„Korrumpiert. Wie ich fast Lobbyist wurde und jetzt die Demokratie retten will“ von Marco Bülow. Rezension

Am 23. Februar finden die Wahlen zum Deutschen Bundestag statt. Gerade noch rechtzeitig vorher hat der Westend Verlag ein interessantes Buch herausgebracht. Dessen Lektüre kann potenziellen Wählern oder auch Nichtwählern mit ziemlicher Sicherheit wichtige Denkanstöße liefern. Geschrieben hat es Marco Bülow. Marco Bülow zog 2002 als direkt gewählter Dortmunder Abgeordneter für die SPD in den Deutschen Bundestag ein. Dort war Bülow unter anderem Umwelt- und Energiepolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. 2016 trat er aus der SPD aus und war noch drei Jahre fraktionsloser Abgeordneter. Seit 2021 ist er außerhalb des Parlaments politisch aktiv und arbeitet als Journalist, Publizist und Podcaster.

Seine politische Arbeit innerhalb in der SPD und seinem Wahlkreis in Dortmund nahm er stets sehr ernst. Doch während seiner Abgeordnetentätigkeit im Deutschen Bundestag beraubte ihn die Praxis dort bald so mancher Illusion. Er veröffentlichte 2010 das Buch „Wir Abnicker. Über Macht und Ohnmacht der Volksvertreter“. Im Klappentext heißt es: «Wie viel Einfluss haben die Mitglieder des Bundestags eigentlich noch? Marco Bülow, SPD-Bundestagsabgeordneter, bricht erstmals das Schweigen der deutschen Parlamentarier. Er deckt auf, wie Abgeordnete zu vorgegebenen Entscheidungen gedrängt werden, wie mächtige Lobbyisten Abstimmungen immer stärker beeinflussen und wie die Medien Politik machen.
Anhand konkreter Beispiele zeigt der Autor, wie Fraktionszwang und Regierungshandeln die Vertreter des Volkes oft zu hilflosen Randfiguren degradieren, die Beschlüsse und Gesetzesvorlagen nur noch abnicken. Bülows Insiderbericht zeugt von einer handfesten Krise der parlamentarischen Demokratie. Er ruft zum Widerstand auf. Politiker müssen selbst vorangehen, mutiger werden und die Macht in die Mitte des Parlaments zurückholen. „Wozu sind Regierungsfraktionen denn noch gut: Zum Abnicken und Jasagen?“«

Damit zog Marco Bülow freilich Kritik aus der Politikerkaste und auch seitens diverser Medien auf sich. Auch aus der eigenen Partei, der SPD. Doch er blieb standhaft. Auch wenn er sich Einiges anhören musste. Was er sich leisten konnte, weil er in seinem Wahlkreis stets ein Direktmandat holte. Jemand anderes wäre gewiss gar nicht wieder aufgestellt oder auf einen aussichtslosen Listenplatz geschoben worden.

Letztlich – wie weiter oben ausgeführt – zog er aber die Reißleine. Auch wenn ihm dabei gewiss klar sein musste, dass er sich da einer wie auch immer gearteten Karriere berauben würde. Aber hätte er dann noch in den Spiegel schauen können? Dieser sicherlich nicht einfache Schritt war wohl der in ihm aufschrillenden Vorstellung geschuldet, dass er (fast) Lobbyist geworden wäre. In Wie ich (fast) Lobbyist wurde (S.43) lesen wir darüber.

Eigentlich, so Bülow, müsste die Überschrift heißen «Wie ich (fast) Lobbytarier wurde«. Und weiter: „Als Unterzeile könnte man schreiben; «Eine wahre Geschichte darüber, wie Politik sich korrumpieren lässt«

Zur Erklärung führt der Autor aus: „Parlamentarier, die gleichzeitig Lobbyisten sind, die ein oder mehreren Lobbys dienen, nenne ich «Lobbytarier« (S.43)

Und jetzt will Marco Bülow gemäß dem Buchuntertitel die Demokratie retten?

Da muss erst einmal die Frage geklärt werden, ob es überhaupt jemals eine Demokratie, sprich Volksherrschaft gegeben hat.

Demokratie bedeutet ja, dass sich die Interessen der Mehrheit durchsetzen. Ist das bei uns so? War das jemals so? Wahrnehmungs- und Kognitionsforscher Rainer Mausfeld – welchen Marco Bülow einige Male in seinem Buch zitierend erwähnt – hat sich u.a. ausführlich mit der Demokratie wie wir sie kennengelernt haben beschäftigt. Und festgestellt: Schon in den Anfängen der Demokratie der Vereinigten Staaten von Amerika, sei sie von vornherein so angelegt gewesen, dass sich durch sie nichts Wesentliches an den bestehenden Machtverhältnissen ändern konnte. Die Mehrheit des Volkes mochte wählen wie es wollte, die Interessen der (Minderheit) der Reichen, der Oligarchen, konnten nicht angetastet werden. Auch heute, bei uns, ist das im Grunde genommen so. Wenngleich noch nicht in den Dimensionen wie in den USA. Denn allein wer dort für das Präsidentenamt kandidiert, braucht ja ohne entsprechend hohe finanzielle Ausstattung erst gar nicht erst antreten. Quelle: Rezension zu „Hybris und Nemesis“ von Rainer Mausfeld.

Unser System: wir haben eine repräsentative Demokratie. Wir wählen also Parteien und deren (zuvor von den Parteien bestimmte, oft in Hinterzimmern ausgekungelte) Kandidaten, welche uns Bürger dann im Deutschen Bundestag und den Parlamenten der Bundesländer vertreten (sollen). In der Regel geben wir Wähler alle vier Jahre unsere Stimme ab [sic!]. Sie landet, was der inzwischen emeritierte Wahrnehmungs- und Kognitionsforscher Prof. Dr. Rainer Mausfeld als treffend bezeichnet, in der Urne.

Bereits vor 15 Jahren prägte Colin Crouch bezüglich des Zustands der Demokratie den Begriff „Postdemokratie“ (dazu mehr in einem Beitrag auf Deutschlandfunk. Gemeint war, wie Bülow ausführt, „eine aufrechterhaltene, demokratische Fassade mit freien Wahlen. Dahinter eine schleichende Demontage, zerfallende Diskurs- und Resonanzräume, übermächtige Lobbys.“

Ullrich Mies und Jens Wernicke (Hrsg) sowie die im Buch versammelten Autoren sahen eine Fassadendemokratie („Fassadendemokratie und Tiefer Staat“).

Auf beide Begriffe und Bücher nimmt Marco Bülow auch in seinem Buch Bezug. Weitere Titel zur Krise der Demokratie sind in einem Fließtext aufgereiht (S.88).

Bülow erklärt: „Es geht in diesem Buch um die (legale) Korruption in der Politik, die einseitige Beeinflussung und die Auswüchse des Profitlobbyismus -, aber nur als ein Ausgangspunkt, um aufzuzeigen, wie unsere Demokratie, unsere ganze Gesellschaft korrumpiert wird. Profit ist darin zur dominierenden Antriebskraft geworden, weil wir alle Lebensbereiche systematisch ökonomisiert haben. Alles, was sich nicht direkt zu Geld machen oder in Geld berechnen lässt, gilt in unserem System als wertlos.“ (S.18) Der Autor will das nicht „rein mit dem Wesen des Kapitalismus“ erklären.

Die Sache sei komplexer.

