Palästina-Kongress: Veranstalter beklagen öffentliche Diffamierung und staatliche Repression

Aufgrund bloßer Vermutungen und fadenscheiniger Vorwürfe löste die Polizei am Freitag den Palästina-Kongress in Berlin gewaltsam auf. Der jüdische Anmelder kritisiert immer massivere Beschränkungen der Meinungsfreiheit und zunehmende Repressionen in Deutschland.

Von Susan Bonath

Wochenlang tobte in den deutschen Mainstream-Medien eine harte Diffamierungskampagne gegen die Veranstalter des Palästina-Kongresses. Die Polizei schikanierte Mitorganisatoren mit Hausdurchsuchungen, es hagelte Einreiseverbote. Nach einer von der Staatsmacht verursachten Verzögerung startete die von der Polizei zur „Demonstration“ umdefinierte Konferenz am Freitag schließlich doch samt Livestream. Doch keine zwei Stunden später war Schluss damit: Gewaltsam hat die Polizei das Treffen aufgelöst und den Kongress komplett verboten – mit fadenscheinigen Argumenten, die deutschen Gesetzen kaum standhalten.

„Unverhofft von Polizei gestürmt“

Der Anmelder des Kongresses war nicht etwa ein Hamas-Mitglied, wie man aufgrund der Medienkampagne über diese angebliche „Antisemiten-Veranstaltung“ vermuten könnte, sondern der Verein „Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost“. Dessen Vorsitzender Wieland Hoban sprach am Samstag auf einer Pressekonferenz von „massiven Repressionen“. Diese zeigten, „dass der deutsche Staat nicht will, dass wir seine Mitschuld am Genozid in Gaza ansprechen und anklagen“, so Hoban. Er fügte an:

„Während die deutsche Regierung schamlos vor den Augen der Welt einen Völkermord unterstützt, werden demokratische Rechte hier in Deutschland ausgehebelt, um Proteste von Jüdinnen und Juden und Palästinenserinnen, die einen Waffenstillstand fordern und für ein Ende der Besatzung Palästinas ihre Stimme erheben, zum Schweigen zu bringen.“

Die Konferenz sei völlig unverhofft „von der Polizei gestürmt“ worden, erläuterte Hoban. Dies müsse „alle alarmieren, die sich für demokratische Freiheiten, Antirassismus und Menschenrechte einsetzen“. Er wies die Argumentation der Polizei zurück. Diese habe erklärt, dass eine Gefahr der Gewaltverherrlichung sowie volksverhetzender und antisemitischer Rufe bestanden habe. Vorgelegen habe all das nicht. Hoban fügte an:

„Statt rechtsstaatlichen Grundsätzen zu folgen und etwas zu bestrafen, wenn eine Tat auch wirklich begangen wurde, reichte hier die Vermutung einer Behörde im Vorfeld für ein Veranstaltungsverbot.“

„Rechtswidrige Beschränkung der Meinungsfreiheit“

Die Polizei griff rabiat ein, als die Veranstalter eine Videobotschaft des palästinensischen Wissenschaftlers Dr. Salman Abu Sitta abspielten. Der 86-jährige Geograf hatte als Kind die sogenannte Nakba erlebt, also die massenhafte Enteignung und Vertreibung Hunderttausender palästinensischer Familien im Jahr 1948. Im Livestream, der wenig später abbrach, waren in der Videobotschaft bis dahin keine strafrechtlich auffälligen Äußerungen von ihm zu hören. Hoban sagte: „Die Polizei handelte in völliger Willkür.“

Die Rechtsanwältin des jüdischen Vereins, Nadija Samour, fühlt sich „überrumpelt“. Der Redner Abu Sitta und der Inhalt seiner Botschaft seien der Polizei genauso vorab zur Kenntnis gebracht worden wie auch die Vorträger aller anderen, die auftreten sollten. In mehreren Sicherheitsgesprächen habe die Ordnungsmacht alles abgesegnet. Diese Gespräche hätten „keinen Anlass gegeben, mit einem Verbot zu rechnen“, betonte Samour. Das Vorgehen stehe im Widerspruch zum Berliner Polizeigesetz.

