Prostitutionsgegner – die üblichen Verdächtigen – springen nun wieder wie Kai aus der Kiste

Kaum war die Corona-Krise vor Monaten ins Bewusstsein der Leute geraten, witterten die üblichen Verdächtigen unter den Prostitutionsgegner*innen Morgenluft. Sogar eine kleine Gruppe aus Bundestagsabgeordneten versuchte in den Wirren der Corona-Krise ein dauerhaftes Sexkaufverbot einzuführen – ein taktloser Angriff mitten in der Katastrophe für Sexarbeiter*innen, fand nicht nur der BesD e.V. (Bundesverband erotische und sexuelle Dienstleistungen).

Aktivistin Lilly hatte für den BesD e.V. eine entsprechende Reaktion in Worte gefasst:

„Ein paar Abgeordnete aus den Reihen der SPD und CDU/CSU fordern ein Sexkaufverbot – so weit, so altbekannt. Doch der aktuellste Vorstoß gegen die Rechte von Sexarbeiter*innen geht weiter unter die Gürtellinie als gewohnt. In dem von 16 Bundestagsmitgliedern gezeichneten Brief an die deutschen Ministerpräsident*innen, wird Prostitution „die Wirkung eines epidemiologischen Super-Spreaders“ zugeschrieben .

Zu deutsch: Sexarbeiter*innen, die in weit größerem Maße mit Infektionsschutz und Hygiene vertraut sind, als Mitarbeiter*innen anderer Branchen, werden als Virenschleudern diffamiert.

Der für die Zeit der Corona-Krise verhängte Shutdown soll – geht es nach den Vorstellungen einzelner Abgeordneter – für die Branche der Sexarbeit auf unbegrenzte Zeit verlängert werden und in ein Totalverbot der Prostitution in Deutschland münden. Ein solcher Angriff zu einer Zeit, in der sämtliche Branchen finanziell erschüttert sind und Sexarbeitende zu den größten Verlierer*innen der Krise gehören, wird bereits –> aus den eigenen Reihen kritisiert und empört nicht nur –> die politische Opposition, sondern auch uns als Berufsverband.“ (hier mein Beitrag dazu).

Prostituierte in der Dorrtmunder Linienstraße. Gemalt von Bettina Brökelschen/Repro Bettina Brökelschen

Dieser Anschlag – wie ich es einmal bezeichnen will – auf die Prostitution misslang.

Viele Menschen in der Unterhaltungsbranche, der Gastronomie sowie im Einzelhandel hatten die Sexarbeiter*innen in der Zeit des Lockdowns jedoch eine prekäre Zeit. Der BesD e.V. hat einen Corona-Hilfsfonds eingerichtet und sich später dann vehement dafür eingesetzt, dass Prostitutionsbetriebe unter Einhaltung speziell zu erarbeitender Hygiene-Vorschriften wieder öffnen und Sexarbeiter*innen ihre Erwerbsarbeit aufnehmen dürfen. In einigen Bundesländern ist das gelungen und funktioniert gut.

Prostituierte in der Dortmunder Linienstraße. Gemalt von Bettina Brökelschen/Repro Bettina Brökelschen

Nun, da die Corona-Infektionszahlen wieder steigen (es wird ja auch mehr getestet) und Politik und Medien wieder Angst und Panik schüren, kommen die Prostitutionsgegner wie Kai, der Kasper, abermals aus ihrer Kiste gesprungen. Wohl, um in ihrem Werk, der Prostitution den Garaus zu machen, fortzufahren.

Mit dabei die üblichen Verdächtigen: etwa Terre des Femmes e.V., ein Verein, der dafür bekannt ist zu den absoluten Hardlinern unter den Prostitutionsgegnern zu gehören.

Bundesweit sollen in der Woche vom 23. bis 30. Oktober Proteste stattfinden

Menschenrechtsorganisationen, Initiativen, Bürgerinnen und Bürger werden in sehr vielen Deutschen Städten und in allen deutschen Bundesländern auf die Straße gehen und gegen diese Absurdität zu demonstrieren. So auch am kommenden Sonnabend in Dortmund.

Während der Corona-Pandemie, so Terre des Femmes, werde an die Bürger*innen appelliert, ihre Kontakte und Reisen einzuschränken. Und weiter:

Die Ausbreitung des Virus hängt direkt an der Zahl der Kontakte ab.

