Ralph T. Niemeyer sagt den #neulandrebellen weshalb er von der Linkspartei wieder in die SPD zurückkehrte und mit Martin Schulz Hoffnung verbindet

Können wir der alten Tante wieder zutrauen, dass sie wieder Sozialdemokratisch handelt? Grafik via SPD

Zu DDR-Zeiten noch war ich schwer begeistert von einem Sozialdemokraten wie Willy Brandt sowie  dessen und menschlicher wie politischen Haltung. Und somit von der SPD wie auch der von ihm als Bundeskanzler geführten sozial-liberalen Koalition und folgerichtig der von ihr vertretenen Politik. Besonders freilich der Entspannungs- und Ostpolitik. Wobei unbedingt der wichtige Part, welchen Egon Bahr dabei mit der vom ihm inspirierten Politik des Wandels durch Annäherung gespielt hat, nicht unerwähnt bleiben darf. Mit mir verfolgten nicht wenige DDR-BürgerInnen diese Politik. In der Hoffnung, sie würde auch zu Verbesserung für sie – u.a. in Sachen Reisefreiheit – führen. Nicht unberechtigte Hoffnungen waren das, wie sich herausstellen sollte.

Bangen um Willy Brandt am Tag des Misstrauensvotums

Dann, seinerzeit noch Schüler, bangte ich um das politische Schicksal von Willy Brandt und das damit verbundene Fortbestehen der sozial-liberale Koalition aus SPD und FDP, nachdem Oppositionsführer Rainer Barzel (CDU) 1971 ein Konstruktives Misstrauensvotum gegen Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) in den Deutschen Bundestag eingebracht hatte. In den Pausen nach den Schulstunden des Faches „Einführung in die Sozialistische Produktion“ (ESP) auf dem Schulgelände in Halle-Trotha holte ich mehrfach ein kleines Transistorradio namens „Cosmos“ sowjetischer Produktion hervor und hörte auf Deutschlandfunk nach, wie es denn wohl um das Schicksal Brandts stand. Als Barzels Misstrauensvotum schließlich scheiterte, atmete ich erleichtert auf.

Im Grunde genommen bin sozialdemokratisch politisiert. Vielleicht wäre ich sogar Mitglied der SPD geworden?

Wurde es aber nicht. Freute mich aber riesig als die SPD die Bundestagswahlen gegen den seit sechzehn Jahren das Land regiert habenden Helmut Kohl gewann und Gerhard Schröder Bundeskanzler werden konnte. Doch die Freude währte bei mir, wie vielen anderen – auch tausenden von SPD-Mitglieder nicht allzu lange. Nach den „Reformen“ Gerhard Schröders – zusammen verbrochen mit Fischers Grünen – war es mit meiner Liebe zur SPD vorbei. Nun ist mit fast an Ergebnis von DDR-Wahlen erinnernde hundertprozent  Zustimmung Martin Schulz zum neuen SPD-Vorsitzenden gewählt worden. Und gleichzeitig der Kanzlerkandidat der Partei. Wird die SPD nun wieder Sozialdemokratisch? Handelt sie demnächst dementsprechend? Ich habe da große Zweifel. Wird sie der SPD-Programmparteitag durch seine Beschlüsse im Juni zerstreuen können?

Hatte ich revolutionär zu nennende Veränderungen im Inneren der SPD  einfach nicht bemerkt, welche Ralph T. Niemeyer erspürt haben will?

Ralph T. Niemeyer schätze ich als Journalisten sehr. Als er jedoch im Mai 2016 aus der Partei DIE LINKE austrat und in die SPD eintrat (der er früher schon einmal angehörte) war ich dann doch ziemlich konsterniert. Dennoch: solche persönlichen Entscheidungen sind natürlich zu respektieren. Hatte ich etwa revolutionär zu nennende Veränderungen im Inneren der SPD, wie sie Niemeyer – das sagte er nun in einem Gespräch mit #neulandrebellen – erspürt haben will, einfach nicht bemerkt? Und zwar schon bevor Martin Schulz zur neuen Lichtgestalt der SPD gemacht wurde.

