„Der Fall Ulrike Guérot“. Von Gabriele Gysi (Hg). Buchbesprechung

Oft taten einem die Hände weh. Wie oft mussten wir dennoch in den vergangenen Jahren immer wieder die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Und die Angst vor einem bleibenden Schleudertrauma ging nicht weg: Wie viele Male haben wir in letzter Zeit und auch gegenwärtig wieder weiter besorgt und wütend und mit Unverständnis mit dem Kopfe geschüttelt!

Wie geriet unsere Gesellschaft nur dahin wo sie sich inzwischen befindet? Was verdammt noch mal ist mit uns los? Wo soll das noch hinführen? Bekommen wir das nicht nur angehalten sondern auch endlich aus der Welt geschafft? Fragen über Fragen.

Artikel 5 GG

In einer Demokratie müssen wir erwarten unsere Meinung frei sagen zu können. Doch damit nicht genug.

Im Artikel 5 des deutschen Grundgesetzes (GG) werden wir fündig, er schützt in Abs. 1 fünf eigenständige Grundrechte, nämlich die die Meinungs-Informations-Presse-, Rundfunk- und Filmfreiheit (sogenannte Kommunikationsgrundrechte).[1] Beschränkt werden diese Rechte gem. Art. 5 Abs. 2 durch die allgemeinen Gesetze sowie den Jugendschutz und das Recht der persönlichen Ehre (Ehrenschutz).

Art. 5 Abs. 3 schützt außerdem die Freiheit von Wissenschaft, Forschung und Lehre sowie die Kunstfreiheit. Hierbei handelt es sich um weitere Formen der Kommunikation, die das Grundgesetz als besonders schutzwürdig erachtet. Daher können diese Grundrechte lediglich durch kollidierendes Verfassungsrecht eingeschränkt werden. (Quelle: Wikipedia)

Artikel 5 GG (1) sagt klar und deutlich: «Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt. «

Das hört sich gut an. Papier ist geduldig. Heutzutage allerdings muss man hinzudenken: Du darfst dich freilich nach diesen Grundsätzen. Aber du musst halt auch mit den entsprechenden Konsequenzen rechnen und leben.

Das hat vor allen Dingen die Zeit der Corona-Pandemie gezeigt. Und es zeigt sich nun wieder im Ukraine-Krieg. Wer sich kritisch jenseits staatlicher oder andere Narrative äußert, kriegt rasch einen auf den Deckel. Grundgesetz hin oder her.

Wer es dennoch tut gilt nämlich rasch als „umstritten“ oder bekommt es obendrein mit der unseligen Cancel Culture zu tun. Das kann einem sogar den Job oder das eigene Bankkonto kosten. Oder sogar den gesellschaftlichen Tod für die betroffene Person bedeuten.

Eingeschränkter Meinungskorridor

Der Meinungskorridor wurde immer mehr eingeschränkt. Wie passt das zur Demokratie – zum Artikel 5 des Grundgesetzes? Immer mehr Menschen – hauptsächlich solchen, welche bereits in der DDR gelebt hatten – kommt das nicht geheuer vor. Manches erinnert sie nicht von ungefähr an Erscheinungen in der DDR. Dergleichen hatten sie in der BRD mit ihrer freiheitliche demokratische Grundordnung (fdGO) nicht für möglich gehalten.

Heute gelten Personen die nicht auf Linie sind als „umstritten“ bzw. als Schwurbler oder Verschwörungstheoretiker. Menschen die in der DDR von der ideologischen Linie abwichen, gegen die wurde mit mit unterschiedlichen Mitteln vorgegangen. Im schlimmsten Falle juristisch. Sie konnten ihre Arbeitsstelle verlieren, wenn sie nach Ansicht von Partei und Staat ideologisch dort nicht tragbar waren. Rasch galten sie als Staatsfeinde, die dem Klassenfeind im Westen zuarbeiteten. Künstler etwa drohte der Verlust ihrer Engagements. In Rundfunk, Fernsehen oder in der Presse kamen sie dann halt nicht mehr vor. Oder es wurde zumindest versucht sie klein zu halten. Dann konnten sie vielleicht noch in irgendwelchen Nischen in kirchlichen Räumlichkeiten auftreten. Oder es blieb ihnen nur noch übrig einen Ausreiseantrag ins westlichen Ausland zu stellen.

Was trifft, trifft zu“

Zu DDR-Zeiten schrieb ich ab und an als ehrenamtlicher Journalist (Volkskorrespondent) für eine Bezirksparteizeitung der SED, die ironischerweise den Titel „Freiheit“ (gegründet 1946, da war der Titel gewiss treffend) trug.

Oft suchte ich mir die Themen über die ich schreiben wollte selber aus. Und das wurde von der Redaktion zumeist goutiert, gern genommen und gedruckt. Doch einmal, als ich über einen Auftritt des bekannten Journalisten, Dichters, Satirikers und Kabarettisten Hansgeorg Stengel schreiben wollte, redete mir der von mir angesprochene Redakteur das aus. Beziehungsweise riet mir: „Einen kurzen Bericht kannste machen.“ Aber ich sollte bloß nicht zu sehr ins Detail gehen. Wenn ich verstünde was er meine. Höchstes ein Bonmot zitieren. Eines freilich, das nicht allzu kritisch mit negativen Erscheinungen im Arbeiter- und Bauernstaat ins Gericht ging. Ich verstand. Was der Redakteur meinte war mir klar. In der Regel waren Stengels Texte nämlich äußerst ausgefeilt, treffend und scharfzüngig. Was freilich nicht allen gefiel. Vor allem manchem SED-Funktionär nicht. Denn er griff Defizite im sozialistischen Staat auf und nahm sie auf sie aufs Korn. Wie sagte doch Karl Kraus: „Was trifft, trifft zu.“ Was ja gerade das Großartige an seinen Texten war. Dafür liebten die Leute ihn. Ich verzichtete.

Meinungsvielfalt? Fehlanzeige. DDR 2.0?

So manch kritisch denkender Mensch, der mit offenen Augen und Ohren am Leben beteiligt ist, spricht oder schreibt, wir hätten es heute in mancher Beziehung mit so etwas wie einer DDR 2.0 zu tun. So ganz abwegig finde ich diese Ansicht nicht. Obwohl man nicht alles 1:1 vergleichen kann.

