Vom ganztägigen Warnstreik heute in Dortmund. Stellvertretende ver.di-Bundesvorsitzende Behle an die Arbeitgeber: „Jetzt seid ihr dran, uns eine anständige Vergütungserhöhung zu zahlen!“

Für den Donnerstag dieser Woche hatte die Gewerkschaft ver.di zu einem weiteren ganztägigen Warnstreik in Dortmund aufgerufen. Angesprochen waren die Beschäftigten der DSW21 (ÖPNV), der DEW21 und DoNetz, der EDG, der gesamten Stadtverwaltung (inkl. aller Eigenbetriebe und Fabido), der Sparkasse, des Jobcenters und der Agentur für Arbeit. Zudem waren Kollegen*innen aus Castrop-Rauxel, Lünen und Schwerte angekündigt, um an der Hauptkundgebung auf dem Südwall teilzunehmen. Die Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes wollten noch einmal ihre Forderungen in der diesjährigen Tarifrunde bekräftigen. Die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeber (VKA) hatte sich bislang kein Stück bewegt. Die dritte Runde der Verhandlungen ist für den 22./23. Oktober 2020 erneut in Potsdam angesetzt. Streikmaßnahmen, so kündigte die stellvertretenden ver.di – Bundesvorsitzende Christine Behle auf der Kundgebung in Dortmund an, sollen in Deutschland noch von Montag bis Mittwoch stattfinden. Fridays for Future bzw. das Bündnis „Dortmund vereint“ standen den Streikenden ein weiteres Mal solidarisch zur Seite.

Auf dem Südwall in Dortmund. Fotos: C. Stille

Warnstreik setzte deutliche Zeichen bezüglich der Forderungen der Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes im Rahmen eines genehmigten Hygienekonzeptes

Mit Blick auf die Pandemieentwicklung in Dortmund und den umliegenden Städten und Kreisen wurden die verschiedenen Demonstrationszüge und die Abschlusskundgebung auf dem Südwall mit umfänglichen Abstandsmöglichkeiten organisiert. Das Tragen eines Mund-Nasenschutzes war obligatorisch. Das Hygienekonzept für diesen Tag war mit den Ordnungsbehörden der Stadt abgestimmt und genehmigt.

„Die Beschäftigten zeigen deutlich, dass sie auch in der aktuellen Krise bereit sind, sich für ihre Interessen einzusetzen. Trotzdem gehen wir die Warnstreiks maßvoll an und halten vorgeschriebene Sicherheitsmaßnahmen ein. Wir sind uns unserer Verantwortung bewusst. Zeitgleich gehen wir davon aus, dass sich die Maßnahmen in der nächsten Zeit noch weiter intensivieren werden“, hatte Gabriele Schmidt, Landesleiterin von ver.di NRW, im Vorfeld des ganztägigen Warnstreiktags in Dortmund erklärt. Geplant waren für den Vormittag drei Demonstrationszüge und fünf Fahrradkorsos quer durch die Stadt.

Dortmud Vereint stand einmal mehr solidarisch zu den Streikenden.

Michael Kötzing: Perfides Angebot der Arbeitgeber. Von Wertschätzung oder Dankbarkeit gegenüber den Leistungen vieler Kolleginnen und Kollegen in den letzten Monaten keine Spur

Michael Kötzing, Bezirksgeschäftsführer von ver.di Westfalen ergänzte: „Das Verhalten der öffentlichen Arbeitgeber ist perfide. ver.di hatte im Sommer angeboten die Tarifverhandlungen pandemiebedingt zu verschieben. Dieses Angebot haben die kommunalen Arbeitgeber (VKA) und der Bund abgelehnt, sie sehen sich während der Pandemie in der besseren Verhandlungsposition und setzen auf öffentliches und mediales Unverständnis. Anstatt dann in zwei Verhandlungsrunden ein Angebot vorzulegen, vergeuden sie Zeit und fordern stattdessen zahlreiche Sonderopfer der Beschäftigten. Von Wertschätzung oder Dankbarkeit gegenüber den Leistungen vieler Kolleginnen und Kollegen in den letzten Monaten keine Spur. Dieses Verhalten ist verantwortungslos. Verantwortungslos gegenüber den eigenen Beschäftigten und gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern. Denn die Konsequenzen von Warnstreiks bekommen im öffentlichen Dienst nun mal immer die Bürger zu spüren und nicht die Verantwortlichen in der Politik selbst. Für uns sind die Warnstreiks daher weiter alternativlos, denn Tarifverhandlungen ohne das Druckmittel des Streiks sind nicht mehr als kollektives Betteln. Die Bevölkerung leidet damit nicht unter den Streikmaßnahmen von ver.di, sondern unter der Arroganz und Ignoranz der öffentlichen Arbeitgeber. Wir fordern die Arbeitgeber laut und deutlich auf, bewegt euch endlich! Die Beschäftigten werden nicht diese Krise bezahlen!“

Michael Kötzing.

Dritte Runde der Tarifverhandlungen am 22. und 23. Oktober dieses Jahres in Potsdam

Der Gewerkschaft ver.di fordert für die Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes von Bund und Kommunen eine moderaten Anhebung der Einkommen um 4,8 Prozent, mindestens aber 150 Euro pro Monat, bei einer Laufzeit von zwölf Monaten. Die Ausbildungsvergütungen und Praktikantenentgelte sollen um 100 Euro pro Monat angehoben werden. Erwartet wird zudem die Ost-West-Angleichung der Arbeitszeit. Die dritte Runde der Verhandlungen ist für den 22./23. Oktober 2020 erneut in Potsdam angesetzt. 

Leistungen besonderer Berufsgruppen im Öffentlichen Dienst Ehrennadel gewürdigt. Die Ausgezeichneten schritten über einen roten Teppich auf die Bühne

Die Bühne für die zentrale Kundgebung stand auf dem Südwall kurz vor der Einmündung der Kleppingstraße. Von der Bühne herab führte über eine Treppe ein langer roter Teppich hinunter auf den Südwall. Wenn die öffentlichen Arbeitgeber den eigenen Beschäftigten schon keine Wertschätzung entgegenbringen, dann tun wir das selbst. Wir werden auf dem Südwall die „Helden*innen“ der Pandemie ehren. „Stellvertretend für tausende von Kollegen*innen“, hatte sich ver.di nämlich gedacht, „werden wir die Leistungen besonderer Berufsgruppen im öffentlichen Dienst würdigen und auf einem roten Teppich – vor welchen sich die Kundgebungsteilnehmer*innen aufgestellt hatten – hervorheben. So wurden dann exemplarisch Mitarbeiter*innen aus verschiedenen Bereichen im Öffentlichen Dienst – auch aus den Krisenstäben – tätiger Menschen mit einer Ehrennadel bedacht und deren wichtige Arbeit gewürdigt. Viele von diesen Menschen, sagte die stellvertretende ver.di-Vorsitzende Behle später, hätten auch außerhalb von solchen Krisenzeiten ein ganz geringes gesellschaftliches Ansehen und müssten zudem noch mit einer unterdurchnittlichen Entlohnung zurechtkommen. Vorgesehen war, wie Martin Steinmetz sagte, auch eine Polizeibeamtin oder ein Polizeibeamter zu ehren. Die Polizei aber eine diesbezüglich Ehrung hatte mit Verweis auf deren Neutralitätspflicht dankend abgelehnt.

Martin Steinmetz bittet die Auszuzeichnende auf die Bühne.
Rettungsanitäter der Feuerwehr kommt zur Ehrung,
Kollegin aus dem Gesundheitswesen schreitet zur Ehrung über den roten Teppich,

Stellvertretenden ver.di-Vorsitzende Christine Behle nannte die Reaktionen der Arbeitgeber auf die berechtigten Forderungen „echt unverschämt“

Die stellvertretende ver.di-Vorsitzende Christine Behle freute sich angesichts der erfreulichen Zahl der gekommenen Warnstreikteilnehmer*innen: „Auf Dortmund ist Verlass. Auch in der Pandemie.“

Behle räumte – wie das zuvor auch Michael Kötzing getan hatte – ein, dass der Streik in den ohnehin schon schwierigen Corona-Zeiten Menschen zusätzlich belaste. Aber man habe ja bei den Arbeitgebern schon rechtzeitig vorgefühlt, „ob man diese Verhandlungen nicht ins nächsten Jahr schieben könne“. Doch der Vorschlag, eine sogenannte „Corona-Prämie“ zu zahlen sei vom VKA mit der Begründung, das sei nicht bezahlbar in diesen Zeiten, abschlägig beschieden worden. Während Bundesinnenminister Horst Seehofer „mit einer ganz großen Selbstverständlichkeit eine Zustimmung signalisiert hatte“, sagte Christine Behle.

Christine Behle.

Die VKA habe gemeint, den Beschäftigten ginge es doch gut. Es gebe keinerlei Veranlassung eine Wertschätzung dieser Art, so die Arbeitgeber zynisch. Arbeitgeber trügen den „ach so sicheren Öffentlichen Dienst“ wie ein Gral vor sich her. Dabei hätte der mit den höchsten Grad an sachgrundloser Befristung unter den Arbeitsbereichen. Christine Behle dazu: „Das ist echt unverschämt gewesen, liebe Kolleginnen und Kollegen!“

Den kommunalen Arbeitgebern sei es vor allem um eines gegangen: „Sie sind schlicht davon ausgegangen, dass wir nicht in der Lage sind, unsere berechtigten Forderungen durchzusetzen. Und sie wollten diese schwierige Situation zu ihren Gunsten ausnutzen.“

Den Arbeitgebern rief die Gewerkschafterin zu: „Falsch gedacht! Wir sind auch in Corona-Zeiten handlungsfähig.“ In den letzten Wochen hätten fast 5000 Kolleg*innen aus allen Bereichen des Öffentlichen Dienstes in ganz Deutschland gestreikt. „Das Streikrecht gehört nämlich zu unseren Grundrechten. Und eine Pandemie, hat das „Handelsblatt“ noch kürzlich getitelt, darf keine gewerkschaftsreduzierte und arbeitsrechtlich verdünnte Zeit sein“, unterstrich Christine Behle.

Angleichung der Arbeitszeiten Ost an West muss erfolgen. Alles andere ist dreißig Jahre nach der Einheit inakzeptabel, befand Christine Behle

Als wichtige Forderung nannte Behle die Arbeitszeit Ost an West. Wer in den östlichen Bundesländern arbeite zahle nämlich drauf. Im Osten Deutschlands arbeite in der Regel sieben Arbeitstage bei einer 40-Stundenwoche mehr auf ein Jahr, die dort mehr gearbeitet würden als im Westen, wo 38,5 Stunden pro Woche gelten.

Im Laufe einer Berufstätigkeit summiere sich das. Christine Behle: „Das ist nicht nur ungerecht. Sondern dreißig Jahre nach der Einheit ist das inakzeptabel. Deshalb muss es jetzt zu einer Änderung kommen!“

Behle skandalisierte auch die schlechte Bezahlung im Gesundheitswesen und der Pflege. Für die Beschäftigen fordere man eine Zulage von 300 Euro.

Die Arbeitgeber seien auch „die Mitverursacher des Pflegenotstandes“ – was diese aber einfach ignorierten. Schließlich habe der Personalnotstand auch mit der unzureichenden Entlohnung zu tun.

Bis 2030 werden im Öffentlichen Dienst 100.000 Beschäftigte gebraucht. Jeder zweite geht in den nächsten Jahren in Rente

Christine Behle wies in ihrer Rede auf die prekären Zustände im öffentlichen Nahverkehr hin: „Seit zwanzig Jahren wird im Nahverkehr beim Personal gespart. Die Belastung ist. Zweistellige Krankenstände sind keine Seltenheit. Die Arbeitsverdichtung trifft die Beschäftigten in allen Bereichen. Der Personalabbau der letzten Jahre ist spürbar. Mit 49 Jahren ist das Durchschnittsalter in der Branche ungewöhnlich hoch. Grund dafür ist der langjährige Einstellungsstopp.“ Neue Leute zu finden sei ohnehin schwer, weil man es „unattraktiven Arbeitsbedingungen“ zu tun habe. Bei Bus- und Straßenbahnfahrer*innen seien im Jahr oft gerade einmal 15 Sonntage frei. Der Fahrplan sei oft so dicht gestrickt, dass kaum Zeit bleibe auf die Toilette zu gehen. Bis 2030 würden 100.000 Beschäftigte gebraucht. Jeder zweite Beschäftigte gehe in den nächsten Jahren in Rente.

