Ein „offener Brief“ von insgesamt 38 Personen des öffentlichen Lebens warnt vor einem „großen europäischen Krieg“, der mit allen Mitteln zu verhindern sei. Der Appell übernimmt dabei in den Formulierungen die gängigen, eingeforderten Narrative der etablierten Politik und Medien.
Eine Gruppe von aktiven wie ehemaligen Politikern, Friedensaktivisten, Publizisten und Schriftstellern sowie besorgten Bürgern formulieren in einem „Offenen Brief“, dem „Appell der 38“, ihre Sorgen und Ängste zum Thema der jüngsten politischen und militärischen Entwicklungen im Ukraine-Krieg. Das Schreiben liegt dem Portal T-Online vor.
Der Brief trägt die Überschrift:
„Eine Minute vor Zwölf – Einen großen europäischen Krieg verhindern!“
Offenbar um möglichen Attacken der großen Ukraineversteher-Fraktion zu entgehen ‒ erwartbar seitens der deutschen Politik und zuarbeitenden Mainstream-Medien ‒, wird auch im „Offenen Brief“ die westliche Sicht auf den Konflikt vertreten und das dazugehörige Vokabular verwendet. So heißt es im ersten Absatz:
„Der völkerrechtswidrige Krieg Russlands gegen die Ukraine tobt seit 1.000 Tagen. Täglich sterben Menschen, die Ukraine wird mehr und mehr zerstört. An der Front steht die ukrainische Armee unter Druck, es fehlt nicht nur an Waffen, sondern auch an Soldaten, die Russen erzielen Geländegewinne. Ein Ende des Sterbens ist nicht in Sicht.“
Die jüngst verkündete „Last-Minute-Entscheidung des US-Präsidenten Biden“, NATO-unterstützte Angriffe auf Russland mit von den USA gelieferten Raketen zu genehmigen, habe „eine neue Eskalationsstufe eingeleitet“.
Der T-Online-Artikel erklärt dazu mit kritischem Unterton:
„Militärexperten sehen eher in dem [nach wie vor nicht bewiesenen, d. Red.] Einsatz von nordkoreanischen Soldaten durch Russland eine neue Eskalationsstufe gekommen – darauf geht der Brief nicht ein.“
„Biden hatte sich in der Vergangenheit geweigert, diesen Schritt [der Erlaubnis] zu gehen, um, wie er selbst betonte, einen Dritten Weltkrieg zu vermeiden. Gilt das jetzt nicht mehr?“, so die formulierte Frage in dem offenen Brief. In dem Appell heißt es wörtlich weiter:
„Inzwischen haben auch Großbritannien und Frankreich nachgezogen. Damit steigt das Risiko für ganz Europa extrem. Deutschland könnte das neue Schlachtfeld werden.“
Der T-Online-Artikel zitiert in seiner Formulierung ergänzend: „Demnach hätten auch Großbritannien und Frankreich den USA nachgezogen“, gefolgt von der Mutmaßung:
„Diese Argumentation ist im Sinne Russlands, das auf eine Kapitulation der Ukraine hofft. Die Botschaft: Der Westen solle die Ukraine nicht weitergehend unterstützen, sonst könnte Russland Atomwaffen einsetzen.“
Die vermeintliche Notwendigkeit und diesbezügliche fortdauernde Absichtserklärungen seitens der Grünen, der FDP sowie der CDU, an die Ukraine Taurus-Waffen liefern zu wollen, wird in dem offenen Brief kritisiert, da dies einer „Kriegserklärung an die Atommacht Russland“ gleichkäme. Daraus resultiere die Gefahr, dass die Drohung „mit hoher Wahrscheinlichkeit eine militärische Antwort“ nach sich zieht.
Das Resümee des Status quo lautet für die Unterzeichner:
„Wie befinden uns in der vielleicht gefährlichsten Phase dieses Krieges. Unsere oberste Pflicht sollte sein, eine Katastrophe für unser Land und alle Menschen in Europa zu vermeiden.“
Es gelte nun, als direkt an die Abgeordneten des deutschen Parlaments gerichteter Appell:
„Vergessen wir unsere Differenzen und handeln gemeinsam, um das Schlimmste zu verhindern.“
Den Ukraine-Krieg „kann und wird keine Seite gewinnen“, so die Einschätzung zum Verlauf der Ereignisse. Sollten die Waffen „nicht bald schweigen“, würde am Ende die Gefahr bestehen, dass „wir alle gemeinsam verlieren“.
Einzige Chance sei ein „sofortiger Waffenstillstand mit anschließenden Friedensverhandlungen“. Noch nie seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs sei die Gefahr eines „Nuklearkriegs in Europa so groß wie jetzt“.
Unterzeichnet haben den Appell unter anderem Alice Schwarzer, Sahra Wagenknecht, Oskar Lafontaine, die Schriftstellerinnen Daniela Dahn und Juli Zeh, die Publizistin Gabriele Krone-Schmalz und der NachDenkSeiten-Macher Albrecht Müller, die ehemaligen SPD-Politiker Otto Schily und Günter Verheugen sowie Peter Gauweiler (CSU), aber auch Personen des öffentlichen Lebens wie Katarina Witt und der Schauspieler Henry Hübchen.
Der russische Präsident Wladimir Putin hat in einer Rede vor der Leitung des russischen Außenministeriums ein neues Angebot für eine mögliche Friedenslösung im Ukrainekrieg unterbreitet. Dieser Vorstoß wird von vielen Journalisten und Politikern hierzulande entweder ignoriert oder mit teils absurden „Argumenten“ und mit einer unangemessenen Empörungshaltung zurückgewiesen. Gleichzeitig ging in der Schweiz eine „Friedenskonferenz“ über die Bühne, die wegen der Nichtteilnahme Russlands und Chinas als irrelevant bezeichnet werden muss. Weil Äußerungen von nichtwestlichen Politikern oft aus dem Zusammenhang gerissen werden, ist es lohnend, die Originalquellen zu lesen. Um sie zur Diskussion zu stellen, dokumentieren die NachDenkSeiten hier die ganze Rede Putins auf Deutsch, in einer Übersetzung von Thomas Röper.
14. Juni 2024 16:54 Uhr
Wenn der russische Präsident Putin vor der Leitung des russischen Außenministeriums eine Rede hält, ist das immer ein sehr wichtiger und seltener Moment. Die letzte Rede hat Putin dort im November 2021 gehalten. Damals hat er die russischen Diplomaten fast flehentlich aufgerufen, trotz aller Wort- und Vertragsbrüche des Westens noch einmal alles in ihrer Macht stehende zu tun, um eine Eskalation in der Ukraine zu verhindern.
Kurz darauf hat das russische Außenministerium Mitte Dezember 2021 den USA und der NATO Vorschläge für gegenseitige Sicherheitsgarantien unterbreitet, die die NATO und die USA zum Monatswechsel Januar/Februar 2022 abgelehnt haben, wonach die Eskalation in der Ukraine, die nur drei Wochen später einsetzte, unausweichlich geworden war.
Nun hat Präsident Putin im russischen Außenministerium wieder eine Grundsatzrede über die außenpolitischen Ziele Russlands gehalten. Die ersten Medienberichte darüber konzentrieren sich darauf, dass Putin in seiner Rede einen Friedensvorschlag zur Ukraine-Krise unterbreitet hat. Allerdings kam der erst am Ende der mehr als einstündigen Rede, deren restlichen Teile, die die Ziele der russischen Außenpolitik umschreiben, nicht weniger interessant sind. Daher habe ich Putins gesamte Rede übersetzt.
Beginn der Übersetzung:
Sehr geehrte Kollegen, guten Tag!
Ich freue mich, Sie alle begrüßen zu dürfen, und möchte Ihnen zu Beginn unseres Treffens und Gesprächs für Ihre harte Arbeit im Interesse Russlands und unseres Volkes danken.
Wir haben uns Ende 2021, im November, in so großer Runde getroffen. Seitdem haben sich im Land und in der Welt ohne Übertreibung viele entscheidende und folgenschwere Ereignisse ereignet. Daher halte ich es für wichtig, die aktuelle Situation in globalen und regionalen Angelegenheiten zu bewerten und die entsprechenden Aufgaben für das Außenministerium festzulegen. Alle diese Aufgaben sind dem Hauptziel untergeordnet: die Bedingungen für eine nachhaltige Entwicklung des Landes zu schaffen, seine Sicherheit zu gewährleisten und das Wohlergehen der russischen Familien zu verbessern.
Die Arbeit in diesem Bereich erfordert in der heutigen komplexen und sich schnell verändernden Realität von uns allen eine noch stärkere Konzentration der Anstrengungen, Initiative, Ausdauer und die Fähigkeit, nicht nur auf aktuelle Herausforderungen zu reagieren, sondern auch unsere eigene – und langfristige – Agenda zu gestalten, gemeinsam mit unseren Partnern Vorschläge zu unterbreiten und in einer offenen und konstruktiven Diskussion Lösungsmöglichkeiten für die grundlegenden Fragen zu erörtern, die nicht nur uns, sondern die gesamte Weltgemeinschaft betreffen.
Ich wiederhole: Die Welt verändert sich schnell. Sie wird in der globalen Politik, in der Wirtschaft und im technologischen Wettbewerb nicht mehr wie früher sein. Immer mehr Staaten sind bestrebt, ihre Souveränität, ihre Autarkie, ihre nationale und kulturelle Identität zu stärken. Die Länder des globalen Südens und Ostens rücken in den Vordergrund und die Rolle Afrikas und Lateinamerikas wächst. Seit den Zeiten der Sowjetunion haben wir immer von der Bedeutung dieser Regionen der Welt gesprochen, aber heute ist die Dynamik eine ganz andere, und das merkt man. Auch in Eurasien, wo eine Reihe von groß angelegten Integrationsprojekten aktiv umgesetzt wird, hat sich das Tempo der Transformation deutlich beschleunigt.
Auf der Grundlage eben dieser neuen politischen und wirtschaftlichen Realität bilden sich heute die Konturen einer multipolaren und multilateralen Weltordnung heraus, und das ist ein objektiver Prozess. Er spiegelt die kulturelle und zivilisatorische Vielfalt wider, die dem Menschen trotz aller Versuche einer künstlichen Vereinheitlichung organisch innewohnt.
Diese tiefgreifenden systemischen Veränderungen geben zweifellos Anlass zu Optimismus und Hoffnung, denn die Durchsetzung der Grundsätze der Multipolarität und des Multilateralismus in den internationalen Angelegenheiten, einschließlich der Achtung des Völkerrechts und einer breiten Repräsentativität, ermöglicht es, die komplexesten Probleme zum gemeinsamen Nutzen zu lösen und im Interesse des Wohlergehens und der Sicherheit der Völker Beziehungen und eine Zusammenarbeit zwischen souveränen Staaten zum gegenseitigen Nutzen aufzubauen.
Diese Vorstellung von der Zukunft entspricht den Bestrebungen der großen Mehrheit der Länder der Welt. Wir sehen das unter anderem am wachsenden Interesse an der Arbeit einer so universellen Vereinigung wie den BRICS, die auf einer besonderen Kultur des vertrauensvollen Dialogs, der souveränen Gleichheit der Teilnehmer und des gegenseitigen Respekts beruht. Im Rahmen des russischen Vorsitzes in diesem Jahr werden wir die reibungslose Aufnahme der neuen BRICS-Mitglieder in die Arbeitsstrukturen des Verbandes erleichtern.
Ich fordere die Regierung und das Außenministerium auf, die inhaltliche Arbeit und den Dialog mit unseren Partnern fortzusetzen, damit wir auf dem BRICS-Gipfel im Oktober in Kasan eine Reihe von Beschlüssen fassen können, die die Richtung für unsere Zusammenarbeit in den Bereichen Politik und Sicherheit, Wirtschaft und Finanzen, Wissenschaft, Kultur, Sport und humanitäre Beziehungen vorgeben werden.
Generell glaube ich, dass die BRICS aufgrund ihres Potenzials in der Lage sein werden, zu einer der zentralen Regulierungsinstitutionen der multipolaren Weltordnung zu werden.
In diesem Zusammenhang möchte ich darauf hinweisen, dass die internationale Diskussion über die Parameter der Zusammenarbeit zwischen den Staaten in einer multipolaren Welt und über die Demokratisierung des gesamten Systems der internationalen Beziehungen natürlich bereits läuft. So haben wir mit unseren Kollegen in der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten ein gemeinsames Dokument über internationale Beziehungen in einer multipolaren Welt vereinbart und verabschiedet. Wir haben unsere Partner eingeladen, über dieses Thema auf anderen internationalen Plattformen zu sprechen, vor allem im Rahmen der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit und der BRICS.
Wir sind daran interessiert, dass dieser Dialog innerhalb der Vereinten Nationen ernsthaft geführt wird, auch über ein so grundlegendes Thema, das für alle von entscheidender Bedeutung ist, wie die Schaffung eines Systems der unteilbaren Sicherheit. Mit anderen Worten, die Verankerung des Grundsatzes im internationalen Umgang, dass die Sicherheit der einen nicht auf Kosten der Sicherheit der anderen gewährleistet werden darf.
Ich möchte in diesem Zusammenhang daran erinnern, dass die Weltgemeinschaft am Ende des 20. Jahrhunderts, nach dem Ende der akuten militärisch-ideologischen Konfrontation, die einmalige Chance hatte, eine verlässliche und gerechte Ordnung im Bereich der Sicherheit zu schaffen. Dazu bedurfte es nicht viel – lediglich der Fähigkeit, die Meinungen aller interessierten Parteien anzuhören, und der gegenseitigen Bereitschaft, sie zu berücksichtigen. Unser Land war entschlossen, genau diese Art von konstruktiver Arbeit zu leisten.
Es herrschte jedoch ein anderer Ansatz vor. Die westlichen Mächte, allen voran die USA, meinten, den Kalten Krieg gewonnen und das Recht zu haben, selbst zu bestimmen, wie die Welt organisiert werden sollte. Praktischer Ausdruck dieser Sichtweise war das Projekt der unbegrenzten räumlichen und zeitlichen Ausdehnung des nordatlantischen Blocks, obwohl es natürlich auch andere Ideen gab, wie die Sicherheit in Europa gewährleistet werden könnte.
Unsere berechtigten Fragen wurden mit Ausreden in dem Geiste beantwortet, dass niemand Russland angreifen werde und dass die NATO-Erweiterung nicht gegen Russland gerichtet sei. Die Versprechungen, die Ende der 80er und Anfang der 90er Jahre gegenüber der Sowjetunion und dann gegenüber Russland gemacht wurden, keine neuen Mitglieder in den Block aufzunehmen, wurden einfach vergessen. Und selbst wenn sie sich daran erinnerten, verwiesen sie höhnisch darauf, dass diese Zusicherungen mündlich gegeben wurden und daher nicht bindend waren.
Sowohl in den 1990er Jahren als auch später haben wir stets auf den von den westlichen Eliten gewählten Irrweg hingewiesen; wir haben nicht nur kritisiert und gewarnt, sondern Optionen und konstruktive Lösungen angeboten und betont, wie wichtig es ist, einen Mechanismus für die Sicherheit in Europa und in der Welt zu entwickeln, der allen – ich möchte das betonen, allen – gerecht wird. Eine einfache Aufzählung der Initiativen, die Russland im Laufe der Jahre vorgebracht hat, würde mehr als einen Absatz erfordern.
Erinnern wir uns zumindest an die Idee des Vertrages über die europäische Sicherheit, die wir bereits 2008 vorgeschlagen haben. Die gleichen Themen wurden in dem Memorandum des russischen Außenministeriums angesprochen, das den USA und der NATO im Dezember 2021 übergeben wurde.
Aber alle unsere Versuche – und wir haben zahlreiche Versuche unternommen, die ich hier nicht alle aufzählen kann -, unsere Gesprächspartner zur Vernunft zu bringen, Erklärungen, Ermahnungen, Warnungen und Bitten unsererseits sind auf keinerlei Resonanz gestoßen. Die westlichen Länder, die nicht nur davon überzeugt sind, im Recht zu sein, sondern auch von ihrer Macht, von ihrer Fähigkeit, dem Rest der Welt alles aufzuzwingen, haben andere Meinungen einfach ignoriert. Bestenfalls haben sie vorgeschlagen, über Nebensächlichkeiten zu diskutieren, die eigentlich nichts gelöst hätten, oder über Themen, die nur für den Westen vorteilhaft waren.
In der Zwischenzeit wurde schnell klar, dass das westliche Schema, das als das einzig richtige zur Gewährleistung von Sicherheit und Wohlstand in Europa und der Welt verkündet wurde, nicht wirklich funktionierte. Erinnern wir uns an die Tragödie auf dem Balkan. Die inneren Probleme, die sich im ehemaligen Jugoslawien angehäuft hatten, wurden durch die grobe Einmischung von außen noch deutlich verschärft. Schon damals zeigte sich das Hauptprinzip der NATO-Diplomatie, das bei der Lösung komplexer innerer Konflikte zutiefst fehlerhaft und erfolglos ist, in seiner ganzen Pracht, nämlich eine der Parteien, die man aus irgendeinem Grund nicht besonders mag, aller Sünden zu beschuldigen und alle politische, mediale und militärische Macht, Wirtschaftssanktionen und Beschränkungen auf sie loszulassen.
Wie wir sehr gut wissen, wurden gleichen Methoden danach in verschiedenen Teilen der Welt angewandt: Irak, Syrien, Libyen, Afghanistan und so weiter, und sie brachten nichts anderes als eine Verschärfung der bestehenden Probleme, gebrochene Schicksale von Millionen von Menschen, die Zerstörung ganzer Staaten, die Ausweitung humanitärer und sozialer Katastrophen und terroristische Enklaven. Im Grunde ist kein Land der Welt davor gefeit, in diese traurige Liste aufgenommen zu werden.
So versucht der Westen nun, sich dreist in die Angelegenheiten des Nahen Ostens einzumischen. Einst hatten sie ein Monopol in dieser Gegend, und das Ergebnis ist heute allen klar und offensichtlich.
Der Südkaukasus und Zentralasien: Vor zwei Jahren wurde auf dem NATO-Gipfel in Madrid angekündigt, dass sich das Bündnis nun nicht nur mit Sicherheitsfragen im euro-atlantischen, sondern auch im asiatisch-pazifischen Raum befassen wird. Nach dem Motto, auch dort könne man nicht ohne sie auskommen. Dahinter verbirgt sich offensichtlich der Versuch, den Druck auf die Länder in der Region zu erhöhen, deren Entwicklung sie eindämmen wollen. Wie wir wissen, steht unser Land, Russland, auf den oberen Plätzen dieser Liste.
Ich erinnere auch daran, dass es Washington war, das die strategische Stabilität untergraben hat, indem es sich einseitig aus den Verträgen über die Raketenabwehr, über die Abschaffung von Kurz- und Mittelstreckenraketen und über den offenen Himmel zurückgezogen und zusammen mit seinen NATO-Satelliten das jahrzehntelange System der vertrauensbildenden Maßnahmen und der Rüstungskontrolle in Europa zerstört hat.
Letztlich haben der Egoismus und die Arroganz der westlichen Staaten zu der heutigen, äußerst gefährlichen Situation geführt. Wir sind dem Punkt, an dem es kein Zurück mehr gibt, unannehmbar nahe gekommen. Der Ruf nach einer strategischen Niederlage Russlands, das über die größten Atomwaffenarsenale verfügt, zeigt das extreme Abenteurertum der westlichen Politiker. Entweder begreifen sie nicht das Ausmaß der Bedrohung, die sie selbst darstellen, oder sie sind einfach besessen von dem Glauben an ihre eigene Straffreiheit und ihren eigenen Exklusivität. Beides kann sich als tragisch erweisen.
Offensichtlich erleben wir gerade den Zusammenbruch des euro-atlantischen Sicherheitssystems. Heute existiert es einfach nicht mehr. Es muss praktisch neu geschaffen werden. All dies erfordert, dass wir gemeinsam mit unseren Partnern, mit allen interessierten Ländern – und das sind viele – unsere Optionen für die Gewährleistung der Sicherheit in Eurasien erarbeiten und sie dann einer breiten internationalen Diskussion vorschlagen.
Dieser Auftrag wurde der in der Rede vor der Bundesversammlung gegeben. Es geht darum, in absehbarer Zeit einen Rahmen für gleiche und unteilbare Sicherheit, für eine für alle Seiten vorteilhafte und gerechte Zusammenarbeit und Entwicklung auf dem eurasischen Kontinent zu formulieren.
Was muss dazu auf welchen Grundlagen getan werden?
Erstens: Es muss ein Dialog mit allen potenziellen Teilnehmern an diesem künftigen Sicherheitssystem aufgenommen werden. Und ich bitte Sie, die notwendigen Fragen zunächst mit den Staaten auszuarbeiten, die für eine konstruktive Zusammenarbeit mit Russland offen sind.
Während unseres jüngsten Besuchs in China haben wir diese Fragen mit Präsident Xi Jinping erörtert. Wir stellten fest, dass der russische Vorschlag nicht im Widerspruch zu den Grundprinzipien der globalen Sicherheitsinitiative Chinas steht, sondern diese im Gegenteil ergänzt und mit ihnen voll und ganz in Einklang steht.
Zweitens ist es wichtig, von der Prämisse auszugehen, dass die künftige Sicherheitsarchitektur allen eurasischen Ländern offensteht, die sich an ihrem Aufbau beteiligen wollen. Mit „für alle“ sind natürlich auch die europäischen und die NATO-Länder gemeint. Wir leben auf einem Kontinent, egal was passiert, wir können die Geographie nicht ändern, wir werden auf die eine oder andere Weise koexistieren und zusammenarbeiten müssen.
Ja, die Beziehungen Russlands zur EU und zu einer Reihe von europäischen Ländern haben sich verschlechtert, und ich habe das schon oft betont, nicht durch unsere Schuld. Eine antirussische Propagandakampagne, an der sehr hochrangige europäische Persönlichkeiten beteiligt sind, wird von Spekulationen begleitet, dass Russland angeblich Europa angreifen wird. Ich habe mich dazu schon oft geäußert, und es ist nicht nötig, das in diesem Saal noch einmal zu wiederholen: Wir alle wissen, dass das absoluter Unsinn ist und nur eine Rechtfertigung für ein Wettrüsten darstellt.
In diesem Zusammenhang erlaube ich mir eine kleine Abschweifung. Die Gefahr für Europa geht nicht von Russland aus. Die Hauptbedrohung für die Europäer ist die kritische und ständig wachsende, fast totale Abhängigkeit von den USA: im militärischen, politischen, technologischen, ideologischen und medialen Bereich. Europa wird zunehmend an den Rand der globalen wirtschaftlichen Entwicklung gedrängt, in das Chaos der Migration und anderer akuter Probleme gestürzt und seiner internationalen Subjektivität und kulturellen Identität beraubt.
Manchmal hat man den Eindruck, dass die herrschenden europäischen Politiker und Vertreter der europäischen Bürokratie mehr Angst haben, in die Ungnade Washingtons zu fallen, als das Vertrauen der eigenen Bevölkerung, der eigenen Bürger, zu verlieren. Das zeigen auch die jüngsten Wahlen zum Europäischen Parlament. Die europäischen Politiker schlucken Demütigungen, Grobheiten und Skandale mit der Überwachung der europäischen Staats- und Regierungschefs, während die USA sie einfach für ihre eigenen Interessen benutzen und sie zwingen, ihr teures Gas zu kaufen – übrigens ist Gas in Europa drei- oder viermal teurer als in den USA – oder sie fordern, wie jetzt zum Beispiel, von den europäischen Ländern, die Waffenlieferungen an die Ukraine zu erhöhen. Übrigens werden diese Forderungen immer wieder gestellt. Und es werden Sanktionen gegen sie verhängt, gegen Wirtschaftsakteure in Europa. Sie verhängen sie, ohne sich dessen zu schämen.
Jetzt zwingen sie sie dazu, die Waffenlieferungen an die Ukraine zu erhöhen und ihre Kapazitäten zur Herstellung von Artilleriegranaten zu erweitern. Wer wird diese Granaten brauchen, wenn der Konflikt in der Ukraine vorbei ist? Wie kann das die militärische Sicherheit Europas gewährleisten? Das ist unklar. Die USA selbst investieren in Militärtechnologien, und zwar in die Technologien von morgen: in den Weltraum, in moderne Drohnen, in Angriffssysteme, die auf neuen physikalischen Prinzipien beruhen, also in die Bereiche, die in Zukunft die Art des bewaffneten Kampfes und damit das militärische und politische Potenzial der Mächte, ihre Stellung in der Welt bestimmen werden. Und denen wird nun folgende Rolle zugewiesen: Geld dort zu investieren, wo die USA es brauchen. Aber das erhöht nicht das europäische Potential. Sollen sie es tun, Gott mit ihnen. Für uns ist das vielleicht sogar gut, im Grunde ist es so.