Tom Wellbrock, welcher mit Ralph T. Niemeyer sprach und sich nicht weniger skeptisch über einenWandel der SPD  zeigt wie ich, schreibt im Vorwort zum Podcast der #neulandrebellen:

„Frustriert aus der SPD auszutreten, um sich der Partei „Die Linke“ zu nähern und gleich noch ein Parteibuch zu bestellen, war eigentlich bisher keine große Sache. Aber dann kam Martin Schulz, der vermeintliche Retter der Sozialdemokratie. So scheint es zumindest derzeit zu ein. Fast wie die Lemminge rennen die Menschen der Richtung hinterher, die die SPD unter Martin Schulz vorgibt.
Aber: Welche Richtung ist das eigentlich? Wohin wird die Reise der SPD mit Schulz gehen?Man weiß es nicht genau. Und auch Ralph T. Niemeyer, Ex-Mann von Sahra Wagenknecht und ehemals Mitglied der Linken, kann nicht so richtig sagen, was denn von der „SchulzPD 4.0“ zu erwarten ist. Aber er hat den Schritt getan und ist von „Die Linke“ zur SPD gewechselt. Und zwar schon im Mai 2016!Ich habe ihn gefragt, was ihn dazu bewogen hat und ob er wirklich glaubt, die SPD sei nun eine Partei für echte sozialdemokratische Politik.“

Druck von Links – Plant Oskar Lafontaine einen Coup?

Womöglich nimmt Ralph T. Niemeyer quasi seismografisch etwas wahr, das sich anbahnt und möglich würde für den Fall, baute man von Links (auch in der SPD gegen die Seeheimer in der Partei) Druck auf. Wie Niemeyer auf Facebook schreibt, „um Martin Schulz zu helfen, das wird uns nach vorne bringen“. Und er verweist auf einen Spiegel-Artikel, in welchem es heißt:

„Oskar Lafontaine hat jahrelang gegen die Sozialdemokraten gewettert, im Saarland führt der Linke nun seinen wohl letzten Wahlkampf – und plant einen Coup. Dabei könnte ihm seine Verbindung zum neuen SPD-Star Martin Schulz helfen.“

Tom Wellbrock führte für #neulandrebellen ein Interview mit dem GDL-Vorsitzenden Claus Weselsky

Was bewirken Streiks heutzutage? Große Gewerkschaften - hier ver.di - holen aller zwei Jahre gerade mal einen Inflationsausgleich für ihre Mitglieder heraus. Foto: Claus Stille

Was bewirken Streiks heutzutage? Große Gewerkschaften – hier ver.di – holen aller zwei Jahre gerade mal einen Inflationsausgleich für ihre Mitglieder heraus. Foto: Claus Stille

Wir alle dürften uns noch an den Streik der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer im Herbst 2014 erinnern. Vielleicht unmittelbar als davon Betroffene Fahrgäste der Eisenbahn. Oder als interessierte Bürgerinnen und Bürger. Hoch her ging es damals. Und die Medien spielten seinerzeit nicht gerade eine positive Rolle. Voreingenommen und schon gar nicht neutral berichteten die meisten über den Tarifkonflikt der GDL mit der Deutschen Bahn AG. Für den Spiegel durfte eine Journalistin namens Yasmin El-Sharif einen Beitrag verfassen, welchem die Redaktion des Nachrichtenmagazins die Überschrift „Deutschlands dümmste Gewerkschaft“ verpasst hatte. Der Untertitel war nicht weniger abwertend: „Die Lokführer schmettern das neue Tarifangebot der Deutschen Bahn ab – sie wollen lieber streiken. Das ist ihr gutes Recht. Dumm nur, dass sie damit ihre eigene Entmachtung betreiben“. Für die konservative FAZ verstieg sich Corinna Budras am 10.10.2014 völlig: „Stoppt diesen Mann! Claus Weselsky ist Chef der Lokführer-Gewerkschaft. Das ist ihm zu wenig. Nur deshalb legt er Deutschland lahm. Ein Wutausbruch“. Irre!

