Die Digitalisierung führt zu einem
rasanten Wandel in Gesellschaft und Wirtschaft. Dies zeigt sich
besonders deutlich in der Entwicklung der Plattformökonomie. Dort
manifestieren sich auch die sozialen Herausforderungen des digitalen
Kapitalismus, der in seiner jetzigen Ausgestaltung in Form eines
knallharten Neoliberalismus enorme Machtasymmetrien schafft. Was vor
allem den Shareholdern der Monopol-Plattformen, wie Google, Amazon
und Facebook, zugutekommt. Vergangenen Donnerstag hatte die
Friedrich-Ebert-Stiftung zu einer Podiumsdiskussion unter dem Titel
„Genossenschaften in der Plattformökonomie. Für mehr Solidarität
im digitalen Kapitalismus“ in den Westfälischen Industrieklub nach
Dortmund eingeladen. Der Termin war gut gewählt, findet doch nächste
Woche der Digitalgipfel der Bundesregierung in Dortmund statt.
Schwerpunkt werden dort digitale Plattformen sein.
Von links: Claudia Henke, Dr. Jan-Felix Schrape, Dr. Christian Tribowski, Markus Sauerhammer und Christina Kampmann. Fotos: C. Stille
Wenn entstehende Plattformen mehr
als Kopien bekannter Tech-Giganten sein wollen, braucht es eine
gesellschaftliche und politische Auseinandersetzung mit Alternativen
In ihren einleitenden Worten zur
Podiumsdiskussion machte Henrike Allendorf von der
Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) darauf aufmerksam, dass digitale
Plattformen mittlerweile eine große wirtschaftliche Bedeutung haben.
Es sei in den letzten Jahren ein enormes Wachstum damit erreicht
worden. Unter den fünf größten Unternehmen der Welt seien
inzwischen drei digitale Plattformen – Facebook, Amazon und Google –
vertreten. Die erzielten enormen Profite kämen allerdings den
wenigen Plattformen und den Shareholdern zugute. Was nicht nur
politisch problematisch sei, sondern auch soziale Ungleichheiten
schaffe. Beleuchtet werden sollten an diesem Abend alternative
Organisationsformen für digitale Plattformen – Kooperativen oder
Genossenschaften. Die Diskussion um kooperative Plattformmodelle zum
jetzigen Zeitpunkt, so Allendorf, „ist umso wichtiger, da deutsche
und europäische Akteure im Vergleich mit den USA in der
Plattformökonomie noch eine marginale Rolle spielen“. Damit
künftig entstehende Plattformen mehr sind als Nachahmungen der
bekannten Tech-Giganten, brauche es eine gesellschaftliche und
politische Auseinandersetzung mit Alternativen. Allerdings sehen sich
solche Kooperativen oft politisch schwierigen Rahmenbedingungen
gegenüber.
Auswüchse in der Plattformökonomie
bringen Leute darauf, diese von den Bedürfnissen der Menschen her zu
denken
Den Impulsvortrag unter der Überschrift
„Solidarische
Plattformökonomie aber wie?“ wurde von Claudia
Henke, Mitbegründerin der Genossenschaft h3-o, aus Hamburg gehalten.
Sie verwies auf den Taxidienst Uber und deren App, die man in
unterschiedlichen Städten und Ländern nutzen könne. Auch auf
Amazon, wo man ja praktisch quasi fast alles bestellen könne.
Allerdings, merkte sie an, werde vergessen, dass wir als Nutzer
dieser Angebote gar nicht die Kunden sind: „Sondern wir sind das
Produkt. Wir sind die Ware.“ Schließlich würden unsere
persönlichen Daten gesammelt. Und wir wüssten weder was mit ihnen
passiere, noch hätten wir Einfluss darauf. Ebenfalls sei es auch
nicht so toll, wenn man in der Plattformökonomie arbeite. Etwa könne
Uber seine Bestimmungen ständig ändern, ohne das die
Uber-FahrerInnen etwas dagegen tun könnten. Auch falle es schwer
sich untereinander solidarisieren. Denn man wisse doch überhaupt
nicht wer noch für Uber fahre. Diese Plattformökonomien
verursachten massive Einwirkungen auf unsere Gesellschaft. Amazon
verändere unsere Innenstädte ungemein. Der Wohnungsvermittler
Airbnb habe negative Auswirkungen auf den kompletten Wohnungsmarkt.
Diese Auswüchse brächten jedoch Leute auch auf Ideen, wie man
Plattformökonomie auch anders denken könne. Henke: „Und
tatsächlich wieder von den Bedürfnissen der Menschen her. Und: Wie
könne man sie fairer gestalten?“ Eine demokratische Organisation
sollte es sein.
Als Beispiel nannte Henke Fairbnb, das
eine Alternative zu Airbnb sein will. Da soll darauf geachtet werden,
dass eine Wohnung nur im Falle der eigenen Abwesenheit vermietet
wird. Und Wohnraum nicht dem Wohnungsmarkt entzogen wird, wie das
mittlerweile via Airnbnb geschieht. Und Fairbnb will fünfzig Prozent
der Einnahmen sozialen Initiativen, die sich mit fairem Tourismus
auseinandersetzen, zur Verfügung stellen.
„Das gleiche Geschäft, aber in
fair“
Ein anderer Fall, so Claudia Henke, ist
der britische Online-Lieferdienst Deliveroo. Ende August entschied
sich der Lieferdienst ad hoc aus Deutschland zurückzuziehen. Wohl
hauptsächlich deshalb, um Betriebsräte zu verhindern. Die
Fahrradkuriere waren davon Ende August förmlich überrumpelt worden.
Doch sie hätten sich z.B. in Berlin auf unterschiedliche Weise
zusammengetan, um weiterzumachen. Diejenigen, erzählte Claudia
Henke, die schon gestartet sind, hätten tatsächlich Aufträge
bekommen. Organisiert vorerst über Kurznachrichtendienste.
Alternativen seien also durchaus möglich: „Das gleiche Geschäft,
aber in fair.“ Das möglicherweise ein Modellprojekt für andere
Plattformen sein könnte, findet Henke.
Herausforderungen
Auf solche Alternativen kämen jedoch
Herausforderungen bezüglich des Wachstumsmodells Plattformökonomie
zu. Es bräuchte natürlich eine Rechtsform. Ein Teil der
Essensauslieferer auf Rädern habe sich zusammengesetzt und sei dabei
auf die Rechtsform Genossenschaft gekommen. Doch letztendlich
entschieden sie sich dagegen und stattdessen für eine
Unternehmergesellschaft (UG, haftungsbeschränkt).
