Im Mainstream nichts Neues: Alles rechts – alles NAZİ

24. Februar 2024 von Andrea Drescher

Seit 2014 erlebe ich es immer wieder. Jede regierungskritische Bewegung wurde und wird von den „Qualitätsmedien“ in die rechte Ecke geschoben. Anfangs hat es mich noch schockiert, als man selbst mich als Nazi und Antisemitin bezeichnet hat, jetzt kann ich darüber nur noch müde lächeln.

Als Aktivistin und Journalistin begleitete ich die Protestbewegungen, die 2014, 2020 und jetzt Anfang 2024 aufgeflammt sind, mehr oder weniger intensiv. Dadurch sehe ich neben den wiederholten Framings als „rechts“ auch weitere Muster: Durch eingeschmuggelte Provokateure und dank „zufällig“ vor Ort anwesender Fotografen und Mainstream-Journalisten werden Bilder produziert, die dazu dienen sollen, das gewünschte Narrativ zu unterstützen.

2014, 2020 und 2024 hatten in meinen Augen eine weitere Gemeinsamkeit: Da der Graswurzel-Protest zu groß zu werden drohte, wurde eine weitere Protestbewegung auf der Straße präsent und sorgt(e) dafür, dass die originäre Graswurzel-Bewegung massiv an Dynamik und Sichtbarkeit verlor.

Ebenfalls allen Protesten gemein ist eine wahrnehmbare Spaltung von innen, die zur Schwächung der Bewegung führt. Die Friedensbewegung in Deutschland ist – „dank“ dieser Spaltung – inzwischen auf die Größenordnung „nahezu nicht wahrnehmbar“ geschrumpft, sodass selbst ein Kriegstreiber wie Boris Pristorius keinen nennenswerten Protest mehr fürchten muss.

2014 – Mahnwachen für den Frieden – RECHTS

Die Mahnwachen für den Frieden wurden am 17.03.2014 in Berlin von Lars Mährholz ins Leben gerufen, da dieser vor dem sich abzeichnenden Ukraine-Krieg warnen wollte. Die Bewegung nahm schnell Fahrt auf, erreichte in der Spitze über 230 Städte in Deutschland, der Schweiz und Österreich – darunter auch Linz, wo ich selbst Teil der Orga-Gruppe war.

Bei den sogenannten Montagsmahnwachen wurde aber sehr schnell nicht nur die Kriegsgefahr, sondern auch deren Ursachen thematisiert: u.a. das kapitalistische Finanzsystem, das auf Fiat-Geld und Zinseszins beruht sowie die Medienpropaganda. Das zu kritisieren wurde zum „strukturellen Antisemitismus“ erklärt. Und prompt mutierten wir alle in der Erzählung der „Guten“ zu Antisemiten und Nazis.

Denn – wie ich im Nachgang lernen durfte – unser „struktureller Antisemitismus“ „hetzte“ zwar nicht direkt gegen „die Juden“, sondern richtete sich gegen „die Hochfinanz“, „die Ostküste“ und „die Plutokraten“ – und meinte aber damit „die Juden“. Im weiteren Verlauf der Debatten war damals auch unsere Kritik an Bill Gates „struktureller Antisemitismus“.

Zum Beweis bzw. zur Verstärkung dieser Behauptungen wurden dann Fotos publiziert, in denen „bekannte Neo-Nazis“ mit den Mahnwachen-Aktivisten in Verbindung gebracht wurden.

Im Februar 2015 berichtete die kommunistische Junge Welt über Neonazis bei »Endgame« in Halle: Laut Polizei fanden sich am Samstag auf dem Marktplatz in Halle rund 300 Anhänger der Gruppe »Engagierte Demokraten gegen die Amerikanisierung Europas« (Endgame) ein, darunter bekannte Neonazis. Dabei sollen Organisator Frank Geppert und der Sänger der Band »Die Bandbreite«, Marcel Wojnarowicz alias »Wojna«, mit dem NPD-Funktionär Thomas Wulff gescherzt haben, meldeten Antifagruppen in sozialen Netzwerken. Ein Foto zeigt »Wojna« im Gespräch mit Wulff. Der Sänger nahm dazu in einem Youtube-Video Stellung: Er erinnere sich nicht, mit dem Neonazi geredet zu haben, da ihn etliche Kundgebungsteilnehmer angesprochen hätten. Auch Frank Geppert gibt an, nicht gewusst zu haben, wer Wulff überhaupt sei, da er bislang gar keinen Kontakt zur Neonaziszene gehabt habe. (jW)

Wie der eigentlich politisch links-stehende Hip-Hoper Wojna von der Bandbreite zum „Freund“ der Neo-Nazis wurde, erzählte er mir im März 2020 in einem Interview. „Es war zumindest ein komischer Zufall. Der Typ kam nach dem Song „Kein Sex mit Nazis“ zu mir, hatte eine CD von mir in der Hand und sagte etwas wie „auch wenn wir heute keinen Sex haben werden“. Ich dachte zuerst, der wäre schwul, dass es sich auf den Song bezog, habe ich in dem Moment absolut nicht mitgekriegt. Erst durch das Foto (eines „Antifa“-Fotografen, der „zufällig“ anwesend war) habe ich mich an den Typen überhaupt erinnert. Wir sprachen gefühlt eine Minute miteinander – maximal. Dann gab ich ihm die Hand und habe weitergemacht – ich hatte eine Menge zu tun. Hinterher wurde mir dann mein „vertrautes Zusammensein“ mit einem „bekannten Neo-Nazi“ vorgeworfen. Ja. Es gibt halt immer wieder Zufälle.

Ähnliches habe ich auch bei der Linzer Mahnwache für den Frieden erleben dürfen, wo lt. linker Medien „bekannte Neo-Nazis“ präsent waren. Richtig war, wie ich im Nachgang feststellen konnte, dass wirklich Neo-Nazis vor Ort – also unter den Teilnehmern – waren. Da weder ich noch sonst ein Mitglied der damaligen Orga-Gruppe in Neo-Nazi-Kreisen verkehren, waren diese uns – wie den meisten der Besucher – natürlich unbekannt. Durch die Verbreitung dieser Fotos wollte man uns in die Rechtsaußen-Ecke stellen.

Als im Oktober 2014 dann die rechtslastige Pegida-Bewegung (Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes) ebenfalls montags mit ihren Demos begann und – im Gegensatz zu den Montagsmahnwachen – durch intensive Berichterstattung in der Tagesschau entsprechenden Zulauf bekam, wurde alles, was montags auf der Straße war, mit Pegida gleichgesetzt.

In Linz ging ein sogenanntes „linkes“ Medium sogar so weit, zu behaupten, die Mahnwachen für den Frieden hätten die dortige Pegida-Bewegung im Februar 2015 mitbegründet. Da ich durch Video-Aufzeichnungen belegen konnte, dass ich bereits im frühen Winter vor dem Erstarken der Pegida gewarnt hatte, sah man sich doch zu einer Gegendarstellung gezwungen.

Bei der Bilderberger-Konferenz in Tirol 2015 waren sehr viele Aktivisten der österreichischen Mahnwachen-Bewegung aktiv – und wurden prompt durch die Medien als rechts bis rechtsaußen bezeichnet. Der Grund war einfach: Das fotogene Gesicht der Pegida-Bewegung, namentlich Katrin Örtel, die in Österreich eher unbekannt war, tauchte bei den Protesten auf – sodass sämtliche Kameras auf sie gerichtet wurden. Ich erinnere mich noch, wie ich unserer Linzer Gruppe zurief: „Haltet Euch von dieser Frau fern, außer Ihr wollte mit Pegida in Verbindung gebracht werden.“ Aber der Schaden war angerichtet.

Wir „Freaks des Friedens“ konnten mit Pegida in Verbindung gebracht werden.

2020 – Corona-Maßnahmenkritiker – RECHTS

Das Muster wiederholte sich 2020 bei den Protesten gegen die Corona-Maßnahmen. Wir waren „rechts“. Und das gleich aus mehreren Gründen.

In Österreich war nicht nur ein verurteilter Holocaust-Leugner sehr früh bei den Protesten präsent. Auch andere Aktivisten aus dem rechten Spektrum waren bei den Demos meist ganz vorne – und meist ziemlich martialisch – mit dabei. Das war der Anfang. Dass die FPÖ in Österreich die einzige Partei war, die zumindest nach einigen Monaten aus meiner Sicht sehr vernünftige Positionen zu dem Corona-Wahnsinn der Regierung einnahm, war für mich erschreckend. Ausgerechnet der von mir politisch wenig geschätzte Herbert Kickl wurde beispielsweise für seine – berechtigten – Aussagen zu Ivermectin seitens der Medien massiv durch den Kakao gezogen. Nur die FPÖ unterstützte die Maßnahmenkritiker, die mehrheitlich – wie ich – für ihre Grund- und Freiheitsrechte und insbesonders gegen den Impfzwang auf der Straße waren.

Ähnliches war in Deutschland bei der AfD zu beobachten, die zunächst dem Mainstream-Narrativ folgte, aber dann ebenfalls auf die Seite der Maßnahmenkritiker umschwenkte. Als der Deutsche Bundestag am 18.11.2020 das Infektionsschutzgesetz beschloss, gehörten die AfD-Politiker zu denjenigen, die bei der namentlichen Abstimmung dagegen stimmten und in mehreren Anträgen – die samt und sonders abgelehnt wurden – versuchten, das Schlimmste zu verhindern.

Die deutsche Protestbewegung, die anfangs stark durch Hygiene-Demos und Grundrechtebewegung in Berlin sowie die Querdenken-Bewegung um Michael Ballweg geprägt war, kam meiner Wahrnehmung nach aus dem eher bürgerlich-linken Lager. Michael Ballweg, einer der bekanntesten Aktivisten, war IT-Unternehmer und eigentlich auf dem Rückzug ins Private und anfangs – meiner Wahrnehmung nach – eher unpolitisch-bürgerlich-schwäbisch. Anselm Lenz, der dann die Zeitschrift Demokratischer Widerstand gegründet hat, kam von der linken TAZ.

