Bahnstreik ´21: ein Politikum. Mit einem Interview der Streikzeitung mit Claus Weselsky (Vorsitzender der GDL)

von Winfried Wolf

Der GDL-Streik beim Konzern Deutsche Bahn AG ist erstens sozial gerechtfertigt. Er ist zweitens für alle gewerkschaftlich Aktiven und für die Linke von enormer Bedeutung. Und er ist drittens ein Politikum.

GDL-Streik = Sozial gerechtfertigt: Entgegen den Aussagen der DB-AG-Chefs Richard Lutz, Martin Seiler und Ronald Pofalla fordert die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) exakt das, was im Frühjahr 2021 im Verdi-Tarifvertrag im Öffentlichen Dienst beschlossen wurde. Und das ist gerade mal Lohnausgleich und eine gewisse Anerkennung für das Den-Kopf-Hinhalten in der Pandemie (600 Euro Sondervergütung). Es ist allerdings rund doppelt so viel wie das, was der Bahnkonzern und die Gewerkschaft EVG im Herbst 2020 abgeschlossen haben – was auf einen deutlichen Reallohnabbau hinausläuft. 

GDL-Streik = für alle Gewerkschaften und für die gesamte Linke von Bedeutung: Die Deutsche Bahn AG will in ihrem Bereich erstmals in Deutschland das Tarifeinheitsgesetz (TEG) anwenden. Dieses wurde nicht ganz zufällig im Frühjahr 2015 im Bundestag von CDU/CSU und SPD beschlossen – am Ende des letzten großen GDL-Bahnstreiks. Das TEG läuft darauf hinaus, dass den sogenannten kleinen – und oft kämpferischen – Spartengewerkschaften (wie GDL, Marburger Bund, Cockpit) der Spielraum massiv verkleinert, wenn nicht ihre Existenz bedroht wird. In einem „Betrieb“ soll nach dem TEG nur noch ein Tarifvertrag gültig sein – und dann derjenige der relativ größten Gewerkschaft. Wobei die Definition was ein „Betrieb“ ist, ebenso offen ist, wie die Feststellung, was denn die jeweils relativ größte Gewerkschaft in diesem Betrieb sei, für Manipulationen Tür und Tor öffnet. Der im Frühjahr 2015 vereinbarte GDL-Tarifvertrag beinhaltete, dass für die Laufzeit dieses Vertrags das TEG keine Gültigkeit hat.  Anfang 2021 kündigte der Bahnkonzern an, ab sofort das TEG anzuwenden. Das wiederum bewirkte, dass die GDL inzwischen in allen Bereichen der „Produktion“  – also auch bei Stellwerkern, in den Werkstätten, auf den Bahnhöfen – um Mitglieder zu werben.

GDL-Streik = ein Politikum: Der Streik findet wenige Wochen vor der Bundestagswahl statt. Er richtet sich formal gegen den Konzern Deutsche Bahn AG. Doch Eigentümer dieses Konzerns ist der Bund, den wiederum die Bundesregierung, gestellt von CDU/CSU und SPD, vertritt. Der Dachverband der GDL ist der Deutsche Beamtenbund (dbb), der als CDU-nah gilt. Weselsky selbst ist CDU-Mitglied. Allein diese Konstellationen verdeutlichen, wie politisch dieser Streik faktisch ist, auch wenn es bei ihm um einigermaßen schlichte soziale Forderungen geht. Hinzu kommt: Die Bahn müsste im Kontext einer ernsthaften Klimapolitik eine zentrale Rolle spielen. Dennoch muten die DB AG, also die Bundesregierung, gerade den hier Beschäftigten einen erheblichen Reallohnabbau zu. Und wenn der Bahn-Eigentümer Bund bei den Bahnbeschäftigten knausert, dann hat er dort die Spendierhosen an, wo es um verkehrspolitisch zerstörerische Projekte wie Stuttgart 21 oder um größenwahnsinnige Engagements im Ausland geht. Dass die GDL auch diese Aspekte der verkehrten Verkehrspolitik thematisiert, macht den Streik zusätzlich zum Politikum.

Quelle: Streikzeitung pro GDL von Winfried Wolf

*Mit einem Interview mit Claus Weselsky (Vorsitzender der GDL)
„Tricksen, täuschen, Taschen füllen“

Geht es nach dem Bahnkonzern, so soll es für die Bahnbeschäftigten weder
Inflationsausgleich noch Corona-Prämie geben. Ein Interview der
STREIKZEITUNG mit dem Bundesvorsitzenden der GDL, *CLAUS WESELSKY.*

Frage 1:

*Die Urabstimmungsergebnisse liegen vor. Wie interpretieren Sie und der
GDL-Vorstand diese; entsprechen sie Ihren Erwartungen? Und: Was kommt in
der Abstimmung zum Ausdruck; wie ist die Stimmung an der Basis der GDL?*

Schon der hohe Rücklauf an Abstimmungsunterlagen, aber auch die
deutlichen Signale aus der Belegschaft haben im Vorfeld eine hohe
Zustimmung zum Arbeitskampf erwarten lassen. Das nun erzielte Ergebnis
von 95 Prozent übertrifft unsere Erwartungen. Es bestätigt zugleich das
herrschende Stimmungsbild unter den Eisenbahnern. Die direkt
systemrelevanten Beschäftigten sind wütend und frustriert angesichts
eines DB-Managements, das ihnen weder einen Inflationsausgleich noch
eine Corona-Prämie zugesteht, während sich die Führungskräfte im
Homeoffice weiterhin ungerührt die Taschen füllen. Sie haben im
vergangenen Jahr 2021 51 Prozent ihrer Boni erhalten, trotz miserablem
Finanzergebnis des Bahnkonzerns. Allein diese variablen Vergütungen
zusätzlich zum ohnehin schon üppigen Fixgehalt übersteigen trotz der
Halbierung immer noch das gesamte Jahresgehalt eines wertschöpfend
tätigen Eisenbahners. Das ist unanständig, unsozial und eine Verhöhnung
der Menschen, die während der Pandemie unter erschwerten Bedingungen
tagtäglich den Kopf hingehalten haben. Gemessen an der Stimmung in der
Belegschaft könnten wir schon lange im Streik sein und der Streik selbst
könnte angesichts dieser Stimmungslage gar nicht lange genug dauern.