Henke hat festgestellt, dass die
Rechtsform Genossenschaft in Deutschland geradezu vergessen ist.
Selbst die Finanzämter seien zuweilen damit überfordert. Zum
Vergleich: In Italien gibt es 80.000, in Deutschland nur 8000
Genossenschaften, von denen 1500 inaktiv sind.
Claudia Henke: Ein „historisches
Zeitfenster für Innovation ist momentan geöffnet
Claudia Henke spricht bezüglich des
Aufbaus einer solchen Plattform von einer „sozialen Innovation“.
Was heiße, dass sie der Gesellschaft nütze und andere Dynamiken
erzeuge. Zunächst bräuchte Experimentierräume und einen Prototyp.
Und erklärte: „Das Internet ist zum Beispiel eine soziale
Innovation.“
Claudia Henke machte darauf aufmerksam,
dass wir es momentan mit einem „spannenden Zeitraum“ zu tun habe
– es „ein historisches Zeitfenster“ für Innovation geöffnet
sei. Und diese Innovation könne „unglaublich viel verändern“.
Wir hätten die Akteure und das Knowhow. Was uns hindere seien die
Rahmenbedingungen in Deutschland.
Podiumsdiskussion mit kompetenten
Gästen
Für die Podiumsdiskussion hatte man
interessante und kompetente Gäste gewonnen, welche Moderator Dr.
Christian Tribowski (Handelsblatt Research Institute) vorstellte:
Von links: Claudia Henke, Dr. Jan-Felix Schrape, Dr. Christian Tribowksi, Christina Kampmann und Markus Sauerhammer.
Die bereits erwähnte Claudia Henke,
Dr. Jan-Felix Schrape, Akademischer Mitarbeiter an der Universität
Stuttgart, Institut für Sozialwissenschaften, Christina Kampmann,
MdL NRW, Sprecherin im Ausschuss für Digitalisierung und Innovation,
in der NRW-Landesregierung Kraft Familienministerin sowie Markus
Sauerhammer (Vorstand Social Entrepreneurship Netzwerk Deutschland e.
V.) mit spannender Biografie: von der Hauptschule zum Landwirt, dann
über Umwege zum Startup-Business und anschließendes Studium.
Christina Kampmann: Die Politik muss
Machtasymmetrien reduzieren und digitales Prekariat verhindern
Christina Kampmann lobte die
Ursprungsideen vieler hier bereits erwähnter digitaler Plattformen.
Doch der Politik falle die Aufgabe zu die negativen
Begleiterscheinungen – wie die Machtasymmetrien – so zu
reduzieren, dass die Vorteile überwiegen, die Macht fairer verteilt
und digitales Prekariat verhindert werde.
Markus Sauerhammer: „Wir brauchen
vernünftige Rahmenbedingungen, um frei experimentieren zu können
Markus Sauerhammer meinte, es bräuchte
dringend auch Pioniere und Leute, die ein Risiko nicht scheuten, um
solche Plattformen ins Werk zu setzen und gab zu bedenken: „Wer
leugnet, dass die Welt gerade im Umbruch ist, der schaut nicht die
globale Entwicklung an. Wir brauchen vernünftige Rahmenbedingungen,
um frei experimentieren zu können.“
Claudia Henke ergänzte: „Wir
brauchen auch für Genossenschaften eine digitale Agenda.“
„Wir hören einander nicht mehr zu.
Jeder glaubt er weiß es besser zu wissen. Wir müssen die Probleme
beim Namen nennen, um gemeinsam auf Lösungen hinzu zu arbeiten und
die Leute sie ausprobieren können“, setzte Markus Sauerhammer
hinzu.
Vonnöten ist eine längerfristige
Förderung, eine gesellschaftliche Debatte „ohne Scheuklappen“ zu
führen und ein „Revival der Genossenschaft“ begrüßenswert
Dr. Jan-Felix Schrape sah eine
dauerhafte längerfristige Förderung über die typischen
Förderperioden hinaus dringend vonnöten. Dabei müsse eben auch in
Kauf genommen werden, dass neun von zehn Projekten vielleicht nicht
funktionierten.
Christina Kampmann regte an, einmal
eine gesellschaftliche Debatte „ohne Scheuklappen“ darüber zu
führen, was wir zwischen den Polen Kapitalismus und Sozialismus für
eine Wirtschaft wir eigentlich haben wollen, „die sich wirklich an
den Menschen orientiert“. Kampmann würde sich über ein „Revival
der Genossenschaft“ freuen.
Forderungen an den Digital-Gipfel
der Bundesregierung
Die vom Moderator den Gästen
abverlangten Forderungen an den nächste Woche in Dortmund
stattfindenden Digital-Gipfel der Bundesregierung lauten: Wenn die
Bundesregierung ständig von der Digitalisierung rede, so Markus
Sauerhammer, dann müsste endlich auch die digitalen Plattform als
Baustein dabei sein, „sonst lügen sie“. Auch für Christina
Kampmann ist klar, dass Genossenschaftsgedanke diesbezüglich dort
auch wieder „sexy gemacht“ werden müsse.
Der Digital-Gipfel könne einen Beitrag
dazu leisten.
Sicher ist sich auch Jan-Felix Schrape,
dass sich der Digital-Gipfel nicht nur mit der Regulierung von großen
Plattformen sondern auch mit der Förderungen von Alternativen
auseinandersetzen muss, weil ansonsten der Verbraucher auch nicht
wählen könne.
Er fände es auch begrüßenswert, wenn
die SPD das Thema in ihr nächstes Bundestagswahlprogramm aufnähme.
Fragen und Anregungen aus dem
Publikum
Im Anschluss an die Podiumsdiskussion
konnten aus dem Publikum noch diverse, in der Sache interessante,
Fragen rundum das Thema Genossenschaften und digitalen Plattformen an
die Gäste gestellt werden. Belichtet wurde ebenfalls der kritische
Gedanke, dass durchaus nicht alle Genossenschaften empfehlenswert
sind. Eine Genossenschaft ist immer nur so gut, wie die Leute, die da
drin sind“, merkte Claudia Henke an. Und es freilich auch Fälle
gegeben hat, wo sich Menschen in Genossenschaften bereichert hätten.
