80 Jahre Hiroshima und Nagasaki:Atomwaffeneinsätze waren völkerrechtswidrig

Berlin, 05.08.2025 – Anlässlich des 80. Jahrestages der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki am 6. und 9. August 1945 bekräftigt die deutsche Sektion der Internationalen Juristinnen und Juristen gegen Atomwaffen (IALANA), dass der Einsatz von Atomwaffen gegen ganze Städte Japans bereits zum damaligen Zeitpunkt eine eklatante Verletzung des geltenden Völkerrechts darstellte.

„Die Zerstörung von Hiroshima und Nagasaki wird oft als schrecklicher, aber notwendiger Schlusspunkt des Zweiten Weltkriegs dargestellt. Diese Erzählung ignoriert eine entscheidende Tatsache: Der Einsatz von Atomwaffen war nach den damals bereits existierenden und anerkannten Normen des Völkerrechts, speziell des Kriegsvölkerrechts, illegal“, erklärt Amela Skiljan, Co-Vorsitzende von IALANA Deutschland. „Es handelte sich nicht um eine rechtliche Grauzone, sondern um einen klaren Bruch mit den fundamentalen Prinzipien der geregelten Kriegsführung.“

Schon lange vor 1945 hatte die internationale Gemeinschaft in Verträgen und im Völkergewohnheitsrecht klare Grenzen für die Wahl der Kriegsmittel statuiert. In der Petersburger Erklärung von 1868 einigten sich die europäischen Staaten dahingehend, dass der Einsatz von Waffen, die unnötiges Leid verursachen, verboten ist. Dieser Grundsatz wurde in weiteren völkerrechtlichen Verträgen ausgeweitet und so zu Völkergewohnheitsrecht. Dazu zählt die Haager Landkriegsordnung (1899, ergänzt 1907). Sie hältin Artikel 22 fest, dass die Kriegsparteien „kein unbeschränktes Recht in der Wahl der Mittel zur Schädigung des Feindes“ haben. Artikel 25 verbietet den Angriff auf unverteidigte Städte, und Artikel 27 fordert den Schutz von zivilen und medizinischen Einrichtungen. Der Einsatz einer Waffe, die ganze Städte auslöscht und Generationen schädigt, ist mit diesen Prinzipien unvereinbar.

Der gewohnheitsrechtlich gültige Entwurf zum Luftkriegsrecht von 1922 bestimmt in Artikel 22: Luftbombardement zum Zwecke der Terrorisierung der Zivilbevölkerung, der Zerstörung oder Beschädigung privaten Eigentums, das nichtmilitärischen Charakter trägt, oder der Verletzung von Nichtkombattanten ist verboten.

Auch weitere völkerrechtliche Verträge, die 1945 schon galten, untermauern die Rechtswidrigkeit der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki. Die Genfer Abkommen von 1864, 1906 und 1929 etablierten den allgemeinen Schutz von Kriegsopfern und Kampfunfähigen. Das Genfer Giftgasprotokoll von 1925, das den Einsatz von chemischen und bakteriologischen Waffen verbietet, dient als wichtiger Vergleichsmaßstab: Die Wirkung der radioaktiven Strahlung ist in ihrer Grausamkeit und Langfristigkeit mit der von Giftgas nicht nur vergleichbar, sondern sogar gravierender.

Im wegweisenden Shimoda-Urteil vom 7.Dezember 1963 kam auch das Landgericht Tokio zu dem Schluss, dass die Bombardierung von Hiroshima und Nagasaki nach den damals geltenden Regeln der Luftkriegsführung eindeutig völkerrechtswidrig war.

Ein bis heute nicht geahndetes Kriegsverbrechen

Am 8. August 1945 – zwei Tage nach Hiroshima und einen Tag vor dem Abwurf der Atombombe auf Nagasaki – unterzeichneten die Alliierten das Londoner Statut für den Internationalen Militärgerichtshof (IMT). Dieses Statut definierte Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, für die deutsche und japanische Führungspersonen in Nürnberg und Tokio zur Verantwortung gezogen wurden. In Artikel 6 werden unter Kriegsverbrechen, also der Verletzung der Kriegsgesetze oder -gebräuche, u.a. aufgeführt: „die mutwillige Zerstörung von Städten, Märkten oder Dörfern oder jede durch militärische Notwendigkeit nicht gerechtfertigte Verwüstung“. Die in Nürnberg etablierten Prinzipien gelten als universelles Gewohnheitsrecht und hätten auch auf die Verantwortlichen für die Atombombenabwürfe Anwendung finden müssen. Wie der amerikanische Chefankläger Robert H. Jackson zu Beginn des Nürnberger Prozesses feststellte: „Wir dürfen nie vergessen, dass der Maßstab, nachdem wir diese Angeklagten beurteilen, der Maßstab ist, nachdem die Geschichte uns morgen beurteilen wird.“

Die weitere Entwicklung des Völkerrechts nach 1945 hat diese Einschätzung nur verfestigt. Die Generalversammlung der Vereinten Nationen hat in einer Reihe von Resolutionen, insbesondere der Resolution 1653 (XVI) von 1961, den Einsatz von Atomwaffen als „Verbrechen gegen die Menschheit und die Zivilisation“ und als Verletzung der UN-Charta bezeichnet. Das Gutachten des Internationalen Gerichtshofs (IGH) von 1996 hat bestätigt, dass nicht nur der Einsatz, sondern bereits die Androhung des Einsatzes von Atomwaffen grundsätzlich völkerrechtswidrig ist. Die erwartbaren schrecklichen globalen Wirkungen auch eines begrenzten Einsatzes von Atomwaffen haben 2017 dazu geführt, dass 122 Staaten den Atomwaffenverbotsvertrag beschlossen, um das „Nie wieder Hiroshima und Nagasaki“ zu stärken.

„Die 80 Jahre seit Hiroshima und Nagasaki sind eine Mahnung. Die völkerrechtliche Verurteilung des Einsatzes von Atomwaffen ist heute stärker denn je und schließt auch die menschenrechtliche Dimension mit ein, die 1945 rechtlich noch nicht verankert war“, so Heiner Fechner, Co-Vorsitzender der IALANA Deutschland, abschließend. „Wir fordern die Staatengemeinschaft und speziell die deutsche Bundesregierung auf, sich auf diese rechtlichen und humanitären Grundlagen zu besinnen und den Atomwaffenverbotsvertrag zu unterstützen und umzusetzen. Ein derartiges Verbrechen gegen die Menschlichkeit darf sich niemals wiederholen. Dazu bedarf es konkreter Schritte.“

IALANA Deutschland fordert von der Bundesregierung

  • Hilfe für Opfer von Atombombeneinsätzen
  • die Beendigung der nuklearen Teilhabe, insbesondere die Einstellung des Übungsbetriebs zum Einsatz von Atomwaffen durch das Taktische Jagdbombergeschwader 33 der Bundesluftwaffe, die Beendigung der Lagerung von US-Atomwaffen in Deutschland und die Einstellung der Beteiligung an Atomwaffenübungen
  • die Unterstützung und Ratifizierung des Atomwaffenverbotsvertrags (AVV).

Eine Bewahrung der Menschheit vor der Geißel des Krieges kann es nur ohne Atomwaffen geben.

Quelle: Presseerklärung IALANA

Beitragsbild: Logo IALANA

In Dortmund-Eving wird jetzt mahnend an die Rolle Emil Kirdorfs als Hitler-Förderer erinnert

Von Ulrich Sander

Im Juli 2018 titelten die RuhrNachrichten im Dortmunder Lokalteil: “Die braune Vergangenheit des Emil Kirdorf: Verwirrung um verschwundene Tafel”. Und weiter hieß es: “Der Industrielle Emil Kirdorf förderte den Aufstieg von Adolf Hitler. In der nach ihm benannten Siedlung in Dortmund Eving sollte vor Jahren eine Mahntafel aufgestellt werden. Von ihr fehlt jede Spur.” Zur Vorgeschichte hieß es: “Einstimmig beschloss die Bezirksvertretung Eving bereits 2011 die Aufstellung einer solchen Tafel und stellte dafür 10.000 Euro zur Verfügung. Fast sechs Jahre nach dem Beschluss ist von der Tafel noch weit und breit nichts zu sehen. Gibt es sie überhaupt. Und wenn ja, wo ist sie abgeblieben?” Dem Beschluss lag ein Antrag der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten zu Grunde.

Im November 2023 hieß es in den RuhrNachrichten unter Bezugnahme auf eine Erklärung der Grünen: “Ein Mahnmal, das auf die problematische Nazi-Vergangenheit von Emil Kirdorf hinweist, soll in der Kirdorf-Siedlung aufgestellt werden. An der Umsetzung hapert’s.”

Weitere zwei Jahre später teilte Oliver Stens (SPD), Evinger Bezirksbürgermeister, den Abgeordneten nunmehr unter dem Datum des 21. Juli 2025 mit: “Der Beschluss der Bezirksvertretung zur Aufstellung der Kirdorf-Stele ist umgesetzt und die Stele aufgestellt.”

„Warum es 14 Jahre dauerte, den Beschluss umzusetzen, kann nur als Mischung aus Schildbürgerstreich und skandalöser Frechheit verbunden mit Geschichtsklitterung bezeichnet werden“, meinte dazu ein Sprecher der VVN-BdA. Es sei beispielsweise die Aufstellung der Mahntafel “im Vorfeld von Wahlen mit erheblichen Hürden verbunden” gewesen, so hatte Stens behauptet. Eine Hürde sei wohl, so die VVN-BdA, die Tatsache gewesen, dass aus der Gedenkstätte Steinwache eine Bewertung des Emil Kirdorf ebenso verschwand wie auch der Raum mit dem Titel “Die Schwerindustrie setzt auf Hitler”. Warum? Weil angeblich neue Erkenntnisse die Aussage über die Schwerindustrie nicht mehr zuließen, so das Stadtarchiv.

Die Konzerne der Schwerindustrie aus dem Ruhrrevier gehören allerdings zu den Unterzeichnern einer Erklärung von 49 Konzernleitungen zum 80. Jahrestag des 8. Mai 1945, dem Tag der Befreiung von Krieg und Faschismus. In dem späten Geständnis, das vom ehemaligen IG Farben-Betrieb Bayer AG initiiert worden ist, heißt es:

„Die Machtübernahme durch die Nationalsozialisten 1933 wäre ohne das Versagen der damaligen Entscheidungsträger in Politik, Militär, Justiz und Wirtschaft nicht denkbar gewesen. Deutsche Unternehmen trugen dazu bei, die Herrschaft der Nationalsozialisten zu festigen. Auf ihren eigenen Vorteil bedacht, waren viele Unternehmen und ihre damaligen Akteure verstrickt. Heute übernehmen wir als deutsche Unternehmen Verantwortung, die Erinnerung an die Verbrechen der NS-Zeit sichtbar zu machen.”