Demnach stürmte die Polizei den Saal kurz nach dem Beginn des Videos, stellte sich vor die Bühne und verlangte einen sofortigen Abbruch. Begründet habe sie das mit einem „Betätigungsverbot“ des Redners in Deutschland, verhängt wegen angeblicher „Äußerungsdelikte“. „Das war allerdings niemandem zuvor bekannt“, sagte Samour. Ohne weiteres Verhandlungen habe die Polizei im Betriebsraum dann den Strom abgestellt – der Livestream brach ab.

Auf jegliche Kommunikationsversuche der Veranstalter sei die Polizei dabei nicht eingegangen, berichtete die Anwältin weiter. Der jüdische Verein habe angeboten, das Video nicht abzuspielen, wollte schließlich sogar den Livestream abbrechen. Der Einsatzleiter beharrte laut Anwältin auf dem Verbot, weil „er trotz nicht juristisch relevanter Inhalte eine ausreichende Vermutung sah, dass künftig strafbare Äußerungen fallen könnten“. Dies sei eine rechtswidrige Beschränkung der Meinungsfreiheit, betonte Samour.

Palästinensischer Arzt festgenommen

Eine Rednerin erläuterte einen weiteren Vorfall im Zusammenhang mit dem Kongress. Der palästinensische Arzt Dr. Ghassan Abu Sittah (nicht verwandt mit dem oben genannten Wissenschaftler), sei am Berliner Flughaften festgenommen und so an der Einreise in Deutschland gehindert worden. Auch ihm würden „Äußerungsdelikte“ unterstellt, also das öffentliche Kundtun einer der Bundesregierung nicht genehmen Meinung. Dabei habe sich Abu Sittah stets für Frieden zwischen Israelis und Palästinensern eingesetzt.

Die Rednerin erläuterte, dass der Mediziner im schottischen Glasgow studiert habe. Nachzulesen ist, dass er heute in London lebt und dort 2005 etwa die Opfer der Londoner Bombenanschläge behandelte. Außerdem sei er in vielen Kriegsgebieten als Arzt im Einsatz gewesen, darunter im Irak, im Jemen, in Syrien – und zuletzt 43 Tage im nunmehr völlig zerstören Al-Schifa-Krankenhaus in Gaza-Stadt zusammen mit der Vereinigung „Ärzte ohne Grenzen“.

„Als Arzt wollte er nur seine Erfahrungen des brutalen Gaza-Krieges auf dem Kongress teilen“, sagte die Rednerin und kritisierte: Es gebe „einen Generalverdacht des Antisemitismus gegen Palästinenser in Deutschland. Und sogar gegen Juden werde dieser Vorwurf zunehmend erhoben. In diesem Zusammenhang berichtete sie, dass die Polizei bei der Auflösung des Kongresses auch zwei Mitglieder des Vereins „Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost“ vorübergehend festgenommen habe.

Diffamierende Medienkampagne

Kritik gab es auch an den deutschen Leitmedien. Sie hätten Veranstalter und Teilnehmer nicht nur übel diffamiert und schikaniert, sondern auch Tatsachen verdreht, Sachverhalte hinzugedichtet, eigene Spekulationen nicht als solche gekennzeichnet und Namen vertauscht. Das alles und letztlich das Verbot des Kongresses „markiert eine neue Stufe der politischen Repression in Deutschland“, hieß es.

In der Tat drehten zahlreiche Medien und Organisationen völlig frei. Laut dem Zentralrat der Juden, der den rechtsextremen Zionisten in Israel nahesteht, verurteile sogar ein (vermutlich von ihm selbst gegründetes) „Bündnis gegen antisemitischen Terror“ den Kongress.

Der Berliner Tagesspiegel, für Hetzkampagnen bekannt, berichtet seit Wochen über einen „Kongress der Israelhasser“, Springers Welt – der herausgebende Axel-Springer-Verlag verdient am illegalen Siedlungsbau im Westjordanland mit – fabulierte von „Israel-Hass pur“, die Jüdische Allgemeine trommelte für ein Verbot. Und auch die öffentlich-rechtliche ARD witterte „antisemitische Hetze“, die es zu verhindern gelte.

