„Im Namen des sogenannten Fortschritts. Zur zunehmenden Einschränkung bürgerlicher Schutz- und Freiheitsrechte“ von Werner Thiede – Rezension

Wenn wir nicht fortgeschritten wären, wären wir stehengeblieben. Könnte man platt sagen. Wir wissen aber und haben es wie unsere Vorfahren in ihrer Lebenszeit in unserer bisherigen Lebenszeit erfahren, dass die Menschen immer wieder am Fortschritt arbeiteten.

Was überhaupt ist Fortschritt?

„Aristoteles spricht von Fortschritt in Bezug auf das Wachstum von Menschen, Tieren und Pflanzen, gebraucht den Begriff aber auch – wie schon Plato – in Bezug auf die Entwicklung der menschlichen Künste und Fähigkeiten. Er hält es für sinnlos, bei den Auffassungen der Alten zu bleiben; Bewegung sei besser.“ (Quelle: Wikipedia)

Im Gabler Wirtschaftslexikon wiederum heißt es: „Fortschritt ist eine erhebliche, spür- und sichtbare Verbesserung, Steigerung und Erweiterung, bezogen etwa auf Strukturen, Prozesse, Situationen und Entitäten. Er kann gestalterischer, technischer, medizinischer, wirtschaftlicher, politischer, sozialer und moralischer Natur sein und sich auf die Fortentwicklung in Gesellschaft, Kultur und Zivilisation sowie von Individuen und Arten richten. Fortschritt ist mit Wissenszuwachs und Wissenschaft verbunden, zudem mit Innovationsfähigkeit, mit Plan- und Umsetzbarkeit und mit Zuverlässigkeit von Personen und Systemen.“

In welcher Hinsicht ist ein postulierter „Fortschritt“ wirklich ein Fortschritt des jeweils in diesem Sinne Verstandenen?

Nicht immer, müssen wir hin und wieder feststellen, dass der in Bezug auf Gesellschaft und Technik von „Experten“ und Politikern – die sich wiederum an bestimmten „Experten“, welche Interessen von Konzernen oder Banken vertreten – orientieren – postulierte „Fortschritt“ wirklich das in diesem Sinne Verstandene ist. Und tatsächlich der Menschheit in Gänze von Nutzen ist. Auch können wir davon ausgehen, dass Menschen unterschiedliche Auffassungen darüber haben, was „Fortschritt“ bedeutet.

Und letztlich müssen wir aus diesem Grunde immer wieder erleben, dass es eben auch einzelne Menschengruppen gibt, welche einen in gewisser Beziehung behaupteten Fortschritt vehement ablehnen. Nicht alle diese Menschen können einfach als eine neue Art von „Maschinenstürmer“ abgetan werden.

Das Schlimme ist am Ende: Bei alledem gehen ethische Grundmaßstäbe immer mehr verloren. Wahrlich ein sehr „ge­wagter“ Fortschritt!“

«Werner Thiedes neue Broschüre «Im Namen des sogenannten Fortschritts« geht anhand wichtiger Themen kritisch auf den zuneh­menden Schwund bürgerlicher Freiheiten ein, der mitunter auch eine Erosion von Men­schenrechten bedeutet. Was politisch gern als „Fortschritt“ verkauft wird, erweist sich in­sofern bei näherer Betrachtung nicht selten als rückschrittlich, höchst einseitig, frag­würdig, ja teils sogar als empörend. Im Hintergrund eines heute fast schon wieder infantil anmu­tenden Fort­schrittsglaubens steht oft – ob explizit oder subtil – die Philosophie des Trans­humanis­mus, die eingangs kritisch in den Blick genommen wird. Weiter wird verdeutlicht, dass und warum die allseits forcierte „Künstliche Intelligenz“ dem Menschsein ihrerseits auf die Dauer kaum förderlich sein dürfte. Anhand von wichtigen gesell­schaftspo­litischen Themen wie der immer zudring­licheren Mobilfunk-Problema­tik, neueren und neuesten gesetzlichen Änderungen zu Strom- und Wärmezählern sowie der Forcierung von Photovoltaik und Windkraft wird dar­gelegt, warum die aktuelle Entwick­lung vielen Menschen Beschwer macht. Das Schlimme ist am Ende: Bei alledem gehen ethische Grundmaßstäbe immer mehr verloren. Wahrlich ein sehr „ge­wagter“ Fortschritt!“«

Quelle: nach pad-Verlag

Werner Thiede: «Kaum im Blick ist dabei allerdings der ganzheitlich verstandene Gesundheitsfaktor. Ob es dem Menschen wirklich gut tut, wenn seine Lebenswelt unter dem Diktat einer ständig wachsenden Beschleunigung steht?«

Allein die forciert betriebene Digitalisierung, die immer mehr gesellschaftliche und wirtschaftliche Bereiche erfasst, macht uns sozusagen rasant Beine. Kommen wir da noch mit? Behalten wir da noch die Übersicht? Ist das überhaupt gesund? Und zwar nicht nur in psychischer Hinsicht sondern auch in Bezug auf den Körper. Werner Thiede: «Kaum im Blick ist dabei allerdings der ganzheitlich verstandene Gesundheitsfaktor. Ob es dem Menschen wirklich gut tut, wenn seine Lebenswelt unter dem Diktat einer ständig wachsenden Beschleunigung steht? Bezahlt er, ja bezahlt die ganze Kultur diesen anhaltenden, immer noch zunehmenden Druck mit üblen Folgeerscheinungen?«