Als wir mit unserem großen LKW am 1.08.2020 bei der großen Demo in Berlin teilnahmen, wo je nach Quelle zwischen 17.000 (Medien) und 800.000 (Veranstalter) auf der Straße waren, wurden wir von der sogenannten „Antifa“ mit „Nazis raus“ angepöbelt. Ich dachte, ich bin im falschen Film – und freute mich sehr, als Wojna die Lautsprecheranlage unseres LKWs dazu benutzte, mit „Nazis raus“ zu antworten.

Auf den Kundgebungen und Demonstrationen in Stuttgart, Leipzig, München und Berlin sah ich Menschen jeden Alters – wobei wir Grauköpfe weit überwogen – und jeden „Genres“. Von (Alt)-Hippies bis brav-bürgerlich war alles vertreten, wobei Letztere in meiner Wahrnehmung die Mehrheit bildeten. Viele kamen mit der ganzen Familie – bis die Kesseltaktik, aber auch gewalttätige Übergriffe der Polizei insbesondere in Berlin dazu führten, dass bei großen Veranstaltungen der „Familienausflugscharakter“ verloren ging. Im April 2021 wurden die Trommler von der Polizei durch den Tiergarten gejagt, wobei ich nie beobachtet habe, dass von Seiten der Demonstranten irgendeine Gewalt ausgegangen wäre.

Was ich jedoch mehrfach sowohl in Berlin als auch inLeipzig beobachten musste, eine Wahrnehmung, die mir auch von anderen bestätigt wurde, waren offensichtliche Provokateure, die wenig bis nichts mit der Demonstration zu tun hatten und die immer dann auftauchten, wenn die öffentlich-rechtlichen Medien in der Nähe waren.

Einer der bekanntesten Vorfälle dieser Art wurde von Boris Reitschuster in Leipzig im Livestream dokumentiert. Dazu aus seinem ArtikelWenn jemand nicht in Leipzig war und die Demonstration der Corona-Maßnahmen-Gegner nicht mit eigenen Augen gesehen hat, wird er angesichts der Medienberichte wohl zu dem Schluss kommen, es habe sich um eine sehr gewalttätige Veranstaltung gehandelt. … Ich war sechs Stunden auf der Demonstration und habe sie live gestreamt. Bis auf eine einzige Ausnahme, die überaus merkwürdig war, habe ich nicht einmal Ansätze von Gewalt oder Gewaltbereitschaft erlebt. … Nach der Auflösung der Demo ging eine große Menge von Teilnehmern vom Augustusplatz den Georgiring hinunter Richtung Hauptbahnhof (siehe hier). Vorne im Zug waren Trommler. Sie näherten sich einer Polizeiabsperrung am Ende der Straße. Als es so schien, als komme es zum Zusammenstoß, drehten die Trommler um und mit ihnen der ganze Zug – man ging der Polizei friedlich aus dem Weg. Plötzlich erschienen an dieser neuralgischen Stelle ein paar Dutzend junger Männer, völlig in Schwarz und voll vermummt, die durch ihr ganzes Auftreten Gewaltbereitschaft signalisierten und wie absolute Fremdkörper wirkten. … Die Truppe am Ende des Georgiring roch hundert Meter gegen den Wind nach Provokation. Das waren Schlägertypen. Woher und aus welcher Richtung auch immer. Plötzlich kamen auch zwei merkwürdige Gestalten mit Lautsprechern. Wiegelten die Menge auf. Ein Mann, der im Livestream neben mir stand, hatte genau das gleiche Gefühl wie ich: „Das sind Provokateure“. Da dieser Mann neben mir aufmerksamer war als ich, wies er mich gleich darauf hin, dass ein ZDF-Team an Ort und Stelle war. Er war überzeugt, dass dies kein Zufall ist. Zu belegen ist das aber nicht. Ich war ja auch völlig zufällig an dieser Stelle. Tatsächlich zündelten die merkwürdigen jungen Männer mit dem aggressiven Auftreten. Und zwar buchstäblich: sie schossen Feuerwerkskörper auf die Polizei. Die gesamte Aktion war offensichtlich geplant, von wem, wage ich nicht zu beurteilen.

Da ich selbst beobachtet habe, wie „zufällig“ diese Typen in unsere Gruppe kamen, gehe ich so weit, zu sagen, dass es kein Zufall war, dass das ZDF vor Ort war. Es reichte aber nicht, dass die Maßnahmenbewegung durch die AfD-Unterstützung rechts geframed werden konnte. Während der Proteste wurden immer stärker die sogenannten Reichsbürger in den Mittelpunkt gerückt. Spätestens seit dem „überraschenden“ Sturm auf den Berliner Reichstag am 29.08.2020, „begleitete“ diese Gruppe jede maßnahmenkritische Demonstration.

Dieses Ereignis, das ich bereits in einem Artikel für das Magazin Rubikon (heute: Manova) unter der Überschrift „Reichstagsfalle“ beschrieben habe, ist in meinen Augen ebenfalls nicht zufällig passiert. Aus dem damaligen Artikel:

Schon frühzeitig war im Internet erkennbar, dass es am Reichstag und vor den Botschaften etwas weniger friedlich zugehen würde. Unsere „Freunde“ von staatenlos.info und andere hatten dort ebenfalls Demonstrationen angemeldet. Das war Anlass für mich, am 26. August 2020 den Linzer Bus-Teilnehmern Folgendes zu schreiben:

„Ziemlich sicher ist, dass die Demos am Reichstag und vor den Botschaften der USA und Russlands nicht von Querdenken beziehungsweise Nichtohneuns kommen. Da kann es etwas ruppiger zugehen. Das sollte man wissen. In Deutschland wird auch von Rechtsaußen für die Demos geworben. Auch die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) mobilisiert. Auch das sollte man wissen. In diesem Umfeld kann es dann ebenfalls ruppiger werden.“

Da im Bus ziemlich viele Demo-Neulinge saßen, war es mir ein Anliegen, sie vor absehbaren Fallen zu schützen. Nicht jeder ist so gut vernetzt wie ich, dass er das mitbekommt. Ich gehe aber ziemlich sicher davon aus, dass der Verfassungsschutz mindestens so gute Informationsquellen hat wie Lieschen Müller und ich aus dem österreichischen Wald. Den politisch Verantwortlichen musste klar sein, dass sich dort etwas zusammenbrauen würde. Und das kam ihnen wohl sehr recht, um die Bilder eine „rechten Demo“ in die Welt strahlen zu können.

Die Fakten, die mir bekannt sind:

Die Demo vor dem Reichstag wurde genehmigt, die Bühne von Organisatoren aus dem klassisch rechten Umfeld problemlos aufgebaut, und die Demonstranten mit schwarz-weiß-roten Kaiser-Fahnen konnten sich hervorragend sammeln. Das Bild des rückwärtsgerichteten Fahnenmeers sah man anschließend in fast jeder Tageszeitung.

Der massive Polizeischutz wurde in diesem Bereich frühzeitig abgezogen. Direkt vor dem Reichstag standen nur noch drei Polizisten. Der Rest war irgendwo in der Nähe, konnte dann aber schnell herangezogen werden. Bei der Querdenken-Demo wurde an mehreren Stellen aufgefordert, zum Reichstag zu kommen, da sei richtig etwas los. Irgendjemand streute die Information bezüglich der Anwesenheit von Donald Trump in Berlin, und eine – Entschuldigung – nützliche Idiotin nutzte die Gelegenheit, zum „Sturm auf den Reichstag“ zu blasen.

Einige Hundert andere Demonstranten folgten ihr — und lieferten damit genau die Bilder, auf die der Staat gehofft hatte. Was man aber anhand der Videos, die im Anschluss nach und nach auftauchten, erkennt: Wirklich gewalttätig war dieser „Sturm“ nicht. Die meisten der „Stürmenden“ waren wohl stolz, auf der Treppe zu stehen und ein Selfie zu machen. Gewalt sieht anders aus.

Aber die Medien hatten ihr Thema und das Fernsehen seine Bilder. Die Zeit titelte mit „Es gab Faustschläge, man wurde mit Fahnenstangen angegriffen“ oder Sturm auf den Reichstag: „Ein Angriff auf die Demokratie„. Beim RBB las man: Demonstranten stürmen Reichstagstreppe – Entsetzen über Reichstags-Eskalation 

Das Ziel war erreicht. Statt über 100.000e – manche sprechen von 1,2 Millionen – friedliche Demonstranten oder gar den Auftritt eines Robert F. Kennedy Jr. berichten zu müssen, lag der Fokus auf einer Aktion von wenigen Hundert, die in meinen Augen sicher nicht zufällig passiert ist.

Und wir waren jetzt endgültig alles „Nazis“.

2024 – Bauernproteste – RECHTS

Ich hätte viel Geld verwettetet, dass die Ende 2023 / Anfang 2024 von ganz bürgerlichen Landwirten initiierten Bauernproteste ins „rechte“ Licht gerückt werden würden. Leider fand ich in meinem Umfeld niemanden, der dagegenhalten wollte. Zu offensichtlich war es, dass – im Fall, dass die Proteste groß werden sollten – zu dieser inzwischen bekannten Waffe gegriffen werden würde.

