Can Dündar: „Schreiben ist mein Hafen, mein Überleben“ – Diese Woche war er zu Gast im Dortmunder Rathaus

Die Organisatoren und Beteiligten des Abends und Can Dünda in der Mitte. Christian Mihr (links), Klaus Wegener (vierter von links), Wolfram Kuschke (2. von rechts vorn), Birgit Jörder (3. von rechts hinten) und Moderator Kay Bandermann (rechts außen, hintem). Fotos: C. Stille

„Schreiben ist mein Hafen, mein Überleben. Wenn ich Stift und Papier habe, ist alles möglich.Ich fühle mich dann sicher.“ Der dies bekennt, ist der türkische Journalist und Schriftsteller Can Dündar. Der ehemalige Chefredakteur einer der ältesten Zeitungen in der Türkischen Republik, Cumhuriyet, lebt seit einiger Zeit in Deutschland im Exil. In Berlin leitet er als Chefredakteur das Webradio ÖZGÜRÜZ (dt. Wir sind frei), das vom gemeinnützigen Recherchezentrum CORRECTIV betrieben wird.

Sein Ruf ist laut und vernehmlich. Er gibt sich nicht geschlagen, sondern macht das weiter, was sein Job ist: Er spricht, schreibt und beobachtet.

Er tut das, was Journalisten normalerweise tun. Dr. Can Dündar macht seinen Job. Mit dem Unterschied, dass er dafür angeklagt ist. Seit einem halben Jahr ist auch seine Frau Dilek in Berlin und somit wiedervereint mit ihrem Ehemann. Da der türkische Staat ihr Pass und Ausreise verweigerte verließ sie ihr Heimatland auf illegalem Wege.

Den OrganisatorInnen Presseverein Ruhr, Stiftung für Türkeistudien, Reporter ohne Grenzen) in Kooperation mit der Auslandsgesellschaft Dortmund war es zu verdanken, dass es gelang, Can Dündar zusammen mit seiner Frau zu einer Veranstaltung in die Ruhrgebietsmetropole einzuladen. Für mich ein erfreuliches Wiedersehen mit Dündar. Zuletzt hatte ich ihn bei der Whistleblower-Preisverleihung der IALANA u.a. an den türkischen Journalisten 2017 in Kassel (siehe Beitragsbild) getroffen.

Das Ehepaar Dündar besuchte am Vortag am WLT Castrop-Rauxel das Theaterstück „Verräter“, das nach dem Buch von Can Dündar entstanden ist

Am Vortag besuchte das Ehepaar Dündar eine Aufführung des Theaterstücks „Verräter“, basierend auf Can Dündars gleichnamigem Buch (erschienen 2017), am Westfälischen Landestheater (WLT) Castrop-Rauxel. Einen Bericht der WDR-Lokalzeit Dortmund dazu finden Sie hier.

Bürgermeisterin Birgit Jörder erinnerte an den Artikel 19 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte

Bürgermeisterin Birgit Jörder, begrüßte mit Freude das Ehepaar Dündar sowie das äußerst zahlreich erschienene Publikum, unter dem sich auch Landespolitiker befanden. Jörder bedauerte, dass die Notwendigkeit bestanden habe, dass das Rathaus so massiv habe geschützt werden müsse wie eigentlich nie zuvor. Der Hintergrund: Can Dündar wird bedroht und steht deshalb ständig unter Polizeischutz.

Die Bürgermeisterin erinnerte an den Artikel 19 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen.

Artikel 19

Jeder hat das Recht auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung; dieses Recht schließt die Freiheit ein, Meinungen ungehindert anzuhängen sowie über Medien jeder Art und ohne Rücksicht auf Grenzen Informationen und Gedankengut zu suchen, zu empfangen und zu verbreiten.

Jörder: „Wer dieses hohe gute Meinungs- und Pressefreiheit nicht akzeptiert, ist ein Feind der Demokratie.“ Aktuell, so die Bürgermeisterin sei die Pressefreiheit in der Türkei „stark eingeschränkt“. Demokratie brauche Journalismus, eine Berichterstattung, die recherchiert, prüft, analysiert sowie Reporter, die LeserInnen, ZuschauerInnen, ein Bild der Welt vermitteln.

Zuvor hatte Martina Plum von der Auslandsgesellschaft die Gäste eingeladen, sich mittels eines von SchauspielerInnen des WLT aufgeführten kurzen Ausschnitts des Theaterstücks „Verräter“ einen Eindruck von der Inszenierung des WLT zu verschaffen.

Im Anschluss unterhielten sich WDR-Journalist Kay Bandermann (djv) und Christian Mihr (Geschäftsführer der deutschen Sektion von Reporter ohne Grenzen), der aus Berlin angereist war, mit dem Schriftsteller und Journalisten Can Dündar. Die hervorragende Übersetzung hatte Bora Sahin übernommen.

Klaus Wegener: Die Demokratie wird eingehen, wenn sie die Luft von Meinungs- und Pressefreiheit nicht hat.“

Klaus Wegener.

Der Präsident der Auslandsgesellschaft, Klaus Wegener, sagte von Martina Plum zur Wichtigkeit von Presse- und Meinungsfreiheit befragt: „Ich finde es schon einmal bedenklich, dass diese Frage überhaupt gestellt werden muss. Es ist wie mit der Luft. Wenn ich keine Luft zum Atmen habe, dann gehe ich ein. Die Demokratie wird eingehen, wenn sie die Luft von Meinungs- und Pressefreiheit nicht hat.“

Kultureller Austausch und Städtepartnerschaften mit der Türkei kann einiges bewirken, meinte Wolfram Kuschke, Staatsminister a.D.

Wolfram Kuschke, befragt von Martina Plum.

Staatsminister a.D. Wolfram Kuschke (Vorsitzender des Kuratoriums der Auslandsgesellschaft) sagte zu den Möglichkeiten in Sachen deutsch-türkische Beziehungen: Wenn auch eine Mitgliedschaft der Türkei in der Europäischen Union in weite Ferne gerückt sei, könne doch seitens der EU sehr viel im kulturellen Austausch und im humanitären Bereich getan und angeboten werden. Kuschke setzt diesbezüglich auf die kommende EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2020. Auch die deutsch-türkischen Städtepartnerschaften könnten über das Zusammenkommen von Menschen gewiss einiges bewirken.

Can Dündar: Das Theaterstück „Verräter“ „hat mich sehr bewegt“

Kay Bandermann wollte von den Dündars wissen, wie sie das einen Tag zuvor gesehene Theaterstück am WLT empfunden hätten – immerhin stellt es ja einen Teil des Lebens des Ehepaars Dündar dar.

Nachdem sich Can Dündar herzlich für die Einladung nach Dortmund bedankt hatte, sagte er dazu: „Versetzen Sie sich mal in meine Lage. Da ist jemand auf der Bühne und spielt Sie. Diese Ehre wird Journalisten normalerweise erst zuteil, nachdem sie gestorben sind. Es hat mich sehr bewegt mich noch zu meinen Lebzeiten auf der Bühne zu erleben. Man ist sich da auch ein wenig selber fremd. Ich muss gestehen, meine Frau hat gestern auch ein wenig geweint … über sich selber.“

Sein Buch „Verrat“ betrachtet Can Dündar als Erbe für seinen Sohn

Dündar hat das Buch auch für seinen Sohn geschrieben. Eigentlich, so Dündar, schreibe man ja seine Memoiren erst im fortgeschrittenen Alter. Aber habe sich entschieden es sofort zu machen: „Denn in der Türkei haben die Journalisten nicht selber in der Hand wie lange sie leben.“ Das Buch sei sozusagen ein Erbe an seinen Sohn. Dem Landestheater dankte der Journalist sehr: sie hätten ihm ein Wunsch erfüllt.

Can Dündar im goldenen Käfig, aus welchem ihn zum Schluss des Stückes seine weitsichtige Frau an der Hand aus dem Käfig holt

Das Theaterstück (Quelle: WLT/You Tube) spielt in einem goldenen Käfig, spoilerte Dündar, der für ihn sein Exil symbolisiere. „Bis vor kurzer Zeit saß ich allein in diesem goldenen Käfig,

meine Frau in der Türkei. Als sie gestern das Stück mit mir angeschaut hat, was sie letztendlich mit ihr auch in diesem goldenen Käfig.“ Wenn er das Stückende verraten dürfe: „Sie ist nämlich diejenige, die weitsichtig ist, mich an der Hand hält und aus dem Käfig holt.“

Dündar empfindet sich als Teil einer großen Familie der Exiljournalisten

Zu seinem Leben im Berliner Exil sagte Can Dündar: „Ich lese Stefan Zweig und fühle dadurch, dass ich nicht allein bin. Ich empfinde mich als Teil einer großen Familie der Exiljournalisten. Und es gibt auch zahlreiche Journalisten die in den Gefängnissen sind und deren Familien auch darunter leiden. Dazu zählt Dostojewski wie auch Cervantes. Gerade wenn Sie als Journalisten in der Türkei arbeiten ist es auch ein Teil Ihres Berufes, ins Exil zu gehen, angegriffen zu werden, Attentate zu erleiden oder ins Gefängnis zu wandern.“

Schicksal vieler türkischer Journalisten: Vom Studium in den Beruf und von da ins Gefängnis

Dündar beschrieb den Werdegang eines türkischen Journalisten so: „Sie studieren, machen dann ihren Abschluss, fangen als Journalist und irgendwann landen Sie im Gefängnis. Deswegen sind wir psychisch darauf vorbereitet.“

Kämpfen dafür, dass die Menschen nicht mehr im Exil sterben müssen

Und Can Dündar erinnerte an das eingangs des Stückausschnitts gespielten Liedes: „Der Dichter dieses Liedes (Ahmet Kaya; C.S.) ist im Ausland, in Paris im Exil gestorben. Der wichtigste Dichter (Nazim Hikmet; C.S.) der Türkei ist in Moskau im Exil gestorben und der große und wichtigste Regisseur (Yilmaz Güney; C.S.) der Türkei ist in Paris gestorben. Und das wissen wir. Und deshalb kämpfen wir, dass die Menschen nicht mehr im Exil sterben müssen.“

Exil: Ein bisschen aus dem Heimatland gerissen, aber geistig noch dort

Welche Themen Can Dündar derzeit beschäftigen wollte Moderator Kay Bandermann wissen – auch mit Blick auf die Türkei. Aus dem Land werde man durch das Exil schon ein bisschen aus dem Heimatland gerissen, sagte Dündar: „Aber geistig sind Sie immer noch da. Auch emotional ist das Exil keine Unterbrechung. Emotional sind Sie auch immer noch in Ihrer Heimat.“ Das Exil verstärke sogar die emotionale Bindung an die Heimat.

Informieren, gegen Vorbehalte auf beiden Seiten kämpfen

Mittlerweile verfolge Dündar allerdings die Ereignisse in Deutschland und Europa mehr als früher.

Dündar sieht angesichts Deutschlands, wo die meisten Menschen mit türkischen Migrationshintergrund in Europa lebten, zwei Aufgaben. Zum einen wolle der aktuellen Meldungen aus Deutschland in die Türkei bringen und zum anderen, dass was in der Türkei passiert in Europa publik zu machen.

Leider, so Dündar, seien auf beiden Seiten Vorbehalte in großer Anzahl vorhanden. Für Europa werde die Türkei immer mehr zu einem Außenseiter. Und in der Türkei schwinde die europäische Idee nach und nach. Er sei immer der Meinung gewesen, dass die Türkei Teil der europäischen Familie ist und er setze auch seinen Kampf dafür fort, dass es so bleibe.

Es gibt eine Türkei jenseits der Erdoğan-Türkei

Wenn man in Deutschland an die Türkei denke, denke man immer zuerst an Erdoğan weiß Can Dündar, aber unterstrich: „Es gibt aber auch eine Türkei jenseits von Erdoğan.“

Die Stimme dieser anderen Türkei kämpfe dafür, dass die Demokratie erhalten bleibt.

Warum Erdoğan einen neuen Krieg braucht

Dündar merkte an: „Ende 2013 lag die Popularität von Erdoğan in der Türkei bei zirka 70%. Heute ist die Popularität auf 40% gesunken.“

Darüber sei sich Erdogan durchaus im Klaren, deshalb sei er Teil des Krieges in Syrien geworden. Die Popularität erhöhte sich auf 50%. Danach sie wieder auf 40% gesunken. Dündar: „Und jetzt braucht er einen neuen Krieg. Und das ist in Libyen.“

Kontakt zur Türkei – aber mit Bedacht

Den meisten Kontakt in die Türkei, erzählte Can Dündar, habe er zu seinem Anwälten. Dort schiebe man alles auf ihn. Mehr als zehn Klagen seien dort gegen ihn angestrengt worden. Zu selten könne er leider seine einstigen Kollegen kontaktieren. Da übe er sich in Vorsicht, um sie nicht zu gefährden. Schließlich müsse er damit rechnen, dass die Telefone abgehört werden. Dündar sprach betreffs der dortigen Medien von „einem ganz besonderen Angstklima“, dass auf deren Vertreter laste. Rasch könne man wegen einem Artikel, einem Tweet – selbst wenn dieser nur weitergeleitet wurde – oder erst recht wegen einer Karikatur in den Knast wandern.

Dennoch setzten seine Kollegen ihre Arbeit dort beharrlich fort. Dündar: „Das türkische Grundgesetz lässt es zu, dass Sie an irgendeinem beliebigen Platz sich hinstellen und eine Rede halten.“ Das werde trotzdem gemacht, obwohl man damit rechnen müsse von der Polizei daran gehindert zu werden oder gar die Verhaftung drohe.

Dündar: „Das Volk kämpft seit zehn Jahren dafür, die Demokratie zu bewahren.“

Christian Mihr: Politisch beeinflusste Justiz

Christian Mihr, der für Reporter ohne Grenzen oft in der Türkei gewesen ist und dort Prozesse gegen Journalisten verfolgt hat, über die Anklagen: Das seien zumeist Prozesse, in denen Journalisten „hanebüchene Vorwürfe“ gemacht würden. Die sich ähnelten und wo es meist darum gehe Journalisten Terrorismusvorwürfe zu machen. Journalisten – so auch Can Dündar – hätten aber einfach nur ihre Arbeit gemacht. Oftmals glichen sich sogar die Anklageschriften quasi wie ein Ei dem anderen. Man erstelle sie offenbar mit Copy & Paste. „Das ist manchmal schon satirereif“, urteilte Mihr, denn sogar die selben Rechtschreibfehler träten in verschiedenen Anklageschriften auf.

Seit dem Putsch 2016 sei die Unabhängigkeit der türkischen Justiz vermehrt anzuzweifeln. Es finde erkennbar politische Einflussnahme statt. Mindestens ein Drittel aller Richter und Staatsanwälte des Landes, so Mihr, seien aussortiert und abgesetzt worden. Manche seien sogar selber die Gefängnisse geschickt worden, in welche sie einst selber verurteilte JournalistInnen wegen ihrer Arbeit gebracht hätten.

Deutscher Trojaner auf Handys türkischer JournalistInnen gefunden

Christian Mihr skandalisierte, dass die Münchener Firma FinnFischer Trojaner, die auf Handys aufgespielt werden können, in die Türkei exportieren konnten. Reporter ohne Grenzen habe Strafanzeige gegen das Unternehmen gestellt, „weil die Software eigentlich nicht in die Türkei hätte exportiert werden dürfen“. Diese Trojaner seien durch forensische Analysen auf Handys von türkischen JournalistInnen gefunden worden.

Can Dündar: Uns trennen nicht die Länder, sondern die Prinzipien

Can Dündar meinte, dieser Fall hätte ja auch umgekehrt passieren können.

Wenn er davon gesprochen habe, dass es neben der Erdoğan-Türkei auch noch eine andere Türkei gebe, sagte Dündar, so müsse umgekehrt auch davon gesprochen werden, dass auch anderes Deutschland gibt. Man könne deshalb auch keinen Unterschieden zwischen Deutschen und Türken machen.