Aber in der alten BRD stand es um die Meinungsfreiheit schon einmal wesentlich besser als das dies heute der Fall ist. Es gab ganz linke und linke Blätter, aber als Gegenstücke auch stramm konservative. Man hatte eine große Auswahl, fand ein Meinungspluralismus vor. Auch im Rundfunk und beim Fernsehen gab es ein breites Spektrum. Das ist heute längst nicht mehr so. In vielerlei Beziehung haben wir es mit einer Selbstgleichschaltung zu tun. Und sogenannte Haltungsjournalisten bevölkern die Redaktionsstuben. Dafür gibt es einige Gründe, auf die hier nicht näher eingegangen werden kann. Meinungsvielfalt? Fehlanzeige. Der Meinungskorridor wird immer mehr verengt.

Das auch im damaligen Westdeutschland nicht alles Gold war was glänzte, war mir schon als noch in der DDR lebender Bürger klar. So naiv bin ich nicht. Wir empfingen ja Westfernsehen und rezipierten mit großem Interesse kritische Politmagazine wie beispielsweise Monitor oder Panorama. Tempi passati – leider.

Fälle wo Menschen diffamiert, gebasht und gecancelt wurden haben sich in der Corona-Zeit gehäuft. Und diese fürchterlich Unart, die einer wirklichen Demokratie unwürdig seid, wird weiter verfolgt und trifft nunmehr Menschen, welche sich in Zeiten des Ukraine-Kriegs für Waffenstillstand und Friedensverhandlungen einsetzen.

Kennen Sie den „Fall“ Ulrike Guérot?

Im Westend Verlag ist jetzt ein Buch erschienen, welches den Titel „Der Fall Ulrike Guérot. Versuche einer Hinrichtung“ trägt. Herausgegeben von Gabriele Gysi. Vom Verlag heißt es dazu:

«Der Artikel 5 des Grundgesetzes sagt: „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten.“ Das gilt auch für Forschung und Lehre: „Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei.“ Wie ist es in der Realität? Wer die zum Teil mit großem, exzessivem Eifer vorgebrachten Anwürfe an Ulrike Guérot einordnen will, sollte deren politischen Hintergrund kennen: In einer prominenten Talkshow sprach sich Ulrike Guérot dafür aus, dass Diplomatie und Politik vor allem darauf abzielen sollten, die Möglichkeit nach Friedensverhandlungen im aktuellen Krieg in und um die Ukraine auszuloten. Am Tag nach der Ausstrahlung der Sendung wurden mit zunehmendem Verfolgungseifer Plagiatsvorwürfe laut, obwohl ihr Buch „Wer schweigt, stimmt zu“ [anbei meine Rezension; C.S] seit dem frühen Frühjahr auf dem Markt und allgemein erhältlich war, wochenlang die Spiegelbestellerliste in oberen Rängen besuchte und in etlichen Medien besprochen wurde. Angebote von Frau Guérot an Kritiker, sich zu einem Austausch, öffentlich oder nichtöffentlich, zu treffen, wurden ausgeschlagen, die Universität Bonn ist mit Ulrike Guérot derzeit in einem Rechtsstreit, die weitere Verhandlung ist für den 10.1.2024 in Bonn angesetzt.

Der Band „Der Fall Ulrike Guérot. Versuche einer öffentlichen Hinrichtung“, herausgegeben von Gabriele Gysi, zeichnet diese Geschehnisse nach und zeigt: Wer stört, wird mundtot gemacht. Oder wie Paul Valéry es ausdrückt: „Wer den Gedanken nicht angreifen kann, greift den Denkenden an.“ Wehren wir diesen Anfängen.«

Pressestimmen zum Buch:

„Die Wissenschaftsfreiheit ist nicht die geringste der Freiheiten. Im Gegenteil: Mit ihr beginnt die Geschichte der Demokratie in Deutschland.“
Prof. Dr. Heribert Prantl

„Die Bezeichnung „umstritten“ dient heutzutage dazu, Andersdenkende zur moralischen Diskreditierung, sozialen Ausgrenzung und institutionellen Bestrafung freizugeben. Wer erfahren will, warum und wie Ulrike Guérot zur „umstrittenen“ Wissenschaftlerin erklärt und abgestraft wurde, der lese dieses Buch.“
Sandra Kostner

Zum Vorwort der Herausgeberin

Gabriele Gysi setzt sich in ihrem Vorwort mit dem Stempel „Umstritten“ auseinander. Sie fragt: „Wer ist umstritten und in wessen Augen? Worüber wird überhaupt gestritten? Und warum sind immer nur Personen umstritten und nicht Sachverhalte oder empirische Beobachtungen? Warum gelten umstrittene Aussagen an Universitäten nicht als Neugier, dem Denken und Nachdenken förderlich? Wie kann ein Begriff auf solch merkwürdige Weise zur Diskreditierung von Menschen genutzt und akzeptiert werden?

Und sie stellt fest: „Das Nichtwissen ist die Voraussetzung unseres Denkens.“

Und Gysi fragt: „Wie kann eine Gesellschaft das Nachdenken auf Faktenchecker abwälzen? Wann ist dieser Irrsinn ausgebrochen? Wer erklärt hier wem den Krieg?

Für jeden Schauspieler ist der Versuch, etwas zu verstehen, die Grundlage der lebendigen Simulation von Leben. Vielleicht waren gerade die Schauspieler mit ihren Szenen im Rahmen der #allesdichtmachen-Aktion zum Lockdown so erfolgreich, witzig und genau, weil sie die Erfahrung und nicht die «umstrittene Ansicht« schildern.“

Sei meint: „Eine einzige Wahrheit wird postuliert und bis in die Unkenntlichkeit wiederholt. Das wäre das Ende der Aufklärung und tragische Vorgang für die westliche Welt. Aber es gibt Menschen, die sich diesem Verlauf in den Weg stellen, die Umstrittenen. Und es gibt Räume, die den Widerspruch fordern sollten. Es gibt einen Ort, der explizit zum Verstehen, nicht zum Rechthaben, als eine zivilisierte Leistung entwickel wurde, die Universität.“

Gabriel Gysi dankt dem Westend Verlag für das Verlegen dieses Buches. Und: „Aber vor allem bedanke ich mich bei den #Umstrittenen für ihre Klugheit und ihren Mut.“

Heike Egner und Anke Uhlenwinkel befassen sich den Angriffen auf die Wissenschaftsfreiheit

In einer Studie über die Entlassung und Degradierung von Professorinnen und Professoren haben die beiden Damen 50 Fälle erfasst. Diese Erscheinung hat ja in letzten Jahren, etwa ab 2018 zugenommen und hatte ihren Höhepunkt im Jahre 2019 und setzt sich seitdem im mittleren Bereich fort.