Christine Behle: Streiken nicht nur für bessere Arbeitsbedingungen, sondern auch für eine Verkehrswende

Noch immer verweigerten die Arbeitgeber einen Bundesrahmenvertrag. Man streike, so Behle, nicht nur für bessere Arbeitsbedingungen, sondern auch für eine Verkehrswende. Nächste Woche Donnerstag und Freitag, informierte die stellvertretende ver.di-Bundesvorsitzende, gehe es in die finale Verhandlungsrunde im Öffentlichen Dienst. Man erwarte für den Freitag nächster Woche noch ein Angebot der Arbeitgeber. Wahrscheinlich dürfte es ein Angebot mit einer Laufzeit von 36 Monaten und einer Einmalzahlung für 2020 sein. Von Montag bis Mittwoch nächster Woche sollten „noch mal alle gemeinsam Gas geben“, um den Arbeitgebern noch einmal deutlich die Entschlossenheit der Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes zu zeigen, ein vernünftiges Ergebnis zu erkämpfen.

Christine Behle.

Die Botschaft an die Arbeitgeber: „Jetzt seid ihr dran, uns eine anständige Vergütungserhöhung zu zahlen!“

Bevor Michael Kötzing die Kundgebung beendete, wiederholte er noch einmal, was er schon vor einer Woche im Betriebshof formuliert hatte. Nämlich was die vier Buchstaben ÖPNV ihn bedeuten: „Öffentliches Personal Nicht Verarschen.“ Werde nächste Woche seitens der Arbeitgeber abermals die rote Linie gerissen, was die Wertschätzung der Kolleg*innen angehe, dann werde sich das, was an diesem Donnerstag stattgefunden nochmals wiederholen, postulierte Kötzing.

Alle Informationen dazu gibt es hier: https://unverzichtbar.verdi.de/

Protest gegen Schließungen bei Galeria Karstadt Kaufhof an drei davon bedrohten Standorten in Dortmund

Fachbereichsleiterin Handel bei ver.di Silke Zimmer spricht vor dem Eingang zu Galeria Kaufhof. Fotos (16): C. Stille

Die Geschäftsführungen von Galeria Karstadt Kaufhof sowie Karstadt Sports haben die Liste der zur Schließung vorgesehenen Kaufhäuser veröffentlicht. Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di hatte die Betriebsräte der 22 von Schließungen bedrohten NRW-Häuser für vergangenen Freitag nach Dortmund eingeladen.

Auf einer gemeinsamen Sitzung sollte ein Austausch über die aktuelle Situation stattfinden und das weitere Vorgehen gesprochen werden. Die Veranstaltung wurde gegen 14 Uhr für eine Protestveranstaltung in der Dortmunder Innenstadt unterbrochen. Die Betriebsräte zogen gemeinsam in die Innenstadt zu den drei betroffenen Dortmunder Häusern, um sich in kurzen Redebeiträgen für den Erhalt der Filialen einzusetzen.

Zwischenkundgebungen an den drei von Schließung bedrohten Kaufhausstandorten in Dortmund

Der Demozug führte vom Freizeitzentrum West (FZW) in der Ritterstraße über die Rheinische Straße auf den Westenhellweg, der Dortmunder Einkaufsmeile. Zwischenstopps erfolgten an den Kaufhäusern Galeria Kaufhof und Karstadt. Um dann zwecks einer Abschlusskundgebung vor Karstadt Sports zu enden. Dort bildeten die Demonstrierenden unter den Augen zahlreicher Passanten eine Menschenbrücke zwischen Karstadt und Karstadt-Sporthaus.

Gewerkschaft ver.di fordert politische Verantwortliche auf, alle Möglichkeiten zu nutzen, um die die dramatische Situation für die Beschäftigten und ihre Familien abzuwenden

Die Fachbereichsleiterin der Gewerkschaft ver.di für den Handel in NRW, Silke Zimmer, hatte im Vorfeld der Demonstration deutlich gemacht: „Die von Schließung betroffenen Beschäftigten sind in ihrer Existenz bedroht. ver.di wird sich in den nächsten Wochen und Monaten weiter für den Erhalt der Häuser und Arbeitsplätze in Nordrhein-Westfalen einsetzen. Hier fordern wir die Unterstützung aller politisch Verantwortlichen, dass gemeinsam alle Möglichkeiten, Chancen und Wege, um diese dramatische Situation für die Beschäftigten und ihre Familien abzuwenden, ausgeschöpft werden.“

Zu den Hintergründen

Galeria Karstadt Kaufhof gehört der Signa-Holding des Immobilien-Investors Réne Benko. Der österreichische Milliardär hatte im Zuge der Zusammenlegung von Karstadt und Kaufhof in den vergangenen Monaten gut eine halbe Milliarde Euro in das Unternehmen investiert und kürzlich noch einmal 140 Millionen Euro für Liquidität nachgeschossen. Von Benko lägen „weitere Zusagen für eine sehr umfangreiche Unterstützung“ vor, hatte es seitens des Insolvenzverwalters Frank Kebekus noch im April geheißen. Ein Kahlschlag betreffs der Beschäftigten war ausgeschlossen worden. Auf Staatsgeld wollte das Unternehmen verzichten. Zum 1. Juli muss der Sanierungsplan stehen, sonst würde der Warenhauskonzern in ein reguläres Insolvenzverfahren laufen.

Silke Zimmer: „Wenn das Warenhaus stirbt, dann stirbt auch der umliegende Einzelhandel!“

Den ersten Halt machte der Demonstrationszug bei sengender Hitze am Kaufhaus Galeria Kaufhof.

Silke Zimmer von der Gewerkschaft ver.di sagte dort: „Wenn das Unternehmen sich mit seinen Vorstellungen durchsetzt, werden von 42 Filialen in Nordrhein-Westfalen 18 geschlossen. Das ist jede zweite Filiale.“ Dass hier in Dortmund gleich drei Standorte geschlossen werden sollten, sei unbegreiflich – in einer Stadt wo fast 600.000 Menschen leben. Ein vor Ort tätiger Betriebsrat richtete ein paar Worte an die vor der Kaufhaustür versammelten. Viele Mitarbeiter*innen, so der Betriebsrat, seien dreißig oder gar vierzig Jahre bei Kaufhof beschäftigt und hätten gerne dort gearbeitet. Man wisse aber nun nicht wie es weitergehe. Man hoffe

Solidarisch: Michael Vogt von der Katholischen Stadtkirche.

auf die Unterstützung aller Bürger*innen, und das Dortmunder Standorte erhalten werden können. Sonst müsse mit „einem Sterben auf Raten“ gerechnet werden. Silke Zimmer sagte an den Insolvenzverwalter gerichtet: „Herr Kebekus, die Beschäftigten bei Karstadt Kaufhof Galeria Karstadt Sports nehmen Sie beim Wort. Wenn 18 Häuser von von 42 in NRW geschlossen werden sollen – wenn das kein Kahlschlag ist!“ Zimmer gab weiter zu bedenken: „Wenn das Warenhaus stirbt, dann stirbt auch der umliegende Einzelhandel!“ Die Kaufhaus-Mitarbeiter*innen hätten jahrelang auf Gehalt verzichtet, während sich die Manager die Taschen vollgemacht hätten, skandalisierte die Gewerkschafterin. Nun sollten die Beschäftigten die Suppe auslöffeln. Man fordere ein Zukunftskonzept für die Warenhäuser.

Zimmer bekräftigte gegenüber den Menschen in den betroffenen Städten: „Die Stadt gehört keinen Herrn Benko, gehört keiner Familie Otto von ECE. Die Stadt gehört ihnen!“

Michael Vogt, Pastor in der Katholischen Stadtkirche, sagte den von Kündigung bedrohten Beschäftigten ein paar solidarische Worte. Es sei wichtig, dass „der Mensch Urheber, Mittelpunkt und Ziel allen Wirtschaftens ist und bleibt“, wie es im Zweiten Vatikanischen Konzil gesagt worden sei.

Vor Karstadt sagte Pfarrer Friedrich Stiller: „Ihr habt das Recht auf eine Perspektive“

Betriebsrat Gerhard Löpke spricht.

Am zweiten Stopp der Protestierenden vor Karstadt-Kaufhaus auf dem Westenhellweg ergriff Betriebsrat Gerhard Löpke das Wort. Man habe im letzten Monat gerade in diesem Warenhaus „den letzten Nagel reingehauen und frisch renoviert.“ Seit letzter Woche Freitag hätten alle einen Schock, weil man die Mitteilung von der Schließung bekommen habe. Es könne nicht sein, dass man als Spielball für die Vermieter benutzt werde. Das werde sich die Belegschaft nicht gefallen lassen. Solidarisch mit den Forderungen der Beschäftigten erklärte sich vor diesem Karstadt-Standort auch der Theologe Friedrich Stiller: „Ihr habt das Recht auf eine Perspektive.“

Des Weiteren solidarische Grüße überbrachte die OB-Kandidatin der Grünen, Daniela Schneckenburger sowie Utz Kowalewski, der für die DIE LINKE für den Posten des Dortmunder Oberbürgermeisters kandidiert.

Schneckenburger nannte die Schließungspläne einen Skandal. „Eine Schneise der Verwüstung“ würde die Schließung von drei Warenhäusern in die Dortmunder Innenstadt schlagen.

Grüne OB-Kandidatin Daniela Schneckenburger skandalisierte die Schließungspläne.

Kowalewski sagte an die Adresse der Demonstranten: „Das ist eine Riesensauerei, was die mit euch veranstalten.“ Und an abwesenden Immobilien-Investor René Benko gerichtet: „Schämen Sie sich, Herr Benko!“

Der OB-Kandidat der SPD, Thomas Westphal, der ebenfalls an der Demonstration teilnahm, hatte schon am Vormittag im FZW zu den Betriebsräten gesprochen.

Auf der Abschlusskundgebung beschied Thomas Kutschaty: „Dass, was wir jetzt erleben, hat nichts mehr mit sozialer Marktwirtschaft zu tun, dass ist asoziale Marktwirtschaft, liebe Kolleginnen und Kollegen!“

Auf der Abschlusskundgebung vor Karstadt Sports bekundeten die Betriebsräte und die „Sportis“ kräftig: „Wir sind hier, wie sind laut, weil man uns die Zukunft klaut!“

Eine Betriebsrätin Monika von Karstadt Sports beschrieb die Situation aus Sicht der Beschäftigten: „Meine Kollegen sind deprimiert und wütend.“

OB-Kandidat der Partei DIE LINKE, Utz Kowalewski (rechts mit Mikro): „Stehen an eurer Seite!“

Am Mikrofon: SPD-Fraktionschef im NRW-Landtag, Thomas Kutschaty.

Thomas Kutschaty, Fraktionschef der SPD im Landtag von Nordrhein-Westfalen hatte eigens die Landtagssitzung sausen lassen, um sich in Dortmund solidarisch mit den Karstadt-Galeria-Kaufhof-Beschäftigten zu zeigen. Seit 140 Jahren sei Karstadt in unseren Städten präsent, erinnerte Kutschaty. Groß und stark sei das Unternehmen im Zeichen des Wirtschaftswunders und der Sozialen Marktwirtschaft geworden. Kutschaty: „Dass, was wir jetzt erleben hat nichts mehr mit sozialer Marktwirtschaft zu tun, dass ist asoziale Marktwirtschaft, liebe Kolleginnen und Kollegen!“

Jahrelang sei es gut gegangen. Dann seien dubiose Manager und Hedgefonds gekommen und hätten dieses Unternehmen ruiniert: „Da wurden Gebäude verkauft und zu Wucherpreisen wieder zurückerstattet. Gewinne haben andere gemacht, die Beschäftigten mussten die Opfer bringen. Das ist eine Schweinerei!“ Noch sei nichts verloren, meinte Kutschaty hoffnungsvoll. Gemeinsam mit den Beschäftigten kämpfe man um jeden Arbeitsplatz. Die gesamte Bevölkerung sei nun aufgefordert, Solidarität zu zeigen.

Nach Beendigung der Abschlusskundgebung zogen die Betriebsräte wieder zurück zum FZW, um die Beratungen fortzusetzen.

