Gleichmal Butter bei die Fische. Wie man im Ruhrpott zu sagen pflegt. Nicht nur meiner Meinung nach ist der Journalismus in Deutschland schwer auf den Hund gekommen. Beziehungsweise gebracht worden. Beides spielt zusammen. Gründe dafür gibt es viele. Aber nichts ist darunter, was das entschuldigen könnte. Positive Erscheinungen bestätigen die Regel.
Selbst – in der DDR geboren und aufgewachsen – interessierte ich mich von frühen Jahren für Journalismus. Ich „frass“ Zeitungen geradezu. Und freute mich, als unsere Staatsbürgerkundelehrerin seinerzeit eine Schulzeitung (sie hieß Schulkurier) ins Leben rief. Es ward eine Redaktion zusammengestellt, in welcher ich für Außerschulisches zuständig war. Interessante Einblicke boten sich mir, woraus Erkenntnisse erwuchsen. Später unterbrachen Lehre und Wehrdienst bei der NVA mein Faible fürs Schreiben eine Zeitlang. Wieder im Beruf des Elektromonteurs und dann meiner Arbeit an einem Theater als Beleuchter zog es mich wieder zum Reportieren und Schreiben hin. Als Volkskorrespondent (sozusagen Laienjournalist mit kleiner Honorierung für Artikel) berichtete und schrieb ich für die Bezirkszeitung in meiner Stadt. Das machte Spaß und brachte mich in Kontakt mit interessanten Menschen und Institutionen. Man konnte auch durchaus Kritisches aufgreifen. Und ließ dies dann geschickt zwischen den Zeilen durchscheinen. Allerdings war klar (die Zeitung war eine der Bezirkszeitungen der SED, der führenden Partei in der DDR), dass einem da verständlicherweise gewisse Grenzen gesetzt waren. Das war einem klar und man arrangierte sich – so manches Mal zähneknirschend – damit. Die Schere im Kopf arbeitete beim Schreiben immer mit.
Als ich eines Tages von dieser Zeitung das Angebot einer Delegierung an eine Fachhochschule zwecks Ausbildung zum Journalisten bekam, war ich begeistert – aber ad hoc auch hin- hergerissen. Schließlich wurde erwartet, dass ich Mitglied der SED und damit „Parteijournalist“ würde. Ein fester Klassenstandpunkt im Sozialismus und das entsprechende Klassenbewusstsein (heute wird Haltungsjournalismus verlangt – ich komme noch darauf). Schließlich schlug ich das Angebot nach tagelanger Überlegung schweren Herzens aus. Denn ich bekam ja seinerzeit nicht nur Lob für meine Artikel, sondern auch manche Beschimpfung seitens einiger Kollegen meiner Arbeitsstätte, der Art: „Was haste denn da wieder in die Zeitung geschmiert.“
Meine Absage gründete sich auch auf die Situation eines Kulturredakteurs der Zeitung, welcher mir anlässlich manchen Theaterbesuchs (er schrieb u.a. Premierenkritiken) zu später Stunde während der Premierenfeier, wo er sich meist mit diversen Alkoholika die Kante gab, sein Leid als mehr oder weniger unglücklicher Journalist klagte. Dabei war er ja immerhin schon froh, dass er nicht in der Politik-Redaktion arbeiten musste.
Würde mich nicht auch so ein Schicksal wie das des besagten Kulturjournalisten erwartet haben, würde ich als Journalist dieser Zeitung gearbeitet haben? Hätte ich bestimmte „Kröten“ lieber schlucken sollen? Tempi passati …
Vorbilder im Westen
In der DDR sahen wir ja (außer im Raum Dresden – spöttisch als ARD bezeichnet) regelmäßig Westfernsehen. Ich war begeistert von Journalisten, wie Peter Scholl-Latour, Gerd Ruge, Klaus Bednarz, Gabriele Krone-Schmalz und anderen. Um nur einige zu nennen.
Wobei mir klar war, dass auch in der BRD nicht alles Gold war, was glänzte. Entsprechende kritische Berichte in Politmagazinen wie MONITOR, Panorama etc. brachten ja Unzulänglichkeiten und Skandale alljährlich an den Tag.
Auch bei westdeutschen Zeitungen waren damals in den 1970er und 1980er Jahren nicht bei jeder Redaktion jeder kritische Artikel willkommen. Zeitungen sind ja sogenannte Tendenzbetriebe. Dort bestimmt sozusagen der Verleger die politische Ausrichtung und somit, was ins Blatt kommt und was nicht. Aber Journalisten hatten ja damals durchaus eine gewisse Auswahl und konnten zu anderen Zeitungen wechseln.
Der Journalismus in Westdeutschland war zudem aber lange Zeit auf jedem Fall viel pluralistischer, als das heute der Fall ist.
Heute geht es gleichgerichteter zu, um es vorsichtig zu formulieren. Und es kam von bestimmter Bürgerseite der Vorwurf „Lügenpresse“ auf. Der Journalist Ulrich Teusch sprach passender von „Lückenpresse“. Und das betrifft auch die Öffentlich-Rechtlichen. Immer mehr Leute üben heruzutage zu Recht Kritik daran.
„Journalisten sind dumm“
Neulich hörte ich aus dem Mund einen gestandenen konservativ verorteten Journalisten in einer Radiosendung sagen: „Journalisten sind dumm.“ Nun, für manche dürfte das wirklich zutreffen, wenn man hört oder liest, was sie gerade jetzt in Zeiten hochgefahrener Kriegspropaganda von sich geben. Aber dieser Satz kann und soll wohl auch anders verstanden werden: Nämlich derart, dass eben auch Journalisten nicht alles wissen (und auch nicht wissen können). Das Schlimme ist jedoch: Bestimmte Journalisten tun im Brustton der Überzeugung und nicht selten auf überhebliche Weise (man muss sich nur mal an die Corona-Zeit erinnern! Ein Buch von Jens Wernicke und Marcus Klöckner haben ein Buch dazu veröffentlicht: hier) als hätten sie die Weisheit mit Riesenlöffeln gefressen.
Journalismus in den Orkus? Sagen, was ist!
Also, welches Fazit sollen wir angesichts des jämmerlichen Zustands des momentanen Journalismus ziehen: Fort mit ihm in den Orkus? Und dann? Klar, den auf den Hund gekommenen Journalismus wieder zu dem zu machen, wie er im Buche steht, braucht es Mut und jede Menge Kraft und Verstand. Denn so wie es ist, kann es schließlich nicht bleiben.
Und dieser dann „neue“ Journalismus musst unbedingt wieder das Credo eines Rudolph Augstein „Sagen, was ist“ beherzigen und mit Leben erfüllen. Dies tut ja selbst längst nicht mehr das einstige Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“.
Einer jungen Journalistin wie Julia Ruhs, deren Buch hier zur Debatte steht, traue ich zu, dazu beizutragen. Schon deshalb nenne ich deren Veröffentlichung ein wichtiges Buch
Zu Julia Ruhs schrieb Tobias Riegel auf den NachDenkSeiten:
«Der NDR hat sich von Moderatorin Julia Ruhs getrennt, wie Medien berichten. Künftig soll Ruhs nur noch in Folgen der Diskussionssendung „Klar“ zu sehen sein, die vom Bayerischen Rundfunk produziert werden. Laut einer Pressemitteilung des BR am Mittwoch sucht der NDR nun nach einer neuen Moderatorin. Die Sendung wird im Wechsel von den beiden Sendern produziert.
Eindruck der Intoleranz
Diese Entscheidung (weitere Hintergründe und Reaktionen finden sich etwa in diesem Artikel) hat eine große Diskussion ausgelöst. Der Schritt des NDR macht meiner Meinung nach einen schlechten Eindruck und ist abzulehnen: Auch wenn ich mit den Inhalten von Julia Ruhs persönlich nichts anfangen kann, so finde ich doch, dass auch eine solche Stimme im öffentlich-rechtlichen Rundfunk ausgehalten werden muss. Ruhs hat sich in dieser Nachricht auf X zu dem Vorgang geäußert. [ … ] Quelle: NachDenkSeiten«
Im Vorwort zu ihrem Buch schreibt Ruhs:
«In meinem Freundes- und Bekanntenkreis ist Medienschelte
nicht ungewöhnlich. Viele von ihnen haben ein Unwohlsein
entwickelt mit der Berichterstattung. Sie finden, Journalisten
nähmen sich zu viel heraus, sagten einem mit ihrer
Berichterstattung schon, welche Route der Kopf nehmen
soll. „Einordnung“ würden wir das nennen, dabei sei das,
was wir tun, vielleicht nicht immer gleich „Meinungsmache“,
zumindest aber „Meinungslenkung“. Die Infos herauszusortieren,
die nicht ins Weltbild passen. So Kontext zu
verschweigen. Die Fakten hineinzupacken, die der eigenen
Weltsicht in die Karten spielen. Framing. Manipulation.«
Und auch:
«Wer das Gendern doof findet, die Frauenquote ebenso,
illegale Migration ablehnt – und all das tue auch ich –, der
wird schnell gemaßregelt und zurechtgewiesen. Der muss
ständig aufpassen, dass ihm nicht fragwürdiges Gedankengut
unterstellt wird. Wenn dann noch die Falschen applaudieren
und die Richtigen schweigen, kann es passieren,
dass das Etikett an einem kleben bleibt. Dann ist man raus
aus dem Diskurs. Verbannt hinter die unsichtbaren Stadtmauern
unserer modernen Welt.«
Zuzustimmen ist ihr unbedingt hier:
«Echte Toleranz zeigt sich erst, wenn wir etwas ertragen,
das wir ablehnen oder sogar gefährlich finden. Denn nur
allzu oft gehört auch das noch längst zum demokratischen
Meinungsspektrum dazu.
Diese ganze mediale Dynamik wirkt auf mich oft so, als
solle die öffentliche Debatte nicht breit, sondern innerhalb
politisch erwünschter Narrative gehalten werden. Innerhalb
bestimmter Meinungskorridore. Medien definieren so, was
eine „erlaubte“ Meinung ist und was als „unerlaubte“ Meinung
gilt. Sie scheinen außerdem zu oft ein Thema richtig
groß zu machen, ein anderes aber liegen zu lassen. Mal übertrieben zu problematisieren, dann mal unkritisch abzufeiern.«
Was man zum Buch wissen muss
«Julia Ruhs war stets überzeugt, ganz normale Meinungen zu vertreten – bis sie Journalistin wurde. Sie sprach sich als Volontärin in der ARD gegen das Gendern aus und warnte später in einem Kommentar der „Tagesthemen“ vor illegaler Einwanderung. Sie sprach sachlich und mit Bedacht Themen an, die viele Menschen im Lande bewegen. Aber plötzlich war sie eine Exotin im Metier. Die Reaktion war ein linker „Shitstorm“, leider Normalität heutzutage. Die Politikjournalistin Julia Ruhs ist Reporterin beim Bayerischen Rundfunk sowie Kolumnistin für Focus Online. Dieses Buch ist ihr Plädoyer für eine offene Debattenkultur, in der auch kritische und unbequeme Meinungen Gehör finden müssen. Sie hinterfragt, gerade als Journalistin, den herrschenden Zeitgeist, der offenbar nur eine Richtung zuzulassen scheint. Und sie verdeutlicht, warum manche Meinungen laut und andere leise sind, warum Konservative im Journalismus Mangelware sind, weshalb sich Journalisten für besonders mutig halten, um trotzdem lieber mit dem Strom zu schwimmen. Und sie dokumentiert, wie ein Berufsstand, der Neutralität predigt, immer stärker polarisiert.«
Julia Ruhs über sich:
«Ich hatte immer ganz normale Meinungen – bis ich Journalistin wurde. Plötzlich war ich die Exotin. In der ARD öffentlich gegen das Gendern sein? In den Tagesthemen vor zu viel Zuwanderung warnen? Zack, schon war der linke Shitstorm da. Weil ich angeblich so ‚rechts‘ bin. Dabei denke ich wie viele Menschen in diesem Land. Nur offenbar nicht wie die Journalistenwelt.«
Julia Ruhs praktiziert eine sachliche unaufgeregte Analyse und lässt widerstreitende Meinungen zu Wort kommen, die anderswo unter den Tisch fallen oder als AfD-Sprech verteufelt werden
Julia Ruhs analysiert den statt habenden Journalismus akribisch und sachlich. Sie beklagt den sich verengt habenden Meinungskorridor sowie das oft belehrend daherkommende im Journalismus. Passend hierzu eine in der DDR sozialisierte Dame, die mit Julia Ruhs telefonierte und ihr sagte: „Es wird uns aufgezwungen, was wir zu denken, zu reden, zu essen, zu tun haben.“
«Man werde dauerberieselt, von wegen „die AfD ist scheiße, das sind alles Nazis, ihr solltet alle gendern.“ Und sie fügte dann trotzig hinzu:
„Aber wir lassen uns nicht irgendein Gedankengut überstülpen! So tickt der Osten. Wir haben viel mehr diese
Antennen, was wirklich um uns herum passiert.“ (S.22)
Diese Antennen haben die Menschen im Osten der Republik in Jahrzehnten entwickelt. Sie sind fein abgestimmt auf das, was sie empfangen und regieren sensibel.
Bezüglich des angeblichen Klimawandels, Geschlechterdebatte und bezüglich der Migration. Und Julia Ruhs belegt das mit zahlreichen Zuschriften aus dem Publikum. Sie bemerkte, dass in Ostdeutschland die Menschen oft sensibler und dementsprechend kritischer reagieren. Auch weil sie es lernten zwischen den Zeilen zu lesen. Kein Wunder: Denn sie haben jahrzehntelang unter vielfältiger Agitation eines Sozialismus, der m.E. keiner war, gelebt. Besonders über Zeitungen Rundfunk und Fernsehen. Weshalb DDR-Bürger nicht selten auf Westkanäle umschalteten. In der Realität jedoch sah vieles ganz anders, als DDR-Medien es verkündeten und trüber auf. Diesen Menschen kann auch der Westen kaum etwas vormachen. Und so wenden sie sich ab und immer öfter gehen sie auch nicht mehr wählen oder wählen AfD in der Hoffnung, so könnte sich etwas verändern. Den anderen Parteien vertrauen sie nicht mehr. Die Enttäuschung ist im Allgemeinen groß führt eben auch zu einem Vertrauensverlust betreffs der Medien und dazu, dass Journalisten zum Feindbild werden. (S.20) Viele Menschen wendete sich auch Russia Today (RT Deutsch) zu. Für die, wenn man so sagen will, so etwas wie früher das Westfernsehen: ein Korrektiv. Deutschland aber erdreistete sich RT zu verbieten. Allerdings ist es für findige Menschen – über Umwege – trotzdem noch zu erreichen.
Und in der Nachrichtensendungen „Tagesschau“ und „heute“ gibt es kaum noch wirkliche Nachrichten, die nämlich dazu da sind, dass sich anhand dessen die Zuschauer sich eine eigene Meinung bilden können. Stattdessen wird in die Ohren der Menschen hineingetrötet, wie sie gefälligst zu denken haben.
Julia Ruhs dürfte sich betreffs journalistischer Arbeit dem alten lateinischen Rechtsgrundsatz audiatur et altera pars verpflichtet sehen, der wörtlich übersetzt bedeutet: „Es soll auch die andere Seite gehört werden.”
Drei m.E. fragwürdige Zeitgenossen
Dass der ehemalig ZDF-Mann Claus Kleber in Sachen Meinungskorridor mal etwas Richtiges anmerkte, wenn er sagt, dieser sei mal größer gewesen, hätte ich an Julia Ruhs Stelle nicht so prominent erwähnt. Wie wir wissen, ist Claus Kleber Mitglied der Atlantikbrücke und tickt dementsprechend. Klar, ihm brauchte in der Tat niemand aus der Regierung sagen, was er wie aufs Tapet zu bringen hat. Es ist glaubhaft, was er einmal beteuerte. Als Atlantikbrücke-Mitglied hat er das eh verinnerlicht. (S.34)
Ruhs schreibt: «Selbst der damalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier stellte bei einer Medienpreis-Verleihung in Hamburg schon im Herbst 2014 fest: „Vielfalt ist einer der Schlüssel für die Akzeptanz von Medien. Die Leser müssen das Gefühl haben, dass sie nicht einer einzelnen Meinung ausgesetzt sind.“ (S.34/35) Gut gebrüllt, Herr Steinmeier! Er ist einer größten Spalter hierzulande. Zur Erinnerung: Einer seiner Vorgänger (meines Einschätzung nach der letzte gute Bundespräsident), Johannes Rau, hatte folgendes Credo: „Versöhnen statt Spalten.“ Ebenso hätte ich Herrn Steinmeier nicht positiv hervorgehoben.
Selbst der stets eloquent wie pastoral daherredende Joachim Gauck (das SPD-Urgestein Albrecht Müller nannte ihn «Der falsche Präsident«) kommt bei Jula Ruhs zu Ehren:
«Der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck hat es einmal wunderbar treffend ausgedrückt: In einer vielfältigen
Gesellschaft könne es nicht nur harmonisch zugehen, sagte er. Streit sei der Lebenshauch einer lebendigen Demokratie – die Suche nach einem Konsens sei das Einatmen, der Streit das Ausatmen. Ein schönes Bild, oder? Deutschland braucht dringend wieder dieses tiefe Ein- und Ausatmen. Denn wenn wir zu oft die Luft anhalten, wächst bei manch einem der Zweifel, ob wir überhaupt noch in einer echten Demokratie leben.« (S.37) Gab es die denn je, möchte ich ketzerisch fragen.
Da stockt mir doch der Atem! Leute, haltet öfters die Luft an!
Apropos Zweifel: Karl Marx postulierte: „An allem ist zu zweifeln“
Man sehe mir meine kleine Meckerei nach.
Links-grünen Meinungsmacht. Julia Ruhs arbeitet das gut heraus und begründet so die Wahl ihres Buchtitels
Dass wir es mit einer „Links-grünen Meinungsmacht“ zu tun haben dämmerte selbst mir erst relativ spät. Julia Ruhs arbeitet das gut heraus und macht das an Beispielen fest.
Journalisten kommen oft aus gut situierten Akademiker – Haushalten
Dass es so ist, ist gewiss auch damit erklärlich, wenn man sich einmal informiert, woher künftige Journalisten meist kommen. Nämlich nicht selten aus Akademiker-Haushalten. Die obendrein durchaus links-grün eingestellt sind. Und die in der Regel auch gut situiert sind. Denn Praktika und auch Journalistenschulen kosten schließlich und sind meist außerhalb der Heimatorte. Oft sind auch dort die Mieten für Studenten nicht von Pappe. Wenige Eltern können ihre Sprösslinge entsprechend finanziell unterstützen.
Bei einer anderen Rezension zu einem Buch des Journalisten Patrik Baab fiel mir der Ex-SPD-Bundestagsabgeordnete Marco Bülow ein. Auch er ist Journalist geworden. Er stammt aus keinem Akademiker – Haushalt. Die Familie lebte in einem Dortmunder Problemviertel. Ich zitiere aus dieser Rezension betreffs Bülow: «Das ist auch eine Geschichte für sich. Sie stammen oft aus Akademiker- oder sonst wie gut situierten Haushalten. Sie wohnen in Stadtvierteln, in welchen Menschen mit gleichem Hintergrund bevorzugt leben. Sie besuchen die gleichen Szenekneipen. Die rezipieren die gleichen Medien. Übrigens sagt dies der Ex-SPD-Bundestagsabgeordnete Marco Bülow aus Dortmund, selbst gelernter Journalist auch von den über die Jahre frisch in den Bundestag gewählten Abgeordneten: „Als Bülow in den Bundestag kam, waren selbst allein in der SPD-Fraktion fast alle Akademiker gewesen. Doch ihre Eltern und Umfeld waren es nicht. Heute sehe es anders aus. Man kenne Probleme von Kindern aus Nichtakademikerfamilien überhaupt nicht, komme ja mit ihnen nicht in Berührung.« (Link zur Rezension des Baab-Buches, welches ich allen Journalisten nur ans Herz legen kann.)
Und gelinge dann Journalisten aus Nichtakademikerfamilien der Sprung in eine Redaktion, fehle ihnen der nötige Stallgeruch, liest man.
Als ein großes Problem empfindet Julia Ruhs den Haltungsjournalismus. Fast alle Redaktionen in den Medien hat er durchdrungen. Kritik am Haltungsjournalismus soll freilich nicht heißen, man solle keine Haltung haben. Wie wir alle wissen, hat jeder Mensch eine bestimmte Haltung. Heutzutage heißt Haltungsjournalismus, dass man als Journalist fürs Gendern, den Klimaschutz und die hundertprozentige Akzeptanz der Klimawandel-Theorie einstehen muss. Fraglos auch in der LGBTQ- und Geschlechterdebatte die „richtige“ Meinung haben muss. Jula Ruhs zitiert jemanden, der sagt Links und Rechts gebe es nicht mehr, sondern nur noch Gut oder Böse.
Unter Journalisten ist es eh verbreitet, dass man für das Gute eintreten möchte. Was verständlich ist. Man muss nur aufpassen, sich nicht zu vertun.
Diesbezüglich zitiert Julia Ruhs den einstigen Tagesthemen-Moderator Hanns-Joachim Friedrichs zugeschriebenen Satz: „Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten.“
Julia Ruhs hat offenbar viel aus ihrer praktischen journalistischen Arbeit und obendrein aus den im Buch zitierten Mails, Zuschriften und Telefonaten mit Zuschauern mitgenommen und gelernt. Auch, wenn sie gesteht hin und wieder erzürnt über manches in der Medienwelt transportierte wütend sein kann, ist sie – was aus ihren Zeilen spricht – nicht pessimistisch. Nein, sie ist fest entschlossen, den Journalismus zusammen mit sich hoffentlich finden lassenden Mitstreitern wieder zu einem Journalismus zu machen, wie er eigentlich gedacht war. Was u.a. nur damit geht sich für mehr hohe Meinungsvielfalt einzusetzen und denn verengten Meinungskorridor wieder aufzustemmen, damit auch wieder Meinungen und Informationen sicht- und hörbar werden, die die Mächtigen allzu gerne verbergen möchte, weil sie ganz offenbar deren Kreise und Machenschaften stören. Dies muss auch für Meinungen und politische Ansichten gelten, denen man als Journalist nicht unbedingt zustimmt. Getreu dem lateinischen Rechtsgrundsatz audiatur et altera pars.
Aus dem Nachwort zum Buch
Zu den Nachrichten, welche sie von Zuschauern und Lesern erhält, hält Julia Ruhs im Nachwort zu ihrem Buch fest:
«Diese Nachrichten haben mir immer
wieder gezeigt, wie aufmerksam die Menschen sind. Wie
gut sie Zusammenhänge erkennen. Und dass wir Journalisten
uns ja nicht anmaßen sollten, zu glauben, wir lebten
intellektuell in höheren Sphären.
Doch ihre Nachrichten zeigen mir auch etwas anderes:
Frust. Enttäuschung über die Berichterstattung. Das
Gefühl, nicht gehört oder gar bewusst missverstanden zu
werden. Viele wenden sich ab, suchen Zuflucht bei alternativen
Medien und Social Media Accounts – und blicken
dann oft noch feindseliger auf die „etablierten Medien“.
Und auf meinen Arbeitgeber, den öffentlich-rechtlichen
Rundfunk.
Ich bin überzeugt: Wenn klassische Medien wieder für alle da sind, alle Stimmen abbilden, Empathie auch für jene
zeigen, deren Meinung und Wahlentscheidung sie nicht
teilen, würde dies das gesellschaftliche Klima verändern.
Dann würde der Ton weniger unerbittlich, der Diskurs offener.
Wir brauchen wieder einen Debattenraum, in dem
niemand aus Angst vor Konsequenzen schweigt oder sich
in eine Nische zurückzieht.
Für alle da zu sein, kann auch bewirken, dass wir Vertrauen
in Medien zurückholen, gesellschaftliche Spaltung
überwinden. Und dieses Vertrauen brauchen wir dringend.
Denn mit einer Flut an Falschinformationen, Deepfakes also täuschend echten KI-generierten Bildern und Videos
– was bleibt uns dann in Zukunft noch, außer dem
Vertrauen der Menschen?« […]
Und schließt sie ab:
[…] «Aber dabei sollten alle Seiten fair bleiben. Journalisten
haben sich nicht verschworen, um zu lügen. Ich habe noch
keinen getroffen, der bewusst Lügen oder Regierungspropaganda
verbreitet. Genauso wenig sollten wir anderen unterstellen,
sie seien dumm, nur weil sie zu anderen Schlüssen
kommen. Jede politische Meinung, die auf dem Boden
des Grundgesetzes steht, hat ihre Berechtigung. Wer ausgrenzt,
treibt Menschen erst recht in die Radikalität.