Frage 2:

*In den Medien heißt es immer wieder: Die Forderungen der GDL seien
„unverhältnismäßig“. Der Personalvorstand der DB, Martin Seiler, spricht
gar von „rechtswidrigen Forderungen“; inhaltlich gebe es „Nullkommanull
Grund zu streiken“ (FAZ vom 9.8.2021). Dabei wird mal auf die
Corona-Krise und den Einbruch bei den Fahrgästen verwiesen. Neuerdings
werden auch die Hochwasserschäden der Deutschen Bahn ins Spiel gebracht.
Woran orientiert sich die GDL bei ihren Forderungen?*

Unsere Forderungen orientieren sich am Tarifabschluss im öffentlichen
Dienst. 1,4 Prozent Entgelterhöhung und 600 Euro Corona-Prämie 2021, 1,8
Prozent 2022 und das alles über eine Laufzeit von 28 Monaten sind
maßvoll und gerechtfertigt. Die GDL lässt nicht zu, dass die
systemrelevanten Eisenbahner mit einer Null- oder gar einer Minusrunde
abgespeist werden. Außerdem gilt es, die kleinen Betriebsrenten zu
schützen. Wir lassen sie uns nicht, wie der DB-Vorstand das fordert, als
Volumen anrechnen. Die Zusage dieser Betriebsrente ist bei der
Einstellung erfolgt und niemand hat das Recht, sie zu kürzen oder gar
einzustellen.

Frage 3:

*Der Arbeitgeber Deutsche AG stellt sich als arm wie eine Kirchenmaus
dar. Es gäbe hier keine Ressourcen zur Befriedigung der GDL-Forderungen.*

Das ist nur eine weitere Schutzbehauptung, mit der die DB vom eigenen
Versagen ablenken will. Die DB hat ihre Bilanz 2020 mit einem Minus von
5,7 Milliarden Euro nach Steuern abgeschlossen, der Umsatz sank
gegenüber dem Vorjahr um mehr als zehn Prozent auf 39,9 Milliarden Euro.
Sie behauptet, das Minus sei eine unausweichliche Folge der
Corona-Pandemie, weil deutlich weniger Fahrgäste mit der Bahn unterwegs
gewesen seien. Doch tatsächlich ist der größte Teil der Misere
hausgemacht. Die wahre Ursache für die fehlenden Milliarden sind
Leuchtturmprojekte in Deutschland wie Stuttgart 21, weltweite
Einkaufstouren, mit denen sich der DB-Vorstand schon oft verzockt hat,
wie die milliardenschwere Übernahme des Bahnkonzerns Arriva sowie ein
grotesk aufgeblähter Verwaltungsapparat. Die Abenteuerspielplätze auf
der ganzen Welt, in den Geschäftsberichten versteckt unter dem
Oberbegriff „Beteiligung/Sonstiges“, erzeugten allein in der Bilanz 2020
einen finanziellen Verlust von mehr als 1,5 Milliarden Euro. Schon mit
einem Bruchteil dieser Summe könnte man den Mitarbeitern das zukommen
lassen, was ihnen nach Verdienst gebührt. Im Übrigen ist der Eigentümer
Bund immer dann großzügig, wenn es um die Finanzierung dieser
Abenteuerspielplätze geht – und dabei noch derart großzügig und
einseitig allein die DB AG begünstigend, dass er damit immer wieder aufs
Neue eine Intervention seitens Brüssels provoziert.

Frage 4:

*Es gab in den letzten zwei Jahrzehnten mehrere – erfolgreiche –
Arbeitskämpfe der GDL. Derjenige von 2007/2008 hat nach Aussage des
damaligen Bahnchefs Hartmut Mehdorn auch dazu beigetragen, dass der
Bahnbörsengang erfreulicherweise geplatzt ist. Welche Bedeutung haben
diese vorausgegangenen Kämpfe für den aktuellen GDL-Arbeitskampf? Was
ist 2021 anders als beispielsweise 2014/2015?*

Seit wir unsere ersten eigenständigen Tarifverträge mit der DB im März
2008 abgeschlossen haben, hat sich so gut wie nichts geändert. Wir
kämpfen stark, unbestechlich und erfolgreich für bessere Entgelt- und
Arbeitsbedingungen unserer Kolleginnen und Kollegen. Dass unsere
Mitglieder das Herz am rechten Fleck haben und solidarisch sind, das
haben die Ergebnisse der Urabstimmung erneut gezeigt. Sie sind unser
größtes Pfund, ohne sie läuft gar nichts. Auch, dass die DB am liebsten
allein mit ihrer braven Hausgewerkschaft die Tarifverträge aushandeln
möchte, ist nicht neu. Hat diese sich doch immer mit niedrigeren
Abschlüssen abspeisen lassen.