Wenn Europa eines der unabhängigen Zentren der Entwicklung der Welt und kultureller und zivilisatorischer Pol des Planeten bleiben will, braucht es auf jeden Fall gute und freundliche Beziehungen zu Russland, und das Wichtigste ist, dass dazu bereit sind.
Diese wirklich einfache und offensichtliche Sache haben Politiker von wirklich paneuropäischem und weltweitem Maßstab gut verstanden, Patrioten ihrer Länder und Völker, die in historischen Kategorien dachten, nicht Statisten, die dem Willen und den Einflüsterungen anderer folgen. Charles de Gaulle hat in den Nachkriegsjahren viel darüber gesprochen. Ich erinnere mich auch gut daran, wie der deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl 1991 in einem Gespräch, an dem ich persönlich teilnehmen durfte, die Bedeutung der Partnerschaft zwischen Europa und Russland hervorhob. Ich vertraue darauf, dass sich neue Generationen europäischer Politiker früher oder später auf dieses Erbe besinnen wird.
Was die USA selbst betrifft, so erschöpfen die andauernden Versuche der heute dort herrschenden liberal-globalistischen Eliten, ihre Ideologie mit allen Mitteln in der ganzen Welt zu verbreiten, ihren imperialen Status und ihre Vorherrschaft zu bewahren, das Land immer mehr, führen es in den Niedergang und stehen in klarem Widerspruch zu den wahren Interessen des amerikanischen Volkes. Ohne diese Sackgasse, den aggressiven Messianismus, gemischt mit dem Glauben an die eigene Auserwähltheit und Exklusivität, hätten sich die internationalen Beziehungen längst stabilisiert.
Drittens: Um die Idee eines eurasischen Sicherheitssystems zu fördern, muss der Dialog zwischen den bereits in Eurasien tätigen multilateralen Organisationen erheblich intensiviert werden. Ich beziehe mich dabei in erster Linie auf den Unionsstaat, die Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit, die Eurasische Wirtschaftsunion, die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten und die Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit.
Wir sehen die Möglichkeit, dass sich diesen Prozessen in Zukunft weitere einflussreiche eurasische Vereinigungen von Südostasien bis zum Nahen Osten anschließen werden.
Viertens: Wir glauben, dass es an der Zeit ist, eine breite Diskussion über ein neues System bilateraler und multilateraler Garantien für die kollektive Sicherheit in Eurasien zu beginnen. Gleichzeitig muss man langfristig die militärische Präsenz externer Mächte in der eurasischen Region schrittweise reduzieren.
Wir verstehen natürlich, dass diese These in der gegenwärtigen Situation unrealistisch erscheinen mag, aber das ist jetzt. Wenn wir jedoch in Zukunft ein zuverlässiges Sicherheitssystem aufbauen, wird die Präsenz nichtregionaler Militärkontingente einfach nicht mehr nötig sein. Um ehrlich zu sein, besteht dazu heute keine Notwendigkeit – es geht nur um Okkupation, mehr nicht.
Letztlich sind wir der Meinung, dass es den Staaten und regionalen Strukturen Eurasiens obliegt, im Bereich der gemeinsamen Sicherheit konkrete Bereiche der Zusammenarbeit zu bestimmen. Auf dieser Grundlage sollten sie auch selbst ein System von funktionierenden Institutionen, Mechanismen und Vereinbarungen aufbauen, das den gemeinsamen Zielen der Stabilität und Entwicklung wirklich dient.
In diesem Zusammenhang unterstützen wir die Initiative unserer weißrussischen Freunde, ein Programmdokument, eine Charta über Multipolarität und Vielfalt im 21. Jahrhundert zu entwickeln. Darin können nicht nur die Rahmenprinzipien der eurasischen Architektur auf der Grundlage der grundlegenden Normen des Völkerrechts formuliert werden, sondern auch, im weiteren Sinne, eine strategische Vision des Wesens und der Natur der Multipolarität und des Multilateralismus als neues System der internationalen Beziehungen, das die westlich zentrierte Welt ablösen soll. Ich halte das für wichtig und fordere, dass so ein Dokument mit unseren Partnern und allen interessierten Staaten gründlich ausgearbeitet wird. Ich möchte hinzufügen, dass wir bei der Erörterung solch komplexer und vielschichtiger Fragen natürlich ein Höchstmaß an umfassender Vertretung und Berücksichtigung unterschiedlicher Ansätze und Positionen benötigen.
Fünftens: Ein wichtiger Teil des eurasischen Sicherheits- und Entwicklungssystems sollten zweifellos wirtschaftliche Fragen, soziales Wohlergehen, Integration und eine für alle Seiten vorteilhafte Zusammenarbeit sein, die sich mit gemeinsamen Problemen wie der Überwindung von Armut, Ungleichheit, dem Klima, der Umwelt, der Entwicklung von Mechanismen zur Reaktion auf die Bedrohung durch Pandemien und Krisen in der Weltwirtschaft befasst – alles ist wichtig.
Der Westen hat durch sein Handeln nicht nur die militärische und politische Stabilität in der Welt untergraben, sondern durch Sanktionen und Handelskriege auch die wichtigsten Marktinstitutionen diskreditiert und geschwächt. Indem er den IWF und die Weltbank benutzt und die Probleme des Klimawandels verdreht hat, hat er die Entwicklung des globalen Südens abgewürgt. Er verliert im Wettbewerb, selbst nach den Regeln, die der Westen für sich selbst aufgestellt hat, indem er prohibitive Schranken und alle Arten von Protektionismus einsetzt. So haben die USA beispielsweise die Welthandelsorganisation als Regulierungsbehörde für den internationalen Handel aufgegeben. Alles ist blockiert. Und sie üben nicht nur Druck auf ihre Konkurrenten aus, sondern auch auf ihre Satelliten. Man braucht sich nur anzusehen, wie sie den europäischen Volkswirtschaften, die am Rande der Rezession stehen, „aussaugen“.
Die westlichen Länder haben einen Teil der russischen Vermögenswerte und Währungsreserven eingefroren. Jetzt denken sie darüber nach, wie sie eine Rechtsgrundlage für deren endgültige Aneignung schaffen können. Doch trotz aller Gaunereien wird Raub zweifellos Raub und nicht ungestraft bleiben.
Das Problem liegt sogar noch tiefer. Indem sie russische Vermögenswerte stehlen, machen sie einen weiteren Schritt zur Zerstörung des Systems, das sie selbst geschaffen haben und das ihnen jahrzehntelang ihren Wohlstand gesichert hat, ihnen erlaubt hat, mehr zu konsumieren, als sie erarbeiten, das durch Schulden und Verbindlichkeiten Geld aus der ganzen Welt angezogen hat. Jetzt wird allen Ländern, Unternehmen und Staatsfonds klar, dass ihre Vermögenswerte und Reserven alles andere als sicher sind – sowohl im rechtlichen als auch wirtschaftlichen Sinne des Wortes. Und jeder könnte der nächste sein, der von den USA und dem Westen enteignet werden könnte. Es könnten diese ausländischen Staatsfonds sein.
Es gibt schon jetzt ein wachsendes Misstrauen gegenüber dem auf westlichen Reservewährungen basierenden Finanzsystem. Es gibt einen Abfluss von Geldern aus den Wertpapieren und Schuldverschreibungen westlicher Länder sowie aus einigen europäischen Banken, die noch vor kurzem als absolut zuverlässige Orte für die Lagerung von Kapital galten. Jetzt ziehen sie Gold aus diesen Banken ab. Und sie tun das Richtige.
Ich glaube, dass wir die Bildung effektiver und sicherer bilateraler und multilateraler außenwirtschaftlicher Mechanismen, die eine Alternative zu den vom Westen kontrollierten sind, ernsthaft intensivieren müssen. Dazu gehören die Ausweitung von Abrechnungen in nationalen Währungen, die Schaffung unabhängiger Zahlungssysteme und der Aufbau von Lieferketten, die die vom Westen blockierten oder kompromittierten Kanäle umgehen.
Natürlich müssen die Bemühungen um die Entwicklung internationaler Verkehrskorridore in Eurasien, dem Kontinent, dessen natürlicher geografischer Kern Russland ist, fortgesetzt werden.
Ich weise das Außenministerium an, die Entwicklung internationaler Abkommen in all diesen Bereichen bestmöglich zu unterstützen. Sie sind äußerst wichtig für die Stärkung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen unserem Land und unseren Partnern. Das sollte auch dem Aufbau einer großen eurasischen Partnerschaft neuen Schwung verleihen, die im Grunde die sozioökonomische Grundlage für ein neues System der unteilbaren Sicherheit in Europa werden könnte.
Liebe Kollegen, bei unseren Vorschlägen geht es darum, ein System zu bilden, in dem alle Staaten auf ihre eigene Sicherheit vertrauen können. Dann können wir übrigens auch einen anderen, wirklich konstruktiven Ansatz zur Lösung der zahlreichen Konflikte wählen, die es heute gibt. Die Probleme des Defizits an Sicherheit und gegenseitigem Vertrauen gelten nicht nur für den eurasischen Kontinent; überall sind wachsende Spannungen zu beobachten. Wir sehen ständig, wie vernetzt und voneinander abhängig die Welt ist, und ein tragisches Beispiel für uns alle ist die Ukraine-Krise, deren Folgen auf dem ganzen Planeten nachhallen.
Aber ich möchte sofort sagen: Die Krise in der Ukraine ist kein Konflikt zwischen zwei Staaten und schon gar nicht zwischen zwei Völkern, der durch Probleme zwischen ihnen verursacht wurde. Wäre das der Fall, so hätten Russen und Ukrainer, die eine gemeinsame Geschichte und Kultur, geistige Werte, Millionen von verwandtschaftlichen, familiären und menschlichen Bindungen teilen, zweifellos einen Weg gefunden, alle Probleme und Meinungsverschiedenheiten auf faire Weise zu lösen.
Doch das ist anders: Die Wurzeln des Konflikts liegen nicht in den bilateralen Beziehungen. Die Ereignisse in der Ukraine sind eine direkte Folge der weltweiten und europäischen Entwicklung des späten 20. und frühen 21. Jahrhunderts, der aggressiven, rücksichtslosen und absolut abenteuerlichen Politik, die der Westen in all den Jahren verfolgt hat, lange bevor die Militäroperation begann.
Diese Eliten der westlichen Länder haben, wie ich heute bereits gesagt habe, nach dem Ende des Kalten Krieges die Weichen für eine weitere geopolitische Umstrukturierung der Welt gestellt, für die Schaffung und Durchsetzung der berüchtigten regelbasierten Ordnung, in die starke, souveräne und autarke Staaten einfach nicht hineinpassen.
Daher kommt die Politik der Eindämmung unseres Landes. Die Ziele dieser Politik werden von gewissen Persönlichkeiten in den USA und Europa bereits offen ausgesprochen. Heute reden sie von der berüchtigten Dekolonialisierung Russlands. Im Grunde ist das der Versuch, eine ideologische Grundlage für die Zerstückelung unseres Vaterlandes nach nationalen Grundlagen zu schaffen. Über die Zerstückelung der Sowjetunion und Russlands ja schon lange gesprochen. Jeder, der in diesem Saal sitzt, weiß das sehr genau.
Indem sie diese Strategie realisieren, haben die westlichen Länder eine Linie der Absorption und der militärpolitischen Entwicklung der uns nahestehenden Gebiete eingeschlagen. Es gab fünf und nun sechs Wellen der NATO-Erweiterung. Sie haben versucht, die Ukraine zu ihrem Brückenkopf zu machen und sie zum „Anti-Russland“ zu machen. Um diese Ziele zu erreichen, haben sie Geld und Ressourcen investiert, Politiker und ganze Parteien gekauft, die Geschichte und Bildungsprogramme umgeschrieben und Gruppen von Neonazis und Radikalen gefüttert und kultiviert. Sie haben alles getan, um unsere zwischenstaatlichen Beziehungen zu untergraben, unsere Völker zu spalten und gegeneinander auszuspielen.
Der Südosten der Ukraine – Gebiete, die jahrhundertelang Teil des großen historischen Russlands waren – hinderte sie daran, diese Politik noch dreister und unverfrorener zu betreiben. Dort lebten und leben Menschen, die auch nach der Unabhängigkeitserklärung der Ukraine im Jahr 1991 für gute und engste Beziehungen zu unserem Land eintraten. Diese Menschen sind sowohl Russen als auch Ukrainer, Vertreter verschiedener Nationalitäten, die durch die russische Sprache, Kultur, Traditionen und das historische Gedächtnis verbunden sind.
Die Position, die Stimmung, die Interessen und die Stimmen dieser Menschen – Millionen von Menschen, die im Südwesten leben – musste man einfach berücksichtigen, und die damaligen ukrainischen Präsidenten und Politiker, die um dieses Amt kämpften, nutzten die Stimmen dieser Wähler. Aber unter Ausnutzung dieser Stimmen haben sie manövriert, viel gelogen, und von der sogenannten europäischen Wahl gesprochen. Sie haben sich nicht getraut, einen vollständigen Bruch mit Russland anzustreben, denn im Südosten der Ukraine herrschte eine andere Stimmung, die man nicht ignorieren konnte. Diese Doppeldeutigkeit war den ukrainischen Regierungen in all den Jahren nach der Unabhängigkeit stets eigen.
Der Westen hat das natürlich gesehen. Er hat die Probleme, die es dort gibt und die gelöst werden können, seit langem gesehen und verstanden, ebenso wie den Abschreckungswert des Südost-Faktors und die Tatsache, dass keine noch so große Propaganda über viele Jahre hinweg die Situation grundlegend ändern kann. Natürlich wurde viel getan, aber es war schwierig, die Situation grundlegend zu ändern.
Es ist nicht gelungen, die historische Identität und das Bewusstsein der Mehrheit der Menschen im Südosten der Ukraine zu verzerren, ihnen, einschließlich der jüngeren Generationen, die gute Einstellung zu Russland und das Gefühl für unsere historische Gemeinschaft zu nehmen. Deshalb beschlossen sie erneut, Gewalt anzuwenden und die Menschen im Südosten der Ukraine einfach zu brechen und ihre Meinung zu ignorieren. Dazu arrangierten, organisierten und finanzierten sie natürlich die Schwierigkeiten und die Komplexität der innenpolitischen Verhältnisse in der Ukraine, bereiteten aber dennoch konsequent und zielgerichtet einen bewaffneten Staatsstreich vor.
Eine Welle von Pogromen, Gewalt und Morden schwappte über die Städte der Ukraine. Radikale haben schließlich die Macht in Kiew an sich gerissen und usurpiert. Ihre aggressiven nationalistischen Parolen, einschließlich der Rehabilitierung von Nazi-Schergen, wurden in den Rang einer Staatsideologie erhoben. Sie verkündeten einen Kurs zur Abschaffung der russischen Sprache in Staat und Öffentlichkeit, verstärkten den Druck auf die orthodoxen Gläubigen und mischten sich in die Angelegenheiten der Kirche ein, was schließlich zu einer Kirchenspaltung führte. Niemand scheint diese Einmischung zu bemerken, als ob alles so wäre, wie es sein soll. Versuchen Sie einmal, woanders so etwas zu tun, dann wird so viel gekünsteltes Gepfeife zu hören sein, dass Ihnen die Ohren abfallen werden. Aber dort kann man es tun, denn es ist gegen Russland.
Millionen von Einwohnern der Ukraine, vor allem in den östlichen Regionen, waren bekanntlich gegen den Putsch. Ihnen wurde mit Repressalien und Terror gedroht. Und vor allem begann die neue Regierung in Kiew, einen Schlag gegen die russischsprachige Krim vorzubereiten, die, wie Sie wissen, 1954 unter Verletzung aller Rechtsnormen und Verfahren, auch der damals in der Sowjetunion geltenden, von der Russischen Sowjetrepublik an die Ukraine übertragen worden war. In dieser Situation konnten wir die Krim-Bewohner und die Einwohner von Sewastopol natürlich nicht im Stich und sie ungeschützt lassen. Sie haben ihre Wahl getroffen, und im März 2014 fand, wie Sie wissen, die historische Wiedervereinigung der Krim und Sewastopols mit Russland statt.
In Charkow, Cherson, Odessa, Saporoschje, Donezk, Lugansk und Mariupol begannen sie, friedliche Demonstrationen gegen den Staatsstreich zu unterdrücken, und das Kiewer Regime und nationalistische Gruppen entfesselten Terror. Es ist wohl nicht nötig, daran zu erinnern, denn jeder weiß noch genau, was in diesen Regionen passiert ist.
Im Mai 2014 fanden Referenden über den Status der Volksrepubliken Donezk und Lugansk statt, bei denen sich die absolute Mehrheit der Einwohner für die Unabhängigkeit und Souveränität aussprach. Da stellt sich sofort die Frage: Durften die Menschen ihren Willen überhaupt auf diese Weise zum Ausdruck bringen, durften sie ihre Unabhängigkeit erklären? Diejenigen, die in diesem Saal sitzen, wissen, dass sie das natürlich durften und dass sie jedes Recht und jeden Grund hatten, das zu tun, und zwar im Einklang mit dem Völkerrecht, einschließlich des Rechts der Völker auf Selbstbestimmung. Ich brauche Sie nicht daran zu erinnern, aber da hier Medien filmen, sage ich trotzdem, dass Artikel 1, Absatz 2 der Charta der Vereinten Nationen dieses Recht gewährt.
Ich erinnere in diesem Zusammenhang an den berüchtigten Präzedenzfall Kosovo. Wir haben schon oft darüber gesprochen, ich erzähle es jetzt noch einmal. Der Präzedenzfall, den die westlichen Länder selbst in einer ansolut analogen Situation geschaffen haben, hat die Abspaltung des Kosovo von Serbien, die 2008 stattfand, als rechtmäßig anerkannt. Es folgte die berühmte Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs der Vereinten Nationen, der am 22. Juli 2010 auf der Grundlage von Artikel 1 Absatz 2 der Charta der Vereinten Nationen entschied, Zitat: „Aus der Praxis des Sicherheitsrats folgt kein allgemeines Verbot einer einseitigen Unabhängigkeitserklärung“. Und weiter: „Das allgemeine Völkerrecht enthält kein anwendbares Verbot einer Unabhängigkeitserklärung“. Mehr noch, dort stand auch, dass die Teile eines Landes, welche es auch immer sein mögen, die sich für eine Unabhängigkeitserklärung entschieden haben, nicht verpflichtet sind, sich an die zentralen Organe ihres ehemaligen Staates zu wenden. Das alles stand dort geschrieben, sie haben alles mit eigener Hand schwarz auf weiß niedergeschrieben.
Hatten diese Republiken – Donezk und Lugansk – also das Recht, ihre Unabhängigkeit zu erklären? Natürlich hatten sie das. Die Frage kann gar nicht anders betrachtet werden.
Was hat das Regime in Kiew in dieser Situation getan? Es hat die Entscheidung des Volkes völlig ignoriert und mit Flugzeugen, Artillerie und Panzern einen umfassenden Krieg gegen die neuen unabhängigen Staaten – die Volksrepubliken des Donbass – entfesselt. Städte wurden bombardiert und beschossen, Einschüchterungsversuche begannen. Und was geschah dann? Die Bewohner des Donbass griffen zu den Waffen, um ihr Leben, ihre Häuser, ihre Rechte und legitimen Interessen zu verteidigen.
Im Westen wird nun immer wieder die These vertreten, dass Russland den Krieg im Rahmen der Militäroperation begonnen hat, dass es ein Aggressor ist und dass man daher auch sein Territorium, auch unter Einsatz westlicher Waffensysteme, angreifen kann, und dass die Ukraine sich angeblich selbst verteidigt und das auch tun kann.
Ich möchte noch einmal betonen: Russland hat den Krieg nicht begonnen, es war das Kiewer Regime, ich wiederhole, nachdem die Bewohner eines Teils der Ukraine im Einklang mit dem Völkerrecht ihre Unabhängigkeit erklärt haben, das die Feindseligkeiten begonnen hat und sie fortsetzt. Es wäre eine Aggression, wenn wir das Recht dieser Völker, die in diesen Gebieten leben, ihre Unabhängigkeit zu erklären, nicht anerkennen. Wie auch sonst? Was ist das sonst? Es ist eine Aggression. Und diejenigen, die den Militärapparat des Kiewer Regimes in all den vergangenen Jahren unterstützt haben, sind Komplizen des Aggressors.
Im Jahr 2014 haben sich die Bewohner des Donbass damit nicht abgefunden. Die Milizen blieben standhaft, schlugen die Strafbataillone zurück und vertrieben sie dann aus Donezk und Lugansk. Wir hofften, dass das diejenigen, die dieses Massaker angerichtet hatten, ernüchtern würde. Um dem Blutvergießen Einhalt zu gebieten, rief Russland wie üblich zu Verhandlungen auf, und diese begannen unter Beteiligung von Kiew und Vertretern der Donbass-Republiken mit Unterstützung Russlands, Deutschlands und Frankreichs.
Die Verhandlungen waren schwierig, aber dennoch wurde 2015 das Minsker Abkommen geschlossen. Wir haben seine Umsetzung ernst genommen und gehofft, dass wir die Situation im Rahmen des Friedensprozesses und des Völkerrechts lösen können. Wir haben erwartet, dass das zur Berücksichtigung der legitimen Interessen und Forderungen des Donbass und zur Verankerung des Sonderstatus dieser Regionen und der Grundrechte der dort lebenden Menschen in der Verfassung unter Wahrung der territorialen Einheit der Ukraine führen würde. Wir waren dazu bereit, und wir waren bereit, die Menschen, die in diesen Gebieten leben, davon zu überzeugen, die Probleme auf diese Weise zu lösen, und wir haben bei mehr als einer Gelegenheit verschiedene Kompromisse und Lösungen vorgeschlagen.
Aber letztlich wurde alles abgelehnt. Kiew hat das Minsker Abkommen einfach in den Papierkorb geworfen. Wie die Vertreter der ukrainischen Führung später zugaben, waren sie mit keinem der Artikel dieser Dokumente zufrieden, sie haben einfach gelogen und verdreht, so gut sie konnten.
Die ehemalige deutsche Bundeskanzlerin und der ehemalige französische Präsident, die eigentlich Mitverfasser und Garanten des Minsker Abkommens waren, haben später plötzlich auch direkt zugegeben, dass es keine Pläne gab, es umzusetzen; sie wollten die Situation nur ruhig halten, um Zeit zu gewinnen, um ukrainische bewaffnete Formationen aufzubauen und sie mit Waffen und Ausrüstung vollzupumpen. Sie haben uns wieder einmal einfach „ausgetrickst“, uns betrogen.
Statt eines echten Friedensprozesses, statt der Politik der Wiedereingliederung und der nationalen Aussöhnung, von der Kiew so gerne spricht, wird der Donbass seit acht Jahren beschossen. Es wurden Terroranschläge und Morde verübt und eine brutale Blockade errichtet. In all diesen Jahren wurden die Bewohner des Donbass – Frauen, Kinder, alte Menschen – zu Menschen „zweiter Klasse“, zu „Untermenschen“ erklärt und mit Repressalien bedroht, indem man ihnen sagte, man würden kommen und sich an allen rächen. Was ist das anderes als ein Völkermord im Zentrum Europas im 21. Jahrhundert? Und in Europa und den USA wird so getan, als ob nichts passiert, als ob niemand etwas bemerkt.
Ende 2021 und Anfang 2022 wurde der Minsker Prozess endgültig begraben, und zwar von Kiew und seinen westlichen Gönnern, und es wurde erneut ein massiver Angriff auf den Donbass geplant. Eine große Gruppe der ukrainischen Streitkräfte bereitete eine neue Offensive auf Lugansk und Donezk vor, natürlich mit ethnischen Säuberungen, riesigen Verlusten an Menschenleben und Hunderttausenden von Flüchtlingen. Wir waren verpflichtet, diese Katastrophe zu verhindern, die Menschen zu schützen; wir konnten keine andere Entscheidung treffen.
Russland hat schließlich die Volksrepubliken Donezk und Lugansk anerkannt. Wir haben sie ja acht Jahre lang nicht anerkannt, wir haben immer noch gehofft, eine Einigung zu erzielen. Das Ergebnis ist nun bekannt. Und am 21. Februar 2022 haben wir Verträge über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand mit diesen von uns anerkannten Republiken geschlossen. Frage: Hatten die Volksrepubliken das Recht, sich an uns um Unterstützung zu wenden, als wir ihre Unabhängigkeit anerkannten? Und hatten wir das Recht, ihre Unabhängigkeit anzuerkennen, so wie sie das Recht hatten, ihre Souveränität in Übereinstimmung mit den von mir genannten Artikeln der UN-Charta und den Entscheidungen des Internationalen Gerichtshofs der Vereinten Nationen zu erklären? Hatten sie das Recht, ihre Unabhängigkeit zu erklären? Sie hatten es. Aber wenn sie dieses Recht hatten und davon Gebrauch gemacht haben, dann hatten wir das Recht, mit ihnen einen Vertrag zu schließen. Und wir haben es getan, und ich wiederhole: in voller Übereinstimmung mit dem Völkerrecht und Artikel 51 der UN-Charta.