Die Erklärung der Konzerne ist wohlfeil und kostet sie nichts – so vermuten man offenbar. Doch die Zeit der Entschädigungen ist nicht zu Ende, wie man einer Forderung antnehmen kann, die von der VVN-BdA aufgestellt wurde: Es sollen die Erben der ökonomischen Eliten der Hitlerzeit zu gunsten der Nachkommen der Opfer, vor allem der Zwangsarbeiter enterbt werden. Und die Geschichtsklitterung, wie sie mit der Beseitigung des Raums 7 mit der Anklage der Schwerindustrie verbunden war, muss auch beendet werden. Mit der Stele zu Kirdorf wird ein Anfang gemacht, wenn auch nach langem Zögern. Nunmehr wird das Verbrechen des Emil Kirdorf auch in Eving andeutungsweise sichtbar gemacht, und zwar mit diesen Worten auf der Stele:

„Emil Kirdorf – 8.4.1847 – 13.7.1938 – Die Kolonie Kirdorf ist eine Bergbausiedlung. Erbaut wurde sie 1912-1913 von der Gelsenkirchener Bergwerks AG im Stil einer Gartenstadt für Arbeiter und benannt nach ihrem Generaldirektor Emil Kirdorf. – Als er 1873 bei der GBAG eintrat, förderte das Unternehmen auf zwei Zechen 156 000 t Kohle. Als er sie 1926 – nach 53jähriger Leitung – verließ, war sie zum größten Kohlenbergbauunternehmen Deutschlands und Europas geworden. – Emil Kirdorf war politisch ein Reaktionär und sah in der Person Bismarcks den deutschen Gedanken verwirklicht. Er war von Beginn an ein entschiedener Gegner der Weimarer Republik und betätigte sich deshalb früh und aktiv als Förderer des Aufstiegs Adolf Hitlers. Von 1927 bis zu seinem Tode war er mit Unterbrechungen Mitglied der NSDAP. –
Stadt Dortmund“

Siehe dazu auch: https://www.nordstadtblogger.de/?s=Emil%20Kirdorf

Die Entschädigungsforderung der VVN-BdA sieht vor, aus dem Erbe der Profiteure des faschistischen Raubkrieges und der Zwangsarbeit im Naziregime den Nachfahren der Zwangsarbeiter/innen den vorenthaltenen Lohn nachzuzahlen. Dies geschehe analog den aktuellen Regelungen zur Rückgabe von durch Nazis geraubten Kunstschätzen an die Erben der Opfer. Die VVN-BdA erklärte:

„Die Schuldigen aus den Kreisen der ökonomischen Eliten blieben bisher unbestraft, und ihr Wirtschaftssystem gehörte zu den Wurzeln des Faschismus. Den Hinterbliebenen der Räuber darf die Beute nicht länger gehören.“

Folgende Rechnung ist in diesem Zusammenhang von Bedeutung: Es gibt in Deutschland derzeit 132 Milliardäre. 71 Prozent dieser Milliardäre sind deshalb so reich, weil sie Milliardenvermögen geerbt haben. Zum Vergleich: Von den 2800 Milliardären, die es weltweit gibt, haben nur 36 Prozent ihr Vermögen geerbt. Die Zahl der deutschen Milliardärserben ist prozentual doppelt so hoch aufgrund des Raubzugs ihrer Vorfahren vor 1945. (Quelle: ARD Reschke Fernsehen, 16.1.2025)

Beitragsbild: via U. Sander

Hinweis: Gastbeiträge geben immer die Meinung des jeweiligen Autors wieder, nicht meine. Ich veröffentliche sie aber gerne, um eine vielfältigeres Bild zu geben. Die Leserinnen und Leser dieses Blogs sind auch in der Lage sich selbst ein Bild zu machen.

Verbrechen der Wirtschaft 1933-1945 nicht verschweigen

Ich (C.S.) bringe hier einen Text des Antifaschisten Ulrich Sander zur Kenntnis, welchen ich für wichtig halte:

Dies habe ich heute als Reaktion auf den Bericht zur Schließung der Steinwache dem Nordstadtblogger gesandt. Ich bitte um Unterstützung des von mir genannten Anliegens.

Die kaum beachtete Erklärung der Konzerne zim 8. Mai ist auch für die Erinnerungsarbeit von Belang. Im Februar 2025 hat die Dortmunder Verwaltung beschlossen, die Beweise gegen größte Massenmörder aus dem Verkehr zu ziehen. Die Erinnerungspolitik wird verändert, indem die Gedenkstätte Steinwache gereinigt wird von dem Material, das die Verbrechen führender Industrieller nachweist. So im siebten Themenraum „Die Schwerindustrie setzte auf Hitler“, der ab 1. Juni für immer geschlossen wurde. Begründung: Neue Beweise würden die Vögler, Flick, Springorum, Krupp, Kirdorf , Reusch und Co. entlasten. Die Mitgliedermassen der NSDAP und nicht die Industrie hätten die Partei finanziert. Neue Beweise gibt es für die Verbrechen der Ruhrgebietsindustriellen jedoch vielfältig – so im Buch des führenden Wirtschaftshistorikers Adam Tooze mit dem bezeichnenden Titel „Ökonomie der Zerstörung“. Und ganz neu nunmehr: Die Erklärung von 49 führenden Konzernvertretern zum Jahrestag des 8. Mai. Darin heißt es: „Heute übernehmen wir als deutsche Unternehmen Verantwortung, die Erinnerung an die Verbrechen der NS-Zeit sichtbar zu machen.“
Das Konzerndokument bringt die staatliche Erinnerungspolitik nicht nur in Dortmund in Erklärungsnot, nachdem die  kapitalismuskritischen antifaschistischen Aussagen getilgt wurden. Das ging so weit, dass in der Wewelsburg bei Paderborn, der einstigen Kultstätte der SS, kein Wort zum Freundeskreis Reichsführer SS/Keppler-Kreis gesagt wird, – die Mitglieder aus der Wirtschaft machten ja 1945 weiter.
Offenbar geschah die Änderung der Gedenkstätten auf Weisung der Regierung, ja des Verfassungsschutzes. Die Formulierung im Schwur von Buchenwald, dass die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln notwendig sei, wird amtlich als verfassungswidrig bezeichnet, da der Kapitalismus als Bestandteil des Grundgesetzes anzusehen ist. Jedoch: Der Kapitalismus wird nicht im Grundgesetz erwähnt.
Nach der neuen Konzernerklärung müssten nun in den Gedenkstätten z.B. in Köln, Oberhausen, Düsseldorf, Essen und Dortmund die den Kapitalismus beschönigenden Darstellungen bzw. Unterlassungen rückgängig gemacht werden. In Oberhausen sollte zum Beispiel die Losung „Faschismus kommt nicht über Nacht, er wird vom Kapital gemacht“ wieder aufgehängt werden.  In Dortmund muss ein Ersatz für den Raum 7 der Steinwache gefunden werden.  Das ist die Aufgabe  aller Demokratinnen  und Demokraten. 

Mit solidarischen Grüßen

Ulrich Sander

2.6.25″

Hier der Wortlaut der Konzernerklärung:

Erklärung zum 8. Mai: „Einen Schlussstrich darf es nicht geben“ – Deutsche Unternehmen erinnern gemeinsam an den 80. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs

Anlässlich des 80. Jahrestages des Endes des Zweiten Weltkriegs erinnern 49 deutsche Unternehmen, darunter Bayer, BASF, Evonik und Siemens und auch die Düsseldorfer Rheinmetall AG, an die Verbrechen der NS-Zeit. In einer gemeinsamen Erklärung bekennen sich die CEOs dieser Unternehmen persönlich zu der historischen Verantwortung ihrer Unternehmen und setzen ein Zeichen gegen Hass, Ausgrenzung und Antisemitismus.

Die Allianz von Unternehmenslenkern ruft dazu auf, gemeinsam Verantwortung zu übernehmen, die Lehren aus der Geschichte zu bewahren und die Grundwerte der Demokratie zu stärken. Weitere Unternehmen sind eingeladen, sich der Erklärung anzuschließen.

Die Erklärung, die am 8. Mai 2025 in großen überregionalen Tageszeitungen (Die Zeit, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Süddeutsche Zeitung) veröffentlicht wird, im Wortlaut:

Heute vor 80 Jahren, am 8. Mai 1945, endete der Zweite Weltkrieg in Europa. Dieser Tag ist ein Tag des Gedenkens an all die Menschen, die verfolgt und ermordet wurden, an die Verbrechen und Zerstörungen, an die weltweit mehr als 60 Millionen Toten.

Heute ist auch ein Tag, an dem wir uns fragen müssen, wie es dazu kommen konnte. Die Machtübernahme durch die Nationalsozialisten 1933 wäre ohne das Versagen der damaligen Entscheidungsträger in Politik, Militär, Justiz und Wirtschaft nicht denkbar gewesen. Deutsche Unternehmen trugen dazu bei, die Herrschaft der Nationalsozialisten zu festigen. Auf ihren eigenen Vorteil bedacht, waren viele Unternehmen und ihre damaligen Akteure verstrickt.

Heute übernehmen wir als deutsche Unternehmen Verantwortung, die Erinnerung an die Verbrechen der NS-Zeit sichtbar zu machen. Denn diese Verbrechen mahnen uns, die Zerbrechlichkeit der Demokratie immer wieder zu erkennen. Gemeinsam treten wir ein gegen Hass, gegen Ausgrenzung und gegen Antisemitismus. Einen Schlussstrich darf und wird es mit uns nicht geben.

Der Sieg der Alliierten über die Nationalsozialisten hat einem ganzen Kontinent, der ganzen Welt Hoffnung gegeben. Der mit dem Ende des Kalten Krieges erreichte europäische Zusammenhalt, Rechtsstaatlichkeit und Freiheit sind Errungenschaften, die wir gemeinsam schützen müssen. Demokratie lebt vom Mitmachen – und vom Widerspruch. Sie braucht Haltung und Mut. 1933 und danach waren zu viele still, haben weggesehen und geschwiegen. Daraus erwächst unsere Verantwortung – für die Vergangenheit, für die Gegenwart und für die Zukunft.“ 

Anbei ein Beitrag der Nordstadtblogger zur Steinwache: hier

Gedenkstätte Steinwache: hier.

Anbei: https://r-mediabase.eu/gedenkstaette-steinwache-dortmund-raum-7/

Und: http://www.verbrechen-der-wirtschaft.de/texte/0126_steinwache_raum7.htm

Beitragsbild: Stadtarchiv Dortmund (ehemaliges Polizeigefängnis/

Buchempfehlung: „Ökonomie der Zerstörung“ von Adam Tooze

80 Jahre Kriegsende in Berlin: Feiern der Russen unerwünscht

Politik

von Andrea Drescher

Am 8. Mai 2025 jährte sich zum 80. Mal der Tag der Befreiung von den Nazis, am 9. Mai der Tag des Sieges über die Nazis. Ich verbrachte beide Tage in Berlin im Treptower Park am sowjetischen Ehrenmal und schildere in diesem Artikel meine subjektiven Erlebnisse dieser beiden Tage – abseits aller historischen Diskussionen.

Aber vorab: Der Umgang mit den Nachfahren der Roten Armee am Tag der Befreiung und dem Tag des Sieges in Berlin war in meinen Augen unwürdig. Der 8. Mai wird vermehrt eher von Deutschen, der 9. von vormals sowjetischen, insbesondere russischen Bürgern, begangen. Aber natürlich traf man an beiden Tagen Menschen aus allen möglichen Ländern. Neben Menschen aus den verschiedensten ehemaligen Sowjetrepubliken begegnete ich Menschen aus Serbien, Griechenland, der Türkei, den USA, Frankreich sowie einem Israeli.

Unabhängig davon, wie man zum heutigen Ukraine-Krieg stehen mag, es steht außer Zweifel, dass die Rote Armee der Sowjetunion den kriegsentscheidenden Beitrag zum Sieg der Alliierten über die Nazis geleistet hat.

Wie Winston Churchill in einer Rede vom 9. August 1944 sagte, die er im britischen Parlament hielt: „On the European front, the most important development of the past year has undoubtedly been the overwhelming counter-offensive of the great armies of Russia against the mighty German army, which has destroyed and is destroying more of the armed might of our enemies—troops, planes, tanks, and guns—than all the other United Nations put together.“

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Quelle – dank Hinweis in einer Online Diskussion)

Auf Deutsch: An der europäischen Front war die wichtigste Entwicklung des vergangenen Jahres zweifellos die überwältigende Gegenoffensive der großen Armeen Russlands gegen die mächtige deutsche Armee, die mehr von der bewaffneten Macht unserer Feinde – Truppen, Flugzeuge, Panzer und Geschütze – vernichtet hat und vernichtet, als alle anderen vereinten Nationen zusammengenommen.

Es sollte daher – eigentlich – eine Selbstverständlichkeit sein, dass gerade in dem Land der Täter, das ständig „Nie wieder“ propagiert, 80 Jahre danach der Heldenmut und das Leiden der sowjetischen Völker und insbesondere der Russen ehrend anerkannt wird.