Die Bauernproteste wurden schnell als rechts verortet. Beim NDR fand man zwar in der Überschrift: Bauernproteste: Junglandwirte gegen rechtsextreme Hetze. Aber fast der gesamte Artikel weist auf den rechtsextremen Charakter der verschiedenen Proteste hin. Ganz direkt sogar der Bezug zu den „echten“ Nazis: „Am selben Tag in Emden zu sehen: Ein Trecker mit der Fahne der Landvolkbewegung – nicht zu verwechseln mit dem aktuellen Landesbauernverband „Landvolk Niedersachsen“. Die historische Landvolkbewegung bildete sich in den 1920er-Jahren während der damaligen Agrarkrise in Schleswig-Holstein und radikalisierte sich schnell. Ideologisch hatte sie große Gemeinsamkeiten mit den Nationalsozialisten der NSDAP. Ihre schwarze Fahne mit weißem Pflug und rotem Schwert gilt auch heute noch als völkisches Erkennungszeichen.“

Und dann traf es eines der bekannten Gesichter – Anthony Lee vom Verein Landwirtschaft verbindet Deutschland. Die taz  itelte: Der Demagoge der Bauernproteste – Bauernsprecher und Freie-Wähler-Politiker Lee fällt durch Rechtspopulismus auf. Und das war noch vergleichsweise harmlos, betrachtet man die Äußerungen des NDR und der Rheinpfalz, die ihn ins rechtsextreme Lager positionierten.

Seitens des Landesvorsitzenden FREIE WÄHLER Niedersachsen gab es daher eine Stellungnahme zur NDR-Berichterstattung und den Artikel „Rheinpfalz“ vom 08.02.2024 in der Causa Anthony Lee.

„Die jüngsten Vorwürfe gegen unseren Kandidaten Anthony Lee, die in der Berichterstattung des NDR und im Kommentar der „Rheinpfalz“ vom 08.02.2024 erhoben wurden, werden von uns entschieden verurteilt und zurückgewiesen. Nach einer einstimmigen Entscheidung des Landesvorstands am 09.02.2024 möchten wir klarstellen: Wir haben volles Vertrauen in A. Lee als unseren Kandidaten für das Europäische Parlament.

Die in Rede stehenden Vorgänge – Berichterstattung des NDR und Kommentar der „Rheinpfalz“ vom 08.02.2024 mit dem Vorwurf, unser niedersächsischer Kandidat für das europäische Parlament, Anthony Lee, sei als rechtsextrem einzustufen und „werbe auf dem Telegram-Kanal offen für AfD-Inhalte“, wird von uns nach einer Landesvorstandssitzung am 09.02.2024 einstimmig verurteilt und auf das Schärfste zurückgewiesen. …

Die abstrusen und diffamierenden Berichte, die unsauber bzw. gar nicht recherchiert sind, stellen sich als unhaltbare und böswillige Meinungs- und Stimmungsmache gegen einen Menschen dar, der nicht einmal im Vorfeld kontaktiert wurde, somit gar keine Gelegenheit hatte, Stellung zu beziehen.

Diese Form der Berichterstattung politisiert einseitig und veranschaulicht den Machtmissbrauch der Pressefreiheit.“

Immerhin: am 19.02.2024 gab es beim NDR eine deeskalierende Sendung, in der Anthony Lee ausführlich zu Wort kam und der Vorwurf der rechtsextremistischen Bestrebungen wieder zurückgenommen wurde.

Eine „zweite“ Demonstrationsbewegung ließ auch nicht lange auf sich warten – auch wenn es Anfang 2024 keine „radikalere“ Bewegung war, sondern mit den Demos gegen Rechts als Gegenbewegung entstand.

In meinem Interview  mit Alexander Ehrlich, der die Bauernproteste von Anfang an begleitete, kam es zu folgendem Austausch:

Es gab in Deutschland eine eigenartige zeitliche Entwicklung. Im November fand in Potsdam ein konspiratives Treffen statt, Anfang Dezember gab es in Berlin den ersten Protest, mit der Ankündigung 2024 weiter zu machen. Die ersten Proteste in 2024 wurden dann gleich rechts geframed – und danach kam es zur „Enthüllung“ des Treffens durch Correctiv unter bestenfalls dubiosen Umständen. Anschließend nahmen die Demos gegen Rechts in der Öffentlichkeit Fahrt auf. Hältst du das für einen Zufall?

Dazu Alexander Ehrlich: Ich würde sagen es ist weder ein Zufall, noch war es genau so geplant. … Meiner Meinung nach war das ein Ass im Ärmel, um es im Wahlkampf oder im Fall, dass eine Protestbewegung zu groß würde, einzusetzen. Kaum dass aus #BauernProtest ein #UnternehmerProtest wurde und dieser viel Aufmerksamkeit bekam, wurde dieses Ass in die öffentliche Debatte geworfen. … Aber etwas anderes ist gelungen. Durch diese Medienkampagne und die orchestrierten Demos gegen Rechts, die man zuletzt in der DDR gesehen hat, wurde die APO abgelenkt. Die Kritiker befassen sich gefühlt 90 % mit Verteidigung und Aufklärung rund um diese Regime-Kampagne, nur wenige haben die erfolgsversprechende Bauernbewegung im Blick. Auf Twitter waren die Bauernproteste in den Top-Trends, kaum war die Correctiv-Kampagne gestartet, waren sie raus aus diesen Trends. Es wird kaum mehr darüber publiziert.

Und auch Provokateure bei „zufälliger“ Anwesenheit öffentlich-rechtlicher Medien – in diesem Fall mal wieder das ZDF – ließen nicht lange auf sich warten. In einem Video, das auf Telegram kursiert, sieht man, wie ein Mann begleitet von Polizei und Medien ein Schild mit der Aufschrift „Mehr Waffen für die Ukraine“ in den Bauernprotest hineinträgt, dort gefilmt wird – aber von den Landwirten aufgefordert wird, den Kundgebungsort zu verlassen.

Eine Teilnehmerin fragt: „Wieviel hat der Herr bekommen an Geld für seine Aktion?“

Mein Resümee

Das Muster scheint sich zu wiederholen. Aber das ist sicher nur Zufall bzw. eine krude Verschwörungstheorie.

  1. Ein notwendiger Protest startet aus dem bürgerlichen bzw. linken Spektrum und droht „groß“ zu werden.
  2. Die Bewegung erhält Unterstützung aus dem rechten Spektrum.
  3. Eine parallele Demonstrationsbewegung entsteht.
  4. Provokateure tauchen genau dort auf, wo Fotografen und Medien anwesend sind.
  5. Die Protestbewegung wird als „rechts“, als „Nazi“ geframed und damit „klein“ gemacht.

Zumindest bei den Montagsmahnwachen und den Corona-Maßnahmenkritikern ist es gelungen, den Bewegungen die Schwungkraft zu nehmen. Mal sehen, welches Schicksal die Bauernproteste erleben werden.

Videoquelle: Netzfund auf Telegram

Bildquelle Die Wikimedia dokumentiert hier den „Markgröninger Nazi-Führer um Ortsgruppenleiter Wilhelm Schmückle im Festzug des Schäferlaufs“ aus den dreißiger Jahren. Quelle ist der Nachlass Tomschik/Arbeitskreis Geschichtsforschung und Denkmalpflege Markgröningen (AGD)

Hinweis: Gastbeiträge geben immer die Meinung des jeweiligen Autors wieder, nicht meine. Ich veröffentliche sie aber gerne, um eine vielfältigeres Bild zu geben. Die Leserinnen und Leser dieses Blogs sind auch in der Lage sich selbst ein Bild zu machen.


Vielen Dank für die Überlassung des Artikels an Andrea Drescher. Ihr Beitrag erschien zuerst auf tkp.at

„Im Namen des sogenannten Fortschritts. Zur zunehmenden Einschränkung bürgerlicher Schutz- und Freiheitsrechte“ von Werner Thiede – Rezension

Wenn wir nicht fortgeschritten wären, wären wir stehengeblieben. Könnte man platt sagen. Wir wissen aber und haben es wie unsere Vorfahren in ihrer Lebenszeit in unserer bisherigen Lebenszeit erfahren, dass die Menschen immer wieder am Fortschritt arbeiteten.

Was überhaupt ist Fortschritt?

„Aristoteles spricht von Fortschritt in Bezug auf das Wachstum von Menschen, Tieren und Pflanzen, gebraucht den Begriff aber auch – wie schon Plato – in Bezug auf die Entwicklung der menschlichen Künste und Fähigkeiten. Er hält es für sinnlos, bei den Auffassungen der Alten zu bleiben; Bewegung sei besser.“ (Quelle: Wikipedia)

Im Gabler Wirtschaftslexikon wiederum heißt es: „Fortschritt ist eine erhebliche, spür- und sichtbare Verbesserung, Steigerung und Erweiterung, bezogen etwa auf Strukturen, Prozesse, Situationen und Entitäten. Er kann gestalterischer, technischer, medizinischer, wirtschaftlicher, politischer, sozialer und moralischer Natur sein und sich auf die Fortentwicklung in Gesellschaft, Kultur und Zivilisation sowie von Individuen und Arten richten. Fortschritt ist mit Wissenszuwachs und Wissenschaft verbunden, zudem mit Innovationsfähigkeit, mit Plan- und Umsetzbarkeit und mit Zuverlässigkeit von Personen und Systemen.“

In welcher Hinsicht ist ein postulierter „Fortschritt“ wirklich ein Fortschritt des jeweils in diesem Sinne Verstandenen?

Nicht immer, müssen wir hin und wieder feststellen, dass der in Bezug auf Gesellschaft und Technik von „Experten“ und Politikern – die sich wiederum an bestimmten „Experten“, welche Interessen von Konzernen oder Banken vertreten – orientieren – postulierte „Fortschritt“ wirklich das in diesem Sinne Verstandene ist. Und tatsächlich der Menschheit in Gänze von Nutzen ist. Auch können wir davon ausgehen, dass Menschen unterschiedliche Auffassungen darüber haben, was „Fortschritt“ bedeutet.