Ich wünsche mir eine Gesellschaft, die Streit nicht
als Bedrohung sieht. Sondern als etwas Notwendiges. Als
Fortschritt. Denn offene, kontroverse Debatten sind kein
Risiko für die Demokratie – sie sind ihr Motor.«
Gern und mit großem Interesse gelesen. Ein wichtiges Buch in schwierigen Zeiten. Höchst informativ und verständlich zu rezipieren. Julia Ruhs ist zu danken, dass sie es geschrieben hat. Mögen es viele Menschen zur Kenntnis nehmen. Unbedingt auch die Kolleginnen und Kollegen der Journalistenzunft! Lassen wir nicht zu, dass der Journalismus kaputt bleibt. Haben wir Mut, ihm wieder aufzuhelfen. Im Interesse von uns allen. Denn bedenkt: Der Hut brennt! Die Spaltung der Gesellschaft ist jetzt schon bedenklich.
Das Buch
Julia Ruhs
„Links-grüne Meinungsmacht“
Herausgeber : Langen-Müller Erscheinungstermin : 18. August 2025 Auflage : 1. Sprache : Deutsch Seitenzahl der Print-Ausgabe : 208 Seiten ISBN-10 : 3784437494 ISBN-13 : 978-3784437491 Abmessungen : 13.7 x 1.8 x 21.5 cm 20 Euro
Die alltägliche Kriegshysterie in vielen deutschen Medien, einschließlich der des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist nicht nur für mich inzwischen schier unerträglich. Gleichzeitig ist aber auch via Kommentaren zu derlei unsäglich dummer Kriegshysterie unter Meldungen von großen Medien Widerspruch und Empörung von deren Rezipienten zu lesen. Auch kritische Leserbriefe nehmen offenbar zu. Wenn sie denn veröffentlicht würden. Was hilft gegen solche Kriegspropaganda? Entweder der Abschaltknopf an den elektronischen Geräten oder die Abbestellung von Printmedien, die nicht nur gegen journalistischen Grundsätze, sondern auch gegen das Grundgesetz verstoßen.
Einen dieser Leserbriefe möchte ich meinen Lesern hier zur Kenntnis geben. Dieser wurde von dem Antifaschisten Ulrich Sander aus Dortmund verfasst und an die Ruhr Nachrichten gesendet.
Der Text eines Leserbriefs von Ulrich Sander (84) vom 24. 04. 25 an die Ruhr Nachrichten in Dortmund
«Wenn das der Führer noch erlebt hätte. 80 Jahre nach dem 8. Mai 1945 stehen wieder 1600 kriegstüchtige deutsche Soldaten mit einer Unmenge von Panzern auf dem Gebiet der einstigen UdSSR. Sie sind Partner von Soldaten, welche die Russen verteufeln, wie Sie berichten (im „Thema des Tages“ vom 24. April, über den „Ernstfall“.) Gibt es einen berechtigten Grund dafür? Ein Staatssekretär Dr. Thomas Bagger erklärte: „Äußerungen des Präsidenten der Russischen Föderation, Wladimir Putin, wonach eine Wiederherstellung der Sowjetunion beabsichtigt werde, sind der Bundesregierung nicht bekannt.“ Und die Bedrohungsanalyse der amerikanischen Geheimdienste besagt: „Russland will mit ziemlicher Sicherheit keinen direkten militärischen Konflikt mit den Streitkräften der USA und der NATO und wird seine asymmetrischen Aktivitäten unterhalb der seiner Schätzung nach globalen militärischen Konfliktschwelle fortsetzen.“ Warum also die ständige Kriegshysterie in Medien und Politik? Um die gewaltigen schwarz-roten Rüstungsausgaben zu begründen? Was würden die Medien schreiben, wenn 1600 russische Soldaten mit Panzern an der deutschen Grenze aufmarschierten? Geht ja nicht, also dann auf ungarischem Gebiet beispielsweise? Ganze Zeitungsseiten geben Sie für die Kriegshysterie her und nie auch nur eine Spalte mit Alternativen aus der Friedensbewegung.
Sind Sie nun völlig durchgeknallt? Gestern war „Trainieren für den Ernstfall“ das Thema des Tages, heute „Die Panzer müssen rollen“.
Ich sandte Ihnen gestern einen Leserbrief, siehe Anhang. Es steht am Ende: „Ganze Zeitungsseiten geben Sie für die Kriegshysterie her und nie auch nur eine Spalte mit Alternativen aus der Friedensbewegung“.
Sollte mein Leserbrief nicht auf der Leserbriefseite stehen, werde ich öffentlich zur Abbestellung Ihrer RN auffordern.
Denn Sie verstoßen gegen das Friedensgebot des Grundgesetzes und gegen Artikel 26 – Verbot der Vorbereitung eines Angriffskrieges.
Und 139, Befreiung vom NS und Militarismus.«
Update am 27. April 2025
Ulrich Sander sendete mir (Claus Stille) Ergänzungen bezüglich weiterer nicht in den Ruhr Nachrichten (RN) erschienener Leserbriefe.
«Kürzlich, an Gründonnerstag!, brachten die RN eine ganze Seite Gespräch mit dem Kath. Militärbischoff Franz Josef Overbeck aus Essen. Überschrift: Kein Frieden um jeden Preis. Der Mann setzte sich für die Wehrpflicht ein und mahnte die Politik zu mehr Unterstützung für Kiew, gegen Russland.«
Ich schrieb: «Sehr geehrte Redaktion der RN!
Mein Leserbrief zum RN-Interview mit dem Herrn kath. Militärbischof Franz Josef Overbeck besteht in einem Text aus der Feder seiner Vorgänger aus dem Jahr 1939:
Im „Katholischen Feldgesangbuch“, genehmigt von den Katholischen Feldbischöfen der deutschen Wehrmacht am 24. August 1939 (eine Woche vor dem Überfall auf das katholische Polen!) heißt es am Beginn unter der Überschrift „Deutsches Soldatentum“: „Die Wehrmacht … schützt das Deutsche Reich und Vaterland, das im Nationalsozialismus geeinte Volk und seinen Lebensraum. Die Wurzeln ihrer Kraft liegen in einer ruhmreichen Vergangenheit, im deutschen Volkstum, deutscher Erde und deutscher Arbeit. Der Dienst in der Wehrmacht ist Ehrendienst am deutschen Volke. – Die Ehre des Soldaten liegt im bedingungslosen Einsatz seiner Person für Volk und Vaterland bis zur Opferung seines Lebens.“
In dem Feldgesangbuch folgt der „Fahneneid des deutschen Soldaten“ auf Adolf Hitler, und in einem vorgeschriebenen Gebet wird ausgesagt: „An der Front ist mein Platz, und wenn es mir noch so schwer fällt. Falle ich dort, was macht das! Morgen läuten die Glocken das Auferstehungsfest ein, – welch eine Hoffnung! Sterben müssen wir alle einmal, und einen Tod, der ehrenvoller wäre als der auf dem Schlachtfeld in treuer Pflichterfüllung, gibt es nicht.“ (Seite 13) Es folgen Gebete für Führer, Volk und Wehrmacht. „Laß uns alle unter seiner (Hitlers) Führung in der Hingabe an Volk und Vaterland eine heilige Aufgabe sehen, damit wir durch Glauben, Gehorsam und Treue die ewige Heimat erlangen im Reiche Deines Lichtes und Deines Friedens. Amen.“ (Seite 20).
Mit freundlichen Grüßen
Ulrich Sander «
Einschub meinerseits: Die NachDenkSeiten schreiben am 25. April 2025:
«Leserbrief zu Ihrem anonymen (?) Leserbrief gegen die Ostermärsche in Dortmund (am 22.4.25 im RN-Lokalteil) Re: Zu „Zurückdrängen aus den Gebieten“
Auf dem Nato-Gipfel 2008 in Bukarest war es Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) klar gewesen, wie sie sich im Juni 2022 im Gespräch erinnerte: „Ich wusste, dass die Zustimmung zur Mitgliedschaftsoption für die Ukraine und Georgien eine Kriegserklärung für Russland bedeutet.“ Zur Gesprächsbereitschaft Putins gibt es durchaus Belege, sie werden nur in den Medien nicht gebracht. Und gegen Russland ist Abschreckung und Hochrüstung nötig? Hat der Autor sich mal mit dem Kräfteverhältnis – dem aktuellen – befasst? Russland ist der NATO schon heute hoffnungslos unterlegen. Die derzeitigen wahnsinnigen Rüstungspläne der neuen Koalition, die uns sozial- und klimapolitisch ruinieren, können in einen Dritten Weltkrieg einmünden, im Atomzeitalter ist danach von Europa kaum noch etwas übrig.
Ulrich Sander, Dortmund«
Noch ein Beispiel aus der Sammlung nicht veröffentlichter Leserbriefe an die Ruhrnachrichten:
Am 01.04.2025 um 05:09 schrieb Ulli Sander:
«Guten Morgen, sehr geehrte Redaktion der RuhrNachrichten!
Es ist vier-Uhr-vierzig. Bin seit einer Stunde wach. War mal wieder hochgeschreckt,
fragte mich: Wird Putin uns heute überfallen? Oder hat er schon? Mir fällt die Seite zwei IhrerZeitung von gestern ein. Es gelte Vorrat für sechs Tage zu halten. Also geht es wohl bald los. Nun noch schnell nachsehen, ob auch der Handkoffer mit dem
Nötigsten bereit steht, denn es kann ja auch gleich losgehen mit der Brandstiftung durch kriminelle Ausländer. Ach ja, auch noch in den Kühlschrank schauen, ob Zartbitterschokolade gegen den Heißhunger vorrätig (guter Tipp von dem
Autor gestern). Vielleicht gelingt mir dann wieder das Einschlafen. Oder hol ich doch die Zeitung aus dem Briefkasten? Auf ein Neues mit der Hysterie? Dann finde ich auf dem Bildschirm die Mail eines Freundes: Ich soll den Aufruf gegen den
‚Atomkrieg aus Versehen‘ unterschreiben. Ach, er nun auch? Aber der Text hat wohl wirklich seine Berechtigung.
Ulrich Sander, Dortmund«
Update am 29. April 2025
Wie alles anfing.
Brief von Ulrich Sander an den RN-Verleger.
„Sehr geehrter Herr Lensing!
Werte Redaktion der RN!
Mit der Ausgabe der RN vom 31. Oktober 24 wurde deutlich gemacht, dass Sie zurück wollen zum Blatt der Adenauer-Zeit, auf die Sie sich stolz beziehen. Es wurde uns tagelang verdeutlicht, dass wir künftig eine Zeitung zu lesen bekommen sollen, die unseren Oberbürgermeister Thomas Westphal weg haben will, um an seine Stelle bei den nächsten Wahlen einen CDU-Mann durchzubringen. Einen Merz-Mann. Einen, der den Armen das Bürgergeld nehmen will und uns allen den Krieg mit deutschen Waffen, in Richtung Moskau vorgetragen, aufzwingen will. Sie, Herr Lensing, verlassen sich darauf, dass die Adenauer-Zeit den meisten Menschen nicht mehr bekannt ist. Es war die Zeit des Grundgesetzes, schreiben Sie. Adenauer hat es ändern lassen, so dass es Hitler-Generälen möglich wurde, hemmungslos aufzurüsten, die Wehrpflicht gegen die männliche Jugend in Stellung zu bringen und per Notstandsgesetze die Armee im Inneren einsetzen zu können.
SPIEGEL-Chef Rudolf Augstein hat 1961 in „Bilanz der Bundesrepublik“ ganz offen formuliert: „Die neue deutsche Armee wurde nicht gegründet, um den Bonner Staat zu schützen, sondern der neue Staat wurde gegründet, um eine Armee gegen die Sowjets ins Feld zu stellen.“
Soll vergessen sein, dass in der Adenauer-Zeit tausende Kommunistinnen und Kommunisten per Parteiverbot kriminalisiert wurden und ins Gefängnis wanderten? Nicht vergessen ist jedenfalls die unheilvolle Rolle des Adenauer-Staatssekretärs Hans Globke; unter Hitler war er Mitautor der Gesetze gegen die Juden. Nein und nochmals Nein zur Renaissance der Adenauerzeit. Nein zu einem CDU-Oberbürgermeister. Thomas Westphal ist Mayor for Peace, ein CDU-Mann wäre höchstwahrscheinlich Mayor for War.
Mit freundlichen Grüßen und um Abdruck meines Briefes ersuchend
Ulrich Sander, Jahrgang 1941, Dortmund
Der Brief wurde nicht abgedruckt, wie auch alle in den letzten sechs Monaten geschriebenen.“
Ich bin gespannt darauf, ob die RN die Leserbriefe veröffentlichen. Ich werde hier darüber informieren. (Claus Stille)
Foto: Claus Stille
Beitragsbild: Ulrich Sander via U. Sander
Update am 28. April 2025
Zum Schluss eine Empfehlung an die „Sitzredakteure“ (Patrik Baab) der Ruhr Nachrichten (und in anderen Medien), die ja gewiss überhaupt nicht wissen, was Krieg bedeutet, aber jeden Tag munter Kriegshysterie schüren:
Warum bringen die RN nicht den Text des erfahrenen Journalisten Patrik Baab, der auf Manova erschienen ist:
Mir graust es von Tag zu Tag mehr. Wir leben m.E. in schlimmen Zeiten. Egon Bahr mahnte einst gar: Wir leben in Vorkriegszeiten. Seit Jahren warnt Papst Franziskus vor einem „schrittweisen Dritten Weltkrieg“. (Quelle: Domradio.de) Läuft der gar schon? Sind wir bereits mittendrin?
Hetzen in den Krieg
Wieder einmal hetzen uns bestimmte deutsche Politiker und zusätzlich offenbar von allen guten Geistern verlassene Journalisten wie schon einmal vor dem Ersten Weltkrieg unablässig in einen Krieg gegen Russland. Man fasst sich ob so viel Dummheit und so offenbar zutage tretendender Geschichtsvergessenheit samt Bildungsdefiziten an den Kopf. Aus der Geschichte ist augenscheinlich nichts gelernt worden. Lesen diese Kriegshetzer keine Bücher? Beispielsweise empfehle ich Stefan Zweigs Roman „Die Welt von Gestern“. Aber es gibt ja viele Regalmeter weitere augenöffnender Bücher mehr! Darin schwarz auf weiß jede Menge Wissen und aufgeschriebene bittere Erlebnisse und daraus erwachsene Weisheiten! Aber all das – so zumindest hat es den Anschein – sind Perlen, die quasi vor die Säue geworfen sind. Oder täusche ich mich da?
Immer neue Ängste werden geschürt
Es wird mit Angst gearbeitet. Erst die Angst vor einem Virus, dann die Angst vor der Klimakatastrophe und nun die Angst abermals vor dem Russen, der schon bald in Brandenburg und sicher in Kürze am Brandenburger Tor steht.
Wer hier und da der Propaganda nicht auf den Leim geht, berechtigte Fragen stellt und Kritik übt, dem wird – bedroht er das ins Werk gesetzte, aus allen Rohren verbreitete Narrativ in den Augen der Mächtigen allzu stark und hat auch noch eine entsprechende Reichweite – wird versucht auszuschalten. Wir hören von Kontokündigungen, Kanallöschungen bei You Tube und dergleichen gesellschaftlichen Ausgrenzungen mehr. Bis hin zum Verlust des Arbeitsplatzes. Und der Reputation sowieso. Unter bestimmten Umständen wird eine solche Person sogar zum Staatsfeind erklärt.
Den Film „Plötzlich Staatsfeind“ wollte keine öffentlich-rechtliche Fernsehanstalt ausstrahlen
Der Filmemachers und Regisseur Imad Karim hat darüber einen sehenswerten, bewegenden Film gemacht. Den Film „Plötzlich Staatsfeind“ hat er mittels eigenem und durch Spenden erhaltenes Geld produziert und veröffentlicht. Trotz Anfrage an mehrere öffentlich-rechtliche Sendeanstalten wollte keiner der Sender diesen Film ausstrahlen. Ich empfehle diesen Film ausdrücklich. Hier lesen Sie gerne mehr darüber.
Dem Roman „Abkehr“ erging es ähnlich wir dem Film
Bereits einige Zeit bevor ich auf den Film von Imad Karim stieß, kam mir der Roman „Abkehr“ von Birk Meinhardt in die Hände. Auch Meinhardt hatte Probleme mit seinem Werk. Er fand keinen Verlag. Sein Buch, beschied man ihm zumeist, fänden man gut, es passe jedoch nicht so recht in die Linie des Verlages. Aha! Nachigall, ick hör dir trapsen.
Aber auch für Meinhardts Buch ergab sich eine Lösung, damit es seinen Weg zu den Lesern finden konnte: Es wurde am 1. Juli 2024 eigens der Verlag Vabanque gegründet, um Abkehr herauszubringen.
Zum Buch informiert der Verlag:
«Erik Werchow findet sich plötzlich inhaftiert, obwohl er nichts getan hat. Nichts? Schreibend erkundet er seinen Weg in die Anstalt hinein, und während er jeden Tag intensiver Persönliches und Politisches notiert und während er lernt, sich im rauhen Gefängnisalltag zu behaupten, wird die Lage im Lande immer dramatischer. Zu seiner Überraschung erlangt er, der Isolierte, draußen Bekanntheit. Menschen beginnen, sich auf ihn zu beziehen. Bald wird er für die Oberen zur ernsten Gefahr … «
Eine Geschichte, so wahr, wie eine Geschichte sein kann, die in naher Zukunft spielt.«
Man fühlt sich Kafkas „Der Prozeß“ erinnert.
Und auf der Buchrückseite lesen wir:
«Niemand kommt ins Gefängnis, nur weil er seine Meinung geäußert hat? Das mag vor ein paar Jahren noch gegolten haben, aber heute? Ich sitze doch. Und ich hab noch nichtmal meine Meinung geäußert. Hab ich nicht, aber man hat es schon als Meinungsäußerung genommen, was ich mit meinem Gesicht gemacht hab, und hat mich deswegen und aus keinem Grund sonst in die hiesige Anstalt verbracht, so war es doch, oder!«
Als erste Rezension zum Buch traf ich auf die von Oskar Lafontaine auf den NachDenkSeiten:
«Meinhardt hatte das Buch vorher Verlagen angeboten. Die fanden es auch gut, aber kamen zu dem Ergebnis, dass es nicht so recht in die Linie des Verlages passe. Kein Wunder, wenn man bedenkt, dass der Held seines Buches, Erik Werchow, sein Alter Ego, vom menschenverachtenden Kapitalismus spricht und von sich behauptet, er rieche jede Propaganda meilenweit gegen den Wind. Weil das so ist, stinkt es ihm in einer Gesellschaft, in der selbsternannte Demokratiewächter alle verfolgen wollen, die den Staat verhöhnen. Ein solch aufmüpfiger Ossi landet im Roman im Gefängnis, und der Held kommentiert das entsprechend:„Niemand kommt ins Gefängnis, nur weil er seine Meinung geäußert hat? Das mag vor ein paar Jahren noch gegolten haben, aber heute? Ich sitze doch.“
Die Ostdeutschen haben gelernt, dass man sich gegen Enteignung wehren muss, und das gilt für Werchow nicht nur, wenn es um Häuser oder Grundstücke geht, sondern auch, wenn einem die eigene Sprache genommen wird: „Viel zu bereitwillig haben wir eure Bezeichnungen sogar für die uns vertrauten Stätten unserer Kindheit und Jugend verwendet, und wer sich wie wir fremde Wörter zur Beschreibung des eigenen Lebens nimmt, der übernimmt, ohne dass er’s recht begreift, fremde Gedanken und ist bald kein bisschen mehr eigen“.
Dieser Ostdeutsche hat wirklich merkwürdige eigene Gedanken und fragt, warum wir die Amis Freunde und Verbündete nennen, „wenn doch ihre Truppen seit Jahrzehnten in andere Länder einfallen, in Länder, die nicht einmal einen kleinen Krieg vom Zaun gebrochen haben? Die Aggressoren sind seit längerem sie, korrekt?“
Wer so unangepasst denkt, kann auch in seinem Beruf nicht zurechtkommen. Der Held des Romans war Angestellter in der Werbeabteilung eines Pharma-Konzerns und hält das nicht lange aus: „Ich konnte nicht länger verdrängen, was geschah. Wir erfanden eine Krankheit, um ein Mittel gegen sie zu verkaufen und auf die Art Kohle zu machen“.
In der Coronakrise gehört er zu den Ungeimpften und liest, dass er ein gefährlicher Sozialschädling ist, der die Gesellschaft in Geiselhaft nimmt. Die gesamte Gesellschaft solle mit dem Finger auf ihn zeigen. Was drückt sich in diesen Schmähungen aus, fragt er. „Niedertracht, Hass, Menschenverachtung, Lust an Unterwerfung, übergehend in den Wunsch nach Vernichtung, mit einem Wort – faschistoides Denken.“
Ein Ostdeutscher, der faschistoides Denken entlarvt, wo doch fast jeder dritte Ostdeutsche AfD wählt, wie kann man das zusammenbringen? Ganz einfach, indem man begreift, in welchem Umfang das faschistoide Denken nicht nur bei einschlägig bekannten Rechtsextremen, sondern längst in der selbsternannten demokratischen Mitte angekommen ist. Dieser lesenswerte Roman zeigt, wohin sich unsere instabile Gesellschaft entwickeln kann und ist eine Fundgrube für alle Unangepassten, die das eigene Denken noch nicht verlernt haben.«
Spannend und fesselnd ist der Roman, aber auch alarmierend
Kurzerhand bestellte ich mir das Buch vor fast einem Jahr. Und las es mit großem Interesse. Es packte mich. Spannend! Fesselnd! Und alarmierte mich. Trotzdem die mir darin behandelte Thematik nichts Neues war. Wie schrieb ich doch eingangs den Buches: Wir leben m.E. in schlimmen Zeiten. Und zwar in vielfacher Hinsicht. Und es wird meiner Meinung nach immer noch schlimmer.
Muss man inzwischen einen Bademantel parat haben?
So mancher getraut sich inzwischen seine Meinung nicht mehr offen zu sagen. Und wer es dennoch tut, dem wird nicht selten scherzhaft entgegnet: „Ich hoffe, du hast einen Bademantel parat!“ Aber zum Lachen ist einem nicht so recht zumute. Den die Sache mit dem Bademantel hat einem ernsten Grund. Denn das Bundesinnenminsterium (BMI), Innenministerin Nancy höchstselbst, hatte am 16. Juli 2024 den angeblich rechtsextremistischen Verein „COMPACT-Magazin GmbH“ nebst seiner Teilorganisation „CONSPECT FILM GmbH“ verboten. Nebenbei bemerkt handelt es sich gar nicht um einen Verein.
Ein Skandal: Ein journalistisches Medium wurde verboten! Das BMI erklärt auf seiner Seite später: „Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) ist am 14. August 2024 dem Antrag der „COMPACT-Magazin GmbH“ gefolgt und hat die aufschiebende Wirkung der Klage des Vereins gegen sein Vereinsverbot bis zur Entscheidung in der Hauptsache wiederhergestellt.“
Im Morgengrauen war damals COMPACT-Chefredakteur Jürgen Elsässer von vermummten Polizisten herausgeklingelt worden. Er öffnete im Bademantel. Inzwischen lässt das COMPACT-Magazin diesen Bademantel nachschneidern. Er kann dann von Interessenten erworben werden, die bei einer möglichen Razzia entsprechend angezogen sein wollen.
Meinhardts Roman geht gesellschaftlichen Fehlentwicklungen nach
Meinhardts Roman spiegelt gesellschaftliche Entwicklungen und Fehlentwicklungen seit dem Ende der DDR von 1989 und der sogenannten Wiedervereinigung Deutschlands. Nebenbei: Der Journalist Ralph T. Niemeyer spricht (vielleicht treffender und ehrlicher?) von einer der „Niedervereinigung“. Dazu u.a. hier erwähnt.
Die Handlung des Buches ist in der Zukunft angelegt. Ein dystopischer Roman. Doch Leser, die wach durchs Leben gehen, bemerken mit vielleicht mit steigendem Unbehagen: Eine Dystopie, welche durchaus inzwischen nahe am Heute ist. Meinhardt erzählt die Geschichte eines einstigen Werbemaklers und Trauerredners, der aufgrund seiner Betätigung in einem literarischen Zirkel und von öffentlichen Auftritten mit einer Gesichtsmaske ins Visier der Polizei und bald darauf in Untersuchungshaft gerät.
Ich empfehle heute – etwas verspätet – den Roman „Abkehr“. Es lohnt sich ihn zu lesen, versprochen.
Abkehr
Herausgeber : Vabanque Verlag (5. August 2024)
22,00€
Über den Autor und weitere Mitwirkende
Birk Meinhardt, geboren 1959 in Berlin-Pankow. Nach dem Mauerfall Reporter bei der „Süddeutschen Zeitung“. Erhielt zweimal den Egon-Erwin-Kisch-Preis. Seit 2012 Schriftsteller. Sein Roman „Brüder und Schwestern“ (Hanser, 2013) war für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert, sein Erfahrungsbericht „Wie ich meine Zeitung verlor“ (Das Neue Berlin, 2020) wurde zum Bestseller. Letzte Veröffentlichung: „Mein Bornholm“ (mare, 2022).