Gemeinwohlorientierung benötige auch Kontrolle. Durchaus, hieß es,
hätten grundsätzlich auch öffentlich-rechtliche Regelungen ihren
Platz in der Gesellschaft. Auch einige Anregungen kamen aus dem
Auditorium, welche die Gäste auf dem Podium dankbar aufnahmen.
Digital-Gipfel der Bundesregierung nächste Woche in Dortmund.
Am
19. September 2019 ist Dortmund in Bonn mit dem Label „StadtGrün
naturnah“ in Silber ausgezeichnet worden. Das Projekt wurde im
Bundesprogramm Biologische Vielfalt durch das Bundesamt für
Naturschutz mit Mitteln des Bundesumweltministeriums gefördert. Am
vergangenen Mittwoch wurde der Preis von Vertreter der Stadt
Dortmund, die mit „Grün“ zu tun haben gemeinsam auf dem
Hauptfriedhof Vertretern der Presse präsentiert. In drei Jahren wird
der Preisträger überprüft. Fest steht, dass das Konzept StadtGrün
naturnah nicht nur weitergeführt, sondern auch noch erweitert wird.
Die Entsorgung Dortmund GmbH, die einen Teil der Pflege des
Straßenbegleitgrüns übernommen hat, schließt sich der Ideee an.
Zur Präsentation gab sich Stadtrat Arnulf Rybicki bezüglich des
Preises hoffnungsvoll, künftig ein noch höherwertiges Edelmetall
erringen zu können. In drei Jahren wird die nächste Auszeichnung
vergeben.
Laudatorin
Prof. Beate Jessel: „Mit dem Label StadtGrün naturnah schafft das
Projekt zusätzliche Anreize, ausgetretene Pfade zu verlassen und
mehr Grün statt Grau in die Städte und Gemeinden zu bringen“
Die
Laudatio für die Preisträger in Bonn hatte Prof. Beate Jessel,
Präsidentin des Bundesamtes für Naturschutz gehalten und gesagt:
„Stadtgrün ist unverzichtbar, denn es schafft nicht nur
Lebensräume für Tiere und Pflanzen, sondern auch gesunde und
attraktive Lebensbedingungen für uns Menschen.“ Deshalb sei es
wichtig, „dass sich immer mehr Kommunen für eine naturnahe
Gestaltung und Aufwertung von Grünflächen starken machen“. Und
weiter: „Mit dem Label StadtGrün naturnah schafft das Projekt
zusätzliche Anreize, ausgetretene Pfade zu verlassen und mehr Grün
statt Grau in die Städte und Gemeinden zu bringen. Dass dies
gelingt, zeigen die 14 Projekte, die wir heute auszeichnen.“
Beworben hatten sich zunächst 51 Kommunen, von denen letztlich 14
nach einem gut einjährigen Verfahren mit einem Label ausgezeichnet
wurden. Honoriert wurden die Kommunen für die Entwicklung
artenreicher Wildblumenwiesen, das Pflanzen heimischer Sträucher und
das Entwickeln einer zeitgemäßen Grünflächenstrategie, die sich
zum Ziel setzt, die Artenvielfalt von Flora und Fauna in der Stadt zu
fördern und langfristig durch geeignete Maßnahmen zu sichern.
Ein
attraktives und gesundes Wohnumfeld schaffen und die Biodiversität
ist der Stadt verbessern
Es
geht darum, in naturnahen Parkanlagen und kommunalen Wälder,
zusammenhängenden Grünzügen, durch Baumgruppen oder gemischte
Baumalleen, heimische Sträucher und Staudenpflanzungen sowie
artenreiche Wiesenflächen ein attraktives und gesundes Wohnumfeld zu
schaffen. Notwendig dabei ist eine ökologisch ausgerichtete Pflege,
die z.B. mit veränderten Mähverfahren und Angeboten für
Rückzugs-Brutmöglichkeiten, um die Biodiversität in der Stadt
nachweislich zu verbessern.
Besonders
beeindruckt war der Labelgeber von den zahlreichen Aktivitäten auf
dem Dortmunder Hauptfriedhof
Dortmund
konnte sich im Labelingverfahren durch den Einsatz zahlreicher
BürgerInnen, Naturschutzverbände, Verein und der beteiligten
Fachämter mit seinen eingereichten Projekten im Vorderfeld der
ausgezeichneten Kommunen platzieren. Die positiven Auswirkungen der
veränderten Grünpflege lassen sich bereits an vielen Stellen im
Dortmunder Stadtbild erkennen. So sind bereits 30 Prozent der
öffentlichen Wiesenflächen in ein ökologisches und Artenvielfalt
steigerndes Pflegeprogramm überführt worden. Besonders beeindruckt
zeigte sich der Labelgeber bei einem Vor-Ort-Besuch von den
zahlreichen Aktivitäten auf dem Dortmunder Hauptfriedhof. So werden
dort z.B. Grabfelder mit alten (insgesamt 127 verschiedenen)
Obstsorten (die von den Hinterbliebenen abgeerntet werden) gestaltet
oder potentielle Zukunftsbäume gepflanzt, um sie auf ihre Eignung
zur Minderung von Klimawandelfolgen zu testen. Dortmund hat diese
Bedeutung frühzeitig erkannt und mit der Labelauszeichnung ein
plakative Bestätigung ihres Engagements zur Steigerung der
Artenvielfalt erhalten.
Stadtrat
Arnulf Rybicki bedankte sich bei allen Beteiligten herzlich
Am
Mittwoch kamen viele der Beteiligten auf dem Dortmunder Hauptfriedhof
zusammen, um das Label zu präsentieren: Der Dezernent für Bauen und
Infrastruktur, Arnulf Rybicki, Vertreter aus dem Tiefbauamt, dem
Umweltamt, den Sport- und Freizeitbetrieben Dortmund, den Friedhöfen
Dortmund und der Stadtentwässerung Dortmund. Bei allen Beteiligten
bedankte sich Stadtrat Rybicki herzlich für das großartige
Engagement.
Kurzrasenflächen
werden in Blühwiesen umgewandelt
Gute
Beispiele in Sachen Steigerung der Biodiversität können auf dem
Hauptfriedhof besichtigt werden. Etwa sind Kurzrasenflächen in
Blühwiesen umgewandelt worden. Das trifft auch auf Flächen im
Stadtgebiet (Hörde, Derne, Hombruch, an der Bornstraße, am Pumpwerk
Fredenbaum, an der Ardeystraße, auf dem Borsigplatz, oder die
Baumscheibe Berghofen) zu. Eine Wiese braucht etwa fünf Jahre bis
sie „steht“, wie die Fachleute sagen. Tiere wie etwa Hummeln und
Heuschrecken siedeln sich nach und nach an. Etwa 190 Hektar Fläche
sind im Stadtgebiet bereits umgestellt worden. Dazu bedarf es auch
einer Umstellung des Fuhrparks. Schon lange bevor an Fridays for
Future zu denken war, sei an diesen Projekten gearbeitet worden,
merkte Sylvia Uehlendahl, die Amtsleiterin des Tiefbauamtes an.