Eine neue Waffe der DB ist jedoch das 2015 im Bundestag verabschiedete
Tarifeinheitsgesetz (TEG), das die DB seit Anfang 2021 erstmals zur
Anwendung bringt. Scheinheilig behauptet die DB, sie könne als
gesetzestreuer Arbeitgeber gar nicht anders, als das Tarifeinheitsgesetz
anzuwenden. Das ist reine Heuchelei. Natürlich erkennt die GDL das TEG
und seine faktischen Auswirkungen an. Doch so tendenziös, wie der
Arbeitgeber die Tarifeinheit gegen die GDL-Mitglieder richtet, ist deren
Anwendung nicht rechtens. Unter bewusster Falschauslegung der
TEG-Regelungen will sie die einzig kritische Gewerkschaft im
Eisenbahnmarkt vernichten. Das mutwillige und sachfalsche
Herunterrechnen der GDL-Betriebe im DB-Konzern auf 16 gegenüber 55
EVG-geführten Betrieben ist hierbei nur die Spitze des Eisbergs.

Frage 5:

*Mitte Juli brachte die Deutsche Bahn AG neu das Angebot – Scheinangebot
– ins Spiel, eine Absprache wie 2015 sei möglich, bei der das
Tarifeinheitsgesetz keine Anwendung findet. Auch der
Bundesverkehrsminister, Andreas Scheuer, äußerte am 8. August in der
„Welt am Sonntag“; „Gerade jetzt brauchen wir ein Miteinander“. Ist das
realistisch?*

Auch das läuft unter der Überschrift „Tricksen, Täuschen, Taschen
füllen“. Bereits im Februar 2021 haben wir mit DB-Personalvorstand
Martin Seiler die Frage einer trilateralen Vereinbarung ausgelotet. Die
EVG hatte gleich abgewunken. Trotzdem haben wir uns am 25. Februar über
mehrere Stunden die Bedingungen angehört, die uns die DB als
Tarifvertragspartei gestellt hat. Anschließend haben wir Herrn Seiler
eine klare Absage erteilt, denn ein Verzicht auf die Gestaltung der
Arbeitszeitbedingungen für das Zugpersonal und eine vertraglich fixierte
Abhängigkeit von der Zustimmung der EVG und beziehungsweise seitens der
DB AG ist gleichzusetzen mit der Abgabe unserer Tarifautonomie am
Garderobenhaken. Also war die Scheinofferte im Juli 2021 nichts anderes
als alter Wein in neuen Schläuchen. Dem Lügenbaron geht es in erster
Linie darum, in der Öffentlichkeit ein verzerrtes Bild von uns zu
erzeugen, was ihm allerdings immer schlechter gelingt.

Wir haben schriftlich mitgeteilt, dass die TEG-Frage nicht Gegenstand
der Tarifauseinandersetzung ist. Hier geht es um mehr Einkommen und den
Schutz der Betriebsrente. Erst nachdem wir den Tarifkonflikt erfolgreich
bewältigt haben und der Kompromiss mit der DB in neuen Tarifverträgen
für alle systemrelevanten Berufe verankert wurde, ist der Zeitpunkt für
eine echte Tarifkollision gemäß TEG gekommen. Erst dann macht es Sinn,
nochmals auszuloten, ob trilateral – also in Form einer Vereinbarung
zwischen Arbeitgeber DB, der EVG und uns – überhaupt etwas geht. Bis
dahin haben wir hoffentlich auch eine gerichtsfeste Form der
Mehrheitsfeststellung in den einzelnen Betrieben. Dann wird sich zeigen,
wer in welchen der insgesamt 174 Betriebe im Eisenbahnsystem des
Bahnkonzerns in Deutschland die größere Anzahl an Mitgliedern hat. Dabei
zählen nur Fakten, keine Wunschvorstellungen der EVG oder der DB.

Frage 6:

*Die GDL kündigte Anfang 2021 an, bei der Gewinnung von Mitgliedern sich
nicht mehr nur auf die Bereiche Lokführer und das übrige fahrende
Personal wie Zugbegleiter und Gastrobeschäftigte zu beschränken. Was
sind die Gründe für diese Neuorientierung – und welche Ergebnisse gibt
es dabei bisher?*

Schon lange wollen auch Mitarbeiter in den Werkstätten und den
Stellwerken Mitglied bei uns werden, obwohl wir bis Herbst letzten
Jahres gesagt hatten, dass wir für sie keine Tarifverträge schließen
können. Jetzt ist der beste Zeitpunkt für eine Erweiterung unseres
Organisationsbereichs, denn das direkte Personal will sich nicht länger
mit Almosen abspeisen lassen, während sich die Führungskräfte die
Taschen vollstopfen. Und die 3.000 Neumitglieder, die seit dem
vergangenen Jahr zur GDL kamen, sind dafür die beste Bestätigung. Wenn
die DB eben nur mit einer Gewerkschaft im Betrieb den Tarifvertrag
schließen will, dann sollte das schon die GDL sein.

Frage 7:

*Die STREIKZEITUNG wird in erster Linie von Leuten gemacht, die
Mitglieder in DGB-Gewerkschaften sind. Ich bin beispielsweise seit
Jahrzehnten Mitglied in Verdi (früher ÖTV; dabei immer auch Mitglied im
VS). Gleichzeitig richten wir uns mit dieser Publikation besonders an
Aktive in den DGB-Gewerkschaften und werben für Solidarität mit der GDL.
Was ist da eure Botschaft*?