Gleichzeitig haben wir an die Regierung in Kiew appelliert, ihre Truppen aus dem Donbass abzuziehen. Ich kann Ihnen sagen, dass wir Kontakte hatten, und wir haben ihnen sofort gesagt: Zieht Eure Truppen von dort ab, und damit wird dort alles enden. Dieser Vorschlag wurde praktisch sofort abgelehnt und einfach ignoriert, obwohl er eine echte Chance bot, das Problem auf friedliche Weise zu lösen.
Am 24. Februar 2022 sah sich Russland gezwungen, den Beginn der Militäroperation anzukündigen. Vor den Bürgern Russlands, den Bewohnern der Republiken Donezk und Lugansk und der ukrainischen Gesellschaft habe ich dann die Ziele dieser Operation dargelegt: die Menschen im Donbass zu schützen, den Frieden wiederherzustellen, die Ukraine zu entmilitarisieren und zu entnazifizieren und damit Bedrohungen von unserem Staat abzuwenden und das Sicherheitsgleichgewicht in Europa wiederherzustellen.
Dabei haben wir es weiterhin als vorrangig angesehen, diese Ziele mit politischen und diplomatischen Mitteln zu erreichen. Ich erinnere daran, dass unser Land bereits in der allerersten Phase der Militäroperation Verhandlungen mit Vertretern des Kiewer Regimes aufgenommen hat. Sie fanden zunächst in Weißrussland und dann in der Türkei statt. Wir haben versucht, unsere wichtigste Botschaft zu vermitteln: Respektiert die Entscheidung des Donbass und den Willen der dort lebenden Menschen, zieht Eure Truppen zurück und stellt den Beschuss der Städte und Dörfer ein. Mehr ist nicht nötig, und wir werden uns in Zukunft mit den übrigen Fragen befassen. Die Antwort lautete: Nein, wir werden kämpfen. Es ist offensichtlich, dass dies der Befehl ihrer westlichen Herren war, und ich werde jetzt auch darüber etwas erzählen.
Damals, im Februar/März 2022, näherten sich unsere Truppen, wie Sie wissen, Kiew. Sowohl in der Ukraine als auch im Westen gab es damals und heute viele Spekulationen darüber.
Was möchte ich dazu sagen? Unsere Verbände standen in der Nähe von Kiew und die Verteidigungs- und der Sicherheitsbehörden hatten verschiedene Vorschläge zu Optionen für unser mögliches weiteres Vorgehen, aber es gab keine politische Entscheidung, die Stadt mit drei Millionen Einwohnern zu stürmen, egal was irgendjemand gesagt oder spekuliert hat.
Im Grunde war es nichts anderes als eine Operation, um das ukrainische Regime zum Frieden zu zwingen. Die Truppen waren da, um die ukrainische Seite zu Verhandlungen zu drängen, um zu versuchen, akzeptable Lösungen zu finden und damit den Krieg zu beenden, den Kiew 2014 gegen den Donbass entfesselt hatte, um Probleme zu lösen, die eine Bedrohung für die Sicherheit unseres Landes, für die Sicherheit Russlands darstellen.
So seltsam es klingen mag, im Ergebnis war es tatsächlich möglich, Vereinbarungen zu treffen, die im Prinzip sowohl Moskau als auch Kiew akzeptiert haben. Diese Vereinbarungen wurden zu Papier gebracht und in Istanbul vom Leiter der ukrainischen Verhandlungsdelegation paraphiert. Das bedeutet, dass die Kiewer Regierung diese Lösung des Problems akzeptiert hat.
Das Dokument trug den Namen „Vertrag über die ständige Neutralität und die Sicherheitsgarantien für die Ukraine“. Es hatte Kompromisscharakter, aber seine Kernpunkte entsprachen unseren prinzipiellen Forderungen und lösten die Aufgaben, die als die wichtigsten genannt wurden, sogar zu Beginn der Militäroperation. Dazu gehörte, so seltsam es auch klingen mag, die Entmilitarisierung und Entnazifizierung der Ukraine. Und auch hier ist es uns gelungen, schwierige Lösungen zu finden. Sie waren kompliziert, aber sie wurden gefunden. Es ging nämlich darum, dass ein ukrainisches Gesetz über das Verbot der Nazi-Ideologie, egal in welcher Form, verabschiedet wird. Das alles steht dort geschrieben.
Darüber hinaus würde die Ukraine im Gegenzug für internationale Sicherheitsgarantien den Umfang ihrer Streitkräfte begrenzen, sich verpflichten, keinen Militärbündnissen beizutreten, keine ausländischen Militärstützpunkte zuzulassen, keine ausländischen Kontingente zu stationieren und ausländischen keine Militärübungen auf ihrem Gebiet abhalten lassen. Das alles ist auf dem Papier festgehalten.
Da wir die Sicherheitsbedenken der Ukraine verstehen, haben wir zugestimmt, dass die Ukraine, wenn sie der NATO nicht formell beitritt, ähnliche Garantien erhält wie die Mitglieder des Bündnisses. Diese Entscheidung ist uns nicht leicht gefallen, aber wir erkannten die Legitimität der Forderungen der Ukraine nach Gewährleistung ihrer Sicherheit an und hatten im Prinzip keine Einwände gegen die von Kiew vorgeschlagenen Formulierungen. Das waren die von Kiew vorgeschlagenen Formulierungen, die wir insgesamt nicht abgelehnt haben, da wir verstanden hatten, dass es das Wichtigste war, das Blutvergießen und den Krieg im Donbass zu beenden.
Am 29. März 2022 haben wir unsere Truppen von Kiew abgezogen, weil uns versichert wurde, dass wir die notwendigen Voraussetzungen für den Abschluss des politischen Verhandlungsprozesses schaffen mussten. Und dass es unmöglich sei, dass eine der Parteien solche Vereinbarungen, wie unsere westlichen Kollegen zu sagen pflegten, mit vorgehaltener Waffe unterzeichnet. Also gut, wir haben dem zugestimmt.
Aber gleich am Tag nach dem Abzug der russischen Truppen von Kiew hat die ukrainische Führung ihre Teilnahme am Verhandlungsprozess mit der bekannten Provokation in Butscha ausgesetzt und die vorbereitete Fassung der Vereinbarungen abgelehnt. Ich denke, heute ist klar, warum diese schmutzige Provokation notwendig war – um die Ablehnung der in den Verhandlungen erzielten Ergebnisse irgendwie zu erklären. Der Weg zum Frieden wurde erneut verworfen.
Das wurde, wie wir heute wissen, auf Geheiß der westlichen Strippenzieher getan, einschließlich des ehemaligen britischen Premierministers, bei dessen Besuch in Kiew ausdrücklich erklärt wurde: keine Abkommen, Russland muss auf dem Schlachtfeld besiegt werden, seine strategische Niederlage muss erreicht werden. Und sie begannen, die Ukraine mit Waffen vollzupumpen und sprachen von der Notwendigkeit, uns eine strategische Niederlage beizubringen, wie ich Ihnen gerade in Erinnerung brachte. Und einige Zeit später erließ der ukrainische Präsident, wie jeder weiß, ein Dekret, mit dem er seinen Vertretern und sogar sich selbst verbot, mit Moskau zu verhandeln. Auch diese Episode mit unserem Versuch, das Problem mit friedlichen Mitteln zu lösen, endete im Nichts.
Übrigens, zum Thema Verhandlungen. Jetzt möchte ich vor diesem Publikum eine weitere Episode öffentlich machen. Ich habe bisher nicht öffentlich darüber gesprochen, aber einige der Anwesenden wissen davon. Nachdem die russische Armee Teile der Regionen Cherson und Saporoschje besetzt hatte, boten viele westliche Politiker ihre Vermittlung für eine friedliche Beendigung des Konflikts an. Einer von ihnen war am 5. März 2022 zu einem Arbeitsbesuch in Moskau. Und wir akzeptierten seine Vermittlungsbemühungen, zumal er während des Gesprächs darauf verwies, dass er sich der Unterstützung der Staats- und Regierungschefs Deutschlands und Frankreichs sowie hochrangiger Vertreter der USA versichert habe. (Anm. d. Übers.: Es ist kein Problem, im Internet herauszufinden, welcher Politiker am 5. Mürz 2022 in Moskau war, auch wenn Putin seinen Namen nicht genannt hat. Es war der damalige israelische Premierminister Naftali Bennett, der schon im Februar 2023 davon erzählt hat. Putin bestätigt hier im Grunde nur Bennets öffentliche Aussagen)
Während des Gesprächs fragte unser ausländischer Gast, eine kuriose Episode: Wenn Sie dem Donbass helfen, warum sind dann russische Truppen im Süden der Ukraine, einschließlich der Regionen Cherson und Saporoschje? Die Antwort von unserer Seite war, dass dies die Entscheidung des russischen Generalstabs bei der Planung der Operation war. Und heute möchte ich hinzufügen, dass der Plan darin bestand, gewisse der befestigten Gebiete zu umgehen, die die ukrainische Regierung in den acht Jahren im Donbass errichtet hatte, vor zur Befreiung von Mariupol.
Dann stellte der ausländische Kollege – ein professioneller Mann, das muss ich ihm lassen – eine Frage: Werden unsere russischen Truppen in den Regionen Cherson und Saporoschje bleiben? Und was wird mit diesen Regionen geschehen, wenn die Ziele der strategischen Verteidigungskräfte erreicht sind? Ich habe geantwortet, dass ich die Beibehaltung der ukrainischen Souveränität über diese Gebiete nicht generell ausschließe, jedoch unter der Bedingung, dass Russland eine starke Landverbindung zur Krim hat.
Das heißt, Kiew sollte das so genannte Servitut garantieren, also ein rechtlich formalisiertes Zugangsrecht für Russland zur Halbinsel Krim über die Regionen Cherson und Saporoschje. Das ist eine wichtige politische Entscheidung. Und natürlich würde sie in ihrer endgültigen Fassung nicht von einer einzelnen Person getroffen werden, sondern erst nach Konsultationen mit dem Sicherheitsrat, mit anderen Strukturen, natürlich nach Diskussion mit den Bürgern, der Öffentlichkeit unseres Landes und vor allem mit den Bewohnern der Regionen Cherson und Saporoschje.
Letztendlich haben wir genau das getan: Wir haben die Meinung der Menschen selbst eingeholt und Referenden durchgeführt. Und wir haben getan, was das Volk beschlossen hat, auch in den Regionen Cherson und Saporoschje sowie in den Volksrepubliken Donezk und Lugansk.
Zu diesem Zeitpunkt, im März 2022, erklärte der Verhandlungspartner, dass er sich dann nach Kiew begeben werde, um die Gespräche mit seinen Gesprächspartnern in der ukrainischen Hauptstadt fortzusetzen. Wir begrüßten dies, ebenso wie die Bemühungen um eine friedliche Lösung des Konflikts insgesamt, denn jeder Tag der Kämpfe bedeutete neue Opfer und Verluste. In der Ukraine wurden jedoch, wie wir später erfuhren, die Dienste des westlichen Vermittlers nicht akzeptiert, und man warf ihm, wie wir erfuhren, im Gegenteil vor, prorussische Positionen zu vertreten – in einer ziemlich harten Form, muss man sagen, aber das ist bereits ein Detail.
Nun hat sich, wie ich bereits sagte, die Lage grundlegend geändert. Die Bewohner von Cherson und Saporoschje haben sich in Referenden geäußert, die Regionen Cherson und Saporoschje sowie die Volksrepubliken Donezk und Lugansk sind Teil der Russischen Föderation geworden. Und es kann keine Rede davon sein, unsere staatliche Einheit zu verletzen. Der Wille des Volkes, zu Russland zu gehören, ist unumstößlich. Die Frage ist für immer abgeschlossen und steht nicht mehr zur Diskussion.
Ich möchte noch einmal wiederholen: Es war der Westen, der die Ukraine-Krise vorbereitet und provoziert hat, und jetzt tut er alles, um diese Krise auf unbestimmte Zeit zu verlängern, um die Menschen in Russland und der Ukraine zu schwächen und gegenseitig zu verhärten.
Er schickt immer wieder neue Munitions- und Waffenlieferungen. Einige europäische Politiker haben begonnen, über die Möglichkeit zu sprechen, ihre regulären Truppen in der Ukraine zu stationieren. Gleichzeitig sind es, wie ich bereits festgestellt habe, die derzeitigen wahren Herren der Ukraine – die leider nicht das ukrainische Volk, sondern die globalistischen Eliten jenseits des Ozeans sind -, die versuchen, der ukrainischen Exekutive Entscheidungen aufzuerlegen, die beim Volk unpopulär sind, einschließlich der weiteren Herabsetzung des Wehrpflichtalters.
Jetzt sind es, wie Sie wissen, 25 Jahre, die nächste Etappe könnte 23 sein, dann 20, 18 oder auch sofort 18. Und dann wird man sich natürlich der Figuren entledigen, die unter dem Druck des Westens diese unpopulären Entscheidungen treffen, sie wegen Nutzlosigkeit rauswerfen, ihnen die ganze Verantwortung zuschieben und andere Leute an ihre Stelle setzen, die zwar auch vom Westen abhängig sind, aber noch nicht so einen angeschlagenen Ruf haben.
Daher vielleicht auch die Idee, die Präsidentschaftswahlen in der Ukraine abzusagen. Diejenigen, die jetzt an der Macht sind, werden alles tun, dann werden sie entsorgt und dann wird getan, was sie für nötig halten.
In diesem Zusammenhang erinnere ich an das, was Kiew jetzt lieber verschweigt, und auch der Westen zieht es vor, nicht darüber zu sprechen. Worum geht es? Im Mai 2014 entschied das Verfassungsgericht der Ukraine, dass, ich zitiere, „der Präsident für fünf Jahre gewählt wird, unabhängig davon, ob er in außerordentlichen oder regulären Wahlen gewählt wird“. Darüber hinaus stellte das ukrainische Verfassungsgericht fest, dass, ein weiteres Zitat, „der verfassungsrechtliche Status des Präsidenten keine Normen enthält, die eine andere Amtszeit als fünf Jahre festlegen würden“. Ende des Zitats, Punkt. Die Entscheidung des Gerichts ist endgültig und kann nicht angefochten werden. Das war’s.
Was bedeutet das in Bezug auf die heutige Situation? Die Amtszeit des gewählten ukrainischen Staatsoberhauptes ist abgelaufen und damit auch seine Legitimität, die nicht durch irgendwelche Tricks wiederhergestellt werden kann. Ich werde nicht im Detail auf die Hintergründe der Entscheidung des Verfassungsgerichts der Ukraine über die Amtszeit des Präsidenten eingehen. Es ist klar, dass sie mit dem Versuch zusammenhängt, den Staatsstreich von 2014 zu legitimieren. Aber dennoch gibt es dieses Urteil und es ist eine rechtliche Tatsache. Es stellt alle Versuche in Zweifel, das heutige Spektakel mit der Annullierung der Wahlen zu rechtfertigen.
Tatsächlich begann die aktuelle tragische Seite der ukrainischen Geschichte mit der gewaltsamen Machtergreifung, wie ich bereits sagte, dem verfassungsfeindlichen Staatsstreich im Jahr 2014. Ich wiederhole: Der Ursprung des derzeitigen Kiewer Regimes ist ein bewaffneter Putsch. Und nun hat sich der Kreis geschlossen, denn die Exekutivgewalt in der Ukraine wird wieder, wie 2014, usurpiert und illegal gehalten, sie ist de facto illegitim.
Ich sage noch mehr: Die Situation mit der Annullierung der Wahlen ist Ausdruck des Wesens, des wirklichen Bauchgefühls des derzeitigen Regimes in Kiew, das aus dem bewaffneten Putsch von 2014 hervorgegangen ist, mit ihm verbunden ist und dort seine Wurzeln hat. Und dass sie sich nach der Annullierung der Wahlen weiterhin an die Macht klammern, ist eine Handlung, die durch Artikel 5 der Verfassung der Ukraine ausdrücklich verboten ist. Ich zitiere: „Das Recht, die verfassungsmäßige Ordnung in der Ukraine zu bestimmen und zu ändern, steht ausschließlich dem Volk zu und kann nicht vom Staat, seinen Organen oder Beamten usurpiert werden.“ Darüber hinaus fallen solche Handlungen unter Paragraf 109 des ukrainischen Strafgesetzbuchs, der sich genau auf die gewaltsame Änderung oder den Umsturz der verfassungsmäßigen Ordnung oder die Ergreifung der Staatsgewalt sowie die Verschwörung zu solchen Handlungen bezieht.
Im Jahr 2014 wurde so eine Usurpation im Namen der Revolution gerechtfertigt, und jetzt durch militärische Aktionen. Die Bedeutung dieses Begriffs ändert sich jedoch nicht. Es handelt sich vielmehr um eine geheime Absprache zwischen der Exekutive der ukrainischen Regierung, der Führung der Werchowna Rada und der von ihr kontrollierten Parlamentsmehrheit mit dem Ziel der Usurpation der Staatsgewalt, anders kann man es nicht nennen, die nach ukrainischem Recht eine Straftat darstellt.
Weiter: Die Verfassung der Ukraine sieht keine Möglichkeit vor, die Wahl des Präsidenten des Landes zu annullieren oder zu verschieben, die Fortführung seiner Befugnisse im Zusammenhang mit dem Kriegsrecht, auf das jetzt Bezug genommen wird. Was steht in der ukrainischen Verfassung? Sie besagt, dass während des Kriegsrechts die Wahlen zur Werchowna Rada verschoben werden können. So steht es in Artikel 83 der Verfassung des Landes.
Die ukrainische Gesetzgebung sieht also eine einzige Ausnahme vor, wenn die Befugnisse eines staatlichen Organs für die Dauer des Kriegsrechts verlängert werden und keine Wahlen stattfinden. Und die gilt nur für die Werchowna Rada. Damit ist der Status des ukrainischen Parlaments als ständig funktionierendes Organ unter Kriegsrecht festgelegt.
Mit anderen Worten: Die Werchowna Rada ist heute, im Gegensatz zur Exekutive, das legitime Organ. Die Ukraine ist keine Präsidialrepublik, sondern eine parlamentarisch-präsidiale Republik. Darum geht es.
Darüber hinaus ist der Vorsitzende der Werchowna Rada in seiner Eigenschaft als Präsident gemäß den Artikeln 106 und 112 mit besonderen Befugnissen ausgestattet, unter anderem im Bereich der Verteidigung, der Sicherheit und des Oberbefehls über die Streitkräfte. Alles ist dort schwarz auf weiß niedergeschrieben.
Übrigens hat die Ukraine in der ersten Hälfte dieses Jahres ein Paket von bilateralen Abkommen über die Zusammenarbeit im Bereich der Sicherheit und der langfristigen Unterstützung mit einer Reihe von europäischen Ländern abgeschlossen. Jetzt gibt es ein ähnliches Dokument mit den USA.
Seit dem 21. Mai dieses Jahres stellt sich natürlich die Frage nach den Vollmachten und der Legitimität der Vertreter der ukrainischen Seite, die solche Dokumente unterzeichnen. Wie man so schön sagt: Es ist uns egal, sollen sie doch unterschreiben, was sie wollen. Es ist klar, dass es hier eine politische und propagandistische Komponente gibt. Die USA und ihre Satelliten wollen ihre Untergebenen irgendwie unterstützen, ihnen Gewicht und Legitimität verleihen.
Aber trotzdem, wenn dieselben USA später eine ernsthafte juristische Prüfung des Abkommens vornehmen – ich spreche nicht von der Essenz, sondern von der juristischen Komponente -, wird sich jedoch mit Sicherheit die Frage stellen, wer diese Dokumente unterzeichnet hat und mit welcher Befugnis. Und es wird sich zeigen, dass all das ein Bluff und das Abkommen nichtig ist, und das ganze Konstrukt wird natürlich in sich zusammenfallen, wenn man den Wunsch hat, die Situation zu analysieren. Man kann so tun, als sei alles normal, aber es ist nichts normal, ich habe es gelesen. Alles steht in den Dokumenten, alles ist in der Verfassung festgehalten.
Ich erinnere auch daran, dass der Westen nach dem Beginn der Militäroperation eine energische und sehr grobe Kampagne gestartet hat, um Russland auf der internationalen Bühne zu isolieren. Heute ist es für jeden klar und offensichtlich, dass dieser Versuch gescheitert ist, aber natürlich hat der Westen seinen Plan nicht aufgegeben, so etwas wie eine internationale antirussische Koalition aufzubauen und Druck auf Russland auszuüben. Auch das verstehen wir.
Wie Sie wissen, hat der Westen damit begonnen, aktive die Initiative für die sogenannte hochrangige internationale Friedenskonferenz in der Ukraine in der Schweiz zu fördern. Diese Konferenz soll unmittelbar nach dem Gipfeltreffen der G7 stattfinden, also der Gruppe derer, die den Konflikt in der Ukraine mit ihrer Politik angeheizt haben. Was die Organisatoren des Treffens in der Schweiz vorschlagen, ist nur ein weiterer Trick, um die Aufmerksamkeit aller abzulenken, Ursache und Wirkung der Ukraine-Krise zu vertauschen, die Diskussion in eine falsche Richtung zu lenken und der derzeitigen Exekutive in der Ukraine in gewisser Weise wieder den Anschein von Legitimität zu verleihen.
Es ist daher nur natürlich, dass in der Schweiz trotz aller Versuche, die Tagesordnung der Konferenz mehr oder weniger anständig zu gestalten, keine wirklich grundlegenden Fragen diskutiert werden, die den Kern der aktuellen Krise der internationalen Sicherheit und Stabilität und die wahren Wurzeln des Ukraine-Konflikts betreffen.
Es ist schon jetzt abzusehen, dass sich alles auf allgemeines demagogisches Gerede und eine neue Reihe von Anschuldigungen gegen Russland reduzieren wird. Die Idee ist leicht zu erkennen: so viele Staaten wie möglich mit allen Mitteln einzubinden und so zu tun, als ob die westlichen Rezepte und Regeln von der gesamten internationalen Gemeinschaft geteilt würden, was bedeutet, dass unser Land sie bedingungslos akzeptieren solle.
Wie Sie wissen, wurden wir natürlich nicht zu dem Treffen in der Schweiz eingeladen. Es geht schließlich nicht um Verhandlungen, sondern um den Wunsch einer Gruppe von Ländern, weiterhin ihre eigene Linie durchzusetzen und Fragen, die unsere Interessen und unsere Sicherheit unmittelbar betreffen, nach eigenem Gutdünken zu lösen.
Ich möchte in diesem Zusammenhang betonen, dass es unmöglich ist, ohne die Beteiligung Russlands, ohne einen ehrlichen und verantwortungsvollen Dialog mit uns, eine friedliche Lösung in der Ukraine und für die globale europäische Sicherheit insgesamt zu erreichen.
Bislang ignoriert der Westen unsere Interessen, während er Kiew Verhandlungen verbietet und uns heuchlerisch zu Verhandlungen auffordert. Es sieht einfach idiotisch aus: Einerseits verbietet man ihnen, mit uns zu verhandeln, andererseits ruft man uns zu Verhandlungen auf und unterstellt uns, dass wir uns weigern, zu verhandeln. Das ist Schwachsinn. Aber wir leben ja in einer Art Spiegelwelt.
Erstens müssten sie Kiew den Befehl geben, das Verbot, das selbst auferlegte Verbot von Verhandlungen mit Russland aufzuheben, und zweitens sind wir bereit, uns schon morgen an den Verhandlungstisch zu setzen. Wir verstehen die Besonderheiten der Rechtslage, aber es gibt dort legitime Autoritäten, auch im Einklang mit der Verfassung, wie ich gerade sagte, und es gibt Menschen, mit denen man verhandeln kann. Bitte, wir sind bereit. Unsere Bedingungen für die Aufnahme solcher Gesprächs sind einfach und laufen auf Folgendes hinaus.
Wissen Sie, ich werde mir jetzt etwas Zeit nehmen, um die ganze Kette der Ereignisse noch einmal durchzuspielen, damit klar wird, dass das, was ich jetzt sage, für uns nicht die Konjunktur von heute ist, sondern wir haben immer eine bestimmte Position vertreten, wir haben immer den Frieden gesucht.