Private
Firmen sind bislang noch nicht am Projekt beteiligt. Man arbeite aber
daran, welche mit ins Boot zu bekommen.
Ohne
zusätzliche Mittel kann schnell ein Biotop geschaffen werden
Auf
dem Hauptfriedhof gibt es verkehrssicher heruntergeschnittene
Tothölzer, an denen sich Schadpilze zeigen, die anderswo im
Stadtgebiete dazu führen, dass Bäume gefällt werden müssen. Auf
dem Hauptfriedhof dienen sie Anschauungs- und Schulungszwecken. Gerd
Hettwer (Friedhöfe Dortmund) wies auch auf eine Wiese auf dem
Hauptfriedhof hin, die von Schafen beweidet wird. Das sei beim
Labelgeber sehr gut angekommen, weil so etwas auf Friedhöfen nicht
selbstverständlich sei. Auch gibt es Wasserflächen, auf denen
Holzbretter („Rettungsinseln“) installiert wurden. Dort können
sich Vögel sicher niederlassen, um zu trinken. Baumscheiben und
Wurzelteller sind stehengelassen worden. So könne ohne zusätzliche
Mittel schnell ein Biotop geschaffen werden.
Information
für die BürgerInnen und die FriedhofsmitarbeiterInnen
Es
ist vorgesehen, Informationstafeln sollen aufgestellt werden. Denn
immer wieder fragten Friedhofsbesucher, wann diese Tothölzer
abtransportiert würden. Nicht immer verstünden BürgerInnen, dass
bestimmte Maßnahmen gewollt sind. So würden nämlich absichtlich
bei manchen Wiesen im Stadtgebiet nur die Außenkante
(„Sauberkeitsstreifen“) gemäht. Das ließe manche Menschen
denken, die Stadt schludere dort. Naturverjüngung werde nun schon
seit 28 Jahren betrieben. Das heißt, Wildwuchs, der von allein
gekommen ist, lässt man weiter wachsen. Bäume, die erhalten werden
sollen, bekommen eine Manschette zur Information der gärtnerisch
tätigen MitarbeiterInnen verpasst.
Kostenneutral
erreichte Biodiversität und „ökologische Pflege“
All
diese Bemühungen hinsichtlich Biodiversität, warf Stadtrat Rybicki
ein, seien kostenneutral. Da habe er schon kritischen Fragen aus dem
Rat mit ruhigem Gewissen begegnen können. Manchmal ziehe man sogar
einen kleinen Nutzen daraus. Und manches, das vielleicht nachlässig
aussehe, sei gewollt, weil es zum Konzept gehöre und Gedanken
dahinterstünden. Es werde eben auch „geplant sozusagen
ausgewildert“. Auch sei eine sogenannte Saatgutübertragung
möglich. So könne Saatgut in andere Flächen in der Stadt
eingebracht oder künftig sogar an die BürgerInnen abgeben werden.
Georg
Hettwer fügte auf Anfrage an, dass er Unkraut grundsätzlich nicht
mehr Unkraut nenne. Vieles würde auf dem Friedhof stehengelassen.
Gegen invasive Arten allerdings gehe man indes an. Ebenso werde
Wildkraut beseitigt, wo das zwecks Verkehrssicherung vonnöten sei,
ergänzte Sylvia Uehlendahl. Es wurde klargemacht: Man lässt nicht
Verwildern. Man habe ein Konzept, das „ökologische Pflege“,
heißt.
Man
gebe sich viel Mühe, so Jürgen Hundorf, die Bevölkerung sozusagen
„mitzunehmen“. Denn bestimmte auf dem Friedhof oder im übrigen
Stadtgebiet angewandte Maßnahmen könnten auch im eigenen Garten
praktiziert werden.
Nun gehen alle Beteiligten, durch den erhaltenen Preis zusätzlich angespornt daran, auf den Preis „StadtGrün naturnah“ in Gold hinzuarbeiten.
Beitragsbild: Claus Stille
Von links nach rechts: Annette Kulozik, Geschäftsleitung der Sport- und Freizeitbetriebe Dortmund), Claudia Vennefrohne (TeamleitungLandschafts- u. Umweltplanung im Umweltamt), Georg Sümer (Teamleitung Gewässer bei der Stadtentwässerung), Martin Rüthers (Technische Dienste Grün im Tiefbauamt), Gerhard Hettwer (Hauptfriedhof Dortmund), Jürgen Hundorf (Technische Dienste Grün im Tiefbauamt), Arnulf Rybicki (Dezernent für Bauen und Infrastruktur) , Sylvia Uehlendahl ((Leiterin Tiefbauamt), Ralf Dallmann (Betriebsleitung Friedhöfe Dortmund)
„Sagen, was ist.“ – Dieser
Leitspruch des Gründers des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“,
Rudolf Augstein stammt noch aus Zeiten, da für diese Publikation
noch die Bezeichnung „Sturmgeschütz der Demokratie“ passend war.
Tempi passati! Böse Zungen bezeichnen den „Spiegel“ heute
inzwischen verächtlich als Bildzeitung für Intellektuelle. Doch das
Augstein-Motto „erinnert“ (noch heute), so SPIEGEL ONLINE am 4.
November 2012 auf Facebook, den 89. Geburtstag Rudolf Augsteins, „uns
jeden Tag beim Betreten des Hauses an die eigentlich einzige und
wichtigste Aufgabe von Journalisten.“ Ist das so? Einen gewissen
Claas Relotius hinderte es nicht daran, Lügengeschichten zu
schreiben.