„Nicht nur die Marktwirtschaft hat sich als anpassungsfähig erwiesen. Demokratie und Gesellschaft sind dem Wesen des Kapitalismus angepasst worden. Wir haben uns mit Brot und Spielen korrumpieren lassen.“ […]

Angela Merkel wird zugeschrieben eine „marktkonforme Demokratie“ befürwortet zu haben. Was hätte das noch mit Demokratie zu tun? Eigentlich entlarvend. Fast hätte es die Wortverbindung zum Unwort des Jahres 2011 gebracht. Für Marco Bülow der „wohl passendste Begriff“. «Wenn Angela Merkel, wie Schirrmacher entgeistert bemerkt, die ‚marktkonforme Demokratie‘ gelobt, dann hat sie bereits kapituliert. Bürger und Staat haben keine Souveränität, sondern spielen nur.«

Marco Bülow weiter im Buch: „Geld und Profit sind zu unserem «Übergott« geworden, der viele Untergötter duldet, wenn sie den Profit von Wenigen nicht schmälern, sich anpassen, sich korrumpieren lassen. Ohne Verschwörung, sondern einfach durch den Druck und die Fliehkräfte, die bei dem Kampf um Geld und Macht entfacht werden. Die süße Lüge, dass alle profitieren und unendliches Wachstum möglich sei, wirkt wie eine Droge. Das Korrektiv und Gegenkollektiv zu dieser Entwicklung ist immer weiter zusammengeschrumpft, während Ohnmacht, Verunsicherung, Rückzug und Wut bei den Menschen spürbar anwachsen. Um daran etwas zu ändern, muss man sich zunächst ehrlich machen, Fehlentwicklungen und -verhalten aller Seiten offenlegen und nicht mit den ewig gleichen Antworten, Appellen und Aktionen vorgehen“

Bülow schreibt über die fragwürdigen Maskendeals, die Korruption von Mandatsträgern und Amtsmissbrauch in der Corona-Zeit. Auch die „Aufarbeitung“ dessen ist fragwürdig.

Das «böse« Wort korrupt werde bei uns gemieden, schreibt der Autor. (S.20)

„Korrupt sind Autokraten, Diktatoren in fernen Ländern. In der Politik wird über viel gestritten, aber nicht über das System, das sich entwickelt hat oder die Demokratie. Ihre Feinde sind Extremisten von rechts und links, alle anderen dagegen seriöse, aufrechte Demokraten.“

Es käme zum Ausverkauf der der Demokratie. „Die Grenzen, das Korrektiv zu dieser Entwicklung, lösen sich auf, während wir uns über Nebenthemen streiten. Sehen wir endlich mal hin und nennen das Kind beim Namen: Nahezu unsere ganze Gesellschaft wir korrumpiert.“

„Was heißt überhaupt «korrupt«?“ Bülow: „Der Ausdruck geht auf das lateinische Wort corruptus zurück, welches gleich mehrere Bedeutungen aufweist: «verdorben«, «sittenlos«, «bestochen«, «verkehrt«.

Unter Korrumpierte Knechte (S.23) zitiert der Autor Abraham Lincoln:

«Wir gehen einem Zeitalter der Korruption bis in hohe Positionen entgegen. Die Macht des Geldes in diesem Land wird ihren Einfluss durch Ausnutzung der Vorurteile im Volk so lange wir möglich zu halten versuchen, bis der Wohlstand in wenigen Händen versammelt und die Republik zerstört ist«

Also nichts Neues.

Bülow weiß: „Die Krisendebatte ist also nicht neu – doch war die Demokratie immer schon nur Mittel zum Zweck? Ich denke nicht ganz und bleibe davon überzeugt, dass sie viel mehr als dem Ziel, die Bevölkerung im Zaum zu halten, dienen kann und soll. Aber eine wirkliche Demokratie, die alle beteiligt und vor allem das Gemeinwohl heute und morgen vor Augen hält, hat es nie gegeben. Daraus lässt sich auch ableiten, warum sie sich heute dem Markt unterordnet, der nur denen dient, die vor allem den eigenen Wohlstand im Blick haben und eine «Volksherrschaft« befürchten.“ (S.90)

Man kann es nicht abstreiten: „Das Spannungsverhältnis zwischen Demokratie und Finanzkapitalismus gleicht einem Gemisch aus zwei Flüssigkeiten in einem Kessel, der sich immer weiter erhitzt. Ihre Siedepunkte sind unterschiedlich und Druck kann nur abgebaut werden, wenn die Demokratie nach und nach verdampft und entweicht. Einzig übrig bleibt dann zusehends der Finanzkapitalismus.“

Marco Bülow fragt: „Und hat die marktkonforme Postdemokratie bereits das nächste Stadium erreicht? Klar ist, die Debatte wird rein akademisch geführt, die Politik will sie nicht wahrhaben und in der Öffentlichkeit kommt sie nur in Form eines unguten Bauchgefühls an. Die Folgen sind aber immer deutlicher zu spüren, weshalb sich auch die Unzufriedenheit weiter ausbreiten wird. Irgendwann ist die Demokratie aus dem Kessel raus und dann ist nicht mal sicher, ob sich die Erhitzung stoppen, die Schmelze vermeiden lässt.“ (S.91)

Der Autor hat seinen Finger in viele gesellschaftliche Wunden gelegt. Was spannend zu lesen ist.

Und den Lesern zu denken gibt sowie zum Nachdenken anregt.

Gegliedert hat das Marco Bülow in drei interessante Kapitel:

I. (Demokratie-)Demontage.

Die Fragen des Lobbyismus und der Korruption werden an Beispielen konkret benannt. So handelt er unter der Überschrift „Monetarisiert“ das aktuelle Beispiel Cum-Ex mit dem Schaden von 36 Mrd. Euro für den Staat, d.h. für alle Bürger ab. Sein aktuelles Fazit: Die Finanzlobby wird weiter gestärkt werden. „Was Scholz kann, kann Merz schon lange“. „Geld ist die einzige Sache der Welt, deren Qualität sich allein an der Quantität bemisst, wusste bereits Karl Marx. Die Schulden der einen, sind die Gewinne der anderen, Geld verschwindet nicht. „Die Schuldenbremse eine Ablenkung“?

II. (Demokratie-)Karambolage

Was ist der Wert des Menschen, des Bürgers bei einer aufrechterhaltenen, demokratischen Fassade mit freien Wahlen? Bereits bei der ersten Trump Periode „America first“ sah Kanzlerin Angela Merkel die „marktkonforme Demokratie“ als Zielsetzung. Die Aushöhlung der sozialen Marktwirtschaft, der demokratischen Mitwirkung wird bei dem Erstarken der weltweiten Oligopole drängender Wer kennt schon Broligarchien – ( Broligarchie – eine Oligarchie, in der enorme Macht an die Bosse der Technologie- und Finanzbranche fließt, an Magnaten, von denen einige den demokratischen Traditionen gleichgültig oder sogar offen feindlich gegenüberstehen.)
Ausgehend von einer weitreichenden Kritik, führt der Autor über ein weiteres Kapitel

III. (Demokratie-)Montage

zu den Lösungsansätzen.
Kann der Leser den Gedanken vom ÜberLEBEN zum Guten Leben folgen und sieht er auch die Alternativen? Wir brauchen das notwendige Bewusstsein für unsere Situation. Nur wenn wir die Gesellschaft wieder als Demokratie (er)leben und wir mitwirken wird sich etwas ändern. Das Kapitel schließt dem Nachspiel: Permanente Revolte ab.

Überschrieben mit einem Zitat von Albert Camus:

«Ich revoltiere, also bin ich«

«Die wahre Großzügigkeit der Zukunft besteht darin, in der Gegenwart alles zu geben. Die Revolte beweist dadurch, dass sie die Bewegung des Lebens selbst ist und dass man sie nicht leugnen kann, ohne auf das Leben zu verzichten«. (S.186)

Thesen zur den drei Kapiteln

Es folgen jeweils Thesen zu den drei vorangestellten Kapiteln. Sie fassen kurz und bündig den Kern der 3 Kapitel zusammen.

Die Leser können sich schließlich, vom Autor gründlich informiert, aufgefordert fühlen, sich selbst Gedanken über das Gelesene und die darin beschriebene Problematik zu machen und überlegen, wie ob und wie sie selbst daran beteiligt werden wollen.