Diese Bedingungen sind also sehr einfach. Die ukrainischen Truppen müssen vollständig aus den Volksrepubliken Donezk und Lugansk sowie aus den Regionen Cherson und Saporoschje abgezogen werden. Und ich mache Sie darauf aufmerksam, dass es um das gesamte Gebiet dieser Regionen innerhalb ihrer Verwaltungsgrenzen geht, die zum Zeitpunkt ihres Beitritts zur Ukraine bestanden.
Sobald Kiew erklärt, dass es zu dieser Entscheidung bereit ist und mit dem tatsächlichen Abzug der Truppen aus diesen Regionen beginnt, sowie offiziell mitteilt, dass es seine Pläne, der NATO beizutreten, aufgegeben hat, wird von unserer Seite aus sofort, buchstäblich in derselben Minute, der Befehl zur Einstellung des Feuers und zur Aufnahme von Verhandlungen folgen. Ich wiederhole: Wir werden das sofort tun. Natürlich werden wir gleichzeitig den ungehinderten und sicheren Rückzug der ukrainischen Einheiten und Verbände garantieren.
Natürlich möchten wir darauf zählen, dass die Entscheidung über den Truppenabzug, den Status der Blockfreiheit und die Aufnahme des Dialogs mit Russland, von dem die künftige Existenz der Ukraine abhängt, in Kiew unabhängig getroffen wird, auf der Grundlage der gegenwärtigen Realitäten und geleitet von den echten nationalen Interessen des ukrainischen Volkes, und nicht auf Anweisung des Westens, obwohl es daran natürlich große Zweifel gibt.
Doch was möchte ich in diesem Zusammenhang noch einmal sagen, woran will ich erinnern? Ich sagte, dass ich noch einmal die Chronologie der Ereignisse durchgehen möchte. Lassen Sie uns etwas Zeit dafür aufwenden.
Also, während der Ereignisse auf dem Maidan in Kiew in den Jahren 2013 und 2014 hat Russland wiederholt seine Hilfe bei einer verfassungsmäßigen Lösung der Krise angeboten, die eigentlich von außen organisiert wurde. Kehren wir zur Chronologie der Ereignisse Ende Februar 2014 zurück.
Am 18. Februar kam es in Kiew zu bewaffneten Zusammenstößen, die von der Opposition provoziert wurden. Mehrere Gebäude, darunter das Rathaus und das Gewerkschaftshaus, wurden in Brand gesetzt. Am 20. Februar eröffneten unbekannte Scharfschützen das Feuer auf Demonstranten und Ordnungskräfte, was bedeutet, dass diejenigen, die den bewaffneten Umsturz vorbereiteten, alles taten, um die Situation weiter in Richtung Gewalt und Radikalisierung zu treiben. Und die Menschen, die damals in Kiew auf der Straße waren und ihre Unzufriedenheit mit der damaligen Regierung zum Ausdruck brachten, wurden bewusst für ihre eigenen egoistischen Zwecke als Kanonenfutter benutzt. Genau dasselbe tun sie heute, sie mobilisieren und schicken Menschen zur Schlachtbank. Und doch gab es damals die Möglichkeit, einen zivilisierten Ausweg aus der Situation zu finden.
Es ist bekannt, dass am 21. Februar ein Abkommen zur Beilegung der politischen Krise zwischen dem damaligen Präsidenten der Ukraine und der Opposition unterzeichnet wurde. Seine Garanten waren bekanntlich offizielle Vertreter Deutschlands, Polens und Frankreichs. Das Abkommen sah die Rückkehr zu einer parlamentarisch-präsidentiellen Regierungsform, die Abhaltung vorgezogener Präsidentschaftswahlen, die Bildung einer Regierung des nationalen Vertrauens sowie den Rückzug der Ordnungskräfte aus dem Kiewer Zentrum und die Abgabe der Waffen durch die Opposition vor.
Ich füge hinzu, dass die Werchowna Rada ein Gesetz verabschiedet hat, das eine strafrechtliche Verfolgung der Demonstranten ausschließt. Es gab eine Vereinbarung, die die Gewalt gestoppt und die Situation in den rechtsstaatlichen Bereich zurückgeführt hätte. Diese Vereinbarung wurde unterzeichnet, aber sowohl in Kiew als auch im Westen zieht man es vor, sich nicht an sie zu erinnern.
Heute werde ich mehr über eine andere wichtige Tatsache sagen, die bisher noch nicht öffentlich bekannt war, nämlich dass auf Initiative der amerikanischen Seite buchstäblich in denselben Stunden des 21. Februar ein Gespräch mit meinem amerikanischen Vis-a-Vis stattfand. Der amerikanische Präsident hat die Vereinbarung zwischen der Regierung und der Opposition in Kiew eindeutig unterstützt. Er bezeichnete sie als einen echten Durchbruch, als Chance für das ukrainische Volk, dafür zu sorgen, dass die ausgebrochene Gewalt nicht alle denkbaren Grenzen überschreitet.
Und weiter, im Laufe unserer Gespräche haben wir gemeinsam die folgende Formel ausgearbeitet: Russland würde versuchen, den damaligen Präsidenten der Ukraine dazu zu bewegen, sich so zurückhaltend wie möglich zu verhalten, die Armee und die Ordnungskräfte nicht gegen die Demonstranten einzusetzen. Und die USA würden dementsprechend, so hieß es, die Opposition, wie sie genannt wird, zur Ordnung rufen, Verwaltungsgebäude räumen und die Straße beruhigen.
All dies sollte die Voraussetzungen dafür schaffen, dass das Leben im Land wieder zur Normalität, zum verfassungsmäßigen und rechtlichen Bereich zurückkehren konnte. Und insgesamt haben wir vereinbart, im Interesse einer stabilen, friedlichen und sich normal entwickelnden Ukraine zusammenzuarbeiten. Wir haben unser Wort in vollem Umfang gehalten. Der damalige ukrainische Präsident Janukowitsch, der auch gar nicht vorhatte, die Armee einzusetzen, hat das nicht getan und darüber hinaus sogar zusätzliche Polizeieinheiten aus Kiew abgezogen.
Und was ist mit den westlichen Kollegen? In der Nacht des 22. Februar und dann während des gesamten folgenden Tages, als Präsident Janukowitsch nach Charkow abreiste, wo ein Kongress von Abgeordneten aus den südöstlichen Regionen der Ukraine und der Krim stattfinden sollte, übernahmen Radikale trotz aller Vereinbarungen und Garantien des Westens – sowohl Europas als auch, wie gesagt, der USA – die Kontrolle über das Gebäude der Rada, die Präsidialverwaltung, und übernahmen die Regierung mit Gewalt. Und kein einziger Garant all dieser Vereinbarungen über die politische Lösung – weder die USA noch die Europäer – hat auch nur einen Finger gerührt, um seinen Verpflichtungen nachzukommen und die Opposition aufzufordern, die besetzten Regierungsgebäude freizugeben und auf Gewalt zu verzichten. Es ist klar, dass ihnen dieser Verlauf der Ereignisse nicht nur gelegen kam, sondern dass sie offenbar die Urheber dieser Entwicklung waren.
Ebenfalls am 22. Februar 2014 hat die Werchowna Rada unter Verstoß gegen die ukrainische Verfassung die Entschließung über die sogenannte Selbstenthebung des amtierenden Präsidenten Janukowitsch vom Amt des Präsidenten angenommen und für den 25. Mai außerordentliche Wahlen angesetzt. Mit anderen Worten: Es hat ein bewaffneter Staatsstreich, der von außen angezettelt wurde, stattgefunden. Die ukrainischen Radikalen haben mit stillschweigender Zustimmung und direkter Unterstützung des Westens alle Versuche, die Situation friedlich zu lösen, vereitelt.
Dann haben wir versucht, Kiew und die westlichen Hauptstädte dazu zu überreden, einen Dialog mit den Menschen im Südosten der Ukraine aufzunehmen und ihre Interessen, Rechte und Freiheiten zu respektieren. Aber nein, das Regime, das durch den Staatsstreich an die Macht gekommen ist, hat sich für den Krieg entschieden und im Frühjahr und Sommer 2014 Strafmaßnahmen gegen den Donbass eingeleitet. Russland hat erneut zum Frieden aufgerufen.
Wir haben alles getan, um die akuten Probleme, die im Rahmen des Minsker Abkommens entstanden sind, zu lösen, aber der Westen und die Regierung in Kiew haben sich, wie ich bereits betont habe, nicht an dieses Abkommen gehalten, obwohl unsere westlichen Kollegen, einschließlich des US-Präsidenten, uns mit Worten versicherten, dass das Minsker Abkommen wichtig sei und dass sie sich für den Prozess seiner Umsetzung einsetzen würden. Dass das ihrer Meinung nach eine Lösung der Situation in der Ukraine, ihre Stabilisierung und die Berücksichtigung der Interessen der Bewohner des Ostens ermöglichen würde. Stattdessen organisierten sie in der Praxis eine Blockade des Donbass, wie ich bereits erwähnt habe. Die ukrainischen Streitkräfte bereiteten sich konsequent auf eine groß angelegte Operation zur Zerstörung der Volksrepubliken Donezk und Lugansk vor.
Das Minsker Abkommen wurde schließlich durch die Hände des Kiewer Regimes und des Westens begraben. Ich komme noch einmal darauf zurück. Deshalb sah sich Russland 2022 gezwungen, die Militäroperation einzuleiten, um den Krieg im Donbass zu beenden und die Zivilbevölkerung vor einem Völkermord zu schützen.
Gleichzeitig haben wir seit den ersten Tagen wieder Optionen für eine diplomatische Lösung der Krise vorgelegt; darüber habe ich heute schon gesprochen. Das waren die Verhandlungen in Weißrussland und in der Türkei und der Abzug der Truppen von Kiew, um die Voraussetzungen für die Unterzeichnung der Istanbuler Vereinbarungen zu schaffen, die im Prinzip von allen akzeptiert wurde. Aber auch diese Versuche wurden letztlich wieder abgelehnt. Der Westen und Kiew haben den Kurs eingeschlagen, uns zu besiegen. Aber, wie wir wissen, ist das alles gescheitert.
Heute machen wir einen weiteren konkreten, echten Friedensvorschlag. Wenn Kiew und die westlichen Hauptstädte ihn wie bisher ablehnen, dann ist es letztlich ihre Sache und ihre politische und moralische Verantwortung für die Fortsetzung des Blutvergießens. Es ist offensichtlich, dass sich die Realitäten vor Ort und an der Kontaktlinie weiterhin nicht zugunsten des Kiewer Regimes verändern werden. Und die Bedingungen für die Aufnahme von Verhandlungen werden andere sein.
Ich betone das Wichtigste: Der Kern unseres Vorschlags ist nicht eine vorübergehende Waffenruhe oder ein Waffenstillstand, wie es der Westen will, um die Verluste wieder auszugleichen, das Kiewer Regime wieder aufzurüsten und es auf eine neue Offensive vorzubereiten. Ich wiederhole: Es geht nicht um ein Einfrieren des Konflikts, sondern um seine endgültige Beendigung.
Und ich sage noch einmal: Sobald Kiew einem ähnlichen Ablauf wie dem heute vorgeschlagenen zustimmt, einem vollständigen Rückzug seiner Truppen aus der DNR und der LNR sowie aus den Regionen Saporoschje und Cherson zustimmt und diesen Prozess tatsächlich einleitet, sind wir bereit, Verhandlungen aufzunehmen, ohne sie zu verzögern.
Ich wiederhole, unsere prinzipielle Position ist folgende: der neutrale, blockfreie, nicht-nukleare Status der Ukraine, ihre Entmilitarisierung und Entnazifizierung, zumal diese Parameter bei den Istanbuler Gesprächen im Jahr 2022 insgesamt vereinbart wurden. In Bezug auf die Entmilitarisierung war dort alles klar, alles wurde genau festgelegt: die Anzahl von diesem, jenem und der Panzer. Es war alles vereinbart.
Natürlich müssen die Rechte, Freiheiten und Interessen der russischsprachigen Bürger in der Ukraine in vollem Umfang gewährleistet werden, und die neuen territorialen Gegebenheiten und der Status der Krim, Sewastopols, der Volksrepubliken Donezk und Lugansk sowie der Regionen Cherson und Saporoschje als Teilgebiete der Russischen Föderation müssen anerkannt werden. Alle diese grundlegenden und fundamentalen Bestimmungen sollten in Zukunft in Form von grundlegenden internationalen Abkommen festgelegt werden. Das impliziert natürlich auch die Aufhebung aller westlichen Sanktionen gegen Russland.
Ich glaube, dass Russland eine Option vorschlägt, die es ermöglichen wird, den Krieg in der Ukraine wirklich zu beenden, das heißt, wir rufen dazu auf, die tragische Seite der Geschichte umzuschlagen und, wenn es auch schwierig wird, allmählich, Schritt für Schritt, aber allmählich die Beziehungen des Vertrauens und der guten Nachbarschaft zwischen Russland und der Ukraine und in Europa insgesamt wiederherzustellen.
Indem wir die ukrainische Krise lösen, könnten wir, auch gemeinsam mit unseren Partnern in der OVKS und der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit, die auch heute einen bedeutenden und konstruktiven Beitrag zur Suche nach einer friedlichen Lösung der ukrainischen Krise leisten, sowie mit den westlichen, einschließlich der europäischen Staaten, die zum Dialog bereit sind, mit der grundlegenden Aufgabe beginnen, die ich zu Beginn meiner Erklärung erwähnt habe, nämlich der Schaffung eines unteilbaren eurasischen Sicherheitssystems, das die Interessen ausnahmslos aller Staaten des Kontinents berücksichtigt.
Natürlich ist es unmöglich, buchstäblich zu den Sicherheitsvorschlägen zurückzukehren, die wir vor 25, 15 oder auch nur zwei Jahren vorgelegt haben, denn es ist zu viel passiert und die Umstände haben sich geändert. Die Grundprinzipien und vor allem das eigentliche Thema des Dialogs bleiben jedoch unverändert. Russland ist sich seiner Verantwortung für die weltweite Stabilität bewusst und bekräftigt seine Bereitschaft, mit allen Ländern zu sprechen. Dabei sollte es sich jedoch nicht um die Imitierung eines Friedensprozesses handeln, um den egoistischen Willen eines Landes, die eigenen Interessen zu bedienen, sondern um ein ernsthaftes, gründliches Gespräch über alle Fragen, über das gesamte Spektrum der weltweiten Sicherheitsfragen.
Liebe Kollegen, ich bin überzeugt, dass Sie alle wissen, vor welch großen Aufgaben Russland steht und wie viel wir zu tun haben, auch im Bereich der Außenpolitik.
Ich wünsche Ihnen von Herzen Erfolg bei der schwierigen Arbeit zur Gewährleistung der Sicherheit Russlands, unserer nationalen Interessen, zur Stärkung der Position des Landes in der Welt, zur Förderung der Integrationsprozesse und der bilateralen Beziehungen zu unseren Partnern.
Die Staatsführung wird ihrerseits dem diplomatischen Dienst und allen an der Umsetzung der russischen Außenpolitik Beteiligten weiterhin die notwendige Unterstützung zukommen lassen.
Ich danke Ihnen nochmals für Ihre Arbeit, ich danke Ihnen für Ihre Geduld und Ihre Aufmerksamkeit für das, was ich gesagt habe. Ich bin sicher, dass wir Erfolg haben werden.
Dies ist ein Aufruf von Michael von der Schulenburg[*], ehemaliger Assistant Secretary-General der Vereinten Nationen zum Jahrestag der russischen Invasion in die Ukraine.
Am 24. Februar jährt sich die Invasion russischer Truppen in die Ukraine zum zweiten Mal und damit der Ausbruch des größten, brutalsten und gefährlichsten Krieges auf europäischem Boden seit dem Zweiten Weltkrieg. Dieser Krieg hat bisher auf beiden Seiten mehrere hunderttausende Tote sowie schwerst-verwundete und seelisch verkrüppelte meist sehr junger Menschen gefordert. Dieser enorme Blutzoll hat uns einer Lösung des Konfliktes keinen Schritt nähergebracht – im Gegenteil, eine friedliche Lösung wird täglich schwieriger. Wie lange soll das Töten weitergehen, bis wir endlich Empathie mit dem Leiden des ukrainischen Volkes fühlen und die Vernunft dem Leiden ein Ende setzt?
Der russische Angriff ist illegal, und niemand darf das Recht der Ukraine auf Selbstverteidigung in Zweifel ziehen. Aber dieses Recht darf nicht in der Zerstörung des ganzen Landes ausarten. Und es sind nicht nur russische Waffen, sondern auch die von NATO-Ländern gelieferten Waffen, die auf ukrainischem Territorium eingesetzt werden. Sie sind also gleichermaßen für das Leiden und die sukzessiven Zerstörungen des Landes verantwortlich. Das kann und darf nicht Ziel unserer Politik sein, es würde uns eine schwere Schuld aufbürden.
Für die Ukraine hat sich die militärische Lage zunehmend besorgniserregend entwickelt und es besteht kaum noch eine realistische Chance, dass die Ukraine den Krieg gewinnen könnte. Erschwerend für die Ukraine findet eine Entvölkerung des Landes mit gleichzeitiger Veralterung und Verarmung der dort verbleibenden Menschen statt. Zusätzlich wird das Land durch Korruption, zunehmende interkommunale Differenzen und innenpolitische Konflikte geschwächt, während die militärischen und finanziellen Unterstützungen der NATO-Länder drastisch abnehmen.
Kriege fordern in den Abnutzungs- und Endphasen die meisten Opfer. Dass es dazu kommt, dürfen wir nicht zulassen. Die Fortsetzung des Krieges wäre unverantwortlich, denn sie würde die Ukraine zerstören und ihren Bürgern eine lebenswerte Zukunft nehmen.
Auch für die Menschen in der Europäischen Union und insbesondere in Deutschland würde eine Weiterführung des Krieges zu immer größeren negativen Konsequenzen führen. Der Niedergang des europäischen Wirtschaftsstandortes mit der Folge einer hohen Schuldenlast für die folgenden Generationen, der zunehmenden Unfähigkeit der Regierungen, ihrer sozialen Verantwortung gerecht zu werden und das Notwendige in eine lebenswerte Zukunft der Menschen zu investieren, wird soziale Ungerechtigkeiten sowie innerstaatliche Gegensätze und politische Spannungen verschärfen. Wir würden die Risiken für unsere offene, pluralistische Gesellschaft ebenso wie für die demokratische Ordnung erhöhen. Mit einer Fortsetzung oder gar einer Ausweitung und Eskalation des Krieges setzen wir die Menschen in Europa zunehmend der Gefahr eines unkontrollierbaren, vielleicht sogar nuklearen Krieges aus.
Die Ukraine braucht Frieden – Europa braucht Frieden, und dieser Frieden kann nur durch einen Waffenstillstand mit darauffolgenden Friedensverhandlungen erreicht werden. Diesen Krieg auf europäischem Boden zu beenden, ist unsere europäische Verantwortung. Er darf nicht in ein weiteres Jahr gehen und zu noch mehr sinnlosen Opfern führen. Deshalb erinnere ich die Bundesregierung an die ihr von der Verfassung auferlegte Verpflichtung, dem Frieden der Welt zu dienen und fordere sie daher mit allem Nachdruck auf, gemeinsam mit unseren europäischen Verbündeten und Partnern und der ukrainischen Regierung alles zu unternehmen, um einen sofortigen Waffenstillstand und die Aufnahme von Friedensverhandlungen zu erreichen.
[«*] Kandidat für das Bündnis Sahra Wagenknecht bei den Europawahlen
Quelle: NachDenkSeiten Albrecht Müller.
Beitragsbild: Claus Stille; FLYING COLUMN des Dortmunder Künstlers Leo Lebendig.
Die Filmindustrie produziert Traumwelten und setzt primär auf Emotionen der Zuschauer. Das macht sie zu einer Plattform für Propaganda des Kiewer Faschismus, indem sie vor allem auf die Macht der Bilder setzt. Es ist nicht verwunderlich, dass ihre Vertreter die militantesten Unterstützer des Krieges bis zum „ukrainischen Endsieg“ sind.
Von Wladislaw Sankin
„Zum Gedenken an den antifaschistischen Widerstandskämpfer Rudolf Lunau“ – diese Gedenktafel ist im Foyer des Babylon Kinos schwer zu übersehen. Lunau war der Vorführer im Babylon und organisierte in den früheren Jahren des Nationalsozialismus hier einen Stützpunkt für die Untergrundarbeit der KPD. Seit Anfang der 2000er-Jahre gehört das Babylon Kino mit der einzigen Kino-Orgel Deutschlands zu den bekanntesten Programm-Kinos im Land. Hier, im Babylon, ist auch das internationale Filmfestival Berlinale beheimatet. An diesem Tag, am Vorabend des 10. Jahrestags des Beginns des Euromaidans, wird im großen Saal ein ukrainischer Regisseur den Deutschen den Sinn und Zweck des neuen „Antifaschismus“ erklären. Diese bestünden nun darin, Russland, „das neue faschistische Weltübel“, zu besiegen. Die Deutschen könnten ihre historische Schuld wiedergutmachen, indem sie die Ukraine unterstützen und ihr so viel Waffen wie möglich liefern, lehrt der Ukrainer die Versammelten.
Der Filmemacher heißt Pawlo Peleschok, trägt einen Bart, ist wortkarg und im Selenskij-Stil gekleidet. Im Babylon zeigt er seinen Dokumentarfilm „Life at the Limit“, über den Maidan und die Anfänge des Donbass-Krieges, das ist seine Premiere in einem deutschen Kino. Gekommen ist Peleschok aus den USA auf die Einladung des Kulturmanagers Günter Jeschonnek. Jeschonnek ist selbst Autor, Regisseur, Produzent und Mitglied vieler Jurys europaweit: Der 73-Jährige ist im Kulturbetrieb bestens vernetzt und die Ukraine ist seine Leidenschaft. Die Bühne beschmückt er eigenhändig mit der ukrainischen Fahne, sein Gesicht strahlt. In seinem Schlusswort wünscht Jeschonnek der Ukraine den Sieg über „diese Schurken“. „Wunderbares Schlusswort. Amen“, erwidert Peleschok zufrieden und erntet wieder frenetischen Applaus, wie so oft an diesem Abend.
Egal, was Peleschok mit seiner leisen Stimme sagt, die Zuschauer hängen an seinen Lippen. „Wir, die Ukrainer, standen am Ursprung der europäischen Dynastien, der europäischen Kultur. Wir sind in Europa nicht wegzudenken. Wir waren immer Teil Europas, bis Russland uns okkupiert und kolonisiert hat. Wir sind Teil von Euch, Ihr seid Teil von uns“. Der Saal ist begeistert. „Helft uns, bessere Europäer zu werden“, fleht ihn ein älterer Deutscher an. Peleschok ist ehemaliger Rennfahrer und war von 2014 bis 2020 als Offizier der ukrainischen Armee im Frontgebiet des Donbass-Krieges eingesetzt. Er nutzt den Auftritt für Kriegspropaganda und erzählt über eine halbe Million Toter im Krieg und über drei Millionen Ukrainer, die nach Russland „deportiert“ wurden. Die Rede ist offenbar von Rebellen, Exil-Ukrainern, Flüchtlingen und Evakuierten – also von Menschen, die in Russland Schutz und Rettung fanden. Egal, wie dreist seine Lügen sind, in diesem legendären Kinosaal mitten in Berlin, muss er heute keinen Widerspruch befürchten.
Schließlich berichtet der Produzent, dessen Film über den Maidan-Aufstand „Winter on Fire. Ukrainian fight for freedom“ 2016 für einen Oskar nominiert war, über seine Pläne, einen Spielfilm über ein jüdisches Mädchen zu drehen, das mit einem Maschinengewehr „zum ersten Mal in der Geschichte“ Stalin und andere „Schurken von Tscheka“ tötet. Dem Mädchen hilft ein Gangster aus den USA, der aber eigentlich ein aus der Sowjet-Ukraine geflüchteter UPA-Kämpfer ist. „Das ist die ukrainische Aufstandsarmee“, präzisiert der Regisseur stolz die Armeezugehörigkeit seines künftigen Protagonisten. Also kein anderer als ein Banderist, Faschist und Nazi-Kollaborateur. Ein „bad guy“ kann er nicht sein. An diesem Kulturabend im Berliner Mitte-Ost geschieht ein weiteres Wunder der Verwandlung, wie es schon bei dem „Bandera-Musical“ im Gorki-Theater der Fall war.
„Life at the Limit“ war nicht zufällig zum Jahrestag des Euromaidans ausgewählt. Peleschok war der Chronist des Umsturzes, man sieht im Film zum Teil die gleichen Bilder wie im „Winter on Fire“. Zusammen mit seinem Freund, Produzent Juri Iwanischin, hat er in einem Gebäude gegenüber dem Unabhängigkeitsplatz, dem Kiewer „Maidan“, ein Studio für Streamingdienste „Ukr-Stream“ eingerichtet. Später bereiste er die Krim und Gebiete im Südosten – Charkow, Lugansk, Donezk. Ukr-Stream filmte das Geschehen. Aus seiner Perspektive zeigt Peleschok, wie gewaltbereit und ungehobelt die Anhänger der „russischen Welt“ angeblich waren, ganz anders als „Wir“, die Ukrainer, die nach höheren Werten streben.