Deutsche und Türken die für die Demokratie kämpften, setzten sich hier wie da für die Demokratie ein. Uns trennten nicht die Länder, sondern die Prinzipien.

Wenn wir es schafften – Türken und Deutsche – uns auf einer Plattform der gleichen Prinzipien aufzustellen, dann würden wir zum einen Nationalismus verhindern und die Demokratie stärken, war sich Dündar sicher.

Can Dündar skandalisierte deutsche Waffenexporte an nichtdemokratische Staaten

Scharf kritisierte Can Dündar, dass „Deutschland an nichtdemokratische Staaten Waffen“ verkaufe. Im eigenen Land möchte man Demokratie haben, aber an ein nichtdemokratisches Land verkaufe man Waffen. Die dort gegen Menschen gerichtet werden, die sich für Demokratie einsetzen. Die deutsche Regierung müsse sich diese Frage stellen.

Den Flüchtlingsdeal mit der Türkei nennt Dündar eine Schande

Zum Flüchtlingsabkommen mit der Türkei hatte Can Dündar eine deutliche Meinung: „Das Flüchtlingsabkommen ist eigentlich eine Schande. Durch dieses Abkommen hat es Erdoğan geschafft die Menschen, die Zuflucht in der Türkei gefunden haben, als ein Mittel gegen Europa, gegen Deutschland zu verwenden.“ Die Türkei halte Deutschland die Flüchtlinge vom Leibe im Gegenzug mache Europa das, was Erdoğan möchte. Leidtragende seien dann Journalisten in den Gefängnissen oder die syrischen Flüchtlinge.

Dündar: „Wenn wir für das Flüchtlingsproblem keine Lösung finden können, dann habe ich Angst, dass es weiter so sein wird.“

Er schränkte jedoch ein: Er kritisiere türkische Regierung auf allen Ebenen, aber sei trotzdem stolz darauf, dass die Türkei drei Millionen Flüchtlinge aufgenommen haben: „Wenn gegenüber diesen drei Millionen zehntausend Flüchtlinge in Österreich aufgenommen werden, stützt gleich die Regierung.“

Mauern werden Europa langfristig nicht vor auf uns zukommende Probleme schützen, ist sich Can Dündar sicher

Und merkte Dündar zu recht an: Es könne dem Weltfrieden nicht entgegenkommen, wenn es überall auf der Welt ein Flächenbrand gibt und in Europa einen Wohlstand.

„Die Mauern um Europa werden langfristig nicht vor den Problemen schützen, die auf Europa zukommen.“ Gemeinsam müssten andere Wege gesucht und gefunden werden.

Lob für deutsche Universitäten und eine Hoffnung: „Verräter“ wird in zwei Jahren in der Türkei aufgeführt

Dündar lobte, dass deutsche Universitäten türkischen Akademikern, die emigrieren mussten, Arbeitsmöglichkeiten ermöglicht haben.

Auch von gemeinsamen kulturellen deutsch-türkischen Aktivitäten zeigte sich Can Dündar begeistert. Er ist sogar so optimistisch, dass man das Theaterstück „Verräter“ in zwei Jahren wird in der Türkei aufführen können.

Dündar möchte wieder auf den Stuhl zurück, wo man sitze, wenn man Fragen stellt

Dündars Pläne: „Wen wir uns nächstes Jahr hier wiedersehen, hoffe ich, dass ich Sie deutsch anspreche.“ Seine Grenze zwischen dem Journalist und dem Aktivist sein schwinde immer mehr. Jahrelang sei er es gewohnt gewesen als Moderator auf einem Stuhl zu sitzen und Fragen zu stellen. Umgekehrt sei er nun zu demjenigen geworden, der Fragen beantworten müsse. Sein Ziel sei es ebenfalls, dass sich das wieder ändere und er die Fragen stelle könne.

Die Situation sei aber jetzt so, dass er eingreifen müsse. In dem Sinne: „Wenn es bei Ihnen zu Hause brennt, dann machen sie nicht Fotos, sondern löschen den Brand.

Zunächst wolle er und seiner MitstreiterInnen so weitermachen: Die Menschen, die im brennenden Haus sind retten. „Erst dann werde wir mit gutem Gewissen unsere Arbeit fortsetzen.

Dilek Dündar ist in Deutschland angekommen. Aber: „Sie haben eine schwierige Sprache“

Dilek Dündar hat die Werte, die sie und ihr Mann vertreten in Deutschland wiedergefunden. So sei es leicht gewesen hier anzukommen. Sie werde Deutsch lernen in den Kampf für die Demokratie in der Türkei unterstützen. Aber, gab sie zu: „Sie haben eine schwierige Sprache.“

Fragen aus dem Publikum

Ein Zuschauer wollte wissen, ob die Macht Erdoğans bröckele. Can Dündar antwortete mit einem Blick zurück auf die letzte Wahl in Istanbul. Da hatte er Bürgermeisterkandidat der oppositionellen CHP gewonnen und derjenige der Erdoğan-Partei AKP verloren. In der Türkei sage man: „Wer Istanbul verliert, verliert auch die Türkei.“

Wirtschaftlich befinde sich die Türkei in schwierigen Zeiten. Die Opposition könne, wenn sich Parteien verbänden, stärker geworden. Die AKP löse sich allmählich auf. Aus ihrer Mitte entstünden jetzt zwei neue Parteien. Dündar verlieh der Hoffnung Ausdruck, dass auch Deutschland diese Entwicklung erkenne.

Eine Journalistenkollegin wollte wissen wie Dündar im täglichen Leben mit AnhängerInnen von Erdoğan umgehe. Can Dündar: „Ich bin gegen Erdoğan, nicht gegen sie. Ich kann diese Menschen nicht dafür verurteilen, dass sie sich beeinflussen lassen – ich kann nur meine eigene Stimme umso lauter erheben. Ich glaube, dass wir alle eigentlich ähnliche Ziele haben. Nur sind sie einer Propaganda unterzogen worden. Sie denken anders als ich. Ich sehe sie nicht als Feinde.“

Als Dankeschön das Lieblingsgetränk

Am Ende der Veranstaltung gab es ein kleines Dankeschön: ein Lieblingsgetränk für Can Dündar. Auch Christian Mihr konnte ein geistiges Getränk (vielleicht damit Rückfahrt nach Berlin angenehmer sein würde?) als Geschenk entgegenehmen.

Leider hatte man für den Dolmetscher Bora Sahin, der seine Arbeit perfekt gemacht hatte, keines. Martina Plum versprach, sich entschuldigend, später noch etwas nachzureichen. Verdient hat sich der Mann das.

Beitragsbild: Can Dündar mit dem Autor dieser Zeilen vor der Whistleblower-Preisverleihung der IALANA u.a. an den türkischen Journalisten.

Gedenken am Volkstrauertag in Dortmund am Denkmal für die getöteten sowjetischen Kriegsgefangenen und die deutschen Weltkriegstoten

Vom deutschen Philosophen Immanuel Kant stammen die Worte: „Wer im Gedächtnis seiner Lieben lebt, der ist nicht tot, der ist nur fern. Tot ist nur, wer vergessen wird.“ Diese Worte sprechen Trost zu, aber ermahnen uns gleichzeitig dazu uns zu daran zu erinnern, was Schlimmes geschah – damit Derartiges nicht wieder geschieht. Etwa 200 DemokratInnen waren am Volkstrauertag an zwei Gedenkstätten gekommen, um dafür einzutreten.

Gedenken bei den deutschen Kriegsgräbern: Oberleutnant André Rosarius, Bürgermeisterin Birgit Jörder, Polizeipräsident Gregor Lange und Dr. Stefan Mühlhofer (Leiter des Stadtarchivs Dortmund. Fotos: C. Stille

Am Volkstrauertag steht das Gedenken vielerorts im Mittelpunkt. Auch in Dortmund wurde einmal mehr der Opfer von Gewalt, Terror, Vertreibung der beiden Weltkriege gedacht. Dieses Gedenken macht den Volkstrauertag zugleich zu einem Friedensmahntag.

Die zentrale Gedenkstunde der Stadt Dortmund fand abermals auf dem Hauptfriedhof statt.

Zunächst versammelten sich die zum Gedenken erschienenen Menschen – darunter viele SchülerInnen der Europaschule – am Mahnmal bei den deutschen Kriegsgräbern.

Bürgermeisterin Birgit Jörder postulierte: „Der Friede in Europa ist ein Schatz, den es zu pflegen und zu bewahren gilt; das bester Erbe, das wir künftigen Generationen vermachen können.“

In ihrer Ansprache sagte Bürgermeisterin Birgit Jörder, dass dieser stille Gedenktag zugleich ein Tag der Besinnung sei: „Wir halten inne und überlegen zugleich, was wir heute zu Frieden, Freiheit und Menschlichkeit beitragen können.“

Bürgermeisterin Birgit Jörder.

Angesichts der vielen Millionen Tote der vergangenen Weltkriege, der „monströsen Opferzahlen“, versage unser Vorstellungsvermögen.

Weiter mahnte sie an: „Auch wenn heute der Krieg fern zu sein scheint, muss dieser Tag weiterhin fester Bestandteil unserer Gedenkkultur sein. Auch, weil die Schrecken des Krieges Teil unserer Identität sind.“

An die Worte des französischen Präsidenten Macron zum Volkstrauertag vor einem Jahr erinnere sie gern. Er habe damals darauf hingewiesen, „dass unsere Jugend die Zukunft nur aufbauen kann, wenn sie die Vergangenheit kennt“.

Wir alle, strich Jörder heraus, seien aufgefordert mitzuhelfen, neues Blutvergießen zu verhindern und Versöhnungsprozesse voranzutreiben.

Eine zentrale Lehre unsere Geschichte sei, Verantwortung zu übernehmen.

Jörder gab zu bedenken: „Wir brauchen diesen Gedenktag auch deshalb, weil Bürgerkriege, militärische Auseinandersetzungen und die Taten politisch oder religiös Verblendeter immer stärker zunehmen.“

Die Kränze werden zum Ehrenmal für die deutschen Kriegstoten getragen.

Überdies benötigten wir den Volkstrauertag in einer Zeit in der aufkommender Nationalismus den Frieden in Europa bedrohe.

Des Weiteren zitierte Jörder den in diesem Jahr scheidenden EU-Kommissionspräsidenten Juncker, der bereits 2008 gesagt habe: „Wer an Europa zweifelt, wer an Europa verzweifelt, der sollte Soldatenfriedhöfe besuchen. Nirgendwo besser, nirgendwo eindringlicher ist zu spüren, was das europäische Gegeneinander am Schlimmsten bewirken kann.“

Jörder dazu: „Wie wahr!“

„Insofern muss“, davon zeigte sich Bürgermeisterin Jörder überzeugt, „dieser Gedenktag auch Anlass sein, die Beziehungen zu unseren europäischen Nachbarn im Geist der Versöhnung und der Partnerschaft wieder neu zu festigen.“

Die Bürgermeisterin postulierte: „Der Friede in Europa ist ein Schatz, den es zu pflegen und zu bewahren gilt; das bester Erbe, das wir künftigen Generationen vermachen können.“

Herzlichen Dank stattete die Bürgermeisterin dem Volksbund Deutscher Kriegsgräberfürsorge für die Organisation und Planung dieser Gedenkveranstaltung und allen Mitwirkenden ab.

Sie und alle zum Gedenken erschienenen Menschen hätten an diesem Volkstrauertag des Jahres 2019 ein Zeichen gesetzt, „dass Freundschaft zwischen den Völkern stärker ist als der kriegerische Wahn und geben Hoffnung, dass wir auch weiterhin in Frieden und Freiheit miteinander leben können“.

Polizeipräsident Gregor Lange zum Artikel 1 des Grundgesetzes: „Unsere Verfassung schützt die Würde aller Menschen. Unabhängig von Herkunft, Religion oder Hautfarbe“

Im Anschluss an Bürgermeisterin Jörder fragte sich Gregor Lange, der sich als einen „zunehmend nachdenklicher werdenden Polizeipräsidenten“ bezeichnete, in seinem Grußwort, ob die weltweit rund 65 Millionen vom faschistischen NS-Regime zu verantwortenden Kriegstoten als Schrecken wirklich ausgereicht hätten, „um die deutsche Gesellschaft gegen Faschismus, Hass und Ausgrenzung zu immunisieren“.

Polizeipräsident Gregor Lange.

Der Dortmunder Polizeipräsident erinnerte an die Väter und die Mütter des Grundgesetzes, die mit dessen Artikel 1 ein kostbares Fundament in unsere freiheitliche Verfassung gelegt hätten: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“, heiße es da. „Nicht etwa die Würde des Deutschen, nicht die Würde des Christen und auch nicht die Würde angeblicher Patrioten für das Abendland.“ Lange: „Unsere Verfassung schützt die Würde aller Menschen. Unabhängig von Herkunft, Religion oder Hautfarbe.“

In diesem Artikel liege der Schlüssel für 70 Jahre innerer Frieden in Deutschland.

Allerdings, gab Gregor Lange zu bedenken, werde dieses Wertefundament in der Zukunft nur fortbestehen, „wenn es von überzeugten Demokratinnen und Demokraten aktiv vertreten und gelebt und vor allen Dingen immer wieder gegen die Angriffe ihrer Feinde selbstbewusst verteidigt wird“.

Aktuelle Entwicklungen in unserem Land forderten gerade jetzt, „ein beherztes Engagement von Staat und Gesellschaft“.

Lange: „Wie müssen sich Menschen fühlen, die vor Krieg und Terror aus ihren Heimatländern zu uns geflohen sind und dann hier mit Hass, Hetze, Gewalt und Ausgrenzung konfrontiert werden?“

Und welche Gefühle bewegen wohl Menschen jüdischen Glaubens, die anders als viele ihrer Angehörigen und Freunde den Holocaust überlebt haben und heute auf offener Straße antisemitischer Hetze und Gewalt ausgesetzt sind?“

Ebenfalls müsse man sich fragen, was davon zu halten sei, „wenn rechtspopulistische Parteien selbst nach dem brutalen Anschlag auf eine Synagoge und nach der Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten durch einen Rechtsextremisten immer noch Zuspruch bei Teilen der Bevölkerung bekommen.“

Auch müsse man darüber nachdenken, wie es wohl VertreterInnen unseres demokratischen Rechtsstaates gehe, „wenn sie im Netz bedroht oder auf offener Straße in SA-Manier angegriffen werden“.

Polizeipräsident Gregor Lange versprach: „Die Polizei Dortmund ist fest entschlossen, alle rechtlichen Instrumente, die ihr der wehrhafte demokratische Rechtsstaat zur Verfügung stellt auszuschöpfen, um die Bevölkerung vor aggressiv-kämpferischen Verfassungsfeinden zu schützen.“ Geistigen Brandstiftern, so Lange, müsse das Handwerk gelegt werden.

Dabei setze er „auf kluge Staatsanwälte und Richter, die unseren Gesetzen die notwendige Durchschlagskraft geben können“.

Letztlich frage sich Lange noch, wie schwer manche Mutter und mancher Vater sicherlich getroffen sein müssten, deren Söhne oder Töchter in NS-Gedankengut abdriften und sich einer rechtsextremistischen Szene anschlössen. Mit den Worten (nach einer chinesischen Weisheit) des englischen Schriftstellers Charles Reade (1814-1884) schloss Lange sein Grußwort:

„Achte auf deine Gedanken, denn sie werden Worte.
Achte auf deine Worte, denn sie werden Handlungen.
Achte auf deine Handlungen, denn sie werden Gewohnheit.
Achte auf deine Gewohnheiten, denn sie werden dein Charakter.
Achte auf deinen Charakter, denn er wird dein Schicksal.“

Bürgermeisterin Birgit Jörder, Dr. Stefan Mühlhofer (Leiter des Stadtarchivs) und Oberstleutnant Oberstleutnant André Rosarius (Bundeswehr) legten am Mahnmal bei den deutschen Kriegsgräbern Blumen nieder. Es wurde eine Schweigeminute eingelegt.