Gewerkschaftsmitglieder wollen, dass ihre Interessen zielgenau von einer
starken, unbestechlichen und erfolgreichen Gewerkschaft vertreten
werden. Das geht nur mit einem hohen Organisationsgrad und standhaften,
solidarischen Mitgliedern. Diese bekommt man nicht geschenkt. Wir müssen
unseren Mitgliedern jeden Tag aufs Neue zeigen, dass wir ihre Probleme
in der Arbeitswelt kennen, sie ernst nehmen und alles tun, damit sie
bessere Entgelt- und Arbeitsbedingungen bekommen. Das Wichtigste ist:
Wir schätzen unsere Mitglieder, erfassen ihre Probleme und Nöte, setzen
diese in Tarifforderungen um und drücken diese dann auch wirklich durch.
Das schätzen sie an uns. Im Übrigen haben die vorausgegangenen
erfolgreichen Kämpfe der GDL gezeigt, dass von diesen positiven
Auswirkungen auf den gesamten Bereich der lohnabhängig Beschäftigten
ausgingen. Insofern ist unser Kampf auch ein solcher, der allen
Bahnbeschäftigten und darüber hinaus allen gewerkschaftlich Aktiven
zugutekommt. Umgekehrt ist für uns die Solidarität, die uns aus anderen
Bereichen entgegengebracht wird, wichtig und hochwillkommen.

Quelle: Für die STREIKZEITUNG: Winfried Wolf





Vorsitzender der GDL Claus Weselsky. Foto: via GDL

Tom Wellbrock führte für #neulandrebellen ein Interview mit dem GDL-Vorsitzenden Claus Weselsky

Was bewirken Streiks heutzutage? Große Gewerkschaften - hier ver.di - holen aller zwei Jahre gerade mal einen Inflationsausgleich für ihre Mitglieder heraus. Foto: Claus Stille

Was bewirken Streiks heutzutage? Große Gewerkschaften – hier ver.di – holen aller zwei Jahre gerade mal einen Inflationsausgleich für ihre Mitglieder heraus. Foto: Claus Stille

Wir alle dürften uns noch an den Streik der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer im Herbst 2014 erinnern. Vielleicht unmittelbar als davon Betroffene Fahrgäste der Eisenbahn. Oder als interessierte Bürgerinnen und Bürger. Hoch her ging es damals. Und die Medien spielten seinerzeit nicht gerade eine positive Rolle. Voreingenommen und schon gar nicht neutral berichteten die meisten über den Tarifkonflikt der GDL mit der Deutschen Bahn AG. Für den Spiegel durfte eine Journalistin namens Yasmin El-Sharif einen Beitrag verfassen, welchem die Redaktion des Nachrichtenmagazins die Überschrift „Deutschlands dümmste Gewerkschaft“ verpasst hatte. Der Untertitel war nicht weniger abwertend: „Die Lokführer schmettern das neue Tarifangebot der Deutschen Bahn ab – sie wollen lieber streiken. Das ist ihr gutes Recht. Dumm nur, dass sie damit ihre eigene Entmachtung betreiben“. Für die konservative FAZ verstieg sich Corinna Budras am 10.10.2014 völlig: „Stoppt diesen Mann! Claus Weselsky ist Chef der Lokführer-Gewerkschaft. Das ist ihm zu wenig. Nur deshalb legt er Deutschland lahm. Ein Wutausbruch“. Irre!

Um die Forderungen der GDL zu diffamieren, schreckten Medien nicht vor übelster Stimmungsmache gegen deren Vorsitzenden Claus Weselsky zurück

Um was es der GDL im Herbst 2014 gegangen ist, ist auf deren Website nachzulesen. Einig der Gewerkschaftsforderungen konnten die Mainstream-Medien letztlich zwar nicht völlig von der Hand weisen. Dennoch wurde kaum etwas unterlassen, um den Streik in der Öffentlichkeit zu diffamieren. Wohl wissend, die zunehmend verärgerten, vom Streik Betroffenen Fahrgäste hinter sich zu wähnen. Breitseite auf Breitseite wurde auf Claus Weselsky, den Bundesvorsitzenden der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) abgefeuert. Nicht selten ist gar der Eindruck erweckt worden, Weselsky führe eine Art Privatkrieg gegen die Deutschen Bahn AG. Fein ging es da nicht zu. Eher übelst und auf die widerlichste Art. Weselsky wurde in ein Licht gerückt, das ihn als Egomanen – wenn nicht sogar als eine Art Psychopath erscheinen ließ. Nicht einmal vor der Privatsphäre des Gewerkschaftsvorsitzenden und der seiner Verwandtschaft wurde haltgemacht. Erinnern wir uns? Selbst im Bekanntenkreis verfing nicht selten die Medien- und Politikerhetze gegen den Vormann der GDL. Kaum jemand stellte sich in diesem heißen Herbst die Frage, warum es denn die GDL-Mitglieder zulassen sollten, dass Weselsky „seinen“ Privatkrieg – wie es manche Medien darstellten gegen die DB AG führt, um sich angeblich selbst zu profilieren. Zumal ja zum Vorstand der GDL noch mehr Personen gehörten. Aber das zählte eben nicht.

Fakt ist: Mit dem Streik der GDL im Herbst 2014 lösten Claus Weselsky und die GDL heftige Debatten aus

Es bot sich an, endlich einmal tiefer in Sachen GDL und Claus Weselsky, noch immer deren Vorsitzender, zu loten.

