zu bezeichnen. Nichtsdestotrotz, so versicherte der Arbeitnehmervertreter werde man als Bergleute diesen Prozess ordentlich zuendebringen, das gebiete die Bergmanssehre. Ein weiteres Mal erinnert Norbert Maus an die Aktion von 1946 „Kohle für Kunst – Kunst für Kohle“, die Recklinghausen das heute nicht mehr wegzudenkende Festival „Ruhrfestspiele“ gebracht habe.

Dr. Frank Hoffmann: Beim Sparen an der Kultur ist nichts zu gewinnen

Sein Nachfolger am Rednerpult, der Leiter der Ruhrfestspiele, Dr. Frank Hoffmann, zeigt sich solidarisch den Kohlekumpels. Für das Aus des Steinkohlebergbaus macht er „ideologische Gründe“ verantwortlich. Hoffmann dankte der Stadt Recklinghausen, den Menschen in der Region, sowie dem Stadtrat und den Aufsichtsrat der Ruhrfestspiele und nicht zuletzt dem scheidende Bürgermeister Wolfang Pantförder, „mit dem wir eine wunderbare Zusammenarbeit hier erlebt haben“. Wehmut schwingt in den Worten Hoffmanns in Bezug auf den Bürgermeister mit: „Ich fand das war ’ne schöne Zeit. Ich werd‘ sie nicht vergessen.“

Das Motto der diesjährigen Ruhrfestspiele ist „Inselreiche“. Man geht nun auf Entdeckungsreise, so Hoffmann. „Zu den Inseln.“ Inseln heißt für den Intendanten immer wieder auch das Einzelne, auch das Kleine, das was oft vergessen wird, in den Blick zu nehmen. Nicht immer nur das Globale, das Vernetzte, da wo die Menschen sind. Wo ihr Glück aber auch ihre Einsamkeit, ihre Verzweifelung ist.“ Hoffmann nennt das einen unglaublich wichtigen Ansatz für diese Ruhrfestspiele 2014.

Nicht verstehen kann Hoffmann, dass man immer wieder denke beim Sparen an der Kultur könne man etwas gewinnen. „Prozentual wird wenig Geld für Kultur ausgegeben“ , sagt Frank Hoffmann. Recklinghausen lobt er, weil es sich gegen das Sparen an der Kultur stemme. Letzteres nennt Hoffmann einen Reichtum, eine Kraft, mit der wir in die Zukunft investieren.

„Glück auf!“ für die Ruhrfestspiele 2014

BildDer Leiter der Ruhrfestspiele, Dr. Frank Hoffmann (links) und Betriebsratsvorsitzender Norbert Maus (rechts) eröffnen das diesejährige Festival

Eine weitere gute Tradition neben dem Abhalten der 1.Mai-Kundgebung vor dem Festspielhaus ist es, dass Norbert Maus und Dr. Frank Hoffmann gemeinsam der Ruhrfestspiele eröffnen. Nun heißt es wieder einmal für die Kultur auf dem grünen Hügel der Stadt Recklinghausen: Glück auf! Und zwar für sechs Wochen.

BildAuch an großen Tieren fehlte es nicht in Recklinghausen …

Im Anschluss an die Eröffnung begann das Große Kulturvolksfest mit hundertausenden Besuchern.

BildSchwindelerregend: Fassadenläufer bereicherten das Große Kulturvolksfest; Fotos: Claus-Dieter Stille

Ruhrfestspiele 2014 (via Claus-Dieter Stille/Neue Online Presse)