Neonazis und Mitglieder der Partei Die Rechte – die bis dahin durch einen Pulk von SchülerInnen und ein auf dem Boden liegendes Dortmund-bunt-statt-braun-Transparent auf Abstand gehalten worden waren, legten Blumen und Kränze am Mahnmal ab, offenbar um ihrem „Heldengedenken“ zu frönen. Das empörte viele Teilnehmer des Gedenkens.

Friedensmarsch zum Mahnmal für die getöteten sowjetischen Kriegsgefangenen

Die anwesenden DemokratInnen machten sich auf zu ihren „Friedensmarsch“.

Das Ehrenmal für die toten sowjetischen Kriegsgefangenen am Rennweg in Dortmund. Davor Schüerinnen der Europaschule Dortmund.

Dieser führte zum Friedhof am Rennweg vor das Mahnmal für die in Dortmund zu Tode gekommenen sowjetischen Kriegsgefangenen.

Dort stellten SchülerInnen der Europaschule das Projekt „Namensziegel und der digitale Parcours“, „Gegen das Vergessen“, welcher in Zusammenarbeit mit dem Volksbund Deutscher Kriegsgräberfürsorge in Verantwortung von Verena Effgen erarbeitet wurde. Gefördert wurde es durch das Bundesprogramm „OPENION – Bildung für eine starke Demokratie“. Die BIPARCOURS-App, kündigte eine Schülerin an, könne ab sofort im App Store oder bei Google Play kostenlos heruntergeladen werden. (Siehe unter diesem Artikel den QR-Code).

Verena Effgen begrüßte die Gäste am sowjetischen Ehrenmal und freute sich, dass eine so große Zahl von Menschen gekommen waren.
Viele waren zum Gedenken gekommen.
Namensziegel und Friedensbänder.

Zuvor hatten die Teilnehmer des Friedensmarsches die Leinen, welche den Weg zum Mahnmal säumten, passiert, an denen 5.095 Namensbänder (Nordstadtblogger berichtete) zum Gedenken an in Dortmund zu Tode gekommenen sowjetische Kriegsgefangene befestigt waren. Zu sehen waren auch einige Personalkarten der einstigen Kriegsgefangenen und die Namensziegel. Sogar ein sechs Monate altes Baby ist in Dortmund zu Tode gekommen. Die Bänder waren in der VHS Dortmund, an der Europaschule Dortmund sowie von Gästen des Evangelischen Kirchentages erstellt worden. Am Ende des Gedenkens wurde noch eine Anzahl weiterer Friedensbänder an die Leinen geknüpft. Die Gelegenheit dazu ergriffen auch Bürgermeisterin Birgit Jörder, Oberstleutnant André Rosarius und Dr. Stefan Mühlhofer.

Die Personalkarte eines sowjetischen Kriegsgefangenen.
Den Weg säumten die Friedensbänder zum Gedenken an die in Dortmund verstorbenen sowjetischen Kriegsgefangenen.

Die musikalischen Beiträge anlässlich diesen Gedenkens, „Winter“ und „war girl“, interpretierten Finn und Jonas Ulrich. Marina Kalmykowa sang zur Gitarre „’S brennt“ von Mordechaj Gebirtig.

Marina Kalmykowa singt zur Gitarre.
Finn und Jonas Ulrich mit ihrem Musikbeitrag.

Gemeinsam mit Schülerinnen legte Bürgermeisterin Birgit Jörder ein Blumengebinde vor den Mahnmal für die getöteten sowjetischen Kriegsgefangenen ab. Auch hier wurde der Toten mit einer Schweigeminute gedacht.

Bürgermeisterin Birgit Jörder (Mitte) ehrt mit den Schülerinnen die toten sowjetischen Kriegsgefangenen.

Etwa 200 DemokratInnen nahmen jeweils am Gedenken am Mahnmal an den deutschen Kriegsgräbern sowie am Obelisken für die toten sowjetischen Kriegsgefangenen am Volkstrauertag 2019 teil.

Einige Impressionen vom Gedenken am sowjetischen Ehrenmal von Ulrich Streffing.

Memorial

Sowjetische Kriegsopfer können über ein eigens eingerichtetes OBD-Memorial gesucht (Russisch/Englisch). Wichtig dabei ist, dort nicht nur den Vornamen und Nachnamen der gesuchten Person, sondern auch den Vatersnamen einzugeben.

QR-Code Gegen das Vergessen (bitte zunächst die BIPARCOURS-App im App Store oder bei Google Play – kostenlos – herunteladen) :

Mit 5.095 Friedensbändern möchten Dortmunder SchülerInnen in der Stadt zu Tode gekommenen sowjetischen Kriegsopfern ein Teil ihrer Würde zurückgeben

Am kommenden Sonntag ist Volkstrauertag. Auch in diesem Jahr gibt es wieder eine zentrale Gedenkstunde der Stadt Dortmund auf dem Hauptfriedhof. Abermals wird sie von SchülerInnen der Europaschule Dortmund mitgestaltet. 5.095 Friedensbänder haben die SchülerInnen mit den Namen von in Dortmund zu Tode gekommenen sowjetischen Kriegsopfer versehen. Am Volkstrauertag werden sie auf dem Friedhof an diese Menschen erinnern. Die Aktion dient dazu, den Verstorbenen auf diese Weise einen Teil ihrer Würde zurückzugeben und ihnen Respekt entgegenbringen.

Neben den Friedensbändern von links: Verena Effgen, Lehrer Schneider, Birgit Jörder und Jörg Girrulat. Fotos: C. Stille

5.095 Friedensbänder wurden mit Namen und Alter der auf dem Dortmunder Hauptfriedhof begrabenen sowjetischen Kriegsopfer beschriftet

Verena Effgen, Bildungsreferentin für den Regierungsbezirk Arnsberg beim Landesverband NRW des Volksbunds Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V., (VDK) erinnerte an die Gedenkstunde der Stadt im vergangenen Jahr: „Damals haben wir 1.000 ewige Lichter in Erinnerung an das Ende des Ersten Weltkrieges vor 100 Jahren aufgestellt.“ Auch in diesem Jahr habe man sich wieder etwas Besonderes ausgedacht, um gegen dass Vergessen der Opfer der schrecklichen NS-Zeit zu wirken. Bereits zum Evangelischen Kirchentag sei damit begonnen worden, 5.095 kleine, weiße Bänder mit den Namen und dem Alter der auf dem Hauptfriedhof begrabenen sowjetischen Kriegsopfer zu beschriften. Unterdessen hat die Volkshochschule Dortmund mitgeholfen und ebenfalls 1.000 Bänder erstellt.

Personalkarten von sowjetischen Kriegsgefangenen.

An der Fertigstellung der restlichen gut 2.000 Bänder beteiligten sich alle Klassen der Jahrgangsstufen fünf bis zehn

An diesem Mittwoch nun sind Schulklassen der Europaschule Dortmund – welche sich direkt gegenüber dem Hauptfriedhof befindet, wo die Kriegstoten ruhen – darangegangen, die restlichen gut 2.000 Bänder fertigzustellen. Beschriftet wurden die Bänder mit den bekannten Daten der Toten mit wasserdichter schwarzer Farbe. Für diejenigen Toten, deren Namen bislang unbekannt geblieben sind, werden am Sonntag unbeschriftete weiße Bänder aufgehängt.

Es beteiligten sich alle Klassen der Jahrgangsstufen fünf bis zehn. Die Aktion dient dazu, den Verstorbenen auf diese Weise einen Teil ihrer Würde zurückzugeben und ihnen Respekt entgegenbringen.

5.095 sowjetische Kriegsopfer, die im Zweiten Weltkrieg in Dortmund umgekommen sind, haben auf dem Hauptfriedhof in Dortmund-Wambel ihre letzte Ruhestätte gefunden

Viele von der in Dortmund zu Tode gekommenen Sowjetmenschen waren Kriegsgefangene, darunter Frauen, Männer und sogar Kinder. Die Zwangsarbeiter wurden im Bergbau oder in der Montanindustrie eingesetzt. Dort mussten sie unter erbärmlichsten, menschenverachtenden Bedingungen Schwerstarbeit verrichten. Sie hausen in primitiven Baracken. Bis zum Jahr 2011 waren diese Kriegsopfer namenlos in Massengräbern auf dem Hauptfriedhof beigesetzt. Seit mehreren Jahren arbeiten SchülerInnen der dem Hauptfriedhof gegenüberliegenden Europaschule anhand von Personalkarten zu den Schicksalen dieser Menschen und erstellen Namensziegel aus Ton, die auf dem Friedhof aufgebracht wurden. Das Projekt trägt den Namen „Namensziegel gegen das Vergessen“

Fertig beschrifteten Friedensbänder.

Die SchülerInnen gestalten über dieses Projekt hinaus die jährliche Gedenkstunde der Stadt Dortmund zum Volkstrauertag mit.

Geschichte zum Anfassen: „Die Schüler gucken diesen Menschen ins Gesicht“

An die roten Personalkarten kam man über den VDK, welche sie wiederum aus Archiven erhalten hatten. Sie enthalten neben den Namen alle Daten zu den jeweiligen Personen sowie ein Passbild. Die Personalkarten wurden kopiert und laminiert. So können sie die SchülerInnen in der Hand halten. Etwas Haptisches. Besser, als wenn man darüber nur in Geschichtsbüchern liest oder LehrerInnen die Lebensschicksale der Getöteten referieren. Eine anwesende Kunstlehrerin gab zu bedenken: „Die Schüler gucken diesen Menschen ins Gesicht.“

Personalkarte eines sowjetischen Kriegsgefangenen.

Bewegendes Video eines Moskauers, der seinen toten Onkel auf dem Dortmunder Hauptfriedhof weiß

Zu den Namensziegeln fiel der Kunstlehrerin ein bewegende Geschichte ein, die sie immer wieder aufs Neue zu Tränen rührt – wie überhaupt das schreckliche Schicksal der in Dortmund verstorbenen Kriegsgefangenen. Ein russischer Staatsbürger namens Sergej Pawlowski hatte 2015 mit seiner Frau den Dortmunder Hauptfriedhof besucht, wo sein Onkel begraben liegt. Er nahm Kontakt zur Europaschule auf. Später schickte er der Schule eine sehr eindrucksvolle Videobotschaft. Er ist Lehrer an einer Moskauer Schule. Die etwa 130 Tonziegel die die SchülerInnen auf dem Hauptfriedhof an drei Stelen bereits aufgestellt hatten, beeindruckten Herrn Pawlowski sehr. So setzte er sich nach seinem Besuch in Deutschland mit der Europaschule in Verbindung, um den SchülerInnen für deren besonderes Engagement zu danken. Er beschreibt dieses als ein besonderes Zeichen von Völkerverständigung und die Arbeit der Schüler hätte in ihm das Gefühl wach gerufen, nicht ein Fremder in dieser Stadt Dortmund zu sein, in der sein Vorfahr unter grausamen Bedingungen leben und sterben musste.

Fertige Friedensbänder werden aufgehängt.

Bürgermeisterin Birgit Jörder beteiligte sich an der Aktion, indem sie ebenfalls ein Band mit einer Beschriftung versah

Am Mittwoch kam Bürgermeisterin Birgit Jörder zu Besuch an die Europaschule Dortmund. Sie ist Patin des Projektes „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ der Europaschule. SechstklässlerInnen schaute sie beim Beschriften der weißen Bänder zu. Die Kinder waren mit viel Engagement bei der Sache. Und stellten wissbegierig Fragen. Birgit Jörder ließ sich nicht lange bitten und beschriftete auch eines der Bänder. Ihr nach tat es auch der Direktor der Schule, Jörg Girrulat.

Bürgermeisterin Birgit Jörder schreibt auf eines der Friedensbändern den Namen eines Verstorbenen.

Bürgermeisterin Birgit Jörder merkte gegenüber Nordstadtblogger an, „die Europaschule ist ja in dieser Thematik jetzt schon seit Jahren und Jahrzehnten sehr weit vorne. Nach der Aktion mit den Tontafeln können sie nun an noch mehr Namen erinnern. Ich freue mich, dass die SchülerInnen auf diese Weise das Thema bearbeiten und selber mitmachen. Ich habe auch gern mitgemacht.“

Der Direktor der Europaschule, Jörg Girrulat, dankt SchülerInnen und LehrerInnen für ihr Engagement und hofft auf eine hohe Beteiligung am Gedenken seitens der Stadtgesellschaft

Schuldirektor Jörg Girrulat lobte das ihnen hoch anzurechnende Engagement der Schülerschaft, sowie das der LehrerInnen. Alle zusammen seien mit großem Engagement bei der Sache. Auf die Mitgestaltung seitens seiner Schule der Gedenkstunde zum Volkstrauertag am kommenden Sonntag freue er sich sehr. Und er hoffe, obwohl die Veranstaltung an einem Sonntag stattfinde und keine schulische, sondern eine freiwillige sei, trotzdem auf eine hohe Beteiligung seitens der Lehrerschaft und der SchülerInnen und Schüler an diesem wichtigen Gedenken. Er würde sich, wie er ausdrücklich unterstrich, ebenfalls sehr darüber freuen, wenn viele DortmunderInnen – mehr als in den letzten Jahren – den Weg hin zum Gedenken auf den Hauptfriedhof fänden. Neonazis, die, wie zu befürchten sei, auch wieder zum Gedenken kämen, um nach der offiziellen Veranstaltung ihr Süppchen zu kochen, müsse gezeigt werden, dass sie eine kleine Minderheit innerhalb der Dortmunder Stadtgesellschaft sind.

Schuldirektor Jörg Girrulat beim Beschriften eines Friedensbandes.

Zentrale Gedenkstunde der Stadt Dortmund zum Volkstrauertag Hauptfriedhof Dortmund

Die zentrale Gedenkstunde am 17.11.19 zum Volkstrauertag findet auf dem Dortmunder Hauptfriedhof statt. Beginn ist um 11 Uhr am Mahnmal in der Nähe des Parkplatzes Leni-Rommel-Straße. Bürgermeisterin Jörder wird eine Gedenkrede halten, Finn und Jonas Ulrich gestalten musikalisch und die Schulen am Marsbruch und die Europaschule gestalten den zweiten Teil der Veranstaltung am sowjetischen Mahnmal. Dort werden auch die 5.095 Bänder aufgehängt.

Ablauf

Teil 1 Mahnmal für die deutschen Kriegsgräbern (Nähe Parkplatz Leni-Rommel-Straße) 11.00 Uhr Musikalischer Beitrag (Männergesangsverein) 11.05 Uhr Ansprache Bürgermeisterin Birgit Jörder 11.15 Uhr Grußwort des Polizeipräsidenten Gregor Lange 11.20 Uhr Kranzniederlegung Bürgermeisterin Birgit Jörder, Dr. Stefan Mühlhofer, Leiter des Stadtarchivs,Oberstleutnant Rosarium (Bundeswehr) 11.25 Uhr Musikalischer Beitrag (Männergesangsverein) 11.35 Uhr „Friedensmarsch“ zum Friedhof am Rennweg (für Besucher, die nicht zu Fuß gehen können, besteht ein Bustransfer vom Parkplatz Leni-Rommel-Straße

Teil 2 Mahnmal für die sowjetischen Kriegstoten (Friedhofsteil am Rennweg) 12.00 Uhr Wortbeitrag zum Projekt „Namensziegel gegen das Vergessen“ und der digitale Parcours: „Gegen das Vergessen“ (EuropaschülerInnen) 12.10 Uhr Musikalischer Beitrag (Finn und Jonas Ulrich „Winter“) 12.15 Uhr Wortbeitrag zum Thema Frieden („Friedenszauber“ Schule am Marsbruch), Musikalischer Beitrag: Marina Kalmykova „´s brennt“ von Mordechaj Gebirtig 12.20 Uhr Blumenniederlegung: Bürgermeisterin Birgt Jörder 12.25 Uhr Totengedenken (EuropaschülerInnen 12.30 Uhr Schweigeminute 12.31 Uhr Musikalischer Beitrag: Finn und Jonas Ulrich („war girl“) 12.35 Uhr Veranstaltungsende

Hinweis: Dieser Beitrag ist auch auf Nordstadtblogger erschienen.

