Geopolitik im Überblick: Deutschland – USA – EU – Russland. Von Wolfgang Bittner. Rezension

Sofern wir unseren Verstand noch beisammen haben, wissen wir nur zu gut, dass wir in schlimmen und brandgefährlichen Zeiten und Zuständen leben. Und damit wir uns nicht vertun: Diese Zustände sind zum größten Teil mit langem Vorlauf und vorsätzlich herbeigeführt worden. Will sagen: Sie sind nicht wie ein Wetterereignis plötzlich und unerwartet über uns hereingebrochen. In diesen Zeiten wird von einer bestimmten Personenschaft (von denen wir die viele gar nicht namentlich kennen) sowie aus Regierungskreisen und ihnen dienend zur Hand gehenden Komplizen (so muss man sie nennen) aus einem auf den Hund gekommenen Journalismus tagtäglich konstruierten Bedrohungen (vorgeblich von Putins Russland – von wem sonst. Ironie aus) ventiliert. Ein drohender Krieg wird gar mit dicken Lettern sozusagen an die Wand gemalt, weshalb wir – wie es Verteidigungsminister Pistorius wünscht – kriegstüchtig werden müssten. Nebenbei bemerkt: Wer recherchiert, kommt darauf, dass sich Nazi-Propagandaminister Joseph Goebbels eifrig dieser Vokabel eifrig bedient hat.

Apropos: Auch ein Krieg bricht nicht einfach so aus wie Unwetter – Kriege werden stets gemacht. Und selten – eigentlich nie – verläuft ein Krieg wie geplant. Auch ist er in seinem Lauf nicht wirklich beherrschbar. Schon gar nicht ist dessen Ausgang vorherzusagen. Es mag irgendwann einer der Beteiligten als Sieger bezeichnet werden. Allerdings wissen wir aus der Geschichte, dass bei einem Krieg quasi letztlich alle verlieren. Carl von Clausewitz: „Krieg kennt keine Sieger, jeder militärische Triumph erweist sich in Wahrheit als Niederlage aller Beteiligten.“

Wachen wir endlich auf? Die Weltuntergangsuhr (Doomsday Clock) wurde 2025 erstmals auf 89 Sekunden vor Mitternacht vorgerückt! Nie zuvor stand es so sehr Spitz auf Knopf. Oder auf Messers Schneide für die Menschheit – wie Sie wollen, liebe Leserin, liebe Leser. Selbst habe ich lange Zeit meines bisherigen Lebens im Kalten Krieg gelebt. Und empfinde heute, damals war die Gefahr eines heißen Kriegs oder gar eines Atomkrieg niemals so hoch wie heute. Während es im letzten Kalten Krieg noch zahlreiche diplomatische Bemühungen gab – gar mit bestimmten Erfolgen, ist es heute bei weitem keine Einbildung, sondern eine bittere Tatsache, dass die Diplomatie durch die derzeitigen Leader vieler maßgeblicher Staaten offenbar ausrangiert wurde. Nehmen wir doch einmal nur den Ukraine-Krieg und die Europäische Union. Während des inzwischen vier Jahre andauernden Krieges hat die Europäische Union – immerhin Trägerin des Friedensnobelpreises, verliehen 2012! – nichts unternommen, um den Konflikt zu entschärfen und sich für einen Frieden einzusetzen.

Schriftsteller und Publizist Wolfgang Bittner unermüdlich am Puls der Zeit

Der Schriftsteller und Publizist Dr. jur. Wolfgang Bittner (84) fühlt ständig den Puls der Zeit. Und wie besorgt er um den Zustand der Menschheit und und speziell auch unserer Gesellschaftenden Weltfrieden überhaupt ist, teilt er uns Lesern über seine Bücher sowie seiner Artikel unermüdlich und ausdrücklich seiner Vorträge mit, welche er hält. Er hat über 80 Bücher veröffentlicht, u.a. „Der neue West-Ost-Konflikt. Inszenierung einer Krise“ (2021), „Deutschland – verraten und verkauft“ (2021) [meine Rezension], „Ausnahmezustand. Geopolitische Einsichten und Analysen unter Berücksichtigung des Ukraine-Konflikts“ (2023) [meine Rezension] sowie den Roman „Die Heimat, der Krieg und der Goldene Westen“ (2019) [meine Rezension] und „Niemand soll hungern ohne zu frieren“ [meine Rezension].

Bittners neuestes Buch: „Geopolitik im Überblick“

Nun ist im Hintergrund-Verlag in der Reihe „WISSEN KOMPAKT“ Bittners neuestes Buch mit dem Titel „Geopolitik im Überblick“ erschienen. Untertitel: „Deutschland – USA – EU – Russland“.

Tief schürfende Analysen und sagen, was ist

Zwecks Orientierung betreffs der Lage in welcher wir uns befinden ist die Lektüre dieses kleinen Buches m.E. absolut zu empfehlen. Die tief schürfenden Analysen, welche der Autor daraus ableitet, sind für Menschen unabdingbar zur Kenntnis zu nehmen, die wissen wollen was ist und welche Schlüsse daraus seitens der Politik daraus gezogen gehörten. Aber durchaus un unbedingt auch seitens der Bürgerinnen und Bürger. Gesetzt den Fall, sie wollen überhaupt wissen, was ist. Denn Sagen, was ist (das Credo des Spiegel-Gründers Rudolph Augstein)tut heute weder das einstige Nachrichtenmagazin aus Hamburg, der Großteil der Hauptstrommedien, geschweige denn der durch unsere Zwangsbeiträge weltweit finanziell stärkste ausgestattete Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks. Der Journalismus hierzulande – ich hatte das bereits angemerkt – ist schwer auf den Hund gekommen. Er ist längst nicht mehr das, was unter Vierter Gewalt einmal verstanden werden sollte. Allzu wenige Ausnahmen bestätigen die Regel.

Ich weiß, dass es durchaus Mitmenschen gibt, die diese Kritik nicht gelten lassen wollen.

Diesen Leuten ruft Wolfgang Bittner – und ich möchte diesen Ruf dick unterstreichen und verbal verstärken – in seiner Vorbemerkung (S.8) folgendes sozusagen ins Gewissen:

„Viele Menschen lesen Zeitung, hören Rundfunk und sehen fern. Sie halten sich für gut unterrichtet und kommen gar nicht auf den Gedanken, dass man ihnen wichtige Informationen vorenthält und dass sie von Politikern und Medien oft sogar belogen werden. Dass es so ist, habe ich in meinen Büchern dokumentiert, und warum es so ist, begründet. Inzwischen beschäftige ich mich mit der West-Ost-Politik und dem Einfluss der USA auf Deutschland, Europa und Russland seit Anfang 2014. Damals wurde mir schlagartig klar, dass wir über die Ereignisse in der Ukraine während des sogenannten Maidan nicht korrekt unterrichtet wurden. Ich begann zu recherchieren, Informationen zu sammeln und mit der Zeit ein umfassendes Wissen über die Ursachen des Ukraine-Krieges und die geopolitische Situation, in der wir uns befinden.“

Nicht jeder Mensch kann sich so intensiv mit Geopolitik beschäftigen, wie das Wolfgang Bittner tut – was klar sein dürfte. Weshalb ich immer wieder Bücher von Autoren zur Lektüre empfehlen kann, die das für uns tun. Unbedingt dazu gehört für mich zu diesen Autoren wieder und wieder Wolfgang Bittner.

Dieses nun vorliegende neue Buch von ihm bietet sich geradezu einmal mehr an, um daraus zu erfahren, wo in der internationalen Politik sozusagen die Glocken hängen. So viel Zeit, das nur 144 Seiten enthaltende, aber dennoch inhaltsreiche Buch, zu studieren dürften meine verehrten Leserinnen und Leser gewiss aufzubringen imstande sein.