Ab Seite 192 lesen Sie einen 9-Punkte-Plan zur Kooperativen Demokratie.

Fazit

Marco Bülows Buch ist ein Augenöffner, inhaltlich informativ sowie tief schürfender Aufrüttler. Wir müssen nämlich unbedingt konstatieren, dass der Hut längst brennt und es höchste Eisenbahn ist, etwas zu tun. Schließlich stecken wir in einer multiplen Krise, die unsere Gesellschaft, die Wirtschaft und unser Land bedroht und schon beträchtlich ruiniert hat. Ich möchte einmal etwas anders und provokativ formulieren als auf der Buchrückseite so geschrieben steht: «Wer die Demokratie retten will, muss erkennen, wer sie demontiert«. Und zwar so: «Wer eine echte, wirkliche Demokratie schaffen will, muss erkennen, wer das verhindert«. Denn klar ist, man kann nur retten, was tatsächlich existiert.

Wir lesen dort: «Soziale Marktwirtschaft und Herrschaft des Volkes sind Fassade, so Bülow, Täuschungen eines Profit-Systems, welches immer weniger Menschen nutzt. Korrumpierungen, fatale Denkstrukturen und unfaire Spielregeln setzen sich fest. Bülow ruft zum Widerstand auf und macht Auswege deutlich. Statt wehrlose Sündenböcke zu suchen, müssen wir uns bewusst mit den Mächtigen anlegen, fordert er, und setzt auf das Korrektiv und Kollektiv.«

Pardon! Unappetitlich, dass mir da ein von Robert Habeck in Dortmund noch vor seiner Ministerzeit getätigter Ausspruch in den Sinn kommt: «Wir haben verlernt politisch zu denken und müssen es schaffen uns mit den wahrhaft Mächtigen anzulegen«. (dazu: claussstille.blog)

Als er sich dann anschickte schlechtester Wirtschaftsminister zu sein, welchen die BRD je hatte, las sich das dann während seines Besuches 2022 in den USA so: «Habeck sieht „dienende Führungsrolle“ für Deutschland« (Quelle: t-online.de)

Von Marco Bülow dürfte derlei nicht zu erwarten sein. Sonst hätte er nicht die Notbremse gezogen und einen anderen Weg eingeschlagen. Martin Sonneborn – deutscher Satiriker, Journalist und Politiker (Die PARTEI); MdEP – sagt über Marco Bülow: «Last Sozialdemokrat Standing!“

Für dieses wichtige Buch sollten wir Bülow dankbar sein. Gut, dass es noch vor der Bundestagswahl am 23. Februar erschienen ist. Es sollte der Orientierung der Wählerinnen und Wähler und über die Wahl hinaus dienen können. Für andere der allgemeinen Information. Empfehlen Sie es gerne weiter. Nutzen Sie es!

Zum Autor:

Marco Bülow zog 2002 als direkt gewählter Dortmunder Abgeordneter für die SPD in den Deutschen Bundestag ein. Dort war Bülow unter anderem Umwelt- und Energiepolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. 2016 trat er aus der SPD aus und war noch drei Jahre fraktionsloser Abgeordneter. Seit 2021 ist außerhalb des Parlaments politisch aktiv und arbeitet als Journalist, Publizist und Podcaster.

Foto: ©Claus Stille

Aus dem Inhalt:

Unsere Demokratie war nie eine wirkliche Herrschaft des Volkes. Selbst die reale repräsentative Demokratie – wie wir sie nennen – wird zunehmend ausgehöhlt. Die Ökonomisierung aller Lebensbereiche hat längst die Politik erreicht. Ausufernder Profitlobbyismus, bröckelnde Gewalten- und Machtteilung, sowie zusammenbrechende Korrektive sind die Folge. Wir haben uns korrumpieren lassen, zu viele haben oder wollen mitprofitieren. Und noch mehr ergeben sich den Bedingungen oder ihrer Ohnmacht.

Marco Bülow

Korrumpiert

Erscheinungstermin 10.02.2025
Einbandart kartoniert
Seitenanzahl 208
ISBN9783864894848
Preis inkl. MwSt.20,00 €

Westend Verlag

Dazu passend Marco Bülow auf Radio München:

Martin Sonneborn spricht mit dem Autor

„Im russischen Exil. Von Menschen, die in Russland ihre Freiheit suchen“ – Rezension

Seit den Zumutungen in der Corona-Krise, welche uns die herrschende Politik in Kollaboration mit dem Mainstream-Journalismus, welche diese Zumutungen ihrerseits noch mit ihre Forderungen an die Menschen noch übel toppten, mehrte sich die Zahl der Menschen, welche daran dachte, auszuwandern.

Grundrechtseinschränkungen und fragwürdige Einschränkungen des Lebens – schlimm auch die Kinder betreffend – und dann sogar noch eine zunächst uns angedrohte Impflicht ängstigten die Menschen. Zudem mussten sich etwa Impfkritiker noch Politikern und Journalisten übel beschimpfen lassen. Selbst wirkliche und anerkannte Experten wurden angegangen und ausgegrenzt. Hinzu kam ein immer eingeengterer Meinungskorridor. Anderen Kritikern machte man mit Kontokündigungen das Leben schwer, oder sie verloren,weil sie sich nicht ständig testen lassen wollten, ihre Arbeitsstelle.

Kann man Menschen angesichts dessen verdenken, wenn sie an Auswanderung denken? Allerdings ist auch klar, dass es Menschen schwerfallen muss, die Heimat zu verlassen.

Ohne die Umstände vergleichen zu wollen, musste ich an Menschen im Dritten Reich denken, die sich damals veranlasst sahen Deutschland den Rücken zu kehren.

Oftmals sogar in Länder zu emigrieren, deren Sprache sie nicht einmal beherrschen.

Die Journalistin, Autorin und Friedensaktivistin Andrea Drescher, aus Deutschland stammend, aber schon länger in Österreich lebend, machte sich Gedanken, warum Menschen ausgerechnet in Russland ihre Freiheit suchen. Dem Land, welches dem Westen nicht das erste Mal in der Geschichte nun wieder einmal als das Reich des Bösen gilt und dessen Präsident Wladimir Putin sogar als ein neuer Hitler beschimpft wird. Dahin wollen also Menschen auswandern? Was sind ihre Beweggründe?

Andrea Drescher: Warum dieses Buch?

«Die Brücken zwischen Ost und West, zwischen Russland und Europa, sind hochgezogen, Russophobie greift um sich, „der Russe“ ist wieder Feind Nr. 1. Das war bereits zu Beginn des Krieges in der Ukraine absehbar.

Um diese Eskalation zu verhindern, gab es im Frühjahr 2014 die „Mahnwachen für den Frieden“, gibt es seit 2016 die „Druschba“-Fahrten und zahlreiche weitere Friedensinitiativen. Diese Aktionen haben das Bewusstsein der Mehrheit leider nicht erreicht, sodass die einseitige mediale Darstellung erschreckend erfolgreich ist. Viele sind erneut auf die anti-russische Propaganda reingefallen, verurteilen die andere Seite ohne sie zu kennen.

Aber – kaum zu glauben – es gibt Menschen aus Deutschland und Österreich, die freiwillig in Russland leben. Nun ja, manche nicht ganz freiwillig. Sie mussten Deutschland aus politischen Gründen verlassen, weil ihnen Gefängnis droht. Aber fast alle, die gegangen sind, schätzen das Leben und die persönliche Freiheit, die sie in Russland genießen, auch wenn es in mancher Hinsicht härter ist als im konsumverwöhnten Westen. Die ganz persönlichen Geschichten dieser Menschen, ihr Weg nach Russland, ihre Probleme in ihrem heutigen Leben – all das ermöglicht einen anderen Blick auf den Feind Nr. 1.