Es wird klar wie wenig frei die Lehre an den Universitäten inzwischen ist. Ob es Förderungen und Drittmittel für bestimmte Forschungen gibt hängt immer öfters von Zielen ab, die von den Geldgebern gewünscht werden.

Man sehe sich oft mit einer Wissenschaft konfrontiert, die von der Politik gestaltet wird.

Im Fall Ulrike Guérot argumentieren Egner und Uhlenwinkel man müsse ja nicht unbedingt die inhaltlichen Standpunkte der Professorin teilen, um über den Umgang mit ihr empört zu sein.

Es handele sich um einen Eingriff in die verfassungsrechtlich garantierte Wissenschaftsfreiheit. „Höchst erstaunlich ist daher das sehr laute Schweigen aus den Reihen der Wissenschaft selbst.“ Haben die Kollegen womöglich selbst Besorgnis in die Kritik und „in den vernichtenden Fokus der Medien zu geraten? Man hat ja einiges zu verlieren.“

Die durchaus unterschiedlichen Gründe für erfolgte Entlassungen von Professoren sind im Beitrag aufgeführt. Sicher gibt es auch Fälle, wo dies eine entsprechende Grundlage hatte.

Dem Außenstehenden drängst sich die Frage auf, ob es den Betreibern dieser Entwicklung darum geht, eine möglichst in deren Interessen stromlinienförmige Professorenschaft zu schaffen. Ganze 73 Prozent der befragten Professoren gaben an, dass ihnen in ihren Verfahren die gebotene Vertraulichkeit nicht zugestanden worden sei.

Die beiden Autorinnen warnen bei einem weiteren fortschreiten von Cancel Culture und ideologischer Beeinflussung, um etwa eine „Legitimation aktueller Politik“ zu befördern. „Dann würde Wissenschaft nicht nur in der Mittelmäßigkeit versinken, wie Max Weber dies konstatierte, sondern sie schaffte sich selbst vollständig ab.“

Christoph Lövenich hat den Beitrag „Das «Plagiat« – eine (wissenschaftliche) Betrachtung“ eingebracht

Und Lövenich fragte sich was dran sei an den Plagiatsvorwürfen gegen Ulrike Guérot. Weswegen die Universität Bonn die Professorin kündigte.

„Al Capone wurde auch wegen Steuerhinterziehung weggesperrt und nicht wegen seiner Morde“ habe ein Twitterer am 24. Februar 2023 geschrieben nachdem die Kündigung bekannt geworden war.

Neben anderen hatte sich auch Redakteur Lars Wienand von t-online (das zu Stroer gehört), „ein Medium, das häufig <umstrittene< Persönlichkeiten ins Zielfernrohr seiner gefärbten Berichterstattung nimmt“ nicht entblödet ebenfalls diese Analogie zu benutzen. Der Redakteur des oft zur Diffamierung benutzten Portals schmierte: «Guérot dürfte wegen unwissenschaftlichen Unfugs nicht beizukommen gewesen sein, da hat man ihre Plagiate genutzt.«

Christoph Lövenich: „Es kaum anzunehmen, dass sich Wienand – schon gar nicht zu diesem Zeitpunkt – mit irgendwelchen Details der Vorwürfe auseinandergesetzt hatte. Das hinderte ihn allerdings nicht an Verdachts- und Framings-Journalismus.“

Die in der Kritik stehenden Bücher von Guérot geht es nicht um wissenschaftliche Veröffentlichungen.

Das focht die Uni Bonn jedoch nicht an.

Gleichwohl gibt es einige Schnitzer in den Veröffentlichungen.

Im Wesentlichen Bagatellen.

Der Westend Verlag teilte mit, aus seiner Sicht genügten für künftige Auflagen: „Vier Anführungszeichen an zwei Sätzen im Text wurden ergänzt und die Quellen benannt.“

Fazit von Lövenich: „Bei den betroffenen Büchern Ulrike Guérots handelt sich nicht um Plagiate als solche.“

Lediglich ihr Buch Wer schweigt, stimmt zu“, das von ihr während ihrer Angestelltentätigkeit an der Uni Bonn geschrieben habe, als für das Arbeitsverhältnis „kontrafaktisch relevant gewertet werden würde, hätte dies, wenn überhaupt, eine Abmahnung nach sich ziehen können, aber keineswegs gleich eine Kündigung“.

Lövenich liegt wohl richtig, wenn er abschließend feststellt: „Tatsächlich soll eine Unbequeme bestraft werden – wohl auch in der Absicht, andere abzuschrecken.“

Da fällt mir das Mao Zedong zugeschriebene Zitat ein: „Bestrafe einen, erziehe hunderte.“

Roberto De Lapuente beleuchtet den „Fall «Ulrike Guérot« noch einmal genauer und blickt dazu auch in die Vergangenheit

Roberto De Lapuente beleuchtet den „Fall «Ulrike Guérot«: Versuche einer Hinrichtung“ noch einmal genauer. Auch vom Ablauf der einzelnen Diffamierungen und deren Abkunft her. Er richtet dazu seinen Blick zurück auf den «Radikalenerlass« aus den 1970er Jahren, der damals zum Berufsverbot und Verbannung Andersdenkender aus dem öffentlichen Dienst führte.

Und sein Blick kehrt wieder zurück ins Heute. Zu Zuständen, die zum Himmel schreien. Wir verstehen, es geht immer gegen Menschen von denen der Staat bzw. die Herrschenden glauben, das von ihnen eine Gefahr für sie und den Bestand der herrschenden Meinung ausgeht. Sie werden zumalen gar zu Staatsfeinden gestempelt. Die es gilt mundtot zu machen. Die unrühmlichste und deshalb zutiefst zu verdammende Rolle spielen dabei heute die Medien (die Mainstream-Medien, die sich selbst gleichgerichtet haben und zu Lautsprechern bzw. Propagandisten der Herrschenden geworden sind). Welche ja im Sinne der Vierten Macht die Regierenden eigentlich kontrollieren und im Interesse der Demokratie mit ihren Mittel zur Ordnung rufen sollen.