Telefoninterview mit Claus Weselsky

Für die #neulandrebellen führte Tom Wellbrock „zwischen einer kurzen Nacht und der nächsten Schlichtungsrunde“ ein Interview mit Claus Weselsky. Ich kann allen Gewerkschaftsmitgliedern und auch sonst allen interessierten Menschen nur empfehlen, anzuhören, was Claus Weselsky zu

sagen hat. Vielleicht wird da auch wieder einigen Menschen klar, welchen Sinn und Zweck Gewerkschaften in der Gesellschaft erfüllen bzw. einmal erfüllt haben. Und was sie einst und deren Mitglieder – nicht selten gar blutig und unter Verlust des eigenen Lebens – für mehr Gerechtigkeit in der Arbeitswelt und damit für die Gesellschaft leisteten. Und eigentlich heute wieder leisten müssen, um zu verhindern, dass das Erreichte nicht wieder zurückgedreht wird (was ja in der Tat geschieht und weiter versucht wird zu tun) und erhalten bleibt. Und da leisten gerade Einzelgewerkschaften wie die GDL nicht wenig. Und zwar im ureigensten Sinne ihrer Mitglieder! Vor allem wenn wir dagegen bedenken, wie Großgewerkschaften regelmäßig nur alle zwei Jahre gerade mal um die zwei Prozent mehr Geld (knapp ein Inflationsausgleich) „herausholen“. Diese Einzel- und Kleinstgewerkschaften sind bestimmten Politikern und Unternehmensvertretern ein Dorn im Auge. Weil sie oft großen Druck auf die Arbeitgeberseite auszuüben imstande sind. Weshalb mit dem Tarifeinheitsgesetz die Existenz von Gewerkschaften infrage gestellt werden soll. Die Notwendigkeit von Gewerkschaften sollten wieder in den Fokus der Aufmerksamkeit in unserer Gesellschaft gerückt werden. Momentan sind (Stand 2016) nur noch um die 15 Prozent der Arbeitnehmerschaft in Gewerkschaften organisiert (hier). Das ist bitter.

„Cockpitpiloten“ bald in neuer Gewerkschaft INTERMODAL?

Die Transportbranche wächst stark. Die Bezahlung der "Fahrarbeiter" ist meist mies; Foto: Andreas Hermsdorf via Pixelio.de

Die Transportbranche wächst stark. Die Bezahlung der „Fahrarbeiter“ ist meist mies; Foto: Andreas Hermsdorf via Pixelio.de

Laut Akademie und Institut für Sozialforschung e.V. Verona ist der Bereich Transport und Logistik europaweit ein weiter wachsender Wirtschaftsbereich. Und zwar deshalb, weil dieser „als zentrales Funktionselement der Gewinnsteigerung durch räumliche Arbeitszerlegung“ diene. Die Akademie stellt fest, dass das Segment Transport und Logistik ein „per se transnationaler und zumindest ‚europäischer‘ Wirtschaftsbereich“ sei.

9,5 Millionen Beschäftigte in der EU im Bereich „Verkehr und Lagerei“  – 900 000 Berufskraftfahrer allein in Deutschland

In der EU sind im Segment Transport und Logistik  ca. 9,5 Millionen Beschäftigte im Bereich „Verkehr und Lagerei“ tätig. Allein in Deutschland arbeiten im Wirtschaftsbereich Transport und Logistik ca. 900 000 Berufskraftfahrer! Ab und zu berichten es die Medien: Um die Arbeitsbedingungen und die Gesundheitsversorgung insbesondere der Fernfahrer im EU-Transitverkehr ist es – beschönigt ausgedrückt – nicht gerade zum Besten bestellt. Zuweilen stellt sich deren Arbeitslage als verzweifelt da. Für die deutschen Beschäftigten ist traditionell die Gewerkschaft ver.di mit dem Fachbereich 10 (Postdienste, Speditionen und Logistik) zuständig. Doch offenbar tut ver.di zu wenig für die doch zahlenmäßig sehr umfangreich zu nennende Klientel.

Die zuständige Gewerkschaft ver.di offenbar mit wenig Engagement bei der Sache

Nach „jahrelangen Bemühungen um mehr Engagement dieser Gewerkschaft im Bereich Transport und Logistik“ ist die Akademie über die Lage in diesem Bereich ziemlich gut im Bilde. Seit Jahren werden nicht nur von der Akademie unermüdlich Verbesserungen angeregt. Enttäuscht wird jedoch nun resümiert: Es werde von der zuständigen Gewerkschaft eine „dezidierte Politik des Nicht-Engagements“ verfolgt.

Dieses wahrlich wenig schmeichelhafte Urteil wird durch die Tatsache gestützt, dass ver.di der Entscheidung der Bundesarbeitsministerin, den deutschen Mindestlohn für Fahrer aus den EU-Nachbarländern während des Deutschland-Transit auszusetzen, offenbar ohne ernstzunehmende Gegenwehr einfach hinnahm. Dies nennt etwa Prof. Albrecht Goeschel, Mitglied des Akademie-Präsidiums „typisch“. Dabei fehlt es an Vorschlägen aus der Accademia an die Adresse von ver.di nicht. Nicht einmal an dem von der Regierung der Autonomen Provinz Bozen-Südtirol finanzierten Konzept einer autobahnintegrierten europaweiten Gesundheitsinfrastruktur („Zentren für Kraftfahrergesundheit“) soll die ver.di-Bundesverwaltung Interesse gehabt haben. Im Sinne einer Verbesserung der Arbeits(um)welt der „Fahrarbeiter“ – wie die Berufskraftfahrer hier akzentuiert bezeichnet werden hat sich die Akademie unter den Überschriften „Logistik und Gesundheit“ bzw. „Kraftfahrergesundheit“ sowie „Autobahn-Stadt Europa“ umfassende Gedanken gemacht. Labournet zitiert aus einem Artikel von Albrecht Goeschel und Marion Fendt in der  Fachzeitschrift „Alternative Kommunal Politik“, Heft Mai/Juni 2014 :