Doch weit gefehlt. Das Land der Täter – insbesondere in der Hauptstadt Berlin – geht nahezu unwürdig mit dem Andenken der Roten Armee und der enormen Leistung ihrer Soldaten um. Verboten ist alles, was auch nur im Ansatz mit dieser Zeit in Verbindung gebracht werden kann. Man geht seitens der Behörden davon aus, dass Russland durch das Zeigen irgendwelcher Symbole diese Feiertage zugunsten des Kriegs in der Ukraine instrumentalisieren wolle.

Angefangen von der russischen Fahne, russischen Marschliedern, Georgsbändern bis hin zur sowjetischen Fahne – keine Symbolik soll die Taten der Menschen ehren, die dort zu tausenden beerdigt sind.

Man lasse es sich auf der Zunge zergehen: Am sowjetischen Ehrenmal sind sowjetische Fahnen verboten. Wer sie zeigt, riskiert eine Ordnungswidrigkeit, riskiert zumindest, dass der Stein des Anstoßes eingezogen wird, wie das im vergangenen Jahr meiner Freundin Sabine passierte. Sie beging diesen Frevel und ließ sich für 2025 daher etwas Neues einfallen. Aber dazu später mehr.

Erlaubt waren vergangenes und dieses Jahr aber nicht nur die ukrainischen Flaggen, sondern auch Insignien ukrainischer patriotischer Organisationen mit dubiosen Hintergrund. Aber das schien die Polizei an beiden Tagen nicht zu stören.

„Nie wieder“ fühlt sich für mich eigentlich anders an. Aber vielleicht bin ich als Antifaschistin etwas übersensibel, wer weiß?

Eine Freundin beschrieb es folgendermaßen: „Die Verbote waren sehr selektiv. Eine Infotafel in der Nähe des Einganges, die über die politischen Gefangenen Putins informiert hat, ist natürlich im Zusammenhang mit dem 80. Jahrestag über den Sieg gegen den Faschismus sehr wichtig und hat rein gar nichts mit der Instrumentalisierung eines Feiertages zu tun.“

Der „Hauch von Ironie“ ist hoffentlich deutlich.

Ich habe keine Statistik geführt, aber es waren an beiden Tagen nach meiner Wahrnehmung deutlich mehr Ostdeutsche als Westdeutsche vor Ort vertreten. Die Begründung dafür ist naheliegend. Während Menschen im Westen die Russen nur aus der Propaganda kannten, haben Ostdeutsche selbst eigene Erfahrungen gemacht. Bei den einen entwickelte sich daraus – mehrheitlich – wohl ein unbewusster Russenhass, bei den anderen eine mehrheitlich völlig menschliche Beziehung, mit positiven und negativen Erlebnissen. Die Entschmenschlichung der Russen, wie in den westdeutschen Medien typisch, ist den meisten Ostdeutschen fremd.

Im Osten ist auch vielen bekannt, dass im 2. Weltkrieg deutlich weniger als 500.000 US-Amerikaner dem Krieg zum Opfer fielen, während es rund 27 Millionen tote Sowjetbürger waren, die letztlich durch ihren Tod dazu beigetragen haben, dass den Nazis in Deutschland am 8. bzw. 9. Mai 1945 – zumindest bedingt – Einhalt geboten wurde.

8. Mai Tag der Befreiung – früher auch Tag der Niederlage

Der Tag begann sehr ruhig, die Polizeikontrollen an den Eingängen waren vernachlässigbar, obwohl Sabine und ich dem aktuellen Modetrend folgten: blaue Hose, weißes T-Shirt, rote Schuhe und rotes Halstuch. Lt. Sabine sind gröbere Probleme eher am 9. Mai zu erwarten, der Tag, an dem vermehrt Russen das Denkmal besuchen werden.

Ich hatte für Notfälle noch ein schwarzes T-Shirt eingepackt, für den Fall der Fälle, dass mein „Argument“, die Tricolore der Franzosen vor Ort zu repräsentieren, nicht gegriffen hätte. Schließlich gab es seitens der Berliner Polizei auch Kleidervorschriften, die diesen Modetrend nicht gestatteten. Aber die erwarteten Schwierigkeiten am Eingang blieben aus, auch wenn die Liste der Verbote deutlich erkennbar war.

Menschen kamen einzeln bzw. in sehr kleinen Gruppen und legten bei den verschiedenen Denkmälern Blumen – häufig rote Nelken – ab, um der Toten zu gedenken.

Beim Denkmal der „Mutter Heimat“ bauten verschiedene Organisationen ihre Bereiche auf, darunter die DKP und eine antifaschistische Gruppe, die mit Ansprachen und Gesang durch den Ernst-Busch-Chor für eine Art offiziellen Beginn des Tages sorgten. Ukrainische Organisationen präsentierten deutlich sichtbar ihre Sicht auf den aktuellen Ukraine-Krieg in einer Art Ausstellung sowie mit zahlreichen Rednern – obwohl es sich an diesem Tag eigentlich um ein ganz anderes Ereignis handelte.

Viele Menschen, mit denen ich sprach, waren der Meinung, dass man den aktuellen Krieg mit diesem geschichtsträchtigen Tag nicht in Verbindung bringen sollte. Es kamen überraschend viele Zeitzeugen und Kriegskinder, darunter eine 88-jährige alte Dame, die sich über die Einlasskontrollen und Fahnenverbote echauffierte. Gerade ältere Menschen wollen der Befreiung vom Hitlerfaschismus gedenken und verstanden nicht, warum sie als potentielle Verbrecher wahrgenommen werden. Sie wollen sich doch nur einfach bedanken, dass das Ende des Krieges durch die Rote Armee herbeigeführt wurde. „Ich finde es schlimm, wie sich die Bundesregierung gegenüber den Russen verhält. Für den Krieg gibt es keine Rechtfertigung, aber man muss doch trotzdem der Toten ungestört gedenken.“

Manch einer regt sich auch darüber auf, dass vor der Treppe zum Soldaten, genannt „Der Befreier“, ukrainische Kränze mit der Aufschrift „Gegen die Invasion damals und heute“ platziert wurden – direkt an der Stelle, an der am 9. Mai üblicherweise der Kranz der russischen Botschaft abgelegt wird. „Deutlicher kann man gar nicht auf den Bandera-Faschismus hinweisen“ sagt mir ein Besucher.

Positiv fiel mir auf, dass auch jüngere Menschen teilweise mit ihren Kindern vor Ort waren. Der 8. Mai wurde vom Berliner Senat zum Feiertag erklärt, also war schul- und arbeitsfrei, aber die Mehrheit waren ältere Menschen, die den sowjetischen bzw. russischen Toten ihren Respekt erweisen wollten. Es gab doch zahlreiche junge Menschen, geschätzt zwischen 15 und 25 Jahre alt, die eigenständig vor Ort waren. Auch ihnen war es wichtig, vor Ort der Roten Armee ein Zeichen der Dankbarkeit zu setzen. Ob es sich dabei um autochtone Deutsche oder Russlanddeutsche handelte, die durch die eigene Familienhistorie viel stärker mit diesen Daten verbunden sind, kann ich nicht sicher sagen, vermute aber, dass letztere in der Mehrheit waren.

Dass Deutsche ein Zeichen setzen wollten, wurde von russischen Besuchern deutlich wertgeschätzt. Nicht nur die russische Regierung unterscheidet zwischen deutschen Menschen und deutscher Politik, auch Russen sind sich dieses Unterschiedes sehr bewusst und zeigten sich immer wieder dankbar für unsere Solidarität, die wir durch den Besuch des Ehrenmals in entsprechender Kleidung deutlich machten.

Beim „Befreier“ wurde dann sichtbar, wie sehr es die Ukrainer genossen, unter dem Schutz der deutschen Polizei zu stehen. Überall knallten uns blaugelbe Fahnen entgegen, die die NATO- und EU-Fahne einrahmten. Was ich über diesen Anblick dachte, möchte ich aus juristischen Gründen hier nicht in Worte fassen, aber nicht nur ich regte mich über dieses zweierlei Maß der Berliner Behörden auf.

Ein allgemeines Flaggenverbot wäre für alle wohl akzeptabel gewesen – aber diese einseitige Positionierung deutscher Behörden war insbesondere für die älteren Besucher unfassbar. „In der Roten Armee waren doch auch ukrainische Soldaten im Kampf gegen die Nazis im Einsatz, hier am sowjetischen Ehrenmal sind auch über tausend ukrainische Soldaten begraben. Das waren nicht alle Anhänger von Bandera oder Mitglied der SS Galizien. Wie kann man da nur die sowjetische Fahne verbieten, die alle in der Roten Armee vereint hat“, schüttelt ein alter Herr mit Tränen in den Augen den Kopf.

Die Verbote der Fahnen führte nicht nur zu kreativen Lösungen in der Bekleidung. Meine Freundin Sabine lieferte einen besonderen Stunt, der zu unserer Überraschung sogar zu einer vernünftigen Entscheidung der Berliner Polizei führte. Begleitet von mehreren Kameras von „Eingeschenkt TV“ und „Stop the war in Yemen“ hängte sie sich ganz gelassen eine blau-weiss-rot-gestreifte Fahne über den Rücken und erwartete die entsprechende Polizeireaktion, die innerhalb von Minuten erfolgte.

Sie wurde aufgefordert, die Fahne abzulegen, da diese verboten sei. Das allerdings verweigerte sie, da ihr nicht bekannt sei, dass das Tragen der niederländischen Fahne durch die Berliner Polizeibehörden untersagt worden wäre. Man sah, der Polizist war sichtlich irritiert. Er forderte sie auf, an Ort und Stelle zu verbleiben, er müsse Rücksprache mit seinen Vorgesetzten halten. Als er wieder kam, geschah das, was keiner erwartet hatte: Das Tragen der niederländischen Fahne wurde – trotz geringer Verwechslungsgefahr mit der Fahne der Krim – erlaubt. Wie uns ein zufällig anwesender Krimbewohner sagte, waren diese aber schwer zu verwechseln. Wir überzeugten uns im Internet, dass wirklich kaum eine Gemeinsamkeit bestand.

Dieser Kampf ging zugunsten meiner Freundin Sabine aus. „Wir müssen das System mit unseren Waffen schlagen, und wenn sie die sowjetische Fahne schon verbieten, muss man eben kreativ werden, wenn man den Toten der Roten Armee den nötigen Respekt erweisen will.“, sagt sie mit einem Grinser im Gesicht und trug die niederländische Fahne, bis wir gegen 16 Uhr das Gelände verließen.

Einer der Ukraine-Fans war offensichtlich über diese Entscheidung nicht sehr glücklich. Als wir uns dem Ausgang näherten, lief er an uns vorbei zu den dort stationierten Polizisten und zeigte auf uns bzw. Sabine – wohl in der Hoffnung, dass die Funkgeräte der Polizei so effektiv arbeiten wie die deutsche Bahn. Da hatte dieser Denunziant allerdings Pech. Die Beamten waren bereits über den Sachverhalt informiert, mein Zuruf „das ist eine niederländische Fahne und deren Tragen ist erlaubt“ wurde mit einem freundlichen Nicken seitens der Beamten quittiert und wir konnten das Gelände so unbehelligt verlassen, wie wir es betreten hatten.

Ein insgesamt sehr angenehmer Tag beim Sowjetischen Ehrenmal lag hinter uns, an dem ich auch Bekannte der Friedensbewegung, der Friedensbrücke Kriegsopferhilfe, der Druscha-Friedensfahrt sowie einige freie Journalisten getroffen habe und ein bisschen Werbung für mein Buch „Im russischen Exil“ machen konnte. Mit einer Pizza und zwei Glas Wein ließen wir den Tag in Ruhe ausklingen.

9. Mai – der Tag des Sieges

Wir gingen sehr früh in den Park, um den im Laufe des Tages vermutlich verschärften Polizeikontrollen zu entgehen. Erneut war der Durchlass – trotz unserer blau-weiß-roten Kleidung – sehr entspannt. Die Handtaschenkontrolle war eine Farce. Es wäre mir ohne weiteres möglich gewesen, Sprengstoff auf das Gelände zu schmuggeln – und das, obwohl in einer Stunde die offiziellen Vertreter der russischen und verschiedener anderer Botschaften erwartet wurden. Polizeihunde zur Sicherung und Sprengstoffkontrolle waren auf dem Gelände auch keine zu sehen.