Hintangesetzt und zur Lektüre empfohlen
Abschließend ist es mir ein Bedürfnis noch ein paar andere Buchempfehlungen hintanzusetzen und zur Lektüre empfehlen, die sowohl zum erwähnten Film „Staatsfeind“ von Imad Karim sowie dem Roman „Abkehr“ betreffs einer beängstigenden Entwicklung nahe kommen
Heute um 8:30 Uhr wird Julian Assange vor der Parlamentarischen Versammlung des Europarates (PACE) aussagen. Er ist gestern mit seiner Familie in Frankreich eingetroffen. Er scheint in guter Verfassung zu sein und seine Arbeit für Frieden und Menschlichkeit weiterverfolgen zu wollen. Dazu hat seine Frau Stella sich vor Kurzem geäußert. Hier ist der Link zur Liveübertragung von Assanges Aussage vor dem Europarat, die um 8:30 Uhr beginnt. Später mehr zum Thema. Von Moritz Müller.
Mit Gedichten ist es ja so eine Sache. Wer erinnert sich nicht an die Schulzeit, wo Gedichte zuweilen auswendig gelernt und vor versammelter Klasse – unter Lampenfieber – vorgetragen werden mussten?
Klar, es mochte sich die eine oder der andere dann womöglich auch zu Schulzeiten der Liebe wegen an das Verfassen eigener Gedichte – welche gewiss mehr oder weniger gelungen waren – gemacht haben.
Für Viele war jedoch nach Abschluss der Schule dann auch Schluss mit Gedichten.
Wie viele von uns haben später schon einmal Lyrik in Buchform erworben? Selbst habe ich schon ein paar Bücher mit Lyrik im Regal stehen. Auch in Zeitungen und Zeitschriften lese ich ab und zu einmal das eine oder andere Gedicht. Freilich ist auch bei mir in Sachen Rezeption von Lyrik noch Luft nach oben.
Wer Lyrik schreibt, wird in der Regel nicht reich davon und kann schon gar nicht allein davon leben. Dennoch drängt es zu allen Zeiten Menschen, in denen eine Dichterin, ein Dichter wohnt, immer wieder dazu, herauszubringen, was da aus ihnen hinaus will – ja: muss!
Zu dieser Spezies dürfte Anja Buschner gehören. Deren Gedichte fielen mir auf Facebook auf, wo sie sie nahezu jede Woche, manchmal täglich veröffentlicht.
Sie berührten und berühren mich tief.
Nun kam mir Anja Buschners Büchlein (91 Seiten) „Trümmer und Hoffnung“ mit dem Untertitel „ein Gedichtband zeitloser Lyrik“ (Band 1) in die Hände.
Ich war neugierig und gespannt. Enttäuscht wurde ich nicht. Die Gedichte fesseln, ziehen mich in ihren Bann.
Kaum ein Bereich aus Gesellschaft und menschlichem Leben und deren Widrigkeiten, welche uns auf unserem Weg begleiten, lässt der Gedichtband aus
Kaum ein Bereich aus Gesellschaft und menschlichem Leben und deren Widrigkeiten, welche uns auf unserem Weg begleiten, das nicht seinen lyrischen Niederschlag in den vierzig abgedruckten Gedichten fände.
Es geht um die menschlichen Erfahrungen, den Sinn des Lebens, um Wahrheiten und Lügen und den Schwierigkeiten sie erkennen zu können. Durchaus um vieles, was uns im Leben begleitet. Das ging schon Generationen vor uns in vielerlei Hinsicht so. Die Menschen mussten und müssen sich stets zurechtfinden und versuchen die Fährnisse des Lebens zu bestehen. Früher war das so und heute ist es unter manch anderen Umständen ebenfalls so. Vielleicht sogar noch schwerer, weil alles komplexer ist heute.
Und nicht zuletzt geht es im Gedichtband um Krieg und Frieden.
Er ist allein deshalb letztlich auch hochaktuell und dessen Inhalt sozusagen gedichtet ist am Puls unserer Zeit. Ohne die Vergangenheit außer Acht zu lassen.
Haben wir denn wirklich nichts aus den vergangenen großen Kriegen gelernt?
Was erschreckt. Uns förmlich aufschreckt. Haben wir denn wirklich nichts aus den vergangenen großen Kriegen gelernt, die Millionen von Toten, sowie physisch und seelisch Verkrüppelte zurückließen?
Davon müssen wir so – fast zu Tode erschrocken – unumwunden davon ausgehen, wenn wir aktuell erleben müssen, wie uns offenbar von allen guten Geistern verlassene Politiker und Journalisten mit Worten und der Forderung nach immer mehr Rüstung und Waffenlieferungen für die Ukraine auf eine Rutschbahn führen, die die Menschheit holterdiepolter in den Dritten Weltkrieg führen kann. In die Vernichtung!
Apropos Journalisten! Journalist und Autor Patrik Baab sagt im Interview mit den NachDenkSeiten zu seinem neuen Buch „Propaganda-Presse – Wie uns Medien und Lohnschreiber in Kriege treiben“ :
„Mit Blick auf die journalistische Ethik könnte man sagen: In diesem Krieg zeigt sich der vollständige moralische Bankrott der Medien. Über die Toten, die Verstümmelten, die Traumatisierten wird kaum berichtet. Ich habe 1999 im Kosovo im Krankenhaus von Prizren zwei Jugendliche gesehen, zwölf und 14 Jahre alt. Sie wollten sich am Fuß kratzen. Aber sie hatten keinen Fuß mehr: Sie waren oberschenkelamputiert, weil sie auf eine Mine getreten waren – Phantomschmerz. Die Menschen in der Ukraine wollen Frieden, aber redaktionelle Schreibtischbewohner reden vor allem über Waffenlieferungen und plädieren für eine Verlängerung des Krieges. Wer aus der redaktionellen Behaglichkeitszone in der Kaffeetasse rührend andere in den Tod schickt, zeigt, dass er moralisch vollständig verkommen ist. Die Ukrainer werden behandelt wie Kanonenfutter.“ Und er sagt auch: „Wenn die Kinder dieser Großmäuler an die Front müssten, wäre der Krieg morgen vorbei“
Da fällt mir ein Zitat aus Shakespeares Drama König Lear ein: „Das ist die Seuche dieser Zeit – Verrückte (Narren) führen Blinde“!
„Kriegstüchtig“ sollen wir werden, wie der deutsche Verteidigungsminister – ein Sozialdemokrat! – fordert. Man glaubt nicht richtig zu hören. Müssten wir stattdessen nicht friedenstüchtig werden? Kaum ein Wort davon. Und wenn doch, dann wird es niedergebrüllt. Überdies besteht sogar die Möglichkeit eines Atomkriegs. Die Weltuntergangsuhr (Doomsday Clock) wurde auf 90 Sekunden vor Mitternacht gerückt!
Das mutet düster an. Im Vorwort zum Buch schreibt Anja Buschner: «In einer Welt, die oft von Chaos und Zerstörung gezeichnet ist, suchen wir alle nach einem Funken Hoffnung, der uns durch die Dunkelheit führt.«
Und weiter:
«Dieser Gedichtband ist eine Reflexion über die menschliche Erfahrung in all ihren Facetten von den Trümmern vergangener Kriege bis hin zur leuchtenden Hoffnung auf eine bessere Zukunft.«
Diese Hoffnung atmet dieser Gedichtband auch wirklich. Was wäre die Menschheit ohne Hoffnungen auf eine bessere Zukunft zu hegen? Anscheinend ausweglose Situationen haben Menschen jeder Generation schon erlebt und manches Mal sogar überwunden.
Die Autorin setzt ihr Vorwort so fort:
«Trotz der Dunkelheit, die in einigen Gedichten beschrieben wird, ist dieses Werk letztendlich eine Ode an die Hoffnung. Denn selbst in den schwierigsten Zeiten können wir in der Menschlichkeit, im Mitgefühl und im Streben nach Veränderung eine Quelle der Hoffnung finden.
Mir fiel an der Stelle das Lied Brüder, zur Sonne, zur Freiheit ein und davon die erste Strophe, der deutschen Nachdichtung eines russischen Arbeiterlieds durch Hermann Scherchen (1891-1966):
Brüder, zur Sonne, zur Freiheit, Brüder zum Licht empor! |: Hell aus dem dunklen Vergangnen leuchtet die Zukunft hervor. 😐 (Quelle: Liederarchiv.de)
Ebenfalls kam mir Die Hundeblume, eine Erzählung des deutschen Schriftstellers Wolfgang Borchert in den Sinn. Die Erzählung handelt von einem jungen Gefangenen, der beim täglichen Hofgang eine Hundeblume auf dem Gefängnishof entdeckt. In seinem tristen Alltag wird die Blume zum Objekt seiner Sehnsucht und Begierde. (Quelle: Wikipedia)
Den letzten Satz des Vorworts richtet die Autorin explizit an die Leserinnen und Leser:
«Möge „Trümmer und Hoffnung“ nicht nur ein Gedichtband sein, sondern auch ein Begleiter auf Deiner eigenen Reise durch das Leben. Möge er Dich inspirieren, zu reflektieren, zu fühlen und letztlich die Hoffnung zu finden, die uns alle antreibt.«
In meinem Falle hat er dies getan. Begierig auf das jeweils nächste Gedicht schlug ich Seite für Seite auf. Liebe Leserinnen und Leser, ich verspreche, auch ihnen wird es so ergehen.
Das Gedicht welches dem Gedichtband den Namen gibt, „Trümmer und Hoffnung“, finden Sie auf Seite 53. Es ist eines Soldaten Trauerlied. Mitten in einer kriegszerstörten Stadt fragt er sich bang, ob es noch Hoffnung gibt. „Hoffnung auf die große Wende. Hoffnung auf ein schnelles Ende.“
Sehnen tut er sich nach Eltern, nach Frau und nach Kind. Er betet, dass sie alle noch am Leben sind.
Und die Schlussstrophe geht so:
«Was hat denn alles dies gebracht?
Zum Mörder hat man ihn gemacht“
Mit dieser Schuld muss er nun leben,
Absolution? Wird es sie geben?«
Das geht einem sehr zu Herzen, treibt einem fast die Tränen in die Augen. Man sollte (nicht nur) dieses Gedicht aus Anja Buschners Band Leuten wie Herrn Pistorius, Frau Strack-Zimmermann, Toni Hofreiter, Herrn Kiesewetter und anderen Kriegsgurgeln schicken!
Ein weiteres Gedicht von Anja Buschner („Weiße Taube“; S.71) erinnerte mich an das 1949 in Nordhausen zu DDR-Zeiten von der damaligen Kindergärtnerin Erika Schirmer gedichtete DDR-Kinderlied „Kleine weiße Friedenstaube“. Erika Schirmer hatte sich von der Friedenstaube von Pablo Picasso inspirieren lassen. (dazu: ein Arte-Bericht)
Neben diesem Gedicht (wie übrigens zu allen anderen Gedichten des Bandes auch) finden wir ein Bild, welches den Text illustriert: In den Trümmern einer Stadt liegt eine kleine weiße Friedenstaube:
„Kleine weiße Friedenstaube.
Liegst im Trümmerfeld der Stadt.
Wagst es nicht mehr aufzustehen,
abgekämpft bist du und matt.
Blut durchtränkt dein weiß’ Gefieder. (1. Strophe)
Die vierte und letzte Strophe schließt so:
Hoffnung ist nicht mehr zu sehen,
Zeit scheint plötzlich stillzustehen,
Kleine Taube kämpfe weiter!
Hilf uns Menschen in der Not!
Bring uns endlich wieder Frieden,
sonst vergehen wir im Tod.“
Die letzten Sätze sollten wir als Appell auch an uns selbst begreifen. Wir erinnern uns: Die Weltuntergangsuhr steht bereits auf 90 Sekunden vor Mitternacht!
Das Gedicht „Fehler im System“ (S.25) sprach mich ebenfalls sehr an.
Dessen 1. Strophe geht so:
„Im Gleichschritt immer weiter gehen,
den Blick nach vorn und nie zurück.
Wehe einer bleibt mal stehen.
Nein, das brächte ihm kein Glück.“
Und in der letzten Strophe steht etwas, das wir – wenigstens ab und an – anstreben sollten:
„Ich bin das Steinchen im Getriebe,
ein kleiner Fehler im System.
Dass ich nicht im Tritt marschiere,
macht mich äußerst unbequem.“
Weil es die Leserinnen und Leser sicher neugierig gemacht hat, ein Hinweis von der Autorin am Ende ihres Gedichtbandes:
Neben den Texten spielen auch Bilder eine wichtige Rolle. Es ist mir wichtig zu erwähnen, dass ich die Bilder für dieses Projekt nicht selbst gezeichnet, sondern sie mithilfe von KI und Photoshop erstellt habe.
Als Schriftstellerin liegt mein Fokus natürlich auf den Worten und der kreativen Gestaltung von Texten. Doch um meinen Gedichten eine visuelle Dimension zu verleihen, habe ich mich entschieden, auch Bilder einzubinden. Da meine Fähigkeiten im Bereich der Erstellung von Handgezeichneten Bildern begrenzt sind, habe ich auf Technologie zurückgegriffen, um meine Vision zum Leben zu erwecken.
Dank künstlicher Intelligenz und den Möglichkeiten von Bildbearbeitungssoftware konnte ich meine Ideen umsetzen und die passenden Bilder zu meinen Gedichten illustrieren. Dies ermöglichte mir, eine umfassendere und ansprechendere Erfahrung für meine Leser zu schaffen.
Anja Buschner
So viel sei gesagt: Die Bilder sind grandios, faszinierend, äußerst aussagekräftig und berührend im Ausdruck.
Was aber bereits auf die Gedichte selbst zutrifft. Man schaue sich nur das Bild eines ängstlich dreinblickenden Jungen (S.50) zum Gedicht „Sommernacht“ (S.51) an, während die Mutter schrie: „Die Bomben fallen!“
Oder die Illustration zum Gedicht „Der General“ (S.43). Daneben der Mann mit Schmerz im Blick und amputiertem Bein im Krankenbett (S.42). In der dritten Strophe heißt es:
„Im Krieg kann’s nur Verlierer geben!
Die einen büßen ein ihr Leben,
die anderen, Arme, Beine, Hand.
Und jeder schließlich den Verstand!“
Als Rezipienten erleben wir noch einmal eine Verstärkung der an sich schon aussagekräftigen Dichtung. So ging es mir.
Nun mag es Menschen geben, die sagen: ihnen reichten eigentlich die Gedichte selbst. Sie wollten sich auf die Bilder verlassen, welche ihnen beim Lesen der Gedicht selbst im Kopf erscheinen.
Jeder wie er mag.
Fazit
Bemerkenswerte Gedichte voller Mitgefühl und Menschlichkeit. Tief lotend. Und mit wichtiger Gesellschaftskritik, welche den Gedichten innewohnt. Wo Traurigkeit aufkommt, keimt auch Hoffnung. Leseempfehlung! Weiter empfehlen!
Zur Autorin
Anja Buschner wurde am 4. April 1977 in Berlin-Staaken, geboren. Während ihrer Schulzeit an der Polytechnischen Oberschule entdeckte sie ihre Liebe zur Poesie. Nach ihrem Abschluss absolvierte sie eine Ausbildung zur Einzelhandelskauffrau. Anja Buschner ist verheiratet und hat zwei (fast) erwachsene Kinder. Im Jahr 2023 begann sie damit, ihre ersten Gedichte auf Facebook zu veröffentlichen, um ihre kreativen Werke einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. Quelle: Verlag / vlb“
„Mein Name ist Anja Buschner ich bin die Autorin der Gedichtbandes „Trümmer und Hoffnung “ Meine Gedichte widmen sich den tiefgreifenden Themen des Krieges und der Gesellschaftskritik. Sie sind ein Spiegel unserer Welt, geprägt von Herausforderungen, aber auch von Hoffnung und Menschlichkeit. Neben den Texten spielen auch Bilder eine wichtige Rolle. Die Illustrationen erstelle ich selbst mithilfe von KI und Photoshop.“
Mit Feierlichkeiten zum 75. Jubiläum der NATO begann an diesem Dienstag in der Hauptstadt der USA der dreitägige Gipfel des umstrittenen Militärbündnisses. Zahlreiche US-Friedensgruppen inklusive der „Veteranen für Frieden“ nahmen dies zum Anlass, um mit einem Gegengipfel unter dem Titel „No to Nato – Yes to peace“ und einer Demonstration vor dem Weißen Haus ihren Protest gegen den Kriegskurs der NATO zum Ausdruck zu bringen. Die BSW-Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen hielt am 6. Juli die Keynote-Rede zur Eröffnung des Gegengipfels. Die NachDenkSeitendokumentieren die Rede im Wortlaut:
Pünktlich zu ihrem 75. Geburtstag lässt die NATO die Maske fallen. Der Washingtoner NATO-Gipfel ist dabei ein aufklärerischer Geburtshelfer. Die Geschichte der Aufklärung lehrt uns, nie das Selbstbild einer Person oder auch einer Organisation für wahr zu nehmen. Das gilt auch für die frühe Aufklärung im alten Griechenland. Die alten Griechen hatten bereits diese Erkenntnis. Über dem Apollon-Tempel stand deshalb die Losung: Erkenne Dich selbst.
Wenn wir diese Aufforderung einmal nicht nur nehmen als zarten Hinweis auf die Begrenztheit menschlichen Denkens, sondern mit dem griechischen Philosophen Heraklit sagen: „Allen Menschen ist zuteil, sich selbst zu erkennen und verständig zu denken“, dann sagen wir, dass die Selbsterkenntnis zum Wesensmerkmal eines Menschen gehört und vielleicht auch einer Organisation.
Bei der NATO aber scheint es genau andersherum zu sein. Hier gehört die Selbstverleugnung zum Wesenskern der Organisation. Oder, um es anders auszudrücken, eine geradezu meditative Versenkung in das eigene Selbstbild gehört zum Wesenskern des Militärpakts. Es ist umso erstaunlicher, dass in der westlichen Welt dieses Selbstbild tausendfach oft nur medial gespiegelt wird, ohne es zu hinterfragen oder auch dahin zu befragen, ob dieses Selbstbild der Realität standhält.
75 Jahre NATO sind eben auch 75 Jahre Selbstverleugnung, allerdings mit massiv steigender Tendenz in den letzten Jahren. Auch weil die drei großen Mythen der NATO verblassen.
Erstens: Ein zentraler Mythos der NATO ist der einer Verteidigungsgemeinschaft, die sich dem Völkerecht verpflichtet sieht. Die NATO ist eine Gemeinschaft der Rechtsstaaten, die sich an Recht und Gesetz halten und ihr Handeln dem internationalen Recht unterwerfen und ausschließlich das Gebiet ihrer Mitgliedsstaaten verteidigen.
Wenn wir die NATO aber nach ihrer wirklichen Politik befragen, so müssen wir feststellen:
Die NATO selbst hat 1999 einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien geführt. Zu den NATO-Kriegsverbrechen gehörten etwa die Bombardierung eines Fernsehsenders in Belgrad und die angeblich versehentliche Bombardierung der chinesischen Botschaft, bei der drei chinesische Journalisten getötet wurden.
2011 wiederum überfiel die NATO Libyen. Unter Missbrauch einer Resolution des UN-Sicherheitsrates wurde ein Krieg zum Regime Change geführt, in dessen Folge Islamisten die Macht in einem Landesteil übernahmen. Das Land selbst wurde in furchtbares Elend gestürzt, bis hin zu einer Rückkehr der Sklaverei.
In Afghanistan wiederum beteiligte sich die NATO seit 2003 an einem Krieg fernab des Bündnisgebiets, nur um nach 20 Jahren die Macht an die Taliban zu übergeben, zu deren Beseitigung man eigentlich losgezogen war. Dieser zwanzigjährige Krieg in Afghanistan war geprägt von zahlreichen Kriegsverbrechen, die allesamt ungesühnt blieben.
Die NATO hat das Motto der Musketiere übernommen. Alle für einen und einer für alle. Deshalb gilt insbesondere, dass auch die Taten der einzelnen NATO-Mitglieder der Organisation selbst zugerechnet werden müssen. Die Brown-Universität spricht allein von 4,5 Millionen Toten in Folge der US-Kriege im Nahen Osten in den vergangenen 20 Jahren. Kriege wie im Irak, die auf einer Lüge beruhten und schlicht üble Völkerrechtsbrüche waren.
Das Selbstbild der NATO als eine Gemeinschaft der Verteidigung und des Völkerrechts stimmt eben einfach nicht mit der Realität überein. Wir müssen sogar sagen, dass das Gegenteil stimmt. Die NATO ist eine Gemeinschaft des Rechtsbruchs und der Völkerrechtsbrecher, die einzeln oder als Organisation Angriffskriege führt, wenn es ihr denn politisch opportun erscheint.
Zweitens: In der Öffentlichkeit am eindrücklichsten vorgetragen ist vielleicht der Mythos der NATO als einer Gemeinschaft der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit. Wenn wir aber in die Vergangenheit blicken, blamiert sich dieses Selbstbild geradezu. Portugal war bis 1974 eine faschistische Diktatur, die blutige Kolonialkriege in Angola und Mozambique führte. Wer sich gegen die koloniale Unterdrückung wehrte, wurde wie etwa in Tarafal auf den Kap Verden in Konzentrationslager gesperrt. Viele Menschen aus Angola oder Guinea-Bissau wurden dort zu Tode gequält. Selbstverständlich war das faschistische Portugal NATO-Mitglied. So wie Griechenland und die Türkei nach den Militärputschen.
Quelle: World Beyond War
In der NATO selbst gab es eine Geheimorganisation Gladio, wie wir heute wissen, die immer dann in Aktion trat, wenn es Gefahr gab, dass sich demokratische Mehrheiten bildeten, die gegen eine NATO-Mitgliedschaft votieren könnten. In Italien wurden etwa im Namen linksradikaler Gruppen Terroranschläge verübt, um eine Regierungsbeteiligung der Kommunistischen Partei Italiens zu diskreditieren. Aber so könnte man ja einwenden, das sei eine Zeit der Vergangenheit, jetzt aber stünde die NATO bereit für den globalen Kampf der Demokraten gegen Autokraten. Aber auch hier wird jeder ernstzunehmende Beobachter konstatieren müssen, dass dieses Selbstbild auch im 21. Jahrhundert schief ist.
Nehmen wir einmal die Türkei unter Präsident Erdogan, die wiederholt völkerrechtswidrige Kriege gegen den Irak und Syrien geführt hat und führt, die islamistische Terrorgruppen in Syrien unterstützt hat und die, so etwa die Einschätzung der Bundesregierung aus dem Jahr 2016, eine Aktionsplattform für Islamisten ist – die Türkei war und ist immer ein willkommenes NATO-Mitglied.
Bilaterale Sicherheitsabkommen wie mit Franco-Spanien schließt man heute mit Ländern wie Saudi-Arabien oder Katar, im Bewusstsein, dass es sich erklärtermaßen nicht um Demokratien handelt. Es geht also allein um Geopolitik. Die NATO ist keine Gemeinschaft der Demokraten und sie verteidigt auch nicht die Demokratie.
Und drittens nun gibt es die Behauptung über sich selbst, die NATO schütze die Menschenrechte. Selbst wenn wir davon absehen, dass die NATO millionenfach das Recht auf Arbeit, das Recht auf Gesundheit oder auch das Recht auf eine angemessene Wohnung mit Füßen tritt aufgrund der zunehmenden Armut und der immer größeren Umverteilung von Reichtum von unten nach oben, stimmt dieses Bild eben auch nicht international.
Während wir hier diskutieren, sitzen immer noch Häftlinge im Lager in Guantanamo ein, seit über 20 Jahre ohne Prozess. Das ist die Realität der Menschenrechte. Und wenn es um Meinungs- und Pressefreiheit geht, haben die USA unterstützt von den anderen NATO-Staaten versucht, ein Exempel an Julian Assange zu statuieren. 14 Jahre lang haben sie ihn gequält. Sein Verbrechen war allein, dass er Kriegsverbrechen öffentlich gemacht hatte. Man hat eine Schmutzkampagne gegen ihn losgetreten. Sowohl Clinton als auch Pompeo hatten überlegt, wie man ihn ermorden könnte. Das ist die Realität, wenn wir vom Verhältnis der NATO zu den Menschenrechten sprechen und ich bin überglücklich, sagen zu können, Julian Assange ist frei. Am Ende war die internationale Kampagne, waren die vertrauensvollen Gespräche erfolgreich. Aber wir müssen zugleich erkennen, der Kampf um Julian Assanges Freiheit ist der Kampf um die Freiheit selbst. Und dieser Kampf findet hier im Herzen der NATO statt.
Wenn man sich anschaut, wie dicht die Propaganda ist, diese Mythen der NATO Tag für Tag nimmermüde regelrecht zu zelebrieren, nimmt es sich geradezu wie ein Wunder aus, dass die Unterstützung für die NATO nicht nur weltweit bröckelt, sondern dass gerade die Menschen, die am stärksten der NATO-Propaganda in Vermittlung ihres Selbstbilds ausgesetzt sind, dem Militärpakt mit wachsender Skepsis gegenüberstehen. In den USA sinkt die Zustimmung zur NATO kontinuierlich in den letzten Jahren, in Deutschland stellt eine Mehrheit das Prinzip der Bündnisverteidigung infrage und ist nicht mehr bereit, sich zum Artikel 5 des NATO-Vertrages zu bekennen.