(…) „Seine Fahrarbeiter sind der Inbegriff singularisierter und mobilisierter Arbeitsindividuen. Sie sind die Bürger der „Autobahn-Stadt Europa“ – und im Übrigen zu 96 Prozent Männer. (…) Es ist allerhöchste Zeit, Konzepte für eine angemessene Sozial- und Gesundheitsinfrastruktur für die wachsende Autobahnstadt, für eine „Soziale Autobahn-Stadt Europa“ auszuarbeiten und einzufordern. Bisher gibt es dazu das Konzept „Zentren für Kraftfahrer-Gesundheit“ an wichtigen Autobahn-Knotenpunkten und an wichtigen Logistik- und Transportstandorten in Europa. Entwickelt wird es von der Autonomen Provinz Bozen, der Straßenverkehrs-Genossenschaft Hessen (SVG), der Akademie und Institut für Sozialforschung Verona und vom Bildungszentrum Haus Brannenburg der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft. (…)

Beitrittsangebote seitens ver.di halten die Kapitäne der Straße entgegen: „Nichtvertreten können wir uns selber und billiger“

Nur wie wären wirksame Verbesserungen für die Fahrerschaften durchzusetzen? Ganz einfach: Über eine starke Gewerkschaft! Wie hieß es doch – lang ist’s her: Wenn unser starker Arm es will, stehen alle Räder still!“ (Bundeslied)!. Käme da nicht gerade ver.di, die mit 2,1 Millionen Mitgliedern größte Dienstleistungsgewerkschaft der Welt, als mächtige Interessenvertretung zu passe beziehungsweise quasi naturgemäß in Betracht? Doch über Beitrittsangebote seitens ver.di sollen die „Kapitäne der Straßen“ nur gelacht haben. Und zwar nach dem Motto „Nichtvertreten können wir uns selber und billiger“.

Apropos „…stehen alle Räder still“: Die Streiks – besonders der bislang letzte – der Gewerkschaft der Lokomotivführer (GdL) haben offenbar bei den Berufskraftfahrern gewissen Überlegungen in Gang gesetzt. Die Akademie in Verona will definitiv wissen, dass in den Fahrerschaften große Bewunderung für die GdL und ihren Vorsitzenden Claus Weselsky herrsche. Doch damit nicht genug: Unter ihnen soll gar der Wunsch verbreitet seit , dort organisiert zu sein.

Transportwirtschaft eine der schlimmsten Niedriglohnzonen bei geringer gewerkschaftlicher Organisierung

Mitarbeiter der Akademie und das Institut für Sozialforschung e.V. Verona befeuerten diese Überlegungen anscheinend.Im engeren Kreis Accademia zirkuliert wohl ein Strategiepapier.

Es ist bekannt, dass die Transportwirtschaft ohne Zweifel zu den schlimmsten Niedriglohnzonen in Europa zählt. Zudem ist die gewerkschaftliche Organsierung in diesem Bereich besonders dürftig. Dass unter den Fahrern „organizing“ nicht möglich wäre, dürfte eine faule Ausrede sein. Es liegt mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit daran, dass die sich für zuständig erklärende Gewerkschaft ver.di in diesem Fachbereich wenig bis keinerlei Engagement zeigt. Schlimmer noch – wie kritisch zu vernehmen ist – offensive und innovative Konzepte und Initiativen ignoriert und mit bürokratischer Raffinesse sabotiert und blockiert.

Medienhetze und gesellschaftliches Rollback

Zurück zum GdL-Streik: Die nicht selten unappetitliche Hetze der Medien, Politik, des Bahnkonzerns (hinter welchem sich der nach wie vor hundertprozentige Eigentümer, der Bund sich versteckte) und von Betongewerkschaften gegen die GdL und namentlich Claus Weselsky zeigt Wirkung. Die GdL mit ihm als Gesicht hat – obzwar eine kleine Gewerkschaft – bewiesen, was engagierte Gewerkschaften bewirken können – beziehungsweise erinnerten daran, was auch große Gewerkschaften einst einmal – lang ist es her – zu bewirken vermochten.

Vor diesem Hintergrund rückt plötzlich auch der Niedriglohnbereich „Transportsektor“ ins Blickfeld. Und damit die wichtigste Erkenntnis, dass es keine vergleichbar große Branche in Deutschland gibt, die so „in der Wolle“ transnational und europaweit angelegt ist wie der Transportsektor. Warum wird der drittgrößte und weiter wachsender Wirtschaftsbereich jedoch wirtschafts- und gesellschaftspolitisch kaum zur Kenntnis genommen?

Die internationale und die europäische räumliche Arbeitszerlegung gilt als ein Profittreiber ersten Ranges. In der Transportbranche ist unglaubliche Lohndrückerei an der Tagesordnung. Die vollkommen fehlende Gesundheitsversorgung ist anscheinend kein Thema.

In Deutschland sind etwa 900 000 Berufskraftfahrer auf den auf den Verkehrswegen unterwegs. „Wohnen“ tun sie die größte Zeit über in ihren Fahrerkabinen. In der EU sind es schätzungsweise 2,5 Millionen. Es dürften noch mehr werden.

Zu den bereits vorhandenen 68 000 Kilometer Fernstraßen in der EU sollen in den kommenden Jahren nämlich weitere 58 000 Kilometer hinzukommen. Eine nennenswerte Lobby haben die Berufskraftfahrer nicht.

Anti-Griechenlandterror soll den Süden disziplinieren, die Anti-GdL-Hetze hatte – wie zu vermuten ist – die Aufgabe die Dienstleister zu disziplinieren. An Negativem dazu kommt noch das ausgerechnet von der Sozialdemokratin (!) Andrea Nahles verantwortete Tarifeinheitsgesetz. Zornige Kritiker desselben sehen darin ein neues Ermächtigungsgesetz.

Wird das in vielen Bereichen losgetretene und immer weiter vorangetriebene gesellschaftliche Rollback mit seinen negativen Wirkungen auf die jeweils davon betroffenen arbeitenden Menschen weiter so klaglos hingenommen werden? In der Transportbranche grummelt es anscheinend.