Westliche Doppelstandards

All dies, während die Besatzungsmacht Israel unter den Fittichen der USA weiterhin wahllos den Gazastreifen bombardiert, Zivilisten ohne Ende tötet, Kinder mittels Blockaden verhungern lässt und im Westjordanland Palästinenser vertreibt und ermordet. Mehr als 13.000 massakrierte Kinder und über 10.000 abgeschlachtete Frauen sind unter den Opfern – mindestens. Das sind mal wieder wertewestliche Doppelstandards mit einer gehörigen Portion Rassismus in Reinform, durchgedrückt mt der plumpen Antisemitismuskeule, die in Wahrheit echten Antisemitismus erst hoffähig macht.

Beigefügt am 16.April 2024:

Dieter Hallervorden/Diether Dehm:

Via Weltnetz/tv
Vera Birkenbihl

Stellungnahme von DiEM25.

Quelle: RT DE

Hinweis: Gastbeiträge geben immer die Meinung des jeweiligen Autors wieder, nicht meine. Ich veröffentliche sie aber gerne, um eine vielfältigeres Bild zu geben. Die Leserinnen und Leser dieses Blogs sind auch in der Lage sich selbst ein Bild zu machen.

Die verhinderte Rede von Yanis Varoufakis, welche er vor dem Palästina – Kongress in Berlin halten wollte

Freunde,

Herzlichen Glückwunsch und herzlichen Dank, dass ihr hier seid, trotz der Drohungen, trotz der gepanzerten Polizei vor dem Veranstaltungsort, trotz des Aufgebots der deutschen Presse, trotz des deutschen Staates, trotz des deutschen politischen Systems, das euch verteufelt, weil ihr hier seid.

„Warum ein palästinensischer Kongress, Herr Varoufakis?“, fragte mich kürzlich ein deutscher Journalist. Weil, wie Hanan Ashrawi einmal sagte: „Wir können uns nicht darauf verlassen, dass die zum Schweigen gebrachten Menschen uns von ihrem Leid berichten.“

Heute ist Ashrawis Begründung deprimierenderweise noch stärker geworden: Weil wir uns nicht darauf verlassen können, dass die zum Schweigen gebrachten, die ebenfalls massakriert werden und hungern, uns von den Massakern und dem Hungertod berichten.

Aber es gibt noch einen anderen Grund: weil anständige Menschen, die Deutschen, dazu gebracht werden, einen gefährlichen Weg Richtung herzloser Gesellschaft zu beschreiten, indem ein weiterer Völkermord im Namen dieses Landes und in seiner Mitschuld verübt wird.

Ich bin weder Jude noch Palästinenser. Aber ich bin unglaublich stolz, hier unter Juden und Palästinensern zu sein – meine Stimme für Frieden und universelle Menschenrechte mit den jüdischen Stimmen für Frieden und universelle Menschenrechte zu vereinen – zusammen mit den palästinensischen Stimmen für Frieden und universelle Menschenrechte.

Dass wir heute hier zusammen sind, ist der Beweis dafür, dass Koexistenz nicht nur möglich ist, sondern dass sie bereits stattfindet. Schon jetzt.

„Warum kein jüdischer Kongress, Herr Varoufakis?“, fragte mich derselbe deutsche Journalist, der sich wohl einbildete, schlau zu sein. Mir machte seine Frage nichts aus.

Denn wenn auch nur eine einzige Jüdin oder ein einziger Jude bedroht wird, nur weil sie oder er Jude ist, werde ich den Davidstern an meinem Revers tragen und meine Solidarität anbieten – koste es, was es wolle.

Um es noch deutlicher zu sagen: Wenn Juden irgendwo auf der Welt angegriffen werden, wäre ich der Erste, der sich für einen jüdischen Kongress einsetzen würde, um unsere Solidarität zu bekunden.

Ebenso: wenn Palästinenserinnen und Palästinenser massakriert werden, weil sie Palästinenserinnen und Palästinenser sind – nach dem Dogma, dass sie Hamas gewesen sein müssen, wenn sie jetzt tot sind – werde ich meine Keffiyeh tragen und meine Solidarität bekunden, koste es, was es wolle.

Die universellen Menschenrechte sind entweder universell oder sie bedeuten nichts.