Dortmund: Erinnerung an die von den Nazis zerschlagene jüdische Sportbewegung mit Übergabe des Makkabi-Meistertrikots von Max Girgulski – Gedenken an die Novemberpogrome im Opernhaus

Die vom faschistischen Hitler-Regime verübten Novemberpogrome jährten sich in diesem Jahr zum 81. Mal.

Daran, dass damals auch die jüdische Sportbewegung zerschlagen wurde, erinnerte eine Gedenkveranstaltung am Sonntagvormittag im Deutschen Fußballmuseum. Einen ganz besonderen Höhepunkt stellte die Übergabe des Meistertrikot von Max Girgulski aus dem Jahr 1936/37 an das Museum dar.

Am Sonntagnachmittag fand die obligatorische Gedenkveranstaltung zur Pogromnacht im Opernhaus am Platz der Alten Synagoge statt.

Jüdische Fußballer waren in der Pionierzeit des Fußballs bestimmend. Die Nazis verbannten diese Tatsache aus dem Bewusstsein der Menschen

Jüdische Vereinsheime wurden in Brand gesetzt, Sportplätze beschlagnahmt. Die jüdischen Vereine erhielten ein Betätigungsverbot.

Der Direktor des Deutschen Fußballmuseums Manuel Neukirchner strich heraus, dass dem Museum der ganze jüdische Fußall sehr wichtig sei, weshalb man auch sehr froh über das übereignete Trikot von Max Girgulski sei. Jüdische Fußballspieler und Funktionäre jüdischer Herkunft seien nämlich gerade in der Pionierzeit des Fußballs sehr bestimmend gewesen. Neukirchner nannte stellvertretend Kurt Landauer und Walter Bensemann, die den DFB, den FC Bayern mitbegründet haben. Sowie herausragende Nationalspieler wie Gottfried Fuchs (erzielte die meisten Tore – zehn – in einem Spiel) und Julius Hirsch. Geschichte, beklagte Neukirchner, die leider vergessen ist. Weil die Nazis es ganz gezielt betrieben hätten diese Geschichte aus dem Bewusstsein der Menschen zu verbannen. Die so entstanden Lücken, sei das Fußballmuseum bemüht, zu schließen.

Der Direktor des Deutschen Fußballmuseums: Fußball spiegelt auch unsere Geschichte wider

„Das Trikot ist ein wunderbares Geschenk für das Deutsche Fußballmuseum“, sagte dessen Direktor Manuel Neukirchner. Der Fußball spiegele auch unsere Geschichte wider. Viele LehrerInnen, die mit ihren Klassen das Museum besuchten, lobten: „Was ihr mit eurer Ausstellung schafft, erreichen wir nicht mit unseren Geschichtsbüchern.“ Darin erzählte Biografien von Fußballern, welche in Konzentrationslagern zu Tode kamen, machten den SchülerInnen bewusst, was damals geschah.

Dasselbe gelte für den Frauenfußball, schwenkte Neukirchner in die jüngere Geschichte, „der bis 1970 vom DFB verboten“ gewesen war.

Auch deutsch-deutsche Geschichte interessiere die SchülerInnen sehr. Etwa das Spiel 1974 BRD gegen die DDR „mit dem berühmten Sparwasser-Tor“ und die TV-Kommentare des BRD- und des DDR-Kommentators.

Der Fußball transportiere eben auch gesellschaftliche Themen. Unter anderem stehe das im entsprechenden Kulturauftrag.

Dazu trage nun das Meistertrikot von Max Girulski bestens bei.

Die Tochter von Max Girgulski, Susana Baron, war eigens aus Chile angereist

Dafür dankte der Museumsdirektor der Tochter des Fußballers, Susana Baron. Sie war eigens mit Familienmitgliedern aus Chile nach Dortmund angereist.

Die Trikot wird als Exponat in die Abteilung „Vorgeschichte der Bundesliga“ aufgenommen, wo es einen Ehrenplatz bekommen soll. Neukirchner: „Es ist das einzig erhaltene Trikot in Deutschland für die jüdische Sportbewegung.“ Max Girgulski hatte es als er nach Buenos Aires emigriert ist mitgenommen, weil ihm dieser Fußball so wichtig war. Girgulski galt als ein hervorragender und hochbegabter Fußballer , der für Eintracht Frankfurt gespielt hat.

Andreas Eberhardt: Das Deutsche Fußballmuseum steht für wichtige Erinnerungskultur

Andreas Eberhardt (Vorstandsvorsitzender der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft), sprach betreffs der Arbeit des Museums davon, dass hier lebendige Erinnerungskultur geleistet werde. Wir benötigte in Zeiten, die sich nicht unbedingt zum Besseren gewandelt haben, unterstrich Eberhardt, dringend gesellschaftliche Vorbilder vor allem für die Jugend.

„Es gibt schon seit längerem Alarmzeichen, wie präsent Judenhass in diesem Land ist“, sagte Mark Dainow

Mit Mark Dainow, dem Vizepräsidenten des Zentralrates der Juden in Deutschland, war einer der höchsten Repräsentanten jüdischen Lebens hierzulande zu Gast im Deutschen Fußballmuseum. Dainow rief die schlimmen Ereignisse des 9. November 1938 in Erinnerung. Für die Nazis sei das der Auftakt zur Shoa gewesen. Danach habe es für die Nazis kein Halten mehr gegeben, hätten sie doch bemerkt, wie gering „der Widerstand gegen ihren teuflischen Plan“ in der Bevölkerung war.

Mark Dainow.

Müsse das damalige Geschehen nicht allgemein bekannt sein heute, fragte Dainow und gab die Antwort sogleich die Antwort darauf: „Anscheinend leider nicht.“ Dies sei ihm schon lange vor den furchtbaren rechtsterroristischen Morden in Halle klar gewesen. Mark Dainow gab in seinem Grußwort zu bedenken: „Es gibt schon seit längerem Alarmzeichen, wie präsent Judenhass in diesem Land ist. Offenbar sind Teile der Gesellschaft vergessend und unwissend. Viele wüssten offenbar auch nicht, dass von den Nationalsozialisten verfolgte und ermordete jüdische Spieler wie Julius Hirsch Stars des deutschen Fußballs waren.“ Und er forderte: „Wir dürfen uns im Kampf gegen dieses Vergessen und Unwissen nicht beirren lassen.“ Dainow zitierte Helmut Kohl: „Wer die Vergangenheit nicht kennt, kann Gegenwart nicht verstehen und Zukunft nicht gestalten.“

Antisemitische und rechtsradikale Täter nicht länger als „Einzeltäter“ verharmlosen

In ihrem Impulsvortrag „Fußball und Antisemitismus“ sprach Prof. Stefanie Schüler-Springorum (Leiterin des Zentrums für Antisemitismusforschung der TU Berlin), selbst leidenschaftlich fußballbegeistert, über die Entwicklung des Antisemitismus im Deutschen Fußball. Sie bestätigte darin das Vergessen jüdischer Fußballspieler nach dem Zweiten Weltkrieg und erinnerte daran, dass Vertreter des jüdischen Fußballs nach 1945 nicht wirklich willkommen waren hierzulande. Vertreter des DFB und der Vereine seien schließlich aktiver Teil des NS-Regimes gewesen. In Sachen Vergangenheitsbewältigung sei lange nichts unternommen worden. Im Gegenteil: Als die deutsche Mannschaft 1954 Weltmeister geworden sei, hätte man das Gefühl vermittelt: „Wir sind wieder wer!“

Prof. Dr. Stefanie Schüler-Springorum.

Wenn früher und auch jetzt wieder Taten aus der rechten und neonazistische Ecke begangen wurden und werden und darüber dann immer wieder die Rede von „Einzeltätern“ gehe, dann so Schüler-Springorum, könne und wolle sie das weder länger hören. Aber erst recht nicht mehr hinnehmen. Auch nicht die antisemitischen und rechtsradikalen Ausfälle in deutschen Stadien und auf allen Ebenen des Fußballs. Beispielsweise gegen RB Leipzig.

Alon Meyer bezüglich Antisemitismus: „Wie müssen ins Agieren kommen!“

Während einer Diskussionsrunde mit Experten aus Sport und Gesellschaft über Antisemitismus im heutigen Sport redete u.a Alon Meyer, Präsident von Makkabi Deutschland, über den traurigen Ereignissen Fußballalltag, wo antijüdische Schmierereien nur ein Teil davon darstellten, Tacheles. Er rief in Form einer „dringlichen Bitte“ dazu, dass auch das Museum sich an das Publikum richten möge, dass nicht den Weg in Museen finde. Zu diesem Behufe müssten Schulen verstärkt angesprochen werden, um deren SchülerInnen möglicherweise auch verpflichtend ins Fußballmuseum zu bringen, um sie u.a. betreffs des Themas Antisemitismus zu sensibilisieren. Nicht nur Prävention und Ansprache sei wichtig: „Wie müssen auch ins Agieren kommen!“ Gegen rassistische und antisemitische Taten in den Fußballstadien und auch davor müsse entschieden und resolut vorgegangen werden. Auch mit Verbandsausschlüssen und Stadionverboten müsse unter Umständen gearbeitet werden. Darüber war sich die Runde einig.

Erhebender und feierlicher Augenblick: die Enthüllung des Makkabi-Meistertrikots von Max Girgulski

Ein erhebender und feierlicher Augenblick an diesem Sonntagvormittag war dann die Enthüllung des Makkabi-Meistertrikots von Max Girgulski durch dessen Tochter.

Max Gilgurskys Sohn Rony hielt das Trikot nach dem Tod des Vater in Ehren. Dessen Schwester Susana Baron, die seit ihrer Heirat in Chile lebt, verwahrte das Meistertrikot des Vaters nach ihm.

Bis sie vom Interesse des Dortmunder Fußballmuseums am Trikot erfuhr und sich entschloss ihm Trikot des Vaters dauerhaft zu überlassen.

Susana Baron erzählte vom Lebensweg ihres Vaters: „Er wäre sicher stolz, dass sein Trikot nun im Deutschen Fußballmuseum ausgestellt wird. Es ist der richtige Ort. Ich hoffe, das Trikot meines Vaters dient insbesondere den jungen Ausstellungsgästen als Erinnerung, dass sich die Geschichte von Ausgrenzung, Verfolgung und Ermordung nie wiederholen darf.“

Susana Baron.

Girgulski war in den 1920er Jahren ein talentierter Nachwuchsspieler von Eintracht Frankfurt, der unmittelbar nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten den Verein verlassen musste und in den folgenden Jahren mit dem jüdischen Verein Bar Kochba erfolgreich an den Deutschen Makkabi-Meisterschaften teilnahm. Infolge der immer massiveren Ausgrenzung und Verfolgung wanderte Girgulski 1938 nach Argentinien aus. Nach Deutschland kehrte er nie wieder zurück.

Beitragsbild: Susana Baron und Manuel Neukirchner. Und alle anderen Fotos (Quelle: Deutsches Fußballmuseum)

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SONNTAGNACHMITTAG: GEDENKVERANSTALTUNG AM PLATZ DER ALTEN SYNAGOGE

Am Sonntagnachmittag fand die traditionelle Gedenkveranstaltung im Opernhaus des Theaters Dortmund am Platz der Alten Synagoge statt. Sie war sehr stark besucht.

Darbietung Jugendlicher zum Gedenken an die Pogromnacht auf dem Platz der Alten Syngoge vorm Opernhaus Dortmund. Foto: O. Schaper

Bürgermeisterin Birgit Jörder erinnerte an die schrecklichen Ereignisse von 81. Jahren. Die Erinnerung zeige, so Jörder im Opernfoyer, wie schnell Vorurteile in offene Gewalt umschlagen können, „begleitet vom Schweigen einer großen Mehrheit“. Weshalb man mit Sorge auf einen wieder wachsenden Antisemitismus schaue.

Bürgermeisterin Birgit Jörder: Das, was wir als sicher geglaubt haben, ist nicht sicher

Jörder: „Dass in diesem Jahr eine jüdische Einrichtung in Deutschland massiv angegriffen worden ist, beweist, dass der deutsche Lernprozess über den Antisemitismus nicht vorbei ist – und mit dem Anschlag von Halle wieder von vorne anfängt.“ Und weiter mahnte sie: Deshalb gedenken wir heute mit dem Versprechen, uns allen Angriffen auf unsere Gesellschaft entschlossen entgegenzustellen.
Wir gedenken mit dem Auftrag aktiv zu werden in einer Zeit, in der einige Politiker sich im bürgerlichen Gewand staats- und rechtstreu geben, aber gezielt gegen die Gebote der Menschlichkeit verstoßen.
Und wir gedenken mit der Botschaft, dass die demokratische Mehrheit wachsam bleiben muss und es keinerlei Toleranz geben darf, wenn Menschen aufgrund ihres Glaubens angegriffen werden.“

Dieser Gedenktag sage eben auch: „das, was wir als sicher geglaubt haben, ist nicht sicher.“

Zwi Rappoport dankt der Dortmunder Stadtgesellschaft für den Kampf gegen Rechts, kann jedoch nicht verstehen, dass regelmäßig Naziaufmärsche erlaubt werden

Zwi Rappoport, Vorsitzender Landesverband der jüdischen Gemeinde von Westfalen Lippe und Vorstand der Jüdischen Kultusgemeinde Groß-Dortmund, sprach vom von den Nazis erzwungenem Abriss der Dortmunder Synagoge – noch vor dem 9. November. Auch er thematisierte die zunehmenden antisemitischen Ausfälle in der Gesellschaft.

Er kritisierte, dass hierzulande eine wirkliche Entnazifizierung nicht stattgefunden habe. Bis in höchste Ämter hätten es frühere Nazis nach 1945 in der BRD wieder geschafft.

Maskierten Judenhass in der Gesellschaft, skandalisierte Rappoport, nehme „die Kleinstpartei Die Rechte“ dankbar auf. Dass die demokratische Stadtgesellschaft dagegen massiv angehe, registriere die jüdischen Gemeinschaft positiv.

Mit Unverständnis reagiere man dagegen darauf, dass Gerichte regelmäßig Naziaufmärsche mit dem Verweis auf die Meinungsfreiheit erlaube. Sogar den Neonaziaufmarsch ausgerechnet am 9. November in Bielefeld.

Oberstaatsanwalt Andreas Brendel berichtet bewegt von seiner Bearbeitung von NS-Verbrechen

Kritik an der Justiz konnte Oberstaatsanwalt Andreas Brendel (Leiter der „Zentralstelle NRW für die Bearbeitung von nationalsozialistischen Massenverbrechen“) als Vertreter der Staatsanwaltschaft Dortmund nicht auf seine Arbeit beziehen. Brendel gestand jedoch zu, dass die Justiz nach 1945 vieles vernachlässigt und manches falsch gemacht habe.

Bewegt von seinen Eindrücken bezüglich seiner Ermittlungen und Einvernahmen von überlebenden Zeugen von NS-Verbrechen, etwa Massakern, im Ausland schilderte er Begegnungen mit ihnen beispielsweise in Frankreich.

Jüdisches Gebet und Kranzniederlegung auf dem Platz der Alten Synagoge

Im Anschluss an die Redebeiträge hielt Kantor Arie Mozes ein jüdisches Gebet.