Betrachtung der Transportwissenschaft

In der Transportwissenschaft werden die modernen gesamtwirtschaftlichen Transportprozesse als komplementär zusammenhängende und teilweise schon integrierte Prozesse aufgefasst und betrachtet. „Modal-Split“ bezeichnet die Verteilung des gesamtwirtschaftlichen Transportaufkommens auf die Verkehrsträger bzw. die Beanspruchung der Verkehrsträger durch die verschiedenen Transportaufgaben. Die Verkehrsträger: Schienenwege, Straßenwege, Luftwege und Wasserwege. „Intermodal“ sind Transportprozesse, bei denen die Verkehrsträger integriert werden.

Kampfstarke neue Gewerkschaft für die „Fahrarbeiter“

Im in der Accademia zirkulierenden Strategiepapier hat man – eigentlich naheliegend – all diese Aspekte zusammen gedacht. Und einen Schluss daraus gezogen: Eine noch zu gründende Gewerkschaft für die Cockpitpiloten im Bahnzug, im Lastkraftwagen und im Frachtflugzeug könnte den Namen INTERMODAL tragen. Mit einem Vorsitzenden namens Claus Weselsky an der Spitze? All das ist Zukunftsmusik. Und wäre Weselsky überhaupt dazu bereit? Spass beiseite: Unmöglich wäre es nicht. Die neue Gewerkschaft verfügte jedenfalls über die nötige Kampfkraft, um die Arbeitsbedingungen in der Transportbranche nachhaltig verbessern zu helfen.

Wie bereits erwähnt: der Bereich Transport und Logistik ist europaweit ein weiter stramm wachsender Wirtschaftsbereich. Und da soll natürlich für die Firmen auch ordentlich Profit herausspringen. Was zu befürchten steht: Auch weiter auf dem Buckel der vielen „Fahrarbeiter“ und wenigen „Fahrabeiterinnen“. Denn diese werden in diesem alles durchökonomierenden neoliberalen Zeiten als lästige – aber eben immer noch  notwendige – Kostenstellen betrachtet.

GDL-Streik: Streik- als Grundrecht ist in Gefahr

Seit gestern Nachmittag 15 Uhr bestreikt die Gewerkschaft der Lokführer (GDL) den Güterverkehr der Deutschen Bahn AG. Seit heute Nacht 2 Uhr auch zusätzlich den Personenverkehr. Und zwar bis Montag. Gewiss führt dieser Streik zu Millionenschäden. Einerseits bei der DB, anderseits bei der Wirtschaft. Und sicher ist der Streik für Millionen Fahrgäste ein großer Ärger. Das ist hart. Manchem Fahrgast, der nun sehen muss wie er zur Arbeit kommt, dürfte sauer sein. Oder auch  Urlauber. Womöglich platzt da manchen schon mal der Papierkragen angesichts dieser gravierenden Einschränkungen.

Doch weshalb greift eine Gewerkschaft im Sinne ihrer Mitglieder zum Mittel des Streiks? Wenn auf anderem Wege Gehaltsverbesserungen oder Veränderungen der Arbeitsbedingungen nicht erreicht werden konnten. Und selbstverständlich bringt so ein Streik unter Umständen – eben wie gerade im Falle des Bahnstreiks – hohe Belastungen für die davon Betroffenen mit sich. Ebenso führt er zu wirtschaftlichen Schäden. Auch bei Dritten. Was sich im Falle der DB AG nicht vermeiden lässt. Das Auflaufen von womöglich horrenden wirtschaftlichen Schäden während und durch den Streik wiederum stellt ein wirksames Druckmittel gegenüber der Arbeitgeberseite dar. Ein Streik, der niemanden wehtut, braucht nicht geführt zu werden.

Hetze und Hatz

Nun kann man im Einzelnen über diesen GDL-Streik und wie dieser geführt wird – streiten. Und selbstredend auch Kritik üben. Aber dann bitteschön sachlich! Für den sogenannten Otto-Normalbürger, der sich betreffs der Gründe des Bahnstreiks nur kurz über die Medien – nachdem noch dazu über welche gerade – informiert, wird meist nicht so richtig klar, worum es konkret geht. Erst recht nicht, wenn dann bestimmte Teile der Journaille die Lokführer als „Raffkes“ titulieren. Ebenfalls dient eine förmliche Dämonisierung des GDL-Vorsitzenden Claus Weselsky nicht dazu, wirklich Licht auf die Hintergründe für den Streik zu lenken. Ganz im Gegenteil! Diese Hetze – und Hatz (gestern veröffentlichte „Bild“ die Bürotelefonnummer von Weselsky und „Focus“ zeigt ein Bild des Leipziger Hauses in welchem der GDL-Chef (übrigens nach dessen eigenen Auskünften auf 61 Quadratmetern) wohnt – bringt die Leute gegen diesen Streik auf. Und lenkt von der Sache ab. Nicht zuletzt gefährdet eine unverantwortliche Presse womöglich auch das Leben von Claus Weselsky und dessen Familienangehörigen. Ein Magazin titelte: „So versteckt lebt Deutschlands oberster Streikführer“

Inzwischen hat Weselsky – wie er heute im Morgenmagazin sagte – deshalb „die Polizei verständigt“. Seine Sekretärin hat Claus Weselsky unterdessen angewiesen, die gegen ihn im GDL-Vorstand einlaufenden Anrufe an die Telefonnummer von Bahn-Chef Grube weiterzuleiten.