Bittner gibt das Folgende zu bedenken:

„Wer sich heute mit der nicht gerade komfortablen Vorkriegssituation befasst, in der wir uns befinden, sollte zumindest die geopolitischen Zusammenhänge kennen, mit denen wir es zu tun haben, um mitreden und mitgestalten zu können. Aber es ist nicht übertrieben zu behaupten, dass es daran bei vielen derzeit agierenden deutschen Politikern, Journalisten und sogar Wissenschaftlern, die gern Experten genannt werden, fehlt.“

Und weiter schreibt der Autor: „Grundsätzlich festzustellen ist: Seit 200 Jahren ging und geht es letztlich immer um die globale Vorherrschaft der USA und um deren Ausbeutung anderer Länder. Wenn man das weiß, lassen sich fast alle Krisen und Kriege der letzten Zeit erklären, auch der Ukraine-Krieg und die Bedrohungslage für Deutschland und Europa, die nicht nur von den USA, sondern paradoxerweise auch von den Staaten der Europäischen Union, allerdings unter der Ägide der USA, herbeigeführt worden ist. Nichts daran ist zufällig, alles ist geplant, oft über lange Zeiträume.“ (S.11)

Auszug aus dem Buch „Geopolitik im Überblick“ von Wolfgang Bittner, das am 28. Juli 2025 erscheint

«Global gesehen, stehen wir vor dem Ende der imperialen regelbasierten Ordnung und vor der Realisierung neuer gesellschaftspolitischer Vorstellungen, die auf Humanität und der Gleichberechtigung von Menschen und Völkern beruhen, mit anderen Worten: auf den in der Charta der Vereinten Nationen festgeschriebenen Grundsätzen. Wie auch immer die Politik der neuen US-Regierung unter Donald Trump weitergeht: Viele Staaten des Globalen Südens einschließlich Russland, China und Indien lassen sich – unabhängig von der jeweiligen Präsidentschaft – eine Bevormundung und Unterdrückung durch die USA nicht mehr gefallen, und das ist die große Mehrheit der Weltbevölkerung.

Jetzt bleibt abzuwarten, wie der Autokrat Trump weiter vorgehen wird. Nachdem er anfangs gute Minister und Mitarbeiter um sich versammelte und wirksame Maßnahmen zur Eindämmung des Tiefen Staats unternahm, ist zu bemerken, dass er den imperialen Anspruch der USA aufrechterhält. Trump macht fast alles anders, aber vieles scheint beim Alten zu bleiben. Rigorose völkerrechtswidrige Maßnahmen sind angekündigt, zum Beispiel will er die BRICS-Staaten abstrafen und Kanada, Grönland und Panama annektieren.[1] Die Sanktionen hat er nur zum Teil aufgehoben, er verhängt hohe Einfuhrzölle, was zu großen Problemen in den Lieferketten führt, und er verlangt von den europäischen NATO-Staaten, ihre Verteidigungsausgaben auf fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu erhöhen, was ohne erhebliche Einschnitte in die Etats für Soziales, Bildung, Kultur, Wissenschaft usw. nicht zu leisten wäre. Des Weiteren beliefert er – ebenso wie Deutschland – Israel mit Waffen und duldet den Genozid an den Palästinensern. Er ließ Luftangriffe auf den Jemen durchführen, wo Saudi-Arabien mit Unterstützung der USA, Großbritanniens und Frankreichs einen Stellvertreterkrieg gegen den Iran führt.[2] Anfang April 2025 schickte er See- und Luftstreitkräfte ins Rote Meer und in den Indischen Ozean, um den Iran von seinem vermeintlichen Atomwaffenprogramm abzubringen, und schließlich unterstützte er den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Israels gegen den Iran.

Hinzu kommt, dass Donald Trump weltweit Chaos an den Börsen und in der Wirtschaft verursacht. Nicht auszuschließen ist, dass er damit seine Gegner verwirren und einen bevorstehenden Zusammenbruch des US-Wirtschafts- und Finanzsystems abwenden oder wenigstens verschleiern will. Seinen Hauptgegner sieht er in China, wobei er offensichtlich eine militärische Auseinandersetzung, die sich zu einem Mehrfrontenkrieg oder sogar einem Atomkrieg entwickeln könnte, vermeiden will. Vielmehr setzt er auf eine Schwächung der Wirtschaftskraft durch Isolierung, hohe Zölle und Sanktionen. Sollte Trump es schaffen, China auszumanövrieren, würden Russland, der Iran und einige Staaten des Globalen Südens ihren wichtigsten Unterstützer verlieren. Es wäre klug, wenn sich die Europäer aus der Konfrontation mit China heraushalten würden, sie können dabei nur verlieren.

In der Ukraine-Krise ist vieles in rasanter Entwicklung. Zum Beispiel haben die USA mit der Ukraine ein Abkommen zur Erschließung von Rohstoffen und zur Finanzierung eines Wiederaufbaus geschlossen. Bei dieser Gelegenheit betonte US-Finanzminister Scott Bessent, eine „freie, souveräne und prosperierende Ukraine” liege im Interesse der USA.[3] Auch von Putin kam ein Vorschlag zur Nutzung von Bodenschätzen in Partnerschaft mit den USA.[4] Unklar ist jedoch, wie sich diese Zusammenarbeit gestalten und für wen sie sich auszahlen würde und ob die Ukraine am Ende nicht den bereits von der Biden-Regierung angestrebten Status einer Kolonie der USA erhalten wird.

Maßlosigkeit und Kriegsrhetorik in Berlin

Eine Wende in der Russland-Politik zeichnete sich am 19. Mai 2025 nach einem erneuten Telefonat Trumps mit Putin ab. Trotz des Drucks aus der EU verhängte Trump keine neuen Sanktionen gegen Russland. Den europäischen Staats- und Regierungschefs, die ihn bedrängten, teilte er mit, dass er den Ukraine-Konflikt für eine europäische Angelegenheit halte: „Das ist nicht mein Krieg”, betonte er zum wiederholten Mal. „Wir haben uns in etwas verstrickt, in das wir nicht hätten hineingezogen werden dürfen.”[5] Damit nahm er Abstand von der aggressiven Russland-Politik seiner Vorgänger, die den Ukraine-Konflikt zu verantworten hatten.

Ob nun die Berliner Politiker sukzessive die Einsicht und den Verstand aufbringen werden, die ihnen gebotene Chance eines Politikwechsels im deutschen Interesse wahrzunehmen, ist derzeit unwahrscheinlich. Außen- wie innenpolitisch jagt eine Zumutung die andere. Außenminister Johann Wadephul unterstützt die Forderung Trumps, die Militärausgaben auf fünf Prozent anzuheben, Kanzler Friedrich Merz verlangt von den Deutschen, dass sie mehr arbeiten und sich bescheiden[6], Verteidigungsminister Boris Pistorius will die Wehrpflicht wieder einführen. Und immer noch werden die Hetze und die Aggressionen gegen Russland in Politik und Medien fortgesetzt. Die führenden Politiker haben jegliches Maß verloren, und die Medien sind bekanntermaßen zu Propagandaorganen verkommen.

Gleich nach seinem Amtsantritt hat sich Friedrich Merz mit Emmanuel Macron und Keir Starmer zusammengetan, um – so absurd es klingt – die Beendigung des Ukraine-Kriegs zu verhindern. Dieses sinistre Triumvirat, zu dem Mitte Mai 2025 noch der polnische Ministerpräsident Donald Tusk stieß, entfaltet hinter den Kulissen gemeinsam mit den Gegnern Trumps im Kongress, in Behörden, Außenministerium, Pentagon und NGOs im In- und Ausland (wie zum Beispiel USAID[7]) ein Netz von Intrigen zur Verhinderung der Trumpschen Vorhaben. Dazu gehören auch die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und viele der Politiker und Politikerinnen, die durch Patronage der US-Vorgängerregierungen und deren einflussreiche Organisationen Führungspositionen erlangt haben. Dieser Personenkreis, der Westeuropa in den Ruin getrieben hat, wird von der großen Mehrheit in ihren Ländern abgelehnt.[8]

Aber es gibt kaum Widerstand. In fast allen EU-Ländern steht es aufgrund der bösartigen Kriegsrhetorik und zunehmender strafrechtlicher Verfolgung von widerständigen Bürgern schlecht um die Opposition. In Deutschland gehen Staatsanwaltschaft, Gerichte und eine „Task Force gegen Hass und Hetze”[9] gegen alles vor, was nach Kritik an den Verantwortlichen für die unhaltbaren Zustände angesehen wird. Und kürzlich hat das Bundesfamilienministerium eine Stelle eingerichtet, bei der man sich im Falle von unerwünschtem Denken beraten lassen kann, „um unsere Gesellschaft vor den wachsenden Gefahren von Verschwörungsdenken zu schützen”.[10] Zugleich ermuntern Politiker, die „Kriegstüchtigkeit” fordern und von „Putin-Verstehern” und „Desinformanten” in russischem Auftrag sprechen, zu Denunziation von Regierungskritikern. Damit wird unter anderem die schon vorhandene Spaltung der Gesellschaft vorangetrieben.