Wenn Journalismus zur Glaubenslehre
wird
Der Westend Verlag fragt betreffs des Buches auf dessen Rückseite: „Sabotierte Wirklichkeit. Oder: Wenn Journalismus zur Glaubenslehre wird“ Marcus B. Klöckner: „Sagen Medien wirklich, „was ist“?“ und liefert die Antwort gleich hinterdrein: „Eindeutig nein! In den tonangebenden Medien ist ein kanonisierter Meinungskorridor entstanden, in dem unliebsame Fakten viel zu oft keinen Platz finden. Das Versagen der Qualitätskontrolle des Spiegel im Fall Relotius, die fehlgeleitete Berichterstattung zur Skripal-Affäre und die NATO-Reklame großer Nachrichtensendungen sind nur die prominentesten Beispiele einer grundlegenden Fehlentwicklung im Journalismus, die bereits bei der Rekrutierungs- und Ausbildungspraxis der großen Medienkonzerne beginnt. Anhand vieler konkreter Fälle zeigt Marcus B. Klöckner, wie Medien eine verzerrte Wirklichkeit schaffen, die ähnlich der viel gescholtenen Filterblasen der „sozialen“ Medien mit der Realität oft nur noch wenig zu tun hat. Die Konsequenzen sind weitreichend – für unsere Demokratie, für uns alle.“
Mein Eindruck vor Jahren: Vieles
stimmte da nicht. War zumindest schräg
Für mich persönlich begannen
bestimmte „Produkte“ des Journalismus besonders im Zuge der
Berichterstattung zu den Ereignissen in der Ukraine an zu riechen –
oder ganz wie man will: ein Geschmäckle zu entwickeln.
Da stimmte vieles nicht. War zumindest
schräg. Da wurde einseitig und antirussisch berichtet. Und es wurde
seither nicht besser.
Wachhund sein im Sinne der Vierten
Macht – Fehlanzeige!
Aber es begann schon vor der
Ukraine-Krise. Immer weniger wurde Journalismus dem gerecht, was mit
„Vierter Gewalt“ gemeint ist. Heißt, den Wachhund machen, den
Politikern gehörig auf die Finger schauen und eben: Sagen, was ist.
Schon in der Einleitung zu seinem Buch
schreibt Klöckner: „Ein Weltbildjournalismus bestimmt in weiten
Teilen der Mainstreammedien die Berichterstattung. Zwischen
Journalisten und Politikern herrscht weitestgehend ein
Nichtangriffspakt – Konflikte, die über eine Scharmützel
hinausgehen, finden sich allenfalls auf Nebenschauplätzen. Medien
loben wahlweise Merkels ‚Augenringe des Vertrauens‘ oder stimmen
(gemeinsam mit einem Teil der Politiker) in den Chor des
‚Uns-geht-es-doch-gut-Liedes‘ ein (S./10)“. Kritik von Rezipienten
an einzelnen Beiträgen wird abgebügelt und offenbar als Bedrohung
empfunden, Kommentarfunktionen zuweilen ausgeschaltet.
Zensur?
Gleich im ersten Kapitel geht es ab
S.17 um „Zensur“. Medienvertreter reagierten auf einen solchen
Vorwurf „gereizt“, heißt es dort. „Schnell wird beteuert, dass
einzelne Journalisten, aber auch komplette Redaktionen frei in ihren
Entscheidungen seien. Weder rufe Merkel persönlich an und diktiere,
welche Informationen in den Medien auftauchen dürfen, noch gäbe es
sonst eine ‚mächtige Gruppe‘, die ihnen vorschreibe, wie ihre
Berichterstattung auszusehen habe. Ist das nicht interessant? Auf der
einen Seite stehen Medienvertreter, die durchaus glaubhaft
versichern“, schreibt Klöckner, „dass sie keiner Zensur
unterworfen sind, während sich auf der anderen Seite ein Publikum
bemerkbar macht, das ebenso fest vom Gegenteil überzeugt ist.“
Uns doch, meint Buchautor Klöckner:
Zensur ist in unserem Mediensystem nicht die Ausnahme, sondern die
Regel
Freilich ist klar: Zensur als solche
wird nicht ausgeübt. Dennoch: Marcus B. Klöckner führt uns
LeserInnen dahin, „(…) zu erkennen, dass Zensur in unserem
Mediensystem nicht die Ausnahme, sondern die Regel ist. (S.12)“ Er
führt weiter aus: „Wir werden eine spezielle Form der Zensur
kennenlernen“, verspricht er, „die sich zwar in manchem von einer
staatlichen, einer von oben verordneten Zensur unterscheidet, aber in
ihrer Auswirkung kaum nachsteht. Es handelt sich dabei um eine
Zensur, die tief in unser Mediensystem eingeschrieben ist. In den
Medien ist das zu erkennen, was wir als eine
sozialstrukturell ausgeformte Zensur
sprachlich erfassen wollen.“
Medienwirklichkeit,
Schieflagen in der Berichterstattung und „Wirklichkeitsentgleisungen“
Ein
weiteres Kapitel befasst sich mit der Medienwirklichkeit. Und zwar
anhand von zahlreichen Beispielen, die veranschaulichen, „dass
Schieflagen in der Berichterstattung nicht einfach nur durch Fehler
bei der journalistischen Arbeit entstehen (die menschlich sind und
jedem passieren können) und dürfen), sondern auf
Wirklichkeitsentgleisungen mit Ansage zurückzuführen sind.“
Foto: Christian Evertsbusch, via Pixelio.de
Die
LeserInnen würden sehen, so Klöckner, „wie schwer und folgenreich
die Wirklichkeitsbrüche in der Berichterstattung sind, und
verstehen, dass wir gut daran tun, uns eine alte Erkenntnis des
deutschen Soziologen Niklas Luhmann in Erinnerung zu rufen“. „In
seiner berühmt gewordenen Auseinandersetzung zur Realität der
Massenmedien sagt Luhmann gleich zu Anfang: ‚Andererseits wissen wir
so viel über die Massenmedien, dass wir diesen Quellen nicht trauen
können.’“
Journalisten
und Politiker
In
weiteren Kapiteln des Buches betrachtet Klöckner die Beziehungen
zwischen Journalisten und Politikern und betrachtet, „was es
bedeutet, wenn Journalisten über Macht verfügen, Rederecht
abzusprechen oder anzuerkennen.“
Die
Oberfläche der Medienkritik durchdringen
Dem
Autor geht es hauptsächlich darum, „die Oberfläche der
Medienkritik zu durchdringen, um die mehr oder weniger verschleierten
sozialen Wirkprinzipien offenzulegen, die für eine Berichterstattung
mitverantwortlich sind, die dazu führen, dass viele Mediennutzer
glauben, die Medien müssten von irgendeiner verborgenen Macht
gesteuert werden.“
Faktoren,
die auf den Journalismus auch eine Wirkung haben
Andere
Faktoren, die auf den Journalismus freilich auch eine Wirkung haben,
wie Besitzverhältnisse in den Medien, Pressekonzentration,
hochproblematische Arbeitsbedingungen, schlechte Bezahlung von
Journalisten, Zeitdruck, fehlende Möglichkeit und Finanzierung von
investigativen Recherchen und Auswirkungen, die sich aus den
Gesamtproduktionsbedingungen und Herrschaftseinflüsse (S.14) sind
bewusst außen vor gelassen worden, so Klöckner – will sie aber
keineswegs kleinreden.