 

Gegen CETA und TTIP waren 320.000 Menschen auf der Straße. Ein Bericht aus Köln

Gabriele Schmidt von ver.di: „Wir sind keine human recources – wir sind Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer!“ Fotos: C.-D. Stille

Gabriele Schmidt von ver.di: „Wir sind keine human recources – wir sind Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer!“ Fotos: C.-D. Stille

Gestern gingen sage und schreibe deutschlandweit 320.000 Menschen gegen die sogenannten Freihandelsabkommen TTIP (USA-EU) und CETA (Kanada-EU) auf die Straße. Noch einmal übertroffen also die Zahl der 250.000 Protestierenden vom vergangenen Jahr bei der Großdemo in Berlin. Die Bürgerbewegung Campact trägt in der Tat nicht zu dick auf, wenn sie sagt:

„Dieser Demo-Tag geht in die Geschichte ein. 70.000 Menschen in Berlin, 65.000 in Hamburg, 55.000 in Köln, 50.000 in Frankfurt, 40.000 in Stuttgart, 15.000 in Leipzig und in München trotz Dauerregens 25.000. Alles zusammen: 320.000 Menschen – unfassbar! Größer und bedeutender war Protest selten. Die Entschlossenheit, die Sprechchöre, die Gänsehautmomente… diese Protestbewegung hat Kraft!“

Bericht aus Köln

„Gänsehautmomente“, die gab es. Das kann ich bestätigen. Ich war gestern mit Dortmunder DGB-Kolleginnen und Kollegen beim der Demonstration in Köln dabei. Der älteste Teilnehmer unter den Dortmundern dürfte ein 81-jähriger IG-Metaller und jahrzehntelang unentwegt als Kommunist in

Auftaktkundgebungsort Deutzer Werft.

Auftaktkundgebungsort Deutzer Werft.

Sachen Gerechtigkeit und Friedensarbeit engagierter Kollege gewesen sein. Überhaupt sah man in der Domstadt Jung und Alt vereint gegen die Demokratie und Rechtsstaat bedrohenden Abkommen TTIP und CETA entschlossen voranschreiten. Da war, so kann es wohl mit Fug und Recht ausgedrückt werden, ein gesellschaftliches Bündnis aus Menschen zusammengekommen, welche den frechen Angriff auf unsere Demokratie durchschaut haben. Ein Durchschnitt unserer Gesellschaft hatte da zusammengefunden. Kinder mit ihren Eltern, Jugendliche und Menschen im hohen Alter. Das will etwas heißen für deutsche Verhältnisse!

Mitarbeiter kleiner und mittlerer Unternehmen, vertreten durch Frank Immendorf, Initiator von KMU gegen TTIP waren nach Köln gekommen. Aber auch Bauern hatten ihre Ablehnung von TTIP und CETA deutlich gemacht, indem sie mit ihren Treckern nach Köln gerollt waren. Die längste Fahrt dorthin dürfte ein Bauer aus Wetter an der Ruhr auf sich genommen hatten. Hoch droben über dem Rhein standen die Traktoren einer hinter dem anderen aufgereiht auf der Deutzer Brücke.

Noch immer kamen Busse aus allen Himmelsrichtungen an, um ihre Passagiere in den Parkzonen Alfred-Schütte-Allee und Poller Kirchweg „abzuladen“. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Auftaktkundgebung an der Deutzer Werft längst begonnen. Ein buntes Volk erwartete dort die Ankommenden. Ein hölzernes trojanisches Pferd, das versinnbildlichte wie TTIP quasi mit CETA durch die Hintertür zu uns kommt. Und ein riesiger, von mehreren Aktivisten geführter und bewegter, gieriger Kapitalismusdrache, griff mit TTIP, CETA und TiSA-Armen nach unserer Daseinsvorsorge.

Gabriele Schmidt: „Was haben sie uns denn zu verbergen, dass es nicht zu veröffentlichen ist?“

Gabriele Schmidt von der Landesleitung der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di NRW sprach zu den Menschen. Sie forderte, dass sowohl die Verhandlungen als auch die Klagen zu den Abkommen unbedingt in die Öffentlichkeit gehörten. „Ansonsten müsse man fragen: Was haben sie uns denn zu verbergen, dass es nicht zu veröffentlichen ist?“ Unsere „sogenannten Volksvertreterinnen und Volksvertreter sollen die öffentliche Meinung vertreten“, sagte Schmidt. „Diese Demonstrationen hier und heute und bundesweit in den Städten sollen den Verhandlungsführern eine Warnung sein. Ihr Politikerinnen und Politiker seid der Bevölkerung gegenüber verpflichtet und nicht den Kapitalinteressen“, rief die Gewerkschafterin unter dem tosenden Applaus der Kundgebungsteilnehmer aus. Man wolle fairen Handel. CETA und TTIP seien deshalb „für uns unfairverhandelbar“. Und auf Zurufe reagierend, ergänzte Gabriele Schmidt: „Und TiSA ebenfalls nicht!“ Schmidt machte des Weiteren klar: „Wir sind keine human recources – wir sind Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer!“

Parteientalk

Beim anschließenden „Parteientalk“ wurde Sven Giegold (Grüne MdEP) darauf angesprochen, dass die NRW-Grünen die Volksinitiative „NRW gegen CETA und TTIP“ (gestern auf der Kundgebung gestartet) zu unterstützen versprochen hätten. Grund dafür sei, so Giegold, dass diese

Wurde befragt: Sven Giegold; rechts im Bild.

Wurde befragt: Sven Giegold; rechts im Bild.

Abkommen nicht etwa fairen Handel vorantrieben, sondern einseitig erlaubten, Konzernen Eingriffe in Rechtsstaat und Demokratie vorzunehmen. Mit grünen Werten sei das nicht vereinbar. Vom Moderator auf Zweifel angesprochen, ob die Grünen denn in den Ländern wo sie Regierungsverantwortung tragen auch dieser Meinung seien, ertönten aus dem Publikum vereinzelte Pfiffe und Buhrufe. Giegold wies daraufhin, dass die Grünen im Europarlament zuerst dort über diese Verträge abstimmen werden. Und zwar mit Fraktionsstärke werde gegen CETA stimmen. In NRW werde man dafür sorgen, dass es von dort keine Zustimmung gibt. Auch im Bundesrat stehe eine Abstimmungsmehrheit gegen CETA. Dank der

Grünen und der Linken. Vor der Bühne waren skeptische Meinungsäußerungen zu hören. Mit den Aufrufen zu dieser Demo „haben sich die Grünen faktisch“ in den Ländern mit ihrer Beteiligung an Landesregierungen auf Ablehnung von CEAT festgelegt, bekräftigte Giegold.

Die Landessprecherin der Partei DIE LINKE NRW, Özlem Alev Demirel, gleichzeitig Bundesvorstandmitglied von DIDF, sagte auf die Risiken von diesen „Freihhandelsabkommen“ angesprochen, die von den Konzernen beklagten „Handelshemmnisse“ seien nicht wie früher Zölle, sondern soziale Standards und gerechte Löhne für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. TTIP und CETA sei der größte Angriff der letzten Jahre darauf. Die

Redete engagiert: özlem Alev Demirel; links im Bild.

Redete engagiert: özlem Alev Demirel; links im Bild.

Betroffenen könnten sich nur selbst auf der Straße dagegen engagieren. Eventuelle Regierungsbeteiligungen ihrer Partei hingen davon ab, ob die unglaubliche Armut hierzulande – etwa in NRW – bekämpft werden würde. Für Demirel sei es „ungeheuerlich, wenn sich Hannelore Kraft vor einer Woche hingestellt hat und gesagt habe, TTIP“ sei nicht so gut, „aber CETA sei wesentlich besser“. „Nein, CETA ist TTIP durch die Hintertür!“ Demirel begrüßte zwar die von Vorredner Sven Giegold versprochene Ablehnung dieser Abkommen seitens der Grünen, wollte jedoch klargestellt wissen, dass die Grünen in mindestens zwei Bundesländern CETA wirklich nicht zustimmten. Sie blieb aber skeptisch. Sie wisse schließlich nicht, „was Herr Kretschmann machen wird“. „Die Grünen müssen auch ehrlich und aufrichtig sein.“

Auch Prof. Dietmar Köster (MdEP SPD) reagierte auf das Gelächter der Kundgebungsteilnehmer, auf seinen Auftaktsager, die SPD habe eine klare Linie betreffs der Ablehnung von CETA, indem er dazusetzte: „Zumindest was die Untergliederungen betrifft.“ Schließlich trügen diese

Fragen an Diemar Köster; zweiter von Links.

Fragen an Diemar Köster; zweiter von Links.

Freihandelsabkommen nicht dazu bei das Gemeinwesen zu stärken. Der Moderator sprach den vom SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel als Verbesserung zu den für CETA vorgesehenen privaten Investorschiedsgerichten gepriesenen Investitionsgerichtshof an. Woraufhin brüllende Ablehnung derb Kundgebungsteilnehmer zur Bühne herauf scholl. Persönlich sei Köster der Meinung, dass ein Investorenschutz überflüssig ist. Er werde CETA im Europarlament nicht zustimmen.

Dr. Joachim Paul (Hochschulpolitischer Sprecher der Piraten im NRW-Landtag) an die Anwesenden: „Wir können nicht dauernd diesen komischen Vertragsklötzchen CETA, TTIP und TiSA zustimmen.“ Man müsse die Strukturen stellen und angreifen, „die diese Klötzchen andauernd auskacken“. Paul kritisierte die „drittgrößte Lobbyorganisation“ unseres Landes, die Bertelsmann Stiftung (dazu Kritik hier) und die Atlantik-Brücke

Stellt sich den Fragen: Dr. Joachim Paul (mit Mikrofon).

Stellt sich den Fragen: Dr. Joachim Paul (mit Mikrofon).

(dazu hier) – beide Befürworter von TTIP und CETA – scharf: „Die müssen wir stellen!“. Bedenklich sei zudem, dass EU-Kommisarin Viviane Reding Berichterstatterin für TiSA ist und gleichzeitig im Kuratorium der Bertelsmann Stiftung sitze. Paul: „Wir müssen diesen flutschigen wirtschaftspolitischen Ideologieschwamm des Neoliberalismus, der eigentliche eine schlechte Religion ist, überall dort stellen, wo wir ihn antreffen!“

Für den BUND, Landesverband NRW, trat Dr. Michael Harengerd ans Mikrofon und rief den Anwesenden, den CDU-Wirtschaftsrat zitierend, zu: „Ihr seid alle Opfer. Opfer einer professionell orchestrierten Desinformationskampagne“ und Russland-Unterstützer. Diese Diffamierungen kämen,

Dr. Michael Harengerd: "Und nu geit los!"

Dr. Michael Harengerd: „Und nu geit los!“

weil die Befürworter von fragwürdigen Abkommen wie TTIP und CETA die Deutungshoheit darüber aufgrund des massiven Protestes in ganz Europa längst verloren hätten. „Wir wollen Merkels marktkonforme Demokratie nicht!“ Dann setzte Michael Harengerd mit den Worten „Und nu geit los!“ den vielköpfigen Demonstrationszug in Richtung Deutzer Brücke in Bewegung.

Auf die andere Rheinseite und wieder zurück

Friedlich aber durchaus unüberhörbar auch laut mit Musik, Gesang sowie unter dem Skandieren von intelligenten bis witzigen Anti-CETA und

55.000 waren in Köln dabei.

55.000 waren in Köln dabei.

TTIP-Slogans, bis zur Heiserkeit wiederholt, zogen die Demonstranten über die Deutzer Brücke auf die gegenüberliegende Rheinseite. Die Route führte von der Deutzer Werft – Siegburger Straße – Deutzer Brücke – Pipinstraße – Cäcilienstraße – Neumarkt – Pastor-Könn-Platz – Apostelnstraße – Albertusstraße – Magnusstraße – Burgmauer – Tunistraße (kurze Unterführung) – Cäcilienstraße – Pipinstraße – Deutzer Brücke und die Siegburger Straße durch einen kurzen Straßentunnel wieder zurück zur Deutzer Werft. Dort fand die Abschlusskundgebung statt. Unterwegs entspannte Polizistinnen und Polizisten, zustimmende oder verwunderte Passanten. Aus vorbeifahrenden Straßenbahnen heraus wurde fotografiert oder gefilmt. An der Strecke empfingen die Demonstrantinnen und Demonstranten Musiker und fantasievoll kostümierte Menschen, um so den Protest zu unterstützen. Immer wieder staute sich der Zug. Vor allem in den zu passierenden schmaleren Straßen. Langsam fuhr ein Lkw voran von dessen Ladefläche das junge Aktivistenpaar – zuweilen von der Masse der ihnen folgenden, gut aufgelegten, Menschen emotional überwältigt – über Mikro und Lautsprecherboxen Informationen zu CETA und TTIP gab oder aufrüttelnde Musik abspielte sowie Videoaufnahmen tätigte. Einfach überwältigend, dieser Tag in Köln!