Bedrohung und Hoffnung

„Denk ich an Deutschland in der Nacht, dann bin ich um den Schlaf gebracht”, schrieb Heinrich Heine 1844 im Pariser Exil. Er war nicht der Einzige, dem es so ging. Viele Intellektuelle, Schriftsteller und Künstler sind damals geflüchtet, weil sie um ihr Leben fürchten mussten. Ganz so weit sind wir noch nicht, es gibt heute andere Möglichkeiten der Existenzentziehung, und sie werden praktiziert: öffentliche Diffamierung, Zensur, Hausdurchsuchung, Kündigung von Arbeitsstelle und Wohnung, Kontensperrung und so weiter. Wer sich nicht unterwirft, soll auf die eine oder andere Weise eliminiert werden.

Trotz allem ist jedoch festzuhalten, dass insbesondere der außerparlamentarischen Opposition in Deutschland, deren Kritik an der Berliner Politik sich zu Teilen in den Reden von Trump und Vance wiederfindet, von außen her der Rücken gestärkt worden ist. Nach wie vor zeigen nicht wenige Menschen Haltung und lassen sich nicht einschüchtern; das nährt immer noch eine vage Hoffnung auf andere, vielleicht bessere Zeiten.

Für bewusste Menschen stellt sich die Frage, wie sich in der gegenwärtigen Gesellschaft ein humanes, ein menschenwürdiges Leben führen lässt – solange es währt. […]

Das ist die momentane Situation, in der von den Vertretern der Kapitalinteressen immer schärfere Maßnahmen zur Kontrolle und Unterwerfung der Bevölkerung realisiert werden. Die Mehrheit der westeuropäischen Staaten einschließlich Deutschlands befindet sich schon lange auf einer abschüssigen Bahn in den Totalitarismus. Um dieser Entwicklung gegenzusteuern, bedürfte es einer starken und bewussten Zivilgesellschaft. Daher muss Aufklärung der Bevölkerung abseits der Systemmedien ein Hauptanliegen aller Friedenskräfte sein.

Hoffnung im Juni 2025 gab ein Manifest prominenter Sozialdemokraten, die gegen die Außen- und Sicherheitspolitik der Bundesregierung protestierten[11], auch wenn man nicht mit allem, was sie schrieben, einverstanden sein muss. Immerhin: Der ehemalige Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich, Außenpolitiker Ralf Stegner, Ex-Parteivorsitzender Norbert Walter-Borjans, der frühere Finanzminister Hans Eichel und viele andere forderten eine sofortige Kehrtwende im Umgang mit Russland und in Fragen der Aufrüstung. Sie wandten sich unter anderem gegen die hohen Aufrüstungskosten und die Stationierung neuer US-Mittelstreckenraketen in Deutschland.

In dem Manifest heißt es: „In Deutschland und in den meisten europäischen Staaten haben sich Kräfte durchgesetzt, die die Zukunft vor allem in einer militärischen Konfrontationsstrategie und hunderten von Milliarden Euro für Aufrüstung suchen.” Aber „militärische Alarmrhetorik und riesige Aufrüstungsprogramme” schafften nicht mehr Sicherheit für Deutschland und Europa, sondern führten „zur Destabilisierung und zur Verstärkung der wechselseitigen Bedrohungswahrnehmung zwischen NATO und Russland”. Daher brauche es eine „von allen getragene und von allen respektierte Friedens- und Sicherheitsordnung für Europa”.

Die Widerstände, die sich sofort formierten, sind groß, aber das Manifest der Sozialdemokraten könnte das Signal zu einer friedenspolitischen Neubesinnung sein.«

Lieber Leserinnen und Leser, ich verspreche Ihnen dies: Durch dieses Buch erfahren und wissen Sie mehr. Da musste ich jetzt an den ausgezeichneten Kabarattisten Volker Pispers denken, welchen ich sehr vermisse. Von ihm stammt folgender Satz: „Was glauben Sie was in diesem Land los wäre, wenn mehr Menschen begreifen würden, was hier los ist!“

Das Buch
Wolfgang Bittner: Geopolitik im Überblick: Deutschland – USA – EU – Russland (WISSEN KOMPAKT). Osnabrück 2025, Hintergrund Verlag, Taschenbuch, 144 Seiten, ISBN 978-3910568235, 14,80 Euro.

Dr. Wolfgang Bittner aus seinem neuen Buch im KONTRAFUNK.
Wolfgang Bittner liest im Sprechsaal Berlin.

Der Autor

Der Schriftsteller und Publizist Dr. jur. Wolfgang Bittner lebt in Göttingen. Er hat über 80 Bücher veröffentlicht, u.a. „Der neue West-Ost-Konflikt. Inszenierung einer Krise“ (2021), „Deutschland – verraten und verkauft“ (2021), „Ausnahmezustand. Geopolitische Einsichten und Analysen unter Berücksichtigung des Ukraine-Konflikts“ (2023) sowie den Roman „Die Heimat, der Krieg und der Goldene Westen“ (2019). Der vorstehende Beitrag ist ein Auszug aus dem Buch „Geopolitik im Überblick. Deutschland – USA – EU – Russland“, das am 28. Juli 2025 im Verlag Hintergrund in der Reihe WISSEN KOMPAKT erscheint.


[«1] Vgl. tagesschau.de/ausland/europa/groenland-daenemark-unabhaengigkeit-usa-trump-100.html. Inzwischen soll der US-Finanzinvestor BlackRock die Kontrolle über die Häfen an beiden Enden des Panamakanals übernommen haben.

[«2] Dazu welthungerhilfe.de/aktuelles/gastbeitrag/2019/hintergrundanalyse-jemen-konflikt

[«3] Vgl. tagesschau.de/wirtschaft/weltwirtschaft/usa-ukraine-abkommen-faq-102.html

[«4] Vgl. rtde.org/international/237973-normalisierung-zwischen-washington-und-moskau/

[«5] Zit. n. n-tv.de/politik/Trump-erklaert-europaeischen-Staatschefs-Putin-will-Krieg-nicht-beenden-article25786517.html

[«6] Vgl. augsburger-allgemeine.de/politik/kommentar-merz-leistung-deutsche-sollten-mehr-arbeiten-109053224

[«7] USAID, von Trump erheblich reduziert, finanziert weltweit u. a. fragwürdige US-Projekte, aber auch Maßnahmen der Entwicklungshilfe. Vgl. globalbridge.ch/usaid-jetzt-im-blick-der-ganzen-welt/

[«8] Beispielhaft Macron: de.statista.com/infografik/33628/zustimmungswerte-der-franzoesischen-premierminister-und-des-praesidenten/

[«9] Vgl. initiative-toleranz-im-netz.de/

[«10bmfsfj.de/bmfsfj/aktuelles/alle-meldungen/-beratungskompass-verschwoerungsdenken-startet-256484

[«11erhard-eppler-kreis.de/manifest/

PRESSEMITTEILUNG am 14. Juli 2025: Bildung eines „Forum konstruktive ÖRR Reform“ für mehr Meinungsvielfalt

Meinungsvielfalt ist die Grundlage von Demokratie und Frieden

Alle Drei bedingen sich gegenseitig.