Wir warteten bei „Mutter Heimat“, begrüßten einige Bekannte und tauschten uns aus. Überrascht war ich, dass eine Delegation der VVN mit systemkritischen Schildern auf die russischen Offiziellen zu warten schienen, denn die VVN hatte mich während der Coronajahre ob ihrer systemtragenden Positionen entsetzt.

Ich sprach einen der Bannerträger darauf an und provozierte ihn gleich mit der Frage: „Die VVN hat sich in den letzten Jahren ja seltsam entwickelt. Menschen, die sich nicht impfen lassen wollten, waren Schwurbler. Ist das die VVN, die hier steht?“

Als Antwort kam: „Auch – aber wir sind in der VVN geblieben, weil wir diese wunderbare Organisation nicht Leuten überlassen wollten, die solche Thesen vertreten. Wir mögen auch die These nicht, dass Russland ein imperialistisches Land ist. Wir wollen nicht die Narrative wiederholen, die uns die Regierenden mantramäßig vorgeben, die gänzlich außer acht lassen, was die NATO seit der Konterrevolution in der Sowjetunion getrieben hat, entgegen ihren Versprechungen, keinen Fuß breit Richtung Osten zu gehen. Inzwischen stehen wir in Regimentsstärke in Litauen, werden dort zur Besatzungsmacht und das ist elendig. Das Transparent gegen die deutschen Großmachtsträume wurde 2017 von der VVN herausgegeben – dazu stehe ich noch immer und sehe es als meine Verpflichtung. Man darf in Deutschland nie wieder Kräfte an die Spitze kommen lassen, die das Land in eine Katastrophe reiten.“

Ich erfuhr, dass der Vorstand der VVN beim letzten Bundesparteitag eine erhebliche Schlappe habe einstecken müssen, die Vorsitzenden wurden nur mit knapper Mehrheit bestätigt, da keine Alternative da war. Mein Gesprächspartner sprach sich auch deutlich gegen ein AfD-Verbot aus, nicht zuletzt, da es für richtig viel Publicity für die Partei sorgen würde. „Es ist eine Irreführung, dass man heute auf die AfD zeigt, während man selbst die Politik macht, die unsäglich ist und unser Land in die Gefahr stürzt, noch mal in eine neue Katastrophe zu rennen. Deswegen bin ich auch Unterstützer des Berliner Appells, das möchte ich deutlich gesagt haben.“ Derartige Aussagen lassen hoffen, mich zumindest.

Weiter Kontroverse um Gedenkfeier in Moskau zum Sieg über Nazi-Deutschland

Gegen 9.00 Uhr trafen zunächst einige Popen der russisch-orthodoxen Kirche ein, wenig später der russische Botschafter und eine Prozession machte sich in Richtung des „Befreier“-Denkmals auf den Weg. Dieser schloss ich mich gemeinsam mit anderen Vertretern der Friedensbrücke Kriegsopferhilfe gerne an. Einer meiner Gründe anlässlich des 80. Jahrestages nach Berlin zu fahren, war es ja, dem russischen Botschafter meine Solidarität zu zeigen. Der Ausschluss Russlands von den Feierlichkeiten stellt in meinen Augen einen unfassbarer Affront dar.

Beim Denkmal waren die ukrainischen Kränze zur Seite geräumt, so dass die Kränze der verschiedenen ehemaligen sowjetischen Republiken ihren traditionellen Platz an der Vorderseite des Denkmals fanden. Auch die ukrainischen Provokateure waren – wohl dank der deutschen Polizei – an die Seiten des Platzes verwiesen und konnten die Stimmung der zahllosen Besucher nicht wirklich trüben.

Ich verbrachte sehr viel Zeit beim Kranz der Friedensbrücke Kriegsopferhilfe, einem Verein, der seit 2015 Kriegsopferhilfe im Donbass leistet. Das ist vielleicht ein Hinweis darauf, dass der Krieg gar nicht 2022 plötzlich und unerwartet ausgebrochen sein kann, wie uns seitens der Qualitätsmedien immer suggeriert wird. Wir freuten uns über die freiwilligen Spenden, da diese Hilfe weiterhin leider unverzichtbar ist. Noch werden Städte wie z.B. Gorlovka weiter heftig durch die westlichen Ukrainer beschossen. Die Menschen dort leiden jetzt 11 Jahre unter Krieg, ein Umstand, der vielen Besuchern des Denkmals sehr bewusst ist.

Es war eine friedliche und sehr freundliche Stimmung. Manchmal begann einer zu singen und dann sangen 40 oder 50 Menschen mit. Mangels russischer Sprachkompetenz beließ ich es beim Pfeifen von bekannten Liedern wie „Die Kraniche“, „Katjuscha“ und anderer traditioneller Lieder aus Russland, die nicht unter das „Musikverbot“ fielen. Jeder hatte Blumen bei sich und das überall im Gelände. Sie stapelten sich und jeder, der kam, legte noch welche dazu. Es kamen sehr sehr viele Russen zum Denkmal, mit denen man sich auch in interessante Gespräche vertiefen konnte.

Das hat Gründe, die eine Freundin von mir mit folgenden Worten beschrieb: „Der Umgang des russischen Volkes mit der Erinnerung an dieses Ereignis ist anders, lebendiger. Es ist eine Erinnerungskultur. Viele haben die Bilder ihrer Vorfahren bei sich, diese sind in dieser Form mit dabei, mit den Teilen der Familie, die es jetzt noch gibt. Es ist eine gute Form, ein Tag der Erinnerung. Was machen wir daraus?“

Eine junge Deutschrussin erklärte mir „Ich bin mit meiner Mutter hier, komme jedes Jahr, seitdem ich klein bin. Ich war auf einer russisch-deutschen Schule, da war es Tradition mit der Klasse her zu kommen. Wir haben hier auch immer freiwillig geholfen, z.B. Bilder anzuhängen, Tische aufzubauen usw. Für mich ist das Teil meiner Kultur. Deutsche feiern Weihnachten, ich komme gerne hierher und erinnere mich an die Urgroßeltern, die in unserer Familie gekämpft haben und gestorben sind.“

Aber auch für ältere Ostdeutsche ist dieser Tag von großer Bedeutung. Ich fragte einen älteren Herren, dem die Polizei freundlich, aber bestimmt dazu aufforderte, seine Militärmütze mit sowjetischen Anstecknadeln abzunehmen, was ihn bewegte hier zu sein. Er sagte mir mit Tränen in den Augen: „Wir sind hier um die Toten zu ehren und danke zu sagen den Menschen, die uns vom Faschismus befreit haben. Für mich ist es ein großes Problem, dass unsere Politik so einen Zirkus mit uns macht, dass wir die Gefallenen nicht so ehren dürfen, wie das in den vergangenen Jahren üblich war. Überall in der Welt gibt es nette Menschen, in Russland sowieso, aber die Politiker spielen verrückt und das ist genau das Problem. Wir müssen aufhören, solche Leute in die Regierung zu wählen, die Amerika-abhängig sind und einfach die amerikanische Politik und Kultur einbringen wollen. … Ich bin eine rote Socke wie früher, hier in der DDR geboren – dieser Staat ist einfach nicht mehr mein Vaterland.“

Sein Begleiter ergänzte: „Wir sind auch hier für unsere Kinder und Jungs, damit die niemals Krieg erleben und für Deutschland in den Krieg und schon gar nicht gegen Russland marschieren. Wir sitzen hier alle faul zu Hause rum. Und weil wir nichts tun, wir Erwachsenen, müssen unsere Kinder das ausbaden. Da müssen wir das tun, was in unserer Macht steht. Viel Macht haben wir nicht, aber das heute hier ist das Wenigste, das wir zeigen können.“

Zufälligerweise begegnete ich Egon Krenz, dem letzten Staatsratsvorsitzenden der DDR nach Erich Honecker, der die Öffnung der Mauer am 9.11.1989 mit zu verantworten hat. Er war bereit, mir für eine Frage kurz zur Verfügung zu stehen:Audio-Player

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Auf meine Frage, warum er – nachdem er ja doch nicht mehr der Allerjüngste sei – hierher gekommen ist, antwortete er: „Ich bin noch gut in der Erinnerung vom Jahr 1945, also ich bin selbst Kriegskind, habe die Befreiung erlebt. Ich weiß daher aus eigener Erfahrung, dass die Geschichte anders verlaufen ist, als das heute durch die bundesdeutsche Politik behauptet wird. Ich bin hier, um die Helden der Sowjetunion zu ehren und damit auch ein Zeichen zu setzen, dass man die Geschichte nicht verfälschen darf, dass man vor allen Dingen nicht gegen Russland sein darf, denn ohne Russland gibt es keinen Frieden. Frieden gibt es nur mit Russland.“

Diese Haltung teilen und teilten sehr viele Menschen. Als wir das Gelände erneut gegen 16 Uhr verließen, war die Schlange der Menschen, die ihre Blumen beim „Befreier“ ablegen wollten, immer noch enorm lang.

Insgesamt blieb auch der 9.5. zumindest aus meiner Sicht ein friedlicher Tag. Wir erfuhren zwar, dass manch einer am Betreten des Geländes aufgrund der Farbgestaltung seiner Kleidung gehindert worden sei, dass es die eine oder andere polizeiliche Maßnahme gegeben habe, wenn sich Menschen weigerten, Fahnen und verbotene Insignien abzugeben und dass das Verteilen der „Jungen Welt“ aufgrund des Titelbilds verboten wurde.

Aber die Polizei verhielt sich im Rahmen meiner Wahrnehmung sehr moderat. Hinter vorgehaltener Hand soll sich der eine oder andere wohl auch unzufrieden über die ungerechte Verbotsverordnung geäußert haben, mir gegenüber – mit Presse-Karte auf der Brust – wollte sich aber keiner äußern, sondern verwies mich an die Pressestelle.

Kleiner Scherz zum Abschluss des Tages: Ein Herr aus Sibirien bot mir eine Erklärung, warum die russische Fahne in Deutschland nicht erwünscht sein könnte.

красный – rot – K

голубой – blau – G

Белый – weiß – B

Die Farben stehen also für den früheren russischen Geheimdienst und der ist in Deutschland unerwünscht. Spionage ist ja nur unter Freunden in Ordnung – anders kann ich mir das jahrzehntelange Schalten und Walten der CIA in der BRD nicht erklären. Aber das ist eine andere Geschichte.

Der Beitrag von Andrea Drescher erschien zuerst auf tkp.at: hier.



„Von der Niederlage des Faschismus und vom Auftrag des 8. Mai“ oder „Von der Errichtung des faschistischen Staates und seinem vorläufigen Ende“ – Vortrag von Ulrich Sander (VVN-BdA Dortmund)

Ulrich Sander

(Vortrag auf der Mitgliederversammlung der VVN-BdA Dortmund am 2.4.2025)

„Von der Niederlage des Faschismus und vom Auftrag des 8. Mai“

oder

Von der Errichtung des faschistischen Staates und seinem vorläufigen Ende“

Das Datum des 8. Mai 1945 ist das Datum des Tags der Befreiung Deutschlands von Krieg und Faschismus. Kürzlich sagte ein Diskussionsteilnehmer in einer Gedenkstätte Steinwache, die Deutschen hätten diesen Tag nie wirklich als Tag der Befreiung angesehen. Wir bleiben dabei: Es gehört zum Vermächtnis auch unserer Esther Bejarano, dafür zu streiten, dass der Tag der Befreiung 8. Mai zum Nationalen Gedenktag, arbeitsfreien Feiertag wird und auch seine Lehren beachtet werden.

Deshalb muss ein Rückblick auf das Jahr 1933 gemacht werden. Es begann die Beseitigung von Freiheit und Demokratie, der Weg in Terror und Krieg. Wenn behauptet wird, das deutsche Volk habe diese Entwicklung gewollt, so stimmt das nicht. Der 30. Januar 1933 war nicht der Tag der Machtübernahme, sondern der Machtübertragung durch eine konservative, militaristische und vor allem finanzkapitalistische Vereinbarung. Auch das Ermächtigungsgesetz vom März 1933 wurde nicht durch eine verfassungsgemäße Entscheidung beschlossen. Die Kommunisten waren vom Parlament ausgeschlossen, Hitler erhielt nicht die erforderliche Mehrheit. Doch das Gesetz galt als beschlossen. Der brutalste Terror und die Schaffung von Kriegstüchtigkeit nahmen ihren Lauf.