Dokumentation der öffentlichen Hetze und eine Chronologische Auswahl der Hetzartikel

Im Anhang zum Buch schließt sich eine „Dokumentation der öffentlichen Hetze“ (S.76) an sowie eine „Chronologische Auswahl der Hetzartikel und sonstige Berichte über Ulrike Guérot“ an. (S.77)

Lesen wir dieses Buch, vergessen wir niemals was nicht nur Ulrike Guérot an übler Diffamierung angetan wurde, wie aus vielen publizistischen Rohren auf verabscheuungswürdigste Weise auf sie geschossen wurde. Ihr Beispiel steht für viele Einzelfälle, kritische Personen, die sich in der Corona-Zeit und nun wieder im Ukraine-Krieg mutig hervorgewagt haben, weil sie spürten, dass da einiges nicht stimmt und mit ihrer Meinung nicht hintan gehalten haben. Ihnen gebührt Dank und Hochachtung. Und ja: Wer nicht mit allem, was diese Menschen geäußert haben d`accord meint sein zu können, sollte sich unbedingt dafür einsetzen, dass es gesagt oder geschrieben und veröffentlicht werden kann. Wir alle müssen uns dafür einsetzen, dass ein für alle mal Schluss ist mit üblen Diffamierungen und der fürchterlichen Cancel Culture. Wir müssen uns für einen demokratischen Diskurs starkmachen. Für eine Wiederöffnung des Meinungskorridors. Im Sinne von Johannes Raus Postulat: „Versöhnen statt Spalten“.

Anmerkung: Der Gerichtstermin des Bonner Arbeitsgerichts für die Verhandlung über die Kündigung der Politikprofessorin Ulrike Guérot ist vom 10. Januar auf den 24. April 2024 verschoben worden.

Gabriele Gysi

Der Fall Ulrike Guérot

Versuche einer öffentlichen Hinrichtung

Heike Egner, Anke Uhlenwinkel, Christoph Lövenich, Roberto J. De Lapuente, Herausgegeben von Gabriele Gysi

Erscheinungstermin:08.01.2024
Seitenzahl:96
Ausstattung:Klappenbroschur
Artikelnummer:9783864894503
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„Hilferuf: Ukrainischer Geheimdienst macht Jagd auf Oppositionspolitiker und NachDenkSeiten-Autor Maxim Goldarb“ (via NachDenkSeiten)

Oppositionelle und kritische Journalisten sind in der Ukraine bedroht. Lesen Sie einen Artikel des Oppositionellen und Juristen Maxim Goldarb auf den NachDenkSeiten, für die er regelmäßig über die Lage seines Landes schreibt.

«Ein Artikel von Maxim Goldarb

Seit Februar 2023 verfasst der ukrainische Oppositionelle und Jurist Maxim Goldarb (Union der Linken Kräfte) regelmäßig für die NachDenkSeiten Artikel zur Lage in seiner Heimat unter der Rubrik „Stimmen aus der Ukraine“. Er schrieb unter anderem über Korruption im Verteidigungsministerium, zunehmende totalitäre Tendenzen, die brutale Verfolgung jeder Art von linker Opposition, die voranschreitende Auflösung des Rechtsstaates und sprach sich für Friedensverhandlungen aus. Nun erreichte uns ein Hilferuf von ihm, in welchem er schildert, wie nach der letzten Veröffentlichung bei den NDS der ukrainische Geheimdienst SBU seine Wohnung durchsuchte und die Staatsanwaltschaft ihn wegen „Informationstätigkeiten zugunsten des Aggressors“ angeklagt hat. Wir dokumentieren sein Schreiben im Wortlaut.«

Weiterlesen auf den NachDenkSeiten.

Maxim Goldarbs Hilferuf endet folgendermaßen:

«Heute brauchen ich und die Ukraine als Ganzes mediale und menschliche Unterstützung wie nie zuvor, in welcher Form sie auch immer zum Ausdruck kommen mag:

  1. Veröffentlichung dieses Schreibens;
  2. Unterstützung bei der Verbreitung dieser Informationen in allen möglichen anderen Massenmedien;
  3. Appell an Menschenrechtsorganisationen, die Regierungen und Parlamente Deutschlands, Österreichs und anderer Länder, sich der Kampagne zur Verteidigung der Redefreiheit und der Demokratie in der Ukraine anzuschließen;
  4. jede andere Form der Unterstützung, die Sie für möglich halten.

Vielen Dank!

Mit den besten Grüßen
Maxim Goldarb,
Vorsitzender der Partei „Union der linken Kräfte – Für einen neuen Sozialismus“«

Quelle: NachDenkSeiten

Florian Warweg, Redakteur der NachDenkSeiten, sprach in Dortmund zum Thema: „Medien: Vierte Gewalt oder Meinungsmacher? Der Auftrag der Medien in der Demokratie und die Realität“

Wenn ich mich auch hier wiederhole – so ist es doch einfach eine Tatsache, die aufmerksamen Rezipienten unserer Print- und Onlinemedien über die letzten Jahre immer wieder aufgestoßen sein dürfte. Der Journalismus – gern immer wieder mit stolz geschwellter Brust als vierte Säule unserer Demokratie gepriesen – ist m. E. auf den Hund gekommen. Klar: Es gibt immer noch gut journalistische Beiträge und Medien. Aber diese vierte Säule trägt meiner Meinung nach längst nicht mehr wie tragen sollte. Und wenn das stimmt, dann müssten wir auch über den Zustand der Demokratie sprechen. Denn: Alles hängt mit allem zusammen.

Am vergangenen Montag hatte die Regionalgruppe von Attac Dortmund eine interessante Veranstaltung außer der Reihe anberaumt. Das Thema: „Medien: Vierte Gewalt oder Meinungsmacher? Der Auftrag der Medien in der Demokratie und die Realität“. Als Referent trat Florian Warweg, Redakteur und vielleicht bald – es steht am 29. Juli noch eine Gerichtsurteil aufgrund einer Klage gegen die als Verein firmierende Bundespressekonferenz an – Parlamentsbericht­erstatter (er war es schon einmal zuvor für RT Deutsch) des reichweitenstärksten linken Alternativ­mediums NachDenkSeiten in Erscheinung. Warweg arbeitete für amerika21, RT Deutsch und war im Nahen Osten und Lateinamerika tätig. Bei den NachDenkSeiten betreut er das Projekt Faktencheck und Faktenchecker. Warweg ist eine ganz beliebte Zielscheibe für Diffamierungen u.a. der Volksverpetzer oder der Süddeutschen Zeitung.

Über die sehr interessante Veranstaltung möchte ich hier Bericht erstatten. Da ich derzeit in meiner zweiten Heimat Izmir weile, konnte ich diese nur per Zoom verfolgen.