Das ist dokumentarische Wahrheit eines Filmemachers, der auf allen Etappen der Filmproduktion entscheidet, welche Bilder der Zuschauer sehen muss oder sehen darf. Sein subjektiver Blick auf die Wirklichkeit fällt unter den Schutz der Kunst- und Meinungsfreiheit. Als proeuropäischer Ukrainer genießt der Filmemacher das Privileg, mit offenen Armen der deutschen Filmindustrie empfangen zu werden. Die erste internationale Uraufführung des „Life at the Limit“ fand am 15. Dezember 2022 ebenso in Berlin, bei der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) statt. Laut dem zweiten Produzenten des Films, Juri Iwanischin, hat dieser Film die deutschen Diplomaten und Bundestagsabgeordneten dazu bewegt, der Ukraine offensive Waffen zu liefern – „damit Putins Lügen die Dinge auf der ganzen Welt nicht noch schlimmer machen“.
Wenn ein Film oder ein Kunstwerk in der Politik so viel bewirken kann, dann ist es verständlich, dass die Blockade aller Inhalte aus dem Donbass und Russland, die nicht ins Propaganda-Narrativ des Westens passen, so vehement ist. Ein dokumentarischer Film von der anderen Seite der Front, aus dem russischen Donbass, ist hier im Babylon genauso unmöglich, wie eine Kosmonauten-Landung auf der glühenden Venus. Davon gibt es aber jede Menge, authentisch, eindringlich und propagandafrei (zu nennen ist vor allem Maxim Fadejew und seine berühmte Donbass-Reihe). Aber „die Orks“ haben keine Kunst. „Russland hat keine Werte“, sagt Peleschok in seinem Film. Bis zu einem „wertlosen Leben“ ist es nur ein Schritt. Der Beschuss des Donbass beginnt, während er und sein Freund sich zu einem nationalistischen Freiwilligenbataillon melden, doch darüber ist im Film nichts zu sehen. Laut der ukrainischen Medien bekämpft die Ukraine „Terroristen“, die zahlreiche Mitschnitte aus dem ukrainischen Fernsehen können ja nicht lügen! Peleschok lässt diese natürlich unkommentiert im Film. Ihre einzige „terroristische“ Tat besteht darin, sich dem nationalistischen Diktat der Kiewer Putschisten nicht beugen zu wollen.
Im Film und später im Saal ist immer wieder zu hören, wie die Ukrainer die Freiheit lieben. „Freiheit ist unsere Religion“, lautet die Parole der Maidan-Ukraine. Die Abstraktion „Freiheit“ ist längst zu einem wohlklingenden Fetisch des militanten Transatlantismus geworden. Die ukrainische Art des „Freiseins“ bedeutet konkret – frei von Russen. Die Russen sind lästig, man möchte frei von Russen sein, man will die Geschichte der Ukraine von ihnen bereinigen, was auch seit 2014 (und nicht erst seit Februar 2022) in einem atemberaubenden Tempo geschieht. Denkmäler werden zuerst geschändet, dann gefällt – hundertfach, im besten Fall werden sie in sog. „Besatzungsmuseen“ eingebunkert, im schlimmsten Fall auf den Schrottplatz geworfen. Entrussifiziert sind inzwischen auch die Orts- und Straßennamen, Schulen, Universitäten, Bibliotheken, Buchhandlungen, Theater und die Musikbranche. Schnell, entschieden und rücksichtslos. Diese Handlungsart erinnert an Diktaturen der 20er- und 30er-Jahre in Europa und nicht an das Europa des 21. Jahrhunderts, zu dem die Ukraine laut dem Maidan-Narrativ gehören will.
Nun wollen aber besorgte ukrainische „Patrioten“ unter den Emigranten, dass Europa ihnen beim „Canceln“ Russlands folgt. Die Aktivisten des Vereins der jungen Ukrainer in Berlin „Vitsche“ verteufeln die Russen bei jeder seiner Straßenaktionen und wollen das Kulturinstitut „Das russische Haus in Berlin“ schließen, weil es angeblich „Propaganda-Viren“ verbreite. Aus der Sicht seiner deutschen Freunde sei aber Vitsche keineswegs ein Hetzer und Spalter, sondern ein humanitärer Verein, eine legitime Vertretung „der Ukrainerinnen“. Nach nur knapp zwei Jahren seines Bestehens steckt er bereits mittendrin im deutschen Establishment. Vitsche-Sprecherin Krista-Marija Läbe schafft es mitunter in Phoenix-Sendungen, und auch heute sitzt sie in der ersten Reihe und hält ein Weinglas in der Hand. Der Name ihres Vereins schmückt die Liste der Förderer mit solchen „Größen“ wie der KAS, der Denkfabrik Think-Tank Zentrum Liberale Moderne (LibMod), der Deutschen Filmakademie, dem Produzentinnenverband e. V., der Produzentenallianz Film und Fernsehen, und einer Reihe weiterer Institutionen der Filmbranche.
Als „Nationalistisches Glamour-Spektakel, ziemlich durchsetzt mit westlicher Kulturindustrie und mit Feuerwerk der Emotionen“, bezeichnete die Kulturwissenschaftlerin und Journalistin Susann Witt-Stahl den Maidan-Aufstand vor zehn Jahren in einem Podcast. Sie hat in dieser Zeit Kiew und den Donbass bereist. Sie merkt weiter an: „Faschismus muss nicht antisemitisch sein“. Totalitäre Propaganda setze auf Emotion und Ästhetisierung und sie verwandele die Kulturschaffenden in seine Geisteswaffen, schreibt sie in Anlehnung an die Texte von Benjamin und Krakauer.
In seinem Film stellt sich Peleschok in einen Raum mit riesigen Videowänden, von denen das übergroße Gesicht des Oskar-Preisträgers Sean Penn die Unterstützung des kollektiven Hollywoods und damit symbolisch aller angeblichen moralischen Größen der „zivilisierten Welt“ verkörpert. Die Aufnahmen stammen aus dem Maidan-Jahr 2014. Im Jahr 2022 wird Penn seine Oskar-Statue an Selenskij übergeben. Die deutsche Filmbranche will natürlich bezüglich der Ukraine-Unterstützung der US-amerikanischen in nichts nachstehen.
Während in der Ukraine die Männer für große und kleine Fleischwölfe des Krieges ausgehen, ruft die „Stahlhelmfraktion“ (Witt-Stahl) der deutschen Kulturindustrie weiter ungehemmt nach Waffen für den Endsieg der Ukraine. „Ihr kämpft für uns und unsere Werte!“, sagen Brüssel, Berlin, Prag und – fast jeder Redner an diesem denkwürdigen Filmabend. Während der Journalist und Autor des Buches „Auf beiden Seiten der Front“, Patrik Baab, über die Bellizisten unter den Journalisten als Schreibtisch-Täter spricht, die, je lauter sie für Waffen und Krieg werben, umso entfernter von der Front sind, bewegen sich spießbürgerliche Ästheten auf sicheren Bühnen und rufen von dort zum Kampf auf. Vom Tod der russischen Ballettregisseurin und Sängerin Polina Menschich während eines Konzerts in einem „Haus für Kultur“ 60 Km von der Frontlinie entfernt, werden sie nie erfahren: Sie und weitere Freiwillige wurden am 19. November von einer HIMARS-Rakete getötet. Ein Video hielt jenen Augenblick fest, als die Rakete in den Zuschauersaal einschlug.
Augenzeugen zufolge „zerschlug eine Rakete die Autos der Freiwilligen, die zweite die Garderobe mit den Künstlern und die Bühne“. Ein RIA-Nowosti-Video zeigt die Folgen des Beschusses:
Es kann darauf gewettet werden, dass wenn eine ukrainische Kunstschaffende während ihres Auftritts direkt auf der Bühne von einer russischen Rakete getötet würde, dann würden deutsche Kulturfunktionäre Russland des „barbarischen Angriffs auf Kunst und Kultur“ beschuldigen. Der Tod einer russischen Künstlerin ist für die deutschen Medien hingegen keine Notiz wert.
Zurück zur Vorführung im Babylon-Kino. In seinem Film versucht Peleschok alle Hinweise auf einen nationalistischen Charakter und die unglaubliche Gewaltbereitschaft des Euromaidans zu vermeiden. Stattdessen rückt Polizeigewalt in den Fokus. Einmal fängt seine Kamera den Ruf aus einer kalten Maidan-Nacht ein: „Ukraine über alles!“. Wir oder die – die Formel des ewigen Krieges, bis eine der Gegenseiten von der Erdoberfläche verschwindet – diese Idee durchdringt die Ideologie des Ukrainismus, das sich als absolutes Anti-Russland versteht. Opfersein, Rachegelüste, Herrensein. Die ukrainische Hymne manifestiert diese Matrix des ukrainischen Nationalismus auf eine eindrückliche Weise:
„Unsere Feinde werden wie Tau in der Sonne zugrunde gehen, wir, Brüder, werden im eigenen Lande herrschen … Brüder, stehen wir auf für eine blutige Schlacht vom San bis zum Don, wir werden niemandem erlauben, in unserem Heimatland zu herrschen.“
Seit je her ist das mit der Hand an der Brust Singen dieser Hymne gewissermaßen zu einer religiösen Zeremonie geworden. Auch dieser deutsch-ukrainische Film-Abend wird mit dem gemeinsamen Singen der Hymne eröffnet. Der Großteil der Gäste steht auf und … schweigt – es sind Nichtukrainer. Die Faschisten-Parole „Slawa Ukraine, Gerojam Slawa“ (Ruhm der Ukraine, den Helden Ruhm) hallt es nach der Hymne dennoch. In diesem Moment verstehe ich – es war ein Gebet und das halb witzige „Amen“ des Regisseurs nach dem Redeschwall seines deutschen Freundes Jeschonnek beendete nicht zufällig die Sitzung.
Der Name der Förderer dieser Vorführung mit einem Banderisten als Film-Regisseur liest sich u. a. wie das Who’s who der deutschen Film- und Fernsehbranche. Produzentenvereinigungen und die Deutsche Filmakademie werden da mit den militantesten und interverntionistischsten deutschen Parteistiftungen und den Think-Tanks KAS und LibMod aufgelistet. Sie predigen Regime-Changes in anderen Ländern und unterstützen den ukrainischen Faschismus, der sich hinter der künstlich-demokratischen Glamour-Fassade zu verstecken versucht. Am 17. Februar hing schon die Berliner Film-Prominenz bei der Eröffnung der Berlinale an Selenskijs Lippen, als er in seiner Videobotschaft Russland als „Stimme des Bösen“, Hort der Sklaverei und Ursache des Welthungers anprangerte – pures Stuck Greuelpropaganda, inhaltlich fast nahtlos an antibolschewistische Propaganda im Dritten Reich angelehnt.
„Die NS-Propaganda schürte während des gesamten Zweiten Weltkrieges permanent Ängste vor dem „Bolschewismus“ als Inbegriff für Mord, Vergewaltigung, Verbrechen, Elend und Hunger“, beschreibt das Bundesarchiv-Online lapidar das hierzu exemplarische Plakat „Sieg oder Bolschewismus“. Selenskij erzeugt mit seiner „emotionalen Rede“ (Handelsblatt, ZDF, NZZ usw.) geradezu hypnotische Wirkung, ergriffene deutsche Film-Stars würdigen ihn mit stehendem Applaus. Er spricht über die Kraft des Kinos und über Emotionen, die Filme auslösen können. Der Goldene Bär ist gelb-blau gefärbt. Und die Filme wie „Superpower“ von Sean Penn oder wie „Life at the Limit“ liefern die nötigen Bilder, die „nötige“ Gefühle erzeugen. Die Bekämpfung der Vernunft durch Emotionen galt für den Faschismus „damals“, und gilt auch für den „totalitären Kapitalismus“ heute (Witt-Stahl).
Die aggressive Parteinahme für Faschisten in der berüchtigten Tradition der deutschen Bandera-Unterstützung und das Hofieren eines ukrainischen Militärs durch einen exaltierten Berliner Kultur-Manager bei gleichzeitiger Nichtzulassung von Gegendarstellungen sind die Zeichen des aufkommenden Totalitarismus. Die Aufführung im Babylon ist Teil der Mobilisierungsstrategie und der Kriegspropaganda – vom NATO-Staat auf die Kulturindustrie ausgelagert. Im Keller des „Babylon“ druckten der Filmvorführer Lunau 1933–1934 und seine Genossen heimlich antifaschistische Flugblätter, auch gegen jene Wirklichkeit des Hitler-Faschismus, die er mit seinem Vorführgerät an die Leinwand projizieren musste. Ein Kino ist nur Raum und Wände, und es sind Menschen, die sie mit Inhalten ausfüllen. Die Gedenktafel an der Wand des Foyers, die an Lunau erinnert, stellt das Kino Babylon in eine schöne Tradition, die Menschen, die heute dessen Bühne betreten, beleben hingegen das Dunkel der Geschichte.
Ein Sitzjournalist ist Patrik Baab wahrlich nicht. Und das ist gut so. Als „Sitzjournalisten“ bezeichnet der Politikwissenschaftler, Publizist und last but not least, erfahrene langjährige Journalist Patrik Baab diejenigen Schreibtischtäter, welche in der mehr oder weniger komfortablen Redaktionsstube vorm Computer sitzen und aus dem, was da heraus poppt eine Story zusammenkloppen. Die wird dann ins Netz hochgeladen oder althergebracht in die diversen Blätter gedruckt.
In Sachen Ukraine-Krieg reicht es dann meistens das Monstrum in Bild-Zeitungs-Manier auf die Titelseite zu knallen. Kennen Sie den großartigen Film „Knallt das Monstrum auf die Titelseite!“ von Marco Bellocchio? Das seit Langem im Westen, der vasallenhaft den USA folgt und sei es in den Untergang, gängige Monstrum ist noch immer der russische Staatspräsident Wladimir Putin. Ein angeblich neuer Hitler, den man „Putler“ schimpft. Unter dem macht man es nicht. Da weiß das Publikum Bescheid – ist in der richtige Spur. Vor Putin waren die neuen Hitler Slobodan Milošević, Saddam Hussein und Muammar al-Gaddafi. Meist Staatsführer, die dem Westen in seiner Politik nicht oder nicht mehr folgen wollen.
Das ist Holzhammer-Journalismus. Um nicht zu sagen plumpe Propaganda.
Nicht die Sache des Journalisten Patrik Baab – einer der immer weniger zählenden Vertreter – eines ehrlichen Journalismus, wie er im Buch steht.
Apropos Buch: Patrik Baab hat übrigens ein hervorragendes Buch in Sachen Journalismus zum Zwecke der Ausbildung geschrieben: „Recherchieren. Ein Werkzeugkasten zur Kritik der herrschenden Meinung“ (Lesen Sie gerne meine Rezension).
Patrik Baabs Anspruch an Journalismus ist hoch
Kurzum: Patrik Baab hat einen hohen Anspruch an Journalismus wie er halt von Hause her verstanden werden muss. So hat Baab es gelernt und dementsprechend verinnerlicht. Das steckt ihm in den Knochen. So tickt sein Herz. So arbeitet sein Hirn. Das gilt für alle seine bisherigen Werke und Veröffentlichungen.
Da nimmt es einen nicht wunder, dass er seinem hier zu besprechenden aktuellen Buch „Auf beiden Seiten der Front. Meine Reisen in die Ukraine“ u.a. das folgende Zitat von Egon Erwin Kisch vorangestellt hat:
Bei aller Künstlerschaft muss er die Wahrheit, nichts als die Wahrheit geben, denn der Anspruch auf wissenschaftliche, überprüfbare Wahrheit ist es, was die Arbeit des Reporters so gefährlich macht, gefährlich nicht nur für die Nutznießer der Welt, sondern auch für ihn selbst, gefährlicher als die Arbeit des Dichters, der keine Desavouierung und kein Dementi zu fürchten braucht.
Und dass das auf sein neues Buch zutrifft, können Sie mir getrost abnehmen. Weshalb ich es meinen Leserinnen und Lesern sehr zur Lektüre anrate. Aber auch Politikerinnen und Politikern und Journalisten – so sie offen dafür sind und gewillt sind für einige Zeit einmal die gängig gemachte Propaganda, die sie in wohl meisten Fällen ohne Ansage von Oben betreiben, außen vor zu lassen. Geht das noch, oder ist all das womöglich schon zu sehr ideologisch betoniert?
Für Patrik Baab eine Verpflichtung stets auch die andere Seite zu hören – audiatur et altera pars
Patrik Baab hat die Ukraine bereist – den Westen vor Beginn des Krieges, den Osten danach. Gemäß der journalistischen Handwerksregel „audiatur et altera pars“ – Ich frage: ist diese Handwerksregel, die ja nicht zuletzt der Juristerei entlehnt ist, überhaupt noch bekannt? Und wenn ja, warum findet sie meinem Empfinden nach kaum noch Anwendung? – auch die andere Seite soll gehört werden – hat er auf beiden Seiten der Front mit Menschen gesprochen und ihre Leben beobachtet. Er hat die Interessen hinter den blutigen Kämpfen recherchiert.
Es entsteht vor uns das Bild eines gespaltenen Landes
So entsteht Stück für Stück das Bild eines gespaltenen Landes namens Ukraine. Ukraine könnte auch mit „am Rande“ oder „Randgebiet“ übersetzt werden.
Um die Ukraine zu verstehen hat sich Patrik Baab u.a. eines alten Reiseführers durch die Sowjetunion von Sándor Radós bedient. Baab: „Es ist ein Buch, das es – wäre es nach den Mächtigen in jedem Landes gegangen – gar nicht hätte geben dürfen und das mich in das «Grenzland« Ukraine und zugleich in die Dämmerung meiner Kindheit führt.“ (S.12)
Und weiter: „Von Sándor Radó und seinem Führer durch die Sowjetunion habe ich 2018 in Chelsea erfahren, in einer Bar names «The Hour Glass« nahe der der Sloane Avenue in der Brompton Road, in die ich den illustren Rest eine Auditoriums entführte, das zuvor Paddy Ashdown gelauscht hatte, dem Mitbegründer der Liberaldemokraten und ehemaligen MI6-Offizier, der in der Buchhandlung Hatchards am Piccadilly wenige Wochen vor seinem Tod aus seinem letzten Buch las.“
Das Kapitel „Ein alter Reiseführer“ ist hochinteressant. Da weht der Leserschaft – um einmal Helmut Kohl zu bemühen – sozusagen der Mantel der Geschichte um die Ohren. Unverzichtbare Zeilen zum Verständnis in Sachen Ukraine.
Patrik teilt uns seine Reiseerlebnisse mit großem Interesse für Land und Leute mit
Patrik Baab erzählt seine Erlebnisse mit großem Interesse für Land sowie mit Empathie für die Leute, die er trifft. Wir lernen eine Ukraine in schwierigen Lebenssituationen und Wirtschaftslage kennen. Die schon vor dem völkerrechtswidrigen Krieg Russland gegen die Ukraine bestanden. Klar, es gibt etliche schwerreiche Oligarchen, die sich Land und Industrien unter den Nagel gerissen haben. Aber auch eine riesige Masse von Menschen, die ziemlich prekär leben. Und quasi jeden Tag sehen müssen wie sie ihre Familien über die Runden bringen. Mit den in der Ukraine gezahlten Hungerlöhne können sie das nicht zumeist nicht. Es gibt etwa Arbeiten, die für Firmen im Westen verrichtet werden. Beispielsweise Kabelbäume für Autos herzustellen.
Oder, schreibt Baab: „Wer ein Auto hat, arbeitet als Fahrer. In einem riesigen Flächenstaat, der fast doppelt so groß ist wie Deutschland, ist Transport ein Problem. Wer sich ein Auto leisten kann, bringt andere zum Ministerium in Kiew, zur Baustelle in Odessa oder liefert Ersatzteile und Computer nach Dnipro. Fahrtkosten und etwas auf die Hand, eine Flasche Wodka dazu, die meisten hier sind auf einen Zuverdienst angewiesen. Auch Wasja.“ Baabs Fahrer in der Westukraine.
Der hat einen alten Mercedes Sprinter, den er zu einem Wohnmobil für sechs Personen ausgebaut hat.
Mit diesen Leuten fährt er manchmal nach Moskau oder Frankfurt am Main, um dort als Schwarzarbeiter Gebäude hochzuziehen. (S.104)
Nicht selten werden die Leute um ihr Lohn betrogen.
Baab „Wasja gehört zu den drei Millionen Ukrainern, die als Arbeitsmigranten mehrmals im Jahr ins Ausland pendeln. Dazu kommen noch einmal zwei Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer, die dauerhaft im Ausland arbeiten.“ (…)
In Polen blühen auch die Geschäfte der Vermittlungsagenturen, die Ukrainer als polnische Staatsangehörigen deklarieren und sie als häusliche Pflegekräfte in die Schweiz und nach Deutschland vermitteln. Dort erhalten sie den örtlichen Mindestlohn für eine 40-Stunden-Woche. Doch in der Realität, so steht es im Vertrag mit der polnischen Agentur, müssen Pflegekräfte 24 Stunden in Bereitschaft sein.
In Frankfurt wird Wasja bezahlt nach dem Mindestlohn am Bau, das waren 2021 für Ungelernte 12,85 Euro. Doch oft vereinbart er auch eine Pauschale für seine Bautrupp, die deutlich niedriger ist.“ (S.106)
Baab weiter: „Für viele ukrainische Fahrer wie Wasja ist Litauen die europäische Speditionszentrale. Mithilfe von künstlicher Intelligenz werden billige Lkw-Fahler aus Nicht-EU-Staaten wie der Ukraine oder Moldau quer durch Europa gelenkt. Sie brauchen keine Sprachkenntnisse; sie erhalten ihre Anweisungen über Smartphones und Navigationsgeräte. Mit Beginn des Kriegs fehlten in Litauen und Polen plötzlich mehr 100 000 LKW-Fahrer aus der Ukraine – sie durften wegen des Militärdienstes nicht mehr ausreisen.“
Die Bezahlung solcher Jobs sei allerdings immer noch viel besser als in ihrer Heimat.
Und Baab bestätigt, was Dr. Werner Rügemer (auf den der Autor auch zurückkommt) in seinem Vortrag dieses Jahr in Dortmund erwähnte: «2015 habe die ukrainische Regierung zum ersten Mal etwas beschlossen, das in der EU zum Standard gehört: Ein gesetzlicher Mindestlohn. Im Jahr 2015 betrug der erste gesetzliche Mindestlohn der Ukraine sage und schreibe 34 (sic!) Cent pro Stunde. Später sei er langsam angehoben worden. (…) Unter Selenskij ist der Mindestlohn der Ukraine bei 1,21 Euro angekommen. Der niedrigste Mindestlohn, den es überhaupt im Umkreis in Europa gibt“, so Werner Rügemer« (dazu hier)
Ukrainische Kleinunternehmen dienten oft als Zulieferer für internationale vernetzte Billigproduzenten in den benachbarten EU-Ländern Polen, Rumänien und Ungarn. „So gehen 41 Prozent der Schuhproduktion als Halbfertigware für Hungerlohn aus der Ukraine in die Fabriken Rumäniens, Ungarns oder Italiens, wo sie dann im Niedriglohnbereich das begehrte Etikett «Made in EU« bekommen.“
Ukraine – eines der Länder mit der höchsten Korruption
Die Ukraine ist eines der Länder in der Welt wo höchste Korruption herrscht. Ein Land, das wenn es u.a. nach der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen geht – die nahezu unablässig nach Kiew reist und entsprechende Versprechungen macht – rasch in die Europäische Union geführt werden soll. Da staunt der Fachmann und der Laie wundert sich. Die früher bezüglich der Aufnahme eines Landes in die EU geforderte Erfüllung der Kopenhagener Kriterien sind auf einmal vergessen? Die Türkische Republik wird schon lange vor der Tür gehalten. Die Ukraine erfüllt diese Kriterien jedenfalls nicht.
Das Land wird ausgebeutet
Große westliche Agrarkonzerne bemächtigen sich mehr und mehr der in der Welt einzigartigen fruchtbaren Schwarzerdeböden.
Das Land wird ausgebeutet wo es nur geht. Für den Wiederaufbau gilt bereits die Vermögensverwaltung BlackRock gesetzt. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.