Viele Persönlichkeiten und Initiativen haben sich zusammengefunden, um die Bedeutung einer

breiten Meinungsvielfalt für funktionierende demokratische Prozesse und die Befriedung

gewalttätiger Konflikte zu betonen.

Die Initiatoren des Forums verfolgen einen konstruktiven Ansatz zur Erneuerung des öffentlich-rechtlichen

Rundfunks, der damit zu einem starken Akteur und Vorreiter für Demokratie und Frieden werden kann.

Am 1. Oktober 2025 um 10 Uhr wird das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig die Frage

behandeln, in wieweit der öffentlich-rechtliche Rundfunk bei der Aufgabe, Meinungsvielfalt zu

gewährleisten, strukturell versagt. (Az: BVerwG 6 C 5.24)

Die Auswirkungen des Verfahrens sind von gesamtgesellschaftlicher Bedeutung.

Die aktuellen Defizite bei der Meinungsvielfalt des ÖRR werden von den Verantwortlichen bisher nicht anerkannt.

Gleichzeitig verweigern die Verantwortlichen den gemeinsamen Diskurs über diese wichtige Frage.

Deshalb haben wir zur Unterstützung der öffentlichen Diskussion über diese wesentliche Frage ein

Forum konstruktiver Förderer und Kritiker des ÖRR gebildet.

Dieses Forum bündelt einige der vielfältigen Initiativen und Stimmen, die der Meinungsvielfalt im

ÖRR wieder eine verlässliche und transparente Plattform geben wollen. Wir sind überzeugt, dass

nur ein grundlegend erneuerter ÖRR das Vertrauen der Bevölkerung zurückgewinnen kann.

Für Rückfragen wenden Sie sich bitte an

Jimmy C. Gerum, +49-151-5055 2062

info@leuchtturmARD.de

Bürgerinitiative Leuchtturm ARD ORF SRG

-Arbeitsgemeinschaft Redlicher Diskurs

LeuchtturmARD.de

Unsere gemeinsame Erklärung

Meinungsvielfalt ist die Grundlage von Demokratie und Frieden

Alle Drei bedingen sich gegenseitig

Für Meinungsvielfalt in einem erneuerten Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk (ÖRR)

Ohne umfassende Berichterstattung, die eine Vielfalt an Positionen und Blickwinkeln wiedergibt,

sind weder demokratische Entscheidungen noch ein friedlicher Ausgleich unterschiedlicher Interessen möglich.

Der Nutzen der bürgerlichen Beitragsfinanzierung entsteht durch ihre Gewährleistung der Unabhängigkeit von politischen oder wirtschaftlichen Einzelinteressen.

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk trägt eine hohe Verantwortung für die öffentliche

Meinungsbildung und die sachgemäße Verwendung unserer Rundfunkbeiträge.

Unser Forum konstruktiver Kritik

soll mit dieser Erklärung einen inhaltlichen und personell anwachsenden Rahmen erhalten.

Die Meinungsvielfalt im ÖRR bildet das Herz von Demokratie und Presse- und Rundfunkfreiheit.

Die Unabhängigkeit des ÖRR ist als Element der Gewaltenteilung für die Zukunft unserer Demokratie zwingend notwendig.

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland ist reformbedürftig und reformfähig

Den ÖRR zu einer Plattform echter Meinungsvielfalt zu machen, ist eine politische Willensentscheidung der Handelnden.

Diese ist Voraussetzung für die notwendigen Strukturreformen.

Die Strukturreformen können erst dann erfolgreich umgesetzt werden,

wenn ein breiter politischer Konsens zu echter Meinungsvielfalt erreicht ist.

Zum notwendigen öffentlichen Diskurs dazu will das Forum einen Beitrag leisten.

Die Beitragspflicht ist in unserer Zukunftsvision von Nutzen für unsere Unabhängigkeit.

Sie kann zu einer wirklichen Demokratieabgabe werden, die uns die Möglichkeit eröffnet, auf der

Basis finanzieller Unabhängigkeit politisch oder wirtschaftlich motivierte Manipulationen in die

Schranken zu weisen. Die wesentlichen Merkmale eines erneuerten öffentlich-rechtlichen

Rundfunks sind:

• Unabhängige, qualifizierte Journalisten

• Mitwirkung & staatsferne Kontrolle durch die Rundfunkbeitragszahler

Wir erkennen den Nutzen einer Beibehaltung der Beitragspflicht, sofern der öffentlich-rechtliche

Rundfunk dadurch in der Zukunft dem Ziel der freien Meinungsbildung endlich gerecht wird.

Unterzeichnet haben u.a. bereits MitstreiterInnen wie Patrick Baab, Dirk Pohlmann, Wolfgang Effenberger, Marianne Grimmenstein, Gabriele Gysi, Dr. Maria Hubmer-Mogg, Sabiene Jahn, Prof. Dr. Gabriele Krone-Schmalz, Vera Lengsfeld, Ulrich Mies, Dr. Beate Sibylle Pfeil, Dr. Walter van Rossum, Prof. Dr. Martin Schwab, Dr. Dirk V. Seeling, Univ.-Prof. a.D. Dr. Andreas Sönnichsen und Dr. Ronny Weikl.

Beitragsbild: ©Claus Stille

„Verlust und Erwartung“. Erinnerungen. Von Egon Krenz. Rezension

«Es ist vollbracht«, sagte er bei der Vorstellung seines jüngsten Buches. Es ist der dritte und letzte Band der Memoiren des letzten Staatschefs der DDR, Egon Krenz. Der Verlag edition ost hat ihn herausgebracht Nun liegt er im Handel zum Kauf bereit. Er trägt den Titel „Verlust und Erwartung“.

Viel intensive Arbeit liegt gewiss hinter dem inzwischen 88-jährigen Krenz. Einen Ghostwriter, bekannte er auf einer Veranstaltung, habe er nicht. Auch keine Sekretärin oder Sekretär. Briefe an ihn beantworte er selbst. Das Schreiben seiner Erinnerungen hat ihn sicherlich gereizt. Eigentlich wäre er gerne Journalist geworden. Das merkt man nicht nur an seinem ausgezeichneten Schreibstil.

Indes es kam ganz anders. In meiner Rezension zu „Egon Krenz. Aufbruch und Aufstieg. Erinnerungen“ schrieb ich:

«Sein Bildungsweg verlief durchaus nicht so, wie von ihm gewünscht. Zunächst gedachte er 1953 im Dieselmotorenwerk Rostock eine zweijährige Lehre zum Maschinenschlosser zu machen. Sein altgedienter Meister legte alles daran, ihm betreffs der Herstellung eines Werkstücks „deutsche Werkarbeit“ beizubringen.

Doch bald schon trat im Werk ein Mitarbeiter der FDJ-Bezirksleitung auf den Plan: Man brauche ihn. „An den Lehrerbildungsinstituten fehlen Studenten“, beschied ihm der Mann. Inzwischen war Egon Krenz mit 16 Jahren in die SED eingetreten. Der FDJ-Mann appellierte an Krenz (S.93): „Denk dran, die Partei erwartet von dir, dass du dort hingehst, wo es für unsere Sache am wichtigsten ist!“

Krenz (S.94) schreibt: „Niemand hatte mich gezwungen, in die SED zu gehen. Es war meine eigene Entscheidung gewesen. Wenn die Partei nun von mir erwarte, ich sollte ihrem Ruf folgen, sei dies nur logisch, dachte ich mir.“

Er habe schlaflose Nächte gehabt. „Schließlich entschied ich mich für ‚unsere Sache’“, erzählt Krenz. Er machte das Lehrerstudium. Krenz: „Ich greife vor: Bereut habe ich die Entscheidung nicht. Lehrer wurde mein Traumberuf. Ich bedauerte nur, dass ich ihn nicht lange ausüben konnte.“

Auch Journalist, erfahren wir, wäre Egon Krenz gerne geworden. Doch die Partei stellte ihn immer wieder an andere Stellen. Nur die Nationale Volksarmee (NVA) blitzte bei ihm ab: eine Offizierslaufbahn einzuschlagen, lehnte er ab. Krenz sei verblüfft gewesen, dass der zu Besuch weilende damalige Generaloberst und Vize-Verteidigungsminister Heinz Hoffmann nichts dagegen einzuwenden hatte. Der beschied ihm: „Das ist richtig.“ Auf der Insel Rügen brauchten sie ihn als Funktionär der FDJ. Krenz: Dieses „Kadergespräch“ sei es gewesen, das „mein weiteres Leben bestimmen sollte.“«

Leserinnen und Leser, die (wie ich) in der DDR geboren wurden und dort lange gelebt haben, werden – befragte man sie – unterschiedliche Meinungen über ihren Staat und auch über die Person Egon Krenz (positive wie negative) äußern.