Aus der Ankündigung

«Wenn von der „4. Gewalt im Staat“ die Rede ist, sind die Aufgaben der Medien gegenüber staatlichem Han­deln angesprochen: Einerseits sollen Medien über das Handeln des Staates und seiner Institutionen informie­ren. Andererseits sollen sie das staatliche Handeln durch ihre Berichterstattung kontrollieren. Aktuelle Veröffentlichungen – insbesondere zu der Berichter­stattung zum Ukraine-Krieg (s. Literaturangaben)  – sprechen eine andere Sprache.

Die Leitmedien der Bundesrepublik ähneln seit mehre­ren Jahren eher einer Säule der Regierungsmacht und der ihr zuarbeitenden Funktionseliten als einer Säule der Demokratie. Machtstützend statt hinterfragend. Wie konnte es so weit kommen?

Der Referent wird in seinem Vortrag die wichtigsten Ergebnisse präsentieren, analysieren, welche Faktoren zu dieser existenziellen Krise des Journalismus führten und welche Einfluss-, Repres­sions- und Manipulati­onsmechanismen dabei ihre Wirkung entfalten.«

Aktuelle Literatur zum Thema:

Richard David Precht & Harald Welzer: Die vierte Ge­walt. Wie Mehrheitsmeinung gemacht wird, auch wenn sie keine ist. S. Fischer, Frankfurt/Main 2022.

Marcus Maurer / Pablo Jost / Jörg Haßler: Die Qualität der Medienberichterstattung über den Ukraine-Krieg. Otto-Brenner-Stiftung, Frankfurt/Main 2023.

Harald Welzer & Leo Keller: Die veröffentlichte Meinung. Eine Inhaltsanalyse der deutschen Medienberichterstattung zum Ukrainekrieg. In: Neue Rundschau 2023/1

Florian Warweg: „Lasst mich meinen Vortrag mit einer Binsenweisheit beginnen: «Das erste Opfer des Krieges ist immer die Wahrheit«

Warweg weiter: „Wenn dem so ist, dann befindet sich Deutschland spätestens seit dem 13. Juni 2022 zumindest im medialen Krieg gegen Russland.“

Warweg machte das an einem Beispiel aus der Tagesschau an diesem Junitag um 20 Uhr einen Beitrag mit Bildern von einem zerstörten Marktplatz in Donezk. Behauptet wurde immer wieder stünden zivile Ziele unter Beschuss der russischen Armee. Es wurde gefordert der Ukraine bitteschön schwere Waffen zukommen zu lassen. Allerdings hatte es sich bei diesem Angriff um einen ukrainischen Angriff gehandelt, wie etwa Reuters gemeldet hatte. Die Tagesschau habe den Bericht mit voller Absicht „umgeframt“. Diese Meldung sei bis heute nicht richtiggestellt worden, in dem Sinne, dass die ukrainische Armee als Täter genannt wurde. Es sei nach heftiger Zuschauerkritik lediglich eine redaktionelle Anmerkung eingefügt worden, dass es nicht vollständig erwiesen sei, dass es sich um einen russischen Angriff gehandelt habe. Diese Vorgehensweise sei in der deutschen Ukraine-Kriegsberichterstattung durchaus kein Einzelfall.

So sehe es auch im Fall des ukrainischen Atomkraftwerks Saporischschja, welches im von Russland kontrollierten Teil der Südukraine liegt, aus.

Sollte es wirklich so sein, dass Russland das unter seiner Kontrolle stehende AkW beschießt? Moskau und Kiew beschuldigten sich immer gegenseitig des Beschusses. Es werde zwar letztlich offengelassen, wer da schieße, ließe jedoch letztlich den Eindruck entstehen, die Russen seien es.

Warweg: „Sagen, was ist – wenn es nicht die eigene Haltung bestätigt – hat schon längst in den meisten Redaktionsstuben der Republik ausgedient.“

Warweg verwies auf ein Konzept des französischen Soziologen Pierre Bourdieu, das immer wieder Verwendung finde. „Doxa (altgriechisch δόξα dóxa ‚Meinung‘) beschreibt ein Konzept des französischen Soziologen Pierre Bourdieu. Doxa bezeichnet alle Überzeugungen und Meinungen, die von einer Gesellschaft unhinterfragt als wirklich oder wahr angenommen werden.“ (Quelle: Wikipedia)

In fast allen Redaktionen herrsche die Doxa. Was da nicht hineinpasse müsse halt entsprechend umgeframt werden.

Ähnlich verfahre man betreffs der Zerstörung des Staudamms in der Oblast Cherson.

Beispiele, warum das und wie diese Praxis funktioniere führte Florian Warweg an. Etwa das Buch von Michael Meyen „Die Propagandamatrix“. Es seien dort genannt: 1. Die herrschende Ideologie, 2. Die Medialisierung, 3. Die Medienorganisation und 4. Das journalistische Feld.

Am zielführensten als Erklärung von medialen Verfahrensweisen aber findet Warweg das 1988 von Noam Chomsky und Edward S. Herman veröffentlichte Buch „Manufacturing Consent“. Auf Deutsch als „Konsensfabrik“ übersetzt.

Einschub meinerseits:

Erstmals auf Deutsch: Der Klassiker zur massenmedialen Meinungsmache

Mit „Manufacturing Consent“ legten Edward S. Herman und Noam Chomsky im Jahr 1988 ein umfassendes Werk zur Funktionsweise der Massenmedien in kapitalistischen Demokratien vor, das heute als eine der meistgelesenen Studien zum Thema gilt. Fein und detailliert zeigen die Autoren, wie die Medien einen gesellschaftlichen Konsens herstellen, der den herrschenden wirtschaftlichen und politischen Interessen folgt. Diese Einflussnahme erfolgt aber nicht durch dunkle, verschwörerische Mächte im Hintergrund, sondern durch die ökonomischen Bedingungen der Medienlandschaft, die Chomsky und Herman analysieren und dabei Themen in den Blick nehmen wie: Eigentumsverhältnisse, Anzeigengeschäft, Quellenabhängigkeit, die Grenzen des Sagbaren und politische Einflussnahme sowie implizite gesellschaftliche Ideologien. Sie zeigen auf, wie Fragen formuliert und Themen ausgewählt werden, und machen die Doppelmoral sichtbar, die der Darstellung freier Wahlen, einer freien Presse und staatlicher Unterdrückung zugrunde liegt.
Mit „Die Konsensfabrik“ liegt der Klassiker von Chomsky und Herman erstmals auf Deutsch vor und hat nichts von seiner Aktualität verloren. « Quelle: Westend Verlag

Das Buch wird unter dem Titel „Die Konsensfabrik“ am 11.9.2023 im Westend Verlag erscheinen. Ich werde es dann hier rezensieren.