Die musikalischen Beiträge der Gedenkveranstaltung im Opernfoyer führte das „duo soleil levant“ (Sandra Wilhelms und Gereon Kleinhubbert) aus.

Bürgermeisterin Birgit Jörder und Rabbiner Baruch Babaev bei der Kranzniederleung. Foto: O. Schaper.

Auf dem Platz der Alten Synagoge am Gedenkort für die das einstige jüdische Gotteshaus wurden zum Abschluss der Gedenkfeier Kränze niedergelegt.

Gedenken an die Novemberpogrome von 1938 in Dortmund-Dorstfeld

In diesem Jahr jähren sich die nationalsozialistischen Novemberpogrome zum 81. Mal. Die diesjährige Gedenkveranstaltung am jüdischen Denkmal in Dorstfeld wurde abermals von einigen hundert DortmunderInnen, darunter erfreulicherweise viele junge Leute, besucht. In seiner bewegenden Ansprache erinnerte Rabbiner Baruch Babaev auch an die Opfer des rechtsterroristischen Anschlags von Halle/Saale und postulierte, „niemals Angst zu zeigen und uns für das Gute einzusetzen“. Den Ewiggestrigen empfahl er: „Und wenn jemand vorm Aussterben bedroht ist, dann soll er gehen.“

Erinnerung vor Ort an die Pogrome von 1938, welche den gewalttätigen Übergang zur systematischen Verfolgung jüdischer Menschen in Deutschland markierten

Am 9. November 1938 kam es im ganzen Land zu organisierten antisemitischen Angriffen: Synagogen wurden in Brand gesetzt, jüdische Einrichtungen, Wohnungen und Geschäfte wurden zerstört und geplündert. Auch in Dortmund brannten Synagogen.

Alljährlich findet auch in Dorstfeld am einstigen Standort der dortigen Synagoge – an das ein jüdisches Mahnmal erinnert – eine Gedenkveranstaltung statt.

Legten Kranz am jüdischen Mahnmal nieder: Birgit Jörder, Baruch Babaev und Franz Stoltze (v.l). Fotos. C. Stille

In diesem Jahr bereits am 8. November, da diesmal der Schabbat – der jüdische Ruhetag – auf den 9. November fällt, um den Mitgliedern der jüdischen Gemeinde die Teilnahme zu ermöglichen.

Wieder hatten sich einige hundert Menschen am Gedenkort versammelt, um an schreckliche Geschehen vor nunmehr 81 Jahren zu erinnern. Darunter viele junge DortmunderInnen. Sie interessieren sich für das fürchterliche Schicksal, das den jüdischen DortmunderInnen damals widerfuhr. Sie wollen die Erinnerung daran wachhalten. Die jungen Leute haben verinnerlicht, was die Auschwitz-Überlebende Esther Bejarano einmal so formulierte:

„Ihr tragt keine Schuld für das was passiert ist, aber ihr macht euch schuldig, wenn es euch nicht interessiert.“ Und diesem Sinne handeln sie. Nicht nur am 9. November.

Die Pogrome markierten einen gewalttätigen Übergang zu der systematischen Verfolgung von jüdischen Menschen in Deutschland, die in der Shoah mündete.

Bürgermeisterin Birgit Jörder: Dorstfeld keineswegs aufgeben und „den falschen Menschen überlassen“

Ein Grußwort am Gedenkort nach der Begrüßung der Anwesenden durch Ralf Stoltze, Bezirksbürgermeister Innenstadt-West, hielt Bürgermeisterin Birgit Jörder. Sie unterstrich die Bedeutung dieses Gedenkens gerade auch in Dorstfeld. Man werde diesen Stadtteil keineswegs aufgeben und „den falschen Menschen“ überlassen. Noch immer erschüttere sie, dass „dieser nationalsozialistische Massenmord, dieser unbeschreibliche Rassenwahn, diese menschenverachtenden Aktionen aus der Mitte der Gesellschaft nicht nur nicht verhindert, sondern durch große Teile der Bevölkerung erst ermöglicht wurden“. Das dürfe nicht in Vergessenheit geraten. Es sei erschreckend, so Jörder weiter, dass gegenwärtig in Deutschland ein Erstarken des Antisemitismus festzustellen sei. Die Bürgermeisterin bedankte sich ausdrücklich bei der jüdischen Gemeinde, dass deren Mitglieder trotzdem weiter zu Dortmund und Deutschland stehen. Sie seien „ein geschätzter Teil unserer Stadtgesellschaft“. Was nicht selbstverständlich sei. Denn gewiss befiele sie in ihrem täglichen Leben auch hier und da Angst. Jörder fragte besorgt: „Wie viel Warnzeichen muss es denn noch geben, damit endlich so wach sind, wie wir wach sein müssen?“

Rabbiner Baruch Babaev: „Wer sich für das Gute einsetzt, muss sich dafür nicht schämen und keine Angst haben. Wenn sich jemand ein friedliches Miteinander wünscht, bekommt die ganze Unterstützung von uns allen“

Baruch Babaev, Rabbiner der jüdischen Gemeinde Dortmund dankte den „Bürgern, die Frieden schätzen, Bürger die friedlich miteinander leben möchten“, dass man sich ein weiteres Mal versammelt habe – Jung und Alt. Alle Generationen seien vertreten. Um dem zu gedenken, „was für mein Volk kein Vogelschiss ist“. Der Rabbiner erinnerte daran, dass in der Nacht vom 9. zum 10. November 1938 1400 jüdische Gotteshäuser zerstört und verbrannt wurden. Eben auch in Dorstfeld. Heute zähle man in Deutschland knapp einhundert Synagogen. Das Judentum habe sich seitdem nicht erholt und werde sich auch nicht erholen. Babaev: „Wir vermissen unsere Brüder und Schwestern. Wir vermissen auch die, die sich auch ein friedliches Miteinander gewünscht haben. Die bis zu letzten Augenblick die Menschlichkeit in uns vertraut und gehofft haben.“

Vor einem Monat sei das plötzlich aktueller denn je gewesen. In bewegenden Worten erinnerte der Rabbiner daran, dass man am 9. Oktober, dem höchsten jüdischen Feiertag, Jom Kippur, mit Erschrecken habe sehen müssen, wie vor den Türen der Synagoge Polizeibeamte in kugelsicheren Westen und mit Maschinengewehren aufgezogen waren. Es musste etwas Schlimmes passiert sein. Dann habe man von dem rechtsterroristischen Anschlag von Halle gehört. Baruch Babaev: „Wir erinnern und beklagen heute an zwei junge Menschen aus Halle/Saale, die auch Pläne schmiedeten und Zukunft hatten. Leider wurde dies Zukunft diesen zwei Menschen genommen.“ Dennoch seien die Synagogen in Deutschland an diesem Tag so voll wie nie gewesen. „Wir haben keine Angst“, versicherte der Rabbiner. „Wer sich für das Gute einsetzt, muss sich dafür nicht schämen und keine Angst haben. Wenn sich jemand ein friedliches Miteinander wünscht, bekommt die ganze Unterstützung von uns allen.“

Hunderte waren zum Gedenken gekommen.

Hier in Dortmund habe die Stadtgesellschaft „manchen Leuten“, die jeden Montag in der Nordstadt eine Demo hätten abhalten wollen, gezeigt: „Wir sind mehr!“ Babev gab sich sicher, dass bestimmten Vorurteile vom Aussterben bedroht sind. Und er erinnerte an das ehemalige Gotteshaus in Dortmund-Dorstfeld, wo einst „für Frieden und für Deutschland“ gebetet worden sei.

„Gedenken wir allen Opfern“, schloss Rabbiner Babaev seine Ansprache, „aber nehmen wir uns ganz fest vor, niemals Angst zu zeigen und uns für das Gute einzusetzen. Und wenn jemand vorm Aussterben bedroht ist, dann soll er gehen. Denn auf dieser ganzen schönen Welt, haben diese keinen Platz.“

Beeindruckende Texte von SchülerInnen und musikalische Beiträge trugen zum Gelingen der Gedenkveranstaltung bei

SchülerInnen der Martin-Luther-King-Gesamtschule sowie des Leibniz Gymnasiums trugen mit beeindruckenden eigenen Texten zu den Themen Gedenken und Antisemitismus zum Gelingen der Gedenkveranstaltung bei. Musikalisch begleitet wurde das Gedenken von Wolfgang Brust (Gitarre) und Sevgi Kahraman-Brust (Gesang). Sevgi Kahraman-Brust erinnerte zusätzlich an das Leiden der Menschen in der Osttürkei unter dem Erdogan-Regime.

Dorstfeld ist inzwischen ein Symbol für den Widerstand gegen die Ewiggestrigen

Bezirksbürgermeister Ralf Stoltze erinnerte an die Einweihung des Denkmals am 9. November 1986, vor welchen sich die Menschen versammelt hatten. Und bezeichnete das gegenwärtige Gedenken wichtiger als je zuvor. Dorstfeld sei inzwischen als Symbol für den Widerstand gegen die Ewiggestrigen in unserer Gesellschaft. „In einer von der Zivilgesellschaft organisierten Form zeigen wir, wie Demokratie im Alltag funktionieren kann und was sie bedeutet“, sagte Stoltze. Kantor Arie Mozes sprach das jüdische Gedenkgebet.

Die Versammelten, darunter u.a.. auch der Dortmunder Polizeipräsident Gregor Lange, legten eine Schweigeminute ein.

Rahmenprogramm auf dem Wilhelmplatz

Dem Gedenken vorangegangen war ein Rahmenprogramm auf dem Wilhelmplatz, bei dem Dortmunder Schulen und Organisationen ihre Arbeit zu den Themen Nationalsozialismus, Gedenken und Antisemitismus vorstellten und zum Austausch einluden. Es präsentierten sich unter anderem die Martin-Luther-King-Gesamtschule, die Anne-Frank-Gesamtschule und die Emscherschule Aplerbeck. Ebenso war der Jugendring Dortmund, das Respekt-Büro des Jugendamts Dortmund und die Mahn- und Gedenkstätte Steinwache vertreten. BesucherInnen konnten sich hier über die jeweilige Arbeit informieren und ins Gespräch mit den einzelnen Ausstellern kommen.

Organisiert hatte die Gedenkveranstaltung das Projekt Quartiersdemokraten. Veranstalter war der Verein zur Förderung von Respekt, Toleranz und Verständigung in Dortmund-Dorstfeld e.V.

Das Gedenken war von der Polizei, darunter auch von BeamtInnen der Reiterstaffel, vorsorglich umfassend abgesichert. Es verlief friedlich und in entschieden fester Zuversicht, Antisemitismus und Rassismus auch künftig entschlossen entgegentreten zu wollen.

Dortmunder Jazzclub „domicil“ bekommt Ausstellung im MKK zum 50. Geburtstag

Von links Günter Maiß (domicil e.V.), MKK-Direktor Dr. Jens Stöcker, domicil-Geschäftsführer Waldo Riedl, Prof. Oliver Langbein (FH Dortmund), Ausstellungsmacher Cornelius Uerlichs und Udo Wagener (Vorstand domicil e.V.) vor der Kassettenwand. (Fotos: C. Stille)

Der Dortmunder Jazzclub domicil ist heute die erste Adresse für Jazz in der Region. Dessen Ursprünge liegen in einem Keller-Club. In diesem Jahr feiert das domicil in der Hansastraße seinen 50. Geburtstag. Das Museum- für Kunst und Kulturgeschichte (MKK) widmet dem benachbarten Jazz-Club zum Jubiläum eigens eine Ausstellung. Das MKK präsentiert diese Exposition vom 5. September bis 27. Oktober 2019. Damit wird die Arbeit des international renommierten und von Musikern aus aller Welt geschätzten Jazzclubs. Der Eintritt ist frei.

Aus einem Keller wurde ein Jazzclub und für viele aus einem Traum Realität

Im Mittelpunkt steht der Jazzclub selbst: Ende 1968 wurde das domicil als gemeinnütziger Verein von Jazzmusikern und Enthusiasten dieses Genres gegründet und Anfang 1969 ins Vereinsregister eingetragen. Bereits am 14. März 1969 fand im Keller der Kindertagesstätte in der Leopoldstraße das erste Konzert statt. In bemerkenswert kurzer Zeit war es einer Handvoll ehrenamtlicher Aktiver mit wenig Geld, dafür aber mit unbändigen Willen und großen Anstrengungen gelungen aus einem Keller einen Jazzclub zu machen: das domicil. Damit bekam Dortmund erstmals eine feste Spielstätte für Jazzmusik. Für viele Jazzliebhaber war aus einem Traum Realität geworden.

Geschichte des Jazz in Dortmund

Bereits in den sogenannten Goldenen Zwanzigern (gemeint war etwa der Zeitabschnitt von 1924 bis 1929) war Dortmund nicht nur die Stadt der Montanindustrie, sondern auch eine Metropole des Jazz. In zahlreichen Lokalitäten vor allem des heutigen Brückstraßenviertels gehörte Jazz zum festen Bestandteil des Musikprogramms. Auch im Vergnügungspark Fredenbaum waren regelmäßig Jazzkonzerte – zu denen die Gäste auch tanzten – angesagt.

Die Nazis verboten den Jazz offiziell. Mit der Begründung Jazzmusik sei „entartet“. Jazzliebhaber fanden jedoch immer wieder Gelegenheit, ihre Musik trotz des Verbots zu hören.

Nur wenige Jahre brauchte es nach dem Ende des 2. Weltkrieges und Jazz wurde wieder salonfähig. Es war vor allem der 1949 gegründete Hot-Club Dortmund, der das Jazz-Leben der Stadt prägte. Er lockte viele nationale und internationale Stars nach Dortmund.

Dessen Schließung im Mai 1962 bedeutete eine Zäsur für den Jazz in Dortmund, keineswegs aber sein Ende. Doch der Wunsch nach einer festen Spielstätte wurde immer lauter.

Der domicil-Verein wurde 1968 gegründet und sein erster Vorsitzender Glen Buschmann

Es waren hauptsächlich der Journalist Werner Panke und der Lehrer Albert Schimanski, die die Interessen der Jazzmusiker und der Fans dieser Musikrichtung kanalisierten. Diese Bemühungen führten 1968 zur Gründung des domicil-Vereins. Erster Vorsitzender war Glen Buschmann, damals Dozent und später Leiter der Musikschule Dortmund.

Großformatiger Zeitstrahl visualisiert in der Ausstellung Anfänge und Entwicklung des domicil

In der am 5. September öffnenden Ausstellung im MKK wird ein großformatiger Zeitstrahl die Anfänge des domicils vom Kellerclub und dessen Entwicklung zu einer Spielstätte visualisieren, die heute über die Jazzmusik hinausgeht und in den vergangenen Jahren stets zu den Top-100-Jazzclubs weltweit gekürt wurde.

Dabei wird die Entwicklung des domicil mit lokalen, nationalen und internationalen Ereignissen verbunden.

Vom Pressegesprächs zur Ausstellung im MKK

Während eines Pressegesprächs am vergangenen Dienstag informierten die Organisatoren über die Ausstellung, die sich zu der Zeit im Studio des MKK noch im Aufbau befand, aber schon einmal in Augenschein genommen werden durfte. Der Kurator der Ausstellung, Prof. Oliver Langbein, gab sich erfreut, dass sie zustande gekommen ist. Ohnehin seien das domicil und das MKK Anlieger der selben Straße und fast unmittelbare Nachbarn, „die eigentlich schon immer freundschaftlich umeinander rumgeschlichen sind“.

Sehr praktisch hat Langbein die Zusammenarbeit mit den Studenten an diesem Projekt empfunden. Denn hier sei nicht nur einfach etwas entworfen worden: „Man kann viel entwerfen, wenn man das dann aber selber machen muss, hat das einen Lerneffekt.“ Hier wird eben auch angewendet. Und man sehe, ob funktioniere, was man sich ausgedacht habe. Hinzugenommen zum Projekt hat Prof. Langbein mit Bedacht Cornelius Uerlichs, seinen ehemaligen Studenten und Mitarbeiter, der ein guter Designer und der Musik verbunden sei.