Ein Skandal für sich ist diese Hetze. Über den eigentlichen Skandal jedoch erfährt die Öffentlichkeit so gut wie nichts. In der Sache nämlich hat die Bahn noch gar nicht mit der GDL verhandelt. Dabei wäre das gewiss überhaupt nicht kompliziert. Wie Weselsky gestern auch sagte. Ob dabei nun 5 Prozent, oder weniger bzw. eine Stunde weniger Arbeitszeit oder nur ein halbe, sei gar nicht die Frage.

Vielmehr geht es ums Prinzip. Und um nichts weniger als um das Streikrecht selber!

Claus Weselsky erklärte das gestern vor der Presse ausführlich: Man wolle und müsse für alle Mitglieder Tarifverträge aushandeln: „Dieses Grundrecht ist in Gefahr und damit die Funktion von Gewerkschaften an sich.“ (hier das Video von der Pressekonferenz)

Wer wirklich nervt, Herr Oppermann

Diejenigen, die jetzt am lautesten das Bashing des GDL-Chefs Weselsky – unter dem Deckmantel die Interessen der „armen Bahnkunden“ vorantreiben, sind nicht ganz unschuldig an den Ursachen für den derzeitigen Arbeitskampf. Auch der DGB, der das Tarifeinheitsgesetzes zusammen mit den Arbeitgebern aufs Gleis setzte, trötet gegen den GDL-Streik.

Und die einstige Arbeiterpartei SPD, die mit ihrer unsozialen Politik nicht nur Deutschland, sondern längst auch Europa nervt, tönt aus dem Mund von Thomas Oppermann: „Die GdL nervt ganz Deutschland.“ Die GDL missbrauche das Streikrecht für ihre Organisationsinteressen und die Macht der Funktionäre. Eine „Minigewerkschaft“ ließe Deutschland vier Tage still stehen. Dieser Konflikt werde auf dem Rücken der arbeitenden Menschen ausgetragen. Wäre man ebenso drauf wie Oppermann, man könnte ihm entgegenschleudern: Ihr missbraucht den einstmals guten Namen eures Vereins dafür, um unsoziale Politik ins Werk zu setzen.

Die Ursachen

Der jetzige Konflikt hat freilich tiefere Ursachen. Sie liegen im Betreiben einer neoliberalen (Privatisierungs-)Politik in den vergangenen Jahrzehnten. Haltet den Dieb!, rufen nun ironischerweise die am Vehementesten, welche die Privatisierung der Bahn einst gefordert und voran getrieben haben. Jetzt reiben sie sich erschrocken die Augen und bejammern die Folgen. In einem privatwirtschaftlichen Unternehmen haben die Mitarbeiter das Recht sich zur Vertretung ihrer Interessen zu organisieren (Artikel 9 GG) und zur Durchsetzung ihrer Interessen zu streiken.

Bei einer Beamtenbahn wäre das anders. Schon werden Forderungen  nach einer Verstaatlichung der Deutschen Bahn laut. Sogar ein CDU-Mann ist dafür. Der Bundesvize der Christlich Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA), Christian Bäumler, hat das Verhalten der Deutschen Bahn im Tarifstreit mit der Lokführergewerkschaft GDL scharf kritisiert (siehe Text im „Handelsblatt“).

Das Streik- als Grundrecht verteidigen

Jetzt ist dringend eine Versachlichung der Debatte geboten. Und statt den Fokus nur auf die GDL und ihren Vorsitzenden Claus Weselsky zu richten und über übelste Hetze eine regelrechte Hatz zu provozieren, sollten wir einmal genauer hinschauen, was der Bahnkonzern an Schuld für die Eskalation trägt. Der GDL nämlich geht es nicht allein um Lohnverbesserungen und Arbeitszeitverkürzung, es geht schlicht auch darum, das Streik- als Grundrecht zu verteidigen! Und das geht alle Gewerkschaften und letztlich auch die Bürgerinnen und Bürger an. Und in dieser Hinsicht gibt Claus Weselsky nicht klein bei. Sondern steht, wie das Morgenmagazin heute seinen Beitrag übertitelte „wie ein Baum“ hinter seinen Leuten und schützend vor dem grundgesetzlich verbrieftem Streikrecht. Er sei nicht zu kaufen, ließ er sich im Interview mit dem Morgenmagazin vernehmen. Weselsky spielte da gewiss auf den einstigen Transnet-Vorsitzenden Norbert Hansen an. Der war 2009 als Arbeitsdirektor das Management der Bahn gegangen.

Heute verteidigen wir das Streikrecht. Und morgen die Demokratie?

Unumwunden bringt der GDL-Streik vier lange Tage lang für viele Menschen nicht zu unterschätzende Erschwernisse. Auch führt er zu wirtschaftlichen Schäden. Doch ein Streik ohne Auswirkung gibt es nicht. Einen Hype daraus zu machen, ist falsch: Deutschland ist das Land mit den an Tagen wenigsten Arbeitskämpfen in Europa. Freilich: Kritik kann und soll auch geübt werden. Aber bitte auf sachlicher Grundlage. Hetze und Menschenhatz via Medien sind dagegen grundsätzlich und hart zu verurteilen. Es wäre schön und wichtig, wenn die Medien und auch wir als Bürgerinnen und Bürger das Streik- als Grundrecht verteidigten und „wie ein Baum“ dazu stünden, wie Claus Weselsky. An ihm sollten sich die Bosse der großen deutschen Gewerkschaften, die nicht selten in Arbeitskämpfen allzu früh klein beigeben, in puncto Standvermögen ein Beispiel nehmen. Die einstige Konsensrepublik Deutschland ist an vielerlei Stellen längst beschädigt. Wir sollten also genau aufpassen. Heute verteidigen wir das Streikrecht. Und morgen vielleicht die Demokratie? Ob dann die Medien auch so laut schreien wie im Moment? Vielleicht. Wenn sie noch können.