von Winfried Wolf
Der GDL-Streik beim Konzern Deutsche Bahn AG ist erstens sozial gerechtfertigt. Er ist zweitens für alle gewerkschaftlich Aktiven und für die Linke von enormer Bedeutung. Und er ist drittens ein Politikum.
GDL-Streik = Sozial gerechtfertigt: Entgegen den Aussagen der DB-AG-Chefs Richard Lutz, Martin Seiler und Ronald Pofalla fordert die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) exakt das, was im Frühjahr 2021 im Verdi-Tarifvertrag im Öffentlichen Dienst beschlossen wurde. Und das ist gerade mal Lohnausgleich und eine gewisse Anerkennung für das Den-Kopf-Hinhalten in der Pandemie (600 Euro Sondervergütung). Es ist allerdings rund doppelt so viel wie das, was der Bahnkonzern und die Gewerkschaft EVG im Herbst 2020 abgeschlossen haben – was auf einen deutlichen Reallohnabbau hinausläuft.
GDL-Streik = für alle Gewerkschaften und für die gesamte Linke von Bedeutung: Die Deutsche Bahn AG will in ihrem Bereich erstmals in Deutschland das Tarifeinheitsgesetz (TEG) anwenden. Dieses wurde nicht ganz zufällig im Frühjahr 2015 im Bundestag von CDU/CSU und SPD beschlossen – am Ende des letzten großen GDL-Bahnstreiks. Das TEG läuft darauf hinaus, dass den sogenannten kleinen – und oft kämpferischen – Spartengewerkschaften (wie GDL, Marburger Bund, Cockpit) der Spielraum massiv verkleinert, wenn nicht ihre Existenz bedroht wird. In einem „Betrieb“ soll nach dem TEG nur noch ein Tarifvertrag gültig sein – und dann derjenige der relativ größten Gewerkschaft. Wobei die Definition was ein „Betrieb“ ist, ebenso offen ist, wie die Feststellung, was denn die jeweils relativ größte Gewerkschaft in diesem Betrieb sei, für Manipulationen Tür und Tor öffnet. Der im Frühjahr 2015 vereinbarte GDL-Tarifvertrag beinhaltete, dass für die Laufzeit dieses Vertrags das TEG keine Gültigkeit hat. Anfang 2021 kündigte der Bahnkonzern an, ab sofort das TEG anzuwenden. Das wiederum bewirkte, dass die GDL inzwischen in allen Bereichen der „Produktion“ – also auch bei Stellwerkern, in den Werkstätten, auf den Bahnhöfen – um Mitglieder zu werben.
GDL-Streik = ein Politikum: Der Streik findet wenige Wochen vor der Bundestagswahl statt. Er richtet sich formal gegen den Konzern Deutsche Bahn AG. Doch Eigentümer dieses Konzerns ist der Bund, den wiederum die Bundesregierung, gestellt von CDU/CSU und SPD, vertritt. Der Dachverband der GDL ist der Deutsche Beamtenbund (dbb), der als CDU-nah gilt. Weselsky selbst ist CDU-Mitglied. Allein diese Konstellationen verdeutlichen, wie politisch dieser Streik faktisch ist, auch wenn es bei ihm um einigermaßen schlichte soziale Forderungen geht. Hinzu kommt: Die Bahn müsste im Kontext einer ernsthaften Klimapolitik eine zentrale Rolle spielen. Dennoch muten die DB AG, also die Bundesregierung, gerade den hier Beschäftigten einen erheblichen Reallohnabbau zu. Und wenn der Bahn-Eigentümer Bund bei den Bahnbeschäftigten knausert, dann hat er dort die Spendierhosen an, wo es um verkehrspolitisch zerstörerische Projekte wie Stuttgart 21 oder um größenwahnsinnige Engagements im Ausland geht. Dass die GDL auch diese Aspekte der verkehrten Verkehrspolitik thematisiert, macht den Streik zusätzlich zum Politikum.