Warum ist das so? Warum fangen die Menschen an, an der NATO zu zweifeln? Trotz aller Propaganda?
Die Antwort ist denkbar einfach, Die NATO selbst ist es, die in die Krise stürzt und dies spüren die Menschen.
Während ihre Verteidiger von dem Militärpakt sprechen, als sei er für die Ewigkeit gebaut, unterhöhlt die Orientierung der NATO auf Eskalation in der Ukraine und Expansion nach Asien die Fundamente der Allianz selbst. Wie ein Reich geht die NATO in die eigene Falle der Überspannung. Die NATO ist dabei ein politischer Dinosaurier. Sie ist nicht bereit, von der Niederlage des Deutschen Reiches im Ersten Weltkrieg zu lernen und scheint – nur jetzt auf einer globalen Ebene – die grotesken Fehleinschätzungen des Deutschen Kaiserreichs zu wiederholen.
Das Kaiserreich hielt einen Zweifrontenkrieg für führbar. Heute greift in der NATO die Überzeugung Raum, dass man sich sowohl gegen Russland und China als auch im Nahen Osten engagieren müsse. Ein globaler Hegemonieanspruch wird da formuliert. Welche Hybris! DIE NATO sieht sich in einem Dreifrontenkrieg. Wenn dies stimmte, ist die Niederlage schon programmiert.
So ist es nur folgerichtig, dass es auf dem NATO-Gipfel in dieser Woche drei Sitzungen geben soll. Zunächst einmal eine Arbeitssitzung, auf der man berät, wie die eigene Hochrüstungspolitik noch weiter gesteigert werden kann. Dann steht der Ukraine-NATO-Rat auf dem Programm. Dort soll es darum gehen, wie die üppigen Finanztransfers und Zusagen der NATO an die Ukraine weiter aufgefüllt werden können, um eine Steigerung der Waffenlieferungen und um die NATO-Mitgliedschaft der Ukraine. Als Drittes wird dann eine Sitzung mit den so genannten AP4-Staaten, den Asien-Pazifik-Partnern der NATO anvisiert, also mit Australien, Japan, Neuseeland und Südkorea, wie auch ein Treffen mit den EU-Spitzen.
75 Jahre nach ihrer Gründung soll die NATO helfen, die Eskalation in der Ukraine weiter voranzutreiben, wie auch die Expansion nach Asien. Man will die NATOisierung Asiens vorantreiben und dort ein Konzept in Stellung bringen, dass man aus seiner Sicht bereits erfolgreich gegenüber Russland in Anschlag gebracht.
Dabei geht es vorerst nicht um einen direkten NATO-Beitritt asiatischer Staaten, sondern um eine Erweiterung der NATO-Einflusszone über bilaterale Sicherheitsabkommen, nicht nur mit den AP4, sondern auch mit den Philippinen, Taiwan und Singapur.
Wie die Ukraine zum antirussischen Frontstaat aufgebaut wurde, so setzt man darauf, Staaten in Asien wie die Philippinen zu Herausforderungsstaaten Chinas transformieren zu können. Vorerst mit dem Ziel, einen kalten Stellvertreterkrieg zu führen, aber zugleich alle Vorbereitungen für einen heißen Stellvertreterkrieg der USA und der NATO in Asien zu treffen.
So wie man gegenüber Russland bei der NATO-Erweiterung auf das „boiling frog“-Prinzip gesetzt und die Erweiterung scheibchenweise vorangetrieben hat, um Russlands Argwohn nicht zu erwecken, so setzt man jetzt gegenüber China darauf, nach und nach Staaten in eine mögliche Kriegsphalanx einzureihen. Ziel aber ist immer, den Krieg nicht selbst führen zu müssen, sondern auf die Ressourcen der Alliierten zurückgreifen zu können, um diese kalten und bald heißen Kriege führen zu können. Flankiert wird dies von Wirtschaftskriegen, die jetzt auch auf China übergreifen und deren Hauptlast die Ökonomien der Klientelstaaten tragen.
Die USA und die NATO setzen auf die Strategie des chinesischen Militärstrategen Sun Tsu, der den Krieg ohne den Einsatz eigener Ressourcen als den erstrebenswerten Krieg bezeichnet.
Das Problem der NATO-Strategen ist dabei nicht nur ihre Bereitschaft, eine ganze Welt anzuzünden, sondern durch ihren globalen Anspruch Allianzen von Staaten mit zu befördern, die nicht Teil ihrer Allianz sein wollen. Diese Politik hat den Aufstieg der BRICS stark mit befördert, denn für viele Staaten ist dieser Zusammenschluss das Mittel, die eigene Souveränität schützen zu können.
Wenn es denn Förderer einer multipolaren Welt gibt, so sind paradoxerweise die USA und ihre NATO-Alliierten an erster Stelle zu nennen. Selbst Staaten wie Indien und Vietnam weigern sich, sich der NATO-Strategie unterzuordnen. Und durch ihre bedingungslose Unterstützung für die in Teilen rechtsextreme Regierung Benjamin Netanyahus verliert die NATO im globalen Süden jede moralische Legitimität, da sie als Unterstützerin israelischer Kriegsverbrechen gesehen wird.
Wie gesagt, im Westen bröckelt die Unterstützung in der Bevölkerung für eine NATO der Eskalation und der Expansion. In Deutschland fordern 55 Prozent der Bevölkerung, es dürfe keinen NATO-Beitritt der Ukraine geben. Eine Mehrheit lehnt Waffenlieferungen an die Ukraine ab und fordert einen sofortigen Waffenstillstand. In den USA ist die Finanzhilfe von bisher 200 Milliarden Dollar an die Ukraine inzwischen äußerst unpopulär. Immer mehr Menschen wollen das Geld an ein korruptes System in Kiew stoppen, das zudem noch einem rechtsradikalen Staatskult um den Nazikollaborateur Stepan Bandera huldigt.
Die Mythen der NATO verblassen! Ihre imperialen Strategien gehen an der eigenen Überspannung zu Grunde. Es braucht dagegen einen sofortigen Stopp der Waffenlieferungen an die Ukraine und endlich einen Waffenstillstand. Und wer auf Frieden und Sicherheit für die eigene Bevölkerung setzt, muss den aggressiven Expansionskurs in Richtung Asien stoppen.
Und nicht zuletzt ist der Kampf gegen die NATO ein Kampf um die eigene Souveränität. Als Bündnis von Klientelstaaten gerät Europa in Gefahr, unterzugehen. Eine Emanzipation wie in Lateinamerika steht noch aus. Ein erster Schritt wäre, sich nicht mehr dumm machen zu lassen von einer Militärallianz, die ihre aggressive Strategie mit einem sozialen Krieg gegen die eigene Bevölkerung finanziert.
Der russische Präsident Wladimir Putin hat in einer Rede vor der Leitung des russischen Außenministeriums ein neues Angebot für eine mögliche Friedenslösung im Ukrainekrieg unterbreitet. Dieser Vorstoß wird von vielen Journalisten und Politikern hierzulande entweder ignoriert oder mit teils absurden „Argumenten“ und mit einer unangemessenen Empörungshaltung zurückgewiesen. Gleichzeitig ging in der Schweiz eine „Friedenskonferenz“ über die Bühne, die wegen der Nichtteilnahme Russlands und Chinas als irrelevant bezeichnet werden muss. Weil Äußerungen von nichtwestlichen Politikern oft aus dem Zusammenhang gerissen werden, ist es lohnend, die Originalquellen zu lesen. Um sie zur Diskussion zu stellen, dokumentieren die NachDenkSeiten hier die ganze Rede Putins auf Deutsch, in einer Übersetzung von Thomas Röper.
14. Juni 2024 16:54 Uhr
Wenn der russische Präsident Putin vor der Leitung des russischen Außenministeriums eine Rede hält, ist das immer ein sehr wichtiger und seltener Moment. Die letzte Rede hat Putin dort im November 2021 gehalten. Damals hat er die russischen Diplomaten fast flehentlich aufgerufen, trotz aller Wort- und Vertragsbrüche des Westens noch einmal alles in ihrer Macht stehende zu tun, um eine Eskalation in der Ukraine zu verhindern.
Kurz darauf hat das russische Außenministerium Mitte Dezember 2021 den USA und der NATO Vorschläge für gegenseitige Sicherheitsgarantien unterbreitet, die die NATO und die USA zum Monatswechsel Januar/Februar 2022 abgelehnt haben, wonach die Eskalation in der Ukraine, die nur drei Wochen später einsetzte, unausweichlich geworden war.
Nun hat Präsident Putin im russischen Außenministerium wieder eine Grundsatzrede über die außenpolitischen Ziele Russlands gehalten. Die ersten Medienberichte darüber konzentrieren sich darauf, dass Putin in seiner Rede einen Friedensvorschlag zur Ukraine-Krise unterbreitet hat. Allerdings kam der erst am Ende der mehr als einstündigen Rede, deren restlichen Teile, die die Ziele der russischen Außenpolitik umschreiben, nicht weniger interessant sind. Daher habe ich Putins gesamte Rede übersetzt.
Beginn der Übersetzung:
Sehr geehrte Kollegen, guten Tag!
Ich freue mich, Sie alle begrüßen zu dürfen, und möchte Ihnen zu Beginn unseres Treffens und Gesprächs für Ihre harte Arbeit im Interesse Russlands und unseres Volkes danken.
Wir haben uns Ende 2021, im November, in so großer Runde getroffen. Seitdem haben sich im Land und in der Welt ohne Übertreibung viele entscheidende und folgenschwere Ereignisse ereignet. Daher halte ich es für wichtig, die aktuelle Situation in globalen und regionalen Angelegenheiten zu bewerten und die entsprechenden Aufgaben für das Außenministerium festzulegen. Alle diese Aufgaben sind dem Hauptziel untergeordnet: die Bedingungen für eine nachhaltige Entwicklung des Landes zu schaffen, seine Sicherheit zu gewährleisten und das Wohlergehen der russischen Familien zu verbessern.
Die Arbeit in diesem Bereich erfordert in der heutigen komplexen und sich schnell verändernden Realität von uns allen eine noch stärkere Konzentration der Anstrengungen, Initiative, Ausdauer und die Fähigkeit, nicht nur auf aktuelle Herausforderungen zu reagieren, sondern auch unsere eigene – und langfristige – Agenda zu gestalten, gemeinsam mit unseren Partnern Vorschläge zu unterbreiten und in einer offenen und konstruktiven Diskussion Lösungsmöglichkeiten für die grundlegenden Fragen zu erörtern, die nicht nur uns, sondern die gesamte Weltgemeinschaft betreffen.
Ich wiederhole: Die Welt verändert sich schnell. Sie wird in der globalen Politik, in der Wirtschaft und im technologischen Wettbewerb nicht mehr wie früher sein. Immer mehr Staaten sind bestrebt, ihre Souveränität, ihre Autarkie, ihre nationale und kulturelle Identität zu stärken. Die Länder des globalen Südens und Ostens rücken in den Vordergrund und die Rolle Afrikas und Lateinamerikas wächst. Seit den Zeiten der Sowjetunion haben wir immer von der Bedeutung dieser Regionen der Welt gesprochen, aber heute ist die Dynamik eine ganz andere, und das merkt man. Auch in Eurasien, wo eine Reihe von groß angelegten Integrationsprojekten aktiv umgesetzt wird, hat sich das Tempo der Transformation deutlich beschleunigt.
Auf der Grundlage eben dieser neuen politischen und wirtschaftlichen Realität bilden sich heute die Konturen einer multipolaren und multilateralen Weltordnung heraus, und das ist ein objektiver Prozess. Er spiegelt die kulturelle und zivilisatorische Vielfalt wider, die dem Menschen trotz aller Versuche einer künstlichen Vereinheitlichung organisch innewohnt.
Diese tiefgreifenden systemischen Veränderungen geben zweifellos Anlass zu Optimismus und Hoffnung, denn die Durchsetzung der Grundsätze der Multipolarität und des Multilateralismus in den internationalen Angelegenheiten, einschließlich der Achtung des Völkerrechts und einer breiten Repräsentativität, ermöglicht es, die komplexesten Probleme zum gemeinsamen Nutzen zu lösen und im Interesse des Wohlergehens und der Sicherheit der Völker Beziehungen und eine Zusammenarbeit zwischen souveränen Staaten zum gegenseitigen Nutzen aufzubauen.
Diese Vorstellung von der Zukunft entspricht den Bestrebungen der großen Mehrheit der Länder der Welt. Wir sehen das unter anderem am wachsenden Interesse an der Arbeit einer so universellen Vereinigung wie den BRICS, die auf einer besonderen Kultur des vertrauensvollen Dialogs, der souveränen Gleichheit der Teilnehmer und des gegenseitigen Respekts beruht. Im Rahmen des russischen Vorsitzes in diesem Jahr werden wir die reibungslose Aufnahme der neuen BRICS-Mitglieder in die Arbeitsstrukturen des Verbandes erleichtern.
Ich fordere die Regierung und das Außenministerium auf, die inhaltliche Arbeit und den Dialog mit unseren Partnern fortzusetzen, damit wir auf dem BRICS-Gipfel im Oktober in Kasan eine Reihe von Beschlüssen fassen können, die die Richtung für unsere Zusammenarbeit in den Bereichen Politik und Sicherheit, Wirtschaft und Finanzen, Wissenschaft, Kultur, Sport und humanitäre Beziehungen vorgeben werden.
Generell glaube ich, dass die BRICS aufgrund ihres Potenzials in der Lage sein werden, zu einer der zentralen Regulierungsinstitutionen der multipolaren Weltordnung zu werden.
In diesem Zusammenhang möchte ich darauf hinweisen, dass die internationale Diskussion über die Parameter der Zusammenarbeit zwischen den Staaten in einer multipolaren Welt und über die Demokratisierung des gesamten Systems der internationalen Beziehungen natürlich bereits läuft. So haben wir mit unseren Kollegen in der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten ein gemeinsames Dokument über internationale Beziehungen in einer multipolaren Welt vereinbart und verabschiedet. Wir haben unsere Partner eingeladen, über dieses Thema auf anderen internationalen Plattformen zu sprechen, vor allem im Rahmen der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit und der BRICS.
Wir sind daran interessiert, dass dieser Dialog innerhalb der Vereinten Nationen ernsthaft geführt wird, auch über ein so grundlegendes Thema, das für alle von entscheidender Bedeutung ist, wie die Schaffung eines Systems der unteilbaren Sicherheit. Mit anderen Worten, die Verankerung des Grundsatzes im internationalen Umgang, dass die Sicherheit der einen nicht auf Kosten der Sicherheit der anderen gewährleistet werden darf.
Ich möchte in diesem Zusammenhang daran erinnern, dass die Weltgemeinschaft am Ende des 20. Jahrhunderts, nach dem Ende der akuten militärisch-ideologischen Konfrontation, die einmalige Chance hatte, eine verlässliche und gerechte Ordnung im Bereich der Sicherheit zu schaffen. Dazu bedurfte es nicht viel – lediglich der Fähigkeit, die Meinungen aller interessierten Parteien anzuhören, und der gegenseitigen Bereitschaft, sie zu berücksichtigen. Unser Land war entschlossen, genau diese Art von konstruktiver Arbeit zu leisten.
Es herrschte jedoch ein anderer Ansatz vor. Die westlichen Mächte, allen voran die USA, meinten, den Kalten Krieg gewonnen und das Recht zu haben, selbst zu bestimmen, wie die Welt organisiert werden sollte. Praktischer Ausdruck dieser Sichtweise war das Projekt der unbegrenzten räumlichen und zeitlichen Ausdehnung des nordatlantischen Blocks, obwohl es natürlich auch andere Ideen gab, wie die Sicherheit in Europa gewährleistet werden könnte.
Unsere berechtigten Fragen wurden mit Ausreden in dem Geiste beantwortet, dass niemand Russland angreifen werde und dass die NATO-Erweiterung nicht gegen Russland gerichtet sei. Die Versprechungen, die Ende der 80er und Anfang der 90er Jahre gegenüber der Sowjetunion und dann gegenüber Russland gemacht wurden, keine neuen Mitglieder in den Block aufzunehmen, wurden einfach vergessen. Und selbst wenn sie sich daran erinnerten, verwiesen sie höhnisch darauf, dass diese Zusicherungen mündlich gegeben wurden und daher nicht bindend waren.
Sowohl in den 1990er Jahren als auch später haben wir stets auf den von den westlichen Eliten gewählten Irrweg hingewiesen; wir haben nicht nur kritisiert und gewarnt, sondern Optionen und konstruktive Lösungen angeboten und betont, wie wichtig es ist, einen Mechanismus für die Sicherheit in Europa und in der Welt zu entwickeln, der allen – ich möchte das betonen, allen – gerecht wird. Eine einfache Aufzählung der Initiativen, die Russland im Laufe der Jahre vorgebracht hat, würde mehr als einen Absatz erfordern.
Erinnern wir uns zumindest an die Idee des Vertrages über die europäische Sicherheit, die wir bereits 2008 vorgeschlagen haben. Die gleichen Themen wurden in dem Memorandum des russischen Außenministeriums angesprochen, das den USA und der NATO im Dezember 2021 übergeben wurde.
Aber alle unsere Versuche – und wir haben zahlreiche Versuche unternommen, die ich hier nicht alle aufzählen kann -, unsere Gesprächspartner zur Vernunft zu bringen, Erklärungen, Ermahnungen, Warnungen und Bitten unsererseits sind auf keinerlei Resonanz gestoßen. Die westlichen Länder, die nicht nur davon überzeugt sind, im Recht zu sein, sondern auch von ihrer Macht, von ihrer Fähigkeit, dem Rest der Welt alles aufzuzwingen, haben andere Meinungen einfach ignoriert. Bestenfalls haben sie vorgeschlagen, über Nebensächlichkeiten zu diskutieren, die eigentlich nichts gelöst hätten, oder über Themen, die nur für den Westen vorteilhaft waren.
In der Zwischenzeit wurde schnell klar, dass das westliche Schema, das als das einzig richtige zur Gewährleistung von Sicherheit und Wohlstand in Europa und der Welt verkündet wurde, nicht wirklich funktionierte. Erinnern wir uns an die Tragödie auf dem Balkan. Die inneren Probleme, die sich im ehemaligen Jugoslawien angehäuft hatten, wurden durch die grobe Einmischung von außen noch deutlich verschärft. Schon damals zeigte sich das Hauptprinzip der NATO-Diplomatie, das bei der Lösung komplexer innerer Konflikte zutiefst fehlerhaft und erfolglos ist, in seiner ganzen Pracht, nämlich eine der Parteien, die man aus irgendeinem Grund nicht besonders mag, aller Sünden zu beschuldigen und alle politische, mediale und militärische Macht, Wirtschaftssanktionen und Beschränkungen auf sie loszulassen.
Wie wir sehr gut wissen, wurden gleichen Methoden danach in verschiedenen Teilen der Welt angewandt: Irak, Syrien, Libyen, Afghanistan und so weiter, und sie brachten nichts anderes als eine Verschärfung der bestehenden Probleme, gebrochene Schicksale von Millionen von Menschen, die Zerstörung ganzer Staaten, die Ausweitung humanitärer und sozialer Katastrophen und terroristische Enklaven. Im Grunde ist kein Land der Welt davor gefeit, in diese traurige Liste aufgenommen zu werden.
So versucht der Westen nun, sich dreist in die Angelegenheiten des Nahen Ostens einzumischen. Einst hatten sie ein Monopol in dieser Gegend, und das Ergebnis ist heute allen klar und offensichtlich.
Der Südkaukasus und Zentralasien: Vor zwei Jahren wurde auf dem NATO-Gipfel in Madrid angekündigt, dass sich das Bündnis nun nicht nur mit Sicherheitsfragen im euro-atlantischen, sondern auch im asiatisch-pazifischen Raum befassen wird. Nach dem Motto, auch dort könne man nicht ohne sie auskommen. Dahinter verbirgt sich offensichtlich der Versuch, den Druck auf die Länder in der Region zu erhöhen, deren Entwicklung sie eindämmen wollen. Wie wir wissen, steht unser Land, Russland, auf den oberen Plätzen dieser Liste.
Ich erinnere auch daran, dass es Washington war, das die strategische Stabilität untergraben hat, indem es sich einseitig aus den Verträgen über die Raketenabwehr, über die Abschaffung von Kurz- und Mittelstreckenraketen und über den offenen Himmel zurückgezogen und zusammen mit seinen NATO-Satelliten das jahrzehntelange System der vertrauensbildenden Maßnahmen und der Rüstungskontrolle in Europa zerstört hat.
Letztlich haben der Egoismus und die Arroganz der westlichen Staaten zu der heutigen, äußerst gefährlichen Situation geführt. Wir sind dem Punkt, an dem es kein Zurück mehr gibt, unannehmbar nahe gekommen. Der Ruf nach einer strategischen Niederlage Russlands, das über die größten Atomwaffenarsenale verfügt, zeigt das extreme Abenteurertum der westlichen Politiker. Entweder begreifen sie nicht das Ausmaß der Bedrohung, die sie selbst darstellen, oder sie sind einfach besessen von dem Glauben an ihre eigene Straffreiheit und ihren eigenen Exklusivität. Beides kann sich als tragisch erweisen.
Offensichtlich erleben wir gerade den Zusammenbruch des euro-atlantischen Sicherheitssystems. Heute existiert es einfach nicht mehr. Es muss praktisch neu geschaffen werden. All dies erfordert, dass wir gemeinsam mit unseren Partnern, mit allen interessierten Ländern – und das sind viele – unsere Optionen für die Gewährleistung der Sicherheit in Eurasien erarbeiten und sie dann einer breiten internationalen Diskussion vorschlagen.
Dieser Auftrag wurde der in der Rede vor der Bundesversammlung gegeben. Es geht darum, in absehbarer Zeit einen Rahmen für gleiche und unteilbare Sicherheit, für eine für alle Seiten vorteilhafte und gerechte Zusammenarbeit und Entwicklung auf dem eurasischen Kontinent zu formulieren.
Was muss dazu auf welchen Grundlagen getan werden?
Erstens: Es muss ein Dialog mit allen potenziellen Teilnehmern an diesem künftigen Sicherheitssystem aufgenommen werden. Und ich bitte Sie, die notwendigen Fragen zunächst mit den Staaten auszuarbeiten, die für eine konstruktive Zusammenarbeit mit Russland offen sind.
Während unseres jüngsten Besuchs in China haben wir diese Fragen mit Präsident Xi Jinping erörtert. Wir stellten fest, dass der russische Vorschlag nicht im Widerspruch zu den Grundprinzipien der globalen Sicherheitsinitiative Chinas steht, sondern diese im Gegenteil ergänzt und mit ihnen voll und ganz in Einklang steht.
Zweitens ist es wichtig, von der Prämisse auszugehen, dass die künftige Sicherheitsarchitektur allen eurasischen Ländern offensteht, die sich an ihrem Aufbau beteiligen wollen. Mit „für alle“ sind natürlich auch die europäischen und die NATO-Länder gemeint. Wir leben auf einem Kontinent, egal was passiert, wir können die Geographie nicht ändern, wir werden auf die eine oder andere Weise koexistieren und zusammenarbeiten müssen.
Ja, die Beziehungen Russlands zur EU und zu einer Reihe von europäischen Ländern haben sich verschlechtert, und ich habe das schon oft betont, nicht durch unsere Schuld. Eine antirussische Propagandakampagne, an der sehr hochrangige europäische Persönlichkeiten beteiligt sind, wird von Spekulationen begleitet, dass Russland angeblich Europa angreifen wird. Ich habe mich dazu schon oft geäußert, und es ist nicht nötig, das in diesem Saal noch einmal zu wiederholen: Wir alle wissen, dass das absoluter Unsinn ist und nur eine Rechtfertigung für ein Wettrüsten darstellt.
In diesem Zusammenhang erlaube ich mir eine kleine Abschweifung. Die Gefahr für Europa geht nicht von Russland aus. Die Hauptbedrohung für die Europäer ist die kritische und ständig wachsende, fast totale Abhängigkeit von den USA: im militärischen, politischen, technologischen, ideologischen und medialen Bereich. Europa wird zunehmend an den Rand der globalen wirtschaftlichen Entwicklung gedrängt, in das Chaos der Migration und anderer akuter Probleme gestürzt und seiner internationalen Subjektivität und kulturellen Identität beraubt.