In diesem Sinne habe ich die Frage des deutschen Journalisten mit ein paar eigenen Fragen beantwortet:

Werden 2 Millionen israelische Juden, die vor 80 Jahren aus ihren Häusern in ein Freiluftgefängnis geworfen wurden, immer noch in diesem Freiluftgefängnis gehalten, ohne Zugang zur Außenwelt, mit minimaler Nahrung und Wasser, ohne Chance auf ein normales Leben, ohne Möglichkeit, irgendwohin zu reisen, und seit 80 Jahren regelmäßig bombardiert?

Nein.

Werden israelische Juden absichtlich von einer Besatzungsarmee ausgehungert, während sich ihre Kinder auf dem Boden winden und vor Hunger schreien?

Nein.

Gibt es Tausende von jüdischen verletzten Kindern ohne überlebende Eltern, die durch die Trümmer ihrer ehemaligen Häuser kriechen?

Nein.

Werden israelische Juden heute von den modernsten Flugzeugen und Bomben der Welt bombardiert?

Nein.

Erleben die israelischen Juden einen totalen Ökozid an dem bisschen Land, das sie noch ihr Eigen nennen können, keinen einzigen Baum mehr, unter dem sie Schatten suchen oder dessen Früchte sie kosten können?

Nein.

Werden heute israelische jüdische Kinder auf Befehl eines UN-Mitgliedsstaates von Scharfschützen getötet?

Nein.

Werden israelische Juden heute von bewaffneten Banden aus ihren Häusern vertrieben?

Nein.

Kämpft Israel heute um seine Existenz? Nein.

Wenn die Antwort auf eine dieser Fragen „Ja“ wäre, würde ich heute an einem jüdischen Solidaritätskongress teilnehmen.

Freunde,

Heute hätten wir gerne mit Menschen, die anders denken als wir, eine anständige, demokratische und von gegenseitigem Respekt geprägte Debatte darüber geführt, wie wir Frieden und universelle Menschenrechte für alle Menschen, Juden und Palästinenser, Beduinen und Christen, vom Jordan bis zum Mittelmeer erreichen können.

Leider hat das gesamte deutsche politische System beschlossen, dies nicht zuzulassen. In einer gemeinsamen Erklärung haben sich nicht nur die CDU-CSU oder die FDP, sondern auch die SPD, die Grünen und bemerkenswerterweise zwei Vorsitzende der Partei Die Linke zusammengetan, um sicherzustellen, dass eine solche zivilisierte Debatte, in der man durchaus unterschiedlicher Meinung sein kann, in Deutschland niemals stattfinden wird.

Ich sage ihnen: Ihr wollt uns zum Schweigen bringen. Uns verbieten. Uns dämonisieren. Uns anklagen. Deshalb lasst ihr uns keine andere Wahl, als euren Anschuldigungen mit unseren Anschuldigungen zu begegnen. Ihr habt euch das ausgesucht. Nicht wir.

Ihr beschuldigt uns des antisemitischen Hasses.

Wir werfen euch vor, die besten Freunde der Antisemiten zu sein, indem ihr das Recht Israels, Kriegsverbrechen zu begehen, mit dem Verteidigungsrecht der israelischen Juden gleichsetzt.

Ihr beschuldigt uns, den Terrorismus zu unterstützen.

Wir werfen euch vor, legitimen Widerstand gegen einen Apartheidstaat mit Gräueltaten gegen Zivilisten gleichzusetzen. Gräueltaten, die ich immer verurteilt habe und verurteilen werde, egal wer sie begeht – Palästinenser, jüdische Siedler, meine eigene Familie, wer auch immer.

Wir werfen euch vor, dass ihr die Pflicht der Menschen in Gaza nicht anerkennt, die Mauer des offenen Gefängnisses einzureißen, in dem sie seit 80 Jahren eingeschlossen sind, und dass ihr diesen Akt des Einreißens der Schandmauer – die genauso wenig zu verteidigen ist wie die Berliner Mauer –mit Terrorakten gleichsetzt.

 Ihr werft uns vor, den Terror der Hamas am 7. Oktober zu bagatellisieren.