Leute dagegen, die in der BRD sozialisiert worden sind, dürften sich ihre Meinung darüber aus der Berichterstattung dortiger Medien gebildet haben. Die verpassten Egon Krenz gewissermaßen in der Regel einen bestimmten Stempel. Der dann saß und in der Regel betreffs der Stimmigkeit seiner Aussage nicht sonderlich oder überhaupt nicht hinterfragt wurde. Schließlich galt Krenz als Kronprinz Honeckers.

Ich erlaube mir – wie schon in erwähnter Rezension geschehen – eingangs auch dieser Rezension erneut diesen Hinweis:

Menschen müssen immer auch im Kontext der Zeit verstanden werden, in welche sie hineingeboren und fortan aufgewachsen sind. Und auf welche Weise sie sozialisiert und politisiert wurden. Egon Krenz wurde 1937 in Kolberg (Pommern; heute Kołobrzeg, Republik Polen) geboren. Also zwei Jahre vor Beginn des Zweiten Weltkriegs. Die Mutter ist eine einfache Frau. Den Vater lernte er nicht kennen. Egon Krenz entstammt kleinsten Verhältnissen.

Mit Spannung erwartete ich nun den dritten und letzten Band der Erinnerungen von Egon Krenz. Und wurde nicht enttäuscht. Gewidmet hat er diesen Band – wie schon die zwei vorangegangenen Bände – seiner verstorbenen Frau Erika.

Abermals wartet der Autor mit sachlich formulierten Schilderungen und Betrachtungen aus eigenem Erleben und einer Zeit auf, wo es sozusagen letztlich ans Eingemachte und schließlich mit seiner Partei sowie der DDR zu Ende ging. Krenz beschönigt nichts. Er hat seine Memoiren dennoch mit erhobenen Kopf souverän geschrieben. Und er hat kritisiert, was es seiner Meinung nach an Staat und der SED zu kritisieren gibt. Da gibt es kein Ausweichen. Wenngleich andere es auch anders sehen mögen. Denen gesteht er das auch zu. Allerdings kommen selbst heute noch einstige DDR-Bürger freundlich auf ihn zu, um mit ihm zu sprechen oder ihn in seiner Haltung zu bestärken. Und wenn einige Rezensenten westdeutscher Provenienz meinen, das von Krenz Aufgeschriebene auf ihre Weise verstehen zu wollen. Oder müssen zu sollen? Dann ist das halt so. Getreu dem Vorwurf die Erinnerungen von Krenz dienten ihm sozusagen als selber ausgestellten Persilschein. Er habe damit sein Wirken in Partei und Staat schöngeschrieben. Man könnte meinen, die Schreiber solcher Urteile folgten noch heute brav dem einstigen Justizminister Klaus Kinkel, welcher 1991 auf dem Deutschen Richtertag die Justiz aufgefordert hatte, die DDR zu delegitimieren. Aber freilich sollte das – das wurde und sollte wohl auch so verstanden werden – letztlich für den Staat DDR als Ganzes gelten. Nichts Gutes sollte an ihm dranbleiben. Auch recht nichts am letzten Staatschef Egon Krenz. Den im Gegenteil früher sogar manch Westjournalist als Hoffnungsfigur hoch schrieb und dies und jener BRD-Politiker gern mit ihm gesprochen hatte und sich mit ihm sehen und ablichten ließ.

Der Siegerstaat hat der DDR deren Existenz ohnehin immer übelgenommen. Nun wurde abgerechnet.

Nicht einmal mochte man Krenz anrechnen, dass er die Proteste von DDR-Bürgern in Leipzig und anderswo auf seine Befehle und Weisungen hin nicht blutig niederwalzen ließ. Weil er dafür sorgte, dass im Oktober 1989 kein Schuss fiel. Krenz zeichnete zusammen mit den führenden Köpfen der DDR-Sicherheitsbehörden dafür verantwortlich. Er schreibt, dass der damals gar nicht die eigenen Kompetenzen dafür hatte, war doch Erich Honecker zu diese Zeit noch Vorsitzender des Nationalen Verteidigungsrates.

Die in der DDR stationierten Truppen der Sowjetarmee hatte Krenz gebeten in den Kasernen zu bleiben: „Der Appell an die Streitkräfte auf unserem Terretorium, in den Kasernen zu bleiben, kam nicht von Gorbatschow. Es war eine souveräne Entscheidung der DDR, wie es eben eine souveräne Entscheidung des sowjetischen Militärs war, dieser Bitte nachzukommen.“

Berechtigt rechnet sich Egon Krenz als Verdienst zu, dass es friedlich im Oktober 1989 im Lande blieb. „Die Gewaltlosigkeit gehört zum humanistischen Erbe der DDR“, schreibt er. (S.126)

Für die Angehörigen der bewaffneten Organe galt die Devise: „keine Gewalt!“

„Niemand in der DDR hatte dem Beispiel von Gustav Noske (SPD) folgen wollen. Der hatte mit dem Satz «Einer muss der Bluthund werden, ich scheue die Verantwortung nicht!« Anfang 1919 den Spartakusaufstand in Berlin niederschlagen lassen.“

Krenz: „Dass ich meinen Teil zum friedlichen Herbst beigetragen habe, würdigte damals selbst die westdeutsche Presse, die sonst kein gutes Haar an mir ließ: «Wie immer das Urteil der Geschichte über den neuen SED-Generalsekretär Egon Krenz ausfallen wird, dass er seinen Deutschen ein Blutvergießen erspart hat, diese historische Leistung ist ihm nicht zu bestreiten«, schrieb am 14. November 1989 Uwe Zimmer, Chefredakteur der Münchner Abendzeitung.“

Heute wird dergleichen gern vergessen. Wie auch immer: Ich gehe mit den Einschätzungen manch heutiger Journalisten nicht d’accord. Egon Krenz hat seine Memoiren aus meiner Sicht nicht niedergeschrieben, um sich von Schuld freisprechen, sich damit sozusagen zu exkulpieren. Von ihm ist überliefert, dass er betreffs seines Gerichtsprozesses damit gerechnet hatte, zu einer Gefängnisstrafe verurteilt zu werden. Schließlich könne er nicht hinnehmen, dass andere DDR-Bürger – etwa Grenzsoldaten – zu Gefängnisstrafen verurteilt würden und er als ein führender Vertreter des Staates nicht.

Besagten Rezensenten lege ich ans Herz noch einmal genau in die drei Krenz-Bände hineinzulesen. Hernach müssten auch sie eigentlich erkennen: Eigene Fehler werden benannt, zu langes Zuwarten, statt die Verhältnisse zu verändern, werden durch Krenz beklagt. Und auch die Gründe dafür werden aufs Tapet gebracht. All das ist glaubwürdig geschrieben. Sein Zögern, statt womöglich entschlossen zu handeln hatte auch mit der verständlichen Rücksichtnahme auf alte und älteste Genossen des Zentralkomitees der SED zu tun, die einst für ihren Kampf gegen den Faschismus in der Hitler-Diktatur ins Gefängnis geworfen oder sogar in Konzentrationslagern hatten leiden müssen und ihnen glücklicherweise entronnen waren. Immerhin betraf dass zehn SED-Politbüromitglieder von insgesamt 22.

Allein Erich Honecker hatte zehn Jahre im Zuchthaus Brandenburg gesessen!

Gegen ihn nun zu putschen – gar einen Staatsstreich anzuzetteln – das kam für Krenz, so schreibt er, in keiner Weise infrage. Und das ist ihm abzunehmen.