Und letztlich müssen wir aus diesem Grunde immer wieder erleben, dass es eben auch einzelne Menschengruppen gibt, welche einen in gewisser Beziehung behaupteten Fortschritt vehement ablehnen. Nicht alle diese Menschen können einfach als eine neue Art von „Maschinenstürmer“ abgetan werden.

Das Schlimme ist am Ende: Bei alledem gehen ethische Grundmaßstäbe immer mehr verloren. Wahrlich ein sehr „ge­wagter“ Fortschritt!“

«Werner Thiedes neue Broschüre «Im Namen des sogenannten Fortschritts« geht anhand wichtiger Themen kritisch auf den zuneh­menden Schwund bürgerlicher Freiheiten ein, der mitunter auch eine Erosion von Men­schenrechten bedeutet. Was politisch gern als „Fortschritt“ verkauft wird, erweist sich in­sofern bei näherer Betrachtung nicht selten als rückschrittlich, höchst einseitig, frag­würdig, ja teils sogar als empörend. Im Hintergrund eines heute fast schon wieder infantil anmu­tenden Fort­schrittsglaubens steht oft – ob explizit oder subtil – die Philosophie des Trans­humanis­mus, die eingangs kritisch in den Blick genommen wird. Weiter wird verdeutlicht, dass und warum die allseits forcierte „Künstliche Intelligenz“ dem Menschsein ihrerseits auf die Dauer kaum förderlich sein dürfte. Anhand von wichtigen gesell­schaftspo­litischen Themen wie der immer zudring­licheren Mobilfunk-Problema­tik, neueren und neuesten gesetzlichen Änderungen zu Strom- und Wärmezählern sowie der Forcierung von Photovoltaik und Windkraft wird dar­gelegt, warum die aktuelle Entwick­lung vielen Menschen Beschwer macht. Das Schlimme ist am Ende: Bei alledem gehen ethische Grundmaßstäbe immer mehr verloren. Wahrlich ein sehr „ge­wagter“ Fortschritt!“«

Quelle: nach pad-Verlag

Werner Thiede: «Kaum im Blick ist dabei allerdings der ganzheitlich verstandene Gesundheitsfaktor. Ob es dem Menschen wirklich gut tut, wenn seine Lebenswelt unter dem Diktat einer ständig wachsenden Beschleunigung steht?«

Allein die forciert betriebene Digitalisierung, die immer mehr gesellschaftliche und wirtschaftliche Bereiche erfasst, macht uns sozusagen rasant Beine. Kommen wir da noch mit? Behalten wir da noch die Übersicht? Ist das überhaupt gesund? Und zwar nicht nur in psychischer Hinsicht sondern auch in Bezug auf den Körper. Werner Thiede: «Kaum im Blick ist dabei allerdings der ganzheitlich verstandene Gesundheitsfaktor. Ob es dem Menschen wirklich gut tut, wenn seine Lebenswelt unter dem Diktat einer ständig wachsenden Beschleunigung steht? Bezahlt er, ja bezahlt die ganze Kultur diesen anhaltenden, immer noch zunehmenden Druck mit üblen Folgeerscheinungen?«

Denken wir nur an die Auswirkungen von Mobilfunkstrahlung (Stichpunkt: Elektrosensibiliät). Hinzu kommen ja auch immer weitere andere funkende Systeme bzw. sind geplant, wie etwa smarte Strom- und Wärmezähler. Dazu hat der pad-Verlag eine Broschüre von Margit Krug herausgebracht. Ich habe hier darüber geschrieben. Und bedenken wir den immer größeren Anfall von Daten, nicht zuletzt unseren persönlichen! Der Mensch wird dadurch immer gläserner. Und Unterliegt an fast jeder Ecke und jedem Ort immer mehr der Überwachung. Warnung vor Gefahren werden von der Politik gern kleingeredet. Wir wissen, dass längst am digitalem Geld gearbeitet wird. Wird die Abschaffung des Bargeldes ins Auge gefasst? Was passiert wenn das digitale Netz ausfällt? Wir können dann vielleicht nicht einmal mehr ein Brot kaufen. Abgesehen davon: Unser Privatleben kann bis ins Letzte nachverfolgt werden. Schöne neue Welt?

Es stellen sich Fragen

«Auch in philosophischer Hinsicht stellen sich Fragen.«, schreibt Werner Thiede in einem Beitrag für Manova, «Wovor läuft man eigentlich davon, wenn man immer schneller rennen muss? Ist es in einer säkularisierten, also immanentistisch denkenden Welt die Flucht vor dem Tod (nach Marianne Gronemeyer: Das Leben als letzte Gelegenheit, 1996)? Ist es in einer immer mehr von Krisen erschütterten Welt die Flucht vor der drohenden Apokalypse (nach Gregor Taxacher: Apokalypse ist jetzt. Vom Schweigen der Theologie im Angesicht der Endzeit, 2012.)? Zeugt das überdrehte Tempo unserer Existenz von der Flucht vor nihilistischen Erkenntnissen, über die man besser nicht nachdenkt, so dass man insgesamt beschleunigt, damit allenfalls noch Zeit für oberflächliches Denken bleibt?«

Weiter gibt Thiede auf Manova zu bedenken: «Angesichts dessen immer noch mehr Beschleunigung, immer noch mehr Schnelligkeit zu fordern und zu fördern, beruht auf einer höchst einseitigen, kaum von Weisheit zeugenden Sicht- und Handlungsweise. Der britische Journalist Oliver Burkeman warnt auf seine Weise nach langjährigen Versuchen vor einer regelrechten „Effizienzfalle“ — in seinem klugen, heuer erschienenen Buch „4000 Wochen — das Leben ist zu kurz für Zeitmanagement“.«

Unbedingte Empfehlung meinerseits für diese Broschüre!

Werner Thiede

Im Namen des sogenannten Fortschritts

Zur zunehmenden Einschränkung bürgerlicher Schutz‑ und Freiheitsrechte

72 S., pad-Verlag: Bergkamen 2023
Broschüre (DIN A5) – ISBN 978-388515-344-3
6 € im Buchhandel oder beim Verlag: www.pad-verlag.de.

Zur Person

Prof. Dr. theol. habil. Werner Thiede ist Pfarrer i.R. der Evang.-Luth. Landeskirche in Bayern, seit 2007 apl. Professor für Systematische Theologie an der Universität Erlangen-Nürnberg und Publizist. Homepage

Bücher von Werner Thiede:

Überm Chaos heiliger Glanz. Glaubensgedichte, Neuendettelsau 2018 Evangelische Kirche – Schiff ohne Kompass? Impulse für eine neue Kursbestimmung, Darmstadt 2017 Digitaler Turmbau zu Babel. Der Technikwahn und seine Folgen, München 2015 Die Wahrheit ist exklusiv. Streitfragen des interreligiösen Dialogs, Gießen 2014 Die digitalisierte Freiheit. Morgenröte einer technokratischen Ersatzreligion, Berlin 2013 Mythos Mobilfunk. Kritik der strahlenden Vernunft, München 2012 Mystik im Christentum. Gestalten und Visionen, Frankfurt a.M. 2009 Theologie und Esoterik. Eine gegenseitige Herausforderung, Leipzig 2007 Der gekreuzigte Sinn. Eine trinitarische Theodizee, Gütersloh 2007 (Übersetzung: Salamanca 2008) Wer ist der kosmische Christus? Karriere und Bedeutungswandel einer modernen Metapher, Göttingen 2001 Sektierertum – Unkraut unter dem Weizen? Gesammelte Aufsätze zur praktisch- und systematisch-theologischen Apologetik, Neukirchen-Vluyn 1999 Esoterik – die postreligiöse Dauerwelle. Theologische Betrachtungen und Analysen, Neukirchen-Vluyn 1995 Die mit dem Tod spielen. Okkultismus – Reinkarnation – Sterbeforschung, Gütersloh 1994 Scientology – Religion oder Geistesmagie? Neukirchen-Vluyn 1995² Auferstehung der Toten – Hoffnung ohne Attraktivität? Grundstrukturen christlicher Heilserwartung und ihre verkannte religionspädagogische Relevanz, Göttingen 1991 Das verheißene Lachen. Humor in theologischer Perspektive, Göttingen 1986 (Übersetzung: Mailand/Turin 1989)

Gesichter des Krieges

Ein bewegender Überlebensbericht aus dem Donbass gibt dem abstrakten Kriegsgeschehen in der Ukraine ein konkretes Gesicht.

Der Krieg im Donbass hat viele Gesichter, die eines verbindet: Tod und Leid. In den Medien liest man meist aber nur von Frontberichten, von Selenskyj und Putin, von anderen namhaften Politikern, den Generälen, manchmal sogar Geschichten von einzelnen Soldaten. Die Geschichten von den eigentlichen Opfern dieses Wahnsinns werden viel zu selten erzählt. Die Opfer werden meist nur thematisiert, wenn sie zu Propagandazwecken genutzt werden sollen, ansonsten sind sie bestenfalls eine Statistik. Aber jedes „Element“ dieser Statistik hat seine eigene Geschichte, seine eigenen Erlebnisse, die sich unauslöschlich in das Gedächtnis des betroffenen Menschen eingebrannt hat.

von Andrea Drescher

Der Verein Friedensbrücke Kriegsopferhilfe e. V. ist seit 2015 im Donbass aktiv und unterstützt diese Menschen mit humanitärer Hilfe. Anfangs beidseits der Demarkationslinie; nach kurzer Zeit wurde das aber seitens der Regierung in Kiew unterbunden.

Seitdem kommt diese Hilfe nur noch im östlichen Teil des Kriegsgebiets an — ein Faktum, das dazu führte, dass dem Verein die Gemeinnützigkeit entzogen wurde. Bis heute ist dies jedoch rechtlich nicht umgesetzt worden, da die Frist seitens des Finanzamtes abgelaufen ist, nachdem der Verein Einspruch eingelegt hat. Inzwischen wurde dem Verein auch schon insgesamt sechs Mal das Konto gekündigt, und die Vorsitzende landete auf der ukrainischen Seite „Mirotworez“.