Wir werfen euch vor, die 80 Jahre andauernde ethnische Säuberung der Palästinenser durch Israel und die Errichtung eines gepanzerten Apartheidsystems in Israel-Palästina zu verharmlosen.

Wir werfen euch vor, zu verharmlosen, dass Netanjahu über Jahre die Hamas unterstützte, um die Zweistaatenlösung, die ihr angeblich befürwortet, zu zerstören.

Wir werfen euch vor, den beispiellosen Terror der israelischen Armee gegen die Menschen in Gaza, im Westjordanland und im Osten Jerusalems zu verharmlosen.

Ihr werft uns, den Organisatoren des heutigen Kongresses, vor, dass wir, ich zitiere, „nicht daran interessiert sind, vor dem Hintergrund des Krieges in Gaza über Möglichkeiten des friedlichen Zusammenlebens im Nahen Osten zu sprechen“. Ist das euer Ernst? Habt ihr den Verstand verloren?

Wir beschuldigen euch, einen deutschen Staat zu unterstützen, der nach den USA der größte Waffenlieferant der Netanjahu-Regierung ist, die damit Palästinenserinnen und Palästinenser massakrieren will, um eine Zweistaatenlösung und ein friedliches Zusammenleben zwischen Juden und Palästinensern unmöglich zu machen.

Wir werfen euch vor, dass ihr nie die Frage beantwortet, die jeder Deutsche beantworten muss: Wie viel palästinensisches Blut muss noch fließen, bevor euer – berechtigtes – Schuldgefühl für den Holocaust weggewaschen ist?

Um es klar zu sagen: Wir sind hier in Berlin mit unserem palästinensischen Kongress, weil wir, im Gegensatz zum deutschen politischen System und den deutschen Medien, Völkermord und Kriegsverbrechen verurteilen unabhängig davon, wer sie verübt.

Weil wir die Apartheid im Land Israel-Palästina ablehnen, egal wer die Oberhand hat – genauso wie wir die Apartheid in den amerikanischen Südstaaten oder in Südafrika abgelehnt haben. Weil wir für universelle Menschenrechte, Freiheit und Gleichheit unter Juden, Palästinensern, Beduinen und Christen im alten Land Palästina eintreten.

Und damit wir uns noch klarer über die berechtigten und bösartigen Fragen sind, die wir immer bereit sein müssen zu beantworten:

Verurteile ich die Gräueltaten der Hamas?

Ich verurteile jede einzelne Gräueltat, unabhängig davon, wer der Täter oder das Opfer ist. Was ich nicht verurteile, ist bewaffneter Widerstand gegen ein Apartheidsystem, das als Teil eines langsam brennenden, aber unaufhaltsamen Programms der ethnischen Säuberung konzipiert wurde. Anders ausgedrückt: Ich verurteile jeden Angriff auf Zivilisten, während ich gleichzeitig jeden feiere, der sein Leben riskiert, um die Mauer einzureißen.

Befindet sich Israel nicht in einem Krieg um seine Existenz?

Nein, ist es nicht. Israel ist ein nuklear bewaffneter Staat mit der vielleicht fortschrittlichsten Armee der Welt und dem ganzen Arsenal der US-Militärmaschine im Rücken. Es gibt keine Symmetrie mit der Hamas, einer Gruppe, die Israelis ernsthaften Schaden zufügen kann, die aber in keiner Weise in der Lage ist, Israels Militär zu besiegen oder Israel daran zu hindern, den langsamen Völkermord an den Palästinensern im Rahmen des Apartheidsystems, das mit langjähriger Unterstützung der USA und der EU errichtet wurde, fortzusetzen.

Haben die Israelis nicht zu Recht Angst, dass die Hamas sie ausrotten will?

Natürlich haben sie das! Juden haben einen Holocaust erlitten, dem Pogrome und ein tief verwurzelter Antisemitismus vorausgingen, der Europa und Amerika seit Jahrhunderten durchdringt. Es ist nur natürlich, dass Israelis in Angst vor einem neuen Pogrom leben, wenn die israelische Armee einknickt. Indem der israelische Staat seinen Nachbarn die Apartheid aufzwingt und sie wie Untermenschen behandelt, schürt er das Feuer des Antisemitismus, stärkt Fanatiker unter den Palästinensern und Israelis, die sich nur gegenseitig vernichten wollen, und trägt letztlich zu der schrecklichen Unsicherheit bei, die Juden in Israel und der Diaspora verzehrt. Die Apartheid gegen die Palästinenser ist eine äußerst schlechte Idee, wenn es um die Selbstverteidigung Israels geht.