Der Ukraine-Krieg hat Vorgeschichten
Beim jetzigen Krieg Russlands gegen die Ukraine wird vom Westen und seinen Medien immer gern dessen Vorgeschichte(n) – u.a. die „Orange Revolution 2004“) vergessen. Diese Entwicklung führt Patrik Baab in aller Deutlichkeit aus. Rekapituliert. Gut so, denn der Mensch ist bekanntlich vergesslich. Und die westlichen Medien (in meinen Augen besonders die deutschen) tragen durch Weglassen und Uminterpretationen dazu bei, das zu befördern. Wo sind da die Faktenfüchse?
Nationalismus und faschistische Tendenzen
Es sind ebenfalls die Medien die rechtsnationale und faschistische Tendenzen in der Ukraine kleinreden. Im Parlament seien das höchsten noch zwei Prozent bekommen wir immer zu hören. Dabei wird geflissentlich ausblendet, dass sich Faschisten nicht zuletzt in Bataillonsstärke (auch wenn sie inzwischen in die reguläre Armee eingegliedert sind) plus ausländische Söldner im Lande tummeln und eine tödliche Macht darstellen. Oppositionsmedien sowie kritische Medien sind verboten.
Ein Nationalismus, der in der Sozialistischen Sowjetrepublik Ukraine nie weg gewesen war (er wurde durch die CIA und mithilfe der ukrainischen Diaspora in den USA und Kanada immer – auch über Einschleusung von Agenten am Köcheln gehalten, um gegen die UdSSR zu wirken), hat längst neuen Auftrieb erhalten. Überall werden Straßen und Plätze nach dem Faschistenführer Stepan Bandera, der mit den deutschen Faschisten kollaborierte, benannt. Es lohnt sich das Kapitel „Mukatschewo: Slawa Ukrajini – Herojam Slawa!“ genau zu verfolgen. (S.134)
Baab: „Ruhm der Ukraine – seit 2018 ist dies der offizielle militärische Gruß. «Slawa Ukraini!« und die Erwiderung «Herojam Slawa« waren auch die Grußformeln der ukrainischen Division der Waffen-SS «Galizien«“.
Heutzutage entblöden sich Politiker der BRD nicht einmal, diese Grußformel zu benutzen!
„Ultranationalismus und Faschismus haben in der Ukraine eine lange Tradition. Beide entstanden – wie in fast allen europäischen Ländern – infolge des Ersten Weltkrieges als Reaktion auf den Krieg, die stärker werdende Arbeiterklasse und die revolutionären Bewegungen in Russland, Deutschland, Ungarn und anderen Ländern.“ (S.140)
Einschub: Zusätzlich zu diesem Kapitel empfehle ich meinen Lesern die Videos zu schauen, welche die Tageszeitung junge Welt von der von ihr veranstalteten hochinteressanten Veranstaltung «Der Bandera-Komplex« veröffentlicht hat.
Der Maidan-Putsch
Als absoluter Tiefschlag muss letztlich der Maidan-Putsch 2014 in Kiew (4.5. Kiew: Ein Putsch und die Folgen; S.148) gelten.
Er wurde, wie Victoria Nuland („Fuck the EU“), ausplauderte, mit fünf Milliarden US-Dollar unterstützt und ins Werk gesetzt.
Die Proteste zuvor waren in der Tat zunächst gegen die grassierende Korruption in der Ukraine und viele andere Unzulänglichkeiten gerichtet. Und auch angebracht.
Doch diese Proteste wurden okkupiert und umgedreht, sodass sie letztlich zum Sturz der rechtmäßig gewählten Regierung Janukowitsch führten.
Baab schreibt über Dimitrij Wasilez, der jeden Tag auf dem Maidan in diesen Zeiten gewesen war. Er sagt: „Dieser Volksaufstand war eine perfekt inszenierte Show. Wenn Pressevertreter einen Kommentar von mir wollten und ich habe mich nicht zustimmend zu den Protesten geäußert, dann haben sie die Kamera wieder abgeschaltet und mich weggeschickt: >Verschwinde, Junge, wir haben andere Ziele< Das haben sie offen gesagt.“ Die Protestler wurden bezahlt, wurden mit Bussen herangekarrt und demonstrieren in Schichten.
Unsere in der Mehrzahl inzwischen journalistisch verkommenen deutschen Medien wollen das nicht wahrhaben und sehen den Maidan-Putsch noch immer als Revolution.
Ins Kriegsgebiet im Donbass
Baab war vergangenes Jahr zwecks Fortsetzung seiner Buch-Recherche in das Kriegsgebiet im Donbass gereist. Um dort nun von der anderen Seite der Front zu berichten. Dort leben in der Mehrzahl russischsprachige Menschen.
Auf seiner Fahrt in den Donbass wurde Baab von dem russischsprachigen Journalisten und Blogger Sergey Filbert begleitet. Filbert betreibt unter anderem den YouTube-Kanal „DruschbaFM“. Wo die beiden auch von ihrer Reise ins Kriegsgebiet unter dem Titel „Grenzland“ Video-Berichte einstellten.
Patrik Baab wurde von T-Online zum Wahlbeobachter gemacht
Dass dort zu diesem Zeitpunkt die Referenden für den Beitritt zur Russischen Föderation stattfinden sollten, habe er – schreibt Baab – bei der zeitigen Planung dieser gefährlichen Reise nicht wissen können. Vielmehr habe er davon erst erfahren, als er sich bereits in Russland befand.
Nichtsdestotrotz machte das zum Werbekonzern Ströer gehörende journalistisch nicht selten fragwürdig agierende Portal T-Online, das sich nicht das erste Mal diffamierend betätigte, Patrik Baab zum Wahlbeobachter bei den Referenden im Donbass. Ihm wurde zum Verhängnis gemacht, dass er auf einer Pressekonferenz nach den Referenden auftrat. Baab machte klar, dass er die Referenden lediglich als Journalist bzw. zwecks Recherche für sein Buch verfolgt habe. Baab: „In Luhansk und Donezk habe ich auf Bitte der örtlichen Behörden an zwei Pressekonferenzen teilgenommen. Das habe ich auch bei meinen Recherchen im Kosovo-Krieg 1999 oder in Afghanistan 2002 getan – beides ebenfalls völkerrechtswidrige Angriffskriege. (…) Dennoch hab ich deutsche Soldaten bei ihren Einsätzen begleitet, an militärischen Briefings und Pressekonferenzen teilgenommen, meinen Rechercheauftrag erläutert und über meine Erfahrungen berichtet. Dies ist allein schon deshalb nicht Ungewöhnliches, weil man in einem Kriegsgebiet darauf angewiesen ist, sich etwa darüber auszutauschen, wo Minen noch nicht geräumt wurden oder versprengte Freischärler unterwegs sind.“ (S.224)
Aber T-Online-Redakteur Lars Wienand machte sofort Alarm in Deutschland. „Ein Wahlbeobachter sei ich gewesen bei Putins Scheinreferenden, ein Apologet des Kreml, ein Journalist auf politischen Abwegen.“ (S.223) Für Denunzierungskampagnen ist T-Online indes bekannt. Dieser Journalist Wienand hätte sich, so Baab, durch einfache Recherche bei der zuständigen Zivilkammer der Russischen Föderation in Moskau überzeugen können, dass er dort nicht als Wahlbeobachter geführt wurde.
Aber der Schaden war gemacht. Sollte wohl der Sinn dieser Übung sein. Die Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und die Hochschule für Medien und Kommunikation in Berlin kündigten Baabs Lehraufträge.
Baab: „Es fallen zwei Dinge auf: Zum einen haben die Akteure kaum Kenntnisse über die Ukraine und Russland, die regionale Kultur und die Konfliktgeschichte. Zum anderen handelt es sich um Sitzredakteure, die den Bildschirm mit der Realität verwechseln. Sie verhalten sich wie journalistische Drohnenpiloten, die aus großer Entfernung ein Ziel anvisieren, ohne die Lage vor Ort überhaupt zu kennen. Klickzahlen sind wichtiger als sauberes Handwerk.“ (S.226)
Wir leben in merkwürdigen Zeiten. In Zeiten der Diffamierung und der Cancel Culture, die mit demokratischer Öffentlichkeit – wie Baab schreibt – nicht zu tun hat.
Baab bringt das so verständlich auf den Punkt: „Niemand wäre auf die Idee gekommen, Peter Scholl-Latour, der 1973 im Vietnamkrieg als Erster auf der Seite des Vietkongs gedreht hat, vorzuwerfen, er verbreite kommunistische Propaganda.“
Patrik Baab hat erfolgreich gegen den Entzug des Lehrauftrags geklagt. Lesen Sie gern dazu den Beitrag von Kollegin Susan Bonath (hier).
Noch im Donbass hatte Baab telefonisch anwaltliche Hilfe erbeten, nachdem er eine Textnachricht von T-Online erhalten hatte. Er stellte gegenüber dem T-Online-Redakteur klar, dass er als Journalist recherchiert hätte. „Offenbar hat er nur pro forma angefragt. Denn mein Dementi interessierte ihn nicht weiter“, so Baab.
Das mit dem Anruf hätte ins Auge gehen können. Denn, benutzt man im Kriegsgebiet ein Smartphones, kann man angepeilt und zum Ziel eines Angriffs werden. In der Tat gab es in der Nähe des Hotels, in welchem Baab und Filbert wohnten, einen Treffer nachdem die Textnachricht von T-Online-Redakteur Lars Wienand erhalten hat. Baab beobachtete, wie eine Artilleriegranate ein Wohnhaus trifft. „800 Meter von mir entfernt kracht ein Teil der Fassade herunter“, berichtet Baab.
Die geschilderten Erlebnisse im Donbass sind spannend, darunter interessante Personenzeichnungen von Menschen, die viel Leid und Zerstörung erfuhren. Aber Baab hat auch Menschen getroffen, die nachdem ihre Stadt von den Russen eingenommen wurde, wieder mit Hoffnung in die Zukunft blicken.
Kurz bevor Baab und Filbert nach getaner Recherche endlich dem Kriegsgebiet entkommen schienen, hielt man sie auf dem Weg zur Krim an und „filtrierte“ sie. Sie hätten ja ukrainische Agenten sein können. Sie mussten einige Zeit in einem Käfig verbringen. Der junge Offizier lässt sie endlich gehen. Vielleicht hatte er Bedenken wegen Baabs deutschen Pass. Was wenn das zu diplomatischen Verwicklungen geführt hätte?
Patrik Baab: „Dieser Krieg in der Ukraine wird am Verhandlungstisch enden – oder wir fliegen alle in die Luft
Aus der Geschichte und nicht zuletzt aus eigenem Erleben weiß Patrik Baab: „Dieser Krieg in der Ukraine wird am Verhandlungstisch enden – oder wir fliegen alle in die Luft. Da darf man sich an den Gedanken gewöhnen, mit Russen zu verhandeln. Seit drei Jahrzehnten spreche ich mit Menschen aus Russland. Darunter sind Mitarbeiter der Regierung genauso wie Oppositionelle. Auf beiden Seiten der Front, in Russland und der Ukraine, habe ich Freunde. Aus Russland bringe ich seit mehr als 20 Jahren Filme mit, die sich kritisch mit Missständen in Putins Staat befassen. Diese Recherchen haben mir zwei unangenehme Begegnungen mit dem Inlandsgeheimdienst FSB beschert. Einmal sind wir der Verhaftung knapp entgangen. Für diese Vorgänge gibt es Zeugen.“ (S.225)
Und, stellt Baab fest: „Es ist einigermaßen dreist, wenn Schreibtischtäter in Universitäten und Sitzredakteure in Online-Medien, die von den Zuständen in Kriegs- und Krisengebieten keine Ahnungen haben und mit eigenständigen Rechercheergebnissen noch nicht weiter aufgefallen sind, mir, der ich für unabhängige Informationsgebung den Kopf hingehalten habe, Propaganda vorwerfen.“
Der Autor sieht die Zukunft düster
Die Zukunft sieht der Autor ziemlich realistisch und ohne rosa Brille. „Deutschland wandelt sich weiter vom Sozial- zum Rüstungsstaat und entwickelt sich damit zu einem militaristischen und postdemokratischen Vasallen Washingtons, geführt von einer antidemokratischen ökolibertären Elite, die ihre eigene Bevölkerung mit Propaganda, Zensur, Digitalüberwachung und Polizei in Schach hält. Dies Elite entstammt zumeist dem gehobenen Bürgertum und akademischen Milieus.“
Haben wir wirklich nichts dazu gelernt? Ich fürchte nein.
„Die Europäische Union wird entweder als eine zerstrittener Staatenbund weiterbestehen oder ganz zerfallen, nachdem es den USA gelungen ist, die Union zu spalten. Übrig bleibt ein Europa sozial degenerierter Vasallenstaaten am Rande der Ukraine, in der fortgesetzte militärische Konflikte drohen, die auch die Nachbarstaaten langsam erschöpfen.“
Trübe Aussichten. Baab sieht die Deindustrialisierung weiter Fahrt aufnehmen. Was „zu bislang ungekannten sozialen Verwerfungen und wahrscheinlich zu einer neuen antidemokratischen Massenbewegung führen, die den Abschied von der Demokratie beschleunigt“.
Und noch mehr Unerfreuliches. Das kommt einen bitter an, liegt aber durchaus im Rahmen des vermutlich Dräuenden: „Das ist die Welt von gestern, die wieder die Welt von morgen sein wird.“ (S.252)
„Neben der Ukraine und der Europäischen Union ist Russland der dritte große Verlierer. Gewinner dieses großen Spiels sind die USA und China. Zwischen ihnen wird sich eine neue Pattsituation ergeben. (…) Doch der Niedergang der USA setzt sich fort.“ (S.253)
Baab resümiert: „All dies war absehbar. Es ist die Chronik einer angekündigten Katastrophe.“
Nach diesem gefährlichen Abenteuer kehrten Sergey Filbert und Patrik Baab im Zug von Simferopol auf der Krim über die Brücken von Kertsch zurück nach Moskau.
Wenige Tage später gibt es ein Explosion auf der Brücke. „Nur eine Fahrbahn bricht zusammen. Vor Moskau schrecke ich auf. Aus dem Schlaf gerissen kehre ich zurück in den Albtraum“, schreibt Patrik Baab gegen Ende des Buches.
Weiter: „Nach unserer Ankunft in Berlin morgens gegen vier stelle ich den Führer durch die Sowjetunion von 1928 wieder in die Vitrine. Sándor Radós Traum von einem Europa der Menschen und Völker ist ausgeträumt. Aber Träume können nicht sterben. Sie leben fort in einer anderen Zeit, Sergey und ich trinken noch ein paar doppelte Whisky. Die helfen uns auch nicht weiter. Sie rufen nur Gedanken wach an die Jahre des Friedens in Europa, die wir nie mehr wiedersehen würden.“
Am Ende sagt Patrik Baab allen Dank denen Dank gebührt. „Meine Gedanken sind bei unserem Fahrer. Sein Tod steht für all die sinnlosen Opfer auf beiden Seiten der Front. Sergey Filbert war mir nicht nur ein verlässlicher Gefährte, sondern hat auch unter Feuer die Nerven bewahrt“, heißt es u.a.
Unbedingte Leseempfehlung! Und bitte, liebe Leserinnen und Leser empfehlen auch sie das Buch weiter.
In Zeiten von teils unerträglicher Propaganda in unseren Medien bis hin zu eklatanten Verdrehungen in Sachen Ukraine-Krieg ist dieses Buch wichtig und sollte deshalb ein hohe Rezeption erfahren.
Patrik Baab hat die Ukraine bereist – den Westen vor Beginn des Krieges, den Osten danach. Gemäß der journalistischen Handwerksregel „audiatur et altera pars“ – auch die andere Seite soll gehört werden – hat er auf beiden Seiten der Front mit Menschen gesprochen und ihre Leben beobachtet. Er hat die Interessen hinter den blutigen Kämpfen recherchiert.
Hier schildert er seine Eindrücke. Er analysiert den geostrategischen und wirtschaftlichen Konflikt, um den es in Wahrheit geht. Es ist das neue „Große Spiel“ der Vereinigten Staaten, von Russland und der Europäischen Union unter deutscher Führung; ein Poker am Rande eines Atomkriegs mitten in Europa – ein Tanz auf dem Vulkan.
Patrik Baab ist Politikwissenschaftler und Publizist. Seine Reportagen und Recherchen über Geheim- dienste und Kriege passen nicht zur Propaganda von Staaten und Konzernmedien. Er berichtete u.a. aus Russland, Großbritannien, dem Balkan, Polen, dem Baltikum und Afghanistan. In Russland machte er mehrfach Bekanntschaft mit dem Inlandsgeheimdienst FSB. Auch die Staatsschutzabteilung des Bundesinnenministeriums führt eine Akte über ihn. Im Westend Verlag publizierte er „Im Spinnennetz der Geheimdienste. Warum wurden Olof Palme, Uwe Barschel und William Colby ermordet?“ (2017) und „Recherchieren. Ein Werkzeugkasten zur Kritik der herrschenden Meinung“ (2022). Seine Homepage findet Sie hier.
Anbei:
Sabiene Jahn spricht mit Patrik Baab über sein Buch.
Wer anspricht, dass es in der Ukraine Faschisten gibt und es faschistische Tendenzen in der Gesellschaft zu beobachten sind, wird hierzulande von Politikern und Mainstream-Journalisten schnell belehrt. Ja, es gebe schon rechte Gruppen, die hätten aber keinerlei Einfluss – schon gar nicht in der Rada, dem ukrainischen Parlament. Letzteres stimmt sicher. Aber Einfluss im Lande haben die sehr wohl. Der „Wertewesten“ ist allerdings auf diesem Auge weitgehend blind. Obwohl doch auffallen müsste, dass in der Ukraine zuhauf Straßen nach Stepan Bandera, welcher eine ukrainische Variante des Faschismus begründete und anderen seinerzeitigen „Größen“ benannt und diesen Leute heute sogar Denkmäler gesetzt werden.
Die junge Welt resümiert: «Im bis auf den letzten Platz gefüllten Münzenberg-Saal im ND-Gebäude lauschten 250 Teilnehmerinnen und Teilnehmer den Ausführungen der Referenten. Weitere mindestens 3.000 Zuschauerinnen und Zuschauer, darunter rund 300 englischsprachige, erlebten das Ereignis per Livestream. Moss Robeson und Russ Bellant beeindruckten mit ihrem Expertenwissen und lieferten Vorträge auf einem Niveau, das in Deutschland seinesgleichen sucht. Von den Anfängen des ukrainischen Faschismus bis zur Rolle der Bandera-Verehrer im aktuellen Krieg wurde kein Detail einer verhängnisvollen Entwicklung ausgespart. Jürgen Lloyd sorgte mit seinem Referat über die Interessen des Monopolkapitals in der Ukraine für die nötige historisch-materialistische Einordnung. Den Abschluss fand die Konferenz in einer spannenden Gesprächsrunde, die künftige Entwicklungen in den Blick nahm.«
Und weiter informiert jW: «Bei einem derart verdichteten Programm war es kaum möglich, die Fülle von Informationen auf Anhieb zu verarbeiten. Die gute Nachricht: Alle Vorträge sowie die Diskussionsrunde wurden auf dem Youtube-Kanal der jungen Welt eingestellt – auf deutsch und auf englisch. Wer am Konferenztag selbst am Bildschirm nicht teilnehmen konnte, hat jetzt die Gelegenheit, dies nachzuholen.«
Ich kann der Zeitung nur beipflichten: Es wurde eine bitter nötige Aufklärung geliefert. Hochinteressant! Geboten wurde eine Analyse des ukrainischen Faschismus. Ich habe mir alle Beiträge angehört und bestätige das. Und empfehle sie deshalb auch meinen Leserinnen und Lesern. Nicht zuletzt, weil vielen von ihnen diese Informationen fehlen dürften.
Mit Moss Robeson und Russ Bellant aus den USA sowie Jürgen Lloyd (Marx-Engels-Stiftung) hatten die Veranstalter Experten gewinnen können, „die in ihren Vorträgen sowohl auf die Geschichte der Faschisten in der Ukraine als auch auf die derzeitige Rolle der faschistischen Bewegung im Kontext des Ukraine-Kriegs eingehen“ konnten.
Ein bewegender Überlebensbericht aus dem Donbass gibt dem abstrakten Kriegsgeschehen in der Ukraine ein konkretes Gesicht.
Der Krieg im Donbass hat viele Gesichter, die eines verbindet: Tod und Leid. In den Medien liest man meist aber nur von Frontberichten, von Selenskyj und Putin, von anderen namhaften Politikern, den Generälen, manchmal sogar Geschichten von einzelnen Soldaten. Die Geschichten von den eigentlichen Opfern dieses Wahnsinns werden viel zu selten erzählt. Die Opfer werden meist nur thematisiert, wenn sie zu Propagandazwecken genutzt werden sollen, ansonsten sind sie bestenfalls eine Statistik. Aber jedes „Element“ dieser Statistik hat seine eigene Geschichte, seine eigenen Erlebnisse, die sich unauslöschlich in das Gedächtnis des betroffenen Menschen eingebrannt hat.
Der Verein Friedensbrücke Kriegsopferhilfe e. V. ist seit 2015 im Donbass aktiv und unterstützt diese Menschen mit humanitärer Hilfe. Anfangs beidseits der Demarkationslinie; nach kurzer Zeit wurde das aber seitens der Regierung in Kiew unterbunden.
Seitdem kommt diese Hilfe nur noch im östlichen Teil des Kriegsgebiets an — ein Faktum, das dazu führte, dass dem Verein die Gemeinnützigkeit entzogen wurde. Bis heute ist dies jedoch rechtlich nicht umgesetzt worden, da die Frist seitens des Finanzamtes abgelaufen ist, nachdem der Verein Einspruch eingelegt hat. Inzwischen wurde dem Verein auch schon insgesamt sechs Mal das Konto gekündigt, und die Vorsitzende landete auf der ukrainischen Seite „Mirotworez“.
Laut Wikipedia handelt es sich bei Mirotworez „um die Webpräsenz der ukrainischen, nichtstaatlichen Organisation Zentr Mirotworez (Центр Миротворець, Zentrum Friedensstifter), die sowohl Verbindungen zum ukrainischen Inlandsgeheimdienst SBU als auch zum Innenministerium der Ukraine hat“. Gehostet wird die Seite wohl in den USA, in den Ukraine-kritischen Kreisen wird sie auch als Todesliste bezeichnet, da eine große Zahl an Menschen, die dort gelistet waren, inzwischen „verstorben wurden“.
Friedensstifter agieren anders. Friedensstifter wollen dem Leid, dem Schrecken für die Menschen ein Ende setzen. Um das schreckliche Geschehen greifbar zu machen, aber auch um sicherzustellen, dass das Leid der Kriegsopfer nicht unter den Teppich gekehrt werden kann, sammelt die Friedensbrücke Geschichten von Menschen aus dem Kriegsgebiet, die sie selbst erzählen. Diese sollen zukünfig in einem Buch zusammengefasst und veröffentlicht werden.
Yulia aus der Stadt Fokino bei Mariupol erzählt ihre Geschichte, die sie in das Flüchtlingslager Brjansk in Russland brachte. Dort wird sie vom Verein Friedensbrücke betreut wird. Yulia schrieb die Geschichte auf Russisch, Freiwillige haben sie übersetzt. Manche sprachliche Eigenwilligkeit ist dieser Konstellation geschuldet. Aber ihre Geschichte ist auf jeden Fall eines: authentisch.
Als ich sie das erste Mal las, musste ich weinen. Mein erster Hund hieß Jessy und war ein Schäferhund-Mix. Auch Yulias Hund hieß Jessi. Jessi hat nicht überlebt, Yulia hat es schwer verletzt geschafft. Und nachdem sie mit ihrer Familie wieder vereint war, ist es ihr auch gelungen, ihre Lebensfreude wiederzufinden. Gerade dieser Mut zum Leben macht es in meinen Augen so wichtig, dass die Geschichte von anderen gelesen wird.
Die Geschichte von Yulia
Als ich im 4. Stadtkrankenhaus von Mariupol lag, von Granatsplittern zerschrammt, mit gebrochenen Beinen, versprach ich mir und meinen Kameraden in Ehren, dass ich die Ereignisse meines Aufenthalts beschreiben würde. Aber dann … das Wiedersehen mit meinen Kindern und Enkelkindern im TAC (Abkürzung für die Einrichtung für vorübergehende Unterbringung von Flüchtlingen aus dem Donbass und befreiten Gebieten) im Gebiet Brjansk … geriet alles irgendwie in den Hintergrund.
Es ist nicht sehr angenehm, sich an die Qualen des Schmutzes, des Hungers und der Kälte zu erinnern. Um mich herum eine Menge Menschen, die nicht weniger unangenehme Dinge erlebt haben. Und meine derzeitige Situation, „Leben im Rollstuhl“, stimmte mich nicht gerade optimistisch.
Aber gestern kamen die Nachtwölfe ins TAC. Nachdem ich Zeit mit diesen erstaunlichen Menschen verbracht hatte und nach den Ferien, die sie für Kinder und Erwachsene gemacht haben, beschloss ich, meine Geschichte zu erzählen.