Unfassbar: In Köln waren am gestrigen Samstag 55.000 Menschen auf der Straße. Bundesweit nach dem Protest der 250.000 in Berlin letztes Jahr die gigantische Zahl von 320.000 Demonstrantinnen und Demonstranten!

Weitere Bilder von der Demo in Köln:

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Die Straßen auf der Demoroute in Köln waren proppevoll.

Die Straßen auf der Demoroute in Köln waren proppevoll.

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Campact: Nicht nachlassen im Protest

Das Kampagne-Netzwerk Campact ruft indes zum Dranbleiben auf. Weitere Angriffe auf unsere Demokratie und Rechtsstaat sowie die Daseinsvorsorge seien auf der Schiene:

Das Dienstleistungsabkommen TISA. Die EU verhandelt streng geheim mit 21 Staaten über eine Liberalisierungswelle, die sich gewaschen hätte. Die Süddeutsche Zeitung schreibt nach aktuellen Leaks: ‚Bei TISA geht es um noch viel mehr als bei TTIP und CETA.‘

TISA kann unsere Gesundheit, Bildung, Nahverkehr und Wasser gefährden: Zentrale öffentliche Dienstleistungen stünden mit dem Abkommen unter heftigem Privatisierungsdruck. Die Verhandlungen sind schon weit fortgeschritten.

Ein Investitions-Abkommen zwischen der EU und China. Damit würde die gefährliche Paralleljustiz auch chinesischen (Staats-)Konzernen offenstehen, die unter anderem dabei sind, groß ins Geschäft mit Atomkraftwerken einzusteigen.

Mehrere Abkommen mit den südost-asiatischen Staaten Singapur, Vietnam, Malaysia, Thailand, Indonesien und den Philippinen. Dort haben die Menschen wenig demokratische Rechte und werden zum Teil rücksichtslos ausgebeutet. Den Konzernen, die sie ausbeuten, sollen unsere Dienstleistungsmärkte geöffnet werden – und sie bekommen Sonderklagerechte als Investoren.

Die EPA-Abkommen mit afrikanischen Staaten, die dort vor allem Kleinbauern ins Elend treiben und die Ausbeutung seltener Rohstoffe auf Kosten der dort lebenden Menschen stützen.

Außerdem ist TTIP noch nicht erledigt. Gescheitert ist dank der starken Proteste bisher nur der Versuch, noch unter der Obama-Präsidentschaft mit dem Abkommen fertig zu werden. Die Kommission jedoch verhandelt schon für den Neustart. Und Angela Merkel ist sowieso dafür.

Sie merken: Die Demo, diese unglaublich tolle Demo, war wichtig. Aber das, was kommt, wird unsere ganze Kraft und Aufmerksamkeit brauchen. Campact stemmt sich gegen die Aushöhlung unserer Demokratie durch schlecht gemachte Freihandelsabkommen.

Das CETA-Handelsabkommen mit Kanada soll ohne vorherige Zustimmung von Bundestag und Bundesrat vorläufig in Kraft gesetzt werden. Aber aus „vorläufig“ kann schnell endgültig werden: CETA schafft eine Parallel-Justiz für Konzerne, bedroht Umwelt- und Verbraucherschutz und gefährdet öffentliche Dienstleistungen. Und CETA ist TTIP durch die Hintertür, denn US-Investoren können das Abkommen auch für Klagen nutzen.“ (via Campact)

Prof. Albrecht Goeschel sieht interessante Verbindungslinien zwischen EDEKA und dem Geschäftsmodell Deutschland

Alles super (beim) Edeka-Markt?; Foto: Jürgen Jotzo via Pixelio.de

Alles super (beim) Edeka-Markt?; Foto: Jürgen Jotzo via Pixelio.de

Das Nachrichtenmagazin Der Spiegel ist mittlerweile alles andere als das „Sturmgeschütz der Demokratie“ von einst. Sondern vielmehr ein Verstärkungsorgan des neoliberaler Ideologie. Doch manchmal hat selbst Der Spiegel offenbar lichte Momente. So schreibt er etwa:

„Edeka inszeniert sich als harmloser Zusammenschluss kleiner Kaufleute. Dabei leiden Lieferanten und Mitarbeiter unter Deutschlands größtem Lebensmittelhändler“.

Prof. Albrecht (Staatliche Universität Rostow, Akademie und Institut für Sozialforschung Verona), der – wie meinen Leserinnen und Lesern bekannt – ansonsten mit scharfer Kritik nicht hinterm Berge hält, sah sich betreffs der aus dem  Hamburger Nachrichtenmagazin zitierten Passage zu Edeka sogar zu einem Lob veranlasst: „Das schreibt verdienstvoll Der Spiegel.“

Goeschel hat tiefer gelotet und Kritikpunkte herausgearbeitet:

„Mit dem Versuch, nun auch noch die Tengelmann-Filialen zu kapern und den damit drohenden weiteren Arbeitsverschlechterungen im Lebensmitteleinzelhandel scheint jetzt die ‚Stimmung zu kippen‘. Fast wie beim bewunderten ‚Geschäftsmodell Deutschland‘. Dieses hat sich in den letzten Wochen mit der Griechenland-Erpressung als Angreifer und Zerstörer eines nachbarlichen Europa selbst entlarvt und Griechenland nicht nur in eine Filiale, sondern in ein Protektorat verwandelt. Gibt es noch weitere Ähnlichkeiten oder Zusammenhänge zwischen EDEKA-Gruppe und GroKo-Deutschland?“

Von der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di beauftragt, hat die Akademie und Institut für Sozialforschung bereits im Februar 2015 ein paar interessante Verbindungslinien zwischen EDEKA und dem Geschäftsmodell Deutschland skizziert

“Die kritische Ökonomie in Deutschland leidet an einer Reihe blinder Flecken, die ihren Beitrag zur ökonomischen Alphabetisierung der Öffentlichkeit erheblich beeinträchtigen. Einer dieser blinden Flecken ist der Wirtschaftsbereich Handel, insbesondere Einzelhandel. Handel und Einzelhandel werden entweder moralisierend im Zusammenhang von Wachstums- und Konsumkritik oder generalisierend im Zusammenhang von Wirtschaftsbegutachtungskritik erörtert. Lediglich die sich wiederholenden Untersuchungen zur Dynamik und zum Niveau der Arbeitskosten etwa im Verarbeitenden Gewerbe einerseits und in den Gewerblichen Dienstleistungen andererseits und der hier bestehenden Wechselwirkungen bieten Anstöße zu einer anspruchsvolleren ökonomischen und politischen Modellierung von Handel und Einzelhandel im Rahmen von Gesamtwirtschaft und Wirtschaftssystem. Die vom Fachbereich Handel des ver.di – Bezirk Nordhessen Mitte Februar 2015 für Betriebsrätinnen und Betriebsräte der EDEKA-Unternehmensgruppe veranstaltete Konferenz in Melsungen bietet hier die Gelegenheit, am Beispiel des größten Unternehmens des Lebensmittel-Einzelhandels und größten privaten Arbeitgebers in Deutschland eine mehrdimensionale Sichtweise des Einzelhandelsbereiches exemplarisch vorzulegen. Nachfolgend sollen vier Dimensionen der EDEKA-Unternehmensgruppe angesprochen werden: Die EU- und EUR-Entwicklung; die Exportökonomie Deutschland; das Lohn-, Beschäftigungs- und Sozialmodell Deutschland und die Risiken der EUR-Krisenpolitik und des Freihandelsabkommens TTIP.”

Ich empfehle den hier nur kurz angerissenen Text von Prof. Goeschel in voller Länge ausdrücklich: Text des Vortrags und Tischvorlage von Prof. AlbrechtGoeschel  (Staatliche Universität Rostov, Akademie und Institut für Sozialforschung Verona). Er gibt den Vortrag Prof. Albrecht Goeschels wieder, welcher bei der Betriebsrätekonferenz der EDEKA – Hessenring in Melsungen am 11. Februar 2015 gehalten wurde.

Leider wird die von Albrecht Goeschel erkannte Problematik von den großen Medien kaum transportiert, beziehungsweise das Thema von anderen aktuellen Nachrichten überschattet. Mehr Beschäftigung damit täte not: Denn  so harmlos „normal“ wie uns EDEKA  scheint, ist die Firma bei näherer Betrachtung offenbar nicht.

„Cockpitpiloten“ bald in neuer Gewerkschaft INTERMODAL?

Die Transportbranche wächst stark. Die Bezahlung der "Fahrarbeiter" ist meist mies; Foto: Andreas Hermsdorf via Pixelio.de

Die Transportbranche wächst stark. Die Bezahlung der „Fahrarbeiter“ ist meist mies; Foto: Andreas Hermsdorf via Pixelio.de

Laut Akademie und Institut für Sozialforschung e.V. Verona ist der Bereich Transport und Logistik europaweit ein weiter wachsender Wirtschaftsbereich. Und zwar deshalb, weil dieser „als zentrales Funktionselement der Gewinnsteigerung durch räumliche Arbeitszerlegung“ diene. Die Akademie stellt fest, dass das Segment Transport und Logistik ein „per se transnationaler und zumindest ‚europäischer‘ Wirtschaftsbereich“ sei.

9,5 Millionen Beschäftigte in der EU im Bereich „Verkehr und Lagerei“  – 900 000 Berufskraftfahrer allein in Deutschland

In der EU sind im Segment Transport und Logistik  ca. 9,5 Millionen Beschäftigte im Bereich „Verkehr und Lagerei“ tätig. Allein in Deutschland arbeiten im Wirtschaftsbereich Transport und Logistik ca. 900 000 Berufskraftfahrer! Ab und zu berichten es die Medien: Um die Arbeitsbedingungen und die Gesundheitsversorgung insbesondere der Fernfahrer im EU-Transitverkehr ist es – beschönigt ausgedrückt – nicht gerade zum Besten bestellt. Zuweilen stellt sich deren Arbeitslage als verzweifelt da. Für die deutschen Beschäftigten ist traditionell die Gewerkschaft ver.di mit dem Fachbereich 10 (Postdienste, Speditionen und Logistik) zuständig. Doch offenbar tut ver.di zu wenig für die doch zahlenmäßig sehr umfangreich zu nennende Klientel.

Die zuständige Gewerkschaft ver.di offenbar mit wenig Engagement bei der Sache

Nach „jahrelangen Bemühungen um mehr Engagement dieser Gewerkschaft im Bereich Transport und Logistik“ ist die Akademie über die Lage in diesem Bereich ziemlich gut im Bilde. Seit Jahren werden nicht nur von der Akademie unermüdlich Verbesserungen angeregt. Enttäuscht wird jedoch nun resümiert: Es werde von der zuständigen Gewerkschaft eine „dezidierte Politik des Nicht-Engagements“ verfolgt.

Dieses wahrlich wenig schmeichelhafte Urteil wird durch die Tatsache gestützt, dass ver.di der Entscheidung der Bundesarbeitsministerin, den deutschen Mindestlohn für Fahrer aus den EU-Nachbarländern während des Deutschland-Transit auszusetzen, offenbar ohne ernstzunehmende Gegenwehr einfach hinnahm. Dies nennt etwa Prof. Albrecht Goeschel, Mitglied des Akademie-Präsidiums „typisch“. Dabei fehlt es an Vorschlägen aus der Accademia an die Adresse von ver.di nicht. Nicht einmal an dem von der Regierung der Autonomen Provinz Bozen-Südtirol finanzierten Konzept einer autobahnintegrierten europaweiten Gesundheitsinfrastruktur („Zentren für Kraftfahrergesundheit“) soll die ver.di-Bundesverwaltung Interesse gehabt haben. Im Sinne einer Verbesserung der Arbeits(um)welt der „Fahrarbeiter“ – wie die Berufskraftfahrer hier akzentuiert bezeichnet werden hat sich die Akademie unter den Überschriften „Logistik und Gesundheit“ bzw. „Kraftfahrergesundheit“ sowie „Autobahn-Stadt Europa“ umfassende Gedanken gemacht. Labournet zitiert aus einem Artikel von Albrecht Goeschel und Marion Fendt in der  Fachzeitschrift „Alternative Kommunal Politik“, Heft Mai/Juni 2014 :

(…) „Seine Fahrarbeiter sind der Inbegriff singularisierter und mobilisierter Arbeitsindividuen. Sie sind die Bürger der „Autobahn-Stadt Europa“ – und im Übrigen zu 96 Prozent Männer. (…) Es ist allerhöchste Zeit, Konzepte für eine angemessene Sozial- und Gesundheitsinfrastruktur für die wachsende Autobahnstadt, für eine „Soziale Autobahn-Stadt Europa“ auszuarbeiten und einzufordern. Bisher gibt es dazu das Konzept „Zentren für Kraftfahrer-Gesundheit“ an wichtigen Autobahn-Knotenpunkten und an wichtigen Logistik- und Transportstandorten in Europa. Entwickelt wird es von der Autonomen Provinz Bozen, der Straßenverkehrs-Genossenschaft Hessen (SVG), der Akademie und Institut für Sozialforschung Verona und vom Bildungszentrum Haus Brannenburg der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft. (…)

Beitrittsangebote seitens ver.di halten die Kapitäne der Straße entgegen: „Nichtvertreten können wir uns selber und billiger“

Nur wie wären wirksame Verbesserungen für die Fahrerschaften durchzusetzen? Ganz einfach: Über eine starke Gewerkschaft! Wie hieß es doch – lang ist’s her: Wenn unser starker Arm es will, stehen alle Räder still!“ (Bundeslied)!. Käme da nicht gerade ver.di, die mit 2,1 Millionen Mitgliedern größte Dienstleistungsgewerkschaft der Welt, als mächtige Interessenvertretung zu passe beziehungsweise quasi naturgemäß in Betracht? Doch über Beitrittsangebote seitens ver.di sollen die „Kapitäne der Straßen“ nur gelacht haben. Und zwar nach dem Motto „Nichtvertreten können wir uns selber und billiger“.