Hitler selbst nahm den Widerstand gegen die Nazis noch am 5.November 1933 in einer Rede zur Kenntnis. Er sagte: „Wenn der Gegner erklärt, ich gehe doch nicht zu Euch und ihr werdet mich nicht bekommen, so sage ich ganz ruhig: Dein Kind gehört uns bereits heute.“ Ja der Griff nach der Jugend war ganz entscheidend für die Nazis.

Wer 1933 zwölfjährig und männlich war, hatte mehrheitlich keine antifaschistische und demokratische Prägung. Aber er musste sechs Jahre später in den Krieg ziehen. Es gehört zu den militaristischen Schändlichkeiten der BRD, dass im Jahr 1956 bei Einführung der allgemeinen Wehrpflicht beschlossen wurde, auch den Jahrgang 1921 wieder einzuziehen, also die zwölfjährigen Jungen von 1933. Scharfer Protest vereitelte die Einberufung.

Bezeichnend ist, was Hitler im Jahr 1934 in einem Gespräch mit Hermann Rauschning, dem Danziger Stadtchef, aussprach: Es wird „eine Jugend heranwachsen, vor der sich die Welt erschrecken wird. Eine gewalttätige, herrische, unerschrockene, grausame Jugend will ich. Ich will keine intellektuelle Erziehung. Mit Wissen verderbe ich mir die Jugend.“ Die Hitlerjugend wurde zur Pflicht, in ihr ist die Jugend „körperlich, geistig und sittlich im Geiste des Nationalsozialismus zum Dienst am Volk und zur Volksgemeinschaft zu erziehen.“ (Anordnung von Adolf Hitler vom 1. 12. 1936)

Als der Krieg im Sommer 1939 unmittelbar bevorstand und die Jugend auf das Schlachtfeld geschickt wurde, war nur wenigen bekannt, was bevorstand – klar, denn nur wenige hatten einen politischen Durchblick, die meisten waren abgerichtet, aber dass Krieg kommen würde, widersprach allen Hitlerreden. Dann hieß es im Vorwort des Buches „Wehrmacht und Partei“, herausgegeben im Frühjahr 1939 von der Naziparteileitung: Jetzt „steht das deutsche Volk in einem harten Kampf um sein Lebensrecht gegen seine jüdischen und demokratischen Feinde.“ Wehrmacht und NSDAP kämpften „Schulter an Schulter“. In dem Buch wird dem Soldaten jedes Bedenken, ob sein Tun erlaubt sei, genommen. Es wird in dem Buch vom „Vorrecht des Stärkeren“ gesprochen: „Recht bekommt, wer sich im Daseinskampf durchzusetzen versteht.“ Es gehe um „Forderungen an Siedlungsland, an Rohstoffquellen und Absatzmöglichkeiten“.

Übrigens wird in den Verteidigungspolitischen Richtlinien der Bundeswehrführung ab 1992 ebenfalls ausgesagt, es gehöre zu den wichtigsten Aufgaben der „neuen“ Bundeswehr: „Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des ungehinderten Zugangs zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt“.

Das Buch von 1939 sprach eine eindeutige Sprache. Der Krieg entwickelte sich zum imperialistischen Eroberungs- und Vernichtungskrieg. 60 Millionen Todesopfer waren zu beklagen, gestorben auf den Schlachtfeldern, im Bombenhagel, in den KZ- und Vernichtungslagern und auf Todesmärschen. Als der Krieg sich zugunsten der Antihitlerkoalition, vor allem der UdSSR, wandelte, war die Niederlage besiegelt. Unter den deutsche Soldaten grassierte Unruhe und Angst. Es lag die Furcht vor dem vor, was ein Wilhelm Brinkmann aus Dortmund-Aplerbeck geschrieben hat. Er berichtete seiner Frau im April 1944 von der sog. „Partisanenjagd“ und vom Verschleppen von Zivilisten. „Ich habe viel Elend und manche Träne gesehen. Wenn der Krieg verloren gehen sollte, dann sehe ich sehr schwarz, denn die anderen machen es ebenso.“

Diese Haltung war sehr weit verbreitet. Ganz normale Zivilisten ließen sich in HJ und Volkssturm eingliedern, weil die NS-Propaganda ihnen schlimmstes prophezeite, was vor allem die Russen mit den Deutschen machen würden. In Aachen ermordeten HJ-ler den von der US-Army eingesetzten Bürgermeister. Ein junger Mann wurde in den Emsland-KZ zum Massenmörder an 350 Häftlingen. Der 19jährige Wehrmachtsgefreite Willi Herold, mit einer Hauptmannsuniform bekleidet, drang im April 1945 in das mit ca. 3.000 Strafgefangenen überbelegte Lager Aschendorfer Moor und übernahm das Mordkommando.

Später haben sich die Menschen für ihre pro-Nazi-Haltung damit gerechtfertigt, dass sie nicht anders konnten. Für jene, die als junge Menschen am Heraufkommen des Faschismus nichts konnten, aber widerspruchslos an den Verbrechen teilnahmen, erfand Helmut Kohl die „Gnade der späten Geburt“. Junge Widerstandskämpfer wie die Gruppe Weiße Rose und die Gruppe um Helmuth Hübener, haben von dieser Gnade keinen Gebrauch gemacht, und sie wussten, was angeblich niemand wissen konnte. Sie leisteten Widerstand und bleiben der Jugend für alle Zeit ein Vorbild.

Am 60. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz durch die Rote Armee, am 27. Januar 2005, führte der Historiker Prof. Arno Lustiger im Deutschen Bundestag aus: „Zwischen November 1944 und Mai 1945 wurden etwa 700.000 Häftlinge, 200.000 von ihnen Juden, bei der Räumung und Liquidierung der KZs in Polen und Deutschland, auf etwa hundert Todesmärsche durch ganz Deutschland getrieben. Es wird geschätzt, dass über die Hälfte von ihnen umgekommen ist. Sie wurden erschossen, in Scheunen verbrannt, sind verhungert oder an Seuchen verstorben.“ Wenige Deutsche halfen ihnen, zu viele unterstützten die Mörder.

Programmatisch für uns Antifaschisten und Gegner des Militarismus ist der Schwur der Häftlinge des KZ Buchenwald vom 19. April 1945: „Uns beseelte die Idee: Unsere Sache ist gerecht. Der Sieg muss unser sein! Wir schwören deshalb vor aller Welt auf diesem Appellplatz, an dieser Stätte des faschistischen Grauens: Wir stellen den Kampf erst ein, wenn auch der letzte Schuldige vor den Richtern der Völker steht! Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neue Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel.”

Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln bleibt uns heute als Aufgabe gestellt. Sie ist nicht erfüllt. Neben den ökonomischen und ideologischen Ursachen – den Wurzeln – des deutschen Faschismus gab es den über hundertjährigen preußisch-deutschen Militarismus und die Macht der Rüstungsindustrie als Voraussetzung für NS-Regime und den Vernichtungskrieg. Telford Taylor, US-amerikanischer Hauptankläger im Nürnberger Prozess gegen die ökonomischen Kriegsverbrecher, sagte zu den kapitalistischen Wurzeln des Naziregimes: „Ohne die Zusammenarbeit der deutschen Industrie und der Nazipartei hätten Hitler und seine Parteigenossen niemals die Macht in Deutschland ergreifen und festigen können, und das dritte Reich hätte es nie gewagt, die Welt in einen Krieg zu stürzen.“

Bereits vorher, gegen Kriegsende haben die Führer der Antihitler-Koalition die „Zerschmetterung des deutschen Militarismus“ (so US-Präsident Roosevelt) als vorrangiges Kriegsziel genannt. Und das wurde auch ein Ziel des Völkerrechts der Nachkriegszeit – ich nenne die UNO-Charta und die Beschlüsse der Potsdamer Konferenz der Alliierten im Herbst 1945. Noch bei der Schaffung des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland bestanden die westlichen Alliierten darauf, dass darin die zur „Befreiung des deutschen Volkes vom Nationalsozialismus und Militarismus“ erlassenen Rechtsvorschriften erhalten blieben (Artikel 139 GG von 1949, bekräftigt für Gesamtdeutschland im Jahre 1990). Damit werden die auf Frieden gerichtete Präambel des Grundgesetzes und der Artikel 26 gegen jeden Krieg von deutschem Boden aus bekräftigt. Artikel 139 fußt auf dem alliierten Kontrollratsbeschluss vom 10. Oktober 1945 zum Verbot der NSDAP und möglicher Ersatz- und Folgeorganisationen. Die Existenz der AfD verstößt gegen Artikel 139 des GG.

Die völkerrechtlich gültigen antimilitaristischen Aussagen von 1945/1949 waren und blieben auch die Grundlagen des Kampfes der Antifaschisten unter der Losung „Nie wieder Krieg – nie wieder Faschismus“. Und dies gilt auch für die Zukunft. Denn im Bericht der Jalta-Konferenz der Alliierten vom Februar 1945 heißt es: „Es ist unser unbeugsamer Wille, … dafür Sorge zu tragen, dass Deutschland nie wieder imstande ist, den Weltfrieden zu stören.“

War der 8. Mai also doch ein Tag der Befreiung? Er war es. Auch für jene, die bis fünf nach Zwölf kämpften, war der 8. Mai objektiv ein Tag der Befreiung vom Krieg, von Todesangst, von größter Not.

Aber was dann kam, war nicht leicht für die deutschen Menschen. Und so klagten so manche, sie seien ja auch Opfer gewesen, seien Flüchtlinge und Ausgebombte – so als hätte niemand von ihnen an den Verbrechen teilgenommen. Die Deutschen insgesamt als Opfer darzustellen, vermochten die nach 1945 wieder erstandenen Parteien nicht. Kritik an der Haltung vieler Mitbürger ab 1933 wird in dem ersten Dokumente der KPD vom Juni 1946 geübt, das ein radikal demokratisches war. Die SPD-West sprach sich als Ausweg demonstrativ „für den Sozialismus als Tagesaufgabe“ aus. Äußerst bemerkenswert ist das, was die CDU der britischen Zone in ihrem Programm von Ahlen/Westfalen (beschlossen am 3. Februar 1947) aussagte:

„Das kapitalistische Wirtschaftssystem ist den staatlichen und sozialen Lebensinteressen des deutschen Volkes nicht gerecht geworden. Nach dem furchtbaren politischen, wirtschaftlichen und sozialen Zusammenbruch als Folge einer verbrecherischen Machtpolitik kann nur eine Neuordnung von Grund auf erfolgen. Inhalt und Ziel dieser sozialen und wirtschaftlichen Neuordnung kann nicht mehr das kapitalistische Gewinn- und Machtstreben sondern nur das Wohlergehen unseres Volkes sein.“ Und weiter: „Die Zeit vor 1933 hat zu große Zusammenballungen industrieller Unternehmungen gebracht. Diese bekamen dadurch einen monopolartigen Charakter. Sie wurden für die Öffentlichkeit undurchsichtig und unkontrollierbar. (…) Die zu dem engen Kreis der Vertreter der Großbanken und der großen industriellen Unternehmungen gehörigen Personen hatten infolgedessen eine zu große wirtschaftliche und damit zu große politische Macht.“
Das CDU-Programm sprach sich für die Vergesellschaftung des Bergbaus und der eisenschaffenden Großindustrie aus wie für das Recht der Arbeiter auf Mitbestimmung in den Fragen der wirtschaftlichen Planung und sozialen Gestaltung. Solche Aussagen wie aus dem CDU-Programm von Ahlen gingen auch ein in mehrere Landesverfassungen.