Warum werden gerade jetzt, wo die Corona-Infektionszahlen drastisch steigen und einen Höchstwert erreichen, die Bordelle eins nach dem anderen wieder geöffnet? Wir machen uns große Sorgen um die Frauen, die nun, zusätzlich zu dieser krank machenden Tätigkeit, im hohen Maße einer gefährlichen Infektion ausgesetzt werden.

Wie kann es sein, in Zeiten, wo man sich die Hand nicht geben soll, Freier das Recht gegeben wird, Frauen weiterhin zur sexuellen Benutzung zu kaufen und sie mit ihrem Geschlechtsteil zu penetrieren? Man braucht kein Studium der Medizin, um zu verstehen, dass hier die AHA-Regeln nicht eingehalten werden können.

Die Wiedereröffnung der Prostitutionsstätten und die Legalisierung von Sexkauf lassen jede Corona-Verordnung und jeden Appell an die Bürger und Bürgerinnen absurd erscheinen.

Szene in der Dortmunder Linienstraße Foto via B. Brökelschen

Deswegen werden bundesweit in der Woche vom 23. bis 30. Oktober Proteste stattfinden. Menschenrechtsorganisationen, Initiativen, Bürgerinnen und Bürger werden in sehr vielen Deutschen Städten und in allen deutschen Bundesländern auf die Straße gehen und gegen diese Absurdität zu demonstrieren. Sie fordern folgendes:

Schließt die Bordelle!

Schützt die Frauen! 

Stellt Ihnen Mittel zum Ausstieg bereit!

Bestraft die Freier!

Führt das Nordische Modell ein!

Die Corona-Pandemie hat die katastrophalen Zustände in der Prostitution deutlich gemacht. Viele prostituierte Frauen haben weder eine Wohnung, eine Krankenversicherung, noch finanzielle Rücklagen. Sie sind ständiger psychischer und körperlicher Gewalt ausgesetzt, deren Folge oft posttraumatische Belastungsstörungen sind. Sie müssen sich prostituieren, um überleben zu können, weil Alternativen und Unterstützung fehlen. 

Bordellbetreiber und Freier wissen die Notlagen der Frauen für sich zu nutzen. Sie lassen sich horrende Mieten zahlen, während die Freier riskante Praktiken (z.B. ungeschützten Verkehr) von den Frauen verlangen. Die Freier gefährden nicht nur die Frauen in der Prostitution, sondern auch ihre Familien und Bekannten. Und letztendlich sind sie auch ein Zündstoff für ein zweites Lockdown und damit ein mögliches Kollabieren unserer Wirtschaft.

Anstatt Frauen flächendeckende und aus Steuern finanzierte Ausstiegshilfen zu bieten, öffnen die Bundesländer die Bordelle wieder. Die Hygiene-Konzepte, mit denen die Profiteure des Systems Prostitution bei den Verwaltungsgerichten ihre Betriebsverbote aufgehoben haben, sind äußerst fragwürdig und werden von ihnen sowieso nicht umgesetzt. Es ist absurd zu denken, dass Freier ihre Kontaktdaten angeben oder sich an eine Maskenpflicht halten. Ein kurzer Blick in Freier-Foren bestätigt das. Auch ist nicht nachvollziehbar, warum Freier Frauen gegen Geld in jegliche Körperöffnungen penetrieren dürfen, während die Bevölkerung Mindestabstände und die Maskenpflicht einzuhalten hat.

Deutschland hat sich mit seinen Prostitutions-Gesetzgebungen von 2002 und 2017 zum Bordell Europas gemacht und somit Menschenhändlern und Zuhältern Tür und Tor geöffnet.

Heute fordern wir, die Bordelle bundesweit wieder zu schließen, die Frauen zu schützen, ihnen Mittel für den Ausstieg bereitzustellen, die Freier zu bestrafen und auch für die Zeit nach der Pandemie die deutsche Prostitutionspolitik in Richtung „Nordisches Modell“ zu ändern, da Deutschland hinter den europäischen Empfehlungen in diesem Bereich zurückbleibt.“

Quelle: Simone Kleinert

Koordinatorin Städtegruppe Dortmund

Morgen soll in Dortmund an der Katharinentreppe gegenüber dem Hauptbahnhof ab 11 Uhr ein Aktionstag von Terre des Femmes stattfinden. Sozialarbeiterinnen lehnen eine erneute Schließung der Prostitutionsstätten ausdrücklich ab.

Näheres zum Thema Prostitution lesen Sie bitte in meinen früheren Beiträgen: hier, hier, hier, hier, hier, hier und hier.