22. Februar 2022
Es war mein Geburtstag, sogar ein runder — ich wurde 60 Jahre alt. Ich lud eine große Napoleontorte und zwei Tüten Saft in ein Taxi und fuhr zu meinem Arbeitsplatz in Toothy’s Restobar.
Unser liebes Personal gratulierte mir, die Geschäftsleitung überreichte mir einen Umschlag mit einem Geschenk — das ist bei uns Tradition —, danach wurde ich von meinem Schwiegersohn Vita aus dem Restaurant abgeholt, und nachdem wir im nächstgelegenen Supermarkt alles Notwendige gekauft hatten, gingen wir nach Hause zu den Kindern, um den Geburtstag zu feiern.
Meine Tochter Nastenka hatte bereits den Tisch gedeckt, meine Schwester Ksyukha, die Freundin meiner Tochter Marina und die Heiratsvermittlerin Valentina kamen vorbei. Auch dabei waren die Enkelkinder, die älteste, Sonechka, und die jüngste, die kleine Sashenka.
Die Heiratsvermittlerin schimpfte: „Warum hast du teure Lebensmittel gekauft? Es wäre besser gewesen, Mehl, Zucker und verschiedene Getreidesorten auf Vorrat zu kaufen!“ In Anbetracht der jüngsten Ereignisse rechnete man mit dem Schlimmsten, aber nicht so sehr; in den letzten acht Jahren haben wir Granatenbeschuss außerhalb der Stadt gehört. Darum sagte ich: „Meine Lieben, wer weiß, was morgen mit uns geschieht!? Lasst uns zusammensitzen und plaudern, wer weiß, wann wir alle wieder zusammenkommen können!“
Am 24. Februar begannen sie mit dem Beschuss der Stadt.
Am 28. Februar wurde der östliche Bezirk, in dem ich wohnte, schwer beschossen. Alle Fenster in meinem Haus wurden herausgesprengt, die Türen gingen zu Bruch, eine nicht explodierte Granate steckte im 9. Stockwerk.
Mein Schwiegersohn mietete ein Taxi, und ich wurde zum Haus meiner Kinder gebracht. Es gab noch Strom und Wasser, und der Beschuss war weniger intensiv. Zu dieser Zeit hatten meine Kinder und Enkelkinder große Angst vor dem Geräusch der Explosionen.
Ab dem 2. März gab es keine Kommunikation, kein Wasser und keinen Strom mehr.
Die Menschen, die in der Nachbarschaft blieben, versteckten sich im Keller der nächsten Schule. Ich konnte nicht in den Keller gehen. Unsere Jessi, der deutsche Schäferhund, war im Hof angebunden. Ich konnte sie nicht losbinden, wie es viele Leute taten, und sie freilassen, das ging nicht. Und ich hatte keine Kraft — sie kam auf die Hinterbeine, die Vorderbeine umarmten meinen Hals, ich fiel. Fremde ließ sie nicht an sich heran. Ich konnte nicht rausgehen. Ich konnte auch nicht vor das Tor gehen, sie wimmerte, weinte, sie hatte Angst, allein zu sein.
Am 19. März wärmte ich morgens in der „Burzhuyka“ Futter für den Hund auf und wartete auf das Ende des Beschusses. Um genau 8:00 Uhr morgens öffnete ich die Tür des Hauses, Jessi sprang aus dem Zwinger … Sie war die Erste, die starb. Dann gab es weitere Explosionen auf den Stufen der Veranda, auf denen ich stand. Ich wurde zurück ins Haus geschleudert, das Dach stürzte ein, Glas fiel herunter, ich wurde ohnmächtig. Als ich wieder zu mir kam, war mein erster Gedanke: „Oh, mein Gott, ist es das? Ist es das? Oh mein Gott, ist es wirklich so einfach?“
Als ich merkte, dass ich keine Beine mehr hatte — unterhalb der Knie waren sie wie zerkaute Lappen—, stoppte ich die Blutung, indem ich einen Gummistreifen von einem zerbrochenen Fenster über die Knie zog.
Gegen 10 Uhr morgens kam mein Nachbar Sasha — seinen Nachnamen weiß ich schon lange nicht mehr — mit einer Axt und einem Brecheisen zu mir. Er zog mich heraus mit einem Schock. Von dort aus brachten mich Freiwillige in das städtische Krankenhaus Nr. 4, das schon ziemlich ramponiert war.
Für mich war das Schlimmste nicht einmal die Beschießung und die Entbehrungen — es war hart aufgrund der Ungewissheit und ohne Zigaretten —, sondern die Tatsache, dass ich nichts über das Schicksal meiner Angehörigen, meiner geliebten Kinder und Enkelkinder wusste. Mein Herz sank vor Angst um sie. Wo sind sie? Sind sie am Leben?
Also das Krankenhaus. Ich wurde in der Notaufnahme untersucht. Eine Krankenschwester und eine Schwesternhelferin haben auf Anweisung des einweisenden Arztes mein linkes Bein geröntgt und einen Verband angelegt. Das Röntgenbild war nicht brauchbar. Ein Krankenhaus ohne Fenster und Türen, ohne Medikamente, kein Essen, kein Wasser. Drei Tage lang lag ich im 4. Stock, sie gaben mir ein paar Mal Wasser aus einer Spritze. Ich war durstig, ich hatte viel Blut verloren. Ich habe sehr viel Blut verloren. Ich bettelte einen betrunkenen Pfleger um einen Becher mit Wasser an.
Am 3. Tag gab es ein Bombardement, das die Station, in der ich lag, beschädigte. Ein mit Linoleum verschlossenes Fenster und ein Teil der Wand stürzten ein. Die Pfleger kamen, um die Leichen zu holen. Sie nahmen zwei von ihnen und trugen sie in Säcken in den Keller — es ist eiskalt draußen und die Leichenhalle ist voll. Mich wollten sie auch einpacken, ich war oft bewusstlos. Aber ich bin aufgewacht, als sie versuchten, die Decke von mir zu nehmen. Aber ich bekam eine andere Decke von der Nachbarin des Toten, so war es wärmer.
Am 4. Tag wurde ich in den 3. Stock verlegt, auf den Korridor des Traumazentrums. Es waren viele Leute da. Hier erfuhr ich, dass am 20. März alle Ärzte des Krankenhauses geflohen waren und alle Lebensmittel, Medikamente und Instrumente mitgenommen hatten. Sie haben sogar den Safe des Chefarztes demontiert. Nur ein Psychologe oder Psychotherapeut und seine Familie blieben bei uns.
Ich möchte gesondert über die Menschen berichten, die uns geholfen haben, zu überleben.
Sergei Nichai, ein Mann um die 30, 35 Jahre alt. Er brachte seine verletzte Mutter in das Krankenhaus. Er blieb über Nacht im Keller und kümmerte sich tagsüber um seine Mutter. Die Mutter hat nicht überlebt. Mehrmals am Tag wurden die Fenster aufgebrochen; er hat sie mit Brettern und Linoleum zugenagelt, sogar die Türen eingebaut.
Witaly Shemetun, er ist älter, etwa 40, 45 Jahre alt. Er versorgte uns mit Schlamm und Wasser. Er fuhr sein Auto unter Beschuss zu den Häusern der Überlebenden. Er fuhr zu den Häusern der Überlebenden und bat die Menschen um Essen. Es war eine Zeit des Hungers, aber die Leute gaben ein paar Kartoffeln, Karotten und Getreide für die Patienten des Krankenhauses.
Einmal am Tag bekamen wir etwas zu essen: einen Löffel Haferbrei und 150 ml Wasser. Das Wasser war besonders schlecht. Auf dem Dach des Krankenhauses gab es Auffangbehälter für Regenwasser.
Sie schossen auf jeden, der das Krankenhaus verließ oder betrat. Sie erschossen eine ganze Familie: eine Mutter, einen Vater und zwei kleine Kinder. Zwei kleine Kinder. Viele Menschen wurden erschossen, viele lagen im Sterben. Der Keller war voll von Leichen.
Die „Asowtsy“ hatten es auf das Krankenhaus abgesehen, eine Art von Rache.
Wir wurden von einem Flugzeug aus bombardiert. Da wurde mir klar, was „Das Lied vom Sturzbomber“ bedeutet. Die Wände des Krankenhausgebäudes gingen zu Bruch, Fenster flogen heraus. Großmütter hielten ukrainische Soldaten auf, die durch den Korridor gingen, und flehten sie an, mit dem Beschuss aufzuhören, zu stoppen: „Söhne! Habt Mitleid mit den Kindern!“ Diese Bastarde antworteten: „Das sind keine Kinder, sondern ‚wyblyadki‘ (Freaks), denn ich habe Kinder zu Hause.“
Das Schlimmste für mich war das Unbekannte, die Angst um meine Kinder und Enkelkinder. Jede Nacht träumte ich von meiner Enkelin Sonechka. Sie kommt auf mich zu und sagt: „Oma, ich bin so hungrig!“ Mein Herz blutete.
3. April 2022
Das Gebäude hatte einen Riss, sodass die traumatologische Abteilung nur noch eine Plattform im Flur hatte, die Wände waren weg. Ich wurde bei dem Angriff ans andere Ende des Korridors geschleudert. Unsere Freiwilligen Witaly und Sergey begannen schnell damit, alle Lebenden in den Keller zu tragen. Die Evakuierung dauerte bis Mitternacht. Ich wurde später entdeckt. Sie hoben mich auf ein ganzes Bett, deckten mich mit Kissen und Decken zu und blieben bei mir.
Witaly sagte, wir sollten bis zum Morgengrauen warten, und am nächsten Morgen würden sie mich in den Keller bringen. Am nächsten Morgen versprachen die Asowschen, den Rest des Gebäudes in die Luft zu sprengen. Am Morgen brachten sie mich in den Keller. Ein schmaler Korridor, in der Mitte ein undichter Abwasserkanal. Sie bauten eine Tür für mich auf dem Boden, eine Bettmatratze, ein Kissen und eine Decke. Die hohe Decke wackelte von den Explosionen und überschüttete uns mit altem Gips.
Witaly und Seryozha gaben uns noch drei Tage lang etwas zu essen. Am Tag darauf kamen russische Soldaten zu uns. Wir weinten vor Freude, es gab Hoffnung, zu überleben. Die Jungs sagten, sie würden uns rausholen, aber wir mussten helfen, die Faschisten vom Ort der Evakuierung vertreiben.
6. April 2022
Man begann, 2 bis 3 Personen auf einmal herauszuholen und auf APCs zu bringen. Wir wurden in der Siedlung Winogradnoye ausgeladen. Fast alle unsere Krüppel waren bereits hier. Sie setzten mich auf eine Chaiselongue, sie boten mir einen Teller mit Nudeln und Wasser an. Ich lehnte die Nudeln ab; wegen des Durchfalls hatte ich Angst, ich wollte nicht ins Krankenhaus gehen und mich blamieren. Ich trank das Wasser und bat um eine Zigarette.
Es war fast ein Glück: die Sonne sehen, die Spatzen zwitschern hören! Ich hatte vergessen, dass es neben dem Krieg noch einen Frühling auf der Welt gibt!
In Donezk, im städtischen Krankenhaus Nr. 9, kamen wir mit einem kleinen Bus um ein Uhr nachts an. Wir wurden vom gesamten Personal des Krankenhauses empfangen. Wir wurden zum Röntgen geschickt, dann in die Wäschekammer — können Sie sich vorstellen, in welcher Form wir aus dem Keller gekrochen sind? Ich kam auf die Station Nummer 11. Nach den Kellerplatten — auf einem Bett mit sauberer Bettwäsche! Man bot uns auch heißen Tee mit Keksen und Süßigkeiten an. Am Morgen schliefen wir ein.
7. April 2022
Kurzer Schlaf, Aufwachen um 8 Uhr, Beginn der Visite. Nachdem Dr. Ewgeny Iwanowich, ein Militärchirurg, die Röntgenbilder untersucht hatte, schlug er vor, mein linkes Bein zu amputieren. Er sagte, es gäbe nichts mehr zu retten. Ich versprach, es mir zu überlegen. Ich konnte sehen, dass es anzuschwellen begann — die ganze Zeit war es in der Kälte, und hier gab es Heizkörper und Hitze —, aber das war mir egal. Wenn meine Kinder nicht mehr am Leben sind, will ich so ein Leben nicht.
10. April 2022
Der Morgen begann mit der Visite, ich lehnte die Operation erneut ab. Nach der Visite kamen ein Mann und eine Frau in unser Zimmer und riefen meinen Namen. Ich antwortete. Es waren die Freiwilligen Masha und Sergey, Mann und Frau.
Sie suchten mich auf Bitten meines Neffen Dima Albutow. Er war ebenfalls in Mariupol und lag in einem Krankenhaus in Donezk. Mein Herz stand still, als Sergey anrief und ich die Stimme von Dimochka hörte. Ich hatte große Angst, dass er schlechte Nachrichten über die Kinder überbringen würde. Aber er ist ein kluger Junge, und seine ersten Worte waren:
„Tante Yulia, mach dir keine Sorgen, Nastya, Witalik und Sonya und Sasha geht es gut. Sie sind in Bezymennoye — ein Dorf in der Nähe von Mariupol — im Flüchtlingslager, lebendig und gesund. Ich werde ihnen deine Telefonnummer geben, und sie können mit dir sprechen.“
Diejenigen, die keine geliebten Menschen verloren haben, die nicht jede Minute, jede Sekunde an sie gedacht haben und plötzlich eine Nachricht von ihnen erhielten, werden die Explosion meiner Gefühle nicht verstehen. Tränen, Rotz, freudiges Lachen. Ich war wie verrückt. Hätte ich Beine gehabt, hätte ich an die Decke springen können.
Eine Stunde später sprach ich mit meiner Tochter. Meine Freude war grenzenlos. Ich versprach Nastja, dass ich der Operation zustimmen würde. Ich hatte einen Grund, zu leben. Der 10. April ist nun mein zweiter Geburtstag. Ich hatte keine Angst vor der Operation, nur ein klein wenig. Nach allem, was ich durchgemacht hatte, war ich sicher, dass mir nichts Schlimmes passieren würde.
13. April 2022
Ich wurde operiert, alles verlief gut. Ich wurde von meiner Familie und vielen Fremden unterstützt. Mein Neffe Dimochka und seine Frau Yulenka gaben mir Geschenke, notwendige Medikamente und Verbandsmaterial. Die Freiwilligen Mascha und Sergey kamen jeden Tag vorbei, brachten Leckereien, notwendige Dinge (Unterwäsche, Hygieneartikel und so weiter).
Wir haben viel geredet, Nachrichten von der Front besprochen, in der Zuversicht, dass bald alles mit einem Sieg enden wird. Denn die Wahrheit liegt hinter Russland! Und am 9. Mai werde ich durch die Stadt gefahren, halte im Park an. Ich feiere den „Tag des Sieges“, so wie ich es einst in der Sowjetunion getan hatte.
18. April 2022
Ich bin aus dem Krankenhaus entlassen worden. Es ist nun möglich, mit meinen Kindern wieder vereint zu sein. Sie sind viel gereist, und diese Reise war schrecklich: Beschuss, schmutzige Keller und vieles mehr. Schließlich kamen sie in der Region Brjansk, in der Stadt Fokino, in einem provisorischen Unterkunftszentrum für Flüchtlinge an.
Meine Freunde Sergey und Mascha brachten mich von Donezk in die Region Rostow zum Zentrum für Notsituationen. Am Abend waren etwa 20 Personen hier. Ein Bus kam, um uns abzuholen. Und in Begleitung eines Polizisten auf einem Motorrad wurden wir nach Taganrog in ein temporäres Unterbringungszentrum für Flüchtlinge gebracht. Was war dieses TAC? Zwei riesige Turnhallen. Darin befanden sich viele, viele Feldbetten. Es gab Männer und Frauen, Kinder und Tiere.
Es gab sogar Käfige mit Vögeln. Die Menschen flohen vor dem Beschuss und nahmen ihre wertvollsten Besitztümer mit. Aber es hat Spaß gemacht. Eine große Gruppe von Freiwilligen kümmerte sich um uns. Diejenigen, die es brauchten, begleiteten uns zum Duschen, zur Toilette, brachten uns Essen aus der Kantine. Die Menschen sind sehr warmherzig.
Als der ältere Freiwillige von meinen Kindern die Bestätigung erhielt, dass sie auf mich warteten und mich abholen würden, kaufte er mir ein Zugticket nach Brjansk in einem Luxusabteil für Behinderte. Sie versorgten mich mit leckerem Essen für die Reise und setzten mich in Rostow in den Zug.
Ich werde mich mein ganzes Leben lang mit Dankbarkeit und Herzlichkeit an sie erinnern.
Überhaupt habe ich auf meinem Weg von Mariupol nach Fokino TAC sehr gute Menschen getroffen, freundlich und sympathisch. Es gibt mehr von ihnen als von den schlechten. Jemand hat gesagt, dass in Zeiten der Not, wie im Krieg oder bei Naturkatastrophen, der Mensch sein wahres Gesicht zeigt. Es kommt vor, dass äußerlich gewöhnliche Menschen zu Helden werden und dass diejenigen, die man für gute Menschen hielt, sich als seltene Bastarde erweisen.
Freiwillige Helfer holten mich am Bahnhof in Brjansk ab und brachten mich zum TAC, zu meinen Kindern und Enkeln. Meine Verwandten begrüßten mich, wir redeten viel und umarmten uns.
In Fokino habe ich viele Freunde und Freundinnen gefunden. Bald werde ich nach Mariupol zurückkehren, ich werde viele Dinge und Menschen vermissen. Es ist noch nicht klar, was mit meinem Bein passieren wird, ob ich jemals eine Prothese haben werde. Aber ich weiß, dass meine Kinder und Enkelkinder, meine geliebten Jungen und Mädchen mir nahe sein werden. Und wir werden mit dem Rest zurechtkommen, und das ist die Hauptsache!
Ich habe nur meine Geschichte beschrieben. Viele Menschen, die ich getroffen habe, haben Geschichten, die ereignisreicher, wahrscheinlich interessanter sind. Aber wenn ich alle Kameraden beschreiben würde, wäre es keine Beschreibung, sondern ein richtiger Roman. Ich fürchte, das kann ich nicht tun.
Hier sind ein paar Zeilen aus meinem früheren Leben.
Ich werde dir zulächeln Wenn in den ungemähten Wiesen Der Abend müde eintauchen wird Mit rosa Nebel in meinen Füßen. Wenn die Birkenzweige des Baches Mit kristallenem Tau Wenn die süße Betäubung der Rosen
Pascal Yulia/Паскаль Юлия
Wer die Flüchtlinge im Lager in Russland oder die Kriegsopfer im Donbass unterstützen möchte: Auf www.fbko.org findet man die aktuelle Möglichkeit zu spenden. Das Geld kommt zu 100 Prozent den Menschen zugute.
Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung der Autorin Andrea Drescher, deren Artikel zuerst auf MANOVA erschien.
Hysterischer Russenhass zerfrisst das letzte bisschen Restverstand / Selbsttäuschung über die tödlichen EU-Sanktionen
Von Friedhelm Klinkhammer und Volker Bräutigam
Der öffentlich-rechtliche „Verblödungs“-Journalismus scheut sich schon lange nicht mehr, bei Mangel an stichhaltigen Argumenten lückenfüllenden Schaum zu schlagen. Begründungsarmes Politiker-Gewäsch kriegt sofort eine knallige Verpackung, damit es sich „verkauft.“ Gegenwärtig versuchen unsere Medienschaffenden, mit dem verbalen Dreschflegel „Putin setzt Hunger als Waffe ein“ den Verstand ihres Publikums flachzukloppen. Spätestens, seit sogar Außenministerin Baerbock den Quatsch fehlerfrei nachplappern kann, ist er zum geflügelten Wort in der ohnehin niederträchtigen Ukraine-Kriegsberichterstattung geworden. Den chinesischen Sinnspruch „Wer in die Luft spuckt, kriegt’s wieder ins Gesicht“, muss unsere bildungsfreie Chefdiplomatin ja nicht unbedingt kennen. Aber den urdeutschen Rat, im Glashaus nicht mit Steinen zu werfen, sollte sie besser doch befolgen. Denn nicht Putin setzt den Hunger als Waffe ein, sondern Berlin und Brüssel. Mit tödlichem Erfolg. Zum Beispiel in Syrien.Und in Niger,wo sie Sanktionen nachdrücklich unterstützen, die eine Hungerkatastrophe verursachen werden.
Baerbock hatte bereits im Juni vorigen Jahres auf einer internationalen Konferenz zur Ernährungssicherheit in Berlin behauptet, Russland nutze den Hunger in der Welt „ganz bewusst als Kriegswaffe“. Russland, so wörtlich, „nimmt die ganze Welt als Geisel“. 345 Millionen Menschen weltweit seien derzeit von Nahrungsmittelknappheit bedroht, die Hungerkrise baue sich „wie eine lebensbedrohliche Welle vor uns auf“. Aber erst Russlands Krieg habe „aus dieser Welle einen Tsunami gemacht“. (ebd.)
Die plumpe Absicht ihrer Hassrede: Breitere Wählerschichten als nur die kriegsfreudigen NATO-oliv-Grünen emotional „auf Zinne“ bringen. Im Verlass auf das tiefsitzende Revanchebedürfnis wegen der Niederlage Nazi-Deutschlands gegen die Sowjetunion und auf das „neue deutsche Selbstbewusstsein“. Auch eine gedankliche Verbindung zu den aktuell kräftig verteuerten Lebensmitteln lässt sich damit anregen. Zugleich könnte die Lüge (bei häufiger Wiederholung) Baerbocks fehlgeschlagene Sanktionspolitik – „Russland ruinieren“ – übertünchen. Deren negative Folgen bekommen wir derzeit ja selbst nachhaltig zu spüren.
Der Kampf gegen Hunger und Elend in der Welt ist überdies durchaus keine Herzensangelegenheit unserer regierenden Schmuckstücke. Beim erwähnten Anlass erklärte Baerbock denn auch: „Die Konferenz ist keine Geberkonferenz, es geht nicht nur ums Geld.“ Vielmehr müssten sich die ärmeren Länder besser gegen Krisen wappnen. Soll heißen: „Helft euch selbst, dann hilft euch Gott“. Deutschland gibt sein Geld – inzwischen mehr als 22 Milliarden Euro – lieber für Waffenlieferungen an die Ukraine und als Schmiermittel für dortige Politkriminelle und Oligarchen aus. Dabei wären nur 14 Milliarden Dollar jährlich nötig, um den Hunger endgültig – weltweit – zu besiegen. Merke: Moral ist, wenn es trotzdem kracht.
Ohne Sinn und Verstand
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk aber bringt den volksverhetzenden Schmarren „Russland setzt den Hunger als Kriegswaffe ein“ unkommentiert, gleichgeschaltet und sprachgeregelt immer wieder unters dafür zahlende Volk. Er bestätigt sich damit als Lautsprecheranlage des Berliner Regimes und dessen Washingtoner Vorgesetzten. Angesichts des moralisierenden Entrüstungs-Glibbers, den unsere journalistischen Hofschranzen über die Schreibtische in Hamburg (ARD-aktuell), Mainz (ZDF-heute) und Köln (DRadio, DW) gegen satte Rundfunkgebühr an die Kundschaft weiterreichen, wird es zunehmend schwieriger, Immanuel Kants Aufforderung zu beherzigen: „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“.
Probieren wir‘s bitte mal mit folgender Überlegung: Keines der direkt oder indirekt am Ukraine-Krieg teilnehmenden Länder ist wegen verhinderter ukrainischer Getreidelieferungen vom Hunger bedroht. Der Vorwurf „Hunger als Waffe im Krieg“ trifft somit schon formal nicht. Und, gegen Russland gerichtet, den Falschen: Hungersnot droht zwar einigen Ländern des globalen Südens, allerdings überwiegend jenen, die Russland als Partner betrachtet und als diplomatisch Verbündete zu gewinnen sucht. Präsident Putin hat die Welt denn auch wissen lassen, dass er den ärmsten Ländern Afrikas kostenlos Getreide senden wird. Zugleich erklärte er, Russland könne eventuell ausfallende ukrainische Getreidelieferungen auf dem Weltmarkt ersetzen.
Der globale Getreidemarkt funktioniert eben nicht so eindimensional, wie das Schlagwort „Hunger als Waffe“ glauben machen soll. Der Markt reagiert auf zahlreiche Impulse, nicht nur solche aus dem politischen Raum. Ein möglicher Versorgungsengpass – mit schweren Folgen für einige Empfängerländer Afrikas – hätte jedoch zwei Hauptverursacher, und auf beide hat Russland nicht den geringsten Einfluss. Umgekehrt wird dagegen ein Schuh draus:
Die marktbeherrschenden globalen Getreidehändler.