Gut ein Drittel der Befragten kannte ich vorher persönlich oder hatte schon länger mit ihnen Kontakt über soziale Medien. Nach dem eigenen Interview wurden mir dann weitere Kontakte zu anderen Auswanderern vermittelt. Nur in ganz wenigen Fällen habe ich das Interview anonymisiert, um meinem Gesprächspartner keine Schwierigkeiten zu machen.

Auch wenn es subjektive Blickwinkel sind, es sind authentische Blickwinkel von Menschen, die einen mutigen Schritt gewagt haben.

Sie bauen eine Brücke zwischen dem, „was man so hört“, und dem, „was ist“.

Einer der Leitgedanken der Friedensbrücke-Kriegsopferhilfe http://www.fbko.org lautet: „Wir wollen Brücken bauen in den Frieden!“ Darum kommt der gesamte Ertrag dieses Buches diesem Verein zugute, der Kriegsopfern in der Ukraine bereits seit 2015 hilft.«

Zunächst schreibt Andrea Drescher im Kapitel «Besuch bei „Feinden“ – eine Woche in Moskau« über eigene Eindrücke:

«In Zeiten von Krieg, Terroranschlägen und Reisewarnungen ist eine Reise nach Moskau keine normale Städtereise. Trotzdem „lohnt“ sich die Reise in meinen Augen. Nur wenn „normale Menschen“ in Kontakt bleiben, ist irgendwann nach dem Krieg wieder Normalität zwischen den Ländern möglich.

Die Sanktionen bei Flugbuchungen und Kreditkarten tragen allerdings dazu bei, dass sich viel weniger Menschen auf die Reise machen als früher. Es ist kompliziert – zumindest auf westlicher Seite. Der Sinn meiner Reise ist der Besuch bei einer Freundin, die als erste Deutsche in Moskau politisches Asyl bekommen hat. Ihr hauptsächliches „Verbrechen“ besteht darin, den falschen Kriegsopfern zu helfen. Die Opfer eines Krieges, der seit 2014 geführt, aber erst 2022 durch den russischen Angriff begonnen wurde, zu unterstützen, ist im Westen nicht erwünscht. Meine Freundin kann nicht mehr nach Deutschland zurück, daher nehme ich die Umstände der Reise gerne auf mich.

Seitens der Russen wird Europäern und sogar Deutschen die Einreise heute übrigens sehr viel leichter gemacht als in der Vergangenheit. Eine offizielle Einladung ist nicht mehr nötig, der meist zeitaufwendige Besuch in der Botschaft entfällt. Der Antrag für das E-Visum ist schnell ausgefüllt und innerhalb von vier Tagen – nicht Arbeitstagen – bereits im E-Mail-Posteingang.

Der Flug, der von Wien nur wenige Stunden dauern würde, ist jetzt allerdings eine Tagesreise. Die Routen über Baku, Belgrad oder Istanbul sind die „direktesten“ Möglichkeiten, um Moskau zu erreichen. Ich entscheide mich für die Strecke München – Istanbul – Moskau, weil ich zusammen mit Freunden aus Bayern fliegen möchte. Dass diese Reise ziemlich verrückt ist, wusste ich ja von Anfang an. Aber als wir von Istanbul kommend erst kurz vor Kaliningrad via Vilnius endlich Moskau ansteuerten, wurde mir die ganze Abstrusität nochmal so richtig bewusst. CO2 spielt da wohl keine Rolle. Aber ich muss sagen, die zunächst angezeigte Flugroute über Odessa und Briansk – also direkt über das Kriegsgebiet – hat meinen Blutdruck kurzfristig in die Höhe gejagt. Bis mich mein Verstand auf den gesperrten Luftraum hinwies, ging mir MH17 nicht aus dem Kopf. Doch am Bildschirm des Flugzeugs war zunächst nur eine schematische Darstellung einer direkten Verbindung zu sehen – nicht sehr nervenschonend, aber … was soll’s.

Zoll- und Passkontrollen waren problemlos, wir waren schnell durch und am Ausgang erwartete man mich schon. Schnell noch eine SIM-Karte beschaffen, die es ebenfalls direkt hinter dem Ausgang gab, von meinen Mitreisenden verabschieden und schon saß ich im Taxi auf dem Weg zu meiner Freundin.

Vorab gesagt: Ich bin weder Russlandexperte noch befähigt, mich nach einer Woche in Moskau über Stadt, Bewohner oder die politische Situation qualifiziert zu äußern. In späteren Artikeln gebe ich meine Gespräche mit Menschen wieder, die schon länger in Russland leben und viel konkretere Erfahrungen haben. Im Folgenden nur Impressionen, die ich durch reiseerprobtes Hinschauen und verschiedene Gespräche sammeln durfte. Ohne Anspruch auf irgendetwas – es sind Eindrücke und kein Wissen.

Alte Prachtbauten, neue Prachtbauten, Plattenbauten, hässliche Bauten, Substandard. Relativ wenig sichtbare Armut, extrem viel Verkehr, breite Straßen im 6- bis 8-spurigen Autobahnformat. Überall Straßenreinigung, man sorgt für Ordnung. Nirgends, wo es mich hintreibt, ist es so heruntergekommen wie bei uns in Österreich oder insbesondere Deutschland. Und ich halte mich in dieser Woche nur einen Tag im Zentrum auf. Obdachlose sehe ich nicht, auch wenn sie sicher auch vorhanden sind. Aber sie kommen im Stadtbild nicht ständig vor – im Gegensatz zu Berlin, Wien, Linz … wo man sie beim besten Willen nicht mehr übersehen kann.

Ich habe nirgendwo so viele verschiedene Ethnien auf einen Blick gesehen wie in Moskau. Das Land bzw. die Stadt sind Vielvölkerstaat bzw. -stadt im besten Sinne des Wortes, wobei es, wie man mir erzählte, wohl deutliche wirtschaftliche Ungleichheiten zwischen den Gruppen gibt.

Deutscher so extrem liebenswürdig entgegentrat und sogar eine Friedenstaube, Schokolade und ein Buch schenkte, hat mich enorm berührt.

Auf der Rückreise gab es noch ein besonderes Erlebnis. Im ganzen Moskauer Flughafen kann man keine Zigaretten kaufen, auch nicht im Duty-FreeShop. Das war für meine Begleiter ziemlich unangenehm. Der Mitarbeiter des Flughafenpersonals, der ihnen diese Hiobsbotschaft überbrachte, war aber so nett und hat ihnen ein Päckchen Zigaretten geschenkt. Er wollte partout kein Geld annehmen. Es gibt sie definitiv, die freundlichen Menschen in Moskau.

Was in der Metro ebenfalls positiv heraussticht ist die Tatsache, dass jüngere Menschen immer aufstehen, wenn ältere Herrschaften (wie ich) einsteigen und es keinen freien Sitzplatz gibt. Das ist angenehm. Immerhin: Einmal hat mich eine Frau sogar in der Metro angelächelt. Und ich habe zurückgelächelt. Wir haben uns ganz bewusst angelächelt, obwohl uns die Sprache fehlte und uns über die Smartphone-Zombies, die um uns herum saßen, non-verbal amüsiert. […]«

Chancen und Herausforderungen betreffs eines Lebens in der Russischen Föderation

«Die fasst die Seite Moya Rossiya (1) zusammen, wobei ich hier bewusst nur die Herausforderungen zitiere.

1. Bürokratische Barrieren: Einwanderungsverfahren und Arbeitsgenehmigungen sind oft komplex, kostenintensiv und zeitaufwändig.

2. Soziale Integration: Die Eingliederung in die russische Gesellschaft kann schwierig sein, besonders bei Sprachbarrieren.

3. Arbeitsbedingungen: Manche Migranten sehen sich mit ungünstigen Arbeitsbedingungen konfrontiert, wie langen Arbeitszeiten oder niedrigeren Löhnen.