Dazu kamen noch die Veränderungen beim Großen Bruder, Sowjetunion, seit Michail Gorbatschow dort Generalsekretär der KPdSU geworden war. Er hatte sich für eine Politik von Perestroika und Glasnost entschieden. Diese fand auch bei manchem SED-Genossen und DDR-Bürgern Anklang. Es regte sich der Wunsch, die DDR möge sich einer solchen Politik anschließen.

Diesen Gedanken allerdings standen Äußerungen etwa des Mitglieds des Politbüros des ZK der SED, Kurt Hager, entgegen, welcher seinerzeit in einem Interview mit dem Stern meinte: „Würden Sie, nebenbei gesagt, wenn Ihr Nachbar seine Wohnung tapeziert, sich verpflichtet fühlen, Ihre Wohnung ebenfalls neu zu tapezieren?“

Der dritte Band der Erinnerungen von Egon Krenz beginnt mit dem Kapitel „Neunzehnneunundachtzig“. Er schreibt: „Zwischen Weihnachten und Silvester 1988 wollte ich einige Tage frei machen. Honecker war im Lande, und ich brauchte ihn nicht zu vertreten.“ […]

„Den Kopf bekam ich trotzdem nicht frei. Mich plagten vorrangig die in den vergangenen Monaten verpassten Gelegenheiten, im Schulterschluss mit Moskau notwendige Veränderungen unserer Politik vorzunehmen. Manchmal war ich der Resignation sehr nahe. Ich richtete mich dennoch immer wieder auf. Ich trug schließlich ebenfalls dafür Verantwortung und stand in der Pflicht, zu der ich mich bekannte.

Kurz vor Weihnachten hatte mir mein langjähriger Freund und Wegbegleiter Wolfgang Herger gesagt: «Wenn Erich Honecker Altersweisheit besäße, würde der jetzt zurücktreten. Wenn er es auf der nächsten Tagung des Zentralkomitees nicht macht, werden ich ihn dazu auffordern.« Wolfgang leitete seit 1985 im ZK die Abteilung Sicherheitsfragen, zuvor die Abteilung Jugend. Beide gehörten wir dem Zentralkomitee an.

Ich glaubte nicht an eine solche Einsicht des Generalsekretärs. Aus verschiedenen Gründen. Zunächst natürlich politische. Gorbatschow hatte unlängst in einer Grundsatzrede von einer «Krisensituation« in der Sowjetunion gesprochen und vor Kräften gewarnt, «die die Perestroika missbrauchen, um zu den Zuständen vor der Oktoberrevolution 1917 zurückzukehren. Das klang nach Konterrevolution und machte Honecker hellhörig. Mehr noch: Er verhielt sich, wenngleich für kurze Zeit, solidarisch mit dem sowjetischen Parteiführer. Dieser wiederum fürchtet Instabilität in der DDR, käme es dort zu einem Führungswechsel. Sie konnte er nicht gebrauchen, jetzt schon gar nicht. Das sah und spürte auch Honecker. Für ihn war das wie eine Aufforderung zum Bleiben.“

Krenz weiter (S.10): „Ich erinnere mich an eine internationale Konferenz in Moskau 1984. Wir sahen, wie dem 73-jährigen KPdSU-Generalsekretär Tschernenko, bereits sehr hinfällig, das Redemanuskript entglitt. Gorbatschow an seiner Seite ging in die Knie und sammelte die Blätter ein. Honecker zeigt sich angesichts dieser ziemlich traurigen Peinlichkeit angefasst und beugte sich zu herüber: «Du musst unbedingt aufpassen, dass uns nicht Ähnliches passiert.«

Honecker habe zwar fünf Jahre nach diesem Vorall seine Redemanuskripte noch fest in der Hand gehalten. „Aber war eben auch nicht jünger geworden“, so Egon Krenz.

„In seiner Selbstwahrnehmung war er fit und gesund. Von Altersstarrsinn spürte er selbstverständlich nichts, nichts von zunehmender Eitelkeit und Selbstüberschätzung.“ (S.11)

Krenz: „Selbstkritisch muss ich bekennen, dass ich zu jenem Zeitpunkt der – später als illusionär zu bezeichnenden – Auffassung war, die notwendigen Veränderungen in der Partei und in der Gesellschaft mit und nicht gegen Honecker einleiten zu können. Zumal er in großen Teilen der Bevölkerung – bei aller Kritik – aufgrund seines auch international geachteten aktiven Beitrages zur europäischen Friedens- und Sicherheitspolitik noch immer viel Zuspruch erfuhr.“

Krenz schätzte, das Honecker sich in den frühen achtziger Jahren dem Raketenwahnsinn widersetzt hatte. „Auch sowjetische Raketen waren für ihn Teufelszeug.“

Bekanntlich ist man später immer klüger. So auch Egon Krenz: „Im Nachhinein sage ich heute: Hätte der Antifaschist Honecker nach seinem Staatsbesuch in der BRD 1987 seinen Hut genommen, wäre man vielleicht später anders mit ihm umgegangen. Er hatte sich nachweislich um den Frieden verdient gemacht, was man noch immer im Volke hochschätzen würde.“

Unumwunden nennt Krenz auch die existiert habende emotionale Beziehung zwischen Honecker und ihm. Honecker habe ihn – sie trennten fünfundzwanzig Jahre Altersunterschied – sehr lange gefordert und gefördert. Weshalb Krenz ihm gegenüber Dank und Respekt empfunden habe.

All das bedenkend habe Krenz veranlasst, Wolfgang Herger von seinem Vorhaben abzubringen, Erich Honecker zum Abtritt zu bewegen. Zumal er merkte, dass sich alle im Politbüro bedeckt hielten. Keiner habe damals sagen können, ob sich dort eine Mehrheit hätte finden lassen, um den ersten Mann im Gremium zum Rückzug zu bewegen.

Krenz schreibt über ein Treffen mit Gerhard Schürer, dem Vorsitzenden der Staatlichen Plankommission und Mitglied des Politbüros, im Keller dessen Wochenendhauses. Schürer dort: „Wir müssen Honecker stürzen.“

Schürers Offenheit imponierte Egon Krenz. „Eine Verjüngung der gesamten Führung war zweifellos notwendig. In diesem Punkt stimmten wir überein. Doch sein Plan roch mir zu sehr nach Verschwörung. Ein Putsch war meine Sache nicht. Das passte auch nicht zu unserer marxistischen Weltanschauung.“

Dennoch teilte Krenz Schürers Urteil. «Ja, sagte ich, «auch ich glaube, dass Erich Honecker seinen Funktionen nicht mehr gewachsen ist. Weder physisch noch psychisch.«

Krenz war allerdings auch von der Sorge getragen, dass die Schulden der DDR gegenüber dem Westen unablässig wüchsen.

Jeder Nachfolger Honeckers, so Krenz damals beim Keller-Gespräch, werde daran scheitern.

Überdies trug er dort Bedenken vor, dass auch außerhalb der DDR ein solcher „Staatsstreich“ möglicherweise Unverständnis hätte hervorrufen können.

Hätte besagtes Keller-Treffen im Februar 1989 – Risiken hin oder her -, wäre Schürers Forderung umgesetzt worden, das Blatt zum Positiven wenden und die DDR retten können? Wir wissen es nicht. Hätte, hätte, Fahrradkette. Spekulationen verbieten sich deshalb. Der richtige Zeitpunkt, einen Wechsel und damit einen Wandel einzuleiten, war m.E. längst verpasst worden. Weshalb wohl betreffs dessen von vergossener Milch gesprochen werden muss.

Probleme wuchsen im Innern der DDR, aber wirkten auch von außen auf sie.