Sie wollen ihre Geschäfte in und mit der Russischen Föderation drastisch zurückfahren. Einer Statista-Prognose zufolge soll Russland bei den Weizenexporten in der kommenden Saison 2023/24 zwar an erster Stelle bleiben, jedoch an Getreide insgesamt fast ein Viertel weniger als heuer ausführen. Die internationalen Agrarhändler Cargill, Louis Dreyfus und Viterra haben bereits zum Juli dieses Jahres ihren Getreideexport aus Russland eingestellt. Ihr Anteil am russischen Getreideexport wird auf 16 Prozent geschätzt. Dass sie mit ihrem Rückzug globale Versorgungsengpässe erzeugen und Getreidepreise auf dem Weltmarkt in die Höhe treiben können, versteht sich von selbst.
USA und EU, Initiatoren der völkerrechtswidrigen Sanktionen.
Auch die sollen Russlands Getreideexport soweit möglich blocken. Einer der dazu eingesetzten Hebel ist, Russland aus dem vom Westen dominierten Kommunikationssystem SWIFT für den internationalen Zahlungsverkehr auszuschließen, „um den Kreml von der Weltwirtschaft abzuschneiden“. Davon betroffen ist auch Russlands staatliche Landwirtschaftsbank. Sie kann den Zahlungsverkehr für den russischen Getreideexport nicht mehr abwickeln.
Nutznießer und Mondgucker
Am Rande sei noch vermerkt: Während des inzwischen „toten“ Schwarzmeer-Abkommens verließen tatsächlich nur 725 000 Tonnen Weizen die ukrainischen Häfen in Richtung der am stärksten vom Hunger bedrohten Länder Äthiopien, Jemen, Afghanistan, Sudan, Somalia, Kenia und Dschibuti. Ein Klacks, mehr nicht. Insgesamt erreichten gerade mal 2,5 Prozent des ukrainischen Getreideexports die wirklich notleidenden Länder.
Sogar die Tagesschau meldete: „44 Prozent (des ukrainischen Getreideexports) gingen an reiche Länder, 3 Prozent an arme Länder.“ Den Löwenanteil am Getreide aus der Ukraine sicherten sich Spanien, China und die Türkei. Mit einigem Abstand folgten Italien und die Niederlande. Gegen den ukrainischen Getreideexport opponierten jedoch etliche andere EU-Länder, weil er ihre nationalen Märkte unter Druck setze. Bis heute herrscht in der EU heftiger Zoff über ein deshalb verfügtes Importverbot.
Weltweit werden jährlich allein rund 800 Millionen Tonnen Weizen produziert. Etwas mehr als 190 Millionen Tonnen gehen in den Export. Die fünf größten Anbieter waren zuletzt Russland, die EU, Australien, Kanada und die USA. Erst auf dem sechsten Platz folgte die Ukraine. Ihr Anteil am Weltmarkt lag bei 8 Prozent. Dem Regime in Kiew ist künftig zwar der Getreideexport per Schiff übers Schwarze Meer verwehrt, es bleibt ihm aber noch die Ausfuhr über Land. Der partielle Exportausfall ist für die Ukraine schmerzlich, sein Anteil am Weltmarkt jedoch viel zu klein, als dass er dort Versorgungsengpässe erzeugen und in einigen Ländern gar Hungersnöte herbeiführen könnte. Andere Exportländer treten an die Stelle der Ukraine.
Getreidepreistreiber
Indien zum Beispiel. Der zweitgrößte Weizenproduzent weltweit, wollte eigentlich von der Knappheit profitieren und wäre nur allzu gerne als Ersatzlieferant eingesprungen. Premier Modi hatte im vorigen Jahr versprochen, eine mögliche Versorgungslücke zu füllen. Schon bald verfügte er stattdessen jedoch ein Exportverbot, um den sprunghaften Preisauftrieb im eigenen Land zu stoppen. Drohende Ernteausfälle wegen einer Hitzewelle hatten die Kehrtwende erzwungen. Modis Absage ließ den Weizenpreis prompt sprunghaft ansteigen.
Andere Getreideexporteure trugen ebenfalls dazu bei, die aktuellen Preise hoch zu halten. In den USA trat dabei ein Neidmotiv zutage. 28 Mitglieder des US-Kongresses hatten in einem Brief geklagt: „Amerikanische Rohstoffproduzenten sind gegenüber ihren Konkurrenten klar im Nachteil, vor allem aus Indien, wo die Regierung mehr als die Hälfte des Produktionswertes für Reis und Weizen subventioniert, anstatt der 10 Prozent, die erlaubt sind nach den Regeln der Welt-Handelsorganisation (WTO).“ Natürlich reagierten die Getreidebörsen auf diesen Protest.
Den G7-Agrarministern passte die indische Subventionspolitik ebenfalls nicht, nur begründeten sie ihre Ablehnung anders. Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir, bis zum Kragen abgefüllt mit Selbstüberschätzung: „Wir haben alle miteinander, gerade die großen Exportnationen, auch eine Verantwortung für den Rest der Welt“, nölte er mit Blick nach Neu-Delhi. „Ich sehe das sehr kritisch“. Tatsächlich galt seine „Sorge“ wohl bloß den deutschen Verbraucherpreisen, er ist schließlich auch für das Ressort Ernährung zuständig. Gardinenpredigten, adressiert an Abwesende, dienen seiner Sorte Politiker bevorzugt als risikoloser Ersatz für fehlende eigene Handlungsbereitschaft.
Strich drunter. Das Profitinteresse hat im Kapitalismus immer Vorrang, auch angesichts möglicher Hungersnöte.
Man sollte meinen, dass sich angesichts der Faktenlage jeder lächerlich macht, der da behauptet, Russland setze den „Hunger als Waffe“ ein. Doch die Baerböcke unserer Tage sind nicht nur aggressiv, sondern auch erkenntnisresistent. Zur reuigen Einsicht, Russland genötigt zu haben, das Getreideabkommen für die Ukraine auslaufen zu lassen, reicht es einfach nicht. Dass Putin versprach, kostenloses Getreide nach Afrika zu liefern, verstärkte noch ihre Abneigung, denn es ließ sie in den Augen der Welt alt aussehen.
Es meckerten vor allem die penetrant russophoben Deutschen: Bundesentwicklungsministerin Schulze sagte dem Evangelischen Pressedienst, „Präsident Putin habe schon zu oft sein Wort gebrochen und wäre jederzeit wieder in der Lage, Weizen als Waffe zu benutzen“. Berliner Spitzenpolitiker legen Wert darauf, intellektuell auf Augenhöhe mit einem Briefkastenschlitz zu bleiben.
Räuberisches, mörderisches US-Regime
Verdrängt und vergessen ist, wie Westliche-Werte-Krieger nach ihren militärischen Niederlagen rachsüchtig mit dem „Hunger als Waffe“ umzugehen pflegen. Die US-Amerikaner nahmen erst jüngst, nach ihrem Rauswurf aus Afghanistan, dessen hungernde Bevölkerung in Kollektivhaft. Sie froren 6,1 Milliarden Euro auf den afghanischen Auslandskonten ein und schlossen Kabul aus dem SWIFT-Bankenzahlungssystem aus. Damit konnte die Taliban-Regierung keine Gehälter mehr auszahlen, keine Medikamente und Lebensmittel mehr importieren. Die Hungersnot – jeder dritte Afghane ist unterernährt – treibt mittlerweile hunderttausende Afghanen zur Flucht.
Knapp die Hälfte des afghanischen Geldes, 3,5 Milliarden Dollar, ließ US-Präsident Biden inzwischen beschlagnahmen, um damit seine Landsleute, „die Opfer des Anschlags vom 11. September zu entschädigen“. Mit diesem Terrorakt hatte Afghanistan zwar nichts zu tun, die Attentäter waren Araber. Aber was schert das schon kriminelle wertewestliche Regimes wie das der USA und ihrer Vasallen.
Ähnlich schlimm wie in Afghanistan ergeht es den Menschen in Syrien. Dort leidet statistisch jeder Zweite an Hunger. Zufolge der EU-Sanktionen kann sich das Land weder ausreichend mit Nahrungsmitteln versorgen, noch lebenswichtige Medikamente und andere Bedarfsgüter beschaffen. Sein Öl, den Reichtum des Landes, beuten zurzeit die USA aus. Sie haben die Förderanlagen im Nordosten besetzt, organisieren den Raub und illegalen Transport in den Irak und beteiligen eine kurdische Clan-Elite an den Verkaufserlösen.
Hungermacher
Syrien war ja einst eine Kornkammer des Nahen Ostens. Jetzt plündern die USA die Getreideernte und schmuggeln das Raubgut über die Grenze nach Irak. Es schert sie nicht im Geringsten, dass sie damit das Überleben ungezählter syrischer Kinder opfern. Bei Gelegenheit völkerrechtswidriger und kriegsverbrecherischer US-Bombardements auf die zivile syrische Infrastruktur geht auch schon mal ein Getreidespeicher in Trümmer, und das lebenswichtige Gut in Flammen auf.
Unserem staatstragenden öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist Syriens Elend trotzdem schon lange kaum noch eine Nachricht wert. Dabei könnte man die US-amerikanische Besatzerbande wie die verantwortlichen EU-Sanktionäre mit Grund beschuldigen, den „Hunger als Waffe“ einzusetzen. Die Politik Washingtons: Die syrische Bevölkerung so lange darben lassen, bis sie revoltiert und ihren Präsidenten Assad stürzt. Dazu spendet die Mischpoke von deutschen Staats- und Konzernjournalisten gemeinsam mit den Berliner regelbasierten Ordnungskünstlern Beifall.
Werfen wir noch einen Blick auf die vertragsrechtliche Konstruktion des Abkommens über ukrainische Getreideexporte via Schwarzes Meer.
Im Prinzip handelt es sich nicht um einen üblichen Vertrag mit bindender Wirkung für alle Parteien. Russland hatte vielmehr ein separates Abkommen nur mit der Türkei und mit den Vereinten Nationen unterzeichnet. Getrennt davon hatte sich auch die Ukraine mit der Türkei und den UN vereinbart. Darüber hinaus schloss Russland ein Abkommen mit den Vereinten Nationen zur Sicherstellung eines ungehinderten Exports russischer Agrarprodukte und Düngemittel. Die UN sollten darauf hinwirken, dass der Export dieser Warengruppe nicht mehr infolge der westlichen Russland-Sanktionen beeinträchtigt wird.
Es liegt auf der Hand, dass der Erfolg des Bündels von Abkommen nicht von Vertragstiteln abhing, sondern vom guten Willen aller Beteiligten. Den ließ der Westen aber schmerzlich vermissen. Das Bemühen der UNO, russische Getreide- und Düngemittelausfuhren zu erleichtern, hatte keinen Erfolg. UN-Generalsekretär Guterres und sein Plenum sind gegenüber den Regierungen der USA und der EU nicht nur machtlos, sie müssen ihnen gegebenenfalls sogar Folge leisten.
Profit schlägt Großmut
Als Präsident Putin sich Mitte September vorigen Jahres bereiterklärte, rund 300.000 Tonnen russischer Düngemittel, die aufgrund von Sanktionen in europäischen Häfen festsitzen, kostenlos an die Entwicklungsländer zu liefern, zeigten ihm unsere „Wertewestler“ sogleich den Stinkefinger. Der Dünger, für Russland ohnehin nur noch ein Kostenfaktor, hätte mutmaßlich die Preise der transatlantischen Konkurrenz gedrückt und deren Profit geschmälert. Düngemittel und Weizen sind zwar von den Sanktionen ausgenommen, unterfallen aber schweren Nebenwirkungen der gesamten Sanktionspolitik: Hemmnissen beim Transport und bei der Bezahlung beispielsweise, wie beim schon genannten SWIFT-Ausschluss.
Darüber erfuhr man so gut wie nichts in den Mainstream-Medien, auch nicht vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Erst, als das Abkommen im Juli 2023 nicht erneuert wurde, kamen die deutschen „Hunger-als-Waffe“-Experten wieder aus ihren Löchern. An der Spitze der Propaganda-Front: die Grünen. Cem Özdemir: Putin nehme „die Ärmsten der Armen auf dieser Welt in Geiselhaft für seine grauenhafte Kriegstreiberei“.
Norbert Röttgen, „das eifrigste Masseteilchen des Atlantizismus in der deutschen Politik“, setzte noch eins drauf: „Putin nimmt die hungernden Menschen in Afrika als Geisel, um vom Westen ein politisches Lösegeld zu erpressen. Darum geht es bei der Blockade des Getreideabkommens. Es wiederholt sich die Erpressung, die er schon letztes Jahr unternommen hat.“
Die Qualitätströten der ARD-aktuell bereichern das misstönende Konzert mit maßloser und faktenwidriger Übertreibung. Bei dem Getreideabkommen handele sich um eine „für die weltweite Nahrungsmittelversorgung bedeutende Vereinbarung.“ Dazu passte die tagesschau-typische Falschinformation, die Ukraine habe „mehr als 38 Millionen Tonnen Getreide exportiert, vor allem in ärmere Länder“. Die ARD-aktuell-Nieten widersprechen sich damit auch noch selbst.
Kapitalistisches Profitstreben ist ein wesentlicher Verursacher von Hungersnöten im globalen Süden. Hunger herrscht, weil der Getreidepreis der Börsenspekulation unterliegt. Unseren Regierenden ist es jedoch bei Strafe ihres Amtsverlustes – gegebenenfalls sogar ihres Lebens – verwehrt, den Börsenhandel mit Nahrungsmitteln zu verbieten. Nicht politische Macht zählt hier, sondern die Macht der Geldelite. Westliche Politiker dürfen nur mit der heuchlerischen Bezichtigung „… Putin setzt den Hunger als Waffe ein!“ auf den Widersacher losgehen.
Zu guter Letzt: Der SWIFT-Ausschluss Russlands, des weltweit bedeutendsten Getreideexporteurs, und andere seinen Handel beeinträchtigenden Sanktionen sind lange vor dem 24. Februar 2022 abgekartet worden. Maulheld Olaf Scholz: „Über Monate hinweg haben wir die Sanktionen bis ins kleinste Detail vorbereitet, damit sie die Richtigen treffen, damit sie wirken“, tönte er im März 2022 vor dem Bundestag in Berlin. Getroffen werden jetzt aber nicht nur russische, sondern auch ukrainische Bauern. Wer sind nun „die Richtigen“? Uns‘ Olaf hätte besser den Verstand als „Waffe“ eingesetzt. Soweit verfügbar – und soweit er sich „erinnern“ kann…
Beitragsbild: Horst Schröder via Pixelio.de
Die Autoren: Friedhelm Klinkhammer (li.) und Volker Bräutigam (re.) währender der Medienkonferenz der IALANA in Kassel. Foto: Claus Stille
Anmerkung der Autoren:
Unsere Beiträge stehen zur freien Verfügung, nichtkommerzielle Zwecke der Veröffentlichung vorausgesetzt. Wir schreiben nicht für Honorar, sondern gegen die „mediale Massenverblödung“ (in memoriam Peter Scholl-Latour). Die Texte werden vom Verein „Ständige Publikumskonferenz öffentlich-rechtlicher Medien e.V.“ dokumentiert: publikumskonferenz.de/blog
BERICHT ZUM VORTRAG VON FLORIAN D. PFAFF, MAJOR a.D., ZUM THEMA ‚FRIEDE UND SICHERHEIT‘ MIT ANSCHLIESSENDEM, POLITISCH DIVERS BESETZTEM PODIUM
Am 05.08.23 lud der Frankfurter Kreisverband der Partei dieBasis ins Volkshaus nach Enkheim/Frankfurt am Main zu dieser in mehrfacher Hinsicht brisanten Veranstaltung ein, die, ihrer Ankündigung folgend, zweiteilig aufgezeichnet wurde:
1. Florian Pfaffs Vortrag setzte an bei den Ursprüngen seiner einerseits ganz persönlichen, andererseits hochpolitischen Auseinandersetzung mit der Bundeswehr, die in ihrer aus seiner – gut begründeten – Sicht völkerrechtswidrigen Beteiligung am Irakkrieg in 2003 wurzeln. Auch wenn Pfaff die sich hier anschließenden Prozesse eindeutig hatte gewinnen können, so zeigte er doch auf, dass sich die Bundeswehr in mehrfacher Hinsicht mitnichten an diese Urteile hielt, weder auf personeller Ebene („Beförderungssperre“, „Degradierung“) noch bzgl. ihrer ‚Interpretation‘ und ihres Umgangs mit der elementar juristischen bzw. ethischen Ausrichtung ihres verfassungsgemäßen Auftrags – und dass ihre darin zum Ausdruck kommende Verfasstheit wiederum keinerlei juristische Konsequenzen nach sich zog, wie man es in einer auf Rechtsstaatlichkeit und Grundgesetztreue sich berufenden Demokratie doch sollte erwarten können.
Doch damit nicht genug: Daran anschließend präsentierte Pfaff dem wohl größten Teil der deutschen Öffentlichkeit noch unbekanntes Material, das zwei weitere zentrale Institutionen unseres Staatswesens, nämlich die Mainstream-Medien sowie, nicht zuletzt, unsere politische Führung der groben Einseitigkeit, der Zensur und darüber hinaus stellenweise gar der Desinformation überführte; dies mit Hilfe (übrigens nicht ausschließlich) alternativ-medialer, aber ‚dennoch‘ belegter Darstellungen von diversen, diesen Krieg betreffenden Ereignis- bzw. Berichtszusammenhängen sowie anhand entsprechender Originalquellen.
Ohne das gegen Ende des Vortrags ausdrücklich zu erwähnen, gelang Pfaff überdies, das von ihm eingangs beschriebene, teilweise äußerst bedenkliche Verhältnis der Bundeswehr zum ‚geltenden Recht‘, quasi indirekt sowie völlig unaufgeregt, als bis in die Gegenwart fortdauernd nachzuweisen: Denn diese Bundeswehr agiert, abgesehen von den mahnenden und warnenden Hinweisen einiger weniger dort Andersdenkender und daher seit deren ‚Coming-Out‘ Aussortierter, bis dato strikt als (schweigend) zustimmender oder gar ausführender Arm einer gerade im Zusammenhang mit dem Ukrainekrieg bis zur Peinlichkeit mit zweierlei Maß messenden sowie monokausal und wie ferngesteuert handelnden Ampelregierung, die trotz heftiger Dysfunktionalitäten noch immer vorwiegend auf ‚(oliv-) grün‘ steht.
2. Das Podium wiederum zeichnete sich zunächst durch eine politisch erfrischend diverse Besetzung aus: Neben Pfaff diskutierten Klaus Hartmann, stellvertretender Vorsitzender des Deutschen Freidenkerverbandes, Wolfgang Hübner, langjähriger Stadtverordneter und Fraktionsvorsitzender der Partei ‚Bürger für Frankfurt‘ (BFF), die aus ‚klassischer‘ Sicht klar dem rechten Spektrum zuzuordnen ist, sowie ich selbst von der Freien Linken Hessen Süd in einer respektvollen und freundlichen, jedoch auch von kritischem Geist getragenen Atmosphäre.
Die Runde kam zwar mehrfach auf Inhalte und thematische ‚Vorlagen’des Vortrags zurück, spannte jedoch einen großen inhaltlichen Bogen zu verschiedensten Aspekten des gegenwärtigen Zustands unserer Gesellschaft sowie zu aktuellen Entwicklungen im globalen Ringen um die zukünftige gesellschaftspolitische und ökonomische Ausrichtung der Welt.
Thematisiert wurde zudem die zerfaserte Verfasstheit der diversen Bestandteile der deutschen Friedens- und Freiheits- bzw. Grundrechtebewegung (und ich möchte hinzufügen: Dieser besorgniserregende Zustand trifft auf viele weitere – eigentlich mit einem emanzipatorischen, gemeinwohlorientierten Anspruch auftretende – zivilgesellschaftliche Organisationen, Gruppen und Vereine sowie gar Parteien in ganz ähnlicher Weise zu, sei es in deren jeweiligen Innen- oder Außenverhältnissen oder in beidem): Denn u.a. durch listige, öffentlich-rechtlich finanzierte Breitband-Inszenierungen der immergleichen ‚Spiel-nicht-mit-den-Schmuddelkindern‘-Motivik (in den beliebten Geschmacksstufen ‚Nazi-Keule grob‘, ‚derb rechtsradikal‘, ‚profan rechts‘ und ’nach rechts offen‘ bzw. ’nicht vollständig abgeschottet‘) gleicht jenes für gesellschaftlichen Fortschritt eigentlich überaus wichtige Milieu zunehmend einem arg zerfurchten, mit Antisemitismus-Tretminen übersäten und mittels etlicher, teilweise gar sich überschneidender Frontlinien chaotisch zugerichteten Rübenacker übelster Sorte.
Dem setzte das Podium geschlossen die dringende Notwendigkeit entgegen, auf möglichst breiter Basis, also auch unter Einbeziehung mit der herrschenden Kriegspolitik nicht einverstandener Mitglieder aller Parteien, möglichst ausgrenzungsfreie, d.h. nicht parteipolitisch oder ideologiedogmatisch dominierte Symposien, Kongresse und/oder Konferenzen zu organisieren, um sich möglichst verbindlich auf wesentliche Kernforderungen zu verständigen. Dies sei eine eminent wichtige Etappe auf dem steinigen Weg, in diesem Land, mindestens angesichts der immer weiter eskalierenden Kriegs- und der damit zunehmend verwobenen sozialen Frage, eine einfach nicht mehr – zumindest nicht mehr massen-‚glaubhaft‘ – ignorier-, diskreditier- und kriminalisierbare Massenbewegung herauszubilden, um der kruden und geschichtslosen Kriegstreiberei à la Baerbock, Strack-Zimmermann, Jens Stoltenberg und ähnlichen Gestalt*Innen schließlich und endlich ein Ende zu setzen.
Zudem brachte die eher großzügig angelegte Einbeziehung des engagierten Publikums noch einige neue und auch wesentliche Aspekte mit in die Diskussion bzw. auf’s Podium.
Erfreulicherweise war der KV Frankfurt der Basis meiner Anregung zur Ausrichtung eines Podiums im Anschluss an den Vortrag wie auch meinen Vorschlägen zu dessen Zusammensetzung gefolgt, wofür ich mich hiermit nochmals bedanken möchte. Denn auf diese Weise kamen immerhin einmal mehr Stimmen von ‚links‘ und ‚rechts‘ auf derselben Bühne zu Wort bzw. ins Gespräch; die Anführungsstriche freilich sind quasi unabdinglich, da die so bezeichneten Adjektive – gerade in den letzten Jahren, wenn auch kaum aus Sicht des Mainstreams (sic!) – eine enorme inhaltliche Ausfransung bzw. Konturlosigkeit erfahren haben; denn sie tragen ganz erstaunliche – und von den politischen Entscheidungsträgern sowie deren Beratern zumeist auch bewusst herbeigeführte, bis heute konsequent aufrechterhaltene – Mehrfach-Brüche, z.T. auch regelrechte inhaltliche Umkehrungen in sich; eben diesen beiden Phänomenen gilt es, gerade in künftigen demokratisch-politischen Diskursen, die diese Bezeichnung auch verdienen (wollen), konstruktiv auf den ideologie- und narrativ-kritischen Grund zu gehen.
Es ist jedoch exakt diese ‚Kulturtechnik‘ eines ausgrenzungs- und diskriminierungsfreien Dialogs zwischen Repräsentanten erkennbar unterschiedlicher politischer Positionen, die in diesen seltsamen letzten Jahren, auffällig gegensätzlich geprägt durch Entmutigung/Apathie/Unterordnung auf der einen und Angsterzeugung/Panikreaktion/Aktionismus auf der anderen Seite, immer mehr unterdrückt worden bzw. verschwunden ist; doch genau diese ‚Technik‘ – in Wahrheit unverzichtbarer Wesensbestandteil jeder demokratischen Gesellschaft – müssen wir dringend wiederbeleben bzw. stärken, wenn wir, als aufgeklärte(re) Friedens- und Demokratiebewegung, künftig wirklich erkennbar wachsen wollen.
Lasst uns mit Herz und Verstand die Kontaktschuld-Erzählungen allmählich durchschauen. Lassen wir sie anders enden als in immer neuen Spaltereien, in empörter Sprachverwirrung oder gar hasserfüllter Sprachlosigkeit.
Jan Veil | 25.08.23
Beitragsbild: Claus Stille
Hinweis: Gastbeiträge geben immer die Meinung des jeweiligen Autors wieder, nicht meine. Ich veröffentliche sie aber gerne, um eine vielfältigeres Bild zu geben. Die Leserinnen und Leser dieses Blogs sind auch in der Lage sich selbst ein Bild zu machen.
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