Laut Wikipedia handelt es sich bei Mirotworez „um die Webpräsenz der ukrainischen, nichtstaatlichen Organisation Zentr Mirotworez (Центр Миротворець, Zentrum Friedensstifter), die sowohl Verbindungen zum ukrainischen Inlandsgeheimdienst SBU als auch zum Innenministerium der Ukraine hat“. Gehostet wird die Seite wohl in den USA, in den Ukraine-kritischen Kreisen wird sie auch als Todesliste bezeichnet, da eine große Zahl an Menschen, die dort gelistet waren, inzwischen „verstorben wurden“.

Friedensstifter agieren anders. Friedensstifter wollen dem Leid, dem Schrecken für die Menschen ein Ende setzen. Um das schreckliche Geschehen greifbar zu machen, aber auch um sicherzustellen, dass das Leid der Kriegsopfer nicht unter den Teppich gekehrt werden kann, sammelt die Friedensbrücke Geschichten von Menschen aus dem Kriegsgebiet, die sie selbst erzählen. Diese sollen zukünfig in einem Buch zusammengefasst und veröffentlicht werden.

Yulia aus der Stadt Fokino bei Mariupol erzählt ihre Geschichte, die sie in das Flüchtlingslager Brjansk in Russland brachte. Dort wird sie vom Verein Friedensbrücke betreut wird. Yulia schrieb die Geschichte auf Russisch, Freiwillige haben sie übersetzt. Manche sprachliche Eigenwilligkeit ist dieser Konstellation geschuldet. Aber ihre Geschichte ist auf jeden Fall eines: authentisch.

Als ich sie das erste Mal las, musste ich weinen. Mein erster Hund hieß Jessy und war ein Schäferhund-Mix. Auch Yulias Hund hieß Jessi. Jessi hat nicht überlebt, Yulia hat es schwer verletzt geschafft. Und nachdem sie mit ihrer Familie wieder vereint war, ist es ihr auch gelungen, ihre Lebensfreude wiederzufinden. Gerade dieser Mut zum Leben macht es in meinen Augen so wichtig, dass die Geschichte von anderen gelesen wird.

Die Geschichte von Yulia

Als ich im 4. Stadtkrankenhaus von Mariupol lag, von Granatsplittern zerschrammt, mit gebrochenen Beinen, versprach ich mir und meinen Kameraden in Ehren, dass ich die Ereignisse meines Aufenthalts beschreiben würde. Aber dann … das Wiedersehen mit meinen Kindern und Enkelkindern im TAC (Abkürzung für die Einrichtung für vorübergehende Unterbringung von Flüchtlingen aus dem Donbass und befreiten Gebieten) im Gebiet Brjansk … geriet alles irgendwie in den Hintergrund.

Es ist nicht sehr angenehm, sich an die Qualen des Schmutzes, des Hungers und der Kälte zu erinnern. Um mich herum eine Menge Menschen, die nicht weniger unangenehme Dinge erlebt haben. Und meine derzeitige Situation, „Leben im Rollstuhl“, stimmte mich nicht gerade optimistisch.

Aber gestern kamen die Nachtwölfe ins TAC. Nachdem ich Zeit mit diesen erstaunlichen Menschen verbracht hatte und nach den Ferien, die sie für Kinder und Erwachsene gemacht haben, beschloss ich, meine Geschichte zu erzählen.

22. Februar 2022

Es war mein Geburtstag, sogar ein runder — ich wurde 60 Jahre alt. Ich lud eine große Napoleontorte und zwei Tüten Saft in ein Taxi und fuhr zu meinem Arbeitsplatz in Toothy’s Restobar.

Unser liebes Personal gratulierte mir, die Geschäftsleitung überreichte mir einen Umschlag mit einem Geschenk — das ist bei uns Tradition —, danach wurde ich von meinem Schwiegersohn Vita aus dem Restaurant abgeholt, und nachdem wir im nächstgelegenen Supermarkt alles Notwendige gekauft hatten, gingen wir nach Hause zu den Kindern, um den Geburtstag zu feiern.

Meine Tochter Nastenka hatte bereits den Tisch gedeckt, meine Schwester Ksyukha, die Freundin meiner Tochter Marina und die Heiratsvermittlerin Valentina kamen vorbei. Auch dabei waren die Enkelkinder, die älteste, Sonechka, und die jüngste, die kleine Sashenka.

Die Heiratsvermittlerin schimpfte: „Warum hast du teure Lebensmittel gekauft? Es wäre besser gewesen, Mehl, Zucker und verschiedene Getreidesorten auf Vorrat zu kaufen!“ In Anbetracht der jüngsten Ereignisse rechnete man mit dem Schlimmsten, aber nicht so sehr; in den letzten acht Jahren haben wir Granatenbeschuss außerhalb der Stadt gehört. Darum sagte ich: „Meine Lieben, wer weiß, was morgen mit uns geschieht!? Lasst uns zusammensitzen und plaudern, wer weiß, wann wir alle wieder zusammenkommen können!“

Am 24. Februar begannen sie mit dem Beschuss der Stadt.

Am 28. Februar wurde der östliche Bezirk, in dem ich wohnte, schwer beschossen. Alle Fenster in meinem Haus wurden herausgesprengt, die Türen gingen zu Bruch, eine nicht explodierte Granate steckte im 9. Stockwerk.

Mein Schwiegersohn mietete ein Taxi, und ich wurde zum Haus meiner Kinder gebracht. Es gab noch Strom und Wasser, und der Beschuss war weniger intensiv. Zu dieser Zeit hatten meine Kinder und Enkelkinder große Angst vor dem Geräusch der Explosionen.

Ab dem 2. März gab es keine Kommunikation, kein Wasser und keinen Strom mehr.

Die Menschen, die in der Nachbarschaft blieben, versteckten sich im Keller der nächsten Schule. Ich konnte nicht in den Keller gehen. Unsere Jessi, der deutsche Schäferhund, war im Hof angebunden. Ich konnte sie nicht losbinden, wie es viele Leute taten, und sie freilassen, das ging nicht. Und ich hatte keine Kraft — sie kam auf die Hinterbeine, die Vorderbeine umarmten meinen Hals, ich fiel. Fremde ließ sie nicht an sich heran. Ich konnte nicht rausgehen. Ich konnte auch nicht vor das Tor gehen, sie wimmerte, weinte, sie hatte Angst, allein zu sein.

Am 19. März wärmte ich morgens in der „Burzhuyka“ Futter für den Hund auf und wartete auf das Ende des Beschusses. Um genau 8:00 Uhr morgens öffnete ich die Tür des Hauses, Jessi sprang aus dem Zwinger … Sie war die Erste, die starb. Dann gab es weitere Explosionen auf den Stufen der Veranda, auf denen ich stand. Ich wurde zurück ins Haus geschleudert, das Dach stürzte ein, Glas fiel herunter, ich wurde ohnmächtig. Als ich wieder zu mir kam, war mein erster Gedanke: „Oh, mein Gott, ist es das? Ist es das? Oh mein Gott, ist es wirklich so einfach?“

Als ich merkte, dass ich keine Beine mehr hatte — unterhalb der Knie waren sie wie zerkaute Lappen—, stoppte ich die Blutung, indem ich einen Gummistreifen von einem zerbrochenen Fenster über die Knie zog.

Gegen 10 Uhr morgens kam mein Nachbar Sasha — seinen Nachnamen weiß ich schon lange nicht mehr — mit einer Axt und einem Brecheisen zu mir. Er zog mich heraus mit einem Schock. Von dort aus brachten mich Freiwillige in das städtische Krankenhaus Nr. 4, das schon ziemlich ramponiert war.

Für mich war das Schlimmste nicht einmal die Beschießung und die Entbehrungen — es war hart aufgrund der Ungewissheit und ohne Zigaretten —, sondern die Tatsache, dass ich nichts über das Schicksal meiner Angehörigen, meiner geliebten Kinder und Enkelkinder wusste. Mein Herz sank vor Angst um sie. Wo sind sie? Sind sie am Leben?

Also das Krankenhaus. Ich wurde in der Notaufnahme untersucht. Eine Krankenschwester und eine Schwesternhelferin haben auf Anweisung des einweisenden Arztes mein linkes Bein geröntgt und einen Verband angelegt. Das Röntgenbild war nicht brauchbar. Ein Krankenhaus ohne Fenster und Türen, ohne Medikamente, kein Essen, kein Wasser. Drei Tage lang lag ich im 4. Stock, sie gaben mir ein paar Mal Wasser aus einer Spritze. Ich war durstig, ich hatte viel Blut verloren. Ich habe sehr viel Blut verloren. Ich bettelte einen betrunkenen Pfleger um einen Becher mit Wasser an.

Am 3. Tag gab es ein Bombardement, das die Station, in der ich lag, beschädigte. Ein mit Linoleum verschlossenes Fenster und ein Teil der Wand stürzten ein. Die Pfleger kamen, um die Leichen zu holen. Sie nahmen zwei von ihnen und trugen sie in Säcken in den Keller — es ist eiskalt draußen und die Leichenhalle ist voll. Mich wollten sie auch einpacken, ich war oft bewusstlos. Aber ich bin aufgewacht, als sie versuchten, die Decke von mir zu nehmen. Aber ich bekam eine andere Decke von der Nachbarin des Toten, so war es wärmer.

Am 4. Tag wurde ich in den 3. Stock verlegt, auf den Korridor des Traumazentrums. Es waren viele Leute da. Hier erfuhr ich, dass am 20. März alle Ärzte des Krankenhauses geflohen waren und alle Lebensmittel, Medikamente und Instrumente mitgenommen hatten. Sie haben sogar den Safe des Chefarztes demontiert. Nur ein Psychologe oder Psychotherapeut und seine Familie blieben bei uns.