Die auf Demokratie und Frieden gerichteten Dokumente der Alliierten sowie der sich formierenden Parteien und Gewerkschaften hatten alle eine gleiche Zielrichtung – ich fasse zusammen:

# 1. Entmilitarisierung # 2. Entnazifizierung der Deutschen # 3. Entmonopolisierung und Demokratiesierung der deutschen Wirtschaft # 4. Demokratisierung der Gesellschaft # 5. Durchsetzung des Sozialstaatsprinzips # 6. Völkerverständigung .

Was wurde daraus? Schon bald begann die Remilitarisierung; zehn Jahre

nach dem 8. Mai 1945 wurde die Bundeswehr geschaffen. Das Prinzip

„Nie wieder Krieg von deutschem Boden“ gilt nicht mehr. Mit

Milliardenbeträgen wird Deutschland „kriegstüchtig“ gemacht. Die

Entnazifizierung war eine Farce. Der Kalte Krieg beendete sie in

Westdeutschland endgültig. Die Behörden, vor allem die Polizei und die

Justiz waren bundesweit in den 50er Jahren fest in den Händen ehemaliger

hoher Nazis, ebenso die Bundeswehr ab 1956.

Das Verbot der NSDAP wird umgangen; die profaschistische AfD ist

zweitstärkste Partei. Zudem: Wer reich ist, der herrscht politisch.

Manchmal wird es eingeräumt, dann aber wieder geleugnet. So hieß es am

in der „Süddeutschen“ am 15.12.2016: „Regierung streicht heikle

Passagen aus Armutsbericht. (…) So fehlt zum Beispiel der Satz: ‚Die

Wahrscheinlichkeit für eine Politikveränderung ist wesentlich höher, wenn

diese Politikveränderung von einer großen Anzahl von Menschen mit

höherem Einkommen unterstützt wird.‘“ Schon bald nach 1945 wurde den

Großkapitalisten und Kriegsgewinnlern ihr Vermögen und ihre Betriebe

zurückgegeben. Doch den Sklavenarbeitern, die den Reichtum des

Kapitals im Krieg erarbeitet hatten, wurde nicht ihr Lohn nachgezahlt. Der

Reichtum der Reichen, aber auch das deutsche Wirtschaftswunder der

sozialen Marktwirtschaft beruhten auch auf der Ausbeutung der

Zwangsarbeiter, schrieb der Historiker Ulrich Herbert am 29. Dezember 1998 in

der „Süddeutschen“ Ja, das Monopolkapital herrscht unumwunden – und vor

allem die Demokratisierung der Wirtschaft unterblieb. Und damit ist und

bleibt diese unsere Demokratie unvollständig, ja sie ist in Frage gestellt. Im

Jahr 1963 stellte der DGB-Bundeskongress von Düsseldorf fest: „Die

Entwicklung hat zu einer Wiederherstellung der alten Besitz- und

Machtverhältnisse geführt.“ Weiter: Das Sozialstaatsprinzip gehört zwar zu

den nicht änderbaren Grundsätzen des Grundgesetzes – es wird aber z.B.

durch die jüngste militaristische und unsoziale Grundgesetzänderung de

facto abgeschafft. Nur 5 % der derzeitigen MdB sind Arbeiter. Dafür wird wohl

der langjährige de facto Rüstungsindustrieelle und Finanzmonopolmanager

Friedrich Merz Bundeskanzler. Die einstige große Arbeiterpartei SPD wird

nun geleitet von einem Rüstungslobbyisten pro Rheinmetall, der am

liebsten die Niederlage von Stalingrad wettmachen möchte. So hörte es

sich an. Kurz nach dem russischen Kriegsbeginn führte Lars Klingbeil laut

„Spiegel“ vom 21.6.2022 auf einer SPD-Konferenz aus: „Nach knapp 80

Jahren der Zurückhaltung habe Deutschland heute eine neue Rolle“, die

darin bestehe, eine militärische „Führungsmacht“ zu sein. Mit Russland sei

kein Frieden möglich.

*

Zur Verwirklichung des Auftrags des 8. Mai bleibt viel zu tun. Denn wir sind weiter davon entfernt denn je, von Krieg und Faschismus wirklich befreit zu sein. Die Befreiungsbewegung des 8. Mai muss vollendet werden. Es muss die „Entfeindung“ der Erbfeinde, so wie im Fall Frankreich auch im Fall Russland gelingen. Denn es ist doch scharf zu verurteilen, dass das Land, das uns nie angriff, aber seit Kaisers und Führers Zeiten zweimal von Deutschland überfallen wurde, immer noch dämonisiert wird. 1815 half den Deutschen Russland im Kampf gegen die napoleonische Herrschaft. Zum Dank dafür bereitete Wilhelm II nach Bismarcks Abdankung 1890 den Krieg gegen Russland vor, wie auch Hitler, der 1941 das Land, das uns später bei der Befreiung half, überfiel.

Der 80. Jahrestag ist daher nicht nur Gedenktag, sondern Kampftag. Aber ein Feiertag im Sinne von Esther Bejarano sollte er in jedem Fall werden. Und nicht nur der Tag eines Waffenstillstands, der nach 80 Jahren wieder brüchig erscheint.

Die Befreiung in Dortmund

Die letzten sechs Monate des Krieges in Dortmund verdienen genauer angesehen zu werden.

Am 6. Dezember 1944: Der Wehrwirtschaftsführer Albert Vögler, seit den zwanziger Jahren einer der wohl mächtigsten den Faschismus unterstützenden Industrielle, wird von Hitler zum Generalbevollmächtigten der Ruhrgebietswirtschaft ernannt. Später wird er damit faktisch zum Regierenden des Ruhrkessels, der von Berlin abgeschnitten war. Vögler konnte im Ruhrgebiet alle Entscheidungen auf dem Gebiet der Rüstungsproduktion treffen. In Rüstungsrat, Reichsforschungsrat, Industrierat und Generalrat der Wirtschaft entschied er auf Reichsebene mit.

Der Historiker Dr. Stefan Klemp berichtete auf den Seiten des Dortmunder Stadtarchivs über die bisher wenig beachtete Rolle des Albert Vöglers am Kriegsende: Sein Privatvermögen hatte Albert Vögler von der Firma Popper verwalten lassen. Über diese Firma war er Hauptgesellschafter der Firma Union aus Fröndenberg östlich von Dortmund. Die Union gründete 1943 unter dem Namen „Weichsel-Metall-Union“ ein Werk im KZ Auschwitz. Dort produzierten über 1000 jüdische KZ-Häftlinge Artilleriezünder.

Jüdische Häftlinge des Sonderkommandos in Auschwitz hatten am 7. Oktober 1944 eine Gaskammer und ein Krematorium in die Luft gesprengt. Der Anschlag war der Auftakt für einen Aufstand, bei dem drei SS-Männer und Hunderte von Juden getötet wurden. Vier Frauen verschiedener Nationalität, die bei der Fröndenberger „Weichsel-Metall-Union“ in Auschwitz gearbeitet hatten, wurden verhaftet, es waren Rosa Robota, Ala Gärtner, Regina Saphirstein sowie Ester Weissblum. Sie hatten den Sprengstoff entwendet und den Widerstandskämpfern aus dem Sonderkommando übergeben. Die vier Frauen wurden am 6. Januar 1945 in Auschwitz öffentlich gehängt. Sie waren persönliche Opfer des Vögler.

Vögler entzog sich durch Suizid seiner Mitverantwortung für zwölf Jahre Faschismus an der Macht und für den Krieg; er fehlte daher auf der Anklagebank der Nürnberger Nachfolgeprozesse gegen die Kriegsverbrecher aus der Wirtschaft.

Ich meine: Der Tag der Ermordung der vier Frauen, Opfer des Vögler, sollte künftig als Gedenktag begangen werden.

Erinnert sei an diese Daten:

Am 17. Dezember 1944: Verhaftungen in Lippstadt (am 20.12., Verbringung der Lippstädter Gefangenen nach Herne, von dort Ende März 1945 nach Dortmund, wo sie ermordet werden).

Am 24. und 26. Januar 1945: Es ergehen die RSHA- und Gestapo-Befehle zur Beseitigung von Umstürzlern, Kommunisten und Ausländern per Sonderbehandlung ohne Nachfrage beim RSHA. Das war der Start zu den Kriegsendphasenverbrechen der letzten Kriegsmonate.

Die Verhaftungswelle der Gestapo in Dortmund beginnt am 9. Februar 1945.

21. Februar 1945: Die Jüdinnen Klara Adolph und Julie Risse aus Essen werden verhaftet, später in Dortmund umgebracht.

1. März 1945: Nero-Befehl Hitlers zur Zerstörung von Wirtschaftseinrichtungen und Verkehrsadern. Dortmunder Auswirkungen sind diese: Es wird von der Gestapo versucht, zahlreiche Zwangsarbeiter und Antifaschisten in Bergwerke zu verfrachten und diese zu fluten. Der Versuch wird von den Zechenherren abgelehnt und von Widerständlern vereitelt.

7. März 1945: Beginn der Exekutionen im Rombergpark und in der Bittermark (bis 12. April 1945).

12. März 1945: Schwerster Bombenangriff auf Dortmund und andere Ruhr-Städte.

16. März 1945: Das KZ auf dem Gelände des Dortmund-Hörder-Hüttenvereins wird wieder aufgelöst. Die Gefangenen werden nach Bergen-Belsen gebracht.

24. März 1945: Mit dem Vorstoß britischer Truppen über den Rhein bei Wesel beginnt der Kampf um den sog. Ruhrkessel.

1. April 1945, Ostersonntag: Der Ruhrkessel wird geschlossen. Hamm wird von US-Truppen besetzt.

  1. 1. April 1945: Die Gestapo für den Regierungsbezirk Arnsberg zieht von Hörde nach Hemer um und leitet von dort ihre Mordtaten in Dortmund, Hagen, Hemer und Umgebung. 7. April 1945: Der Kommandeur des Ruhrkessels General Walter Model befiehlt, alle Häftlinge aus Gefängnissen und Lagern der Gestapo zur „Überprüfung“ zu übergeben.

12. April 1945: Letzte Exekution in Dortmund, und zwar am Eisenbahngelände beim evangelischen Friedhof Hörde

13. April 1945: Die Amerikaner besetzen Dortmund und Lüdenscheid.

18. April 1945 Das heutige Nordrhein-Westfalen ist von der Naziherrschaft befreit. General Walter Model, Kommandeur des Ruhrkessels, nimmt sich in einem Versteck das Leben. Er hatte 350.000 Soldaten der Wehrmacht und SS befehligt, rund 12.000 von ihnen sind ums Leben gekommen. Unzählige Soldaten, die nicht mehr mitmachen wollten, wurden als Deserteure erschossen.

Als die amerikanischen Truppen Mitte April 1945 in das heutige Nordrhein-Westfalen einmarschierten und das Land von den Nazis befreiten, waren die Städte zerstört, die Infrastruktur zusammengebrochen und die Ernährungslage für die Bevölkerung katastrophal. Viele Menschen waren ohne Bleibe. Familien waren auseinander gerissen, und bei vielen gab es die Ungewissheit über den Verbleib von Angehörigen. Die Einwohner waren zermürbt, aber froh, nicht mehr in die Luftschutzbunker rennen zu müssen. Schon wenige Tage danach wurden vor allem in den Zechen und Fabriken Betriebsausschüsse und antifaschistische Initiativen aktiv. Im Widerstand gegen den Faschismus entstanden, haben sie Sabotageakte der Nazis verhindert und Zerstörungen unterbunden, die schlimmsten Nazis aus den Betrieben geworfen und ein allgemeines Chaos im Untergang der Naziherrschaft verhindert.

Nachdem das Land Ende Mai 1945 an britische Besatzungsbehörden überging, wurden mehrere Oberbürgermeister und weitere Beamte, später Abgeordnete von der Besatzungstruppe ernannt. Es bildeten sich schon bald auch auf Dortmunder kommunaler Ebene Ausschüsse mit Vertretern von Parteien, vor allem der SPD, der KPD und des christlichen Zentrums, das später weitgehend von der CDU geschluckt wurde. Aus Betriebsausschüssen bildeten sich neue Gewerkschaften auf örtlicher Ebene heraus. Gewerkschafter und Kommunalpolitiker hatten Maßnahmen zu beschließen, um die Lebensmittelversorgung zu verbessern, die Trümmerbeseitigung zu verstärken, Wohnraum zu schaffen und den Schulunterricht zu qualifizieren. Im einzelnen geschah dies:

Bereits am 18. April 1945: Bildung eines Betriebsausschusses im Werk Hörde der Dortmund Hörder Hüttenunion.