Manchmal hat man den Eindruck, dass die herrschenden europäischen Politiker und Vertreter der europäischen Bürokratie mehr Angst haben, in die Ungnade Washingtons zu fallen, als das Vertrauen der eigenen Bevölkerung, der eigenen Bürger, zu verlieren. Das zeigen auch die jüngsten Wahlen zum Europäischen Parlament. Die europäischen Politiker schlucken Demütigungen, Grobheiten und Skandale mit der Überwachung der europäischen Staats- und Regierungschefs, während die USA sie einfach für ihre eigenen Interessen benutzen und sie zwingen, ihr teures Gas zu kaufen – übrigens ist Gas in Europa drei- oder viermal teurer als in den USA – oder sie fordern, wie jetzt zum Beispiel, von den europäischen Ländern, die Waffenlieferungen an die Ukraine zu erhöhen. Übrigens werden diese Forderungen immer wieder gestellt. Und es werden Sanktionen gegen sie verhängt, gegen Wirtschaftsakteure in Europa. Sie verhängen sie, ohne sich dessen zu schämen.
Jetzt zwingen sie sie dazu, die Waffenlieferungen an die Ukraine zu erhöhen und ihre Kapazitäten zur Herstellung von Artilleriegranaten zu erweitern. Wer wird diese Granaten brauchen, wenn der Konflikt in der Ukraine vorbei ist? Wie kann das die militärische Sicherheit Europas gewährleisten? Das ist unklar. Die USA selbst investieren in Militärtechnologien, und zwar in die Technologien von morgen: in den Weltraum, in moderne Drohnen, in Angriffssysteme, die auf neuen physikalischen Prinzipien beruhen, also in die Bereiche, die in Zukunft die Art des bewaffneten Kampfes und damit das militärische und politische Potenzial der Mächte, ihre Stellung in der Welt bestimmen werden. Und denen wird nun folgende Rolle zugewiesen: Geld dort zu investieren, wo die USA es brauchen. Aber das erhöht nicht das europäische Potential. Sollen sie es tun, Gott mit ihnen. Für uns ist das vielleicht sogar gut, im Grunde ist es so.
Wenn Europa eines der unabhängigen Zentren der Entwicklung der Welt und kultureller und zivilisatorischer Pol des Planeten bleiben will, braucht es auf jeden Fall gute und freundliche Beziehungen zu Russland, und das Wichtigste ist, dass dazu bereit sind.
Diese wirklich einfache und offensichtliche Sache haben Politiker von wirklich paneuropäischem und weltweitem Maßstab gut verstanden, Patrioten ihrer Länder und Völker, die in historischen Kategorien dachten, nicht Statisten, die dem Willen und den Einflüsterungen anderer folgen. Charles de Gaulle hat in den Nachkriegsjahren viel darüber gesprochen. Ich erinnere mich auch gut daran, wie der deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl 1991 in einem Gespräch, an dem ich persönlich teilnehmen durfte, die Bedeutung der Partnerschaft zwischen Europa und Russland hervorhob. Ich vertraue darauf, dass sich neue Generationen europäischer Politiker früher oder später auf dieses Erbe besinnen wird.
Was die USA selbst betrifft, so erschöpfen die andauernden Versuche der heute dort herrschenden liberal-globalistischen Eliten, ihre Ideologie mit allen Mitteln in der ganzen Welt zu verbreiten, ihren imperialen Status und ihre Vorherrschaft zu bewahren, das Land immer mehr, führen es in den Niedergang und stehen in klarem Widerspruch zu den wahren Interessen des amerikanischen Volkes. Ohne diese Sackgasse, den aggressiven Messianismus, gemischt mit dem Glauben an die eigene Auserwähltheit und Exklusivität, hätten sich die internationalen Beziehungen längst stabilisiert.
Drittens: Um die Idee eines eurasischen Sicherheitssystems zu fördern, muss der Dialog zwischen den bereits in Eurasien tätigen multilateralen Organisationen erheblich intensiviert werden. Ich beziehe mich dabei in erster Linie auf den Unionsstaat, die Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit, die Eurasische Wirtschaftsunion, die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten und die Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit.
Wir sehen die Möglichkeit, dass sich diesen Prozessen in Zukunft weitere einflussreiche eurasische Vereinigungen von Südostasien bis zum Nahen Osten anschließen werden.
Viertens: Wir glauben, dass es an der Zeit ist, eine breite Diskussion über ein neues System bilateraler und multilateraler Garantien für die kollektive Sicherheit in Eurasien zu beginnen. Gleichzeitig muss man langfristig die militärische Präsenz externer Mächte in der eurasischen Region schrittweise reduzieren.
Wir verstehen natürlich, dass diese These in der gegenwärtigen Situation unrealistisch erscheinen mag, aber das ist jetzt. Wenn wir jedoch in Zukunft ein zuverlässiges Sicherheitssystem aufbauen, wird die Präsenz nichtregionaler Militärkontingente einfach nicht mehr nötig sein. Um ehrlich zu sein, besteht dazu heute keine Notwendigkeit – es geht nur um Okkupation, mehr nicht.
Letztlich sind wir der Meinung, dass es den Staaten und regionalen Strukturen Eurasiens obliegt, im Bereich der gemeinsamen Sicherheit konkrete Bereiche der Zusammenarbeit zu bestimmen. Auf dieser Grundlage sollten sie auch selbst ein System von funktionierenden Institutionen, Mechanismen und Vereinbarungen aufbauen, das den gemeinsamen Zielen der Stabilität und Entwicklung wirklich dient.
In diesem Zusammenhang unterstützen wir die Initiative unserer weißrussischen Freunde, ein Programmdokument, eine Charta über Multipolarität und Vielfalt im 21. Jahrhundert zu entwickeln. Darin können nicht nur die Rahmenprinzipien der eurasischen Architektur auf der Grundlage der grundlegenden Normen des Völkerrechts formuliert werden, sondern auch, im weiteren Sinne, eine strategische Vision des Wesens und der Natur der Multipolarität und des Multilateralismus als neues System der internationalen Beziehungen, das die westlich zentrierte Welt ablösen soll. Ich halte das für wichtig und fordere, dass so ein Dokument mit unseren Partnern und allen interessierten Staaten gründlich ausgearbeitet wird. Ich möchte hinzufügen, dass wir bei der Erörterung solch komplexer und vielschichtiger Fragen natürlich ein Höchstmaß an umfassender Vertretung und Berücksichtigung unterschiedlicher Ansätze und Positionen benötigen.
Fünftens: Ein wichtiger Teil des eurasischen Sicherheits- und Entwicklungssystems sollten zweifellos wirtschaftliche Fragen, soziales Wohlergehen, Integration und eine für alle Seiten vorteilhafte Zusammenarbeit sein, die sich mit gemeinsamen Problemen wie der Überwindung von Armut, Ungleichheit, dem Klima, der Umwelt, der Entwicklung von Mechanismen zur Reaktion auf die Bedrohung durch Pandemien und Krisen in der Weltwirtschaft befasst – alles ist wichtig.
Der Westen hat durch sein Handeln nicht nur die militärische und politische Stabilität in der Welt untergraben, sondern durch Sanktionen und Handelskriege auch die wichtigsten Marktinstitutionen diskreditiert und geschwächt. Indem er den IWF und die Weltbank benutzt und die Probleme des Klimawandels verdreht hat, hat er die Entwicklung des globalen Südens abgewürgt. Er verliert im Wettbewerb, selbst nach den Regeln, die der Westen für sich selbst aufgestellt hat, indem er prohibitive Schranken und alle Arten von Protektionismus einsetzt. So haben die USA beispielsweise die Welthandelsorganisation als Regulierungsbehörde für den internationalen Handel aufgegeben. Alles ist blockiert. Und sie üben nicht nur Druck auf ihre Konkurrenten aus, sondern auch auf ihre Satelliten. Man braucht sich nur anzusehen, wie sie den europäischen Volkswirtschaften, die am Rande der Rezession stehen, „aussaugen“.
Die westlichen Länder haben einen Teil der russischen Vermögenswerte und Währungsreserven eingefroren. Jetzt denken sie darüber nach, wie sie eine Rechtsgrundlage für deren endgültige Aneignung schaffen können. Doch trotz aller Gaunereien wird Raub zweifellos Raub und nicht ungestraft bleiben.
Das Problem liegt sogar noch tiefer. Indem sie russische Vermögenswerte stehlen, machen sie einen weiteren Schritt zur Zerstörung des Systems, das sie selbst geschaffen haben und das ihnen jahrzehntelang ihren Wohlstand gesichert hat, ihnen erlaubt hat, mehr zu konsumieren, als sie erarbeiten, das durch Schulden und Verbindlichkeiten Geld aus der ganzen Welt angezogen hat. Jetzt wird allen Ländern, Unternehmen und Staatsfonds klar, dass ihre Vermögenswerte und Reserven alles andere als sicher sind – sowohl im rechtlichen als auch wirtschaftlichen Sinne des Wortes. Und jeder könnte der nächste sein, der von den USA und dem Westen enteignet werden könnte. Es könnten diese ausländischen Staatsfonds sein.
Es gibt schon jetzt ein wachsendes Misstrauen gegenüber dem auf westlichen Reservewährungen basierenden Finanzsystem. Es gibt einen Abfluss von Geldern aus den Wertpapieren und Schuldverschreibungen westlicher Länder sowie aus einigen europäischen Banken, die noch vor kurzem als absolut zuverlässige Orte für die Lagerung von Kapital galten. Jetzt ziehen sie Gold aus diesen Banken ab. Und sie tun das Richtige.
Ich glaube, dass wir die Bildung effektiver und sicherer bilateraler und multilateraler außenwirtschaftlicher Mechanismen, die eine Alternative zu den vom Westen kontrollierten sind, ernsthaft intensivieren müssen. Dazu gehören die Ausweitung von Abrechnungen in nationalen Währungen, die Schaffung unabhängiger Zahlungssysteme und der Aufbau von Lieferketten, die die vom Westen blockierten oder kompromittierten Kanäle umgehen.
Natürlich müssen die Bemühungen um die Entwicklung internationaler Verkehrskorridore in Eurasien, dem Kontinent, dessen natürlicher geografischer Kern Russland ist, fortgesetzt werden.
Ich weise das Außenministerium an, die Entwicklung internationaler Abkommen in all diesen Bereichen bestmöglich zu unterstützen. Sie sind äußerst wichtig für die Stärkung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen unserem Land und unseren Partnern. Das sollte auch dem Aufbau einer großen eurasischen Partnerschaft neuen Schwung verleihen, die im Grunde die sozioökonomische Grundlage für ein neues System der unteilbaren Sicherheit in Europa werden könnte.
Liebe Kollegen, bei unseren Vorschlägen geht es darum, ein System zu bilden, in dem alle Staaten auf ihre eigene Sicherheit vertrauen können. Dann können wir übrigens auch einen anderen, wirklich konstruktiven Ansatz zur Lösung der zahlreichen Konflikte wählen, die es heute gibt. Die Probleme des Defizits an Sicherheit und gegenseitigem Vertrauen gelten nicht nur für den eurasischen Kontinent; überall sind wachsende Spannungen zu beobachten. Wir sehen ständig, wie vernetzt und voneinander abhängig die Welt ist, und ein tragisches Beispiel für uns alle ist die Ukraine-Krise, deren Folgen auf dem ganzen Planeten nachhallen.
Aber ich möchte sofort sagen: Die Krise in der Ukraine ist kein Konflikt zwischen zwei Staaten und schon gar nicht zwischen zwei Völkern, der durch Probleme zwischen ihnen verursacht wurde. Wäre das der Fall, so hätten Russen und Ukrainer, die eine gemeinsame Geschichte und Kultur, geistige Werte, Millionen von verwandtschaftlichen, familiären und menschlichen Bindungen teilen, zweifellos einen Weg gefunden, alle Probleme und Meinungsverschiedenheiten auf faire Weise zu lösen.
Doch das ist anders: Die Wurzeln des Konflikts liegen nicht in den bilateralen Beziehungen. Die Ereignisse in der Ukraine sind eine direkte Folge der weltweiten und europäischen Entwicklung des späten 20. und frühen 21. Jahrhunderts, der aggressiven, rücksichtslosen und absolut abenteuerlichen Politik, die der Westen in all den Jahren verfolgt hat, lange bevor die Militäroperation begann.
Diese Eliten der westlichen Länder haben, wie ich heute bereits gesagt habe, nach dem Ende des Kalten Krieges die Weichen für eine weitere geopolitische Umstrukturierung der Welt gestellt, für die Schaffung und Durchsetzung der berüchtigten regelbasierten Ordnung, in die starke, souveräne und autarke Staaten einfach nicht hineinpassen.
Daher kommt die Politik der Eindämmung unseres Landes. Die Ziele dieser Politik werden von gewissen Persönlichkeiten in den USA und Europa bereits offen ausgesprochen. Heute reden sie von der berüchtigten Dekolonialisierung Russlands. Im Grunde ist das der Versuch, eine ideologische Grundlage für die Zerstückelung unseres Vaterlandes nach nationalen Grundlagen zu schaffen. Über die Zerstückelung der Sowjetunion und Russlands ja schon lange gesprochen. Jeder, der in diesem Saal sitzt, weiß das sehr genau.
Indem sie diese Strategie realisieren, haben die westlichen Länder eine Linie der Absorption und der militärpolitischen Entwicklung der uns nahestehenden Gebiete eingeschlagen. Es gab fünf und nun sechs Wellen der NATO-Erweiterung. Sie haben versucht, die Ukraine zu ihrem Brückenkopf zu machen und sie zum „Anti-Russland“ zu machen. Um diese Ziele zu erreichen, haben sie Geld und Ressourcen investiert, Politiker und ganze Parteien gekauft, die Geschichte und Bildungsprogramme umgeschrieben und Gruppen von Neonazis und Radikalen gefüttert und kultiviert. Sie haben alles getan, um unsere zwischenstaatlichen Beziehungen zu untergraben, unsere Völker zu spalten und gegeneinander auszuspielen.
Der Südosten der Ukraine – Gebiete, die jahrhundertelang Teil des großen historischen Russlands waren – hinderte sie daran, diese Politik noch dreister und unverfrorener zu betreiben. Dort lebten und leben Menschen, die auch nach der Unabhängigkeitserklärung der Ukraine im Jahr 1991 für gute und engste Beziehungen zu unserem Land eintraten. Diese Menschen sind sowohl Russen als auch Ukrainer, Vertreter verschiedener Nationalitäten, die durch die russische Sprache, Kultur, Traditionen und das historische Gedächtnis verbunden sind.
Die Position, die Stimmung, die Interessen und die Stimmen dieser Menschen – Millionen von Menschen, die im Südwesten leben – musste man einfach berücksichtigen, und die damaligen ukrainischen Präsidenten und Politiker, die um dieses Amt kämpften, nutzten die Stimmen dieser Wähler. Aber unter Ausnutzung dieser Stimmen haben sie manövriert, viel gelogen, und von der sogenannten europäischen Wahl gesprochen. Sie haben sich nicht getraut, einen vollständigen Bruch mit Russland anzustreben, denn im Südosten der Ukraine herrschte eine andere Stimmung, die man nicht ignorieren konnte. Diese Doppeldeutigkeit war den ukrainischen Regierungen in all den Jahren nach der Unabhängigkeit stets eigen.
Der Westen hat das natürlich gesehen. Er hat die Probleme, die es dort gibt und die gelöst werden können, seit langem gesehen und verstanden, ebenso wie den Abschreckungswert des Südost-Faktors und die Tatsache, dass keine noch so große Propaganda über viele Jahre hinweg die Situation grundlegend ändern kann. Natürlich wurde viel getan, aber es war schwierig, die Situation grundlegend zu ändern.
Es ist nicht gelungen, die historische Identität und das Bewusstsein der Mehrheit der Menschen im Südosten der Ukraine zu verzerren, ihnen, einschließlich der jüngeren Generationen, die gute Einstellung zu Russland und das Gefühl für unsere historische Gemeinschaft zu nehmen. Deshalb beschlossen sie erneut, Gewalt anzuwenden und die Menschen im Südosten der Ukraine einfach zu brechen und ihre Meinung zu ignorieren. Dazu arrangierten, organisierten und finanzierten sie natürlich die Schwierigkeiten und die Komplexität der innenpolitischen Verhältnisse in der Ukraine, bereiteten aber dennoch konsequent und zielgerichtet einen bewaffneten Staatsstreich vor.
Eine Welle von Pogromen, Gewalt und Morden schwappte über die Städte der Ukraine. Radikale haben schließlich die Macht in Kiew an sich gerissen und usurpiert. Ihre aggressiven nationalistischen Parolen, einschließlich der Rehabilitierung von Nazi-Schergen, wurden in den Rang einer Staatsideologie erhoben. Sie verkündeten einen Kurs zur Abschaffung der russischen Sprache in Staat und Öffentlichkeit, verstärkten den Druck auf die orthodoxen Gläubigen und mischten sich in die Angelegenheiten der Kirche ein, was schließlich zu einer Kirchenspaltung führte. Niemand scheint diese Einmischung zu bemerken, als ob alles so wäre, wie es sein soll. Versuchen Sie einmal, woanders so etwas zu tun, dann wird so viel gekünsteltes Gepfeife zu hören sein, dass Ihnen die Ohren abfallen werden. Aber dort kann man es tun, denn es ist gegen Russland.
Millionen von Einwohnern der Ukraine, vor allem in den östlichen Regionen, waren bekanntlich gegen den Putsch. Ihnen wurde mit Repressalien und Terror gedroht. Und vor allem begann die neue Regierung in Kiew, einen Schlag gegen die russischsprachige Krim vorzubereiten, die, wie Sie wissen, 1954 unter Verletzung aller Rechtsnormen und Verfahren, auch der damals in der Sowjetunion geltenden, von der Russischen Sowjetrepublik an die Ukraine übertragen worden war. In dieser Situation konnten wir die Krim-Bewohner und die Einwohner von Sewastopol natürlich nicht im Stich und sie ungeschützt lassen. Sie haben ihre Wahl getroffen, und im März 2014 fand, wie Sie wissen, die historische Wiedervereinigung der Krim und Sewastopols mit Russland statt.
In Charkow, Cherson, Odessa, Saporoschje, Donezk, Lugansk und Mariupol begannen sie, friedliche Demonstrationen gegen den Staatsstreich zu unterdrücken, und das Kiewer Regime und nationalistische Gruppen entfesselten Terror. Es ist wohl nicht nötig, daran zu erinnern, denn jeder weiß noch genau, was in diesen Regionen passiert ist.
Im Mai 2014 fanden Referenden über den Status der Volksrepubliken Donezk und Lugansk statt, bei denen sich die absolute Mehrheit der Einwohner für die Unabhängigkeit und Souveränität aussprach. Da stellt sich sofort die Frage: Durften die Menschen ihren Willen überhaupt auf diese Weise zum Ausdruck bringen, durften sie ihre Unabhängigkeit erklären? Diejenigen, die in diesem Saal sitzen, wissen, dass sie das natürlich durften und dass sie jedes Recht und jeden Grund hatten, das zu tun, und zwar im Einklang mit dem Völkerrecht, einschließlich des Rechts der Völker auf Selbstbestimmung. Ich brauche Sie nicht daran zu erinnern, aber da hier Medien filmen, sage ich trotzdem, dass Artikel 1, Absatz 2 der Charta der Vereinten Nationen dieses Recht gewährt.
Ich erinnere in diesem Zusammenhang an den berüchtigten Präzedenzfall Kosovo. Wir haben schon oft darüber gesprochen, ich erzähle es jetzt noch einmal. Der Präzedenzfall, den die westlichen Länder selbst in einer ansolut analogen Situation geschaffen haben, hat die Abspaltung des Kosovo von Serbien, die 2008 stattfand, als rechtmäßig anerkannt. Es folgte die berühmte Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs der Vereinten Nationen, der am 22. Juli 2010 auf der Grundlage von Artikel 1 Absatz 2 der Charta der Vereinten Nationen entschied, Zitat: „Aus der Praxis des Sicherheitsrats folgt kein allgemeines Verbot einer einseitigen Unabhängigkeitserklärung“. Und weiter: „Das allgemeine Völkerrecht enthält kein anwendbares Verbot einer Unabhängigkeitserklärung“. Mehr noch, dort stand auch, dass die Teile eines Landes, welche es auch immer sein mögen, die sich für eine Unabhängigkeitserklärung entschieden haben, nicht verpflichtet sind, sich an die zentralen Organe ihres ehemaligen Staates zu wenden. Das alles stand dort geschrieben, sie haben alles mit eigener Hand schwarz auf weiß niedergeschrieben.
Hatten diese Republiken – Donezk und Lugansk – also das Recht, ihre Unabhängigkeit zu erklären? Natürlich hatten sie das. Die Frage kann gar nicht anders betrachtet werden.
Was hat das Regime in Kiew in dieser Situation getan? Es hat die Entscheidung des Volkes völlig ignoriert und mit Flugzeugen, Artillerie und Panzern einen umfassenden Krieg gegen die neuen unabhängigen Staaten – die Volksrepubliken des Donbass – entfesselt. Städte wurden bombardiert und beschossen, Einschüchterungsversuche begannen. Und was geschah dann? Die Bewohner des Donbass griffen zu den Waffen, um ihr Leben, ihre Häuser, ihre Rechte und legitimen Interessen zu verteidigen.
Im Westen wird nun immer wieder die These vertreten, dass Russland den Krieg im Rahmen der Militäroperation begonnen hat, dass es ein Aggressor ist und dass man daher auch sein Territorium, auch unter Einsatz westlicher Waffensysteme, angreifen kann, und dass die Ukraine sich angeblich selbst verteidigt und das auch tun kann.
Ich möchte noch einmal betonen: Russland hat den Krieg nicht begonnen, es war das Kiewer Regime, ich wiederhole, nachdem die Bewohner eines Teils der Ukraine im Einklang mit dem Völkerrecht ihre Unabhängigkeit erklärt haben, das die Feindseligkeiten begonnen hat und sie fortsetzt. Es wäre eine Aggression, wenn wir das Recht dieser Völker, die in diesen Gebieten leben, ihre Unabhängigkeit zu erklären, nicht anerkennen. Wie auch sonst? Was ist das sonst? Es ist eine Aggression. Und diejenigen, die den Militärapparat des Kiewer Regimes in all den vergangenen Jahren unterstützt haben, sind Komplizen des Aggressors.
Im Jahr 2014 haben sich die Bewohner des Donbass damit nicht abgefunden. Die Milizen blieben standhaft, schlugen die Strafbataillone zurück und vertrieben sie dann aus Donezk und Lugansk. Wir hofften, dass das diejenigen, die dieses Massaker angerichtet hatten, ernüchtern würde. Um dem Blutvergießen Einhalt zu gebieten, rief Russland wie üblich zu Verhandlungen auf, und diese begannen unter Beteiligung von Kiew und Vertretern der Donbass-Republiken mit Unterstützung Russlands, Deutschlands und Frankreichs.
Die Verhandlungen waren schwierig, aber dennoch wurde 2015 das Minsker Abkommen geschlossen. Wir haben seine Umsetzung ernst genommen und gehofft, dass wir die Situation im Rahmen des Friedensprozesses und des Völkerrechts lösen können. Wir haben erwartet, dass das zur Berücksichtigung der legitimen Interessen und Forderungen des Donbass und zur Verankerung des Sonderstatus dieser Regionen und der Grundrechte der dort lebenden Menschen in der Verfassung unter Wahrung der territorialen Einheit der Ukraine führen würde. Wir waren dazu bereit, und wir waren bereit, die Menschen, die in diesen Gebieten leben, davon zu überzeugen, die Probleme auf diese Weise zu lösen, und wir haben bei mehr als einer Gelegenheit verschiedene Kompromisse und Lösungen vorgeschlagen.
Aber letztlich wurde alles abgelehnt. Kiew hat das Minsker Abkommen einfach in den Papierkorb geworfen. Wie die Vertreter der ukrainischen Führung später zugaben, waren sie mit keinem der Artikel dieser Dokumente zufrieden, sie haben einfach gelogen und verdreht, so gut sie konnten.
Die ehemalige deutsche Bundeskanzlerin und der ehemalige französische Präsident, die eigentlich Mitverfasser und Garanten des Minsker Abkommens waren, haben später plötzlich auch direkt zugegeben, dass es keine Pläne gab, es umzusetzen; sie wollten die Situation nur ruhig halten, um Zeit zu gewinnen, um ukrainische bewaffnete Formationen aufzubauen und sie mit Waffen und Ausrüstung vollzupumpen. Sie haben uns wieder einmal einfach „ausgetrickst“, uns betrogen.
Statt eines echten Friedensprozesses, statt der Politik der Wiedereingliederung und der nationalen Aussöhnung, von der Kiew so gerne spricht, wird der Donbass seit acht Jahren beschossen. Es wurden Terroranschläge und Morde verübt und eine brutale Blockade errichtet. In all diesen Jahren wurden die Bewohner des Donbass – Frauen, Kinder, alte Menschen – zu Menschen „zweiter Klasse“, zu „Untermenschen“ erklärt und mit Repressalien bedroht, indem man ihnen sagte, man würden kommen und sich an allen rächen. Was ist das anderes als ein Völkermord im Zentrum Europas im 21. Jahrhundert? Und in Europa und den USA wird so getan, als ob nichts passiert, als ob niemand etwas bemerkt.