4. Rechtliche Unsicherheit: Ohne klaren rechtlichen Status oder nur mit vorläufigen Arbeitsgenehmigungen erleben viele Migranten eine unsichere Zukunft.

5. Prekäre Beschäftigungsverhältnisse: Die strikte Gesetzgebung und das Risiko des Verlusts von Visum oder Aufenthaltserlaubnis führen zu Abhängigkeit und Ausnutzbarkeit.

6. Indirekte Diskriminierung: Migranten stoßen schon bei der Wohnungssuche auf Hindernisse, was oft auf dem Wohnungsmarkt zu ihrem Nachteil ausgenutzt wird. […]

https://de.moyarossiya.com

Ich sprach auch nicht nur mit Exilanten. Dank der Kontakte meiner Freunde hatte ich die Möglichkeit, einen Veteranen des Holocausts und einen Veteranen des Krieges im Donbass zu treffen und kurze Interviews mit ihnen zu führen.«

Hinweis: Im Buch wird darüber später nähere Auskunft gegeben.

Die Querdenkerin

«Dagmar Henn war schon immer eine notorische Querdenkerin, kein Wunder,

dass sie mit der jetzigen deutschen Regierung die eine oder andere Diskrepanz hatte. Diese Diskrepanzen waren so massiv, dass sie es vorzog, im Mai 2022 nach Russland auszuwandern«, schreibt Andrea Drescher.

In Russland arbeitet sie für eine in der EU verbotenes

Medium. Drescher: «Dieses zu erwähnen kann ggf. auch für mich als Interviewerin Folgen haben. Ich ziehe es daher vor, den Namen des Mediums zu vermeiden.«

Warum sie nach Russland ging, sagt sie im Interview: «Der Hauptgrund war, dass über meinen Arbeitgeber das Angebot bestand, hierherzukommen. Ich weiß nicht, was anderenfalls passiert wäre. Ich weiß auch nicht, wie es weitergegangen wäre, wenn ich aufgehört hätte zu schreiben und in Deutschland geblieben wäre. Aber sagen wir es mal so: Das, was gerade in Deutschland passiert und derzeit von Deutschland angerichtet wird, macht mich enorm wütend. Hier in Russland habe ich die Möglichkeit, diese Wut durch mein Schreiben auszuleben. Wäre ich in Deutschland geblieben, hätte ich das Bedürfnis,

diese Wut zumindest in politisches Handeln umzusetzen, aber dafür ist die deutsche Linke zu zerstört. Das politische Handeln wäre mir also nicht möglich gewesen. Aber wenn ich diese ungeheure Wut in mir habe, jedoch über keinen Kanal verfüge, diese irgendwie zu artikulieren und konstruktiv zu nutzen … Es wäre nicht gut gegangen.«

Henn schätzt ein, dass sie momentan nicht in die BRD zurückkehren könnte. Sie müsse befürchten verhaftet zu werden.

Journalist Gert-Ewen Ungar wollte es wissen

Manch einen mag es verwundern, dass der schwule Pädagoge in der Sozialpsychiatrie und freiberuflichen Journalist Gert-Ewen Ungar ausgerechnet nach Moskau ging. Sicher, er hat einen Partner, in Moskau, welchen er immer wieder besuchte. Glaubt man den westlichen Leben, ergeht es Homosexuellen in Moskau übel. Andrea Drescher:

«Auch wenn die sexuelle Orientierung eines Menschen keine Rolle spielen sollte, bei Gert-Ewen Ungar ist sie von Bedeutung. Dass ein bekennender Homosexueller freiwillig nach Moskau auswandern kann, lässt sich mit dem westlichen Narrativ nicht ganz in Einklang bringen.

Ich habe in Berlin gelebt und als Pädagoge in der Sozialpsychiatrie gearbeitet. Nebenbei war ich als freiberuflicher Journalist für ein inzwischen in Deutschland verbotenes russisches Medium tätig. Inzwischen arbeite ich vollberuflich als Journalist und schreibe für den deutschen Kanal dieses russischen Mediums über politische Themen.

Andrea Drescher fragt Ungar: Warum bist du gegangen?

«Gute Frage. Wenn man für ein russisches Medium schreibt so wie ich, der ich dort viele Meinungsbeiträge veröffentlicht habe, wird man in Deutschland beschimpft. Dann ist man Propagandist Putins und macht russische Propaganda. Das Narrativ ist in Deutschland in den Köpfen ganz fest verankert«

Wer Gert-Ewen Ungars Texte rezipiert erfährt u.a., dass es etwa in Moskau vielfältiges schwules Leben geführt werden kann. Einer der größten Schwulenklubs in Europa soll es dort geben. Solange niemand öffentlich sozusagen Propaganda für Homosexualität macht, lebe man dort als Homosexueller völlig ohne Probleme.

Ungar: «Der erste Kontakt mit dem Land entstand tatsächlich aufgrund des LGBT-Propagandagesetzes. Es war 2013, als Russland seinen Jugendschutz verschärfte und die Propaganda für gleichgeschlechtliche Lebensweisen mit der Verbreitung von Pornografie gleichgestellt hat. Da gab es in Deutschlandzahlreiche große Proteste. Bei einem Protest, der damals vor der russischen Botschaft stattfand, war ich auch dabei. Aber danach schoss es mir durch den Kopf: „Also eigentlich können die dir alles erzählen“. Damals hieß es, die Schwulen und Lesben werden durch die Straßen Moskaus getrieben, gejagt und verprügelt. Mir wurde schlagartig klar: Ich weiß einfach nicht, was wirklich wahr ist. Über das Internet habe ich daraufhin Kontaktzu Schwulen in Russland gesucht, fand Kontakt zu Dima, der mich einlud, ihn zu besuchen. So kam ich zum ersten Mal nach Russland, konnte noch kein Wort Russisch und wir sind dann hier von einer queeren LGBT-Bar in die nächste gefallen. Ich dachte mir nur: „Was erzählen die mir in Deutschland eigentlich?“«

Der Auslandskorrespondent

Nicht im russischen Exil befindet sie der Journalist Ulrich Heyden. Er arbeitet als ausländischer Korrespondent in Moskau.

Andrea Drescher: «Ulrich Heyden verfügt über langjährige und fundierte Expertise, wenn es um das Leben aber auch die politische Situation Russlands geht. Seine Erfahrungenfasste er in seinem Buch „Mein Weg nach Russland – Erinnerungeines Reporters“ ausführlich zusammen. Ich traf ihn in Moskau,um auch die Situation eines Deutschen kennenzulernen,der schon länger im Land lebt. Im Gegensatz zu seinenKollegen, die erst seit Kurzem im Land sind, ist er freiwillig nach Moskau gegangen und kannauch problemlos nach Deutschland zurückkehren.

Unproblematisch ist seine Lage als Journalist aber auch nicht, da er, wie seine Kollegen, das Mainstream-Narrativ nicht teilt«.

Einige Aufträge als Auslandskorrespondent deutscher Medien hat er bereits verloren. Er schreibt aber etwa noch für NachDenkSeiten.

Sie lesen ein interessantes Porträt, verehrte Leser!

Was das Buch, mit der Reihe der darin versammelter Interviews so interessant macht, sind die unterschiedlichen Charaktere von verschiedener Herkunft samt ihrer unterschiedlichen Biografien und Ansichten.

Der Kulturmanager

Nicht im russischen Exil, aber mit Hauptwohnsitz in Russland ist auch Hans-Joachim Frey eine interessante Personalie zu nennen.

Andrea Drescher erfuhr von ihm: «Vor die Wahl gestellt, auf die Aufgabe als Leiter der Dresdner Opernball

GmbH oder auf seine Tätigkeit für das Bolschoi-Theater in Moskau zu verzichten, war für Hans-Joachim Frey die Entscheidung klar. Er hat seit 2020 Russland zu seinem Wohnsitz gewählt und besitzt seit 2021 die russische Staatsbürgerschaft, die ihm ehrenhalber verliehen wurde.« Frey ist ein deutscher Kulturmanager und Neffe von Schauspieler Armin Müller-Stahl.