Quelle: Streikzeitung pro GDL von Winfried Wolf
*Mit einem Interview mit Claus Weselsky (Vorsitzender der GDL)
„Tricksen, täuschen, Taschen füllen“
Geht es nach dem Bahnkonzern, so soll es für die Bahnbeschäftigten weder
Inflationsausgleich noch Corona-Prämie geben. Ein Interview der
STREIKZEITUNG mit dem Bundesvorsitzenden der GDL, *CLAUS WESELSKY.*
Frage 1:
*Die Urabstimmungsergebnisse liegen vor. Wie interpretieren Sie und der
GDL-Vorstand diese; entsprechen sie Ihren Erwartungen? Und: Was kommt in
der Abstimmung zum Ausdruck; wie ist die Stimmung an der Basis der GDL?*
Schon der hohe Rücklauf an Abstimmungsunterlagen, aber auch die
deutlichen Signale aus der Belegschaft haben im Vorfeld eine hohe
Zustimmung zum Arbeitskampf erwarten lassen. Das nun erzielte Ergebnis
von 95 Prozent übertrifft unsere Erwartungen. Es bestätigt zugleich das
herrschende Stimmungsbild unter den Eisenbahnern. Die direkt
systemrelevanten Beschäftigten sind wütend und frustriert angesichts
eines DB-Managements, das ihnen weder einen Inflationsausgleich noch
eine Corona-Prämie zugesteht, während sich die Führungskräfte im
Homeoffice weiterhin ungerührt die Taschen füllen. Sie haben im
vergangenen Jahr 2021 51 Prozent ihrer Boni erhalten, trotz miserablem
Finanzergebnis des Bahnkonzerns. Allein diese variablen Vergütungen
zusätzlich zum ohnehin schon üppigen Fixgehalt übersteigen trotz der
Halbierung immer noch das gesamte Jahresgehalt eines wertschöpfend
tätigen Eisenbahners. Das ist unanständig, unsozial und eine Verhöhnung
der Menschen, die während der Pandemie unter erschwerten Bedingungen
tagtäglich den Kopf hingehalten haben. Gemessen an der Stimmung in der
Belegschaft könnten wir schon lange im Streik sein und der Streik selbst
könnte angesichts dieser Stimmungslage gar nicht lange genug dauern.
Frage 2:
*In den Medien heißt es immer wieder: Die Forderungen der GDL seien
„unverhältnismäßig“. Der Personalvorstand der DB, Martin Seiler, spricht
gar von „rechtswidrigen Forderungen“; inhaltlich gebe es „Nullkommanull
Grund zu streiken“ (FAZ vom 9.8.2021). Dabei wird mal auf die
Corona-Krise und den Einbruch bei den Fahrgästen verwiesen. Neuerdings
werden auch die Hochwasserschäden der Deutschen Bahn ins Spiel gebracht.
Woran orientiert sich die GDL bei ihren Forderungen?*
Unsere Forderungen orientieren sich am Tarifabschluss im öffentlichen
Dienst. 1,4 Prozent Entgelterhöhung und 600 Euro Corona-Prämie 2021, 1,8
Prozent 2022 und das alles über eine Laufzeit von 28 Monaten sind
maßvoll und gerechtfertigt. Die GDL lässt nicht zu, dass die
systemrelevanten Eisenbahner mit einer Null- oder gar einer Minusrunde
abgespeist werden. Außerdem gilt es, die kleinen Betriebsrenten zu
schützen. Wir lassen sie uns nicht, wie der DB-Vorstand das fordert, als
Volumen anrechnen. Die Zusage dieser Betriebsrente ist bei der
Einstellung erfolgt und niemand hat das Recht, sie zu kürzen oder gar
einzustellen.
Frage 3:
*Der Arbeitgeber Deutsche AG stellt sich als arm wie eine Kirchenmaus
dar. Es gäbe hier keine Ressourcen zur Befriedigung der GDL-Forderungen.*
Das ist nur eine weitere Schutzbehauptung, mit der die DB vom eigenen
Versagen ablenken will. Die DB hat ihre Bilanz 2020 mit einem Minus von
5,7 Milliarden Euro nach Steuern abgeschlossen, der Umsatz sank
gegenüber dem Vorjahr um mehr als zehn Prozent auf 39,9 Milliarden Euro.
Sie behauptet, das Minus sei eine unausweichliche Folge der
Corona-Pandemie, weil deutlich weniger Fahrgäste mit der Bahn unterwegs
gewesen seien. Doch tatsächlich ist der größte Teil der Misere
hausgemacht. Die wahre Ursache für die fehlenden Milliarden sind
Leuchtturmprojekte in Deutschland wie Stuttgart 21, weltweite
Einkaufstouren, mit denen sich der DB-Vorstand schon oft verzockt hat,
wie die milliardenschwere Übernahme des Bahnkonzerns Arriva sowie ein
grotesk aufgeblähter Verwaltungsapparat. Die Abenteuerspielplätze auf
der ganzen Welt, in den Geschäftsberichten versteckt unter dem
Oberbegriff „Beteiligung/Sonstiges“, erzeugten allein in der Bilanz 2020
einen finanziellen Verlust von mehr als 1,5 Milliarden Euro. Schon mit
einem Bruchteil dieser Summe könnte man den Mitarbeitern das zukommen
lassen, was ihnen nach Verdienst gebührt. Im Übrigen ist der Eigentümer
Bund immer dann großzügig, wenn es um die Finanzierung dieser
Abenteuerspielplätze geht – und dabei noch derart großzügig und
einseitig allein die DB AG begünstigend, dass er damit immer wieder aufs
Neue eine Intervention seitens Brüssels provoziert.