Apropos „…stehen alle Räder still“: Die Streiks – besonders der bislang letzte – der Gewerkschaft der Lokomotivführer (GdL) haben offenbar bei den Berufskraftfahrern gewissen Überlegungen in Gang gesetzt. Die Akademie in Verona will definitiv wissen, dass in den Fahrerschaften große Bewunderung für die GdL und ihren Vorsitzenden Claus Weselsky herrsche. Doch damit nicht genug: Unter ihnen soll gar der Wunsch verbreitet seit , dort organisiert zu sein.

Transportwirtschaft eine der schlimmsten Niedriglohnzonen bei geringer gewerkschaftlicher Organisierung

Mitarbeiter der Akademie und das Institut für Sozialforschung e.V. Verona befeuerten diese Überlegungen anscheinend.Im engeren Kreis Accademia zirkuliert wohl ein Strategiepapier.

Es ist bekannt, dass die Transportwirtschaft ohne Zweifel zu den schlimmsten Niedriglohnzonen in Europa zählt. Zudem ist die gewerkschaftliche Organsierung in diesem Bereich besonders dürftig. Dass unter den Fahrern „organizing“ nicht möglich wäre, dürfte eine faule Ausrede sein. Es liegt mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit daran, dass die sich für zuständig erklärende Gewerkschaft ver.di in diesem Fachbereich wenig bis keinerlei Engagement zeigt. Schlimmer noch – wie kritisch zu vernehmen ist – offensive und innovative Konzepte und Initiativen ignoriert und mit bürokratischer Raffinesse sabotiert und blockiert.

Medienhetze und gesellschaftliches Rollback

Zurück zum GdL-Streik: Die nicht selten unappetitliche Hetze der Medien, Politik, des Bahnkonzerns (hinter welchem sich der nach wie vor hundertprozentige Eigentümer, der Bund sich versteckte) und von Betongewerkschaften gegen die GdL und namentlich Claus Weselsky zeigt Wirkung. Die GdL mit ihm als Gesicht hat – obzwar eine kleine Gewerkschaft – bewiesen, was engagierte Gewerkschaften bewirken können – beziehungsweise erinnerten daran, was auch große Gewerkschaften einst einmal – lang ist es her – zu bewirken vermochten.

Vor diesem Hintergrund rückt plötzlich auch der Niedriglohnbereich „Transportsektor“ ins Blickfeld. Und damit die wichtigste Erkenntnis, dass es keine vergleichbar große Branche in Deutschland gibt, die so „in der Wolle“ transnational und europaweit angelegt ist wie der Transportsektor. Warum wird der drittgrößte und weiter wachsender Wirtschaftsbereich jedoch wirtschafts- und gesellschaftspolitisch kaum zur Kenntnis genommen?

Die internationale und die europäische räumliche Arbeitszerlegung gilt als ein Profittreiber ersten Ranges. In der Transportbranche ist unglaubliche Lohndrückerei an der Tagesordnung. Die vollkommen fehlende Gesundheitsversorgung ist anscheinend kein Thema.

In Deutschland sind etwa 900 000 Berufskraftfahrer auf den auf den Verkehrswegen unterwegs. „Wohnen“ tun sie die größte Zeit über in ihren Fahrerkabinen. In der EU sind es schätzungsweise 2,5 Millionen. Es dürften noch mehr werden.

Zu den bereits vorhandenen 68 000 Kilometer Fernstraßen in der EU sollen in den kommenden Jahren nämlich weitere 58 000 Kilometer hinzukommen. Eine nennenswerte Lobby haben die Berufskraftfahrer nicht.

Anti-Griechenlandterror soll den Süden disziplinieren, die Anti-GdL-Hetze hatte – wie zu vermuten ist – die Aufgabe die Dienstleister zu disziplinieren. An Negativem dazu kommt noch das ausgerechnet von der Sozialdemokratin (!) Andrea Nahles verantwortete Tarifeinheitsgesetz. Zornige Kritiker desselben sehen darin ein neues Ermächtigungsgesetz.

Wird das in vielen Bereichen losgetretene und immer weiter vorangetriebene gesellschaftliche Rollback mit seinen negativen Wirkungen auf die jeweils davon betroffenen arbeitenden Menschen weiter so klaglos hingenommen werden? In der Transportbranche grummelt es anscheinend.

Betrachtung der Transportwissenschaft

In der Transportwissenschaft werden die modernen gesamtwirtschaftlichen Transportprozesse als komplementär zusammenhängende und teilweise schon integrierte Prozesse aufgefasst und betrachtet. „Modal-Split“ bezeichnet die Verteilung des gesamtwirtschaftlichen Transportaufkommens auf die Verkehrsträger bzw. die Beanspruchung der Verkehrsträger durch die verschiedenen Transportaufgaben. Die Verkehrsträger: Schienenwege, Straßenwege, Luftwege und Wasserwege. „Intermodal“ sind Transportprozesse, bei denen die Verkehrsträger integriert werden.

Kampfstarke neue Gewerkschaft für die „Fahrarbeiter“

Im in der Accademia zirkulierenden Strategiepapier hat man – eigentlich naheliegend – all diese Aspekte zusammen gedacht. Und einen Schluss daraus gezogen: Eine noch zu gründende Gewerkschaft für die Cockpitpiloten im Bahnzug, im Lastkraftwagen und im Frachtflugzeug könnte den Namen INTERMODAL tragen. Mit einem Vorsitzenden namens Claus Weselsky an der Spitze? All das ist Zukunftsmusik. Und wäre Weselsky überhaupt dazu bereit? Spass beiseite: Unmöglich wäre es nicht. Die neue Gewerkschaft verfügte jedenfalls über die nötige Kampfkraft, um die Arbeitsbedingungen in der Transportbranche nachhaltig verbessern zu helfen.

Wie bereits erwähnt: der Bereich Transport und Logistik ist europaweit ein weiter stramm wachsender Wirtschaftsbereich. Und da soll natürlich für die Firmen auch ordentlich Profit herausspringen. Was zu befürchten steht: Auch weiter auf dem Buckel der vielen „Fahrarbeiter“ und wenigen „Fahrabeiterinnen“. Denn diese werden in diesem alles durchökonomierenden neoliberalen Zeiten als lästige – aber eben immer noch  notwendige – Kostenstellen betrachtet.

Veranstaltung zu TTIP in Dortmund: Enorme Machtverschiebung zugunsten ökonomisch Mächtiger – Finanzhoheit der Kommunen gefährdet

Auf dem Podium in Dortmund (v.l.n.r): Wolf Stammnitz (DIE LINKE), Manfred Koch (Moderation), Frank Cleve (Attac) und Martin Nees (ver.di NRW); Foto: Claus-Dieter Stille

Auf dem Podium in Dortmund (v.l.n.r): Wolf Stammnitz (DIE LINKE), Manfred Koch (Moderation), Frank Cleve (Attac) und Martin Nees (ver.di NRW); Foto: Claus-Dieter Stille

Am gestrigen Samstag fanden in zahlreichen Orten in Deutschland  Protestaktionen und Unterschriftensammlungen gegen die Freihandelsabkommen TTIP und CETA statt. Zahlreiche Proteste waren auch in vielen westeuropäischen Städten angekündigt. Allein in Deutschland waren Aktionen an ungefähr 150 Orten geplant.

Roland Süß vom Attac-Koordinierungskreis gegenüber der Presse: „Die Macht und die Einflussmöglichkeiten von Konzernen und Investoren würden sich drastisch erhöhen – auf Kosten von Demokratie, Mensch und Umwelt.“

Kritikpunkte der Gegner sind besonders die auf dem Tisch liegenden Vorschläge zur Reduzierung der nicht-tarifären Handelshemmnisse und die Verankerung von Investorenschutzrechten. Letztere wurden inzwischen aus den Verhandlungen ausgeklammert, sind aber im bereits fertigen CETA-Vertragswerk verankert, das als Blaupause für das weitaus größere Abkommen mit den USA gilt.

Als fraglich gilt es momentan noch, ob nur das Europäische Parlament oder auch die 28 nationalen Parlamente CETA zustimmen müssen.

Nicht wenige Menschen hierzulande geben an, noch nichts von TTIP oder CETA gehört zu haben. Oder meinen ganz und gar: Diese Abkommen betreffen mich nicht. Sie irren sich schwer.

Dortmunder Stadtratsfraktion DIE LINKE/Piraten luden zu Informations- und Diskussionsveranstaltung

Für den gestrigen Freitag hatte die Dortmunder Stadtratsfraktion DIE LINKE/Piraten zu einer interessanten Informations- und Diskussionsveranstaltung zum Thema „Freihandelsabkommen EU und USA. TTIP & Kommune – wo ist da das Problem?“ ins Rathaus der Ruhrgebietsmetropole eingeladen. Sechzig Interessenten waren gekommen, um die Referate von Wolf Stammnitz (DIE LINKE), Frank Cleve (Attac) und Martin Nees (ver.di NRW) zu hören. Hervorragend moderiert wurde die Veranstaltung von Manfred Koch.

Unverschämter Tweet der US-Botschaft

Manfred Koch verlas zunächst einen Tweet der US-Botschaft in Deutschland, der in den sozialen Netzwerken auf Protest gestoßen war: „“Du bist für TTIP und ärgerst dich über negative Berichterstattung? Sende uns deine Idee und wir unterstützen dich!“ Darin versprach die Botschaft 20.000 US-Dollar für jedes Projekt, dass das Freihandelsabkommen unterstützt.

Das berühmte Chlorhühnchen ist noch das Wenigste

Manfred Koch unternahm es auch einleitend TTIP zu erklären und die Probleme zusammenfassend zu skizzieren, die das Abkommen bei Umsetzung höchstwahrscheinlich zur Folge haben wird. Viele in der Bevölkerung dürften die Gefahr von TTIP gar nicht kennen. Schon der die Bezeichnung „Freihandelsabkommen“ führt ja da in die Irre bzw. lässt dahinter sogar etwas Positives vermute. Eher schon bekannt ist da, dass nach Abschluss dieses Abkommens das berühmte US-amerikanische Chlorhühnchen in deutschen Supermärkten auftauchen können. Dagegen kommt schon einmal Murren im Volke oder via Bildzeitung auf. Doch so unappetitlich einen ein solches Chlorhühnchen allein schon in der bloßen Vorstellung auch aufstoßen mag – TTIP birgt viel Schlimmeres an Gefahren. Deshalb, so Manfred Koch, sei man sich bei Attac, ver.di und DIE LINKE in dem Entschluss einig gewesen unbedingt eine solche Veranstaltung zur Problematik TTIP, CETA und Tisa im Hinblick auf die Auswirkungen auf die Kommunen durchzuführen zu müssen.

Manfred Koch: „Die Auswirkungen sind bemerkenswert“

Obwohl die einen auf den ersten Blick überhaupt nicht auffallen dürften Koch: „Die Auswirkungen auf unseren engeren Lebenszusammenhang, auf unsere Städte und Gemeinden“ werden aber spürbar werden. „Die Auswirkungen sind bemerkenswert.“

Frank Cleve (Attac): Beim Freihandel kann der Schwächere nur Verlierer sein

Das erste Referat hielt Frank Cleve von Attac. Cleve ging sogleich auf den Begriff „Freihandel“ ein, er ja eben geradezu nach einer positiven Ideologie klinge. Nur gab der Attac-Mann müsse „man sich klarmachen, dass die Leute die heute glühendsten Vertreter des Freihandels sind, dass das vorher die größten Protektionisten waren.“ Freihandel habe bei denen „erst gegriffen, als sie sich auf der internationalen Konkurrenz auf den Märkten gewachsen fühlten. Vorher waren sie in ihrer eignen Stärke aufgebaut mit Protektion.“ Der Schwächere könne beim Freihandel nur der Verlierer sein, so Cleve.