Die
Medien einer genaueren Betrachtung zu unterziehen ist gelungen
Mit
dem vorliegenden Buch ist gut gelungen, die Medien einer genaueren
Betrachtung zu unterziehen und „ihr Sein und einige ihrer
Funktionsweisen vor allem aus einem kritisch soziologischen
Blickwinkel“ heraus zu „betrachten“.
Die
beschriebenen Vorgänge dürften dem Laien verständlich werden
Stellenweise
ist das Buch zwar durchaus komplex. Es habe Nachteile und Vorteile,
wie der Autor selbst schreibt. Die Nachteile haben damit zu tun, dass
ein breiter Leserkreis erreicht und zu diesem Behufe nicht zu tief in
sozialwissenschaftlich Theorien hinein getaucht werden sollte. Denn
das Buch ist immer so verfasst, dass darin beschriebene Vorgänge
auch dem Laien – der überwiegenden Mehrheit also der
Medienrezipienten – immer verständlich werden.
Jedenfalls
ist es m.E. gelungen, wenigstens einige Gründe, „die für die
schweren Verwerfungen im journalistischen Feld verantwortlich sind“,
wie Klöckner noch in der Einleitung dargelegt hat, „anschaulich“
zu machen. Vorteil ist, dass den LeserInnen dennoch Möglichkeiten an
die Hand gegeben werden, sich auch in etwas bezüglich komplexeren
wissenschaftlichen Theorien kundig zu machen und sie zu verstehen,
ohne zu tief in deren Breite und Vielschichtigkeit einzudringen.
Und
ich stimme unbedingt dem letzten Satz in der Einleitung zu: „Die
Schäden an unserem demokratischen System, die durch die Medien
verursacht werden, die weitestgehend ihrer Wächterfunktion nicht
mehr nachkommen, sind bereits gewaltig.“
Journalisten
mit Stallgeruch und Überzeugungstäter
Nebenbei
bemerkt: Es sind vielmehr andere Faktoren, die Journalisten
dazu bringen, so zu schreiben, dass manch Rezipient auf die Idee
kommt, da wurde Zensur auf den Schreibenden ausgeübt. Das geht
subtiler. Einerseits hat es mit der Herkunft von Journalisten zu tun:
Viele kommen aus Akademikerhaushalten und haben einen bestimmten
Stallgeruch verbunden mit einem vorgeprägten Denken, das mit einem
bestimmten Weltbild zu tun hat. Dann gibt es auch eine Reihe von
Überzeugungstätern, wie etwa Claus Kleber (ZDF-heute journal), der
als Kuratoriumsmitglied der Atlantikbrücke überzeugt ist gewiss
hundertprozentig von dem, was er von sich gibt. Der kann gar nicht
anders und fühlte sich offenbar pudelwohl dabei, während vielen
Zuschauern der Hut hochgeht, wenn sie hören müssen, was Kleber so
von sich gibt und wie er mit bestimmten Interviewpartnern umspringt.
Autor Marcus B. Klöckner hat ein
Kommentar zum Erscheinen seines Buches „Sabotierte
Wirklichkeit“verfasst:
„Zensur ist in unseren Medien keine Ausnahme, nichts worüber
es erst einmal zu diskutieren gälte. Sie ist Realität. Journalismus
ist zudem vor allem in den Zentren der diskursbestimmenden Medien zu
einer Art Glaubenslehre geworden. Zuerst das eigene Weltbild
bedienen, dann kommen die Fakten.“
Folgt man den Darstellungen und Einlassungen hochrangiger Akteure
aus den Medien zu ihrer eigenen Zunft, dann lässt sich sehr oft
folgender Eindruck gewinnen: Ja, individuelle Fehler passieren, ja,
es gibt Fehlentwicklungen im Journalismus, aber im Großen und Ganzen
liefern Medien eine ausgezeichnete Berichterstattung ab. Zensur? Ein
ideologisch kontaminierter Journalismus? Eine Berichterstattung, die
herrschaftsnah ist? Gerade auch in den Qualitätsmedien? Nichts davon
gibt es, so der Tenor. Mit dieser skizzenhaften Zeichnung jener
Grundhaltung, die verstärkt vor allem in den Zentren der
diskursbestimmenden Medien zu finden ist, wird sichtbar, warum es
Mediennutzer so schwer haben, mit ihrer Kritik im journalistischen
Feld Gehör zu finden. Ein Problem zu beheben, setzt voraus, das
Problem auch zu erkennen. Wenn aber Alphajournalisten mit Nachdruck
selbst schwere und schwerste Verwerfungen und Schieflagen innerhalb
ihrer Branche nicht einmal ansatzweise erkennen wollen oder erkennen
können, dann wird sich im Journalismus und in den Medien nichts
ändern.
Wer Medien über einen längeren Zeitraum beobachtet, wer sich
genauer mit dem journalistischen Feld kritisch auseinandersetzt, kann
nur zu einem sehr düsteren Befund kommen. Der französische
Soziologe Pierre Bourdieu wurde einmal im Hinblick auf die Medien in
Frankreich gefragt, ob er das journalistische Milieu für
reformierbar halte. Seine Antwort darauf: „Die Lage spricht sehr
dagegen.“ Das war, wohlgemerkt, bereits im Jahr 1995. Bourdieu
verstand die mehr oder weniger verschleierten sozialen
Wirkmechanismen, aber genauso auch die Dimensionen von Macht und
Herrschaft, die sich gerade auch in einem so wichtigen Feld wie dem
journalistischen finden lassen, sehr genau. Viele seiner Einlassungen
zu den Medien können wir, mit Abstrichen hier und da, auch auf die
Medien in unserem Land und auch auf die Medien in vielen anderen
demokratischen Ländern übertragen. Wer mit Bourdieus
Herrschafts- und Gesellschaftsanalysen Medien, Journalismus und das
Verhalten von Journalisten näher betrachtet, kann erkennen, dass, um
es salopp zu sagen: Hopfen und Malz verloren ist. Eine
sozialisationsbedingte Blindheit aufseiten nicht unbeträchtlicher
Teile der Journalisten gegenüber real vorhandenen Macht- und
Unterdrückungsverhältnissen, die auch in demokratischen
Regierungsformen existieren; ein mehr oder weniger naiver Glaube an
die Lauterkeit von Institutionen und Mandatsträgern; real
existierende Herrschaftseinflüsse auf die Medien;
Konzentrationsprozesse genauso wie prekäre Arbeitsbedingungen für
nicht wenige Journalisten. All das führt zur Untergrabung eines
Journalismus, wie er eigentlich sein sollte und wie er für eine
gesunde Demokratie lebensnotwendig ist.