Frage 4:
*Es gab in den letzten zwei Jahrzehnten mehrere – erfolgreiche –
Arbeitskämpfe der GDL. Derjenige von 2007/2008 hat nach Aussage des
damaligen Bahnchefs Hartmut Mehdorn auch dazu beigetragen, dass der
Bahnbörsengang erfreulicherweise geplatzt ist. Welche Bedeutung haben
diese vorausgegangenen Kämpfe für den aktuellen GDL-Arbeitskampf? Was
ist 2021 anders als beispielsweise 2014/2015?*
Seit wir unsere ersten eigenständigen Tarifverträge mit der DB im März
2008 abgeschlossen haben, hat sich so gut wie nichts geändert. Wir
kämpfen stark, unbestechlich und erfolgreich für bessere Entgelt- und
Arbeitsbedingungen unserer Kolleginnen und Kollegen. Dass unsere
Mitglieder das Herz am rechten Fleck haben und solidarisch sind, das
haben die Ergebnisse der Urabstimmung erneut gezeigt. Sie sind unser
größtes Pfund, ohne sie läuft gar nichts. Auch, dass die DB am liebsten
allein mit ihrer braven Hausgewerkschaft die Tarifverträge aushandeln
möchte, ist nicht neu. Hat diese sich doch immer mit niedrigeren
Abschlüssen abspeisen lassen.
Eine neue Waffe der DB ist jedoch das 2015 im Bundestag verabschiedete
Tarifeinheitsgesetz (TEG), das die DB seit Anfang 2021 erstmals zur
Anwendung bringt. Scheinheilig behauptet die DB, sie könne als
gesetzestreuer Arbeitgeber gar nicht anders, als das Tarifeinheitsgesetz
anzuwenden. Das ist reine Heuchelei. Natürlich erkennt die GDL das TEG
und seine faktischen Auswirkungen an. Doch so tendenziös, wie der
Arbeitgeber die Tarifeinheit gegen die GDL-Mitglieder richtet, ist deren
Anwendung nicht rechtens. Unter bewusster Falschauslegung der
TEG-Regelungen will sie die einzig kritische Gewerkschaft im
Eisenbahnmarkt vernichten. Das mutwillige und sachfalsche
Herunterrechnen der GDL-Betriebe im DB-Konzern auf 16 gegenüber 55
EVG-geführten Betrieben ist hierbei nur die Spitze des Eisbergs.
Frage 5:
*Mitte Juli brachte die Deutsche Bahn AG neu das Angebot – Scheinangebot
– ins Spiel, eine Absprache wie 2015 sei möglich, bei der das
Tarifeinheitsgesetz keine Anwendung findet. Auch der
Bundesverkehrsminister, Andreas Scheuer, äußerte am 8. August in der
„Welt am Sonntag“; „Gerade jetzt brauchen wir ein Miteinander“. Ist das
realistisch?*
Auch das läuft unter der Überschrift „Tricksen, Täuschen, Taschen
füllen“. Bereits im Februar 2021 haben wir mit DB-Personalvorstand
Martin Seiler die Frage einer trilateralen Vereinbarung ausgelotet. Die
EVG hatte gleich abgewunken. Trotzdem haben wir uns am 25. Februar über
mehrere Stunden die Bedingungen angehört, die uns die DB als
Tarifvertragspartei gestellt hat. Anschließend haben wir Herrn Seiler
eine klare Absage erteilt, denn ein Verzicht auf die Gestaltung der
Arbeitszeitbedingungen für das Zugpersonal und eine vertraglich fixierte
Abhängigkeit von der Zustimmung der EVG und beziehungsweise seitens der
DB AG ist gleichzusetzen mit der Abgabe unserer Tarifautonomie am
Garderobenhaken. Also war die Scheinofferte im Juli 2021 nichts anderes
als alter Wein in neuen Schläuchen. Dem Lügenbaron geht es in erster
Linie darum, in der Öffentlichkeit ein verzerrtes Bild von uns zu
erzeugen, was ihm allerdings immer schlechter gelingt.