Eine handvoll von Konzernen und Verlagen beherrscht in Deutschland Presse und Newsmarkt

Der Referent wies daraufhin, dass in Deutschland etwas mehr als eine handvoll von Konzernen und Verlagen ein Großteil der privaten Presse und auch des Newsmarktes beherrsche. Axel Springer, Bauer Media Group, dann kommt Bertelsmann, Holzbrink Verlags Gruppe, Madsack Mediengruppe (wo die SPD mit der Deutsche Druck- und Verlagsgesellschaft mbH (ddvg)  mit 23 Prozent den größten Anteil hält) und Burda Media sowie die Funke-Medien-Gruppe. Diese sieben Konzerne dominierten nicht nur den Markt, sondern auch die journalistische Ausbildung in Deutschland. Aus dieser Art der Ausbildungsrealität gehe eine enorme Filterwirkung aus, so Warweg.

Journalisten neben Medizinern und Anwälten seien die Berufsgruppen, die sich am stärksten von Generation zu Generation weitergebe.

Warweg sprach auch das entsprechende Wahlverhalten von Journalisten an. In der Mehrzahl wählten sie die Grünen. Wie Umfragen ergaben. So tönten und agierten sie halt auch.

Werbeineinnahmen seien immer mehr gesunken, was zu einer größeren Abhängigkeit von den verbliebenen Werbepartnern führe. Und damit auch zu einem mutmaßlichen Anstieg der inneren Zensurschere. Auch eine Zunahme von staatlicher Querfinanzierung führe zu ähnlichen Konsequenzen. Einflussnahmen seitens der Politik fänden allenfalls subtil statt.

Warweg meinte es gebe auch so gut wie keine Journalisten mit gebrochenen Biografien mehr. Er führte als Beispiel etwa den großen Peter Scholl-Latour an. Der hätte wohl heute keine Chance mehr.

Der Einfluss der Nachrichtenagenturen

Der Referent beleuchtete auch die zentrale Rolle von Nachrichtenagenturen. Das zeige sich in der zunehmenden Übernahme von Texten der Agenturen seitens der Medien. Allenfalls würden sie einfach nur etwas umgeschrieben und passend gemacht. Oft gebe es eine hundertprozentige Übernahme von DPA-Artikeln. Die Deutsche Presse Agentur (DPA) habe ein De-facto-Monopol. Oft hätten dadurch viele Presseorgane fast oder völlig wortgleiche Überschriften.

„Was bedeutet eine freie Presse wenn sie in den Händen der Herrschenden bleibt“

Den interessanten Vortrag schloss Warweg mit einem Zitat legendären Generalsekretärs der französischen Gewerkschaften

Vor ziemlich genau hundert Jahren im Juli 1913 nach einer Schmutzkampagne aller Pariser Tageszeitungen gegen die Gewerkschaftsorganisation einer umfassenden Streikbewegung sagte der legendäre Generalsekretär der französischen Gewerkschaft CGT Léon Jouhaux: „Was bedeutet eine freie Presse wenn sie in den Händen der Herrschenden bleibt.“ Mit diesem Zitat schloss Warweg und merkte an: „Und genau diese Frage müssen wir uns heute wohl genauso stellen. Gerade mit Sicht auf die extrem einseitige und fast immer die existierenden Hegemonialverhältnisse stützende Berichterstattung in diesem Land.

Ein hervorragender Vortrag und eine interessante Fragerunde

Ein hervorragender Vortrag, den Florian Warweg zugunsten von Diskussion und Austausch mit dem Publikum absichtlich kurz gehalten hatte.

Florian Warweg versprach Attac Dortmund den Vortrag schriftlich zur Verfügung zu stellen. Und Attac versprach, diesen dann auf seiner Internetseite zu veröffentlichen. Sobald das geschehen ist werde ich den Vortrag hier verlinken.

Es folgte eine interessante Runde mit klugen Fragen, Ergänzungen und Stellungnahmen aus dem Publikum.

Es ging z.B. um die Frage, inwiefern Geheimdienste Einfluss auf Journalisten nähmen. Ein Herr führte als Beispiel ein Interview mit dem inzwischen verstorbenen FAZ-Journalisten Udo Ulfkotte („Gekaufte Journalisten: Wie Politiker, Geheimdienste und Hochfinanz Deutschlands Massenmedien lenken“) an, der dergleichen geäußert hätte. BND-Leute seien damals mehrmals in sein Büro gekommen und hätten einen bestimmten Text von ihm verlangt und gewartet bis er von Ulfkotte in den Computer getippt worden war. Florian Warweg hatte freilich darüber keinerlei Kenntnis, hielt aber das, was Ulfkotte einst geäußert hatte, durchaus für möglich, dass es ihm so geschehen sei.

Die Moderatorin stellte am Ende fest, der Referent sei ja „ordentlich ausgesaugt worden“. Wahrlich! Mit hohem Gewinn für das im Saal befindliche sowie das via Zoom zugeschaltete Publikum.

Es bleibt dabei: Der Journalismus hierzulande ist auf den Hund gekommen. Es kommt darauf an, ihn wieder zur Vierten Gewalt zu machen. Gefragt sind hauptsächlich die Rezipienten. Also wir. Widerspruch von dieser Seite, so Warweg, fruchte manchmal durchaus. Man muss allerdings auch die Altersstrukturen der Rezipienten beachten. Junge Leute läsen oft gar keine Zeitungen mehr. Oder seien gar nicht mehr in der Lage Informationen zu lesen, die länger als 1 Minute 50 (auf Tiktok) seien. Es gibt als viel zu tun.

Hier finden Sie den gestern in Dortmund gehaltenen Vortrag auf den NachDenkSeiten veröffentlicht.

Dr. Werner Rügemer in Dortmund: „Hinter dem Nebel der Kriegspropaganda: Welche wirtschaftlichen und politischen Interessen bestehen an der Ukraine?“

Tagtäglich ist die Ukraine in vieler Munde. Zuletzt betreffs der unsäglichen Verleihung des Internationalen Karlspreises an den ukrainischen Präsidenten Selenskij. Florian Warweg (NachDenkSeiten) hatte kürzlich angemerkt (hier), dass allein schon der Namensgeber als kriegswütig eingeschätzt gehört. Die Verleihung des Karlspreises an Selenskij als solches ist nun zudem etwas für das sich so mancher für die BRD schämt.