26. April 1945: Einrichtung einer Geschäftsstelle der Metallarbeiter-Gewerkschaft in der Alfred-Trappenstr. in Dortmund-Hörde (geleitet von Wilhelm Schröder, SPD, Wilhelm Kropp, chr. Gew., und August Rasch, KPD).

27. April 1945: Vertrauensmännerbesprechung auf dem Hoesch-Hüttenwerk in Dortmund. Vorlage eines 12-Punkte-Programms durch August Severin (KPD), zu dem „u.a. Fragen der Arbeitszeit, der Einstellung zu den bisherigen Vertretern der Nazis sowie Bestrafung derjenigen PG, die sich Misshandlungen an Kriegsgefangenen usw. haben zuschulden kommen lassen“, gehörten.

Es wurde schnell klar, die Verfolgten und Widerstandskämpfer brauchten eine Organisation, die Hilfe organisiert, ihre sozialen und politischen Interessen vertritt und am Aufbau eines neuen Gemeinwesens teilnimmt. So entstanden 1945 mit Zustimmung der Besatzungsbehörden in vielen Städten Hilfskomitees für die ehemaligen politisch Verfolgten.

Das politische Klima zu dieser Zeit war, damals auch unterstützt von der britischen Militärmacht, vielfach antifaschistisch und demokratisch. In Städten und Betrieben herrschte oft ein antifaschistischer Konsens der politisch tätigen Gruppen und Parteien. In dieser Zeit gab es Maßnahmen zur Entnazifizierung. So machten Bürgermeister per Plakatanschlag schon ab Juni 1945 die Umbenennung von Straßen bekannt.

Ein Dortmunder Komitee namens „Ausschuss für KZ-Häftlinge“ wurde von der Besatzungsmacht anerkannt und mit entsprechenden Vollmachten ausgestattet. Es bildete sich ein Verwaltungsorgan mit der Bezeichnung „Kreissonderhilfsausschuss“ (1). In Vororten bildeten sich Ausschüsse zur Betreuung für NS-Opfer. Die antifaschistischen Ausschüsse nahmen sich sofort der heimkehrenden Emigranten und KZ-Häftlinge an, um ihre Versorgung mit Wohnung, Kleidung und Lebensmitteln zu sichern. Neben der Beratung und Betreuung der Naziopfer und ihrer Angehörigen und Hinterbliebenen war das Anliegen dieser Ausschüsse die Ehrung der Toten. Ein Hilfskomitee richtete sich im Stadthaus ein.

Schon bald nachdem im April 1945 die Morde der Gestapo an den etwa 300 in- und ausländischen Widerstandskämpfern und Gegnern des Nazi–Regimes bekannt geworden waren, begannen Hinterbliebene dieser Opfer damit, sich zusammen zu finden. Schon kurze Zeit später – wenige Wochen nach den Morden – wurde ein Hinterbliebenen- und Gefangenenausschuss gebildet. Nach einigen Vorbesprechungen und organisatorischer Vorbereitung trafen sich Widerstandskämpfer und Naziverfolgte, um auf städtischer Ebene einen Zusammenschluss der Verfolgten des Naziregimes zu gründen. Unter dem Namen Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes (VVN) wurde später eine solche Organisation am 10. Februar 1947 ins Vereinsregister eingetragen. Sie vertrat rund 2000 Opfer und Hinterbliebene. Jüdische, christliche, kommunistische, christdemokratische und sozialdemokratische Vertreter gehören dem Vorstand an.

Nach der Entdeckung der Massengräber in der Bittermark und im Rombergpark wurden bekannte Nazis von der US-amerikanischen Besatzungsmacht (später war es die britische) gezwungen, die Ermordeten auszugraben. (2)

Ein überregionaler Hauptausschuss für die Opfer des Faschismus ging daran, Gedenkstätten für die Toten zu schaffen. So gab der Ausschuss zur einjährigen Wiederkehr der Morde im Dortmunder Rombergpark, „mit Genehmigung der Militärregierung“, kunstvoll gestaltete Gedenkblätter heraus. Aus dem Verkaufserlös von 10 Reichsmark sollte der Bau von Ehrenmalen in Westfalen unterstützt werden.

Am 13. April 1946 hatte die Westfälische Rundschau den Aufruf „Und ihr seid nicht vergessen“ veröffentlicht. Die Ruhr-Zeitung, Dortmund, veröffentlichte am 20. April 1946 einen Bericht mit längeren Auszügen aus einer Rede des stellvertretenden Oberbürgermeisters Hans Kalt (KPD), der namens der Stadt sprach und die Verurteilung des früheren Gauleiters Albert Hoffmann verlangte, der die Opfer der Bittermark und des Rombergparks auf dem Gewissen habe.

Der Hinterbliebenen– und Gefangenenausschuss und die VVN unternahmen große Anstrengungen, die NS-Mörder zu finden und dafür zu sorgen, dass sie vor Gericht gestellt werden. Schon im Verlaufe dieser Bemühungen leisteten sie Aufklärungsarbeit unter der Bevölkerung, aber auch konkrete Sozialarbeit unter den NS-Opfern. Erna Mörchel, die Frau des ermordeten Bergarbeiters Erich Mörchel, erinnert sich in ihrem Bericht „Aus meinem Leben“: „Die Rente für mich und die Kinder war sehr klein. Als wir im Laufe der Zeit die Summe von 140 Mark bekamen, hatte die Frau von Hermann Göring schon 2.000 Mark Pension“.

Schon früh begann der Aufbau einer Dauerausstellung „Widerstand und Verfolgung in Dortmund 1933 bis 1945“ durch die überlebenden Opfer, welche die Gründung des Internationalen Rombergpark-Komitees betrieben. Zu diesem Komitee kam es – und diese Entwicklung ist leider bezeichnend für die gescheiterte Entnazifizierung -, weil die Kameradinnen und Kameraden befürchten mussten, dass das Verbot der KPD sich in ein Verbot der VVN-BdA steigern könnte. Das IRPK war sozusagen zunächst eine vorbeugende Ersatzorganisation.

Zu diesem bevorstehenden 8. Mai 2025 muss ich leider konstatieren:

Ganz gravierend und höchst bedauerlich ist die Ausmerzung der antifaschistisch-kapitalismuskritischen Aussagen in den großen Gedenkstätte in NRW, so in Köln, Düsseldorf, Oberhausen, Essen und – bevorstehend – in Dortmund, wo der Raum 7 „Die Schwerindustrie setzt auf Hitler“ beseitigt wird. In der Gedenkstätte Wewelsburg, der ehemaligen Kultstätte der SS, fehlt jeder Hinwies auf den Freundeskreis Heinrich Himmler, sicherlich weil dieser Freundeskreis faktisch – mit den Mitgliedern aus der Wirtschaft – nach 1945 weiterbestand.

Da ist es bedeutend, dass in Köln eine Bodenplatte vor der Villa eines hohen Bankiers und Naziförderers liegt, die 1996 von der SPD beantragt worden war. Um an die Vorbereitung der Hitler-Diktatur zu erinnern, heißt es darauf:

„Hier, im Haus des Privatbankiers Kurt Freiherr von Schröder, trafen sich am 4. Januar 1933 Adolf Hitler und Franz von Papen…“ (3)

Dazu dies: Die VVN-BdA beantragte – erfolglos – im Januar 2017 in Dortmund: Es möge – ähnlich der in Köln – eine Bodenplatte oder eine Tafel geschaffen werden mit der Inschrift:

„Hier an der Ecke Eintrachtstraße/Hainallee stand die Villa Springorum. Es trafen sich darin am 7. Januar 1933 Franz v. Papen und führende Ruhrindustrielle des Geheimbundes ‚Ruhrlade’, um die Machtübertragung an Adolf Hitler und seine Partei zu entscheiden. Sie erfolgte am 30. Januar 1933, und viele Ruhr industrielle unterstützten sie. Sie profitierten von Rüstung und Krieg, von der Beseitigung der Demokratie und der Arbeiterrechte, von Antisemitismus, Holocaust und Zwangsarbeit und von der Unterdrückung und Ausplünderung der Völker Europas.“

Die Antwort der Stadt Dortmund, Abteilung Stadtarchiv war diese: Der Text entspreche nicht den Tatsachen; eine derartige Förderung des Nazismus durch die Industrie habe es nicht gegeben.

Das ist ein Schritt in die falsche Richtung. Er wird dem Auftrag des 8. Mai nicht gerecht.

Er wird auch nicht dieser klugen Aussage des Stadtarchivars von Dortmund gerecht. Dr. Stefan Mühlhofer schrieb in „Heimat Dortmund“ (Nr.1/2011): „Die Verwandlung eines Kernlandes der europäisch-atlantischen Zivilisation in einen Ort der Barbarei geschah in enger zeitlicher Nachbarschaft zu uns heutigen. Dort haben wir und unsere direkten Vorfahren gelebt, auf diesem Boden sind wir geboren worden. Deshalb ist auch das Benennen und Verdeutlichen von Täterstrukturen vor Ort so wichtig. Es geht also in unseren Gedenkstätten heute um das Bewusstsein einer Gefährdung unserer Zivilisation. Denn heute wissen wir, dass es eine Illusion war zu meinen, der Zivilisationsprozess seit der Französischen Revolution sei unumkehrbar. Es geht also um eine Gefährdung, die immer aktuell bleiben wird.“

(Ergänzend zu dem Referat in seinen zwei Teilen kann ein Blatt mit Angaben über die Nachkriegsrolle der Nazis in den Dortmunder Behörden, vor allem Polizei, bereit gestellt werden.)

Anmerkungen

  1. dem angehörten: Wilhelm Volk (KPD), Eugen Schwörer (SAP), Ewald Sprave (SPD), später – nach der Rückkehr aus dem Konzentrationslager – kamen als Beisitzer Max Reimann (KPD) und Fritz Henßler (SPD) hinzu.
  2. Am 26. August 1945 fand auf dem Hansaplatz eine Trauerkundgebung statt, einberufen vom „Ausschuß für KZ-Häftlinge“. Redner waren: Fritz Henßler (SPD) und Jupp Smektala (KPD). Am Karfreitag 19. April 1946 fand im Rombergpark, an jener Stelle, an der sich heute das Eingangsgebäude zum Zoo befindet, eine Gedenkstunde statt. Der Grundstein zu einem Ehrenmal im Rombergpark wurde gelegt. Es wurde ein Aufruf verbreitet, den so bekannte Antifaschisten unterzeichnet hatten wie Fritz Henßler für die SPD, Max Reimann für die KPD, Heinz Junge für die Freie Deutsche Jugend, Regierungspräsident Fritz Fries, Oberbürgermeister Wilhelm Hansmann, ferner Vertreter der CDU, FDP, der Gewerkschaften, der Falken und zahlreiche andere Vertreter demokratischer und antifaschistischer Organisationen. In jener Zeit arbeiteten Heinz Junge und der spätere Oberbürgermeister Günter Samtlebe zusammen – letzterer war als junger Mann in die WaffenSS eingetreten und wandelte sich nun, wie er sagte mit Heinz Junges Hilfe antifaschistisch.
  3. Wortlaut: „Hier, im Haus des Privatbankiers Kurt Freiherr von Schröder, trafen sich am 4. Januar 1933 Adolf Hitler und Franz von Papen, um über eine Regierungsbildung zwischen Nationalsozialisten und Rechtskonservativen zu beraten. In einem Gespräch wurden die Weichen für Hitlers Ernennung zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 gestellt und die Voraussetzungen für die menschenverachtende Diktatur der Nationalsozialisten geschaffen. Kurt von Schröder unterstützte bereits vor 1933 die Ziele des Nationalsozialismus und organisierte nach 1933 finanzielle Leistungen der deutschen Wirtschaft an die SS.