Wir haben schriftlich mitgeteilt, dass die TEG-Frage nicht Gegenstand
der Tarifauseinandersetzung ist. Hier geht es um mehr Einkommen und den
Schutz der Betriebsrente. Erst nachdem wir den Tarifkonflikt erfolgreich
bewältigt haben und der Kompromiss mit der DB in neuen Tarifverträgen
für alle systemrelevanten Berufe verankert wurde, ist der Zeitpunkt für
eine echte Tarifkollision gemäß TEG gekommen. Erst dann macht es Sinn,
nochmals auszuloten, ob trilateral – also in Form einer Vereinbarung
zwischen Arbeitgeber DB, der EVG und uns – überhaupt etwas geht. Bis
dahin haben wir hoffentlich auch eine gerichtsfeste Form der
Mehrheitsfeststellung in den einzelnen Betrieben. Dann wird sich zeigen,
wer in welchen der insgesamt 174 Betriebe im Eisenbahnsystem des
Bahnkonzerns in Deutschland die größere Anzahl an Mitgliedern hat. Dabei
zählen nur Fakten, keine Wunschvorstellungen der EVG oder der DB.
Frage 6:
*Die GDL kündigte Anfang 2021 an, bei der Gewinnung von Mitgliedern sich
nicht mehr nur auf die Bereiche Lokführer und das übrige fahrende
Personal wie Zugbegleiter und Gastrobeschäftigte zu beschränken. Was
sind die Gründe für diese Neuorientierung – und welche Ergebnisse gibt
es dabei bisher?*
Schon lange wollen auch Mitarbeiter in den Werkstätten und den
Stellwerken Mitglied bei uns werden, obwohl wir bis Herbst letzten
Jahres gesagt hatten, dass wir für sie keine Tarifverträge schließen
können. Jetzt ist der beste Zeitpunkt für eine Erweiterung unseres
Organisationsbereichs, denn das direkte Personal will sich nicht länger
mit Almosen abspeisen lassen, während sich die Führungskräfte die
Taschen vollstopfen. Und die 3.000 Neumitglieder, die seit dem
vergangenen Jahr zur GDL kamen, sind dafür die beste Bestätigung. Wenn
die DB eben nur mit einer Gewerkschaft im Betrieb den Tarifvertrag
schließen will, dann sollte das schon die GDL sein.
Frage 7:
*Die STREIKZEITUNG wird in erster Linie von Leuten gemacht, die
Mitglieder in DGB-Gewerkschaften sind. Ich bin beispielsweise seit
Jahrzehnten Mitglied in Verdi (früher ÖTV; dabei immer auch Mitglied im
VS). Gleichzeitig richten wir uns mit dieser Publikation besonders an
Aktive in den DGB-Gewerkschaften und werben für Solidarität mit der GDL.
Was ist da eure Botschaft*?
Gewerkschaftsmitglieder wollen, dass ihre Interessen zielgenau von einer
starken, unbestechlichen und erfolgreichen Gewerkschaft vertreten
werden. Das geht nur mit einem hohen Organisationsgrad und standhaften,
solidarischen Mitgliedern. Diese bekommt man nicht geschenkt. Wir müssen
unseren Mitgliedern jeden Tag aufs Neue zeigen, dass wir ihre Probleme
in der Arbeitswelt kennen, sie ernst nehmen und alles tun, damit sie
bessere Entgelt- und Arbeitsbedingungen bekommen. Das Wichtigste ist:
Wir schätzen unsere Mitglieder, erfassen ihre Probleme und Nöte, setzen
diese in Tarifforderungen um und drücken diese dann auch wirklich durch.
Das schätzen sie an uns. Im Übrigen haben die vorausgegangenen
erfolgreichen Kämpfe der GDL gezeigt, dass von diesen positiven
Auswirkungen auf den gesamten Bereich der lohnabhängig Beschäftigten
ausgingen. Insofern ist unser Kampf auch ein solcher, der allen
Bahnbeschäftigten und darüber hinaus allen gewerkschaftlich Aktiven
zugutekommt. Umgekehrt ist für uns die Solidarität, die uns aus anderen
Bereichen entgegengebracht wird, wichtig und hochwillkommen.
Quelle: Für die STREIKZEITUNG: Winfried Wolf