Ende 2021 und Anfang 2022 wurde der Minsker Prozess endgültig begraben, und zwar von Kiew und seinen westlichen Gönnern, und es wurde erneut ein massiver Angriff auf den Donbass geplant. Eine große Gruppe der ukrainischen Streitkräfte bereitete eine neue Offensive auf Lugansk und Donezk vor, natürlich mit ethnischen Säuberungen, riesigen Verlusten an Menschenleben und Hunderttausenden von Flüchtlingen. Wir waren verpflichtet, diese Katastrophe zu verhindern, die Menschen zu schützen; wir konnten keine andere Entscheidung treffen.
Russland hat schließlich die Volksrepubliken Donezk und Lugansk anerkannt. Wir haben sie ja acht Jahre lang nicht anerkannt, wir haben immer noch gehofft, eine Einigung zu erzielen. Das Ergebnis ist nun bekannt. Und am 21. Februar 2022 haben wir Verträge über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand mit diesen von uns anerkannten Republiken geschlossen. Frage: Hatten die Volksrepubliken das Recht, sich an uns um Unterstützung zu wenden, als wir ihre Unabhängigkeit anerkannten? Und hatten wir das Recht, ihre Unabhängigkeit anzuerkennen, so wie sie das Recht hatten, ihre Souveränität in Übereinstimmung mit den von mir genannten Artikeln der UN-Charta und den Entscheidungen des Internationalen Gerichtshofs der Vereinten Nationen zu erklären? Hatten sie das Recht, ihre Unabhängigkeit zu erklären? Sie hatten es. Aber wenn sie dieses Recht hatten und davon Gebrauch gemacht haben, dann hatten wir das Recht, mit ihnen einen Vertrag zu schließen. Und wir haben es getan, und ich wiederhole: in voller Übereinstimmung mit dem Völkerrecht und Artikel 51 der UN-Charta.
Gleichzeitig haben wir an die Regierung in Kiew appelliert, ihre Truppen aus dem Donbass abzuziehen. Ich kann Ihnen sagen, dass wir Kontakte hatten, und wir haben ihnen sofort gesagt: Zieht Eure Truppen von dort ab, und damit wird dort alles enden. Dieser Vorschlag wurde praktisch sofort abgelehnt und einfach ignoriert, obwohl er eine echte Chance bot, das Problem auf friedliche Weise zu lösen.
Am 24. Februar 2022 sah sich Russland gezwungen, den Beginn der Militäroperation anzukündigen. Vor den Bürgern Russlands, den Bewohnern der Republiken Donezk und Lugansk und der ukrainischen Gesellschaft habe ich dann die Ziele dieser Operation dargelegt: die Menschen im Donbass zu schützen, den Frieden wiederherzustellen, die Ukraine zu entmilitarisieren und zu entnazifizieren und damit Bedrohungen von unserem Staat abzuwenden und das Sicherheitsgleichgewicht in Europa wiederherzustellen.
Dabei haben wir es weiterhin als vorrangig angesehen, diese Ziele mit politischen und diplomatischen Mitteln zu erreichen. Ich erinnere daran, dass unser Land bereits in der allerersten Phase der Militäroperation Verhandlungen mit Vertretern des Kiewer Regimes aufgenommen hat. Sie fanden zunächst in Weißrussland und dann in der Türkei statt. Wir haben versucht, unsere wichtigste Botschaft zu vermitteln: Respektiert die Entscheidung des Donbass und den Willen der dort lebenden Menschen, zieht Eure Truppen zurück und stellt den Beschuss der Städte und Dörfer ein. Mehr ist nicht nötig, und wir werden uns in Zukunft mit den übrigen Fragen befassen. Die Antwort lautete: Nein, wir werden kämpfen. Es ist offensichtlich, dass dies der Befehl ihrer westlichen Herren war, und ich werde jetzt auch darüber etwas erzählen.
Damals, im Februar/März 2022, näherten sich unsere Truppen, wie Sie wissen, Kiew. Sowohl in der Ukraine als auch im Westen gab es damals und heute viele Spekulationen darüber.
Was möchte ich dazu sagen? Unsere Verbände standen in der Nähe von Kiew und die Verteidigungs- und der Sicherheitsbehörden hatten verschiedene Vorschläge zu Optionen für unser mögliches weiteres Vorgehen, aber es gab keine politische Entscheidung, die Stadt mit drei Millionen Einwohnern zu stürmen, egal was irgendjemand gesagt oder spekuliert hat.
Im Grunde war es nichts anderes als eine Operation, um das ukrainische Regime zum Frieden zu zwingen. Die Truppen waren da, um die ukrainische Seite zu Verhandlungen zu drängen, um zu versuchen, akzeptable Lösungen zu finden und damit den Krieg zu beenden, den Kiew 2014 gegen den Donbass entfesselt hatte, um Probleme zu lösen, die eine Bedrohung für die Sicherheit unseres Landes, für die Sicherheit Russlands darstellen.
So seltsam es klingen mag, im Ergebnis war es tatsächlich möglich, Vereinbarungen zu treffen, die im Prinzip sowohl Moskau als auch Kiew akzeptiert haben. Diese Vereinbarungen wurden zu Papier gebracht und in Istanbul vom Leiter der ukrainischen Verhandlungsdelegation paraphiert. Das bedeutet, dass die Kiewer Regierung diese Lösung des Problems akzeptiert hat.
Das Dokument trug den Namen „Vertrag über die ständige Neutralität und die Sicherheitsgarantien für die Ukraine“. Es hatte Kompromisscharakter, aber seine Kernpunkte entsprachen unseren prinzipiellen Forderungen und lösten die Aufgaben, die als die wichtigsten genannt wurden, sogar zu Beginn der Militäroperation. Dazu gehörte, so seltsam es auch klingen mag, die Entmilitarisierung und Entnazifizierung der Ukraine. Und auch hier ist es uns gelungen, schwierige Lösungen zu finden. Sie waren kompliziert, aber sie wurden gefunden. Es ging nämlich darum, dass ein ukrainisches Gesetz über das Verbot der Nazi-Ideologie, egal in welcher Form, verabschiedet wird. Das alles steht dort geschrieben.
Darüber hinaus würde die Ukraine im Gegenzug für internationale Sicherheitsgarantien den Umfang ihrer Streitkräfte begrenzen, sich verpflichten, keinen Militärbündnissen beizutreten, keine ausländischen Militärstützpunkte zuzulassen, keine ausländischen Kontingente zu stationieren und ausländischen keine Militärübungen auf ihrem Gebiet abhalten lassen. Das alles ist auf dem Papier festgehalten.
Da wir die Sicherheitsbedenken der Ukraine verstehen, haben wir zugestimmt, dass die Ukraine, wenn sie der NATO nicht formell beitritt, ähnliche Garantien erhält wie die Mitglieder des Bündnisses. Diese Entscheidung ist uns nicht leicht gefallen, aber wir erkannten die Legitimität der Forderungen der Ukraine nach Gewährleistung ihrer Sicherheit an und hatten im Prinzip keine Einwände gegen die von Kiew vorgeschlagenen Formulierungen. Das waren die von Kiew vorgeschlagenen Formulierungen, die wir insgesamt nicht abgelehnt haben, da wir verstanden hatten, dass es das Wichtigste war, das Blutvergießen und den Krieg im Donbass zu beenden.
Am 29. März 2022 haben wir unsere Truppen von Kiew abgezogen, weil uns versichert wurde, dass wir die notwendigen Voraussetzungen für den Abschluss des politischen Verhandlungsprozesses schaffen mussten. Und dass es unmöglich sei, dass eine der Parteien solche Vereinbarungen, wie unsere westlichen Kollegen zu sagen pflegten, mit vorgehaltener Waffe unterzeichnet. Also gut, wir haben dem zugestimmt.
Aber gleich am Tag nach dem Abzug der russischen Truppen von Kiew hat die ukrainische Führung ihre Teilnahme am Verhandlungsprozess mit der bekannten Provokation in Butscha ausgesetzt und die vorbereitete Fassung der Vereinbarungen abgelehnt. Ich denke, heute ist klar, warum diese schmutzige Provokation notwendig war – um die Ablehnung der in den Verhandlungen erzielten Ergebnisse irgendwie zu erklären. Der Weg zum Frieden wurde erneut verworfen.
Das wurde, wie wir heute wissen, auf Geheiß der westlichen Strippenzieher getan, einschließlich des ehemaligen britischen Premierministers, bei dessen Besuch in Kiew ausdrücklich erklärt wurde: keine Abkommen, Russland muss auf dem Schlachtfeld besiegt werden, seine strategische Niederlage muss erreicht werden. Und sie begannen, die Ukraine mit Waffen vollzupumpen und sprachen von der Notwendigkeit, uns eine strategische Niederlage beizubringen, wie ich Ihnen gerade in Erinnerung brachte. Und einige Zeit später erließ der ukrainische Präsident, wie jeder weiß, ein Dekret, mit dem er seinen Vertretern und sogar sich selbst verbot, mit Moskau zu verhandeln. Auch diese Episode mit unserem Versuch, das Problem mit friedlichen Mitteln zu lösen, endete im Nichts.
Übrigens, zum Thema Verhandlungen. Jetzt möchte ich vor diesem Publikum eine weitere Episode öffentlich machen. Ich habe bisher nicht öffentlich darüber gesprochen, aber einige der Anwesenden wissen davon. Nachdem die russische Armee Teile der Regionen Cherson und Saporoschje besetzt hatte, boten viele westliche Politiker ihre Vermittlung für eine friedliche Beendigung des Konflikts an. Einer von ihnen war am 5. März 2022 zu einem Arbeitsbesuch in Moskau. Und wir akzeptierten seine Vermittlungsbemühungen, zumal er während des Gesprächs darauf verwies, dass er sich der Unterstützung der Staats- und Regierungschefs Deutschlands und Frankreichs sowie hochrangiger Vertreter der USA versichert habe. (Anm. d. Übers.: Es ist kein Problem, im Internet herauszufinden, welcher Politiker am 5. Mürz 2022 in Moskau war, auch wenn Putin seinen Namen nicht genannt hat. Es war der damalige israelische Premierminister Naftali Bennett, der schon im Februar 2023 davon erzählt hat. Putin bestätigt hier im Grunde nur Bennets öffentliche Aussagen)
Während des Gesprächs fragte unser ausländischer Gast, eine kuriose Episode: Wenn Sie dem Donbass helfen, warum sind dann russische Truppen im Süden der Ukraine, einschließlich der Regionen Cherson und Saporoschje? Die Antwort von unserer Seite war, dass dies die Entscheidung des russischen Generalstabs bei der Planung der Operation war. Und heute möchte ich hinzufügen, dass der Plan darin bestand, gewisse der befestigten Gebiete zu umgehen, die die ukrainische Regierung in den acht Jahren im Donbass errichtet hatte, vor zur Befreiung von Mariupol.
Dann stellte der ausländische Kollege – ein professioneller Mann, das muss ich ihm lassen – eine Frage: Werden unsere russischen Truppen in den Regionen Cherson und Saporoschje bleiben? Und was wird mit diesen Regionen geschehen, wenn die Ziele der strategischen Verteidigungskräfte erreicht sind? Ich habe geantwortet, dass ich die Beibehaltung der ukrainischen Souveränität über diese Gebiete nicht generell ausschließe, jedoch unter der Bedingung, dass Russland eine starke Landverbindung zur Krim hat.
Das heißt, Kiew sollte das so genannte Servitut garantieren, also ein rechtlich formalisiertes Zugangsrecht für Russland zur Halbinsel Krim über die Regionen Cherson und Saporoschje. Das ist eine wichtige politische Entscheidung. Und natürlich würde sie in ihrer endgültigen Fassung nicht von einer einzelnen Person getroffen werden, sondern erst nach Konsultationen mit dem Sicherheitsrat, mit anderen Strukturen, natürlich nach Diskussion mit den Bürgern, der Öffentlichkeit unseres Landes und vor allem mit den Bewohnern der Regionen Cherson und Saporoschje.
Letztendlich haben wir genau das getan: Wir haben die Meinung der Menschen selbst eingeholt und Referenden durchgeführt. Und wir haben getan, was das Volk beschlossen hat, auch in den Regionen Cherson und Saporoschje sowie in den Volksrepubliken Donezk und Lugansk.
Zu diesem Zeitpunkt, im März 2022, erklärte der Verhandlungspartner, dass er sich dann nach Kiew begeben werde, um die Gespräche mit seinen Gesprächspartnern in der ukrainischen Hauptstadt fortzusetzen. Wir begrüßten dies, ebenso wie die Bemühungen um eine friedliche Lösung des Konflikts insgesamt, denn jeder Tag der Kämpfe bedeutete neue Opfer und Verluste. In der Ukraine wurden jedoch, wie wir später erfuhren, die Dienste des westlichen Vermittlers nicht akzeptiert, und man warf ihm, wie wir erfuhren, im Gegenteil vor, prorussische Positionen zu vertreten – in einer ziemlich harten Form, muss man sagen, aber das ist bereits ein Detail.
Nun hat sich, wie ich bereits sagte, die Lage grundlegend geändert. Die Bewohner von Cherson und Saporoschje haben sich in Referenden geäußert, die Regionen Cherson und Saporoschje sowie die Volksrepubliken Donezk und Lugansk sind Teil der Russischen Föderation geworden. Und es kann keine Rede davon sein, unsere staatliche Einheit zu verletzen. Der Wille des Volkes, zu Russland zu gehören, ist unumstößlich. Die Frage ist für immer abgeschlossen und steht nicht mehr zur Diskussion.
Ich möchte noch einmal wiederholen: Es war der Westen, der die Ukraine-Krise vorbereitet und provoziert hat, und jetzt tut er alles, um diese Krise auf unbestimmte Zeit zu verlängern, um die Menschen in Russland und der Ukraine zu schwächen und gegenseitig zu verhärten.
Er schickt immer wieder neue Munitions- und Waffenlieferungen. Einige europäische Politiker haben begonnen, über die Möglichkeit zu sprechen, ihre regulären Truppen in der Ukraine zu stationieren. Gleichzeitig sind es, wie ich bereits festgestellt habe, die derzeitigen wahren Herren der Ukraine – die leider nicht das ukrainische Volk, sondern die globalistischen Eliten jenseits des Ozeans sind -, die versuchen, der ukrainischen Exekutive Entscheidungen aufzuerlegen, die beim Volk unpopulär sind, einschließlich der weiteren Herabsetzung des Wehrpflichtalters.
Jetzt sind es, wie Sie wissen, 25 Jahre, die nächste Etappe könnte 23 sein, dann 20, 18 oder auch sofort 18. Und dann wird man sich natürlich der Figuren entledigen, die unter dem Druck des Westens diese unpopulären Entscheidungen treffen, sie wegen Nutzlosigkeit rauswerfen, ihnen die ganze Verantwortung zuschieben und andere Leute an ihre Stelle setzen, die zwar auch vom Westen abhängig sind, aber noch nicht so einen angeschlagenen Ruf haben.
Daher vielleicht auch die Idee, die Präsidentschaftswahlen in der Ukraine abzusagen. Diejenigen, die jetzt an der Macht sind, werden alles tun, dann werden sie entsorgt und dann wird getan, was sie für nötig halten.
In diesem Zusammenhang erinnere ich an das, was Kiew jetzt lieber verschweigt, und auch der Westen zieht es vor, nicht darüber zu sprechen. Worum geht es? Im Mai 2014 entschied das Verfassungsgericht der Ukraine, dass, ich zitiere, „der Präsident für fünf Jahre gewählt wird, unabhängig davon, ob er in außerordentlichen oder regulären Wahlen gewählt wird“. Darüber hinaus stellte das ukrainische Verfassungsgericht fest, dass, ein weiteres Zitat, „der verfassungsrechtliche Status des Präsidenten keine Normen enthält, die eine andere Amtszeit als fünf Jahre festlegen würden“. Ende des Zitats, Punkt. Die Entscheidung des Gerichts ist endgültig und kann nicht angefochten werden. Das war’s.
Was bedeutet das in Bezug auf die heutige Situation? Die Amtszeit des gewählten ukrainischen Staatsoberhauptes ist abgelaufen und damit auch seine Legitimität, die nicht durch irgendwelche Tricks wiederhergestellt werden kann. Ich werde nicht im Detail auf die Hintergründe der Entscheidung des Verfassungsgerichts der Ukraine über die Amtszeit des Präsidenten eingehen. Es ist klar, dass sie mit dem Versuch zusammenhängt, den Staatsstreich von 2014 zu legitimieren. Aber dennoch gibt es dieses Urteil und es ist eine rechtliche Tatsache. Es stellt alle Versuche in Zweifel, das heutige Spektakel mit der Annullierung der Wahlen zu rechtfertigen.
Tatsächlich begann die aktuelle tragische Seite der ukrainischen Geschichte mit der gewaltsamen Machtergreifung, wie ich bereits sagte, dem verfassungsfeindlichen Staatsstreich im Jahr 2014. Ich wiederhole: Der Ursprung des derzeitigen Kiewer Regimes ist ein bewaffneter Putsch. Und nun hat sich der Kreis geschlossen, denn die Exekutivgewalt in der Ukraine wird wieder, wie 2014, usurpiert und illegal gehalten, sie ist de facto illegitim.
Ich sage noch mehr: Die Situation mit der Annullierung der Wahlen ist Ausdruck des Wesens, des wirklichen Bauchgefühls des derzeitigen Regimes in Kiew, das aus dem bewaffneten Putsch von 2014 hervorgegangen ist, mit ihm verbunden ist und dort seine Wurzeln hat. Und dass sie sich nach der Annullierung der Wahlen weiterhin an die Macht klammern, ist eine Handlung, die durch Artikel 5 der Verfassung der Ukraine ausdrücklich verboten ist. Ich zitiere: „Das Recht, die verfassungsmäßige Ordnung in der Ukraine zu bestimmen und zu ändern, steht ausschließlich dem Volk zu und kann nicht vom Staat, seinen Organen oder Beamten usurpiert werden.“ Darüber hinaus fallen solche Handlungen unter Paragraf 109 des ukrainischen Strafgesetzbuchs, der sich genau auf die gewaltsame Änderung oder den Umsturz der verfassungsmäßigen Ordnung oder die Ergreifung der Staatsgewalt sowie die Verschwörung zu solchen Handlungen bezieht.
Im Jahr 2014 wurde so eine Usurpation im Namen der Revolution gerechtfertigt, und jetzt durch militärische Aktionen. Die Bedeutung dieses Begriffs ändert sich jedoch nicht. Es handelt sich vielmehr um eine geheime Absprache zwischen der Exekutive der ukrainischen Regierung, der Führung der Werchowna Rada und der von ihr kontrollierten Parlamentsmehrheit mit dem Ziel der Usurpation der Staatsgewalt, anders kann man es nicht nennen, die nach ukrainischem Recht eine Straftat darstellt.
Weiter: Die Verfassung der Ukraine sieht keine Möglichkeit vor, die Wahl des Präsidenten des Landes zu annullieren oder zu verschieben, die Fortführung seiner Befugnisse im Zusammenhang mit dem Kriegsrecht, auf das jetzt Bezug genommen wird. Was steht in der ukrainischen Verfassung? Sie besagt, dass während des Kriegsrechts die Wahlen zur Werchowna Rada verschoben werden können. So steht es in Artikel 83 der Verfassung des Landes.
Die ukrainische Gesetzgebung sieht also eine einzige Ausnahme vor, wenn die Befugnisse eines staatlichen Organs für die Dauer des Kriegsrechts verlängert werden und keine Wahlen stattfinden. Und die gilt nur für die Werchowna Rada. Damit ist der Status des ukrainischen Parlaments als ständig funktionierendes Organ unter Kriegsrecht festgelegt.
Mit anderen Worten: Die Werchowna Rada ist heute, im Gegensatz zur Exekutive, das legitime Organ. Die Ukraine ist keine Präsidialrepublik, sondern eine parlamentarisch-präsidiale Republik. Darum geht es.
Darüber hinaus ist der Vorsitzende der Werchowna Rada in seiner Eigenschaft als Präsident gemäß den Artikeln 106 und 112 mit besonderen Befugnissen ausgestattet, unter anderem im Bereich der Verteidigung, der Sicherheit und des Oberbefehls über die Streitkräfte. Alles ist dort schwarz auf weiß niedergeschrieben.
Übrigens hat die Ukraine in der ersten Hälfte dieses Jahres ein Paket von bilateralen Abkommen über die Zusammenarbeit im Bereich der Sicherheit und der langfristigen Unterstützung mit einer Reihe von europäischen Ländern abgeschlossen. Jetzt gibt es ein ähnliches Dokument mit den USA.
Seit dem 21. Mai dieses Jahres stellt sich natürlich die Frage nach den Vollmachten und der Legitimität der Vertreter der ukrainischen Seite, die solche Dokumente unterzeichnen. Wie man so schön sagt: Es ist uns egal, sollen sie doch unterschreiben, was sie wollen. Es ist klar, dass es hier eine politische und propagandistische Komponente gibt. Die USA und ihre Satelliten wollen ihre Untergebenen irgendwie unterstützen, ihnen Gewicht und Legitimität verleihen.
Aber trotzdem, wenn dieselben USA später eine ernsthafte juristische Prüfung des Abkommens vornehmen – ich spreche nicht von der Essenz, sondern von der juristischen Komponente -, wird sich jedoch mit Sicherheit die Frage stellen, wer diese Dokumente unterzeichnet hat und mit welcher Befugnis. Und es wird sich zeigen, dass all das ein Bluff und das Abkommen nichtig ist, und das ganze Konstrukt wird natürlich in sich zusammenfallen, wenn man den Wunsch hat, die Situation zu analysieren. Man kann so tun, als sei alles normal, aber es ist nichts normal, ich habe es gelesen. Alles steht in den Dokumenten, alles ist in der Verfassung festgehalten.
Ich erinnere auch daran, dass der Westen nach dem Beginn der Militäroperation eine energische und sehr grobe Kampagne gestartet hat, um Russland auf der internationalen Bühne zu isolieren. Heute ist es für jeden klar und offensichtlich, dass dieser Versuch gescheitert ist, aber natürlich hat der Westen seinen Plan nicht aufgegeben, so etwas wie eine internationale antirussische Koalition aufzubauen und Druck auf Russland auszuüben. Auch das verstehen wir.
Wie Sie wissen, hat der Westen damit begonnen, aktive die Initiative für die sogenannte hochrangige internationale Friedenskonferenz in der Ukraine in der Schweiz zu fördern. Diese Konferenz soll unmittelbar nach dem Gipfeltreffen der G7 stattfinden, also der Gruppe derer, die den Konflikt in der Ukraine mit ihrer Politik angeheizt haben. Was die Organisatoren des Treffens in der Schweiz vorschlagen, ist nur ein weiterer Trick, um die Aufmerksamkeit aller abzulenken, Ursache und Wirkung der Ukraine-Krise zu vertauschen, die Diskussion in eine falsche Richtung zu lenken und der derzeitigen Exekutive in der Ukraine in gewisser Weise wieder den Anschein von Legitimität zu verleihen.
Es ist daher nur natürlich, dass in der Schweiz trotz aller Versuche, die Tagesordnung der Konferenz mehr oder weniger anständig zu gestalten, keine wirklich grundlegenden Fragen diskutiert werden, die den Kern der aktuellen Krise der internationalen Sicherheit und Stabilität und die wahren Wurzeln des Ukraine-Konflikts betreffen.
Es ist schon jetzt abzusehen, dass sich alles auf allgemeines demagogisches Gerede und eine neue Reihe von Anschuldigungen gegen Russland reduzieren wird. Die Idee ist leicht zu erkennen: so viele Staaten wie möglich mit allen Mitteln einzubinden und so zu tun, als ob die westlichen Rezepte und Regeln von der gesamten internationalen Gemeinschaft geteilt würden, was bedeutet, dass unser Land sie bedingungslos akzeptieren solle.
Wie Sie wissen, wurden wir natürlich nicht zu dem Treffen in der Schweiz eingeladen. Es geht schließlich nicht um Verhandlungen, sondern um den Wunsch einer Gruppe von Ländern, weiterhin ihre eigene Linie durchzusetzen und Fragen, die unsere Interessen und unsere Sicherheit unmittelbar betreffen, nach eigenem Gutdünken zu lösen.
Ich möchte in diesem Zusammenhang betonen, dass es unmöglich ist, ohne die Beteiligung Russlands, ohne einen ehrlichen und verantwortungsvollen Dialog mit uns, eine friedliche Lösung in der Ukraine und für die globale europäische Sicherheit insgesamt zu erreichen.
Bislang ignoriert der Westen unsere Interessen, während er Kiew Verhandlungen verbietet und uns heuchlerisch zu Verhandlungen auffordert. Es sieht einfach idiotisch aus: Einerseits verbietet man ihnen, mit uns zu verhandeln, andererseits ruft man uns zu Verhandlungen auf und unterstellt uns, dass wir uns weigern, zu verhandeln. Das ist Schwachsinn. Aber wir leben ja in einer Art Spiegelwelt.