Im Mittelpunkt der Ausstellung befindet sich eine kleine Bühne

Das große Schlagzeug und andere Instrumenten werden auf der Bühne platziert. Auf der Bühne kann auch etwas stattfinden. Um sie herum sind alle

Registrierkasse: Zu den Ausstellungsobjekten gehört die ehemalige Registrierkasse des domicils, die anfangs während der Konzerte lautstark klingelte. Von rechts: MKK-Direktor Dr. Jens Stöcker, Prof. Oliver Langbein (FH Dortmund), domicil-Geschäftsführer Waldo Riedl, Udo Wagener, Michael Kalthoff-Mahnke und Günter Maiß (domicil e.V.) und Ausstellungsmacher Cornelius Uerlichs.

für eine Show nötigen Dinge verteilt. Geöffnete die Cases stehen herum. In denen sich Technikequipment befunden haben können. Damit man sieht, was passiert hinter der Bühne, was passiert nebenher und vorher; ein paar Meter weiter im Ausstellungsraum: wie das Booking gehandhabt wurde, wie überhaupt Musiker engagiert wurden. Der ganze Kosmos dieses Musikgeschäftes, die Atmosphäre soll für die Museumsbesucher erfahrbar gemacht werden. Übrigens, war zu erfahren, dass das domicil bei vielen KünstlerInnen sehr beliebt ist. So kam es durchaus schon vor, dass KünstlerInnen dem domicil betreffs der Gage entgegenkamen, weil ihnen der Club so sympathisch ist. Bemerkenswert auch die Kassettenwand in der Ausstellung. Da sieht man Musikkassetten mit Demobändern, welche MusikerInnen ans domicil geschickt haben und womit sie sich um einen Auftritt dort bewarben. Nicht weniger interessant eine aus Flightcases gebaute Bar davor.

Denn eigentlich, gab domicil-Geschäftsführer Udo Wagener zu bedenken, ist ja das eigentliche Konzert letztlich der kleinste Teil ist. Musik auswählen, der Soundcheck, der Auf- und Abbau – all das dauere ja oft länger als das ganze Konzert. Wobei freilich das Konzert der eigentliche Höhepunkt ist. All das andere bekommen ja das Publikum zur Show gar nicht mit.

In 50 Jahren domicil haben sich 6700 Dokumente angesammelt

Als das domicil gegründet wurde, erzählte Vereinsvorsitzender Udo Wagener sei zwar nicht dabei, aber bereits in dem Alter gewesen, wo er sich für Musik interessiert habe.

Für die Ausstellung infrage kommende Dokumente habe man zuhauf in einem Archiv in der Güntherstraße finden können. Die mussten gesichtet und teilweise digitalisiert werden. 6700 Dokumente haben sich in 50 Jahren domicil angesammelt.

In mühevoller Kleinarbeit hätten viele Vereinsmitglieder die Materialien durchgesehen. Alles wurde geordnet und der Fachhochschule zur Verfügung gestellt, um aus den vorliegenden Materialien ein Konzept zu entwickeln, wie all das in der Ausstellung am Besten zu Präsentieren sei.

Das Ehrenamt hat eine hohe Bedeutung für das domicil

Günter Maiß (domicil e.V.) hob hervor, welch hohe Bedeutung das Ehrenamt für das domicil habe. In der Ausstellung würden die Locations des Jazzclubs und auch die vielen Flyer und die Designs ein Thema sein. Und Stühle aus drei Generationen werden auch zu sehen sein. Der hier schon erwähnte große Zeitstrahl soll auch einen Bezug zur Musikgeschichte herstellen. Mit Verweisen auf das neue FZW und das Konzerthaus. Damit werde verdeutlicht, „nicht nur das domicil hat sich verändert, sondern auch Musikstadt Dortmund hat andere Formen angenommen“, sagte Günter Maiß. Maiß erinnerte daran, dass der kleine Kellerclub Anfang der 1970er Jahre – „mit vielen Stunden von Ehrenamtlichen geschmissen wurde“- mit unglaublich vielen Veranstaltungen, „was heute wohl gar nicht mehr gestemmt werden könnte“. Im Jahre 1975 sei der Kellerclub quasi eingebrochen. „Die Power war zu Ende. Der Verein war fast bankrott.“ Mittlerweile habe sich das Musikgeschäft des domicil ziemlich professionalisiert. Ehrenamtliche arbeiteten zu. Der in der Ausstellung gezeigte Schreibtisch sei der, wo früher in Zeiten ohne Google das Booking stattgefunden habe mit Karteikästen, die die Kontaktdaten von Künstlern enthielten.

Eintauchen in die Welt des domicil

Einschneidende Ereignisse in der Geschichte des domicils waren die Aufnahme des Clubs in die institutionelle Förderung der Stadt Dortmund 1998 und der Umzug 2005 in ein ehemaliges Kino mitten in der City. Die finanzielle Unterstützung durch die Stadt bot erstmals eine wirtschaftliche Planungsgröße. Mit dem Umzug beendete das domicil sein „Kellerdasein“ und verschaffte sich neue räumliche und technische Möglichkeiten. Eindrucksvoll ist die zur zeitlichen Entwicklung laufende Aufzählung hunderter Musikerinnen und Musiker, die sich im domicil das Mikro in die Hand gaben. In Bildern und teils bislang unveröffentlichten Tondokumenten (Konzertmitschnitten, Interviews) erleben die Ausstellungsbesucher ein Stück Club- und Jazzgeschichte: Zu hören sind Chet Baker, Archie Shepp, Jimmy Giuffre, Arturo Sandoval, Joe Pass, Albert Mangelsdorff, Enrico Rava, Django Edwards, Elvin Jones, Bill Frisell, Joe Zawinul, David Murray, Robert Glasper, Kamasi Washington, Rolf & Joachim Kühn, Lizz Wright, Betty Carter, Pharoah Sanders, Vienna Art Orchestra, Hermeto Pasocal, Bill Evans, Airto, Udo Lindenberg, Allan Holdsworth, Götz Alzmann, Heinz Sauer und viele andere.

Die Ausstellung verdeutlicht, was auf der Bühne unsichtbar bleibt: Das domicil war und ist ein Verein, der getragen wird vom bürgerschaftlichen Engagement seiner ehrenamtlich tätigen Mitglieder. Zwar wurde für den Veranstaltungsbetrieb und den gastronomischen Bereich eine gemeinnützige GmbH geschaffen, das Ehrenamt bleibt aber eine tragende Säule des Clubs und prägt das bunte Vereinsleben der „domicil-Familie“. Ob der Umbau

Presseartikel aus den vergangenen 50 Jahren.

des Kellers an der Leopoldstraße, der Umzug in die City oder der Alltagsbetrieb im Club: Ohne Tausende Ehrenamtsstunden, ohne den Willen und die Tatkraft seiner Mitglieder wäre das domicil in seiner bekannten Form undenkbar. Dieser Aspekt wird durch Interviews mit Ehrenamtlichen gewürdigt.

Die Ausstellungsgestaltung nimmt Bezug auf das Kerngeschäft des domicils: die Konzerte und Veranstaltungen. So dienen eine Bühne sowie Flightcases (Transportkisten für Musikerequipment) als Gestaltungselemente. Abgerundet wird die Ausstellung durch einige Hör- und Videostationen mit Musikerportraits und Konzertmitschnitten. Ehrenamtler geben Auskunft über ihre Motivation und ihren Bezug zu dieser in NRW einmaligen Kulturinstitution.

Zwei Jahre Vorbereitung

Im Oktober 2017 trafen sich Vereinsmitglieder, um über Aktivitäten im Geburtstagsjahr 2019 zu beraten. Ein illustratives Buch zur Geschichte des domicils ist bereits im März dieses Jahres erschienen (bei Klartext, Preis 24,90 EUR). Seit Frühsommer tourt ein zur mobilen Jazzbühne umgebauter Sprinter der Fachhochschule Dortmund durch Dortmunder Stadtteile und Quartiere. Die Ausstellung ist ein weiterer Höhepunkt. Das Jubiläumsjahr

Günter Maiß am Schreibtisch für das Booking.

findet seinen krönenden Abschluss am 2. Weihnachtstag mit der traditionellen Jazzmatinee im Dortmunder Opernhaus.

Für die Ausstellung kooperieren die ehrenamtlichen Mitglieder des domicil e.V. mit Masterstudierenden im Fachbereich Design der Fachhochschule Dortmund unter der kuratorischen Leitung von Prof. Oliver Langbein und Cornelius Uerlichs. Die Texte in der Ausstellung stammen von Michael Kalthoff-Mahnke, Günter Maiß, Waldo Riedl. Die Fotos stammen von Kurt Rade, Oskar Neubauer, Mark Wohlrab, Werner Panke, Günter Maiß u.a.

Die Ausstellung „domicil – ein halbes Jahrhundert Forum Jazz und Creative Music in Dortmund“ wird am 5. September um 19 Uhr im Museum für Kunst und Kultur erröffnet

Die Ausstellung mit dem Titel „domicil – ein halbes Jahrhundert Forum Jazz und Creative Music in Dortmund“ wurde in Zusammenarbeit von Studierenden der Fachhochschule Dortmund/Fachbereich Design unter Leitung von Prof. Oliver Langbein und ehrenamtlichen Mitgliedern des domicil-Vereins entwickelt und realisiert. Die Ausstellung wird am 5. September 2019 um 19 Uhr im Museum für Kunst und Kultur Dortmund (MKK), Hansastraße 3, 44137 Dortmund, eröffnet.

Birgit Jörder, Bürgermeisterin der Stadt Dortmund, Udo Wagener, 1. Vorsitzender des domicil e. V., und Professor Oliver Langbein, FH Dortmund, werden die Gäste begrüßen. Im Anschluss daran können Sie sich bei einem Ausstellungsrundgang in die szenische Umsetzung des 50. domicil-Geburtstages eintauchen.

Die Ausstellung wird sorgfältig vorbereitet.

10. Afrika Ruhr Festival in Dortmund bot viele Höhepunkte und war Begegnungsplattform für viele unterschiedliche Menschen

Kolumbianerinnen vor der Friedenssäule in Dortmund auf dem Friedensplatz. Fotos: C. Stille

Zwanzig Jahre gibt es den Verein Africa Positive e.V. Dortmund. Die umtriebige Vereinsvorsitzende Veye Tatah hat dieses Jahr einmal mehr mit vielen ehrenamtlichen HelferInnen das nun bereits 10. Afro Ruhr Festival organisiert. Es ist das im Ruhrgebiet wohl größte interkulturelle Festival. Vom 28. bis 30 Juni standen im Dietrich-Keuning-Haus (DKH) Tanz, viel Life-Musik – bestritten u.a. von Instrumentalisten und Sängern aus Kolumbien und Jamaika, die verschiedene traditionelle Musikstile präsentierten – auf dem Programm. Des Weiteren zogen ein Jugendprogramm, Vorträge mit einer Podiumsdiskussion, Fachforen und ein Afrika-Markt die BesucherInnen an. Menschen unterschiedlichster Herkunft – bei weitem nicht nur mit afrikanischen Wurzeln, sondern auch aus Kolumbien, Chile, Vietnam und vielen anderen Gegenden unserer Welt viele davon zuhause in der Nordstadt – begegneten sich in vielfältiger Form, tauschten sich aus und hatten Spaß zusammen. Bei brütender Hitze boten draußen vor dem Dietrich-Keuning-Haus mehrere Stände kulinarische Speisen und Getränke an. Das Fazit von DKH-Chef Levent Arslan: „Es war

Kinder von einem tamilischen Verein. Hinten Mitte: DKH-Leiter Levent Arslan.

in der Tat in diesem Jahr eine ganz besondere Stimmung. Mittlerweile hat sich das Festival zu einem Ereignis über unsere Stadt- und Ruhrgebietsgrenzen hinaus entwickelt. Das freut uns natürlich sehr.“ Arslan sprach davon, dass zirka mehr als 4000 Gäste das Afro Ruhr Festival 2019 besucht hätten.

Parade der Vielfalt“ vom Friedensplatz mit Höhepunkten unterwegs in die Gefilde der Nordstadt

Die „Parade der Vielfalt“ bringt Lebensfreude in die Dortunder City.

Zu einem Höhepunkt auch des diesjährigen Festivals gestaltete sich die „Parade der Vielfalt“. Sie eröffnete das dreitägige Festival am vergangenen Freitag. DortmunderInnen mit oder ohne Migrationshintergrund, sowie Gäste der Stadt, fanden sich als bunte Truppe, darunter auch Kinder, bekleidet mit phantasievollen und traditionellen Kostümen und Gewändern am Freitagnachmittag auf dem Friedensplatz vor dem Rathaus ein und präsentierten sich zu Trommelklängen auf dessen Treppe mit Blick auf die Friedenssäule. Bürgermeisterin Birgit Jörder war zum Empfang der Parade erschienen. Dann starteten die Menschen zur „Parade der Vielfalt“, angeführt von der Formation Schwarz-Rot Atemgold 09 sowie anderen Musikern, ihren Marsch durch die Stadt. Es ging hinunter in die Stadt über den Westenhellweg zur Kampstraße. Unmittelbar an der Fußgängerzone wurde ein Kreis gebildet. Bei Blasmusik und zu leidenschaftlichen Trommelklängen und zu heißen Rhythmen tanzten kolumbianische Frauen leidenschaftlich und verkörperten, natürliche ungebremste Lebensfreude. Tamilische Kinder in ihren schönen Trachten und dem Schmuck im Gesicht eroberten die Herzen Menschen.

Ein Feuerspucker in der Dortmunder Innenstadt.

Ein Feuerspucker war das absolute absolute Highlight bei diesem Stopp der Parade. Dann ging es weiter über die Kampstraße und die Katharinentreppe hinab. Auf dem Platz davor gab es abermals ein Halt mit Tanz- und Musikdarbietungen, welche die Passanten neugierig machten. Dann zog die „Parade der Vielfalt“ unter wolkenlosem Himmel und bei brütender Hitze – die Menschen im Pulk schon von weitem als knallbunte Tupfer sichtbar – in die Gefilde der Nordstadt ein, um schließlich den Festivalort, das DKH, zu erreichen.

Das dreitägige Programm eröffnete nach Begrüßungsworten von Veye Tatah und Levent Arslan eine Kindergruppe eines tamilischen Vereins

Dort eröffneten Veye Tatah und Levent Arslan – sie hatten ebenfalls an der Parade teilgenommen – gemeinsam feierlich das 10. Afrika Ruhr Festival, das eine einzigartige Begegnungsplattform für möglichst viele unterschiedliche Menschen, sein will. Eine Kindergruppe eines tamilischen Vereins eröffnete das Programm. Musik und Tanzgruppen aus Europa, Afrika, Lateinamerika sowie Asien

Levent Arslan und Veye Tatah eröffnen im Dietrich-Keuning-Haus das Afro Ruhr Festival 2019.

trafen aufeinander und feierten drei Tage gemeinsam. Ein Glanzlicht des ersten Festivaltages dürfte Aicha Kouyate aus Oberguinea gewesen sein, die vor allem in Westafrika eine bekannte Griot-Sängerin ist.

Life-Musik unterschiedlicher Stile, Tänze mit Trommelbegleitung, ein Kinder- und Jugendprogramm – pickepacke voll das Programm am Samstag

Pickepackevoll auch das Programm des zweiten Tages des Afro Ruhr Festivals, der Samstag. Trotz kleiner Verzögerungen im Programmablauf war in der Agora des DKH fast ständig etwas los. Trommelaktionen und Tanz, ein Kinderprogramm und Programm von Jugendlichen mit Poetry Slam, Chorgesang und Tanz auf der offenen Bühne u.a. mit Voice of Tomorrow, Sing 4 you und der Gruppe Dance 4 you – als Aktion der Koordinierungsstelle des Jugendamtes Dortmund, Bereich Kinder- und Jugendförderung aus dem afrikanischen Kulturbereich.