Ich kann das Interview-Buch nur wärmstens empfehlen. Andrea Drescher hat die dafür befragten Damen und Herrn sensibel und aufmerksam befragt.

Als Leser erfahren wir u.a. auch viel Geschichtliches und realpolitische Aspekte und bekommen Denkanstöße. Angenehm: Hier wurden nicht die üblichen westlichen und oder oft übel aufstoßenden deutschen Narrative bemüht und auch nicht irgendwie am Rande verstärkt, die mit der Realität, respektive mit der Wahrheit wenig, mit Propaganda jedoch viel zu tun haben.

Allerdings braucht hier niemand der potenziellen Leser die Sorge umtreiben, das Buch sei eine Art Werbebuch, nach Russland auszuwandern. Auszuwandern bedarf eines großen Drucks, der sich über Jahre aufgebaut hat. Und ohne die Landessprache zu beherrschen ist das kein einfaches Unterfangen. Auch die fehlende Kenntnis der Kultur und des Lebens des fremden Landes können Hürden sein, sich einzuleben. Einzig Menschen jüngeren Alters vermögen sich da leichter zu tun.

Nicht allen nach Russland gegangenen Menschen haben es geschafft, sich einzuleben.

Was auch an einem Beispiel im Buch aufscheint:

«Im russischen Exil: Der „Frischling“ unter den Exilanten« (S.75), ist die Geschichte überschrieben. Es geht um einen Journalisten, dessen Arbeiten ich bereits lange verfolge. Er ist Journalist, Blogger, Sprecher, Podcaster, Autor und Moderator. Zunächst trieben ihn die Zustände in Deutschland – die Angst, dass sich der Weg in den Totalitarismus nicht mehr umkehren ließe – im November 2023 nach Ungarn.

Andrea Drescher fragte ihn: «Und warum hast du Ungarn im April 2024 schon wieder verlassen?

Der Journalist antwortet: «Das war eigentlich eine logische Konsequenz. Ungarn ist für mein Empfinden das beste Land innerhalb der EU, aber auch dort werden Entscheidungen

im Sinne der EU getroffen, die ich nicht mittragen kann – insbesondere die militärischen Entscheidungen – Stichwort Ukrainehilfe. Und dann hat

Victor Orbán im Rahmen des Gaza-Konfliktes nicht für eine Waffenruhe gestimmt, sondern sich nur enthalten. Das fand ich skandalös.«

Seine Konsequenz: Er packte abermals seine sieben Sachen und machte sich auf einen beschwerlichen Weg («Der Umzug nach Ungarn war im Vergleich zur Übersiedelung nach Russland ein Kindergeburtstag«) – mit dem Auto mit zwei Hunden – drin nach Russland.

Das vorläufige Ende vom Lied: Dieser Gesprächspartner von Andrea Drescher ist inzwischen wieder in die EU zurückgekehrt. Andrea Drescher dazu: «Dass Auswandern nach Russland leicht ist, kann man nicht behaupten. Seine politischen Positionen bleiben jedoch davon unberührt.«

Fazit

Prädikat lesenswert und informativ. Leseempfehlung! Empfehlen Sie das Buch gerne weiter. Der Erlös fließt einem guten Zweck zu.

Das Buch:

Andrea Drescher: Im russischen Exil Von Menschen, die in Russland ihre Freiheit suchen

Inhalt

Warum dieses Buch? 5

Besuch bei „Feinden“ – eine Woche in Moskau 7

Von der Münchner Stadträtin zur Moskauer Exilantin 19

LGBT und trotzdem ungefährdet im russischen Exil 28

Nicht im russischen Exil: Ein ausländischer Korrespondent

in Moskau 38

Leben in Russland: Freiwillig im Krieg 49

Friedensaktivistin im russischen Exil 56

Gut, wenn man zwei Pässe hat: Ein Deutsch-Russe im Exil 66

Im russischen Exil: Der „Frischling“ unter den Exilanten 75

44 Jahre Russland-Erfahrung: Ein „alter Hase“ erzählt 82

Gut, wenn man ein zweites Zuhause hat: Ein Ex-AfD-Politiker

in Russland 95

Nicht im russischen Exil, aber Hauptwohnsitz Russland 105

Nicht mehr im russischen Exil: Gescheitert an der Bürokratie 113

Im russischen Exil: Putins Propagandaprinzessin kann nicht

mehr zurück 121

Im russischen Exil: Kaliningrad statt Moskau 133

Im russischen Exil: Nachtwölfe sind in Deutschland nicht

willkommen 141

Unfreiwillig nach Deutschland ein-, freiwillig nach Russland

ausgewandert 150

Noch nicht im russischen Exil, aber hinter dem Eisernen Vorhang 156

Im russischen Exil sind „Macher“ willkommen:

Wenn Unternehmer gehen 164

Auch Österreicher ziehen Richtung Russland: Vom Druschba-

Fahrer zum Einwanderungshelfer 174

Im russischen Exil: Vom Wirtschaftsanwalt zum ausländischen

Agenten 185

Klopapier aus Russland – Findige Unternehmer sind

„im russischen Exil“ gern gesehen 191

Der Braindrain aus dem Westen kann beginnen 199

Aus der Pfalz nach Wladiwostok: Für ein friedliches Leben ist

kein Weg zu weit 202

Auch Kinder fliehen ins russische Exil – wenn ihre Mutter

die falsche Meinung hat 211

Im russischen Exil nach Einreiseverbot nach Deutschland 218

Ukrainerin im russischen Exil: From Masha with Love 231

Zum Schluss: Ich sage DANKE! 244

Zur Autorin 245

Impressum

© 12/2024

WELTBUCH Verlag GmbH, Sargans (CH)

http://www.weltbuch.com

ISBN 978-3-907347-33-1

1. Auflage, Deutsch

Dieses Buch ist auch als E-Book erhältlich

unter der ISBN 978-3-907347-39-3

Buchsatz: xxxxxxx, Dirk Kohl, Weltbuch Verlag GmbH (Sargans/CH)

Coverdesign: xxxxxx

Alle Rechte vorbehalten, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen

Wiedergabe und der Einspeicherung in elektronische Systeme. Gedruckt in der

Europäischen Union

Pflichtangaben bzgl. Verordnung zur allgemeinen Produktsicherheit GPSR der Europäischen Union:

Idee/Verlag/Koordination: WELTBUCH Verlag GmbH, Bahnhofpark 3, 7320 Sargans (CH)

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Herstellung (Papier, Druck, Bindung): PRINT GROUP Sp. z o.o., ul. Cukrowa 22, 71-004 Szczecin (PL)

admin@booksfactory.de, www.booksfactory.de

Preis: 19,90 €

Autorin

Andrea Drescher, Jahrgang 1961, lebt als deutsche Staatsbürgerin seit 25 Jahren in Oberösterreich. Sie war beruflich als Informatikerin und Unternehmensberaterin tätig, die letzten 25 Jahre davon selbstständig. Mit ihrer kleinen Agentur hat sie Einzelunternehmen, mittelständische Firmen aber auch internationale IT-Konzerne betreut. 

Aufgrund der Shoa-Historie ihrer Familie ist sie seit ihrer Jugend überzeugte Antifaschistin und war in Deutschland bereits Ende der 70iger Jahre in der linken Friedensbewegung und bei den Grünen aktiv. Damals brachten Themen wie der NATO-Doppelbeschluß und die Anti-Atomkraftbewegung noch hunderttausende auf die Straßen. 