Festzustellen ist: In unserem Mediensystem hat sich eine Zensur
verfestigt, die ohne externen Zensor funktioniert und aus dem
journalistischen Feld selbst kommt. Die soziale Zusammensetzung
innerhalb der Medien, der Ausschluss nahezu ganzer Schichten und
Milieus aus dem journalistischen Feld, die Dominanz bestimmter
Weltanschauungen in der Berichterstattung, haben dazu geführt, dass
bestimmte Perspektiven, Meinungen, Thesen und Ansichten mindestens
innerhalb der diskursführenden Medien nahezu völlig atomisiert
sind. Wir haben es in unserem Mediensystem mit einer
sozialstrukturell ausgeformten Zensur zu tun, die tief in den
Wahrnehmungs- und Denkschemata eines beträchtlichen Teils der
Feldakteure verankert ist. Zensurhafte Einzelentscheidungen
potenzieren sich, eine medienübergreifende, dauerhafte Zensur
entsteht. Die Unterdrückung all jener Perspektiven, die für
Irritationen bei der Fraktion der „Weltbildjournalisten“ sorgt,
ist nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Je politischer ein Thema
ist, umso stärker werden die wertvollen journalistischen
Kriterien der Auswahl und Gewichtung von Nachrichten und
Informationen pervertiert – im Sinne der im journalistischen Feld
vorherrschenden politischen Glaubensüberzeugungen.
Es ist davon auszugehen, dass viele Journalisten selbst nicht
einmal erkennen, wie tief das Zensurhafte in ihren Entscheidungen
mitschwingt. Unter anderem auch deshalb, weil ihnen die positiven
Rückmeldungen aus dem Feld vermitteln, dass ihre Auswahl und
Gewichtung von Informationen und Themen genau „richtig“ sind.
Der Journalismus unserer Zeit trägt Züge einer Glaubenslehre.
Die reinsten aller Wahrheiten findet sich vorgeblich in den
Wirklichkeitsdarstellungen der großen Medien. Nur wer diese
Wahrheiten akzeptiert und verinnerlicht, darf „sprechen“,
sich zu Wort melden. Die Hinterfragung der Medienrealitäten, ja, gar
die Fundamentalkritik an den in der Berichterstattung vorherrschenden
Überzeugungen, kommt einem Akt der Ketzerei gleich.
Viele Bürger, viele Mediennutzer erkennen, dass mit unseren
Medien etwas nicht stimmt. Sie beobachten Tag für Tag, dass Medien
gerade dann, wenn es wirklich darauf ankommt, immer wieder nicht so
funktionieren, wie sie es sollten.
Sie erkennen, dass die Ansichten und Meinungen von Journalisten zu
oft mit denen der Eliten und Machteliten konform gehen.
Wer sich näher mit der Sozialisation von Journalisten
auseinandersetzt, die soziale Zusammensetzung des journalistischen
Feldes betrachtet und Gedanken über den Rekrutierungsmodus der
Medien macht, kommt zu dem Ergebnis, dass das Medienfeld aufgrund der
in ihm vorhandenen sozialen Realitäten gar nicht in der Lage ist,
dauerhaft und durchgehend diesen von Bürgern so sehr geforderten
herrschaftskritischen Journalismus abzuliefern.
Der nüchterne Befund lautet: Das journalistische Feld ist in
seiner Breite nicht dazu ausgelegt, „die da oben“ so zu
kritisieren, wie es angebracht wäre (man denke als positives
Gegenbeispiel an den Auftritt
https://www.youtube.com/watch?v=zxS4JJ17h1c
des niederländischen Journalisten Rob Savelberg bei der
Pressekonferenz zur Vorstellung des Koalitionsvertrages der neu
gewählten Bundesregierung im Jahr 2009). Kritische Mediennutzer
erkennen, dass es unsichtbare, implizit ausgehandelte rote Linien
zwischen Journalisten und Politikern gibt, die als Grenzen festlegen,
was als legitime Kritik erlaubt ist und was nicht. Anders gesagt: Das
Versagen des Journalismus, wenn es darum geht, den Mächtigen richtig
auf den Zahn zu fühlen, hat maßgeblich mit dazu beigetragen, dass
politische Weichensteller über Jahrzehnte eine Politik betreiben
konnten, deren Auswüchse sich nun immer deutlicher abzeichnen.
Armut und speziell auch Kinderarmut in Teilen unserer Gesellschaft,
katastrophale Fehlentwicklungen im sozialen Wohnungsbau, die
Ausbreitung neoliberaler Denkkategorien bis ins Innerste von Politik
und Gesellschaft, und, nicht zuletzt: Ein Umgang mit unserer Umwelt,
der für uns alle nun zu einer Bedrohung geworden ist.
Man muss es so deutlich sagen: Medien tragen an diesen
Entwicklungen Mitschuld. All die unterlassenen kritischen Fragen, all
die Beschönigungen, die wir unentwegt aus den Medien hören („uns
geht es gut“), die offene oder mehr oder weniger verschleierte
Unterstützung der Herrschenden von Journalisten, durch die selbst
die größten Schweinereien noch flankiert werden (Kriege,
Kriegsstimmung schüren, Stichwort: Russland): Der herrschaftsnahe
Journalismus ist die täglich zu beobachtende Realität.“
Quelle: Westend Verlag
Nicht einmal Journalisten selbst
wollen den Kern der Probleme in ihrer Branche verstehen
Das Erschreckende für mich: Spricht
man mit Journalisten – wie ich das kürzlich während eines Treffs
von Medienleuten tat – über den realen üblen Zustand des
Journalismus in diesem unserem Lande, gestehen die zwar zu, dass da
einiges im Argen ist. Mitnichten aber erkennen sie anscheinend die
Grundprobleme. Wollen nicht mitbekommen haben, dass die Tagesschau
kaum noch ihrer Aufgabe nachkommt, Nachrichten so zu überbringen,
dass ich mir als Rezipient selbst eine Meinung bilden kann –
sondern im Gegenteil mir quasi verklickert wird, was ich zu denken
habe! Und nicht nur allein bei der Tagesschau ist das so. Da wird
Meinung gemacht. Das wird immer öfters Papageien-Journalismus
betrieben. Da wird nicht nur die Meinung der Bundesregierung oder der
Nato herausgetrötet. „Papageien-Journalismus“ leitet sich
wohl von einer Typisierung von „Verlautbarungsjournalismus“
(Definition: kritiklose Berichterstattung in den Medien zu mehr oder
weniger vorgegebenen Themen in mehr oder weniger vorgegebener
Darstellung) ab, wie sie bereits Kurt Tucholsky prägte, der von den
„Papagei-Papageien“ gesprochen hatte, die einfach nur etwas
nachplappern, was man ihnen vorsetzt – wie verwendet in einem
Beitrag
von Wolfgang Lieb, einem früheren Herausgeber der „NachDenkSeiten“.