Roughhouse.

Begeistert waren das Publikum vom traditionellen Tanz der Gruppe Mecuda NRW und nicht weniger von Auftritt von Roughhouse, der mit seiner Band und einer

Die Gruppe Mecuda NRW.

harmonisch-fließenden musikalischen Mischung aus Roots-Reggae und Dancehall zu gefallen wusste. Der für den Abend angekündigte Act es Kameruners „Mr. Leo“ musste entfallen: Der Künstler hatte kein Visum für Deutschland bekommen.

Weiter zu erleben waren Tänze aus dem Senegal mit Trommelbegleitung mit Dame Diop und Joe Camara & friends.

Alexandra Wiemer von Radio 91,2 interviewte Veye Tatah zum Thema „10 Jahre Afro Ruhr Festival – Rückblick und Ausblick“. Die Zuschauer erfuhren viel über

Als Miss und Mister Afro Ruhr 2019 gekürt: Geraldine und Khaled.

die nicht immer einfachen Anfänge des Festivals. Alexandra Wiemer überreichte Veye Tatah sozusagen als süßen Dank für das jahrelange Engagement nicht nur für das Afro Ruhr Festival eine Schale selbst gepflückter Kirschen.

Geraldine und Khaled wurden zu Miss und Mister Afro Ruhr 2019 gekürt

Nicht einfach gestaltete sich zunächst die Wahl Miss und Mister Afro Ruhr 2019 – zu viele aussichtsreiche KandidatInnen machten sie zu einer Qual der Wahl. Dann

Gruß- und Dankesworte vom Dortmunder Stadtdirektor und Kulturdezernenten Jörg Stüdemann.

aber eroberten Geraldine und Khaled die Herzen des Publikums. Ihr Preis: jeweils ein 100-Euro-Gutschein für jeweils zwei unterschiedliche Afro-Shops.

Gruß- und Dankesworte von Kulturdezernent Jörg Stüdemann

Stadtdirektor und Kulturdezernent Jörg Stüdemann überbrachte Grüße der Stadt Dortmund und beglückwünschte alle am Gelingen des nunmehr schon 10. Afro Ruhr Festivals zu ihrer wertvollen Arbeit und sprach ihnen seinen Dank aus.

Catalina Valencia und Baterimba Band vermittelten lateinamerikanisches Feeling

Auf eine rhythmische Reise zwischen Jazz, Funk, und lateinamerikanische Musik nahmen Catalina Valencia und Baterimba Band aus ihrem Projekt „Marices“ das Publikum mit. Ihre Songs erzählten vom Alltäglichen, der Liebe, bunten Charakteren und der Sehnsucht. Sie

Catalina Valencia and Baterimba Band.

vermittelten lateinamerikanischen Feeling. Große Emotionen! Kolumbischstämmige Frauen und auch ein paar Mutige aus dem Publikum tanzten, dass der Schweiß in Strömen floss.

Hochinteressant am Samstagnachmittag die Vorträge und eine Podiumsdiskussion unter dem Titel „Bald 60 Jahre Unabhängigkeit und immer noch in den Fängen des Kolonialismus?“. Unter anderen getragen Attac. Die brillant und kenntnisreich argumentierenden Experten die referierten, waren Dr. Boniface Mabanza Bambu (Kirchliche Arbeitsstelle Südliches Afrika KASA), der Wirtschaftswissenschaftler Martial Ze Belinga und Dr. Dereje Alemayehu (Executive Coordinator der Global Alliance for Tax Justice). Eine Erkenntnis daraus: Nach der Entlassung blieben bis heute viele afrikanische Staaten in Abhängigkeit der einstigen Kolonialherren. Ein negative Rolle dabei spielt der CFA-Franc, erfuhren die interessierten ZuhörerInnen im voll besetzen Raum 204 des DKH. 14 ehemalige französische Kolonien benutzen seit 1945 eine Währung, die in der Kolonialzeit von französischen Kolonialherren eingeführt wurde. Kritiker sprechen von einen System „freiwilliger Knechtschaft“ und verurteilen den CFA-Franc als „imperiales Machtinstrument“. Wirtschaftswissenschaftler Martial Ze Belinga erklärte wie der CFA-Franc afrikanische Länder, einstige Kolonien, in Abhängigkeit gefangen hält.

Moderator, Dr. Bonface Mabanza Bambu, Martial Ze Belinga und Dr. Dereje Alemayyehu (v.l.)

Auch mit einem immer wiederkehrenden Argument, wonach die afrikanischen Länder allein an ihrer Korruption krankten, wurde aufgeräumt. Freilich sei die nicht kleinzureden. Aber seien auch Ressourcenabflüsse aus Afrika durch die Ausbeutung seitens der westlichen Wirtschaft mit zu bedenken, die den afrikanischen Ländern für deren Entwicklung fehlen. Ein UN-Panel, so referierte Dr. Dereje Alemayehu habe 2013 herausgefunden, dass zu sechzig Prozent Ressourcenabflüsse aus Afrika Handels- und Wirtschaftsaktivitäten von meistens westlichen Unternehmen stammten. Vierzig Prozent aus Korruption und aus Kriminalität. Der OECD-Generalsekretär habe in einem Bericht einmal gesagt, für jeden Dollar der an Entwicklungshilfe in die Entwicklungsländer kommt, gingen drei Dollar als illegale Ressourcenabflüsse.

Es entwickelte sich eine lebhafte Diskussion.

Erzähl mal, wie du es geschafft hast! – zu Gast die künftige Intendantin des Schauspiels Dortmund

In der Afrika Positive-Reihe „Erzähl mal, wie du es geschafft hast! – Jugendliche sprechen mit einem Vorbild“ war Julia Wissert zu Gast, die ab der Spielzeit 2020/2021 Intendantin des Schauspiels Dortmund sein wird.

Familiensonntag zum Abschluss des Afrika Ruhr Festivals

Afrika Markt.

Der letzte Tag des Festivals ist traditionell ein Familiensonntag. Dargeboten wurde ein buntes Programm für alle Generationen. Sowohl im Außenbereich als auch im Haus fanden Aktionen und Workshops für Kinder- und Jugendliche statt. Das Bühnenprogramm war ebenfalls auf die ganze Familie und ausgerichtet und wurde mit Freude aufgenommen.

Weitere Impressionen im Bild

Eröffnungsveranstaltung FIR- Ausstellung „Europäischer Widerstand von 1922-1945“ am 07. Juni 2018 in Dortmund. Auschwitz-Überlebende Esther Bejarano und Dr. Ulrich Schneider konnten als Gäste gewonnen werden

Das Dietrich-Keuning-Haus in Dortmund lädt gemeinsam mit der “Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes Dortmund“ (VVN-BdA) und der Steinwache Dortmund zur Eröffnungsveranstaltung der FIR-Ausstellung „Europäischer Widerstand von 1922-1945“ ein.

Vom 07.06.18 bis 05.07.2018  Dienstag bis Samstag (außer 29.06. und 30.06.) ist sie im DKH zu sehen. Gezeigt wird eine Ausstellung über den antifaschistischen Widerstand in verschiedenen Ländern Europas in drei Sprachen (deutsch, englisch, französisch). Die Ausstellung hält die Erinnerung an die Zahllosen bekannten und unbekannten Menschen wach, die sich im Namen der Menschenwürde über ideologische Barrieren hinweg für ein Europa ohne Faschismus und Krieg erhoben haben.

Eröffnet wird die Ausstellung mit einem Konzert am Donnerstag, den 07. Juni 18 um 18.00 Uhr im DKH von der Dortmunder Bürgermeisterin Birgit Jörder, die die Schirmherrschaft übernommen hat.

Den Organisatoren ist gelungen die Zeitzeugin Esther Bejarano und Dr. Ulrich Schneider, Generalsekretär FIR,  für die Eröffnungsveranstaltung zu gewinnen. Esther Bejarano und ihr Sohn Joram Bejarano werden mit der Rapper-Band gegen Rechts Microphone Mafia aus Köln den Abend mit einem großartigen Konzert krönen. Über Esther Bejarano hier mehr in meinem älteren Bericht.

 

Die Auschwitz-Überlebende Esther Bejarano liest aus ihren Erinnerungen. Foto: Archiv Claus-D. Stille

Esther Bejarano ist eine der letzten Überlebenden des Mädchenorchesters aus dem Konzentrationslager Auschwitz. Als Zeitzeugin reist sie durch das Land und berichtet über ihr Leben – ihr Überleben. Mit der Gruppe „Coincidente“, der auch ihre Kinder Esther und Joram angehören, singt sie antifaschistische und jüdische Lieder. Die Rapper Kutlu Yurtseven, Signore Rossi und DJ Önder haben die Musik der Bejaranos gesampelt und 2009 gemeinsam mit ihnen ihre erste CD „per la vita“ („Für das Leben“) veröffentlicht. 2013 folgte die zweite CD „La vita Continua“.

Die Ausstellung wird von einem Begleitprogramm flankiert. Führungen, kulturelle und politischer Bildungsveranstaltungen sind im Angebot. Für Schulen und Gruppen besteht die Möglichkeit durch die Ausstellung geführt zu werden. Unterrichtsmaterialien und ein viersprachiger Ausstellungskatalog stehen zur Verfügung, Kontakt über vvndo@gmx.de.

 

Vertreterin der DIDF-Jugend Köln mit Esther Bejarano (rechts) im Januar 2016 beim DGB-Köln-Bonn. Esther Bejarano beantwortet gern immer wieder Fragen, ihre Person und die Zeit des Natinalosozialismus betreffend. Archivfoto: C.-D.Stille

Ein besonderer Programmpunkt ist für Mittwoch, 27. Juni 2018, 19.30 Uhr im DKH angekündigt. Der bekannte Dortmunder Schauspieler Andreas Weißert und Carsten Bülow werden bei einer kulturellen und politischen Abendveranstaltung im Rahmen der Ausstellung: „… ob wenig oder viel – niemand konnte mehr als sein Leben wagen, die Hauptsache: man widerstand …“ (Hans Fallada) Rezitationen verschiedener Texte zum antifaschistischen Widerstand von Bert Brecht, Anna Seghers, Hans Fallada, Walter Mehring, Heinz Kamnitzer u.a. auftreten.

Beteiligt an der Ausstellung waren das nationale belgische Institut der Veteranen und Opfer des Krieges (IV-INIG) und die Internationale Föderation der Widerstandskämpfer (FIR) – Bund der Antifaschisten. Unterstützung leisteten das nationale Widerstandsmuseum (Belgien), ONAC (Frankreich), ANPI (Italien), NIOD (Niederlande), das Nationalarchiv des  Großherzogtums Luxemburg sowie Veteranenverbänden aus verschiedenen
Ländern.

FIR : Fédération Internationale des Résistants (FIR) – Association Antifasciste. Die Internationale Föderation der Widerstandskämpfer (FIR) wurde vom Generalsekretär der Vereinten Nationen zum «Botschafter des Friedens»ernannt. Sie besitzt NGO-Status bei der UNESCO, Paris, der ständigen Kommission der UNO, Genf, und dem Europarat, Strasbourg.

Quelle: Presseinformation Stadt Dortmund

Hinweis: Ein Bericht über die Veranstaltung demnächst hier auf meinem Blog.

Podiumsdiskussion im Dortmunder Rathaus: „Globaler Rohstoffhandel – wer zahlt, wer profitiert?“

Die Diskutanten v.l.n.r: Vincent Neussl, Dr. Médard Kabanda, Johanna Sydow und Matthias Baier; Fotos: C.-D. Stille

Die Diskutanten v.l.n.r: Vincent Neussl, Dr. Médard Kabanda, Johanna Sydow und Matthias Baier; Fotos: C.-D. Stille

Eine interessante Diskussion zum globalen Rohstoffhandel fand am Dienstagabend im Dortmunder Rathaus statt.

Konkret ging es um folgenden Fragen: „Wer und was macht Coltan zum Konfliktrohstoff? Wer sind die Gewinner, wer die Verlierer der globalen Wirtschaftsbeziehungen? Welche Forderungen gilt es an Regierungen, internationale Konzerne und Konsumenten zu stellen, um ein faires und zukunftsfähiges Wirtschaften zu fördern?“ Die Veranstaltung stand unter dem Motto „Globaler Rohstoffhandel – wer zahlt, wer profitiert?“

Begrüßung der Gäste durch Birgit Jörder

Begrüßt die Gäste: Bürgermeisterin Birgit Jörder.

Begrüßt die Gäste: Bürgermeisterin Birgit Jörder.

Bürgermeisterin Birgit Jörder begrüßte die Gäste. Sie wies daraufhin, dass wir alle u.a. durch Nutzung der nicht mehr aus unseren Leben wegzudenkenden Smartphones mit dem Thema in Berührung stehen: Denn Smartphones sind ohne den Rohstoff Coltan nicht herstellbar.

„Global denken – lokal handeln ist die Maxime. Auf nachhaltiges Handeln kommt es an.“ Sie denke, in Dortmund sei man da ganz gut eingestellt.

Coltan-Fieber“ auf NRW-Tournee

Zum Auftakt der NRW-Tournee des Bildungs- und Theaterprojektes „Coltan-Fieber“ für Schulen und Erwachsene informierte Christa Morgenrath, Projektleitung „stimmen afrikas/ Allerweltshaus Köln“ und „africologne/ Theater im Bauturm/Köln“ über das Projekt. Dieses könne beispielhaft über die Problematik globaler Rohstoffhandel informieren.

Über die Entstehungsgeschichte des Theaterprojektes

Gerhardt Haag, Theaterleitung & Künstlerische Leitung africologne, berichtete über die Entstehungsgeschichte des Theaterprojektes „Coltan-Fieber“.

Christa Morgenrath und Gerhardt Haag (links) zum Theaterprojekt.

Christa Morgenrath und Gerhardt Haag (links) zum Theaterprojekt.

Den Anstoß dafür lieferte die Goethe-Gesellschaft in Kigali/Rwanda. Doch das Thema war für das Land zu heiß. Man sei dennoch dran geblieben und habe das von Jan-Christoph Gockel inszenierte Stück zusammen mit dem Theater FALINGA Ouagadougou/Burkina Faso entwickelt. Autor ist Aristide Tarnagda. Dessen Skizze wurde in Köln gezeigt.

Coltan-Fieber“: Aufführung am 11. Juni im Theater im Depot

Letztlich kristallisierten sich daraus zwei Stücke heraus. „Coltan-Fieber“ hatte am 31.10.2014 in Ouagadougou verspätet nach einem Volksaufstand in sehr aufgeheizter Situation Premiere. Das deutsche Auswärtige Amt hat das Projekt unterstützt. Das Stück konnte dann auch in Kinshasa in der Demokratischen Republik Kongo – wenngleich nicht direkt in der Coltan-Region im Ostkongo – aufgeführt werden. Einer der damaligen Schauspieler, freute sich Gerhardt Haag, sei nun auch endlich dank Hilfe des deutschen Außenamtes nach mehrmaliger Ablehnung eines Visas, am Montagabend in Deutschland eingetroffen. Er befand sich im Publikum.

Das Stück „Coltan-Fieber wird übrigens am 11. Juni im Dortmunder Theater im Depot um 20:00 Uhr zu sehen sein.

Die Diskutanten

Die von Sandrine Blanchard, Redaktion frankophones Afrika, Deutsche Welle, moderierte Diskussion ging auf viele Aspekte des sehr komplexen

Johanna Sydow von Germanwatch.

Johanna Sydow von Germanwatch.