Lesen Sie dort auch etwas über das Dortmunder Modell und über Argumente – auch aus den Reihen der Polizei – warum das Nordische Modell eher kontraproduktiv und sogar lebensgefährlich für die Sexarbeiter*innen ist. Man wünschte sich, Terre des Femmes, hätte mal ein Aha-Erlebnis …

Wie weiter mit der Sexarbeit nach Corona? Das fragt sich die Bloggerin und Journalistin Ariane

Grafik via BesD e.V.

Kürzlich hatte ich mich hier dieser Stelle mit der prekären Situation von Sexarbeiter*innen beschäftigt. Sie sind – wie so viele andere Menschen auch – durch die Corona-Krise in Nöte gekommen („Die Corona-Krise hat auch Sexarbeiter*innen in die Bredouille gebracht – BesD e.V. hat Corona Notfallfonds ins Leben gerufen“).

Auf nuttenrepublik.com hat sich die Bloggerin und Journalistin und Pressesprecherin des BesD e.V., Ariane, nun schon einmal Gedanken über die „Sexarbeit nach Corona“ gemacht.

Sie schreibt:

„Wenn ich an meine Kolleg:innen denke, die an der Strasse arbeiten; die als Migrant:innen fortwährend Rassismus und Diskriminierung ausgesetzt sind, die trotz Corona weiterarbeiten (müssen), um ihren Kühlschrank voll zu machen bzw. gar keinen Kühlschrank haben, weil sie wohnungslos sind; Drogen gebrauchende Sexworker oder Sexworker ohne Papiere, ohne gültige Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis, die alle keine Ansprüche auf staatliche Leistungen geschweige Hartz IV und sog. Corona Soforthilfe haben. Die bitter arm sind und tagtäglich ums nackte Überleben kämpfen. Die keinen Zugang zu Gesundheitsschutz haben.

Für die ist der BESD Nothilfe Fonds gedacht, wo wir weiterhin um Spenden für Sexworker in Not bitten. Fallgeschichten finden sich ebenfalls auf unserer Website.“

Foto via B. Bröckelschen, die Dortmunder Künstlerin die das reproduzierte Bild gemalt hat.

Und sie fragt sich nun wie es nach Corona mit der Sexarbeit weitergehen soll:

„Die strukturelle Ungleichheit der Gesellschaft, die sich in der Sexarbeit widerspiegelt und die einen in „Privilegierte“ klassifiziert, die Mehrheit der informellen und marginalisierten Sexarbeiter:innen meist aus dem Diskurs ausschließt, muß weg. Wo sich im Falle dieser Krise die Machtverhältnisse zwischen den sozialen Klassen verschärfen. Die Mehrheit kennt auch ihre Rechte nicht und haben keinen Zugang zu Informationen. Die sitzen nicht den lieben langen Tag mit Notebook am aufgeräumten Schreibtisch und surfen unbeschwert durch das Internet.“

Sorgen und macht ihr, dass nun bereits auch wieder – wie ich es nicht anders bezeichnen kann: die üblichen Verdächtigen, die Prostitutionsgegner*innen, Morgenluft wittern, aus ihren Schützengräben springen und wohl hoffen, nach Corona der Sexarbeit den Garaus zu machen. Ariane schreibt weiter:

Gerade wurde wieder einmal ein WELT Interview mit Lea Ackermann, eine Prostitutionsgegnerin, veröffentlicht, wo sie den Berufsverband BESD mal wieder als „Zuhälterlobby“ öffentlich verunglimpft hat. Ich hab nicht nur als Pressesprecherin und Vorstand des BesD die Faxen dicke. Seit sehr vielen Jahren höre ich mir das an und ich denke, es ist an der Zeit sich dagegen zu wehren. Auch mit juristischen Mitteln. Was denkt Ihr?

Ich teile vieles an der Kritik von Prostitutionsgegner:innen, wenn es um die Beschreibung der sozialen Realitäten geht. Aber die Schlussfolgerungen sind bei mir völlig andere und ich habe mir dazu ja etliche Jahre das Hirn zermartert, weil ich alle Lebenswirklichkeiten anerkenne.“

Ariane gibt abschließend zu bedenken:

Hurendemo 2011 in Dortmund. Foto: C. Stille

Nach Corona werden die Forderungen nach einem Sexkaufverbot wieder lauter und wir müssen uns deshalb auch gegen solche öffentlichen Diffamierungen wehren.“