Erstens müssten sie Kiew den Befehl geben, das Verbot, das selbst auferlegte Verbot von Verhandlungen mit Russland aufzuheben, und zweitens sind wir bereit, uns schon morgen an den Verhandlungstisch zu setzen. Wir verstehen die Besonderheiten der Rechtslage, aber es gibt dort legitime Autoritäten, auch im Einklang mit der Verfassung, wie ich gerade sagte, und es gibt Menschen, mit denen man verhandeln kann. Bitte, wir sind bereit. Unsere Bedingungen für die Aufnahme solcher Gesprächs sind einfach und laufen auf Folgendes hinaus.
Wissen Sie, ich werde mir jetzt etwas Zeit nehmen, um die ganze Kette der Ereignisse noch einmal durchzuspielen, damit klar wird, dass das, was ich jetzt sage, für uns nicht die Konjunktur von heute ist, sondern wir haben immer eine bestimmte Position vertreten, wir haben immer den Frieden gesucht.
Diese Bedingungen sind also sehr einfach. Die ukrainischen Truppen müssen vollständig aus den Volksrepubliken Donezk und Lugansk sowie aus den Regionen Cherson und Saporoschje abgezogen werden. Und ich mache Sie darauf aufmerksam, dass es um das gesamte Gebiet dieser Regionen innerhalb ihrer Verwaltungsgrenzen geht, die zum Zeitpunkt ihres Beitritts zur Ukraine bestanden.
Sobald Kiew erklärt, dass es zu dieser Entscheidung bereit ist und mit dem tatsächlichen Abzug der Truppen aus diesen Regionen beginnt, sowie offiziell mitteilt, dass es seine Pläne, der NATO beizutreten, aufgegeben hat, wird von unserer Seite aus sofort, buchstäblich in derselben Minute, der Befehl zur Einstellung des Feuers und zur Aufnahme von Verhandlungen folgen. Ich wiederhole: Wir werden das sofort tun. Natürlich werden wir gleichzeitig den ungehinderten und sicheren Rückzug der ukrainischen Einheiten und Verbände garantieren.
Natürlich möchten wir darauf zählen, dass die Entscheidung über den Truppenabzug, den Status der Blockfreiheit und die Aufnahme des Dialogs mit Russland, von dem die künftige Existenz der Ukraine abhängt, in Kiew unabhängig getroffen wird, auf der Grundlage der gegenwärtigen Realitäten und geleitet von den echten nationalen Interessen des ukrainischen Volkes, und nicht auf Anweisung des Westens, obwohl es daran natürlich große Zweifel gibt.
Doch was möchte ich in diesem Zusammenhang noch einmal sagen, woran will ich erinnern? Ich sagte, dass ich noch einmal die Chronologie der Ereignisse durchgehen möchte. Lassen Sie uns etwas Zeit dafür aufwenden.
Also, während der Ereignisse auf dem Maidan in Kiew in den Jahren 2013 und 2014 hat Russland wiederholt seine Hilfe bei einer verfassungsmäßigen Lösung der Krise angeboten, die eigentlich von außen organisiert wurde. Kehren wir zur Chronologie der Ereignisse Ende Februar 2014 zurück.
Am 18. Februar kam es in Kiew zu bewaffneten Zusammenstößen, die von der Opposition provoziert wurden. Mehrere Gebäude, darunter das Rathaus und das Gewerkschaftshaus, wurden in Brand gesetzt. Am 20. Februar eröffneten unbekannte Scharfschützen das Feuer auf Demonstranten und Ordnungskräfte, was bedeutet, dass diejenigen, die den bewaffneten Umsturz vorbereiteten, alles taten, um die Situation weiter in Richtung Gewalt und Radikalisierung zu treiben. Und die Menschen, die damals in Kiew auf der Straße waren und ihre Unzufriedenheit mit der damaligen Regierung zum Ausdruck brachten, wurden bewusst für ihre eigenen egoistischen Zwecke als Kanonenfutter benutzt. Genau dasselbe tun sie heute, sie mobilisieren und schicken Menschen zur Schlachtbank. Und doch gab es damals die Möglichkeit, einen zivilisierten Ausweg aus der Situation zu finden.
Es ist bekannt, dass am 21. Februar ein Abkommen zur Beilegung der politischen Krise zwischen dem damaligen Präsidenten der Ukraine und der Opposition unterzeichnet wurde. Seine Garanten waren bekanntlich offizielle Vertreter Deutschlands, Polens und Frankreichs. Das Abkommen sah die Rückkehr zu einer parlamentarisch-präsidentiellen Regierungsform, die Abhaltung vorgezogener Präsidentschaftswahlen, die Bildung einer Regierung des nationalen Vertrauens sowie den Rückzug der Ordnungskräfte aus dem Kiewer Zentrum und die Abgabe der Waffen durch die Opposition vor.
Ich füge hinzu, dass die Werchowna Rada ein Gesetz verabschiedet hat, das eine strafrechtliche Verfolgung der Demonstranten ausschließt. Es gab eine Vereinbarung, die die Gewalt gestoppt und die Situation in den rechtsstaatlichen Bereich zurückgeführt hätte. Diese Vereinbarung wurde unterzeichnet, aber sowohl in Kiew als auch im Westen zieht man es vor, sich nicht an sie zu erinnern.
Heute werde ich mehr über eine andere wichtige Tatsache sagen, die bisher noch nicht öffentlich bekannt war, nämlich dass auf Initiative der amerikanischen Seite buchstäblich in denselben Stunden des 21. Februar ein Gespräch mit meinem amerikanischen Vis-a-Vis stattfand. Der amerikanische Präsident hat die Vereinbarung zwischen der Regierung und der Opposition in Kiew eindeutig unterstützt. Er bezeichnete sie als einen echten Durchbruch, als Chance für das ukrainische Volk, dafür zu sorgen, dass die ausgebrochene Gewalt nicht alle denkbaren Grenzen überschreitet.
Und weiter, im Laufe unserer Gespräche haben wir gemeinsam die folgende Formel ausgearbeitet: Russland würde versuchen, den damaligen Präsidenten der Ukraine dazu zu bewegen, sich so zurückhaltend wie möglich zu verhalten, die Armee und die Ordnungskräfte nicht gegen die Demonstranten einzusetzen. Und die USA würden dementsprechend, so hieß es, die Opposition, wie sie genannt wird, zur Ordnung rufen, Verwaltungsgebäude räumen und die Straße beruhigen.
All dies sollte die Voraussetzungen dafür schaffen, dass das Leben im Land wieder zur Normalität, zum verfassungsmäßigen und rechtlichen Bereich zurückkehren konnte. Und insgesamt haben wir vereinbart, im Interesse einer stabilen, friedlichen und sich normal entwickelnden Ukraine zusammenzuarbeiten. Wir haben unser Wort in vollem Umfang gehalten. Der damalige ukrainische Präsident Janukowitsch, der auch gar nicht vorhatte, die Armee einzusetzen, hat das nicht getan und darüber hinaus sogar zusätzliche Polizeieinheiten aus Kiew abgezogen.
Und was ist mit den westlichen Kollegen? In der Nacht des 22. Februar und dann während des gesamten folgenden Tages, als Präsident Janukowitsch nach Charkow abreiste, wo ein Kongress von Abgeordneten aus den südöstlichen Regionen der Ukraine und der Krim stattfinden sollte, übernahmen Radikale trotz aller Vereinbarungen und Garantien des Westens – sowohl Europas als auch, wie gesagt, der USA – die Kontrolle über das Gebäude der Rada, die Präsidialverwaltung, und übernahmen die Regierung mit Gewalt. Und kein einziger Garant all dieser Vereinbarungen über die politische Lösung – weder die USA noch die Europäer – hat auch nur einen Finger gerührt, um seinen Verpflichtungen nachzukommen und die Opposition aufzufordern, die besetzten Regierungsgebäude freizugeben und auf Gewalt zu verzichten. Es ist klar, dass ihnen dieser Verlauf der Ereignisse nicht nur gelegen kam, sondern dass sie offenbar die Urheber dieser Entwicklung waren.
Ebenfalls am 22. Februar 2014 hat die Werchowna Rada unter Verstoß gegen die ukrainische Verfassung die Entschließung über die sogenannte Selbstenthebung des amtierenden Präsidenten Janukowitsch vom Amt des Präsidenten angenommen und für den 25. Mai außerordentliche Wahlen angesetzt. Mit anderen Worten: Es hat ein bewaffneter Staatsstreich, der von außen angezettelt wurde, stattgefunden. Die ukrainischen Radikalen haben mit stillschweigender Zustimmung und direkter Unterstützung des Westens alle Versuche, die Situation friedlich zu lösen, vereitelt.
Dann haben wir versucht, Kiew und die westlichen Hauptstädte dazu zu überreden, einen Dialog mit den Menschen im Südosten der Ukraine aufzunehmen und ihre Interessen, Rechte und Freiheiten zu respektieren. Aber nein, das Regime, das durch den Staatsstreich an die Macht gekommen ist, hat sich für den Krieg entschieden und im Frühjahr und Sommer 2014 Strafmaßnahmen gegen den Donbass eingeleitet. Russland hat erneut zum Frieden aufgerufen.
Wir haben alles getan, um die akuten Probleme, die im Rahmen des Minsker Abkommens entstanden sind, zu lösen, aber der Westen und die Regierung in Kiew haben sich, wie ich bereits betont habe, nicht an dieses Abkommen gehalten, obwohl unsere westlichen Kollegen, einschließlich des US-Präsidenten, uns mit Worten versicherten, dass das Minsker Abkommen wichtig sei und dass sie sich für den Prozess seiner Umsetzung einsetzen würden. Dass das ihrer Meinung nach eine Lösung der Situation in der Ukraine, ihre Stabilisierung und die Berücksichtigung der Interessen der Bewohner des Ostens ermöglichen würde. Stattdessen organisierten sie in der Praxis eine Blockade des Donbass, wie ich bereits erwähnt habe. Die ukrainischen Streitkräfte bereiteten sich konsequent auf eine groß angelegte Operation zur Zerstörung der Volksrepubliken Donezk und Lugansk vor.
Das Minsker Abkommen wurde schließlich durch die Hände des Kiewer Regimes und des Westens begraben. Ich komme noch einmal darauf zurück. Deshalb sah sich Russland 2022 gezwungen, die Militäroperation einzuleiten, um den Krieg im Donbass zu beenden und die Zivilbevölkerung vor einem Völkermord zu schützen.
Gleichzeitig haben wir seit den ersten Tagen wieder Optionen für eine diplomatische Lösung der Krise vorgelegt; darüber habe ich heute schon gesprochen. Das waren die Verhandlungen in Weißrussland und in der Türkei und der Abzug der Truppen von Kiew, um die Voraussetzungen für die Unterzeichnung der Istanbuler Vereinbarungen zu schaffen, die im Prinzip von allen akzeptiert wurde. Aber auch diese Versuche wurden letztlich wieder abgelehnt. Der Westen und Kiew haben den Kurs eingeschlagen, uns zu besiegen. Aber, wie wir wissen, ist das alles gescheitert.
Heute machen wir einen weiteren konkreten, echten Friedensvorschlag. Wenn Kiew und die westlichen Hauptstädte ihn wie bisher ablehnen, dann ist es letztlich ihre Sache und ihre politische und moralische Verantwortung für die Fortsetzung des Blutvergießens. Es ist offensichtlich, dass sich die Realitäten vor Ort und an der Kontaktlinie weiterhin nicht zugunsten des Kiewer Regimes verändern werden. Und die Bedingungen für die Aufnahme von Verhandlungen werden andere sein.
Ich betone das Wichtigste: Der Kern unseres Vorschlags ist nicht eine vorübergehende Waffenruhe oder ein Waffenstillstand, wie es der Westen will, um die Verluste wieder auszugleichen, das Kiewer Regime wieder aufzurüsten und es auf eine neue Offensive vorzubereiten. Ich wiederhole: Es geht nicht um ein Einfrieren des Konflikts, sondern um seine endgültige Beendigung.
Und ich sage noch einmal: Sobald Kiew einem ähnlichen Ablauf wie dem heute vorgeschlagenen zustimmt, einem vollständigen Rückzug seiner Truppen aus der DNR und der LNR sowie aus den Regionen Saporoschje und Cherson zustimmt und diesen Prozess tatsächlich einleitet, sind wir bereit, Verhandlungen aufzunehmen, ohne sie zu verzögern.
Ich wiederhole, unsere prinzipielle Position ist folgende: der neutrale, blockfreie, nicht-nukleare Status der Ukraine, ihre Entmilitarisierung und Entnazifizierung, zumal diese Parameter bei den Istanbuler Gesprächen im Jahr 2022 insgesamt vereinbart wurden. In Bezug auf die Entmilitarisierung war dort alles klar, alles wurde genau festgelegt: die Anzahl von diesem, jenem und der Panzer. Es war alles vereinbart.
Natürlich müssen die Rechte, Freiheiten und Interessen der russischsprachigen Bürger in der Ukraine in vollem Umfang gewährleistet werden, und die neuen territorialen Gegebenheiten und der Status der Krim, Sewastopols, der Volksrepubliken Donezk und Lugansk sowie der Regionen Cherson und Saporoschje als Teilgebiete der Russischen Föderation müssen anerkannt werden. Alle diese grundlegenden und fundamentalen Bestimmungen sollten in Zukunft in Form von grundlegenden internationalen Abkommen festgelegt werden. Das impliziert natürlich auch die Aufhebung aller westlichen Sanktionen gegen Russland.
Ich glaube, dass Russland eine Option vorschlägt, die es ermöglichen wird, den Krieg in der Ukraine wirklich zu beenden, das heißt, wir rufen dazu auf, die tragische Seite der Geschichte umzuschlagen und, wenn es auch schwierig wird, allmählich, Schritt für Schritt, aber allmählich die Beziehungen des Vertrauens und der guten Nachbarschaft zwischen Russland und der Ukraine und in Europa insgesamt wiederherzustellen.
Indem wir die ukrainische Krise lösen, könnten wir, auch gemeinsam mit unseren Partnern in der OVKS und der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit, die auch heute einen bedeutenden und konstruktiven Beitrag zur Suche nach einer friedlichen Lösung der ukrainischen Krise leisten, sowie mit den westlichen, einschließlich der europäischen Staaten, die zum Dialog bereit sind, mit der grundlegenden Aufgabe beginnen, die ich zu Beginn meiner Erklärung erwähnt habe, nämlich der Schaffung eines unteilbaren eurasischen Sicherheitssystems, das die Interessen ausnahmslos aller Staaten des Kontinents berücksichtigt.
Natürlich ist es unmöglich, buchstäblich zu den Sicherheitsvorschlägen zurückzukehren, die wir vor 25, 15 oder auch nur zwei Jahren vorgelegt haben, denn es ist zu viel passiert und die Umstände haben sich geändert. Die Grundprinzipien und vor allem das eigentliche Thema des Dialogs bleiben jedoch unverändert. Russland ist sich seiner Verantwortung für die weltweite Stabilität bewusst und bekräftigt seine Bereitschaft, mit allen Ländern zu sprechen. Dabei sollte es sich jedoch nicht um die Imitierung eines Friedensprozesses handeln, um den egoistischen Willen eines Landes, die eigenen Interessen zu bedienen, sondern um ein ernsthaftes, gründliches Gespräch über alle Fragen, über das gesamte Spektrum der weltweiten Sicherheitsfragen.
Liebe Kollegen, ich bin überzeugt, dass Sie alle wissen, vor welch großen Aufgaben Russland steht und wie viel wir zu tun haben, auch im Bereich der Außenpolitik.
Ich wünsche Ihnen von Herzen Erfolg bei der schwierigen Arbeit zur Gewährleistung der Sicherheit Russlands, unserer nationalen Interessen, zur Stärkung der Position des Landes in der Welt, zur Förderung der Integrationsprozesse und der bilateralen Beziehungen zu unseren Partnern.
Die Staatsführung wird ihrerseits dem diplomatischen Dienst und allen an der Umsetzung der russischen Außenpolitik Beteiligten weiterhin die notwendige Unterstützung zukommen lassen.
Ich danke Ihnen nochmals für Ihre Arbeit, ich danke Ihnen für Ihre Geduld und Ihre Aufmerksamkeit für das, was ich gesagt habe. Ich bin sicher, dass wir Erfolg haben werden.
Heute erlaube ich mir, meine geschätzten Leserinnen und Lesern, auf ein interessantes unabhängiges Medium aufmerksam zu machen. Ich lege es Ihnen wärmstens ans Herz. Doch bevor ich dazu komme, möchte ich Ihnen einen Ausschnitt aus meinem früheren Beitrag „Eingenordeter Journalismus“ zur Kenntnis zu bringen:
«Der deutsche Journalismus ist – in meinen Augen jedenfalls – seit 2014 (Ukraine-Krise, Maidan-Putsch) gewaltig auf den Hund gekommen. Was Deutschland anbelangt arbeitet er längst nicht mehr im Sinne der vierten Gewalt. Wie immer und überall bestätigen Ausnahmen die Regel. Nun aber in zwei Jahren Corona-Krise ist anscheinend ein vorläufiger Tiefstand erreicht. Alle elektronischen Medien führen vom frühen Morgen bis tief in den Abend hinein Corona im Mund. Die Zeitungen stehen dem nicht nach. Da hilft nur Abschalten bzw. abbestellen. Alle Medien sind quasi als Regierungssprecher tätig. Das Corona-Regierungsnarrativ wird hoch und runter unkritisch nachgebetet. Doch damit nicht genug: Einzelne Medien stechen da noch übel heraus, indem sie die von der Regierung erlassenen Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung als zu lasch bezeichnen und eigene Vorschläge zur Verschlimmbesserung und ein härteres Kujonieren der Bevölkerung fordern und auf die Titelseiten knallen.
Ähnlich ging es bereits in der Ukraine-Berichterstattung vonstatten. Es zählte das Narrativ der Regierung. Das es oft an der Realität vorbeiging, interessierte den deutschen Journalismus nicht.
Damals brachte, konnte uns und erst recht heute kann uns das auf den Gedanken bringen, betreffs der Medien, des Journalismus finde eine Gleichschaltung statt. Oh, böses Wort! Negativ konnotiert. Weil an die Nazizeit erinnernd. Das darf man heute weder sagen, noch schreiben. Böse, böse!
Man muss es aber auch nicht benutzen. Denn da bin mir nämlich ziemlich sicher: eine solche Gleichschaltung findet auch gar nicht statt. Das funktioniert subtiler. Gerade die Printmedien sind in unseren Tagen aus vielerlei Gründen klamm. Anzeigen sind weniger geworden. Und auch die Zahl der Abonnenten geht zurück. Der Weltenretter Bill Gates, der erstaunlicherweise als „Philanthrop“ durchgeht, rückt ausgewählten Medien über die Bill & Melinda Gates Stiftung schon einmal ein bissel Kohle rüber. Der SPIEGEL etwa erhielt von der Stiftung zweimal (2018 und 2021) über zwei Millionen Euro. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Das bringt natürlich das einstige Nachrichtenmagazin, das mal versprochen hatte zu sagen, was ist und gerade seinen siebzigsten Geburtstag feiert, keineswegs dazu, in Gates Sinne zu publizieren.« (Quelle: clausstille.blog)
Inzwischen – im Ukrainekrieg – ist alles noch einmal viel schlimmer geworden. In den öffentlich-rechtlichen Medien springt einem fast nur noch Propaganda und Kriegshetze entgegen. Andere, dazu kritische, Meinungen werden niedergemacht und die Personen, die sie äußern diffamiert. Manche müssen mit Kontosperrungen rechnen oder verlieren gar ihre Anstellung.
Als ehemaliger DDR-Bürger betrachte ich diese negative Entwicklung des Journalismus noch einmal kritischer als dies vielleicht Menschen tun, welche im Westen sozialisiert wurden. Ich schaute ja über in der DDR zu empfangende Medien über die Mauer auf eine vielfältig, plurale Medienlandschaft in der BRD. Natürlich war auch da nie alles Gold was glänzte. Heute jedoch ist diese Medienpluralität kaum mehr vorhanden – sozusagen eingedampft.
Selbst war ich bereits ab der Schulzeit (Schulzeitung) journalistisch und später dann neben dem Brotberuf weiter ehrenamtlich tätig. Nun, nachdem ich auch für zwei Straßenmagazine (in Deutschland und der Schweiz) arbeitete, betreibe ich seit einiger Zeit diesen Blog hier. Zunehmend steigt meine Sorge nicht nur um den Zustand des Journalismus, sondern auch um den der Demokratie, beziehungsweise das, was davon noch übrig ist und immer mehr beschädigt wird. Ein alarmierender Zustand. Ich schließe mich dem an, was Fritz Edlinger (74) sagt: „Es ist genug!“ Wir, die wir noch Vernunft und Verstand besitzen, dürfen diese bedenkliche Entwicklung von Politik und Medien nicht länger hinnehmen. Im Interesse unserer Gesellschaft und des Weltfriedens, der gefährdeter als zu Zeiten des Kalten Krieges ist.
Ein journalistischer Lichtblick für mich war das Erscheinen der NachDenkSeiten. Daneben gibt es freilich noch andere Publikationen, die gemeinhin als Alternativmedien bezeichnet werden.
Wann ich genau auf die You Tube-Beiträge der Zeitschrift International stieß, kann ich nicht mehr genau sagen. Nur soviel: Ich kann und werde auf sie nicht mehr verzichten. Ein wahre journalistische Bereicherung. Dem Herausgeber und Chefredakteur der Zeitschrift, Fritz Edlinger, ein jung gebliebener Jungsozialist, welcher sich auch jetzt, wo viele Genossen sich nur mehr als Sozialdemokraten bezeichnen, noch immer als Sozialist begreift, ist für sein Engagement sehr zu danken. Dass es durchaus interessant ist, jemand, der vor genau 45 Jahren eine außenpolitische/internationalistische Zeitschrift ins Leben gerufen hat, zu Wort kommen zu lassen, dachte sich der Begründer des höchst erfolgreichen YouTube Kanals „neutrality studies“, Pascal Lottaz, und führte mit dem befreundeten Fritz Edlinger ein Interview.
Pascal Lottaz interviewt Fritz Edlinger
Darin erfahren Sie alles über die Gründung und den Werdegang der österreichischen Zeitschrift INTERNATIONAL. Ich empfehle Ihnen, liebe Leserinnen und Leser dieses interessante Interview, verbunden mit der Hoffnung, dass sie es nicht nur weiterempfehlen, sondern womöglich diesen Kanal auch abonnieren. Und wenn sie mögen vielleicht sogar das Printmedium Zeitschrift INTERNATIONAL im Abonnement ordern.
Fritz Edlinger schreibt zum Interview:
«Mit diesem Newsletter möchte ich Sie/Dich auf ein Video hinweisen, das es in dieser Form seit Bestehen des YouTube Kanals von INTERNATIONAL noch nicht gegeben hat und es auch kaum in der weiteren Zukunft geben wird. In diesem Video gibt es einen absoluten Rollenwechsel: der Interviewer wird zum Interviewten. Das folgende Gespräch hat also unser Freund, Partner und Begründer des höchst erfolgreichen YouTube Kanals „neutrality studies“, Pascal Lottaz, mit mir geführt. Die Initiative dafür kam von Pascal, der meinte, dass es durchaus interessant ist, jemand, der vor genau 45 Jahren eine außenpolitische/internationalistische Zeitschrift ins Leben gerufen hat und der in einer völlig geänderten politischen Situation dieses Projekt nicht nur weiter führen sondern auch – gegen den aktuellen politischen und medialen Zeitgeist ankämpfend – weiter ausbauen möchte, näher kennen zu lernen. Ich habe diese Idee nach kurzem Zögern akzeptiert und hier ist also das Resultat: Ein alter Jungsozialist meint, dass es genug ist an Verhetzung, Verbreitung von Halbwahrheiten und Lügen bis hin zur menschenverachtenden Kriegshetze. Dagegen muss man sich einfach engagieren und INTERNATIONAL bietet sich als Partner einer neuen Friedensbewegung an. Ich hoffe, dass es Pascal und mir gelungen ist, diese wichtige Message zu vermitteln und würde mich über Stellungnahmen sehr freuen.«
Unter dem Video kommentiert eine Zuseherin: „Vielen Dank, ich bin froh, dass auch ich geistiges Asyl bei euch gefunden habe.“
Dies kann ich so für mich auch unterschreiben. Der Satz dürfte sich auf eine Äußerung von Fritz Edlinger beziehen, der sagte, INTERNATIONAL bekomme in letzter Zeit immer öfters Anfragen von Autoren, welche ihre Texte in ihrem Land von den Redaktionen dortiger Medien nicht abgenommen bekommen, mit der Bitte, dass INTERNATIONAL sie veröffentlichen möge.“ So sei INTERNATIONAL sozusagen zum Asyl für anderswo abgelehnte Autoren und deren Artikel geworden.
Zur Zeitschrift INTERNATIONAL:
Beitragsbild: Fritz Edlinger via snapshot/You Tube
Dies ist ein Aufruf von Michael von der Schulenburg[*], ehemaliger Assistant Secretary-General der Vereinten Nationen zum Jahrestag der russischen Invasion in die Ukraine.