Krenz bekennt: „Die Dringlichkeit eines kontinuierlichen Generationswechsels in der politischen Führung hatte ich unterschätzt.“ […]

Der Große Bruder Sowjetunion hatte mit Gorbatschow und dessen Ansatz, eine Politik von Glasnost und Perestroika zu verfolgen, einen anderen Weg eingeschlagen, den Honecker nicht mitzugehen bereit war. Obwohl DDR-Bürger und selbst auch Genossen der SED darin durchaus eine Chance sahen und deshalb Hoffnungen damit verbanden. Währenddessen es im Land immer mehr kriselte. Die Unzufriedenheit unter den Menschen wuchs. Dafür, dass Hoffnungen von DDR-Bürgern zunehmend zerstoben, macht der Autor sich nicht erfüllende Wünsche nach Erich Honeckers BRD-Besuch 1987 verantwortlich. Er nennt eine »spürbare Verschlechterung der Lebensbedingungen« – Regale mit klaffenden Lücken in den Geschäften, sowie längere Wartezeiten auf Pkw. Hoffnungen auf eine liberale Reisepolitik erfüllten sich nicht (Egon Krenz verweist auf einen Grund dafür: Die ins westliche Ausland reisen wollenden DDR-Bürger brauchten dafür Devisen. Woher die in ausreichender Menge nehmen?).

Mehr noch: Die Anzahl der Ausreiseanträge unzufriedener DDR-Bürger nach dem Westen mehrten sich in Folge dessn. All das schwächte das Land. Und begann selbst diejenigen DDR-Bürger anzustecken, die eigentlich gedachten dazubleiben. Ich selbst bin nur e i n Beispiel dafür. Obwohl meine Gründe durchaus vielschichtiger waren. Dabei hatte ich lange auf folgendem Standpunkt gestanden: Es können doch nicht alle fortgehen! Hier im Lande müsse etwas verändert werden. Und zwar möglichst gemeinsam. Dennoch fühlte ich mich getrieben: Im September 1989 verließ ich die DDR über Ungarn und Österreich …

Interessant zu lesen wie Egon Krenz das Jahr 1989 erlebte. Nicht weniger fesselt es, darüber zu lesen, welche Erfahrungen Krenz in den 35 Jahren danach im politischen und privaten Leben gemacht hat. Bekanntes aber auch weniger Bekanntes kommt zur Sprache. Letzte Geheimnisse der DDR, die nur er noch kennt, werden offenbart.

Ein zartes Pflänzchen namens Neuanfang betreffs der Gestaltung einer besseren DDR hatte im Grunde genommen keine Chance zu gedeihen. Die Karten waren dem Land sozusagen bereits gelegt.

Im Herbst 1989 wurde Krenz in der Nachfolge Erich Honeckers Generalsekretär und Staatsratsvorsitzender.

Erich Honecker war nicht zurückgetreten, sondern von seinen Funktionen entbunden worden. (S.107) Ministerpräsident Willi Stoph vorm SED-Politbüro: «Ich schlage vor. Erster Punkt der Tagesordnung: Entbindung des Genossen Erich Honecker von seiner Funktion als Generalsekretär und Wahl von Egon Krenz zum Generalsekretär.«

Interessant zu lesen, wie sich Günther Mittag, „der sich als angeblich bester Freund Honecker verstand“, die Seiten wechselte. Er habe sich“, so Krenz, „gewohnheitsmäßig auf die Seite der gefühlten Mehrheit“ geschlagen. Andere Genossen hatten ihm bewusst gemacht, dass sich der Wind gedreht hatte. „Er hisste sein Fähnchen.“

Krenz: Ausgerechnet Mittag sprach davon, dass Erich Honecker das Vertrauen der Partei verloren habe: „Der als sein engster Berater Honecker oft zu falschen Entscheidungen gedrängt hatte. Mittag selbst war ursächlich für diese Politik verantwortlich, über die nun ein Scherbengericht gehalten wurde.“ (S.108/109)

Egon Krenz nach seiner Wahl im DDR-Fernsehen: „Die Rede, die ich in Adlershof in die Kamera sprach, erreichte nicht die Wirkung, die sich jene versprochen hatten, die mich dazu aufgefordert hatten. Ich war unzufrieden. Allein die Verwendung der Anrede «Liebe Genossinnen und Genossen« wurde scharf kritisiert. Es sei der Eindruck entstanden, ich würde mich nur an die Parteimitglieder wenden. Viele Zuschauer fühlten sich von der SED vereinnahmt. Es war kein guter Start. (S.115)

Egon Krenz fragte sich: „Woran war Honecker gescheitert?“ Er scheue sich nicht, „die Zeit nach dem VIII. Parteitag der SED die Ära Honecker zu nennen.“ Dort ging es um die „Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik“ als neuen politischen und wirtschaftlichen Kurs der SED.

Damit spricht Krenz auf„den äußerst widerspruchsvollen und vorerst verlorenen Start, ein glaubwürdiges, für die Menschen attraktives Modell des Sozialismus im Zeitalter von Wissenschaft und Technik, im Zeitalter einer bewusst wahrgenommenen Ganzheitlichkeit der Welt zu verwirklichen“, an. (S.116)

„Woran ist er konkret gescheitert?

Meines Erachtens am verhängnisvollen Erbe Stalins, von dem er sich in der Politik und im persönlichen Denken nicht hatte frei machen können. Er scheiterte an der – unabhängig von seinem Willen gewachsenen – Unfähigkeit des sozialistischen Systems in Europa, die Produktivkraftentwicklung des kapitalistischen Westens zu erreichen und dabei die sozialistische Alternative einer in jeder Hinsicht freien Entwicklung der Gesellschaft und des Einzelnen zu präsentieren.“

Das Kapitel abschließend, gesteht Krenz Honecker zu: „ Er war ein Mann seiner Zeit – wie wir alle: geprägt von den Umständen, die ihr eigen waren.“

Im August des Jahres 1989 hatte Erich Honecker bei der Übergabe eines elektronischen Bauteils den Satz «Den Sozialismus in seinem Lauf halten weder Ochs noch Esel auf«. Krenz: „In der DDR löste er bitteres Hohngelächter aus, westlichen Kommentatoren interpretierten diesen trotzigen Spruch als Ausdruck einer seltsamen Entrücktheit, als Realitätsverlust oder schlicht als Altersstarrsinn. Damit lagen sie vermutlich nicht ganz falsch.“

In jenen Tagen bekam Krenz von einem Mitarbeiter von einer Begebenheit erzählt, welche sich angeblich vor zweihundert Jahren zugetragen hatte. „Der Kammerherr Ludwigs XVI. – der französische König sollte 1793 auf dem Schafott enden – eilte nach dem Sturm auf die Bastille nach Versailles, um dem Monarchen von den Ereignissen am 14. Juli 1789 in Paris zu berichten. Dessen besorgte Frage, ob dies eine Revolte sei, beantwortete der Kammerherr abschlägig: «Nein, Sire, das ist eine Revolution

Ich hatte den Eindruck, dass der Genosse mir damit sagen wollte, dass das, was gegenwärtig auf unseren Straßen und Plätzen stattfand, nicht nur ein Revolte, sondern ebenfalls eine Revolution sei.

Ich sah das nicht so. Zwar war die DDR-Führung nicht mehr in der Lage, die Macht in der gewohnten Weise auszuüben, und das Volk seinerseits war nicht mehr bereit, alles hinzunehmen – doch eine Revolution gegen den Sozialismus, nein, das war es nicht. Die Menschen wollten eine andere, eine bessere DDR. Und wir mussten nun gemeinsam mit dem Volk dafür die entsprechenden Reformschritte gehen.“

Hier stimme ich Egon Krenz zu. Auch darin, dass es sich um keine Revolution gegen den Sozialismus handelte. Meine Meinung: Es war in keiner Hinsicht eine Revolution. Wenngleich es freilich durchaus auch DDR-Bürger gab, die etwas anderes wollten (letztlich ohne alle sich daraus ergebenden Konsequenzen zu bedenken) – für viele Menschen in der DDR galt mit ziemlicher Gewissheit: Sie wollten eine andere, bessere DDR.