Deshalb träten auch die Verhandlungen bei der WTO (Welthandelsorganisation) auch auf der Stelle. Weil bestimmte Länder gemerkt hätten, dass da Interessen dahinter stünden, die ihnen eher schadeten als nutzten. Die Antwort der etablierten Länder auf diesen Stillstand im Rahmen der WTO seien solche Abkommen wie TTIP oder CETA. Die Taktik bestehen darin, „zunächst einmal in den einzelnen Wirtschaftsräumen diesen Freihandel durchzusetzen, dem sich dann die Anderen mehr oder weniger gezwungenermaßen anschließen.“

Zu befürchten ist eine enorme Machtverschiebung zugunsten der ökonomisch Mächtigen

Es gehe darum über den nationalstaatlichen Rahmen hinaus Gewinne zu machen, da die Produktionseinheiten transnationaler Konzerne zwar größer werden, sich im nationalen Rahmen jedoch kaum rentierten. Um 1990 waren es ungefähr 35.000, im Jahre 2009 82.100 transnationale Unternehmen, die über nationale Grenzen hinaus tätig waren. Diese Unternehmen haben wiederum Tochterunternehmen. „Das waren einmal 150.000 im Jahre 1990 und sind 807.000 im Jahr 2008 geworden.“ Stichwort: Globalisierung. Diese Unternehmen versuchten nun vermehrt vereinheitlichte Wirtschaftsräume (hauptsächlich Abbau von Zöllen, Vereinheitlichung von Regulierungen) zu schaffen. In Verträgen vereinbarte Regelungen sollen dann gegen jeglichen Einfluss z. B. des Staates geschützt bzw. festgeschrieben werden. Als Druckmittel zur Durchsetzung sollen Schiedsgerichte (besetzt von Anwälten internationaler Kanzleien, die mit großen Konzerne verbandelt sind), die vorbei an regulären Gerichten „Recht“ sprechen eingesetzt werden. Vorbei an einem lange erkämpften und eben nicht vom Himmel gefallenem staatlichen Rechtssystem! Dank eben diesem System könne „der Staat den wirtschaftlich Mächtigen Grenzen setzen“. Was freilich eine Frage des gesellschaftlichen Kräfteverhältnisses sei. Ausgehebelt werde unser Rechtssystem im Rahmen des TTIP durch Investor-state dispute settlement (ISDS). Cleve warnte, wenn ISDS Eingang in TTIP fände, habe dies „eine enorme Machtverschiebung zugunsten der ökonomische Mächtigen“ zufolge.

Wobei noch bedacht werden müsse, dass diese Schiedsgerichte keinerlei demokratische Legitimation hätten. Dabei gingen diese ihrerseits gegen demokratisch legitimierte Staaten vor! Was sei das denn anderes, „wie Heribert Prantl von der Süddeutschen Zeitung geschrieben habe, „als ein Anschlag auf die Parlamentarische Demokratie“?

Deutsche Bank frohlockt: „Milliardenmaschine“

Um darzulegen, was eigentlich die Kommunen für transnationale Konzerne so interessant machte, verlas Frank Cleve ein Zitat aus dem „Managermagazin“:

„Wer Geld von Anlegern einsammeln will, braucht eine Story. Wer viel Geld einsammeln will, braucht ein Megatrend. Nach Asien, Klimawandel und Demographie könnte das Schlüsselwort Infrastruktur zur nächsten Milliardenmaschine werden. Auf jeweils 4 bis 5 Billionen Euro schätzt die Deutsche Bank die Infrastrukturmärkte in Europa und Nordamerika. Bei anhaltendem Wachstum. Weil der Staat nicht mehr genug Geld für Straßen, Schienen-, Strom- und Wassernetze ausgibt, muss beim Ausbau und der Instandhaltung von Infrastruktur weltweit in wachsendem Umfang privates Kapital eingesetzt werden. (…) Dank einer stetig wachsenden Nachfrage, meist langfristigen Verträgen, staatlich regulierten Preisen und geringem Wettbewerb können die Betreiber von Infrastrukturprojekten mit stabilen Erträgen rechnen. Wer sich an diesen Geschäften der öffentlichen Daseinsvorsorge beteiligt, habe sein Geld also fast so sicher angelegt wie in einer Anleihe. Nur mit weitaus höheren Aussichten auf Gewinn.“

Frank Cleve: Der Bereich der öffentlichen Infrastruktur und Daseinsvorsorge solle also für die Kapitalanlagen erschlossen werden. Öffentliche Dienstleistungen wolle man privatisieren und diesen Schritt unumkehrbar machen. „Dies muss dazu führen, dass die kommunale Daseinsvorsorge unter das Diktat der Gewinnmaximierung gestellt wird“, resümiert Cleve. „Dies ist aber mit einer am Gemeinwohl orientierten demokratisch organisierten Daseinsvorsorge nicht vereinbar. Sollten hier die marktradikalen Kräfte sich durchsetzen, wäre der politische und demokratische Gestaltungsspielraum des Staates, der Länder und der Kommunen erheblich eingeschränkt.“

Weshalb sich auch der Deutsche Städtetag sich Sorge mache. (Positionspapier siehe hier.)

Martin Nees (ver.di NRW) – Perfide: Klagen wegen entgangenen Gewinn – bloße Behauptung kann schon schlagend sein

Martin Nees vom ver.di-Landesbezirk NRW, zuständig für die Kommunalpolitik und alles was damit im Zusammenhang steht, nahm im Wesentlichen Bezug auf das Freihandels-Abkommen mit Kanada (CETA), das das am weitesten fortgeschritten ist. Obgleich auch das geheim und auf Englisch ist und 500 Seiten mit tausenden Anhängen beinhaltet. Dieses Abkommen kann sehr wohl auch deutsche Firmen angewendet werden, die ihren Sitz in Kanada haben.

Es umfasst die Wasserver- und Entsorgung, die Energieversorgung, die Abfallbeseitigung, der Nahverkehr, öffentliche Krankenhäuser, Alters- und Pflegeheime, Volks- und Musikhochschulen, Schulen, Kultur – Theater, Museen – Kindergärten und Sparkassen, Bibliotheken, Sportstätten und Bäder. Aber auch bewährte Regularien wie Flächennutzungspläne, Baugenehmigungen könnten von TTIP betroffen sein. Nees wies darauf hin, dass die aus drei Personen zusammengesetzen, in irgendwelchen Luxushotels tagenden, Schiedsgerichte (eine Person muss als Vorsitzender bestimmt werden) aus Rechtsanwälten bestehen, welche bei großen, meist US-amerikanische Großkanzleien (mit oft 1000 und mehr Anwälten) angestellt sind. Die ergangenen Urteile – hört, hört! – können nicht mehr angefochten werden. Durchschnittlich koste so ein Verfahren 8 Millionen Dollar. Ein neuer Markt also. Verklagt werde immer die Bundesrepublik Deutschland. Die Kosten würden dann heruntergebrochen auf die Länder bzw. die Kommunen. Einen bekannten Fall nannte Martin Nees.

Der schwedische Energiekonzern Vattenfall hat die Stadt Hamburg aufgrund erteilter Umweltauflagen wegen entgangenen Gewinns verklagt. Das Schiedsverfahren ginge so aus, „dass die Stadt Hamburg diese Umweltauflagen wieder zurückgenommen hat“. Ansonsten wären 1,4 Milliarden Euro fällig gewesen.

Das Perfideste, so Nees, sei die Klage auf „entgangenen Gewinn“. Schon die bloße Behauptung dessen könne schlagend werden.

Betroffen könnten u.a. vor allem Sparkassen und Volksbanken, die bis auf geringe Ausnahmen problemlos durch die Finanzkrise gekommen seien. Weil sie zum großen Teil „kein Unsinn“ getrieben hätten. Andere Banken könnten sich (über den Umweg Kanada) Sparkassen (mit Stammkapital) „unter den Nagel reißen“. Problematisch sei das Prinzip der „billigen und gerechten Behandlung“. Jede Entscheidung der öffentlichen Hand muss billig und gerecht sein. Ein unbestimmter Rechtsbegriff, wie Martin Nees meint, mit der quasi jede staatliche Entscheidung angegriffen werden könne.

Es werde ein „Liberalisierungsdruck“ gegenüber der öffentlichen Daseinsvorsorge aufgebaut.

Stets werde dabei jeweils das höchste „Liberalisierungsniveau“ angestrebt. Es gälte, ein einmal erreichtes Privatisierungsniveau kann nicht mehr zurückgenommen werden. Deutsche Tariflöhne könnten auf Dauer über Konstrukte mit US-amerikanische Firmen (die sich den Vereinbarungen der ILO nicht unterwerfen) unterlaufen – indem sie deutsche Arbeitnehmer anheuern, das Tarifsystem beschädigt und schließlich vielleicht gar zerstört werden. Sogar der nun vereinbarte Mindestlohn könne so gewissermaßen obsolet werden.

Ver.di und auch der DGB stünden CETA und TTIP ablehnend gegenüber. Irritationen, gab Nees zu, hätten aber die Vereinbarungen des DGB mit dem Wirtschaftsministerium hervorgerufen. Allerdings, beteuerte ver.di-Mann Nees, auch der DGB habe gefordert, dass das CETA-Abkommen so nicht beschlossen werden darf. Die Industrie wie jeder Arbeitnehmer müsse gleichermaßen Chancen dabei haben. (Dazu der DGB hier.)

Wolf Stammnitz früherer Ratsherr von DIE LINKE in Dortmund: Finanzhoheit der Kommunen droht durch TTIP und CETA ad absurdum geführt zu werden

Ver.di-Gewerkschafter Martin Nees, der noch zu einer Veranstaltung nach Unna und deshalb eher wegmusste, folgte der frühere Dortmunder LINKE-Ratsherr und zweitweilige Fraktionsvorsitzende Wolf Stammnitz mit seinen Referat. Stammnitz brach die durch CETA und TTIP zu erwartenden Gefahren auf die Ebene der Kommune herunter. Stammnitz erinnerte daran, dass es die Selbstverwaltung der Kommunen „ein ganz zentraler Punkt“ sei. Diese Selbstverwaltung räume „den Bürgern auf der untersten Stufe der staatlichen Ebene eine weitgehende Entscheidungsfreiheit“ ein, „wie sie ihre gemeinsame Daseinsvorsorge organisieren wollen und welche öffentliche Güter sie sich über die gesetzlichen Mindeststandarts hinaus leisten wollen, so sie denn das Geld dafür haben.“

All das basiere auf der „Finanzhoheit der Kommunen“. Diese Finanzhoheit drohe „durch TTIP und CETA ad absurdum geführt zu werden“.

Wolf Stammnitz weiter:

„Diese Freihandelsjünger erkennen grundsätzlich nicht, dass die öffentliche Daseinsvorsorge“ (…) „eine besondere Aufgabe ist, die staatlich organisiert gehört, sondern sie erklären das Grund heraus zu Märkten.“

Es ginge da durchaus nicht um Peanuts:

„Eine Großstadt wie Dortmund bewegt im Jahr ein Finanzvolumen von knapp zwei Milliarden Euro. Und ein Viertel dieses Haushaltes – also knapp 500 Millionen Euro – gibt die Stadt jedes Jahr für Waren und Dienstleistungen aus, die sie von Außen zukaufen muss im Wege des Vergabeverfahrens von Gütern am Markt. Diese 500 Millionen sind natürlich für US-Konzerne ein leckeres Schnäppchen. Allein in einer Stadt wie Dortmund.“

Man sei stolz auf das NRW-Tariftreue- und Vergabegesetz. Leistungen würden dadurch nicht mehr nur nach dem Preis (dem billigsten) vergeben, sondern wären an soziale und ökologische Kriterien gebunden. Stammnitz: „Das alles ist bekanntlich US- und kanadischen Konzernen ein Dorn im Auge.“

Es „stehe zu befürchten, dass sie mit CETA und TTIP als Knüppel in der Hand die Stadt Dortmund zwingen können, bei künftigen Aufträgen, die dann auch in den USA und in Kanada ausgeschrieben werden müssen.“ Und das NRW-Tariftreue- und Vergabegesetz wäre perdu.