Eine bedenkliche Entwicklung
Ja, im Journalismus ist einiges im
Argen. Und immer mehr Menschen erkennen dies. Doch nicht genug. Es
sollten mehr werden. Eine wirklich äußerst bedenkliche Entwicklung
gerade in Zeiten, da unsere Demokratie bedroht und auch schon schwer
angekratzt ist. Mich als gewesener DDR-Bürger, der nicht nur in
diesem verflossenen Land oft mit Kopfschütteln und Magengrummeln
Medien rezipiert, sondern als Volkskorrespondent selbst auch für sie
ehrenamtlich schreibend tätig war, schmerzt dieser Zustand des
Journalismus umso mehr. Für gewöhnlich bin ich nicht naiv. Doch in
der Umschwung- und Wendezeit Ende 1989 schrieb ich aufgekratzt –
zuvor über Ungarn in den Westen gedüst- an meine hauptamtlichen
JournalistenkollegInnen in meiner zuständigen Redaktion in Halle an
der Saale von der Festung Ehrenbreitstein über dem Deutschen Eck aus
Koblenz auf einer Ansichtskarte optimistisch, sie könnten wohl nun
endlich freien und kritischen Journalismus machen. Ein bisschen
schäme ich mich heute dafür.
„Wir brauchen ein neues
Mediensystem“ obwohl mit Bordieu gesagt die Lage „sehr dagegen“
spricht
Ich zitiere nochmal Pierre Bourdieu
(wie ihn der Autor Marcus B. Klöckner oft in seinem Buch zu Wort
kommen lässt): Frage an Pierre Bourdieu: „Kann sich dieses Milieu
[das der Journalisten]
reformieren?“ Antwort Bourdieu (im Jahr
1995: „Die Lage spricht sehr dagegen.“ (S. 215)
Klöckner hebt in seinem Fazit so an:
„Der erste Schritt hin zu einem fundamental herrschaftskritisch
ausgerichteten Journalismus besteht darin, die journalistischen
Produkte radikal zu hinterfragen.“
Das geschieht. Lösungsmöglichkeiten
müssen dann folgen. „Wir brauchen ein neues Mediensystem“ hat
Klöckner sein „Fazit“ überschrieben. Und wohl auch andere
Personen an den Schlüsselpositionen in den Medien – Ketzer!
Klöckner zitiert Rupert Lay (katholischer Theologe, Psychotherapeut
und Unternehmensberater) bezüglich der Definition dieses Wortes:
Ketzer seien Menschen, „die an der Peripherie, weitab vom
ideologischen Zentrum stehend, neue Antworten auf alte Fragen geben;
neue Fragen stellen, die Antworten einfordern, die unangenehm, die
beängstigend sind und nicht konform gehen mit der allgemeinen
Selbstverständlichkeit“.
Um zuzuspitzen, so Klöckner, könnte
man nun rufen: „Ketzer in die Redaktionen!“ Was vielleicht zu
einfach wäre.
Recht aber hat Klöckner: Wir brauchen
ein neues (herrschaftskritisches) Mediensystem. Aber gleichermaßen
auch damit: dass dann gerade in der Hochzeit des brutalen,
gesellschaftszerstörenden Neoliberalismus auch mit harte Gegenwehr
zu rechnen ist.
Und ebenfalls damit, dass wir uns
gerade deshalb „darüber im Klaren sein“ müssen, „dass eine
tatsächlich funktionierende Presse für unsere Gesellschaft von
elementarer Bedeutung ist. Und gibt der Autor zu bedenken: „Je
herrschaftsnaher Medien sind, je weniger Medien bereit sind,
politische Weichenstellungen fundamental zu kritisieren, umso
wahrscheinlicher wird es, dass Politik sich mehr und mehr an den
Interessen der Eliten und Machteliten in unserer Gesellschaft
ausrichtet.“
Verschwindet die Wächterfunktion
journalistischer Medien, bricht eine zentrale Säule der Demokratie
weg
Mit dem zunehmenden Wegbröckeln bzw.
Verschwinden der Wächterfunktion journalistischer Medien, werde es
so sein, „als wäre eine zentrale Säule der Demokratie
weggesprengt worden.“ Viele Bürger würden erkennen, stellt
Klöckner fest, „dass weder Politik liefere, was sie solle, noch
Medien lieferten, was sie versprächen. Ergo würden sich auch immer
mehr Bürger im Klaren darüber sein, „wie groß die Gefahren sind,
die sich aus einem Journalismus ergeben, der zu einer fundamentaler
Herrschaftskritik kaum noch in der Lage ist“.
Zu Recht stünden die Medien in der
Kritik, resümiert Marcus B. Klöckner. Ich schließe mich seiner
Hoffnung an, dass „noch mehr Bürger begreifen, wie groß die
Gefahren, die sich aus einem dysfunktionalen Mediensystem ergeben,
sind.“
„Wo aber Gefahr
ist, wächst / Das
Rettende auch“, heißt es in der ersten Strophe der
15strophigen Hymne „Patmos“ von Friedrich Hölderlin. Ist
das so?
Ich halte es mit Klöckner: „Die
Kritik an den Medien muss noch lauter werden.“
Das hier besprochene Buch wird
zweifellos kompetent dazu beitragen. Es gesellt sich aus meiner Sicht
verdienstvoll zu einer Reihe ebenfalls hervorragender im Westend
Verlag erschienener medienkritischer Bücher hinzu. Es sagt, was ist!