Ich möchte gesondert über die Menschen berichten, die uns geholfen haben, zu überleben.

Sergei Nichai, ein Mann um die 30, 35 Jahre alt. Er brachte seine verletzte Mutter in das Krankenhaus. Er blieb über Nacht im Keller und kümmerte sich tagsüber um seine Mutter. Die Mutter hat nicht überlebt. Mehrmals am Tag wurden die Fenster aufgebrochen; er hat sie mit Brettern und Linoleum zugenagelt, sogar die Türen eingebaut.

Witaly Shemetun, er ist älter, etwa 40, 45 Jahre alt. Er versorgte uns mit Schlamm und Wasser. Er fuhr sein Auto unter Beschuss zu den Häusern der Überlebenden. Er fuhr zu den Häusern der Überlebenden und bat die Menschen um Essen. Es war eine Zeit des Hungers, aber die Leute gaben ein paar Kartoffeln, Karotten und Getreide für die Patienten des Krankenhauses.

Einmal am Tag bekamen wir etwas zu essen: einen Löffel Haferbrei und 150 ml Wasser. Das Wasser war besonders schlecht. Auf dem Dach des Krankenhauses gab es Auffangbehälter für Regenwasser.

Sie schossen auf jeden, der das Krankenhaus verließ oder betrat. Sie erschossen eine ganze Familie: eine Mutter, einen Vater und zwei kleine Kinder. Zwei kleine Kinder. Viele Menschen wurden erschossen, viele lagen im Sterben. Der Keller war voll von Leichen.

Die „Asowtsy“ hatten es auf das Krankenhaus abgesehen, eine Art von Rache.

Wir wurden von einem Flugzeug aus bombardiert. Da wurde mir klar, was „Das Lied vom Sturzbomber“ bedeutet. Die Wände des Krankenhausgebäudes gingen zu Bruch, Fenster flogen heraus. Großmütter hielten ukrainische Soldaten auf, die durch den Korridor gingen, und flehten sie an, mit dem Beschuss aufzuhören, zu stoppen: „Söhne! Habt Mitleid mit den Kindern!“ Diese Bastarde antworteten: „Das sind keine Kinder, sondern ‚wyblyadki‘ (Freaks), denn ich habe Kinder zu Hause.“

Das Schlimmste für mich war das Unbekannte, die Angst um meine Kinder und Enkelkinder. Jede Nacht träumte ich von meiner Enkelin Sonechka. Sie kommt auf mich zu und sagt: „Oma, ich bin so hungrig!“ Mein Herz blutete.

3. April 2022

Das Gebäude hatte einen Riss, sodass die traumatologische Abteilung nur noch eine Plattform im Flur hatte, die Wände waren weg. Ich wurde bei dem Angriff ans andere Ende des Korridors geschleudert. Unsere Freiwilligen Witaly und Sergey begannen schnell damit, alle Lebenden in den Keller zu tragen. Die Evakuierung dauerte bis Mitternacht. Ich wurde später entdeckt. Sie hoben mich auf ein ganzes Bett, deckten mich mit Kissen und Decken zu und blieben bei mir.

Witaly sagte, wir sollten bis zum Morgengrauen warten, und am nächsten Morgen würden sie mich in den Keller bringen. Am nächsten Morgen versprachen die Asowschen, den Rest des Gebäudes in die Luft zu sprengen. Am Morgen brachten sie mich in den Keller. Ein schmaler Korridor, in der Mitte ein undichter Abwasserkanal. Sie bauten eine Tür für mich auf dem Boden, eine Bettmatratze, ein Kissen und eine Decke. Die hohe Decke wackelte von den Explosionen und überschüttete uns mit altem Gips.

Witaly und Seryozha gaben uns noch drei Tage lang etwas zu essen. Am Tag darauf kamen russische Soldaten zu uns. Wir weinten vor Freude, es gab Hoffnung, zu überleben. Die Jungs sagten, sie würden uns rausholen, aber wir mussten helfen, die Faschisten vom Ort der Evakuierung vertreiben.

6. April 2022

Man begann, 2 bis 3 Personen auf einmal herauszuholen und auf APCs zu bringen. Wir wurden in der Siedlung Winogradnoye ausgeladen. Fast alle unsere Krüppel waren bereits hier. Sie setzten mich auf eine Chaiselongue, sie boten mir einen Teller mit Nudeln und Wasser an. Ich lehnte die Nudeln ab; wegen des Durchfalls hatte ich Angst, ich wollte nicht ins Krankenhaus gehen und mich blamieren. Ich trank das Wasser und bat um eine Zigarette.

Es war fast ein Glück: die Sonne sehen, die Spatzen zwitschern hören!
Ich hatte vergessen, dass es neben dem Krieg noch einen Frühling auf der Welt gibt!

In Donezk, im städtischen Krankenhaus Nr. 9, kamen wir mit einem kleinen Bus um ein Uhr nachts an. Wir wurden vom gesamten Personal des Krankenhauses empfangen. Wir wurden zum Röntgen geschickt, dann in die Wäschekammer — können Sie sich vorstellen, in welcher Form wir aus dem Keller gekrochen sind? Ich kam auf die Station Nummer 11. Nach den Kellerplatten — auf einem Bett mit sauberer Bettwäsche! Man bot uns auch heißen Tee mit Keksen und Süßigkeiten an. Am Morgen schliefen wir ein.

7. April 2022

Kurzer Schlaf, Aufwachen um 8 Uhr, Beginn der Visite. Nachdem Dr. Ewgeny Iwanowich, ein Militärchirurg, die Röntgenbilder untersucht hatte, schlug er vor, mein linkes Bein zu amputieren. Er sagte, es gäbe nichts mehr zu retten. Ich versprach, es mir zu überlegen. Ich konnte sehen, dass es anzuschwellen begann — die ganze Zeit war es in der Kälte, und hier gab es Heizkörper und Hitze —, aber das war mir egal. Wenn meine Kinder nicht mehr am Leben sind, will ich so ein Leben nicht.

10. April 2022

Der Morgen begann mit der Visite, ich lehnte die Operation erneut ab. Nach der Visite kamen ein Mann und eine Frau in unser Zimmer und riefen meinen Namen. Ich antwortete. Es waren die Freiwilligen Masha und Sergey, Mann und Frau.

Sie suchten mich auf Bitten meines Neffen Dima Albutow. Er war ebenfalls in Mariupol und lag in einem Krankenhaus in Donezk. Mein Herz stand still, als Sergey anrief und ich die Stimme von Dimochka hörte. Ich hatte große Angst, dass er schlechte Nachrichten über die Kinder überbringen würde. Aber er ist ein kluger Junge, und seine ersten Worte waren:

„Tante Yulia, mach dir keine Sorgen, Nastya, Witalik und Sonya und Sasha geht es gut. Sie sind in Bezymennoye — ein Dorf in der Nähe von Mariupol — im Flüchtlingslager, lebendig und gesund. Ich werde ihnen deine Telefonnummer geben, und sie können mit dir sprechen.“

Diejenigen, die keine geliebten Menschen verloren haben, die nicht jede Minute, jede Sekunde an sie gedacht haben und plötzlich eine Nachricht von ihnen erhielten, werden die Explosion meiner Gefühle nicht verstehen. Tränen, Rotz, freudiges Lachen. Ich war wie verrückt. Hätte ich Beine gehabt, hätte ich an die Decke springen können.

Eine Stunde später sprach ich mit meiner Tochter. Meine Freude war grenzenlos. Ich versprach Nastja, dass ich der Operation zustimmen würde. Ich hatte einen Grund, zu leben. Der 10. April ist nun mein zweiter Geburtstag. Ich hatte keine Angst vor der Operation, nur ein klein wenig. Nach allem, was ich durchgemacht hatte, war ich sicher, dass mir nichts Schlimmes passieren würde.

13. April 2022

Ich wurde operiert, alles verlief gut. Ich wurde von meiner Familie und vielen Fremden unterstützt. Mein Neffe Dimochka und seine Frau Yulenka gaben mir Geschenke, notwendige Medikamente und Verbandsmaterial. Die Freiwilligen Mascha und Sergey kamen jeden Tag vorbei, brachten Leckereien, notwendige Dinge (Unterwäsche, Hygieneartikel und so weiter).

Wir haben viel geredet, Nachrichten von der Front besprochen, in der Zuversicht, dass bald alles mit einem Sieg enden wird. Denn die Wahrheit liegt hinter Russland! Und am 9. Mai werde ich durch die Stadt gefahren, halte im Park an. Ich feiere den „Tag des Sieges“, so wie ich es einst in der Sowjetunion getan hatte.

18. April 2022

Ich bin aus dem Krankenhaus entlassen worden. Es ist nun möglich, mit meinen Kindern wieder vereint zu sein. Sie sind viel gereist, und diese Reise war schrecklich: Beschuss, schmutzige Keller und vieles mehr. Schließlich kamen sie in der Region Brjansk, in der Stadt Fokino, in einem provisorischen Unterkunftszentrum für Flüchtlinge an.

Meine Freunde Sergey und Mascha brachten mich von Donezk in die Region Rostow zum Zentrum für Notsituationen. Am Abend waren etwa 20 Personen hier. Ein Bus kam, um uns abzuholen. Und in Begleitung eines Polizisten auf einem Motorrad wurden wir nach Taganrog in ein temporäres Unterbringungszentrum für Flüchtlinge gebracht. Was war dieses TAC? Zwei riesige Turnhallen. Darin befanden sich viele, viele Feldbetten. Es gab Männer und Frauen, Kinder und Tiere.