Fotos

Ala Gärtner 1912-1945. Eine der vier jüdischen Kämpferinnen, Opfer des Vögler.

Albert Vögler 1940
Einer der Mörder am Kriegsende – Stöwe. Er wurde wieder Polizist in der Nachkriegszeit.
Ulrich Sander an der Hainallee, Villa des Springorum, Tagungsort der Ruhrlade
Gedenkstein für die vier ermordeten Frauen auf dem jüdischen Friedhof in Fröndenberg (Stadtarchiv)

Die folgenden Zeilen handeln von Willi Gaus Frau Irmgard und der Zwangsarbeitertochter Tatjana. Willi und Irmgard waren Mitglieder der VVN-BdA

Ulrich Sander, Mitglied der Deutschen Journalistenunion seit 1963

Aus dem Bericht „75 Jahre VVN Dortmund“:

November 1997: Pressekonferenz der VVN-BdA und des Internationalen Rombergparkkomitees zur Begegnung mit einem bisher unbekannten ehemaligen Zwangsarbeiterkind, das sich aus der Ukraine meldete und im Krieg bei deutschen Antifaschisten versteckt wurde. Tatjana Schkolenko aus Kiew wurde als Kind mit ihrer Mutter von der Wehrmacht nach Dortmund verschleppt und vegetierte in einem Lager in der Nähe des Sunderweges, während ihre Mutter Zwangsarbeit leisten musste.

Als sie schwer erkrankte, sprach ihre Mutter verzweifelt ihr unbekannte Deutsche Obertin an, die das Kind Tatjana zu sich nahmen und bis zum Kriegsende gesund pflegten. Tatjana Schkolenko wurde von nun an Mitglied des Internationalen Rombergparkkomitees. Dort trifft sie auch Irmgard Gau, geborene Obertin, wieder. Die Familie Obertin hatte Tatjana gerettet. Die katholische Maximilian Kolbe-Stiftung hatte Irmgard Gau auf Bitten von Tatjana Schkolenko ausfindig gemacht.

Aus meinem Buch „Mord im Rombergpark“ (Grafit, 1993) sende ich Ihnen den Bericht des Dortmunders Willi Gau (Jg. 1923), der leider nicht mehr lebt. Aber der Bericht dürfte für Sie interessant sein:

«Was geschah außerhalb der Kerkerwände von Hörde? Willi Gau, damals ein 22jähriger junger Mann aus dem Dortmunder Norden, berichtet, wie sich auch ohne Kenntnis von Widerstand und Verfolgung Opposition gegen den Krieg bis in die letzten Kriegswochen hinein regte.

„Obwohl mein Vater gesagt hatte: Geh nicht, war ich Kriegsfreiwilliger. Ich war begeistert. Da kamen Offiziere zu uns zur Schule, wir hatten ja keinen Unterricht mehr, sondern es war Wehrmachtsunterricht. Ich war dann Offiziersanwärter. Und nach zwölf Wochen Grundausbildung und acht Tagen Dienst – da hatte ich es schon satt. Und trotzdem haben sie mich hier in Dortmund zum Offizierslehrgang geschickt. Dann waren wir draußen, und da hat uns wohl der Russe überrascht. Und da blieb nur eins: Abhauen. Und dann der ganze Rückzug – ungeordnet. Wie sind wir da gelaufen! Verwundet stand ich vor einem russischen Panzer, und da hab ich zum ersten mal gesagt: Krieg ist Wahnsinn. Dann bin ich ins Lazarett gekommen. Ich kam nicht mehr zu meiner Einheit, sondern ins Feldlazarett und dann nach Wien. Das war Anfang August ‘44, Ende Juli bin ich verwundet worden. Ende August bin ich dann wieder entlassen worden, nach Hause. Und dann sollte ich mich wieder melden in der Kaserne in Heesen hier bei Hamm.

Danach bin ich nicht mehr rausgefahren. Da hab ich gesagt, es ist sowieso Ende. Und dann hörten wir ja auch, dass der Ami in der Zwischenzeit gelandet ist. Was ich machte, war mehr Abenteurertum. Ich sagte mir, da draußen, da verreckst Du sowieso. Mein Vater sagte: Überleg dir das, die kriegen dich. Ich sag: Warum, die Amis sind doch bald hier. Und dann kam im Winter das Malheur mit den Ardennen, wo wir im Westen noch einmal gegen die Amis einen Gegenangriff mit vorübergehendem Erfolg machten.

In Dortmund bewegte ich mich ganz frei, einmal in Zivil, einmal hatte ich Uniform an. Ich bin in die Stadt nach Dortmund gegangen, zum Tanzen. Mir ist überhaupt nichts passiert. Bin nicht einmal kontrolliert worden. Ich hab satt zu essen gehabt.

Dann die Kontrolle mit den Polizisten. Aber ich kannte die ja alle, von der Mallinckrodtstraße-Wache. Ich hab mir gar nichts dabei gedacht. Dann haben die mich eingekreist. Und dann sagte der eine, der Räthmann und auch der Leineweber, die sagten dann: Komm mit, Willi. Ich sagte: Was soll ich denn? Ja, es liegt was vor. Ich bin mit denen in den Bunker gegangen, und dann saßen die schon von der Wehrmacht da. Die haben mich mitgenommen und dann kam ich zum Bahnhof hin. Zum Bunkerstollen am Bahnhof, da war die Kaserne. Eine Etage darüber, da war ein Podest aufgebaut, provisorisch, und dann hatten sie da auch Zellen. Da wurde ich vernommen, und sie kriegten natürlich alles raus.

Dann kam die Verhandlung. Die dauerte ungefähr eine Stunde. Und der Oberfeldwebel, das weiß ich noch so wie heute, der legte die Waffe auf den Tisch. Er sagte: Du wirst sofort hier erschossen, ob du jetzt die Wahrheit sagst oder nicht, du bist sowieso reif. So oder ähnlich hat er sich ausgedrückt. Und dann hat er noch die Waffe entsichert und auf den Tisch gelegt, und ich saß da gegenüber. Ich denke, was sollst du machen. Und dann sagt der in Zivil, ob das nun ein Richter war oder so, der sagte: Ja, es hat keinen Zweck mehr. Wir werden ihn jetzt in einer Viertelstunde erschießen, dann wird er abgeführt zum Erschießen. Nee, sagt der Feldwebel, der wird sofort erschossen. Ich denke, ach, du Arschloch, du. Ich sah die letzte Chance. Es wurden wieder ein paar Worte gesprochen, und ob mir das jetzt einer abnimmt oder nicht, ich weiß es nicht. Auf jeden Fall, ich habe sowas gemacht:

Ich hab mir die Waffe gegriffen übern Tisch, ich kam gut dran, der Tisch war nicht breit. Der hatte die Waffe frei liegen. Ich wußte, es ist alles fertig; ich kann sofort ballern. Ich hab mir die Waffe genommen, ich habe gesagt: Hände hoch. Was denkt Ihr, wie schön die zurückgegangen sind… Durch die Tür konnte ich nicht, die war ja bewacht. Ich hab mir gesagt: Du springst jetzt. Ja, dann bin ich da runtergesprungen. Habe natürlich die Waffe dabei verloren, bin unten aufgeschlagen aufs Knie, da waren ja noch die Gleise von den Loren zum Stollenbau. Aber es war nicht schlimm, ich konnte auf jeden Fall laufen. Wie hoch das war, weiß ich nicht, vielleicht vier Meter. Dann bin ich raufgelaufen bis zum Hiltropwall. Da bin ich rausgekommen aus dem Stollen. Und das war dann das Blöde, was ich gemacht habe, ich bin nach Hause gelaufen.

Und zu Hause war nur der Opa. Und ich bin gerade fertig angezogen, da schellt es. Ich denk, das sind sie. Ich rauf auf den Balkon, das war in der Scharnhorststraße, da ist ein großer Balkon nach vorne raus. Und im Nachbarhaus, da wohnt die Emilie Kanwischer, da war zum Glück das Fenster auf. Vom Balkon bin ich an der Mauer entlang, bin dann da rein. Und der Opa, der war ja jetzt schlau: Ich nicht verstehen, sagt er. Ich bin alleine. Und dann sind die wieder gegangen, wieder runtergegangen. Das war sehr wahrscheinlich mein Glück. Ich sag zu Mielchen: Guck mal. Sie machte mir die Tür auf, dann zum Boden rauf. Durch die Bombenangriffe waren natürlich die ganzen Pfannen vom Dach ab. Dann habe ich mich da versteckt. Nach einer halben Stunde kamen die wieder. Und dann haben sie das ganze Haus durchsucht. Da stand ich oben auf dem Boden hinter der Tür mit einem Stein in der Hand. Die kamen da rauf. Mit Pistole. Und ich stand dahinter. Ich hätte zugeschlagen, aber er hat nicht hinter die Tür geguckt. Und dann wieder runter. Ich dachte, hier kannst du nicht bleiben. Dann bin ich oben unters Dach auf den Dachboden. Da waren ja keine Pfannen – bin rüber aufs Nachbarhaus und dann bin ich zu einer Bekannten gegangen.

Und dann kam der Tag im April. Das weiß ich noch ganz genau. Wir haben uns so zusammengesetzt, sieben, acht Mann, die alle desertiert waren und andere, mit denen ich groß geworden bin. Was sollen wir machen? Der Ami kam nicht rein, der lag in Huckarde. Kannst du englisch? sagt einer. Schulenglisch, sag ich, richtig gesprochen hab ich noch nicht. Geh du doch und hol die rein, sagt er. Und dann bin ich mit zwei Mann abends losgegangen über das Schiffahrtgelände und über die Schlackenhalde. In zivil natürlich. Die Amis lagen ungefähr so bei Rahm. In Huckarde direkt waren noch keine. Dann kamen wir dahin. Erst mussten wir die Hände hochheben. Die hatten sich da schon eingerichtet, die lagen da bestimmt schon sechs, sieben Tage. Die waren nicht vorgerückt, weil sie immer Angst hatten, sie kriegten in der Stadt vielleicht noch Angriffe.

Kann ich den Offizier sprechen? Jetzt wurde verhandelt, die halbe Nacht. Dann haben sie uns so um fünf Uhr geweckt. Da musste ich zum Offizier kommen. ,Wir haben den Befehl, mit Euch loszumarschieren.’ Da sind wir durch die Westfaliastraße marschiert. Auf Dortmund zu. Die immer in Deckung, wir mitten auf der Straße und Hände hoch. Wenn ein Schuß auf sie gefallen wäre, hätten sie wahrscheinlich uns zuerst umgelegt. Dann sind wir die Westfaliastraße gegangen, dann Mallinckrodtstraße bis zum Sunderweg, dort rein, abgebogen, Scharnhorststraße. Und die Leute – alle mit weißen Fähnchen. Aahh! Die waren natürlich glücklich, dass es zuende war, dass die Amis da waren. Und wir sind gefeiert worden, wir drei. Die haben aus den Fenstern gewinkt. Ich war der beste im ganzen Laden. Es war kein Schuß mehr gefallen. Die Amis waren auch wirklich froh, dass alles zuende war. Dann haben sie uns Danke gesagt, und wir konnten wieder nach Hause gehen. Dann haben wir erst mal gefeiert.

Noch eins: Man kann nicht sagen, man habe in jener Zeit nichts gewußt. Natürlich, Auschwitz war weit. Aber es gab doch überall Gefangene, Juden, die haben sie abgeholt. Oder politisch Mißliebige. Ich wußte während des Krieges, dass die abgeholt wurden. Wenn auf jeder Seite die Menschen sagten: Das ist Unfug – dann gäb’s gar keinen Krieg. Dann könnten sie das nicht mit uns machen. Dann könnten sich die Offiziere duellieren.“

Soweit der Bericht von Willi Gau. (Am 7. April 2025 hinzugefügt, C.S.)

Hinweis: Gastbeiträge geben immer die Meinung des jeweiligen Autors wieder, nicht meine. Ich veröffentliche sie aber gerne, um eine vielfältigeres Bild zu geben. Die Leserinnen und Leser dieses Blogs sind auch in der Lage sich selbst ein Bild zu machen.

Zu Ulrich Sander.