Gastbeitrag von Dr. Urbain N’Dakon: Schwarz-weiße Überlegungen

Urbain N‘ Dakon beim LickLike-Festival in Dortmund 2019 mit seinem Musikerkollegen aus Togo. Foto: Hans Lantzsch

Was hat ein weißer Rassist für ein Problem mit der schwarzen Hautfarbe? Warum hasst der weiße Rassist den schwarzen Mitmenschen? Warum ist für ihn die Farbe der Haut so wichtig, dass er bereit ist, für dieses biologische Merkmal zu kämpfen, womöglich zu töten? Wer Rassismus nicht versteht, liegt in seinen Bemühungen ständig daneben.

Die Geschichtswissenschaft lehrt uns, dass die ersten Bewohner*innen Europas Schwarzafrikaner*innen waren, deren Organismus sich der extremen Kälte, insbesondere der letzten Eiszeit anpassen musste, so dass bei ihnen das nicht mehr benötigte Melanin verlorenging und damit auch die ursprüngliche Farbe der Haut. Veränderungen an den Augen und Haaren sind nach dieser Erkenntnis auch eine Auswirkung dieses langen Anpassungsprozesses. Die derart veränderten Afrikaner*innen hatten dann Kinder mit „noch schwarzen“ Afrikaner*innen, diese hatten wiederum Kinder mit Weißen und die Kinder welche mit „nicht ganz weißen“ usw… So entstanden nach der Lesart, die uns die Geschichtswissenschaft erlaubt, die vielfältigen Variationen in der Hautfarbe, wie wir sie heute kennen. Die logische Konsequenz ist dann festzustellen, dass alle bisher bekannten Hautfarben, die Töchter, Enkelinnen und Urenkelinnen der schwarzen sind. Ein Weißer ist deshalb nichts Anderes als ein weißer Afrikaner, der seit Jahrtausenden nicht mehr in Afrika lebt, also einer, der mit den heutigen Afrikanern wie mit allen anderen Menschen dasselbe genetische Material teilt.

Wie ist dann der Hass zu erklären?

Wie ist dann dieser Hass des weißen Rassisten gegen die schwarze Hautfarbe zu erklären, wenn er selbst der späte Nachfahr von Schwarzafrikanern ist?

Eine Erklärung: Der weiße Rassist ist ein Mensch, der eine Wut in sich trägt, die ursprüngliche Hautfarbe verloren zu haben. Doch statt gegen die Natur richtet sich seine Wut gegen diejenigen, die diese Hautfarbe offensichtlich noch tragen. Der Hass gegen die Träger der schwarzen Hautfarbe ist also ein Selbsthass vor dem Hintergrund eines erlittenen Verlustes, der sich heute wie eine Art Urschmerz darstellt. Die akribisch von Pseudowissenschaftler*innen zusammengebastellte Ideologie einer vermeintlich nachgewiesenen Überlegenheit der weißen „Rasse“ hat die Funktion, die als Verlust empfundene Veränderung zu kompensieren und erträglicher zu machen. Deshalb wird seit Jahrhunderten immer noch nicht aufgehört, wissenschaftliche Nachweise für die „Unterlegenheit schwarzer Menschen“ zu sammeln. Dieser systematische Selbstbetrug ist zur Basis der Kultur geworden und wird tradiert an weitere Generationen weitergegeben. So sehr, dass es für einen weißen Rassisten das Selbstverständlichste der Welt ist, diese Ideologie zu übernehmen und Menschen mit schwarzer Hautfarbe zu hassen.

Das aufwendige Aufrechterhalten der rassistischen Ideologie

Es ist nicht leicht, diese trügerische und inzwischen zum Monstrum emporgereifte Ideologie der weißen Überlegenheit aufrechtzuerhalten. Es ist für jeden normalen Menschen offenkundig, dass sie auf wackeligen Füßen steht. Der Rassist muss sie also ausdrücklich, absichtlich und aufwendig pflegen, um sie aufrecht zu erhalten, weil er sich für ein Kulturgut hält. Der große Aufwand, den er betreibt, beeindruckt und täuscht darüber hinweg, dass der Rassist eigentlich nicht 100% von seiner Ideologie überzeugt ist. Tief in seiner Psyche ist immer noch die Stimme der Vernunft, die ihm zuflüstert, dass er sich etwas vormacht. Tritt ein Mensch mit schwarzer Hautfarbe in sein Blickfeld, fällt das ideologische Gebäude wie ein Kartenhaus komplett in sich zusammen. Die Wunde reisst wieder auf. Und der Rassist wird noch wütender, noch aggressiver. Aus gutem Grunde, denn der aus seiner Sicht so lebensnotwendige Selbstbetrug wird unmöglich, wenn er seine ursprüngliche Hautfarbe immer wieder vor den Augen hat. Der Verlust wird noch präsenter und schmerzhafter, der schuldige Schwarze muss entfernt werden. Mit dem Rassismus haben wir es also mit einer hoch pathologischen Erscheinung zu tun.