Was ist mit Antisemitismus?

Der Antisemitismus ist immer eine klare und gegenwärtige Gefahr. Und er muss ausgerottet werden, vor allem in den Reihen der Globalen Linken und der Palästinenserinnen und Palästinenser, die für palästinensische Bürgerrechte kämpfen – überall auf der Welt.

Warum verfolgen die Palästinenser ihre Ziele nicht mit friedlichen Mitteln?

Das taten sie. Die PLO erkannte Israel an und verzichtete auf den bewaffneten Kampf. Und was haben sie dafür bekommen? Absolute Erniedrigung und systematische ethnische Säuberung. Das hat die Hamas hervorgebracht und sie in den Augen vieler Palästinenserinnen und Palästinenser als einzige Alternative zu einem langsamen Völkermord unter Israels Apartheid erscheinen lassen.

Was sollte jetzt getan werden? Was könnte Frieden in Israel-Palästina bringen?

Ein sofortiger Waffenstillstand.

Die Freilassung aller Geiseln: die der Hamas und die Tausende, die von Israel festgehalten werden.

Ein Friedensprozess unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen, der durch die Verpflichtung der internationalen Gemeinschaft unterstützt wird, die Apartheid zu beenden und gleiche Bürgerrechte für alle zu gewährleisten.

Bei der Frage, was an die Stelle der Apartheid treten soll, müssen Israelis und Palästinenser zwischen der Zwei-Staaten-Lösung und der Lösung eines einzigen föderalen, säkularen Staates entscheiden.

Freunde,

Wir sind hier, weil es faul ist, Rache zu nehmen statt zu trauern.

Wir sind hier, um nicht für Rache, sondern für Frieden und Koexistenz in Israel und Palästina zu werben.

Wir sind hier, um den deutschen Demokratinnen und Demokraten, einschließlich unserer ehemaligen Genossinnen und Genossen von der LINKEN, zu sagen, dass sie sich lange genug mit Schande bedeckt haben –dass Unrecht plus Unrecht kein Recht ergeben –und dass es nicht zur deutschen Vergangenheitsbewältigung beiträgt, wenn wir zulassen, dass Israel mit Kriegsverbrechen davonkommt.

Über den heutigen Kongress hinaus haben wir in Deutschland die Pflicht, den Diskurs zu verändern. Wir haben die Pflicht, die große Mehrheit der anständigen Deutschen davon zu überzeugen, dass die universellen Menschenrechte das Wichtigste sind. Dass „Nie wieder“ wirklich „Nie wieder“ bedeutet. Für niemanden, egal ob Jude, Palästinenser, Ukrainer, Russe, Jemenit, Sudanese, Ruander –für alle, überall.

In diesem Zusammenhang freue ich mich, ankündigen zu können, dass die deutsche politische Partei MERA25 von DiEM25 bei den Wahlen zum Europäischen Parlament im kommenden Juni auf dem Stimmzettel stehen wird – um die Stimme der deutschen Humanisten zu bekommen, die sich nach jemandem im Europäischen Parlament sehnen, der/die Deutschland vertritt und die Komplizenschaft der EU beim Völkermord anprangert – eine Komplizenschaft, die Europas größtes Geschenk an die Antisemiten in Europa und darüber hinaus ist.

Ich grüße euch alle und schlage vor, dass wir nie vergessen, dass niemand von uns frei ist, solange auch nur eine(r) von uns in Ketten liegt

Yanis Varoufakis: Deutschland hat nicht nur den Rektor der Universität Glasgow, Dr. @GhassanAbuSitt1, an der Einreise nach Deutschland gehindert, um an unserem Palästina-Kongress teilzunehmen, sondern ihm auch mit rechtlichen Schritten gedroht, falls er es wagen sollte, seine geplante Rede per Video zu senden. Frage an die deutschen Freunde: In Ihrem Namen?

Quelle: Twitter/X

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