Wir hören und lesen viel zur Ukraine. Hand aufs Herz: Was aber erfahren, was wissen wir denn aber wirklich über dieses Land, dessen Landesflagge überall aufgepflanzt wird? Das die Ukraine angeblich unsere Werte verteidigt? Wessen Werte genau bitteschön wären das?

Dr. phil. Werner Rügemer ließ die Zuhörer hinter den Nebel der Kriegspropaganda blicken

Der Kölner Publizist Dr. phil. Werner Rügemer, der sich selbst als „interventionistischer Philosoph“ bezeichnet, war am vergangenen Montag nach Dortmund in die Auslandsgesellschaft gekommen, um einen etwas genaueren Blick auf die Ukraine zu werfen. Der Titel seines in Dortmund gehaltenen Referats lautete: „Hinter dem Nebel der Kriegspropaganda: Welche wirtschaftlichen und politischen Interessen bestehen an der Ukraine?“

Was sicher so dem Gros des deutschen Publikums weniger bekannt sein dürfte – weil es unsere sogenannten „Qualitätsmedien“, welche betreffs eines Journalismus als Vierte Macht im Staate fast völlig auf den Hund gekommen sind, auch gar nicht erst vermitteln (ein Schelm, wer Böses dabei denkt) brachte Rügemer an diesem interessanten Montagabend aufs Tapet.

Bei den im Großen Saal der Auslandsgesellschaft am Dortmunder Hauptbahnhof versammelten Zuhörerinnen und Zuhörer indes durfte man schon davon ausgehen, dass sie von diesen Informationsdefiziten des allgemeinen deutschen Publikums – Pardon, man muss dabei fast unweigerlich an Karl Marxens Gedicht «In seinem Sessel«: „In seinem Sessel, behaglich dumm,
Sitzt schweigend das deutsche Publikum.“ […] denken – nicht betroffen sind.

Es kommt nicht darauf an, wer den Krieg beginnt, sondern darauf, wer ihn vorbereitet

Werner Rügemer verwies eingangs seines Vortrags auf sein Buch „Verhängnisvolle Freundschaft. Wie die USA Europa eroberten: Vom 1. zum 2. Weltkrieg“ hin.

Er stellte darin dar, dass es ja nicht so sehr darauf ankommt, wer den Krieg beginnt. Sondern wer ihn vorbereitet.

Und er leitete dazu über zu erklären, dass die Ukraine derzeit einen Stellvertreterkrieg führe. Ähnliches sei auch im Ersten und Zweiten Weltkrieg geschehen sei. Und das einige von den Vereinigten Staaten finanzierte vorbereitete Staaten dieses getan hätten. Rügemer in seiner gewohnten augenzwinkernden Trockenheit: „Die USA haben das schon öfter mal geübt.“

Sein Referat beschäftigte sich aber nicht mit dem Militärischen sondern mit der ökonomischen und sozialen Seite. Und zwar betreffs der Situation vor dem Krieg.

Was so zu verstehen sei, dass sie als eine Vorbereitung des Krieges zu verstehen sei.

Rügemer: Die Ukraine sei eigentlich kein selbstständiger Staat wie man das mit dem Begriff Staat normalerweise verbinde

Die Entwicklung in der Ukraine sei heute als die beschleunigte Fortsetzung dessen zu sehen, was seit der Unabhängigkeit 1990 begonnen wurde. Die Ukraine sei eigentlich kein selbstständiger Staat wie man das mit dem Begriff Staat normalerweise verbinde.

Rügemer: „Die Ukraine ist der allermeisten überschuldete Staat der Welt. Der ärmste Staat.“ Und im höchsten Maße das weitaus korrupteste Land in Europa. Ein weltweit höchst verschuldeter Staat.

Den jetzigen Krieg könne dieser Staat aus eigener Kraft überhaupt nicht führen. Die Finanzierung des Militärischen, des Staates und seiner Beamten etc. werde ja von Außen getragen. Die Kriegsführung werde angeleitet via Satelliten der USA oder mithilfe Großbritanniens.

Die größten Eigentümer in der Ukraine, die Oligarchen seien steuerlich und rechtlich nicht im Lande, sondern in ausländischen Steueroasen vertreten.

Die wirtschaftlichen Abhängigkeiten der Ukrainne vom Westen sei in den letzten 25 Jahren immer weiter vergrößert worden

Besonders forciert sei das nach dem vom Westen auch finanziell (laut „Fuck the EU“ Victoria Nuland mit 5 Milliarden Dollar) angeschobenem Maidan-Putsch worden.

Formell habe sich die Ukraine der Europäischen Union angenähert.

Der Referent skizzierte aufschlussreich die neoliberale Zurichtung (Situation vor dem Krieg) der Ukraine in Sachen: Arbeits-, Eigentums-, Sozialrechte, Staatsüberschuldung, Migration, Massenarmut, ausländische Investoren, Steuerflucht, Oligarchenherrschaft und wies daraufhin, dass die Ukraine die größte Armee in Europa unterhalten habe, bzw. unterhält. Aus welchem Grund eigentlich?

Ukraine führte 2015 einen Mindestlohn von 34 Cent pro Stunde ein

2015 habe die ukrainische Regierung zum ersten Mal etwas beschlossen, das in der EU zum Standard gehört: Ein gesetzlicher Mindestlohn. Im Jahr 2015 betrug der erste gesetzliche Mindestlohn der Ukraine sage und schreibe 34 (sic!) Cent pro Stunde. Später sei er langsam angehoben worden. Rügemer erinnerte nebenbei daran, wie „besonders langsaaam“ auch die Erhöhung des Mindestlohnes unter Merkel hierzulande vonstatten gegangen war. Unter Selenskij ist der Mindestlohn der Ukraine bei 1,21 Euro angekommen. Der niedrigste Mindestlohn, den es überhaupt im Umkreis in Europa gibt“, so Werner Rügemer.

Seit Jahren ist die Ukraine längst das Bangladesch Europas

Befördert wurde die sogenannte „östliche Partnerschaft“ für einige osteuropäische Staaten und die Ukraine nicht zuletzt auf Bestreben von „Langzeitkanzlerin Angela Merkel“.

Die großen Aktivisten, darunter die Gewerkschaften, „die die bösen ungerechten Zulieferketten etwa der Textilindustrie in Bangladesch“ hätten, merkte Rügemer an, offenbar noch gar nicht mitgekriegt, dass die Ukraine seit Jahren längst das neue Bangladesch in Europa ist.