Am 24. Februar jährt sich die Invasion russischer Truppen in die Ukraine zum zweiten Mal und damit der Ausbruch des größten, brutalsten und gefährlichsten Krieges auf europäischem Boden seit dem Zweiten Weltkrieg. Dieser Krieg hat bisher auf beiden Seiten mehrere hunderttausende Tote sowie schwerst-verwundete und seelisch verkrüppelte meist sehr junger Menschen gefordert. Dieser enorme Blutzoll hat uns einer Lösung des Konfliktes keinen Schritt nähergebracht – im Gegenteil, eine friedliche Lösung wird täglich schwieriger. Wie lange soll das Töten weitergehen, bis wir endlich Empathie mit dem Leiden des ukrainischen Volkes fühlen und die Vernunft dem Leiden ein Ende setzt?
Der russische Angriff ist illegal, und niemand darf das Recht der Ukraine auf Selbstverteidigung in Zweifel ziehen. Aber dieses Recht darf nicht in der Zerstörung des ganzen Landes ausarten. Und es sind nicht nur russische Waffen, sondern auch die von NATO-Ländern gelieferten Waffen, die auf ukrainischem Territorium eingesetzt werden. Sie sind also gleichermaßen für das Leiden und die sukzessiven Zerstörungen des Landes verantwortlich. Das kann und darf nicht Ziel unserer Politik sein, es würde uns eine schwere Schuld aufbürden.
Für die Ukraine hat sich die militärische Lage zunehmend besorgniserregend entwickelt und es besteht kaum noch eine realistische Chance, dass die Ukraine den Krieg gewinnen könnte. Erschwerend für die Ukraine findet eine Entvölkerung des Landes mit gleichzeitiger Veralterung und Verarmung der dort verbleibenden Menschen statt. Zusätzlich wird das Land durch Korruption, zunehmende interkommunale Differenzen und innenpolitische Konflikte geschwächt, während die militärischen und finanziellen Unterstützungen der NATO-Länder drastisch abnehmen.
Kriege fordern in den Abnutzungs- und Endphasen die meisten Opfer. Dass es dazu kommt, dürfen wir nicht zulassen. Die Fortsetzung des Krieges wäre unverantwortlich, denn sie würde die Ukraine zerstören und ihren Bürgern eine lebenswerte Zukunft nehmen.
Auch für die Menschen in der Europäischen Union und insbesondere in Deutschland würde eine Weiterführung des Krieges zu immer größeren negativen Konsequenzen führen. Der Niedergang des europäischen Wirtschaftsstandortes mit der Folge einer hohen Schuldenlast für die folgenden Generationen, der zunehmenden Unfähigkeit der Regierungen, ihrer sozialen Verantwortung gerecht zu werden und das Notwendige in eine lebenswerte Zukunft der Menschen zu investieren, wird soziale Ungerechtigkeiten sowie innerstaatliche Gegensätze und politische Spannungen verschärfen. Wir würden die Risiken für unsere offene, pluralistische Gesellschaft ebenso wie für die demokratische Ordnung erhöhen. Mit einer Fortsetzung oder gar einer Ausweitung und Eskalation des Krieges setzen wir die Menschen in Europa zunehmend der Gefahr eines unkontrollierbaren, vielleicht sogar nuklearen Krieges aus.
Die Ukraine braucht Frieden – Europa braucht Frieden, und dieser Frieden kann nur durch einen Waffenstillstand mit darauffolgenden Friedensverhandlungen erreicht werden. Diesen Krieg auf europäischem Boden zu beenden, ist unsere europäische Verantwortung. Er darf nicht in ein weiteres Jahr gehen und zu noch mehr sinnlosen Opfern führen. Deshalb erinnere ich die Bundesregierung an die ihr von der Verfassung auferlegte Verpflichtung, dem Frieden der Welt zu dienen und fordere sie daher mit allem Nachdruck auf, gemeinsam mit unseren europäischen Verbündeten und Partnern und der ukrainischen Regierung alles zu unternehmen, um einen sofortigen Waffenstillstand und die Aufnahme von Friedensverhandlungen zu erreichen.
[«*] Kandidat für das Bündnis Sahra Wagenknecht bei den Europawahlen
Quelle: NachDenkSeiten Albrecht Müller.
Beitragsbild: Claus Stille; FLYING COLUMN des Dortmunder Künstlers Leo Lebendig.
Offenbar ist eine Verwünschung ausgesprochen worden. «„Mögest du in interessanten Zeiten leben.” ist ein mittlerweile recht bekanntes chinesisches Sprichwort, um genau zu sein, eine Verwünschung; denn „interessant” wird eine Zeit meist erst im Rückblick: Kriege, Krisen, Umstürze, Veränderungen beispielsweise machen Zeiten „interessant.” Der US-Politiker Robert F. Kennedysagte 1966 bei einer Ansprache in Kapstadt:
„Es gibt einen chinesischen Fluch, der da lautet: ‘Möge er in interessanten Zeiten leben!’ Ob wir es wollen oder nicht – wir leben in interessanten Zeiten…“ („There is a Chinese curse which says, ‘May he live in interesting times.’ Like it or not, we live in interesting times…“)« Quelle: Ostasieninstitut.
„Umstritten“ – Ein Stempel für diejenigen, die es sich herausnehmen, eine eigene Meinung zu vertreten
Interessant an dieser Verwünschung ist, dass sie nur ganz bestimmte Leute trifft. Nämlich diejenigen, welche es sich hierzulande herausnehmen, eine eigene Meinung zu vertreten. In dem Maße,wie man ihnen das übelnimmt – weil diese Meinung bestimmten Narrativen zuwiderläuft – verpasst man ihnen den Stempel «umstritten«.
Dann nützt den zu «Umstrittenen« erklärten Menschen auch kein schnelles Pferd mehr. Der Stempel pappt ihnen an. Und dafür, dass er sichtbar ist, wird gesorgt. Wagen diese Menschen dann doch einmal aus irgendeinem Fenster zu schauen, um etwas in einer bestimmten Angelegenheit oder Sache anzumerken, bekommen sie sogleich aufs Dach. Sie werden möglichst mittels einer zur schlimmen Mode gewordenen Cancel Culture aus dem öffentlichen Diskurs diffamiert und ausgegliedert. Kommt man einmal doch nicht umhin sie zu nennen oder ist es ihnen doch gelungen, irgendwo öffentlich zu erscheinen oder aufzutreten, dann heißt es in den Medien, „die umstrittene“, „der umstrittene Soundso“ …
Dann wissen die Medienkonsumenten (wenn sie es nicht eh schon wissen), was sie von der betreffenden Person zu halten haben. Vielleicht haben die Leute auch schon vorher im Nicht-Lexikon Wikipedia (der vielleicht bei manch wissenschaftlichen Einträgen vertraut werden kann) nachgeschaut und über jemanden gelesen: Herr X gilt betreffs seiner Äußerungen und seiner auf Portalen, die für die Verbreitung von «Verschwörungsideologien« bekannt sind, veröffentlichten Texte, als «umstritten«.
Wem das so ergeht, kann als Person ziemlich rasch „erledigt“ sein. Hatte so jemand eine gewisse Reputation, so dürfte diese schnell perdu sein oder dessen Stellung womöglich zusätzlich noch einer Kündigung seitens des Arbeitgebers anheimfallen. Wer noch mehr Pech hat, dem kündigt die Hausbank eventuell gar das Bankkonto. Ja, die betroffenen Menschen leben wahrlich in „interessanten Zeiten“. Das ist nicht vergnügungssteuerpflichtig.
Unterschiedliche Zeitgenossen „die sich in politisch schwierigen Zeiten ein demokratisches Ur-Recht herausgenommen und verteidigt haben: das Recht auf eine eigene Position.“
Der Journalist und Bestsellerautor Marcus Klöckner hat nun beim Verlag FiftyFifty einen Band herausgegeben, welcher jenen gewidmet ist, „die sich in politisch schwierigen Zeiten ein demokratisches Ur-Recht herausgenommen und verteidigt haben: das Recht auf eine eigene Position.“ Weiter heißt es zum Buch:
„So unterschiedliche Personen wie Patrik Baab, Daniele Ganser, Ulrike Guérot, Stefan Homburg, Michael Meyen, Albrecht Müller, Friedrich Pürner stehen beispielhaft dafür.“
Für die Herausgabe des m.E. sehr wichtigen Buches, zumal es dafür sorgt, dass den „Umstrittenen“ ein Stück weit Gerechtigkeit widerfährt und die ihnen angetane Unbill nicht vergessen wird, gebührt dem Verlag und Marcus Klöckner Lob und Anerkennung.
Der Begriff «umstritten« verkommt zur Waffe, die gegen unliebsame Meinungsabweichler eingesetzt wird“
«“Umstritten“ – so bezeichnen „Qualitätsmedien“ heutzutage kritische Denker, die auf die Realitäts- und Sinnbrüche in Politik und Berichterstattung hinweisen. Mit dieser Formulierung sollen Kritiker an den vorherrschenden „Wahrheiten“ mundtot gemacht werden. Längst aber haben viele Bürger die Masche durchschaut. „Umstritten“ zu sein, ist als ein Prädikatssiegel für Demokraten zu verstehen. Wer heutzutage vom Polit- und Medienmainstream niedergemacht wird, muss sehr viel richtig gemacht haben. Gut, dass es „die Umstrittenen“ gibt«, so der schreibt der Verlags.
Marcus Klöckner in seiner Einleitung: „Ob Mediennutzer eine Person, um die es in der Berichterstattung geht, als «umstritten« betrachten oder nicht, soll ihnen selbst überlassen bleiben. Doch innerhalb einer weltanschaulich kontaminierten «Berichterstattung« verkommt der Begriff «umstritten« zur Waffe, die gegen unliebsame Meinungsabweichler eingesetzt wird.“
Er führt als ein Beispiel an: „Wie oft ist etwa in Medien von umstrittenen Linke-Politikerin Sahra Wagenknecht zu lesen? Wohl die meisten Bürger in Deutschland wissen, wer Wagenknecht ist. Dass sie von einigen heftig kritisiert und von anderen bewundert wird, ist kein Geheimnis. Wenn ihr zum X. Mal der Begriff «umstritten« angeklebt wird, dann hat das einen Grund: Einige Journalisten wollen Stimmung machen. Sie wollen Wagenknecht negativ rahmen. Ist etwa Olaf Scholz nicht umstritten? Allein schon, wenn man an Cum-Ex denkt. Müsste nicht konsequenterweise in jedem Medienbericht stehen: der «umstrittene« Kanzler? Ist Baerbock nicht umstritten? Müsste nicht in jedem Beitrag stehen: die umstrittene Außenministerin? Welcher Politiker ist schon nicht umstritten?“
Auf darauf folgenden Seite gibt Klöckner zu bedenken: „Gelebter Pluralismus, der für jede gesunde Demokratie konstitutiv ist, wird zum Störfaktor bei der Festzementierung von angeblichen unumstößlichen Wahrheiten. Demokratieverständnis? Sechs. Setzen.
Außenministerin Annalena Baerbock sagte im September dieses Jahres die folgenden Worte:
«Deutschland ist eine Demokratie. Punkt. Es gibt bei uns Meinungsfreiheit, alle können immer und überall sagen, was sie wollen. Wer das wie Chrupalla verkennt, hat den Unterschied zwischen Diktatur und Demokratie nicht verstanden – oder will es einfach nicht.«
Die Aussage korrespondiert auf erwartbare Weise mit einer Politik, der die Entdifferenzierung der Realität alles andere als fremd ist: Alle können alles sagen. Aber ansonsten hält die Aussage einer Realitätsprüfung nicht stand. Zu einer Demokratie gehört, dass jeder alles sagen kann. Nicht zu einer Demokratie gehört, dass Persönlichkeiten, die vom Mainstream abweichende Ansichten vertreten, öffentlich niedergemacht, mit Hass und Hetze überzogen werden und dass deren berufliche Existenz in Gefahr gerät. Den Realitätscheck besteht auch nicht die Aussage, dass alle überall alles sagen können. Richtig ist; Ein Bürger kann sich auf eine Parkbank oder an den Stammtisch setzen und sagen, was er denkt (wobei das mit dem Sitzen auf einer Parkbank während der Corona-Zeit …).“
Professor Dr. Stefan Homburg lässt sich von angeblichen Experten nicht diktieren, was er zu denken hat
Der Journalist Patrick Reiter hat mit Professor Dr. Stefan Homburg gesprochen. Dem waren etliche Ungereimtheiten im Rahmen der Coronapolitik aufgestoßen. Und er hielt mit seiner Kritik nicht hinter dem Berge. Dadurch wurde der frühere akademische Überflieger zu einer «umstrittenen« Person. Sie veränderte dessen Leben. Einstige Verdienste – er beriet u.a. auch Regierende – wurden in den Hintergrund verdrängt. Als vielgefragter,, weil wirklicher Experte galt er etwas in Talkrunden und in der Presse. Plötzlich wehte ihm ein eisiger Wind entgegen. Unterkriegen aber ließ sich Stefan Homburg nicht: „Als aufgeklärter Bürger lasse ich mir nicht von angeblichen Experten diktieren, wie ich zu denken habe, sondern bilde mir eine eigene Ansicht und verbreite sie.«
Der Beitrag von Patrick Reitler ist sehr aufschlussreich.
Der „Fall“ Dr. Daniele Ganser
Der NachDenkSeiten-Redakteur Tobias Riegel hat sich mit dem „Fall“ Dr. Daniele Ganser beschäftigt. Medien bezeichnen den Historiker und Friedensforscher unaufhörlich als als «umstritten«. Riegel schreibt: „Er hat sich diesen Titel bereits Anfang der 2000er Jahre durch kritische Veröffentlichungen etwa zu «Gladio«-Gruppen der NATO und durch die entsprechenden Reaktionen auf seine Texte vonseiten transatlantischer Meinungsmacher «verdient«. Zu Gladio hat Ganser im Westend Verlag das Buch „Nato-Geheimarmeen in Europa. Inszenierter Terror und verdeckte Kriegsführung“ veröffentlicht.
Im Vorfeld von Gansers Auftritten im März 2023 wurde in zahlreichen Orten eine Hetzkampagne gegen ihn betrieben.
In Dortmund und Nürnberg waren seine Auftritte zunächst verwehrt worden, wurden jedoch dann per Gerichtsurteil schließlich genehmigt. Dortmunds Oberbürgermeister entblödete sich nicht, nachdem die Stadt bereits vom Verwaltungsgericht Gelsenkirchen eine Klatsche erhalten hatte, Einspruch zusätzlich noch vorm Oberverwaltungsgericht zu erheben. Und prompt kassierte er die zweite Klatsche. Ich bekam das hier in Dortmund quasi aus nächster Nähe mit. Die Medien hetzten fleißig. Hier beispielsweise ein Artikel des Dortmunder Mediums „Nordstadtblogger“. Dort heißt es: „Der geplante Auftritt von Dr. Daniele Ganser in der Westfalenhalle 2 – dort, wo auch der Stadtrat während des Rathausumbaus tagt – schlägt in der Politik hohe Wellen. Denn der Historiker ist hoch umstritten und gilt als Verschwörungsideologe.“ Beiträge von mir dazu finden Sie hier, hier und hier.
Das Diffamieren von Dr. Daniele Ganser zeitigt glücklicherweise einen Bumerangeffekt. Riegel resümiert: Soweit man es als Außenstehender beurteilen kann, konnten die Kampagnen Ganser bisher nicht kleinkriegen – im Gegenteil: Vielleicht haben sie ihn einfach nur noch bekannter gemacht, was ein Zeichen dafür wäre, dass sich bestimmte Mechanismen der Diffamierung und der Meinungsmache abgenutzt haben. Das Beispiel des Prominenten Ganser ist allerdings nicht einfach übertragbar. Außerdem sollte die Wirkung auch abgenutzter Meinungsmache auf weniger informierte Zeitgenossen nach wie vor nicht unterschätzt werden.“
Die Causa Patrik Baab
Overton-Redakteur Roberto J. De Lapuente nahm sich die Causa Patrik Baab vor. (S.42)
Der Journalist hatte zu Recherchezwecken für ein Buch eine Reise in die Ostukraine unternommen. Ein Jahr zuvor war er in der Westukraine gewesen. Zu Zeit von Baabs zweiter Reise fanden in den Oblasten Donezk und Lugansk Wahlen statt – was Baab allerdings erst kurz vorher in Moskau erfahren hatte. „De Lapuente verdeutlicht“, schreibt Marcus Klöckner: „Baab sah sich in der Ukraine nicht nur den Gefahren von zwei Fronten ausgesetzt. Plötzlich musste er sich gegen Angriffe von der »Heimatfront« wehren.“ Das m.E. journalistisch fragwürdige Portal t-online.de (es gehört der Firma Ströer, einem Unternehmen für Außen- und Onlinewerbung) veröffentlichte aus der Feder des bereits mit anderen Diffamierungen aufgefallenen Lars Wienand einen Bericht, der den Eindruck entstehen ließ, Baab könnte Wahlbeobachter in den der Ukraine abtrünnig gewordenen Oblasten gewesen sein. Was nicht der Fall war. Wienand, so Baab hätte das leicht recherchieren können. Der Westen bezeichnete diese Urnengänge als „Scheinwahlen“. Lars Wienand ist offenbar ein „Sitzjournalist“, wie Patrik Baab, der schon an vielen Orten mit Konflikten und Kriegen in der Welt vor Ort war, um zu berichten, „Kollegen“ bezeichnet, die lediglich vorm Computer sitzen und „recherchieren“. Dem Journalisten Baab gingen aufgrund der t-online-Diffamierungen zunächst zwei Lehraufträge verloren. Baab ist nicht naiv. Und weiß wie leicht man in etwas hineingeraten kann. De Lapuente: „Es ist ein bisschen so, wie der französische Mathematiker und Philosoph Blaise Pascal es einst ausdrückte: «Das ganze Unglück der Menschen kommt daher, dass sie nicht ruhig in einem Zimmer bleiben können.« Der Journalist weiß, wenn er nicht auf seinem Zimmer bleibt, kann er unglücklich enden.“ Lars Wienand, nehme ich mal an, kann so etwas wohl nicht passieren. Es sei denn sein Stuhl kippt um.
De Lapuente: „Die Causa Baab zeigt, dass Journalismus ein Delikt darstellt in diesen postfaktischen Tagen. Aber nur dann, wenn er mit allen Sorgfaltspflichten ausgeführt wird. (Hinweis auf Patrik Baabs Buch „Auf beiden Seiten der Front“)
Interview mit dem «umstrittenen« Kommunikationswissenschaftler Michael Meyen
Der einstige SWR-Mitarbeiter Ole Skambraks (nach seinem kritischen offenen Brief «Ich kann nicht mehr« (dazu u.a. hier) zur Corona-Berichterstattung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gekündigt) interviewte für das Buch den Kommunikationswissenschaftler Professor Michael Meyen. Meyen, geboren auf der Insel Rügen 1967, studierte noch zu DDR-Zeiten am „Roten Kloster“ in Leipzig, arbeitete dann als Journalist und erhielt 2002 eine Anstellung als Professor für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München.
Herausgeber Marcus Klöcker: „Gegen Meyen läuft ein Disziplinarverfahren, er wurde zur Befragungen vor den Verfassungsschutz eingeladen. Skamraks Auseinandersetzung mit dem Fall Meyen macht transparent, was in unserem Land mittlerweile passiert. Meyens «Vergehen« besteht darin, dass er sich mit den Mitteln seiner Wissenschaftsdisziplin einer fundierten, herrschaftskonzentrierten Medienkritik bedient. Das schmeckt einigen nicht. Deshalb soll er – zu diesem Schluss ist zu kommen – fertiggemacht werden.“ (S. 53)
Die gleich «doppelt umstrittene« Ulrike Guérot
Vom österreichischen Schriftsteller und Journalisten Jan David Zimmermann stammt der Beitrag über die Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot. Marcus Klöckern: „Sie hinterfragte die Maßnahmenpolitik und kritisierte dann auch noch das vorherrschende Narrativ zum Krieg in der Ukraine. Der Medienmainstream sah rot und plötzlich erhob der Trierer Politikwissenschaftler Markus Lind Plagiatsvorwürfe in der FAZ. Darauf kündigte der Arbeitgeber Guérots, die Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn ihre Stelle als Professorin. Jan David Zimmermann zeigt auf, warum Guérot gleich als «doppelt umstritten« gilt. (S.70)
Jan David Zimmermann schreibt abschließend: „Nicht nur in rechtsextremistischen Foren, sondern auch im ansonsten so aufgeklärten bürgerlichen Mainstream zeigt sich deutlich, dass man auch im Jahr 2023 gerne noch Jagd auf rothaarige Frauen macht, die man der Hexerei bezichtigt und die sich mit dem Satan verbündet haben. Auch wenn es sich um Positionen der Mitte handeln.“ (S.78)
Die Süddeutsche Zeitung bezeichnete Friedrich Pürner, den einstigen Leiter eines Gesundheitsamtes als «höchst umstritten«
Die Journalistin und einstige Kolumnistin für das Satiremagazin «Eulenspiegel» Anke Behrend trug einen Text zum Fall Dr. Friedrich Pürner, ehemaliger Leiter des Gesundheitsamtes Aichach-Friedberg im Bayrischen Regierungsbezirk Schwaben, bei.
Die Süddeutsche Zeitung hatte Pürner als «höchst umstritten« bezeichnet. Pürner äußerte Kritik an der Corona-Politik und wurde versetzt, weil er nicht daran dachte sich verbiegen zu lassen. Obwohl er massive berufliche Konsequenzen befürchten musste.
Zuletzt war von Pürner zu hören, dass er bei den Wahlen zum Europäischen Parlament für die kürzlich gegründete Partei von Sahra Wagenknecht, BSW, kandidieren wird.
Der scharfsinnige Denker Albrecht Müller
Ein interessantes Interview hat Marcus Klöckner mit dem Gründer und Herausgeber der NachDenkSeiten Albrecht Müller geführt. Klöckner kennzeichnet Albrecht Müller (85) so: Er sei ein „noch ein scharfsinniger Denker.“.
„Zu seinem Tagesgeschäft gehört es, Politik und Medien grundlegend kritisch zu hinterfragen.“
Klöckner weiter: „Die Bezeichnung «umstritten«, so Müller im Interview, «kommt von jenen, die sich an einen Wust von Denkfehlern, Vorurteilen und falschen Beobachtungen« angepasst haben.“
Analyse der skandalösen Lanz-Sendung, wo selbst vom Moderator gegen Ulrike Guérot geschossen wurde
Zum Ausgang des Buches, liebe Leserinnen und Leser, finden sie eine Analyse jener skandalösen Lanz-Sendung, zu der Ulrike Guérot eingeladen war. Marcus Klöckner: „An ihr lässt sich exemplarisch ablesen, was passiert, wenn eine Person, die als «umstritten« gilt, doch einmal Zugang zu einer Debattenplattform des Mainstreams bekommt.
Guérot sah sich Angriffen nicht nur durch die Gäste Marie-Agnes Strack-Zimmern und Fritz Pleitgen (das ist ein Fehler im Buch, es muss Frederik Pleitgen heißen; C.S.) ausgesetzt, sie musste sich auch gegen den Moderator wehren. Wer die «Wahrheiten« des Mainstreams anzweifelt, soll sich eben nicht durchsetzen dürfen.“
Die Lanz-Sendung ist vom Verlag für das hier besprochene Buch transkribiert worden.
Zwar kann man diese Sendung vom 2.6.2022 noch auf You Tube nachschauen – ich empfehle meinen Lesern aber dennoch die Transkription zu lesen, weil hier m.E. deutlicher hervorsticht, wie widerlich die Angriffe gegen Ulrike Guérot – die sich allerdings, soweit man sie überhaupt zu Worte kommen ließ, nach Kräften zur Wehr gesetzt hat – gewesen sind.
Dank an alle, die dieses wichtige Buch realisiert haben! Es zeigt auf «Umstritten« ist: Ein journalistisches Gütesiegel.
Marcus Klöckner studierte Soziologie, Medienwissenschaften und Amerikanistik an der Philipps-Universität in Marburg. Herrschafts- und Medienkritik kennzeichnen seine Arbeit als Journalist und Bestsellerautor. Mit seinem Buch „‚Möge die gesamte Republik mit dem Finger auf sie zeigen‘ – Das Corona-Unrecht und seine Täter“ setzt sich Klöckner für die Aufarbeitung der Coronapolitik ein. Bei Westend veröffentlichte Klöckner unter anderem als Autor „Sabotierte Wirklichkeit: Wenn Journalismus zur Glaubenslehre wird“ sowie als Mitherausgeber den Klassiker der Soziologie, „Die Machtelite“, von Charles W. Mills.
In diesem Blog werden montags selbst verfasste Gedichte veröffentlicht und je nach Anlass Gedanken übers Zeitgeschehen festgehalten. Im Ganzen behandelt der Blog Ansichten und Eindrücke über Politik, Gesellschaft, Alltag, Liebe und (Pop-)Kultur. Respekt, Hoffnung, Nachdenklichkeit, Friedensfähigkeit und Menschlichkeit werden diesen Blog kennzeichnen.