Aber vergessen wir nebenbei bemerkt nicht: Die Propaganda des Westens lief längst auf Hochtouren. Daniela Dahn, die zusammen mit Rainer Mausfeld das Buch „Tamtam und Tabu. Die Einheit: Drei Jahrzehnte ohne Bewährung“ (meine Rezension) geschrieben hat, macht darauf aufmerksam. Ich schrieb dazu:

«Propaganda- und Fahnenmaterial wurde in die strauchelnde DDR gekarrt. Der Slogan „Wir sind das Volk“ wurde in „Wir sind ein Volk“ gedreht. Heute würde man das Ganze wohl Nudging nennen – die DDR-Menschen wurden dahin geschubst, wohin man sie haben wollte.«

Egon Krenz war von Anfang an sehr eng mit der DDR verbunden. Der Verlag schreibt dazu: «Als sie vor 35 Jahren unterging, verlor er mehr als nur seine Arbeit.

Er reflektiert diese auch für andere Ostdeutsche sehr komplizierte Zeit. Und wie sie nimmt er die Gegenwart nicht teilnahmslos hin: Krenz ist der politische Mensch geblieben, der er immer war. Er ist ein einzigartiger Zeitzeuge deutscher Zweistaatlichkeit.« Auch seine Partei, die SED, verlor er, welcher er 1955 beigetreten war. Der Ausschluss aus der inzwischen zur SED/PDS umgerubelten SED Anfang 1990 schmerzte ihn. Bis heute ist er parteilos geblieben.

Die drei Bände seiner Memoiren erzählen u.a. einen wichtigen Teil deutscher Geschichte. Welcher nicht der Vergessenheit anheim fallen darf. Deshalb: Unbedingte Leseempfehlung.

Krenz will niemanden seine Sicht aufdrängen. Weshalb er zu bedenken gibt: „Zum Ende der DDR gab es rund 16 Millionen Einwohner. Das heißt, es gibt auch Millionen individueller Sichten auf die DDR. Die auf eigener Erfahrung beruhende Deutungshoheit sollte ausschließlich diesen Menschen überlassen bleibe und nicht einer «Aufarbeitungsindustrie« und deren Apologeten. Ginge es nach diesen Unwahrheitsaposteln, wäre die DDR ein Millionenhäuflein gegängelter Kreaturen, verzwergt, gedemütigt, bevormundet eingesperrt hinter einer Mauer, lebend mit einer maroden Wirtschaft, umgeben von Mief und Muff und der Staatssicherheit. Nein. So war die DDR nicht.“

Anlässlich einer Veranstaltung der Zeitung junge Welt zum 75. Jahrestag der Gründung der DDR am 7. Oktober 2024 im Berliner Kino Babylon war Egon Krenz um eine Rede gebeten worden. Der Text ist den Schluss des Buches gesetzt worden

Überschrieben ist er mit der Leitfrage der Veranstaltung: »Was bleibt?«

Krenz zitierte darin aus Brechts Gedicht

»An die Nachgeborenen«

»Ihr aber, wenn es soweit sein wird / Dass der Mensch dem Menschen ein Helfer ist / Gedenkt unserer / Mit Nachsicht«

Krenz weiter: „Es gibt viele Grüne, die DDR zu mögen. Und auch mancher, ihre Unzulänglichkeiten scharf zu kritisieren. Doch über allem steht das Wort Frieden. Die DDR hat niemals Krieg geführt. Sie war der deutsche Friedensstaat.

Egon Krenz merkt hinsichtlich gegenwärtiger Auswüchse in Deutschland an: „Kriegspropaganda und Rassenhass einschließlich Russophobie waren in der DDR verboten. Unsere Staatsdoktrin lautete: «Von deutschem Boden darf niemals wieder ein Krieg ausgehen.« Es wäre in der DDR undenkbar gewesen, dass die Bevölkerung «kriegstüchtig« gemacht worden sei. Ein Minister, der solches gefordert hätte, wäre seines Amtes verlustig gegangen. Kriegspropaganda in den Medien hätte sofortige Konsequenzen nach sich gezogen. Bei uns hatte die Erziehung zum Frieden Prioriät.“

Ein Satz aus dem Text ist Egon Krenz besonders wichtig:

«Nein, es wird ihnen nicht gelingen, die DDR zu einer Fußnote der deutschen Geschichte herabzuwürdigen. Sie ist mindestens ein Kapitel. Und nicht das schlechteste. Man kann mir vorwerfen, ich idealisiere die DDR. Mag sein. Na und?«

Lohnenswerte Lektüre! Und zwar alles drei Bände.

Hier meine Rezensionen der zwei vorangegangenen Bände der Erinnerungen von Egon Krenz:

Egon Krenz. Aufbruch und Aufstieg. Erinnerungen

Egon Krenz: Gestaltung und Veränderung. Erinnerungen


Egon Krenz

Verlust und Erwartung

Erinnerungen

384 Seiten, 14,5 x 21 cm, gebunden
mit 32 Seiten Bildteil

sofort lieferbar

Buch 26,– €

ISBN 978-3-360-02817-4

Das Jahr 1989 und die Zeit danach
— Teil III – letzter Teil der Memoiren des ehemaligen Staatschefs der DDR —

Mit dem dritten Band seiner Memoiren schließt Egon Krenz seine Autobiografie ab. Darin nimmt er den Herbst 1989 in den Blick, als er Staats- und Parteichef wurde, seine Vertreibung aus dem Amt und der Wohnung, den Verlust seines Landes, schließlich die juristischen Auseinandersetzungen einschließlich seiner Haft. Als die Republik vor 75 Jahren gegründet wurde, war er zwölf. Er hat sie nicht nur erlebt, sondern aktiv gestaltet. Als sie vor 35 Jahren unterging, verlor er mehr als nur seine Arbeit. Er reflektiert diese auch für andere Ostdeutsche sehr komplizierte Zeit. Und wie sie nimmt er die Gegenwart nicht teilnahmslos hin: Krenz ist der politische Mensch geblieben, der er immer war. Er ist ein einzigartiger Zeitzeuge deutscher Zweistaatlichkeit. Krenz überzeugt, weil er glaubwürdig ist. Seine Memoiren offenbaren die letzten Geheimnisse der DDR, die nur er noch kennt.


Egon Krenz

Egon Krenz, geboren 1937 in Kolberg (Pommern), kam 1944 nach Ribnitz-Damgarten, wo er 1953 die Schule abschloss. Von einer Schlosserlehre wechselte er an das Institut für Lehrbildung in Putbus und schloss mit dem Unterstufenlehrerdiplom ab. Seit 1953 FDJ-Mitglied, wurde er 1961 Sekretär des Zentralrates der FDJ, verantwortlich für die Arbeit des Jugendverbandes an den Universitäten, Hoch- und Fachschulen. Nach dem Besuch der Parteihochschule in Moskau war er von 1964 bis 1967 Vorsitzender der Pionierorganisation und von 1974 bis 1983 der FDJ, ab 1971 Abgeordneter der Volkskammer, ab 1983 Politbüromitglied. Im Herbst 1989 wurde er in der Nachfolge Erich Honeckers Generalsekretär und Staatsratsvorsitzender. Im sogenannten »Politbüroprozess« wurde Krenz 1997 zu einer Freiheitsstrafe von sechseinhalb Jahren verurteilt und 2003 aus der Haft entlassen, der Rest der Strafe wurde zur Bewährung ausgesetzt. Krenz legte bereits zwei seiner auf drei Bände angelegte Erinnerungen vor (»Aufbruch und Aufstieg«, 2022, und »Gestaltung und Veränderung«, 2023).

Foto: ©Claus Stille.
Egon Krenz (links) auf einem Pressefest der Zeitung UZ in Dortmund.

Anbei:

Egon Krenz im Gespräch mit dem Holger Friedrich, dem Verleger der Berliner Zeitung.

Dazu auch:

„Offener Brief an 99 Prozent der deutschen Journalisten“ von Tom J. Wellbrock

Journalisten-Kollege Tom J. Wellbrock: In diesem Video habe ich meinen „Offenen Brief an 99 Prozent der deutschen Journalisten“ eingesprochen.“

Hinter diesem Offenen Brief stehe ich ebenfalls voll und ganz, weshalb ich ihn auf hier meinem Blog veröffentliche

Beitragsbild: © Claus Stille