Es gab sogar Käfige mit Vögeln. Die Menschen flohen vor dem Beschuss und nahmen ihre wertvollsten Besitztümer mit. Aber es hat Spaß gemacht. Eine große Gruppe von Freiwilligen kümmerte sich um uns. Diejenigen, die es brauchten, begleiteten uns zum Duschen, zur Toilette, brachten uns Essen aus der Kantine. Die Menschen sind sehr warmherzig.

Als der ältere Freiwillige von meinen Kindern die Bestätigung erhielt, dass sie auf mich warteten und mich abholen würden, kaufte er mir ein Zugticket nach Brjansk in einem Luxusabteil für Behinderte. Sie versorgten mich mit leckerem Essen für die Reise und setzten mich in Rostow in den Zug.

Ich werde mich mein ganzes Leben lang mit Dankbarkeit und Herzlichkeit an sie erinnern.

Überhaupt habe ich auf meinem Weg von Mariupol nach Fokino TAC sehr gute Menschen getroffen, freundlich und sympathisch. Es gibt mehr von ihnen als von den schlechten. Jemand hat gesagt, dass in Zeiten der Not, wie im Krieg oder bei Naturkatastrophen, der Mensch sein wahres Gesicht zeigt. Es kommt vor, dass äußerlich gewöhnliche Menschen zu Helden werden und dass diejenigen, die man für gute Menschen hielt, sich als seltene Bastarde erweisen.

Freiwillige Helfer holten mich am Bahnhof in Brjansk ab und brachten mich zum TAC, zu meinen Kindern und Enkeln. Meine Verwandten begrüßten mich, wir redeten viel und umarmten uns.

In Fokino habe ich viele Freunde und Freundinnen gefunden. Bald werde ich nach Mariupol zurückkehren, ich werde viele Dinge und Menschen vermissen. Es ist noch nicht klar, was mit meinem Bein passieren wird, ob ich jemals eine Prothese haben werde. Aber ich weiß, dass meine Kinder und Enkelkinder, meine geliebten Jungen und Mädchen mir nahe sein werden. Und wir werden mit dem Rest zurechtkommen, und das ist die Hauptsache!

Ich habe nur meine Geschichte beschrieben. Viele Menschen, die ich getroffen habe, haben Geschichten, die ereignisreicher, wahrscheinlich interessanter sind. Aber wenn ich alle Kameraden beschreiben würde, wäre es keine Beschreibung, sondern ein richtiger Roman. Ich fürchte, das kann ich nicht tun.

Hier sind ein paar Zeilen aus meinem früheren Leben.

Ich werde dir zulächeln
Wenn in den ungemähten Wiesen
Der Abend müde eintauchen wird
Mit rosa Nebel in meinen Füßen.
Wenn die Birkenzweige des Baches
Mit kristallenem Tau
Wenn die süße Betäubung der Rosen

Pascal Yulia/Паскаль Юлия


Wer die Flüchtlinge im Lager in Russland oder die Kriegsopfer im Donbass unterstützen möchte: Auf www.fbko.org findet man die aktuelle Möglichkeit zu spenden. Das Geld kommt zu 100 Prozent den Menschen zugute.

Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung der Autorin Andrea Drescher, deren Artikel zuerst auf MANOVA erschien.

Beitragsbild: Verein ZukunftDonbass

„Putin – Herr des Geschehens?“ von Jacques Baud. Rezension

Noch immer ist eine Beendigung des Ukraine-Kriegs nicht in Sicht. Diplomatie, Friedensverhandlungen? Null, nada, niente …

Stattdessen pumpt „Natostan“ (Oberstleutnant a. D. Jürgen Rose) immer mehr Waffen in die Ukraine. Schon wird seitens der USA die Lieferung und der Einsatz von Streubomben mit Uran-Munition in der Ukraine erwogen. Weil normale Munition gewissermaßen erschöpft ist. Unser Bundespräsident Steinmeier befürwortet im Sommerinterview des ZDF offenbar den Einsatz dieser Streubomben. Man könne in der gegenwärtigen Situation den USA nicht in den Arm fallen“, man müsse „Verständnis dafür haben, dass die Ukraine die russischen Truppen zurückzudrängen versucht“. Aha.

Wahrheit unter Beschuss“

Die Eskalation dieses Krieges geht immer weiter. In der Sendung Wahrheit unter Beschuss“ (mit Jacques Baud, Dirk Pohlmann, Jürgen Rose & Walter van Rossum) gab sich Journalist Dirk Pohlmann in hohe Maße alarmiert, bestürzt und ratlos. Er könne sich beim besten Wissen nicht vorstellen wie man aus dieser momentanen Situation im Ukraine-Krieg wieder herauskommen wolle.

An der Gesprächsrunde nahm auch ehemaligen Oberst der Schweizer Armee Jacques Baud teil.

Dessen Buch „Putin – Herr des Geschehens“ – welches heute erscheint – sei von mir unbedingt zur Lektüre empfohlen.

Das Buch war eigentlich als Antwort auf die französische Fernsehsendung „Putin Herr des Geschehens“ am 17.10.2021 gedacht. Die „Experten“, welche darin diskutierten, bezeichnet Jacques Baud als „ignorant und empathielos“ und sie hätten eine Denkweise symbolisiert, welche 1945 ausgestorben geglaubt schien.

Geht es in unseren Fernsehdiskussionsrunden viel anders zu? Eher vielleicht noch schlimmer. Wir bekommen ja allein in ARD und ZDF fast nur noch Propaganda aufgetischt. Westliche Propaganda und Propaganda des Kiewer Regimes. Wenn wir „Glück“ haben ist eine Person mit abweichender, differenzierter Meinung vertreten. Nehmen wir als eine solche Person beispielsweise Sahra Wagenknecht. Die wird dann von den anderen Gästen sowie der Moderatorin/dem Moderator versucht erbarmungslos niederzumachen.

Seit erwähnter Sendung im französischen Fernsehen haben sich die Spannungen zwischen der Ukraine, Russland und dem Westen verschärft und schließlich zu einem bewaffneten Konflikt geführt.

Was am 17.10.2021 noch ein Einzelfall gewesen sei, so Baud, wurde am 24. Februar 2022 zur Denkweise des Westens. Der Inhalt des Buches wurde an die veränderte Situation angepasst.

Baud: „Politik sollte auf Fakten, nicht auf Vorurteile gründen.“

Diejenigen, die glaubten, dass man Russland nur negativ bewerten darf, hätten die Ukraine in die Katastrophe gestürzt.

Überzogene Erwartungen wurden geweckt, die die ukrainischen und europäischen Bürger nun teuer bezahlen müssten. Letztendlich für nichts.

Der Westend Verlag zum Buch:

«Es zeichnet sich keine Lösung ab, das Sterben in der Ukraine schreitet voran. Obwohl dieser Krieg täglich in den Traditionsmedien präsent ist, bleibt vieles unterbelichtet, denn seine Vorgeschichte wird lediglich unvollständig dargestellt oder sogar ignoriert. Eine zu einfache Schuldzuweisung hat sich etabliert und verringert die Chancen auf eine Verhandlungslösung. Jacques Baud hat für den Schweizer Strategischen Nachrichtendienst, die NATO und die Vereinten Nationen gearbeitet. Mit seinem Buch liefert er auf der Grundlage von Dokumenten, die hauptsächlich von den USA, der Ukraine, der russischen Opposition und internationalen Organisationen stammen, einen sachlichen Blick auf die Realität dar und öffnet die Tür für eine unvoreingenommene Einschätzung des Kriegs in der Ukraine. Für Baud ist es Zeit, zurück zu den Fakten und vor allem zum Dialog zu kommen.«

Das Buch verfolgt zwei Ziele:

dass unsere Vorurteile nicht der Realität entsprechen;

dass Entscheidungen, die auf unseren Vorurteilen beruhen, das Gegenteil bewirken, was wir eigentlich wollen.

Kritik an den sogenannten Faktencheckern

Baud analysierte die Lage genau. So wie es strategische Nachrichtendienste tun, die sich zu 95 Prozent offener Nachrichtenquellen bedienen.

Im Unterschied zu den sogenannten Faktencheckern, die keine genauen Definitionen von „Verschwörungstheorien“ als Grundlage hätten (damit sie solche Begriffe zum Zweck von Zensur und Desinformation benutzen können), verwenden wir hier eine feste Terminologie, stellt Baud klar. „Im Gegensatz zu ihnen benutzen wir das «Faktenchecken« (das Prüfen von Tatsachen), um zu zeigen, dass es ehrliche Journalisten gibt, die mit Sorgfalt arbeiten. Dafür werden wir die Zustände ohne politische Voreingenommenheit untersuchen.“ Faktenchecker verwechselten allzu oft ihre Weltsicht mit den Fakten und seien alles andere als unparteilich

Was ihnen nicht gefällt – nicht dem bestimmten Narrativ entspricht – sind Verschwörungstheorien

Baud beklagt: Viele Journalisten arbeiten nicht nach der Münchner Charta! Und: Es müssten immer auch Fragen nach der moralischen und strafrechtlichen Verantwortung der Medien gestellt werden.

Stattdessen verfahre man nach der Devise: Der Zweck heiligt die Mittel.

Aufräumen mit Vorurteilen

Jacques Baud geht viele Vorurteile an, die von den Medien ständig wiederholt und unter die Leute gebracht werden. Baud räumt damit gründlich auf.

Die Frage etwa „Versucht Wladimir Putin die UdSSR wiederherzustellen?“ (S.17) beantwortet Baud mit nein. Er erklärt:

Die UdSSR sei ein marxistischer Staat gewesen, der den Klassenkampf in der Welt fördern wollte.