Aus beruflichen Gründen lange Zeit eher unpolitisch, wurde sie durch einen Vortrag von Dirk Müller, einem Börsenprofi aus Deutschland, der über das Geldsystem referierte, 2008 wieder politisiert. Seit 2014 ist sie „auf der Straße“ aktiv, zunächst bei den „Mahnwachen für den Frieden“, die auf den drohenden Ukraine-Krieg aufmerksam machten. Während der Corona-Krise war sie als Maßnahmenkritikerin in Linz, Wien, Salzburg und Steyr aber auch in verschiedenen Städten Deutschlands unterwegs. Jetzt liegt der Schwerpunkt ihres Aktivismus wieder auf dem Thema Krieg & Frieden und insbesondere der Neutralität Österreichs. 

Sie schreibt für TKP.at, manowa.news, free21.org und andere alternative Medienprojekte. Der Ertrag ihrer Bücher darunter „Selbstversorgertipps“, „Menschen mit Mut“ und „Vor der Impfung waren sie gesund“ kommt zu 100 % Kriegsopfern zugute.

Hinweis:

Hier finden Sie meinen Beitrag auf Radio München:

Auf Radio München.

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 Anbei

Dieser Tage auf der Facebook-Seite der Botschaft der Russischen Föderation in Berlin

„📣 Liebe Freunde,

Wir möchten Sie darüber informieren, dass die Initiative „Welcome to Russia“ in Russland offiziell gestartet wurde. Das Hauptziel besteht darin, denjenigen zu helfen, die die geistigen und moralischen Werte Russlands teilen und in Russland eine Zuflucht finden möchten.

Die Zahl der Anträge von Menschen, die in unser Land ziehen möchten, steigt täglich.

Nachdem der russische Präsident das Dekret über die Unterstützung für Personen, die nach Russland umziehen möchten, unterzeichnet hat, ist die Zahl der Interessenten auf mehr als 500 neue Mitglieder pro Tag in einer Gruppe in einem der sozialen Netzwerke gestiegen.

🔗 Mehr Informationen dazu finden Sie unter dem Link: https://welcome-to-russia.com/de/“

„Endspiel Europa“ von Ulrike Guérot und Hauke Ritz – Rezension

Für eine mit Herz und Verstand glühend viele Jahre sich für Europa engagierende Politikwissenschaftlerin wie Ulrike Guérot muss es schmerzhaft gewesen sein vom Scheitern des europäischen Projekts zu schreiben. Aber es zeugt eben auch davon, dass die Autorin sich nichts vormacht und realistisch auf den Zustand der Europäischen Union blickt. Und doch ist das zusammen mit dem Geschichtsphilosophen Hauke Ritz entstandene Buch „Endspiel Europa“ kein ausschließlich schwarz malender Abgesang auf das einstige Friedensprojekt. Dafür spricht der Untertitel des Buches: „Warum das politische Projekt Europa gescheitert ist – und wie wir wieder davon träumen können“

Um es gleich anzumerken: Dass auch hier wieder von Europa die Rede ist, wenn doch eigentlich die Europäische Union (EU) gemeint ist, behagt mir wie sooft auch hier nicht. Schließlich ist Europa einiges mehr als es die EU. Aber wir wissen ja was gemeint ist.
Gewidmet ist das Buch übrigens Michail Sergejewitsch Gorbatschow (1931 – 2022) und Jaques Delors (*1925). Für letzteren arbeitete Ulrike Guérot einst einmal.

Sobald Europa wieder erwacht, kehren Wahrheitsfragen in die große Politik zurück. Auf Dauer hängen Erfolge Europas von der Fähigkeit der Europäer ab, an ihre Rechte auf Erfolg zu glauben.“
So wird Peter Sloterdijk im Buch zitiert. Wird Europa wieder erwachen, oder wird es im Strudel falscher Entscheidungen und unter Führung unfähiger, nicht selten offenbar geschichtsblinder Politikerinnen und Politiker – denn wo sind heute Größen wie Helmut Kohl, Willy Brandt, Helmut Schmidt, Olof Palme und Bruno Kreisky? – absinken. Ich vermute einmal den USA gefiele Letzteres.

Denn es lässt sich – ganz ohne Häme, sondern mit Trauer – konstatieren, dass das heutige Amerika, sozial verwahrlost und kulturell ausgelaugt, nicht mehr jenes country of freedom ist, das die einstige Strahlkraft ausgemacht hat“, schreibt Ulrike Guérot in einem Gastbeitrag zu ihrem zusammen mit Hauke Ritz geschriebenen Buch für das neu auf dem Markt befindliche „Stichpunkt Magazin“.
Schließlich ist das Imperium USA längst auf dem absteigenden Ast. Wir wissen aus der Geschichte: alle Imperien sind über kurz oder lang gestrauchelt und schlussendlich gefallen. Mir scheint, die USA wollen diesen Fall noch lange dadurch hinausschieben, indem sie u.a. Länder der EU (maßgeblich gewiss Deutschland) weg- und niederdrücken, um selbst deren Stelle zu übernehmen. „Fuck the EU“ – wie die US-Unterstaatssekretärin Victoria Nuland einst sagte – so viel halten also die Vereinigten Staaten von der Europäischen Union.
Ja, es stimmt, wenn im Buch vom einstigen Friedensprojekt Europa die Rede ist. „Was für ein Verrat am Wesenskern Europas!“, schreibt Guérot auf den Ukraine-Krieg bezogen. „Europa, das hieß siebzig Jahre lang nie wieder Krieg! Während auf jedem Balkon die blaue Europafahne mit den zwölf gelben Sternen hängt und die EU eine europäische Friedenskonferenz einberufen müsste, nimmt Europa derzeit undifferenziert Partei für eine geeinte ukrainische Nation, die es in dieser Form nie gab, noch gibt, sondern die wie alle Nationen in Europa ein multi-nationales und multi-ethnisches Produkt der Geschichte ist.“
Siebzig Jahre lang nie wieder Krieg? Wir sind vergesslich. Weshalb hier eingewendet sei: Und statt dem Frieden zu dienen, hat die EU am Jugoslawien-Krieg mitgestrickt, ihn erst möglich werden lassen. Bomben geworfen sogar! Deutschland mit dabei! Die Autoren erinnern daran, dass der behauptete Genozid im Kosovo in dieser Form keiner war. Welchen aber die USA zum Grund nahmen, Belgrad bombardierten.
Wäre die EU das viel beschworene Friedensprojekt, hätte daran gearbeitet werden müssen, den Jugoslawien-Krieg zu verhindern. So ist es auch heute abermals mit dem Ukraine-Krieg. Statt ihn endlich über den Einsatz intensiver diplomatischer Mittel beenden zu helfen, werden Sanktionen über Sanktionen gegen Russland verhängt. Und Waffen über Waffen an die Ukraine geliefert, die den Krieg verlängern sowie nur noch mehr Tod und Zerstörung zur Folge haben. Doch wer Verhandlungen fordere, so schreiben die Autoren des vorliegenden Essays, gelte als Lumpenpazifist. Vieles erinnert an 1914.