Denken wir nur an die Auswirkungen von Mobilfunkstrahlung (Stichpunkt: Elektrosensibiliät). Hinzu kommen ja auch immer weitere andere funkende Systeme bzw. sind geplant, wie etwa smarte Strom- und Wärmezähler. Dazu hat der pad-Verlag eine Broschüre von Margit Krug herausgebracht. Ich habe hier darüber geschrieben. Und bedenken wir den immer größeren Anfall von Daten, nicht zuletzt unseren persönlichen! Der Mensch wird dadurch immer gläserner. Und Unterliegt an fast jeder Ecke und jedem Ort immer mehr der Überwachung. Warnung vor Gefahren werden von der Politik gern kleingeredet. Wir wissen, dass längst am digitalem Geld gearbeitet wird. Wird die Abschaffung des Bargeldes ins Auge gefasst? Was passiert wenn das digitale Netz ausfällt? Wir können dann vielleicht nicht einmal mehr ein Brot kaufen. Abgesehen davon: Unser Privatleben kann bis ins Letzte nachverfolgt werden. Schöne neue Welt?

Es stellen sich Fragen

«Auch in philosophischer Hinsicht stellen sich Fragen.«, schreibt Werner Thiede in einem Beitrag für Manova, «Wovor läuft man eigentlich davon, wenn man immer schneller rennen muss? Ist es in einer säkularisierten, also immanentistisch denkenden Welt die Flucht vor dem Tod (nach Marianne Gronemeyer: Das Leben als letzte Gelegenheit, 1996)? Ist es in einer immer mehr von Krisen erschütterten Welt die Flucht vor der drohenden Apokalypse (nach Gregor Taxacher: Apokalypse ist jetzt. Vom Schweigen der Theologie im Angesicht der Endzeit, 2012.)? Zeugt das überdrehte Tempo unserer Existenz von der Flucht vor nihilistischen Erkenntnissen, über die man besser nicht nachdenkt, so dass man insgesamt beschleunigt, damit allenfalls noch Zeit für oberflächliches Denken bleibt?«

Weiter gibt Thiede auf Manova zu bedenken: «Angesichts dessen immer noch mehr Beschleunigung, immer noch mehr Schnelligkeit zu fordern und zu fördern, beruht auf einer höchst einseitigen, kaum von Weisheit zeugenden Sicht- und Handlungsweise. Der britische Journalist Oliver Burkeman warnt auf seine Weise nach langjährigen Versuchen vor einer regelrechten „Effizienzfalle“ — in seinem klugen, heuer erschienenen Buch „4000 Wochen — das Leben ist zu kurz für Zeitmanagement“.«

Unbedingte Empfehlung meinerseits für diese Broschüre!

Werner Thiede

Im Namen des sogenannten Fortschritts

Zur zunehmenden Einschränkung bürgerlicher Schutz‑ und Freiheitsrechte

72 S., pad-Verlag: Bergkamen 2023
Broschüre (DIN A5) – ISBN 978-388515-344-3
6 € im Buchhandel oder beim Verlag: www.pad-verlag.de.

Zur Person

Prof. Dr. theol. habil. Werner Thiede ist Pfarrer i.R. der Evang.-Luth. Landeskirche in Bayern, seit 2007 apl. Professor für Systematische Theologie an der Universität Erlangen-Nürnberg und Publizist. Homepage

Bücher von Werner Thiede:

Überm Chaos heiliger Glanz. Glaubensgedichte, Neuendettelsau 2018 Evangelische Kirche – Schiff ohne Kompass? Impulse für eine neue Kursbestimmung, Darmstadt 2017 Digitaler Turmbau zu Babel. Der Technikwahn und seine Folgen, München 2015 Die Wahrheit ist exklusiv. Streitfragen des interreligiösen Dialogs, Gießen 2014 Die digitalisierte Freiheit. Morgenröte einer technokratischen Ersatzreligion, Berlin 2013 Mythos Mobilfunk. Kritik der strahlenden Vernunft, München 2012 Mystik im Christentum. Gestalten und Visionen, Frankfurt a.M. 2009 Theologie und Esoterik. Eine gegenseitige Herausforderung, Leipzig 2007 Der gekreuzigte Sinn. Eine trinitarische Theodizee, Gütersloh 2007 (Übersetzung: Salamanca 2008) Wer ist der kosmische Christus? Karriere und Bedeutungswandel einer modernen Metapher, Göttingen 2001 Sektierertum – Unkraut unter dem Weizen? Gesammelte Aufsätze zur praktisch- und systematisch-theologischen Apologetik, Neukirchen-Vluyn 1999 Esoterik – die postreligiöse Dauerwelle. Theologische Betrachtungen und Analysen, Neukirchen-Vluyn 1995 Die mit dem Tod spielen. Okkultismus – Reinkarnation – Sterbeforschung, Gütersloh 1994 Scientology – Religion oder Geistesmagie? Neukirchen-Vluyn 1995² Auferstehung der Toten – Hoffnung ohne Attraktivität? Grundstrukturen christlicher Heilserwartung und ihre verkannte religionspädagogische Relevanz, Göttingen 1991 Das verheißene Lachen. Humor in theologischer Perspektive, Göttingen 1986 (Übersetzung: Mailand/Turin 1989)

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