Und wie steht der Rassist zu Afrika?

Kehren wir zum Ausgangspunkt unserer Überlegung zurück, fällt uns wieder ein, dass die Geschichtswissenschaft den afrikanischen Kontinent als „die Wiege der Menschheit“ bezeichnet. Um es einfach zu halten spreche ich von dem Elternhaus aller Menschen. Es ist davon auszugehen, dass sich dieser Umstand nicht mehr ändern wird. Wie können wir dann die Tatsache deuten, dass ein Mensch, der das Elternhaus verlassen hat und nun ganz woanders wohnt, seine Zeit und Energie darin investiert, Strategien und Pläne zu schmieden, um die Ressourcen aus seinem Elternhaus auszuplündern und in sein neues Wohnhaus zu tragen? Schlimmer noch: den tödlichen Müll aus seiner industriellen Aktivität in das Elternhaus zurückzutragen und damit seine noch im Elternhaus lebenden Brüder und Schwestern, zu vergiften und systematisch umzubringen? Der weisse Rassist hat sich darin spezialisiert, eine unerschöpfliche Bandbreite tödlicher Produkte für sein ursprüngliches Elternhaus herzustellen und zu vertreiben (giftige Industrieprodukte, giftige Zigaretten, giftige Medikamente, giftige Treibstoffe, Waffen, Kriege und Rebellionen usw…). Wir merken: Auch zu seinem ursprünglichen Elternhaus pflegt der weiße Rassist ein gestörtes, hoch pathologisches Verhältnis. Traditionelle Kulturen würden hier von einem verlorenen, einem unwürdigen oder gar von einem der Verdammnis geweihten Sohn sprechen. Wie schafft es denn der weiße Rassist, kein schlechtes Gewissen zu haben? Durch die kontinuierliche Pflege seines ideologischen Gebäudes, zu dem er vor etwa 60 Jahren eine neue Strategie hinzufügte: Eine offizielle Politik der „Entwicklungshilfe“ an seine im Vaterhaus gebliebenen Brüder und Schwestern.

Ein Ausweg?

Urbain N’Dakon (rechts) im Kirchgarten der Dortmunder Pauluskirche. Foto: C. Stille

Die große Frage: Kann der weiße Rassist von seinem gestörten Verhältnis zur schwarzen Hautfarbe und zum schwarzen Kontinent befreit werden? Genauso wie ein kranker Mensch nur geheilt werden kann, wenn er sich als einen solchen wahrnimmt und sich ehrlich einer Behandlung unterzieht, müsste der weiße Rassist bereit sein, der Wahrheit ins Auge zu sehen und seine krankmachende Ideologie aufzugeben. Dass es aber keine leichte Aufgabe ist, merken wir, wenn wir daran denken: Er ist dermaßen mit seiner Ideologie identifiziert, dass er das Gefühl hat, er müsste sterben, wenn er sie aufgeben würde. Ein Patient, der davon überzeugt ist, durch eine Behandlung sein Leben zu verlieren, akzeptiert natürlich keine Behandlung. Die Befreiung vom Rassismus entpuppt sich hier deshalb als Herkules-Aufgabe, die nur als gesamtgesellschaftliche Aufgabe lösbar wäre. Ziel müsste sein, den Rassisten zu lehren, sich selbst zu akzeptieren und zu lieben statt andere zu hassen, sich mit seinem früheren Erscheinungsbild zu versöhnen, die bestehende Mannigfaltigkeit der Hautfarben als Sieg der Überlebensfähigkeit des Menschen zu feiern und nicht als Bedrohung zu sehen.

Quelle: Dr. Urbain N’Dakon via Facebook mit freundlicher Genehmigung des Autors

Zum Autor, dem Wissenschaftler und Künstler, Dr. Urbain N’Dakon lesen Sie bitte hier etwas.

Im folgenden Streaming-Video lernen Sie, liebe Leser*innen den Gastautor – zusammen mit musikalischen Mitstreitern – als Musiker und Sänger kennen