Es ist ganz so, als hätte Europa sich entschieden, noch einmal alle Elemente von Kriegspropaganda, wie die belgische Historikerin Anne Morelli sie für den I. Weltkrieg aufgeschrieben hat, zu wiederholen: völlige Dämonisierung des Gegners, Reduzierung des Feindes auf eine Person („Putin“), fehlende Kontextualisierung, klare Teilung in Gut und Böse, empörte Abwehr von Mitverantwortung. Die Psychodynamik Kriegshetzer erinnert an 1914. Europa ist in der kompletten Regression!“
Was bis heute nicht entstanden ist, ist eine Europäische Union der Menschen. Und mit der Demokratie in der EU – man schaue sich nur die mangelnde demokratische Einbeziehung bzw. Kompetenz des Europäischen Parlaments bezüglich politischer Entscheidungen an – ist es nicht weiter her!
Guérot/Ritz haben all die Fehlschläge aufgeschrieben, die der EU in den vergangenen Jahrzehnten nicht gutgetan haben. Die gescheiterte europäische Verfassung, die Europroblematik, sowie die Finanzkrise und vieles andere mehr. Bitter, was Ulrike Guérot da zu Recht beklagt:

Das eine europäische Großprojekt Ever Closer Union, eine immer engere Europäische Union, besiegelt durch den Maastricher Vertrag von 1992. Das andere war der Aufbau einer kooperativen von dem kontinentalen Friedensordnung, jenes ‚europäische Haus von Lissabon bis Wladiwostok von dem Michail Gorbatschow sprach, besiegelt in der Charta von Paris vom November 1990. Beide sind heute, 2022, gescheitert. Europa muss dringend ganz mit der Kultur beginnen, wie damals schon Jean Monnet sagte.“
Schon eingangs des Buches weisen die Autoren daraufhin, dass `sie bewusst nicht die übliche westliche Brille aufgesetzt haben, wenn sie über den Ukraine-Krieg schreiben. Auch machen sie unmissverständlich deutlich, dass sie den russischen Einmarsch in die Ukraine als völkerrechtswidrig betrachten. Dem Stempel Putinversteher weisen unmissversändlich von sich. Zu Verstehen müsse man allerdings versuchen, was Putin, was Russland umtriebe, was wie und warum von Moskau getan und gefordert würde.
Im Essay heißt es: „Putin“ mag der Anlass sein für aktuelle Kopflosigkeit europäischer Politik, greift aber als Antwort zu kurz. Denn „Putin“ lenkt vom Eigentlichen ab! Das Eigentliche ist, dass die beiden europäischen Großprojekte, die 1989 am Ende des Kalten Krieges – am vermeintlichen ‚Ende der Geschichte‘ (Francis Fukuyama) – Hoffnungsträger für eine Neugestaltung des europäischen Kontinents waren, gescheitert sind. Daran ist nicht „Putin“ schuld, sondern Europa allein, das behaglich und geschichtsvergessen in einen „Westen“ gebettet hat, den es längst nicht mehr gibt, anstatt nach 1989 an seiner Emanzipation zu arbeiten.“
Ein informatives Essay der beiden Autoren Ulrike Guérot und Hauke Ritz. Es sollte gewiss und unbedingt zum Nachdenken anregen.
Wird womöglich Europa in dem Sinne erwachen und werden die Europäer an ihre Rechte auf Erfolg glauben, wie Peter Sloterdijk meint? Oder am Ende dran glauben müssen?
Gegen Ende des Buches lesen wir: „Es gilt zu fragen, ob es für Europa nicht ganz grundsätzlich andere Möglichkeiten gibt, mit dem Krieg in der Ukraine umzugehen, als sich Hals über Kopf in amerikanische Hände zu werfen: nämlich die, den Krieg in und um die Ukraine als Katalysator zu nehmen, um alles zu überdenken, was in den letzten Jahrzehnten an europäischer Entwicklung schiefgelaufen ist. Und sich dabei an den Wesenskerns Europas – nämlich ein föderales Friedensprojekt zur Überwindung der Nationalstaaten zu sein – zu erinnern.“ Weiter lesen wir: „Und an die Karte von sich selbst, an die Europa von 1534 und daran, was sie uns sagen möchte. Bis zum 500. Geburtstag dieser Karte wären noch ein paar Jahre Zeit, sich an die Heilung der Europa zu machen, diese wieder ganz werden und wieder mit den Füßen auf dem russischen Boden stehen zu lassen.“
Bedenken wir das Ende, wenn wir das nicht gebacken bekommen!

Übrigens lässt das Buch keinen Zweifel daran, dass die USA den Krieg in der Ukraine nicht nur gewollt haben, sondern Washington ihn auch intensiv und lange zuvor als Stellvertreterkrieg vorbereitet hat. In drei Kapiteln zeichnen die Autoren „für die 1990er, 2000er und 2010er Jahre in groben Strichen nach, wie und warum Europa in den letzten dreißig Jahren das, was eigentlich werden wollte, aus den Augen verloren hat und die EU als politisches Projekt spätestens seit der der Jahrtausendwende keine Chance mehr hatte“.

Mit diesem Essay wollen die Autoren dazu beitragen, Europa aus der Verdrängung und Selbstablehnung des Eigenen herauszuholen. Es geht ihnen um die letzte Chance eine europäischen Emanzipation. Wie dieser Krieg immer weiter eskaliert wurde zeigen die Autoren ab dem 24. März 2021, wo die Ukraine eine Militärstrategie verabschiedete, die die Wiedereingliederung der Krim sowie der Republiken Donbass und Lugansk fordert, bis hin zum hin zum 24. Februar 2022 als russische Truppen die Grenze zur Ukraine überschritten. Dazwischen lagen weitere Eskalationsschritte in Absprache mit NATO-Staaten.

Ulrike Guérot und Hauke Ritz weisen im Buch weiter vorn auf eben diese älteste Karte der Europa hin.

„Die älteste Karte der Europa“ – von welcher eben schon die Rede war – „von 1534, Europa Prima Pars Terre in Forma Virginis, „Europa, erster Teil der Erde, in Gestalt einer Jungfrau“, zeigt eine majestätische Frauenfigur, die den ganzen europäischen Kontinent abbildet. Spanien ist der Kopf und trägt die Krone. Francia ist die Brust, Germania das Herz, Großbritannia hängt lose am linken Arm, Italia ist der rechte Arm. Weiter im Bauch beziehungsweise im Unterleib der Europa befinden sich, lose angeordnet und ohne klare Grenzen, Polonia, Bulgaria, Albania, Rumania und Russia, die ganzen europäischen Völker eben. Die Karte endet mit einem üppig ausraffenden Kleid hinter Moskau im Norden und im Süden am Bosporus. Die Europa steht mit zwei Füßen fest auf der russischen Landmasse, während sie ihren Kopf
in den Atlantik neigt. Sicher hat man sich 1534 etwas bei dieser Karte gedacht, als man die Füße Europas nicht auf das Wasser des Atlantiks
gestellt hat. Dieser Europa wird jetzt der Garaus gemacht.“

Ulrike Guérot, Hauke Ritz

Endspiel Europa

Warum das politische Projekt Europa gescheitert ist und wie wir wieder davon träumen können

 
Seitenzahl: 208
Ausstattung: HCoSU
Artikelnummer: 9783864893902

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Über das Buch

Wie wir Europa retten können

Europa ist mit einem grausamen Krieg an seiner Grenze konfrontiert und steht dreißig Jahre nach Wiedervereinigung und Maastrichter Vertrag am Scheideweg. Ulrike Guérot und Hauke Ritz beleuchten in ihrem Essay „Endspiel Europa“ die Entwicklung der Europäischen Union seit 1992 und besinnen sich auf die ursprünglichen europäischen Werte und Ziele: ein souveränes Europa und eine kontinentale Friedensordnung. Die Entwicklungen, die dem Ukraine-Krieg vorangingen, beleuchten sie genau und bringen bisher weitgehend Unbekanntes ans Licht. Ulrike Guérot und Hauke Ritz fordern ein Umdenken hin zu einem eigenständigen Europa, das gegenüber Amerika und Russland als gleichwertiger Partner auftritt.

Ulrike Guérot

Ulrike Guérot studierte Politikwissenschaft, Geschichte und Philosophie in Bonn, Münster und Paris. Sie ist Professorin, Autorin und Aktivistin in den Themenbereichen Europa und Demokratie, mit Stationen in…

Hauke Ritz

Hauke Ritz studierte an der FU und HU Berlin. Nach seiner Dissertation im Fach Philosophie mit dem Schwerpunkt Geschichtsphilosophie wendete er sich verstärkt Fragen der Außenpolitik und Friedensforschung…