Um die Forderungen der GDL zu diffamieren, schreckten Medien nicht vor übelster Stimmungsmache gegen deren Vorsitzenden Claus Weselsky zurück

Um was es der GDL im Herbst 2014 gegangen ist, ist auf deren Website nachzulesen. Einig der Gewerkschaftsforderungen konnten die Mainstream-Medien letztlich zwar nicht völlig von der Hand weisen. Dennoch wurde kaum etwas unterlassen, um den Streik in der Öffentlichkeit zu diffamieren. Wohl wissend, die zunehmend verärgerten, vom Streik Betroffenen Fahrgäste hinter sich zu wähnen. Breitseite auf Breitseite wurde auf Claus Weselsky, den Bundesvorsitzenden der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) abgefeuert. Nicht selten ist gar der Eindruck erweckt worden, Weselsky führe eine Art Privatkrieg gegen die Deutschen Bahn AG. Fein ging es da nicht zu. Eher übelst und auf die widerlichste Art. Weselsky wurde in ein Licht gerückt, das ihn als Egomanen – wenn nicht sogar als eine Art Psychopath erscheinen ließ. Nicht einmal vor der Privatsphäre des Gewerkschaftsvorsitzenden und der seiner Verwandtschaft wurde haltgemacht. Erinnern wir uns? Selbst im Bekanntenkreis verfing nicht selten die Medien- und Politikerhetze gegen den Vormann der GDL. Kaum jemand stellte sich in diesem heißen Herbst die Frage, warum es denn die GDL-Mitglieder zulassen sollten, dass Weselsky „seinen“ Privatkrieg – wie es manche Medien darstellten gegen die DB AG führt, um sich angeblich selbst zu profilieren. Zumal ja zum Vorstand der GDL noch mehr Personen gehörten. Aber das zählte eben nicht.

Fakt ist: Mit dem Streik der GDL im Herbst 2014 lösten Claus Weselsky und die GDL heftige Debatten aus

Es bot sich an, endlich einmal tiefer in Sachen GDL und Claus Weselsky, noch immer deren Vorsitzender, zu loten.

Telefoninterview mit Claus Weselsky

Für die #neulandrebellen führte Tom Wellbrock „zwischen einer kurzen Nacht und der nächsten Schlichtungsrunde“ ein Interview mit Claus Weselsky. Ich kann allen Gewerkschaftsmitgliedern und auch sonst allen interessierten Menschen nur empfehlen, anzuhören, was Claus Weselsky zu

sagen hat. Vielleicht wird da auch wieder einigen Menschen klar, welchen Sinn und Zweck Gewerkschaften in der Gesellschaft erfüllen bzw. einmal erfüllt haben. Und was sie einst und deren Mitglieder – nicht selten gar blutig und unter Verlust des eigenen Lebens – für mehr Gerechtigkeit in der Arbeitswelt und damit für die Gesellschaft leisteten. Und eigentlich heute wieder leisten müssen, um zu verhindern, dass das Erreichte nicht wieder zurückgedreht wird (was ja in der Tat geschieht und weiter versucht wird zu tun) und erhalten bleibt. Und da leisten gerade Einzelgewerkschaften wie die GDL nicht wenig. Und zwar im ureigensten Sinne ihrer Mitglieder! Vor allem wenn wir dagegen bedenken, wie Großgewerkschaften regelmäßig nur alle zwei Jahre gerade mal um die zwei Prozent mehr Geld (knapp ein Inflationsausgleich) „herausholen“. Diese Einzel- und Kleinstgewerkschaften sind bestimmten Politikern und Unternehmensvertretern ein Dorn im Auge. Weil sie oft großen Druck auf die Arbeitgeberseite auszuüben imstande sind. Weshalb mit dem Tarifeinheitsgesetz die Existenz von Gewerkschaften infrage gestellt werden soll. Die Notwendigkeit von Gewerkschaften sollten wieder in den Fokus der Aufmerksamkeit in unserer Gesellschaft gerückt werden. Momentan sind (Stand 2016) nur noch um die 15 Prozent der Arbeitnehmerschaft in Gewerkschaften organisiert (hier). Das ist bitter.