Und weitere zu Besorgnis Anlaß gebende  Beispiele für Privatisierungsdruck per TTIP nannte Wolf Stammnitz. Etwa die Gefahr für das Städtische Klinikum, welches bereits jetzt zu einer gemeinnützigen GmbH umgewandelt ist.

Auch die Kultur sei gefährdet. Der LINKE-Politiker nannte das Theater Dortmund. Das bekommt 30 Millionen Euro im Jahr. Äußerungen, wonach TTIP die Kultur außen vor lasse, beruhten auf Falschmeldungen. Bisher sei es nur den Franzosen gelungen, die sich ausbedungen haben, den Schutz ihrer eigenen Filmindustrie und audiovisuelle Dienstleistungen aus TTIP herauszuhalten.

Andere Kultureinrichtungen seien nicht in dieser „Negativliste“.

Jeder US-Investor, jeder Broadway-Unternehmer könne nun daherkommen und zum Beispiel auf der Industriebrache Phoenix-West in Dortmund in einer großen Halle eine Musical-Bühne aufziehen oder eine neue Event-Halle bauen. Von der Stadt Dortmund könne er nach TTIP dann verlangen: „Ich will die selben Zuschüsse wie das Theater. Wenn die Stadt das nicht kann oder will, dann wird sie ihr Theater entweder zumachen oder privatisieren“, so erklärt Stammnitz.

Die schlimmste Schweinerei sei, „dass einmal vollzogene Privatisierungen oder Liberalisierungen nie [sic! mehr rückgängig gemacht werden dürfen. Man stelle sich das mal vor, diese Hybris! Glauben diese Leute wirklich an eine Ende der Geschichte in ihrem Sinn?“

Offener Verfassungsbruch

Mit dem Steuerkapitel, wobei sich Firmen gegen ihrer Meinung nach zu hohe Steuern wehren könnten, ginge die Europäische Kommission „voll in einen offenen Verfassungsbruch rein“. Weil nämlich auch nach den EU-Verträgen die EU-Kommission überhaupt keine Hoheit über die Steuern ihrer Mitgliedsländer zu befinden hat.“ Stammnitz fasste zusammen:

„Auf rechtlicher Ebene macht sich die EU-Kommission, maßt sich die EU-Kommission an, wesentliche Teile unseres Grundgesetzes auszuhebeln, wie die kommunale Selbstverwaltung oder auch die Steuerhoheit des Nationalstaats. Und verstößt damit sogar auch gegen EU-Recht. Ohne, dass sie es für nötig hält, die nationalen Parlamente oder gar die Betroffenen Bürger auch nur um ihre Zustimmung zu fragen. Und auf finanzieller Seite soll und würde TTIP die öffentliche Daseinsvorsorge, die hauptsächlich von den Kommunen erbracht wird in der Bundesrepublik Schritt für Schritt abwürgen. Und unsere städtischen Einrichtungen an private Geschäftemacher ausliefern. Wie es heute übrigens in den USA weitgehend der Fall ist. Eine Stadt wie Detroit, die durchaus vergleichbar mit Dortmund ist, ist heute schon zahlungsunfähig.“

Nur reiche Menschen könnten sich arme Städte leisten, gab Wolf Stammnitz zu bedenken. Deshalb, schloss der Linksparteipolitiker, müssten wir TTIP unbedingt verhindern.

Eine aufschlussreiche Veranstaltung. Den drei informativen und aufrüttelnden Referaten folgte eine lebhafte Diskussion.

TTIP und CETA gehen uns nichts an? Wie man sich doch täuschen (lassen) kann.

 

Appell und Forderungen der TTIP/CETA-Gegner:

TTIP: Verkauft nicht unsere Zukunft!

Das geplante Freihandels-Abkommen TTIP zwischen der EU und den USA dient den Interessen der Konzerne und nicht uns Bürger/innen:

– TTIP höhlt Demokratie und Rechtsstaat aus: Ausländische Konzerne können Staaten künftig vor nicht öffentlich tagenden Schiedsgerichten auf hohe Schadenersatzzahlungen verklagen, wenn sie Gesetze verabschieden, die ihre Gewinne schmälern.

– TTIP öffnet Privatisierungen Tür und Tor: Das Abkommen soll es Konzernen erleichtern, auf Kosten der Allgemeinheit Profite bei Wasserversorgung, Gesundheit und Bildung zu machen.

– TTIP gefährdet unsere Gesundheit: Was in den USA erlaubt ist, würde auch in der EU legal – so wäre der Weg frei für Fracking, Gen-Essen und Hormonfleisch. Die bäuerliche Landwirtschaft wird geschwächt und die Agrarindustrie erhält noch mehr Macht.

– TTIP untergräbt die Freiheit: Es droht noch umfassendere Überwachung und Gängelung von Internetnutzern. Exzessive Urheberrechte erschweren den Zugang zu Kultur, Bildung und Wissenschaft.

– TTIP ist praktisch unumkehrbar: Einmal beschlossen, sind die Verträge für gewählte Politiker nicht mehr zu ändern. Denn bei jeder Änderung müssen alle Vertragspartner zustimmen. Deutschland allein könnte aus dem Vertrag auch nicht aussteigen, da die EU den Vertrag abschließt

Gegenstand

Wir fordern die Institutionen der Europäischen Union und ihre Mitgliedsstaaten dazu auf, die Verhandlungen mit den USA über die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) zu stoppen, sowie das Umfassende Wirtschafts- und Handelsabkommen (CETA) mit Kanada nicht zu ratifizieren.

Wichtigste Ziele

Wir wollen TTIP und CETA verhindern, da sie diverse kritische Punkte wie Investor-Staat-Schiedsverfahren und Regelungen zur regulatorischen Kooperation enthalten, die Demokratie und Rechtsstaat aushöhlen. Wir wollen verhindern, dass in intransparenten Verhandlungen Arbeits-, Sozial-, Umwelt-, Datenschutz- und Verbraucherschutzstandards gesenkt sowie öffentliche Dienstleistungen (z. B. Wasserversorgung) und Kulturgüter dereguliert werden. Die selbstorganisierte EBI unterstützt eine alternative Handels- und Investitionspolitik der EU.

Das Kampagne-Netzwerk Campact bietet die Möglichkeit gegen TTIP zu unterschreiben.

Dortmund: ver.di brachte 24.000 Menschen des öffentlichen Dienstes zum Warnstreik auf die Beine

BildFür Lohnverbesserungen der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes gingen am Donnerstag 24.000 Menschen in Dortmund auf die Straße; Foto. C-D.Stille

Die Tarifverhandlungen für die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes stehen bis dato unter keinem guten Stern. Während die Gewerkschaft ver.di für die Bediensteten eine Lohnerhöhung von 3,5 Prozent und 100 Euro monatlich, sowie die Übernahme der Auszubildenden fordert, sprechen die Arbeitgeber des Öffentlichen Dienstes diesbezüglich von „überzogenen Forderungen“.
Die Arbeitgeber bewegten sich auch nach den ersten Warnstreiks von ver.di nicht wesentlich.

Bereits gestern gab es an mehreren Orten in Deutschland abermals Warnsteiks, um den Druck auf ie öffentlichen Arbeitgeber zu verstärken.
Auch am heutigen Donnerstag wird weiter gestreikt. Der öffentlichen Nahverkehr und viele kommunale Einrichtungen ruht, sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Sparkassen legten die Arbeit nieder. So auch in Dortmund und Umgebung.

„Die zweite Runde der Tarifverhandlungen für die 2,1 Mio. Beschäftigten von Bund und Kommunen sind ohne Ergebnis geblieben“, informiert ver.di Dortmund auf der eignen Internetseite. „Die Gespräche haben in einigen Punkten zwar Annäherungen gebracht“, so Michael Bürger, Geschäftsführer von ver.di Dortmund, „aber gerade bei den Forderungen nach einem Sockelbetrag von 100 € und einem Zuschlag von 70 € für die Beschäftigten im Nahverkehr liegen die Positionen noch sehr weit auseinander. Wir wollen deshalbden Druck vor der nächsten Verhandlungsrunde erhöhen und rufen zu weiteren Warnstreiks auf.“

Ebenfalls ganztägig gestreikt wird u.a. in Dortmund bei der Telekom . In dieser bereits seit 6 Wochen laufenden Tarifrunde fordert ver.di eine monatliche Erhöhung um 5,5 % und die überproportionale Anhebung der unteren Einkommen.

Für den Warnstreik am kommenden Donnerstag erwartete ver.di nicht nur 8.000 bis 10.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Dortmund, Lünen, Castrop-Rauxel und Schwerte. Mit ebenso vielen Streikenden aus den benachbarten Städten und Regionen Hamm,Unna, Münster, der Hellwegschiene, dem Hochsauerlandkreis, dem Siegerland, aus Südwestfalen mit Hagen, Gevelsberg und Lüdenscheid, aus Bochum, Herne und dem Kreis Recklinghausen wurde gerechnet.
Und tatsächlich: In Dortmund knubbelten sich die Menschen! Von überall her strömten Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter heran. Eine riesige Menschenmenge setzte sich vom Friedensplatz von dem Dortmunder Rathaus bei herrlichem Sonnenschein in Bewegung. Über sonst stark von Autos befahrenen Hauptverkehrsadern Ost- und Königswall liefen die Menschen mit Transparenten, Fahnen und in neonfarbenen ver.di-Westen. Gegenüber dem Hauptbahnhof stoppte die jetzt schon unübersehbare Menge: Von der Katharinentreppe her kommend reihten viele Sparkassenangestellte ein und verstärkten so den Demonstrationzug.

Auf dem Südwall angekommen, dauerte es lange bis sich alle herangeströmten Gewerkschafter auf den breiten Fahrspuren verteilt hatten. Auf der Straße, kurz vor der großen Verkehrskreuzung am Adlerturm war ein Lkw quer zur Fahrbahn gestellt worden: Dessen Ladefläche war die Bühne für die Abschlusskundgebung.

Der örtliche Gewerkschaftsfunktionär informierte eingangs über den Stand der Tarifverhandlungen in Potsdam. Sein Fazit: Die öffentlichen Arbeitgeber hätten dort nur altbekannte Phrasen gedroschen und inhaltsleere Blasen vonsichgegeben. Man zeigt sich überwältigt von der hohen Beteiligung am heutige Warnstreik in Dortmund. Die Polizei habe die Zahl ebenfalls bestätigt: 24.000 Menschen stehen zu diesem Zeitpunkt auf dem Südwall vor der Bühne.

„Für mich seid ihr 24.000 Heldinnen und Helden!“

Direkt vor ihr die Auszubildenden. Sie fordern und skandierten es auch gleich laut: „Übernahme, Übernahme, Übernahme!“ Und Beifall brandete auf. Nacheinander sprechen von den 24.000 zwei junge Frauen, gewerkschaftliche Vertreterinnen der Auszubildenden, über deren Sorgen und Nöte anno 2014. Die erste Auszubildenden-Vertreterin ist so überwältigt, vor so vielen Menschen sprechen zu dürfen, dass sie – und damit bewertet sie gleichzeitig auch die Arbeit der Menschen im öffentlichen Dienst: Für mich seit ihr alle Helden! Warum? Irgendein Dichter hat einmal geschrieben: ‚Wer tut, was er kann, ist ein Held‘. Für micht seid ihr 24.000 Heldinnen und Helden!“

BildDiese junge Frau spach die Forderungen der Auszubildenden aus; Foto: C.-D.Stille

Viele von den Auszubildenden, sagt die Nachfolgerin am Mikrofon, hätte lange Wegstrecken zu ihren Ausbildungsorten zurückzulegen. Die Arbeitgeber sagten: „Zieht doch näher heran!“ Nur, so fragt die zweite junge Rednerin ins Mikrofon: Wie die Miete, den Strom zahlen und den Kühlschrank füllen, mit dem geringen Salär eines Auszubildenden?

Später trat Achim Meerkamp vom ver.di-Bundesvorstand ans Rednerpult. Er ist gleichzeitig auch der stellvertretende Verhandlungsführer bei den Verhandlungen in Potsdam. Meerkamp berichtet von Verhandlungen. Auf die Jugendlichen eingehend, sagte der Funktionär, deren Probleme habe man Innenminister Thomas de Maiziére (CDU) dargestellt. Verbunden mit der Forderung nach Anhebung der Lehrlingsentgelte. De Maiziére jedoch habe nur eine lapidare Antwort darauf gehabt. Die richtete er an den ver.di-Vorsitzenden und Ersten Verhandlungsführer in den Tarifverhandlungen: „Lehrjahre sind nun mal keine Herrenjahre, Herr Bsirske.“ Achim Meerkamp findet, dies zeige in welchen veralteten Denkmustern ein Mann wie Dr. Thomas de Maiziére offenbar noch gefangen sei.