„Putins Russland ist ein wirtschaftsliberaler Staat, grundverschieden von der UdSSR in Bezug auf seine Ideologie und sein Funktionieren.“

Des Weiteren bringe man immer wieder Putins Satz, „Die Zerstörung der UdSSR war die größte Katastrophe in der Geschichte des 20. Jahrhunderts“ und deute ihn immer wieder falsch. «Um Putins angebliche Sowjetnostalgie und seine Ambitionen zu verdeutlichen, zur „Größe“ der UdSSR zurückzufinden. Das ist faktisch und politisch gelogen.«

In Wahrheit stamme dieser Satz Putins aus einer Rede vom 25.5.2005 in der Wladimir Putin die chaotische Weise bedauert, in der sich der Übergang in die Demokratie vollzog.

Einer weiteren seitens des Westens in den Raum gestellten Behauptung tritt Baud entgegen: Putin trauere dem kommunistischen System nicht nach.

Auch bei der von Putin angeblich angestrebten Wiederherstellung des „Russischen Reichs“ handelt es sich nach Bauds Meinung um ein dezidiert westliches Hirngespinst, das weder die russische Regierung noch Putin jemals für sich in Anspruch genommen habe.

„Putin möchte lediglich Russland auf der internationalen Bühne eine gewichtige Stimme geben, um seine Interessen zu verteidigen“, schreibt Baud.

Und er habe dass Bestreben gehabt die Minsker Vereinbarungen umzusetzen. Die die westlichen Akteure – wie sie selbst bekannten – überhaupt nie gedachten umzusetzen.

Putin habe zu Recht festgestellt, dass der Westen seit 1990 von einer schlechten Entscheidung zur nächsten gestolpert sei und dabei Probleme schaffe, die er nicht zu lösen vermag. Und Europa strukturell unfähig sei gegen die Vereinigten Staaten zu handeln.

„Er möchte wieder ein Gegengewicht zur sperrigen Omnipräsenz der USA schaffen, die nur für die eigenen Interessen, zum Nachteil der Alliierten und der übrigen Welt handeln.“

Auch den auf France 5 von Jean-Dominique Giuliani, Präsident der Robert-Schuman-Stiftung, erhobenen Vorwurf Putin wolle in Polen und den baltischen Ländern einen Einflussbereich besitzen, bezeichnet Baud als falsch.

Nach dem Kalten Krieg habe sich Russland zunächst von den neuen NATO-Staaten nicht bedroht gesehen, meint Baud.

Jacques Baud erinnert u.a. daran, dass der US-amerikanische Diplomat George F. Kennan 1997 vor der NATO-Erweiterung gewarnt habe.

Dies, so Kennan, sei ein „verhängnisvoller Fehler amerikanischer Politik in der gesamten Periode nach dem Kalten Krieg“.

Baud bekräftigt auch, dass Russland nie Anspruch auf die Ukraine erhoben hat. Moskau haben nur nicht gewollt, dass sich die NATO Russland nähert und möchte sich selbst nicht der NATO nähern. Es forderte die Neutralität der Ukraine. Selbst Selenskyj sei bereit gewesen Ende März 2022 in Istanbul darüber zu diskutieren. Boris Johnson habe das vereitelte. Ein Frieden sei quasi greifbar gewesen. Johnson jedoch habe Kiew aufgefordert weiter zu kämpfen.

Alles Geschehnisse die westliche Medien gerne verdrängen oder geflissentlich unerwähnt lassen.

Zusicherungen die NATO nicht zu erweitern seien dokumentiert. Und von freigegebenen Dokumenten belegt. Üblichen Einwänden tritt der Autor entgegen: Es gebe keine Verträge – das stimme – was aber nicht heiße, dass die Zusagen nicht ausgesprochen worden sind. Ein Fehler allerdings war, dass Gorbatschow nicht auf etwas Schriftlichem bestand.

Nach dem Ende der Sowjetunion, der die USA – nebenbei bemert – gerne auch schon 1945 den Garaus gemacht hätten, sah Washington eine neue Chance: Dick Cheney wollte 1991 die Zerschlagung Russlands.

Man tat alles, dass Russland ja nicht erstarke. An der Zerschlagung Russland hielten die USA immer fest. Nun wittern sie eine neue Chance. Und dazu nutzen sie den Ukraine-Krieg. So kann man diesen Krieg durchaus als Stellvertreterkrieg bezeichnen: USA gegen Russland.

USA haben sich Länder „gekauft“. Währung: Beteiligung an Kriegen Irak usw.

Ungeschriebene Regel: NATO-Mitgliedschaft ging dem Beitritt zur EU systematisch voraus

Russland wollte ja sogar selbst einmal der NATO beitreten. (S.39)

Jacques Baud erinnert an Gorbatschows Idee vom Haus Europa. Dazu habe auch Putins Russland gestanden. Russland habe auch nie die Auflösung der NATO gefordert. Was ja letztlich nahe an der von General de Gaulle immer wieder propagierten Idee eines „Europas vom Atlantik bis zum Ural“ gelegen war. Die Chancen dazu wurden 1990 vertan.

Etwa sei Bill Clinton dafür gewesen Versprechungen gegenüber Russland nicht umzusetzen.

Ein Seite für Seite interessantes Buch. Hier wird Geschichte nachgezeichnet. Und auch die Vorgeschichte zum Ukraine-Krieg scheint gut beleuchtet auf. Dazu gehört auch der von den USA finanzierte und unterstützte Maidan-Putsch 2014 in Kiew mit den bekannten Folgen. Abspaltung der Krim via einer Volksabstimmung. Letztlich habe Moskau so gehandelt wie der Westen bezüglich des Kosovo. Nur, dass es beim Kosovo keine Volksabstimmung gegeben habe.

Angriff der Ukraine auf den Donbass. In neun Jahren starben dort mehr als 10.000 Menschen durch Beschuss und an Minen. Darunter viele Kinder.

Was viele Leser überraschen wird: Baud meint, die Ukraine wusste, dass Russland nicht angreifen wollte. Letztlich habe aber der Westen Russland zum Eingreifen verleitet. Man kann auch sagen: Der Angriff wurde herbei provoziert. Der Autor sieht es so: Westen brauchte den Angriff. Und Putin hatte nichts mehr zu verlieren.

Für Jacques Baud steht fest: Der Westen konnte wissen, dass sein Tun nicht den Ukrainern hilft. Er fragt: Westliche Werte? Recht? Nein. Es herrsche eine Amerikanische Denkweise.

Es gibt keine Regeln mehr. Es gilt das Recht des Stärkeren.

Doppelte Standards würden angewendet. Und was man unterstreichen muss:

Nur wenige Kommentatoren verstünden Russland und verwechselten es mit der UdSSR.

Es würde absurder Hass gegen Putin geschürt.

Ebenso gingen die Hitler-Vergleiche (wie auch betreffs früherer Personen wie Saddam Hussein oder Milosevic) auch hinsichtlich der Person Putin fehl.

Wir urteilten zu oft aus dem Bauch statt aus dem Kopf.

In Wirklichkeit schwächten wir uns

Waffenlieferungen und die NATO-Ausdehnung seien unverantwortlich.

Was hätten wir erreicht? Weißrussland sei wieder näher an Russland gerückt. Russland und China seien festere Partner wie noch vor Jahren.

Schlussfolgerungen

«Die „Experten“ haben durch ihr Unwissen unsere Wahrnehmung von Russland, der Ukraine und der Ereignisse so sehr verformt, dass wir zu keiner unaufgeregten Deutung der Lage gekommen sind, die erlaubt hätte, das Desaster zu vermeiden. Stattdessen in einen Strudel aus Unverständnis und Voreingenommenheit gerieten. Nachrichtendienste glänzten durch Abwesenheit. Diplomatie sei nicht zu erkennen.

Der Autor aufgewachsen in einer Gesellschaft, die Gewalt ablehnt, sowohl was das Handeln als auch des Denkens anbetrifft, verurteilt Krieg. Als Schweizer aber ist er citoyen-soldat (etwa Bürger in Uniform) und akzeptiert Gewalt nur, wenn sie rechtmäßig und erforderlich ist.

Baud zeigt sich weit davon entfernt Putins Einmarsch zu rechtfertigen.

Zugleich weißt er auf die Heuchelei des Westens hin: Die selben Leute die Luftschläge auf Libyen gutgeheißen haben kritisieren Putin.

Am Ende bringt Baud ein Zitat vo Henry Kissinger aus der Washington Post: « […] die Verteufelung von Wladimir Putin ist keine Politik; sie ist ein Alibi, dafür, keine Politik zu haben.« (S.254)

Und Jacques Baud lässt uns mit diesem Satz zurück: „Ob uns das nun gefällt oder nicht, am Ende heißt er große Sieger … Wladimir Putin.“

Unbedingte Leseempfehlung! In unseren Mainstream-Medien finden wir meistens leider immer nur eine unvollständige Geschichte des Ukraine-Kriegs und dessen Vorgeschichte. Stattdessen werden wir mit Vorurteilen und westlicher Propaganda bombardiert. Jacques Baud kommt das Verdienst zu einen sehr guten Überblick über die Geschehnisse und Ereignisse rund um das Thema abgeliefert zu haben. Alles aufgrund von unvoreingenommenen vorurteilsfrei durchgeführten Analysen. Das Buch hat gefehlt!

Zum Autor

Jacques Baud hat einen Master in Ökonometrie und ein abgeschlossenes Nachdiplomstudium in internationaler Sicherheit und internationalen Beziehungen. Er arbeitete als für die Ostblockstaaten und den Warschauer Pakt zuständiger Analyst für den Schweizer Strategischen Nachrichtendienst und leitete die Doktrin für friedenserhaltende Operationen der Vereinten Nationen New York. Dort war er zuständig für die Bekämpfung der Proliferation von Kleinwaffen bei der NATO und beteiligt an den NATO-Missionen in der Ukraine.

Das Buch

Jacques Baud

Putin – Herr des Geschehens?

Erscheinungstermin:10.07.2023
Seitenzahl:320
Ausstattung:Klappenbroschur
Artikelnummer:9783864894268

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