Themas der Veranstaltung ein. Die Expertin in der Runde, Johanna Sydow, Referentin für Ressourcenpolitik, Germanwatch Berlin, und deren männliche Expertenkollegen, Vincent Neussl, Referent der Afrika Abteilung, Misereor Aachen, Dr. Phil Médard Kabanda, Dozent der Kultur- und Sozialwissenschaften der Uni Osnabrück und des Otto-Suhr-Instituts der Freien Universität Berlin, sowie Matthias Baier, Internationale Kooperationen – Afrika, Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, Hannover informierten über den aktuellen wissenschaftlichen und politischen Stand der Debatte und das komplexe Gefüge der Konfliktlage in der Region der Großen Seen zu durchleuchten.

Sandrine Blanchard wies daraufhin, dass allein dort 50 bis 60 bewaffnete Gruppen den Coltanabbau kontrollierten. Wobei die Rohstoffe nicht die Ursache der Konflikte seien, sie jedoch anheizten.

Die Lage aus Sicht der einzelnen Diskutanten

Zunächst zeigte Matthias Baier zwecks Einführung den interessanten Film eines Journalisten über die Arbeitsbedingungen in einer zertifizierten

Martin Baier.

Martin Baier.

Coltanmine im Osten Kongos. Er handelt u.a. von einem einstigen Farmer, der sich – verschuldet – in einer Coltanmine verdingt hat. Dort wird mit Schaufeln und bloßen Händen wie zu Goldgräberzeiten gearbeitet. Reich kann davon niemand werden. Eine Zertifizierung ermöglicht die Bestimmung der genauen Herkunft der Rohstoffe.

Zwei Drittel der Minen gelten immerhin als konfliktfrei. Heißt, dort gibt es keine bewaffneten Auseinandersetzungen oder Kinderarbeit. Von dort kommt auch das Coltan, das etwa im Fairphone, dass Beier auch privat nutzt, verarbeitet ist.

Verbindliche Vorschriften statt freiwilliger Selbstverpflichtungen

Die weitere Diskussion erbrachte, dass freiwillige Selbstverpflichtungen der Importeure von Rohstoffen sowie der Hersteller von Handys, Laptops oder Autos bezüglich der Konfliktfreiheit der verwendeten Rohstoffe nicht zielführend sind. Sondern ausschließlich verbindliche Vorschriften. Daran ließ Johanna Sydow keinen Zweifel.

Kritik an Staat und Medien der Demokratischen Republik Kongo

Dr. Médard Kabanda beschrieb und skandalisierte die Ohnmacht des Staates gegenüber dem stattfindenden Unrecht sowie dessen beklagenswerte

Dr. Médard Kabanda.

Dr. Médard Kabanda.

Handlungsunfähigkeit in weiten Bereichen im Kongo. Der doch eigentlich ein reiches Land sei. Profitieren vom Rohstoffabbau würde hauptsächlich – und dass bereits seit Kolonialzeiten – Cliquen und Clans im Lande. Viele Menschen rackerten sich dagegen in den Rohstoffminen barfuß und mit bloßen Händen für lächerlich geringen Lohn ab. Auch kriegerische Auseinandersetzungen nicht nur in Rwanda, sondern auch im Kongo hätten tiefe Spuren in der Bevölkerung hinterlassen. Der Staat komme seinen Aufgaben nicht nach. Rohstoffe verschwänden in die Nachbarländern. Es gebe weder Kontrolle, noch würden Zölle erhoben. Ein Manko an ermöglichter Bildung sei zu konstatieren. Die aus den Ressourcen des Landes erzielten Gewinne würden nicht gerecht über die Bevölkerung verteilt. „Die Masse der Bevölkerung leidet.“

Die eigene „Verfassung wird mit Füßen getreten“. Kabanda: „Der Staat ist eine Katastrophe.“ Die Medien seien alle von der Regierung gekauft.

Kongo hat sogar einen Minen-Kodex. Dieser werde aber nicht angewandt, wusste Sandrine Blanchard. Der Staatshaushalt des Kongo, auch das darf nicht unbedacht bleiben, beträgt gerade einmal um die acht Milliarden Euro.

Bemühungen um fairen Rohstoffabbau

Vincent Neussl sprach über die starken Bemühungen betreffs fairen Rohstoffabbaus

Vincent Neussl.

Vincent Neussl.

der fest in der kongolesischen Zivilgesellschaft verankerte katholischen Kirche des Landes. Er wollte dank der Dodd-Frank-Gesetzgebung in den USA und der Europäischen Richtlinien, die kein zahnloser Tiger sein dürften, zwecks fairen Rohstoffhandels zarte Verbesserungen der Situation auch der Kleinschürfer sehen.

Hundertfünfzig Euro verdiene ein General, schob die Moderatorin ein. Wie solle der denn zu ordentlicher Kontrolle motiviert sein und Bestechungsversuchen gegenüber immun sein?

Keine einfachen Lösungen

Matthias Baier wandte ein, einfache Lösungen gebe es nicht. Auch verbindliche Verpflichtungen der Industrie hätten nicht unbedingt Verbesserungen zur Folge. Schließlich gingen auch die Kosten für Kontrollen letztlich zulasten der Minenarbeiter. Und natürlich sei auch die katholische Kirche zwar Teil der – aber letztlich nicht die Zivilgesellschaft an sich. Viele Kongolesen hätten keinerlei Stimme.

Die Runde war einig in de Analyse der Situation. Doch die Probleme sind komplex

Die spannende Diskussion zu einem hochwichtigen Thema hatte zum Ergebnis, dass die Probleme und die daraus resultierenden Notwendigkeiten des Handeln erkannt sind. Man war sich, wie Martin Baier einvernehmlich für die Runde feststellte schon ziemlich einig. Es ging gar nicht so kontrovers zu wie zu erwarten gewesen war. Dennoch sind die Probleme sehr komplex. Einfache Lösungen zu finden zu wollen, hieße naiv sein. Wobei auch zu beachten wäre, was Dr. Kabanda sagte:

„Die Worte der Politiker sind oft sehr groß, die Wirkungen vor Ort jedoch klein. Auf Menschlichkeit kommt es an.“

Dortmund: Projekt KODIAQ zur Konfliktvermittlung, Dialog und Aktivierung im Quartier mit positiver Bilanz

Das Team von KODIAQ und Planerladen (Links hinten Thorsten Hoffmann, MdB CDU; Mitte Bürgermeisterin Birgit Jörder; Fotos: C.-D. Stille

Das Team von KODIAQ und Planerladen (Links hinten Thorsten Hoffmann, MdB CDU; Mitte Bürgermeisterin Birgit Jörder; Fotos: C.-D. Stille

Ein Jahr liegt es nun zurück, dass das Projekt „KODIAQ – Konfliktvermittlung, Dialog und Aktivierung im Quartier“ als Nachfolger des langjährig bestehenden interkulturellen Konfliktmanagements in der Dortmunder Nordstadt ins Leben gerufen worden ist. Grund genug für den Planerladen e.V. eine erste Bilanz ziehen. Am vergangenen Freitag war die Öffentlichkeit zu einem „Tag der offenen Tür“ in die Integrationsagentur in die

Auf der Dortmunder Schützenstraße hat die Integrationsagentur ihren Sitz.

Auf der Dortmunder Schützenstraße hat die Integrationsagentur ihren Sitz.

Schützenstraße 42 eingeladen, um mehr über das Projekt zu erfahren. Darüber hinaus wollte der Planerladen seine übrigen Projekte und Projektbereiche vorstellen. Was wäre besser dazu geeignet dafür gewesen als „Tag der offenen Tür“ in der Integrationsagentur des Planerladen e.V. ! Interessierte und Pressevertreter hatten sich am Standort eingefunden.

Prof. Dr. Reiner Staubach über das vielgestaltige Projekt und dessen Hintergründe

Prof. Dr. Reiner Staubach, Dipl.-Ing. und Stadtplaner, und Mitglied im Vorstand von Planerladen e.V. begrüßte die Gäste in Anwesenheit von Bürgermeisterin Birgit Jörder und Thorsten Hoffmann (MdB CDU). In seiner kurzen Ansprache erinnerte Reiner Staubach daran, dass die

Prof. Dr. Staubach spricht über das Projekt.

Prof. Dr. Staubach spricht über das Projekt.

Dortmunder Nordstadt schon immer „eine Ankunftstation“ gewesen sei. Zunächst für Zuwanderer aus Westfalen, später dann aus Schlesien. Bis es dann noch internationaler geworden sei im Dortmunder Norden. Ein Kommen und Gehen sei da quasi immer ganz normal gewesen. Ein Fünftel oder mehr der Bevölkerung hätte dieser Umsetzungsprozess ständig ausgemacht. Stets sei dort also Fremdheit auf „Normalität“ getroffen. Die ethnische Vielfalt und Kulturalität sei durchaus nichts Besonderes gewesen. Ebenso die Tatsache, dass es da nicht immer konfliktfrei zugehen konnte. „Im besonderen Maße bei so einer hohen urbanen Dichte“, so Professor Staubach, „da knisterte es dabei.“ In unseren Breiten habe das Austragen von Konflikten wie in anderen Kulturkreisen – wo dies direkter stattfinde – womöglich keine sonderliche Tradition. Dabei sei ein Konflikt ein ganz normaler Zustand. „Nichts schlimmes.“

Die Integrationsagentur gibt es seit 2007, davor war es ein Projekt, für das stets Gefahr bestanden habe, eingestellt werden zu müssen. Glücklicherweise kam immer wieder Unterstützung. Etwa von der Sparkasse oder der Stadt Dortmund. Seit dem Jahr 2007 wurde die Agentur zur regionalen „Servicestelle für Antidiskriminierung“. Man habe sich auch an einer bundesweiten Untersuchung der Antidiskriminierungsstelle des Bundes beteiligt. Ebenfalls setzt sich die Integrationsagentur für die Förderung bürgerschaftlichen Engagements ein. Seit 2015 werde „KODIAQ“ aus dem neuen Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds (AMIF) der EU gefördert, führe die erfolgreichen Ansätze der Vorgängerprojekte weiter und setze neue Maßnahmen um. Reiner Staubach: „Es hat sozusagen ein Haken, da es sich nur an sogenannte Zielgruppe Drittstaatler wenden darf und anerkannte Geflüchtete.“ Menschen, die nicht aus der EU stammen.

Großzügige Spende der Sparkasse Dortmund ermöglichte breiteres Angebot der Hilfsangebote

Dank einer großzügige Spende der Dortmunder Sparkasse profitierten aber über diese Zielgruppe hinaus auch Zuwanderer aus dem EU-Bereich.

Herr Schenk, Vertreter der Sparkasse Dortmund.

Herr Schenk, Vertreter der Sparkasse Dortmund.

Betreffs dieses Handlungsfelds vermeldet Reiner Staubach, dass mit dem im Januar 2016 im Verbund mit Diakonie, Caritas, AWO und GrünBau gestarteten Projekt „ACASA in Dortmund“, das aus EHAP-Mitteln (Europäischer Hilfsfonds für die am stärksten benachteiligten Personen) gefördert wird. So war es möglich, ein breiteres Angebot zur Vermittlung der genannten Zielgruppe der EU-Neuzuwanderer aus Südosteuropa in die sozialen Hilfesysteme aufzubauen.

Erfolgreiche knüpfe man an die Erfahrungen des bis Herbst 2015 in den Räumen der Integrationsagentur erfolgreich durchgeführten Projektes „IRON – Integration von Roma in der Dortmunder Nordstadt“ an.

Prof. Dr. Staubach wies noch auf das Projekt „Dortmund all inclusive“ hin. Welches „Martin Eder, Migrant aus Österreich“ – Heiterkeit im Raume – betreue und somit gewissermaßen auch „für den Nord-Süd-Dialog“ stehe. Darin geht es im Kern um die Förderung des gesamtstädtischen und gesellschaftlichen Zusammenhalts innerhalb der Stadtgrenzen Dortmunds.

Mittlerweile bildet die Zusammensetzung der Mitarbeiterschaft auch die Vielfalt der Menschen im Stadtteil ab

Als man 1982 die Arbeit in der Nordstadt begonnen habe, erinnerte sich Dr. Staubach, sei das mit „zwölf Biodeutschen“ geschehen. Inzwischen bilde sich die Vielfalt der Menschen im Stadtteil auch in dem kulturellen Hintergrund der Mitarbeiterschaft von KODIAQ ab. Man sei ziemlich stolz auf die unterdessen „angesammelte interkulturelle Kompetenz“.

Bürgermeisterin Birgit Jörder zum Projekt: „Herzlichen Dank, dass es Sie gibt!“

Bürgermeisterin Birgit Jörder brachte im Anschluss an die Ausführungen von Reiner Staubach die Wertschätzung des Projektes seitens der Stadt Dortmund zum Ausdruck. Die Bilanz von KODIAQ falle gut aus. Birgit Jörder: „Konflikte sind im Alltag der Normalfall“, sei gesagt worden, „das kann

Bürgermeisterin Birgit Jörder lobte das Projekt im Auftrag der Stadt Dortmund.

Bürgermeisterin Birgit Jörder lobte das Projekt im Auftrag der Stadt Dortmund.

ich bestätigen.“ Sie erlebe das in ihrem Büro im Rathaus. Da gehe es aber nicht um Migranten. Mit KODIAQ existiere dankenswerterweise eine Stelle, die Konflikte nicht unbedingt aus der Welt schaffe, „sondern ein bisschen Stützen einziehe, damit man bei Konflikten auch noch ordentlich miteinander umgeht“. Denn Konflikte zu vermeiden werde nicht gelingen, solange es Menschen gibt. Von Vorteil sei, dass viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von KODIAQ in der Nordstadt wohnten. Jörder freue sich jedoch über jeden, der den Mut habe sich in Konfliktgebiet zu begeben und auch da zu leben. „Ich bin überzeugt, dass wir solche Projekte wie KODIAQ in der Zukunft noch stärker brauchen werden.“ Menschen würden kommen und ihre Konflikte mitbringen. Umso dankbarer müsse man sein, dass es Projekte wie den Planerladen gebe, die hülfen, die Konflikte auf einem Level zu halten, dass ein Miteinanderleben ermögliche. Die Bürgermeisterin machte den Akteuren ausdrücklich Mut, dass Projekt weiter voranzutreiben. Mit einem „Herzlichen Dank, dass es Sie gibt!“, beschloss die Politikerin ihre Ansprache.

Hochachtung vom Vertreter der Sparkasse

Herr Schenk, Vertreter der Sparkasse Dortmund drückte dann noch seine Hochachtung dafür aus, was das von seinem Institut geförderte Projekt mit den den Spenden Hervorragendes auf die Beine gestellt habe.

Gespräche und Austausch der Gäste untereinander bei leckeren Häppchen

Im Anschluss kamen die Gäste bei leckeren kulinarische Häppchen, welche Vielfalt der im Dortmunder Norden lebenden Menschen auch geschacklich zum Ausdruck brachten, untereinander locker ins Gespräch. Man tauschte sich aus. Und vielleicht wurde auch die eine oder andere Möglichkeit einer künftigen Zusammenarbeit erörtert. Sehr angetan von der Arbeit des Planerladens und KODIAQ zeigte sich der bei der Veranstaltung der Bundestagsabgeordnete der CDU, Thorsten Hoffmann. Hoch interessiert suchte er das Gespräch mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Projektes, sowie mit den Gästen . Hoffmann ist in vielfacher Hinsicht u.a. auch mit sozialen Themen befasst. Hoffmann versprach sich auch künftig intensiv für Projekte dieser Art stark zu machen.

Ein Jahr Projekt „KODIAQ. Die Bilanz des Getanen kann sich sehen lassen. Das Projekt ist aus den Kinderschuhen heraus und man blickt nun gestärkt, mutig und zuversichtlich, dass noch viel mehr geleistet werden kann, in die Zukunft.