Achim Meerkamp von ver.di: „Als ich 1973 in den öffentlichen Dienst gegangen bin, hatte man da noch eine Perspektive“

BildAxel Meerkamp, stellvertretender Verhandlungsführer von ver.di; C.-D. Stille

Und natürlich drohten die öffentlichen Arbeitgeber schon wieder für den Fall, die Forderungen von ver.di hätten Erfolg mit Privatisierungen. Der Inneminister: Es sei kein Geld da. Ver.di: Dabei hätten der Staat doch reichlich Steuern eingenommen. Jahrelang wurden Lohneinbußen bzw. Stagnation hingenommen. Und die Frage, wer denn wohl den nächsten Jahrzehnten noch im öffentlichen Dienst arbeiten sollen wurde in den Raum gestellt. Schon jetzt werden immer mehr Menschen des öffentlichen Dienstes schlechter als langjährige Kollegen. Etwa im Nahverkehr. Da seien inzwischen Löhne von 1880 Euro für Neueingestellte „normal“. Gewiss: die Gewerkschaften hätten das unterschrieben, um weitere Privatisierungen zu verhindern. Aber hat das gefruchtet? Wie zu sehen ist: nicht.

Achim Meerkamp sprach auch die „sogenannten Leistungsgeminderten“ an. Menschen sind das, welche gesundheitliche Beeinträchtigungen hätten. Seit 2005 sahen die keine Lohnerhöhungen!
Es sei nun darüber mit den Verhandlern auf Arbeitgeberseite zu sprechen, wie man künftig mit den Menschen im öffentlichen Dienst umzugehen gedenke. Schließlich stiegen seit Jahren die Anforderungen an sie. Und damit auch der Stress.
Ausdrücklich lobte Meerkamp den auch heute wieder deutlich gewordenen Zusammenhalt, den gemeinsamen Kampf der Gewerkschafter. Was kämen denn auch heraus, wenn jede Fachgruppe für sich kämpfe?
Meerkamp zum Ist-Zustand der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes: „Als ich 1973 in den öffentlichen Dienst gegangen bin, hatte man da noch eine Perspektive.“ Das müsse wieder erreicht werden.
Nächsten Montag fänden die nächsten Verhandlungen in Potsdam statt. Nun müssten die Arbeitgeber sich endlich bewegen. Meerkamp: „Und wir wollen noch einmal klarmachen, was wir wollen.“ Für den Fall, dass sich die Arbeitgeber wieder nicht bewegten, „müssen wir uns wieder bewegen“, so der stellvertretende Verhandlungsführer von ver.di. Das hieß Streik. Dann aber länger.

Gegen Ende der Abschlusskundgebung erhielt noch der Betriebsrat der Dortmunder Firma MM Graphia, der im Stadtteil Aplerbeck angesiedelt ist, Gelegenheit zu reden. Der Betrieb soll zum 30. Juni geschlossen werden. 80 Familien, so der Betriebsrat, seien davon betroffen. Immerhin erwirtschafte die Firma acht Prozent Rendite. Jedoch gelte heuzutage international eine Rendite von von 20 Prozent als das Mindeste. Was seien das für Zeiten? Auf Deutsch und auch auf Griechisch, sagte der griechischstämmige Betriebsrat hat man uns „verarscht!“ Kampflos wolle man das nicht hinnehmen.

Und wie wird es nun weitergehen beim Kampf der 2,1 Millionen ver.di-Beschäftigten? Was, wenn die Arbeitgeber stur bleiben? Wird ver.di-Chef Frank Bsirske respektive die Große Streikkommission dann zu einem längeren Streik aufrufen? Doch schon sagt so mancher: Wer die Backen aufbläst, muss auch schließlich auch blasen! Und nicht wieder Zusgeständnisse machen, wie schon manches Mal zuvor. Zwar hören sich 3,5 Prozent plus 100 Euro mehr ich viel an. Aber wie sieht das in der Realität bzw. in den Brieftaschen der Einzelnen nach Jahren der Lohnzurückhaltung und diversen Preissteigerungen aus? Denn die ver.di-Mitglieder wissen freilich aus Erfahrung, dass beim Tarifabschluss nie die geforderte Lohnverbesserung herauskommt. Wie weit könnte man vom jetzt Geforderten noch heruntergehen? Anfang nächster Woche wissen wir mehr.

Streikbereitschaft ist vorhanden

Gestern und heute jedenfalls standen im Bereichen des öffentlichen Dienstes erst einmal viele Räder still und wichtige Einrichtungen blieben geschlossen. Viele tausend Menschen beteiligten sich bundesweit am ver.di-Warnstreik. Die ver.di-Mitglieder – in Dortmund kam das klar rüber – sind empört über die Negativhaltung der öffentlichen Arbeitgeber. Sie wären gewiss bereit, auch länger als eine Woche zu streiken. Beispiele dafür gibt es in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.

Aus brüllenden Gewerkschaftslöwen sind brav schnurrende Katerchen geworden

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Frank Bsirske kämpferisch auf der Abschlusskundgebung von „UMfairTeilen“ im September 2013 vor dem Bergbaumuseum in Bochum (Foto: Claus Stille)

Die Zeiten da angeblich noch Wunder geschahen sind lange vorbei. Heute ist uns nur noch das Wundern geblieben. Und aus dem Wundern kommt man kaum noch heraus. Längst sind auch die Zeiten Geschichte, als Gewerkschaften noch große Räder drehten. Und wenn ihr starke Arm es wollte selbige auch stillstehen zu lassen. Die große Masse der Arbeiterklasse gibt es nicht mehr. Und demzufolge sind auch die einst starken Arme der Gewerkschaften zu manchmal sehr dünnen Ärmchen, die nur noch wenig reißen können, verkümmert.

Ihnen das vorzuwerfen wäre nicht gerecht. Auch müssen wir uns als Mitglieder von Gewerkschaften fragen, ob wir – ermannten sich die Gewerkschaften einmal einen heißen Herbst nicht nur auszurufen, sondern auch in Szene zu setzen – ihnen auf die Straße zum Kampfe gegen soziale Ungerechtigkeiten zu folgen bereit wären. Ich bin da einigermaßen skeptisch. Selbst wenn hierzulande das Recht auf Generalstreik existent wäre.

Eine Frage jedoch müssen sich unsere Gewerkschaften schon gefallen lassen: Warum haben sie in Zeiten der rot-grünen Bundesregierung Sozialabbau und anderen Ungerechtigkeiten nicht wenigstens versucht entgegenzuwirken? Getreu dem Motto: Wer nicht kämpft hat schon verloren?

Offener Brief ohne Antworten

Die sachsen-anhaltinische Ex-Landtagsabgeordnete Heidelinde Penndorf stellte Fragen. Und zwar an die Bosse mehrere Gewerkschaften. Das war im April 2012.

Offener Brief an die Vorstände der Gewerkschaften

 Penndorf, die von 2006 bis 2011 Mitglied des Landtags Sachsen-Anhalt (für die Linkspartei) war, hat darin im Wesentlichen die wichtigsten sozialen Missstände hierzulande thematisiert. Und kritisiert, dass die deutschen Gewerkschaften die Anzeichen des Beginns von Sozialabbau nicht früh genug als Alarmsignal zum Handeln begriffen hätten.

Heidelinde Penndorf ging hart mit den Gewerkschaften ins Gericht

In ihrem Offenen Brief notierte sie, die deutschen Gewerkschaften hätten es ihrer Meinung nach zugelassen, dass Deutschlands Menschen auseinanderdividiert werden konnten. Die Gewerkschaften hätten versäumt ihren originären Pflichten nachzukommen, in dem sie soziale Grausamkeit nicht nur verschliefen, sondern letztlich auch ohne nennenswerte Gegenwehr zuließen. (Weiterlesen)

Soweit mir bekannt ist, hat Heidelinde Penndorf keine Antworten aus den Gewerkschaftszentralen bekommen.

Die Gewerkschaften im Bundestagswahljahr 2013

Unterdessen schreiben wir das Jahr 2013. Die Bundestagswahlen liegen hinter uns. Es gibt einen Koalitionsvertrag zwischen den Unionsparteien und der SPD.

Vollmundig forderte der DGB im Bundesstagswahkampf „Gute Arbeit, Sichere Rente, ein soziales Europa und einen aktiven Staat.“ Zu jedem einzelnen Punkt hinzugesetzt steht noch heute auf der DGB-Internetseite zu lesen: Für uns alle.

Jetzt ist der Koalitionsvertrag ausgehandelt. Die Große Koalition steht uns mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bevor. Wenn nicht noch eine Mehrheit der per Mitgliederentscheid aufgeforderten SPD-Mitglieder mit Nein zum Koalitionsvertrag abstimmt. Was eigentlich kaum zu erwarten ist.

Heiße Luft statt heißen Herbst

DGB-Boss Michael Sommer, der – erinnert ihr euch? – einst einen „Heißen Herbst“ ankündigte, hat vor Kurzem verkündet, er hätte beim SPD-Mitglieder-Votum mit Ja gestimmt. Sein habe er an die Berliner SPD-Zentrale abgesendet. Sommer lobt den den Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD. Gemessen am Wahlergebnis sei eine ganze Menge durchgesetzt worden, sagte er der „Passauer Neuen Presse“. Sommer meinte u.a. „die Interessen der kleinen Leute, der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, finden sich in diesem Koalitionsvertrag wieder“. Kleine Leute? So spricht ein Arbeitervertreter?! Welche Interessen? Spricht Sommer vom Kleingedrucktem oder vom Weggelassenem? (mehr dazu via DGB) Nochmal zu Erinnerung: Der DGB forderte vor der Bundestagwahl „Gute Arbeit, Sichere Rente, ein soziales Europa und einen aktiven Staat.“ Werden wir das mit der Großen Koalition bekommen? Heiße Luft statt heißen Herbst.

Der Wandel des Ver.di-Chefs

Was mich allerdings am meisten überraschte, war die plötzlich so positiv tönende Reaktion des vor der Wahl noch bissig und entschlossen-kämpferisch auftretenden ver.di-Chefs Frank Bsirske betreffs des Koalitionsvertrages. (hier nachzulesen) Bsirske ist vor der Bundestagswahl als die Krallen ausfahrender brüllender Gewerkschafts-Löwe auf diverse Bühnen und in die Bütt gesprungen. Nun landete er als schnurrendes Katerchen, als harmloser Bettvorleger, vor dem Bett in welchem vielleicht schon bald Sigmar Gabriel ein bisschen mit Angela Merkel koalieren darf.

Klaus Ernst: Gewerkschaften zu eng mit SPD verzahnt

Es gibt Erklärungen dafür. Der stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, Klaus Ernst, kritisierte die Gewerkschaften für ihre unkritische Haltung gegenüber der SPD und der Regierungsbildung mit der Union: „Nur um die Große Koalition nicht zu gefährden“, hätten die Gewerkschaften während der Verhandlungen still gehalten. So Ernst gegenüber der „Welt“.

Die Spitzen der Beschäftigtenorganisationen haben seiner Meinung nach „zu schnell“ auf das Bündnis von SPD und Union gesetzt. Die so entstandes Regierungsvereinbarung bezeichnete Klaus Ernst als „Mogelpackung“ und „Etikettenschwindel.“ Grund für die „unkritische Haltung“ des DGB sei eine „zu enge Verzahnung“ zwischen den Führungen der Gewerkschaften und der Sozialdemokratie. Der frühere IG-Metallfunktionär fühle sich „fatal an die Zeiten der Agenda 2010“ erinnert, auch damals hätten die Gewerkschaften es versäumt, den Kurs der SPD zu verhindern. An dieser Stelle sei wieder an den bis dato nicht beantwortete „Offene Brief an die Gewerkschaftsvorstände“ von Heidelinde Penndorf erinnert.

Michael Sommers Haltung ist erklärbar. Nachvollziehbar nicht. Jedenfalls nicht für jemanden, der als Gewerkschafter für die Interessen von Mitgliedern eintritt. Bei Bsirske sieht das anders aus: Der ist Grünen-Mitglied. Was hat ihn zum Bettvorleger mutieren lassen?

Ja, so schaut es aus. Die Zeiten da Wunder geschahen sind lange vorbei. Heute ist uns nur noch das Wundern geblieben. Sollen wir es dabei belassen?