Seit 1990er Jahren wurde die Ukraine zum Eldorado für westliche Unternehmen und billige Zulieferproduktionen gemacht

Die USA und die EU haben seit den 1990er Jahren die Ukraine schrittweise zu einem Eldo­rado für tausende westliche Unternehmen und für billige
Zulieferprodukti­on gemacht. Eine Folge war die millionenfache Arbeitsmigration, insbe­sondere in die umliegenden EU-Staaten Osteuropas. Heute ist die Ukraine völlig abhängig von westlichen Krediten in Milliardenhöhe. Nach dem Krieg wird sie endgültig zu einem Protek­torat west­licher Kapitalinteressen werden, erklärte Werner Rügemer. Einer der größten Profiteure wird der Vermögensverwalter und Finanzdienstleister BlackRock sein, welcher nicht nur während des Krieges ordentlich an der Zerstörung der Ukraine verdient, sondern überdies zum Koordinator des Wiederaufbaus der Ukraine nach dem Krieg bestimmt wurde. Dar­über hinaus winken Extraprofite durch den Wieder­aufbau, auch für deut­sche Firmen.

Warum das westliche Interesse an der Ukraine?

„Der Schlüsselstaat für die Be­herrschung ganz Eurasiens ist die
Ukraine!“ So Zbigniew Brzezinski (dessen Sohn übrigens heute US-Botschafter in Polen ist), in seinem Buch „Die einzige Weltmacht“) einer der einflussreichsten US-Politiker und  langjähriger Berater mehrerer US-Präsi­denten von Carter bis Obama. Daher weht der Wind. Nicht zuletzt geht diese Feststellung auf Halford Mackinder und dessen „Heartland-Theorie“ zurück. Wer das Herzland beherrscht, beherrscht die Welt.

Weibliche Körper werden in der Prostitution und betreffs der kommerziellen Leihmutterschaft ausgenutzt

Die Prostitution, die in der Ukraine verboten sei, blühe jedoch dort dennoch. Weil Polizei und Aufsichtspersonen oftmals wegschauten, nachdem sie etwas dafür bekommen hätten, dass ihnen die Augen verschließen lasse.

Rügemer sprach die Rot-Grün unter Schröder und Fischer an, die ja in ihrer „liberalen Modernität“ Sexualdienste sozusagen zu einem normalen Beruf gemacht und Prostitution legalisiert hätten. Sehr viele in Deutschland tätige Prostituierte waren dann auch aus der Ukraine zu uns gekommen. Rügemer: „So wurde Deutschland unter Merkel zum Bordell Europas“ (Etwas, das eine Zeitung von der anderen abschreibt. Deshalb eine Anmerkung dazu meinerseits unter [*] unter diesem Text).

Des Weiteren, sprach Dr. Werner Rügemer an, bedeute eine zusätzliche Ausbeutung des weiblichen Körpers in der Ukraine die kommerzielle Leihmutterschaft. Die von westlichen Interessenten gut frequentiert worden sei.

Was bedeutet dieser Krieg für Ukraine?

Noch mehr Armut, Elend­sprostitution, Hungerlöhne, Rechtlosigkeit,
Ausverkauf der Landwirtschaft (die fruchtbaren Schwarzerdeböden wurden von ukrainische Oligarchen gepachtet und US-amerikanischen Landwirtschaftskonzernen, aber auch einzelnen, Landwirten (darunter auch deutsche „Kleinoligarchen“) finanziell profitabel nutzbar gemacht und Saatgutkonzerne wie Monsanto/Bayer können entsprechend schalten und walten. Eine Ent­rechtung der Gewerkschaften hat ohnehin stattgefunden. Der Handel in der Ukraine ist in der Hand westlicher Agrarkonzerne. Gewerkschaftsliegenschaften werden auf Selenskijs Geheiß neuerdings enteignet und so zu viel Geld gemacht. Die Opposition wurde eh unschädlich gemacht und auch physisch angegriffen wenn nicht sogar hier und da von Extremisten zu Tode gebracht. Medien wurden gleichgeschaltet.

Die Ukraine wird ihre Schulden monetär nie zurückzahlen können

Werner Rügemer machte darauf aufmerksam, dass die hochverschuldete Ukraine ihre Schulden freilich monetär nie wird zurückzahlen können. Aber auch dafür sei vorgesorgt worden. Was auch nicht neu sei. Die USA haben nämlich ein Land-Lease Act 2022 (Leih- und Pachtgesetz) verabschiedet. So war man bereits mit Großbritannien im Zweiten Weltkrieg verfahren, das sich in den USA hoch verschuldet hatte.

Also die US-Finanzgeber werden sich in jedem Falle alles zurückholen. Auch über den günstigen Kauf von Agrarflächen in der Ukraine. Oder sie könnten sich die Genehmigung zur Errichtung von Militärstützpunkten auf ukrainischen Boden sichern. Verliererin ist in jeder Hinsicht Ukraine. Auch bevölkerungsmäßig wird das Land weiter schrumpfen und Fachkräfte („Braindrain“) an westliche Staaten verlieren.

Perfekte Analyse der wirtschaftlichen und sozialen Situation seitens des Referenten

Dieser Vortrag enthielt eine perfekte Analyse der wirtschaftlichen und sozialen Situation der Ukraine sowie der Benennung westlicher Interessen an diesem Land. Auch die sich anschließende Fragerunde aus dem Publikum brachte noch weitere interessante Aspekte zutage.

Ein rundum interessanter Abend.

[*]

[…) „Kriminalkommissar a. D. Heiner Minzel schüttelte mit dem Kopf: Es sei schon gewagt, Deutschland als das Bordell Europas darzustellen. Die Polizei in der BRD hätte schon genügend Möglichkeiten – auch im Bereich Rotlicht – einzugreifen. Es brauche allerdings eine ständige Kontrolle und Ermittlungsdruck.[…]

Anbei finden Sie, lieber Leserinnen und Leser, die Aufzeichnung eines Vortrags zum gleichen Thema, welchen Dr. Werner Rügemer beim Linken Forum Paderborn gehalten hat.

Hinweis: Wer sich für Quellen interessiert, wird im Buch „Kriegsfolgen“ , erschienen im Verlag Promdedia, fündig. Mit Beiträgen von Olga Baysha, Ralph Bosshard, Erhard Crome, Eugen Drewermann, Thomas Fazi, Hannes Hofbauer, Andrej Hunko, Boris Kagarlitsky, Sabine Kebir, Andrea Komlosy, Stefan Kraft, Werner Rügemer, Sabine Schiffer, Jochen Scholz, Peter Wahl und Florian Warweg.

Fotos: @Claus Stille