Weihnachtsrundbrief der IALANA

Liebe Mitglieder, Freundinnen und Freunde der IALANA,

die vergangenen zwei Jahre haben uns schmerzlich ins Gedächtnis gerufen, dass in der Gegenwart Kriege nicht mehr gewonnen werden können, sondern von allen Beteiligten verloren werden. Nimmt man Rüstungsunternehmen und ihre Anteilseigner:innen einmal aus. Zahllose Menschen haben in der Ukraine, in Israel, in Palästina, aber auch im Jemen, Kamerun, in Südsudan, Armenien/ Aserbaidschan und an anderen Kriegsschauplätzen auf Seiten aller Beteiligten ihr Leben verloren. Natur und Umwelt werden dabei vernichtet, Kulturen und gewachsene Gemeinschaften zerstört, Vertikalität von Macht und damit der Gegenpol von Demokratie gestärkt. Mit dem Vormarsch des Militarismus, des globalen Wachstums radikal rechter Kräfte samt Forderungen nach Rückbau des Sozialstaates, und zunehmendem Rassismus, fühlen sich viele an die 20er Jahre des 20. Jahrhunderts erinnert – mit zwei wesentlichen Unterschieden: damals war der Klimawandel noch kein Thema und es gab noch keine Atomwaffen.

Ein Fest des Friedens?

Wenngleich die genannten Umstände es schwer machen, das diesjährige Weihnachtsfest als Fest des Friedens und der Besinnlichkeit zu genießen, bietet es doch gerade aus juristischer Perspektive vielerlei Anlass zum Reflektieren der Umstände, und zur juristischen Intervention. Nicht zuletzt die genannten (und ungenannten) Kriege verlangen nach Benennung und Verfolgung der Verletzungen des humanitären Völkerrechts und der Menschenrechte durch alle verantwortlichen Akteur:innen. Sie weisen aber auch darauf hin, dass unsere regionalen und globalen Friedensordnungen in den letzten Jahrzehnten nicht aktualisiert und ausgebaut, sondern sukzessive geschwächt wurden.

Weder die NATO-Osterweiterung noch das Aufschieben einer nachhaltigen völkerrechtlichen Lösung für die besetzten palästinensischen Gebiete haben Frieden, Sicherheit und die Vormachtstellung des Rechts gestärkt. Wer diese Defizite beklagt, muss aber schließlich auch völkerrechtliche Vorschläge entwickeln, die es überhaupt erst wieder ermöglichen, die Bearbeitung der entscheidenden Frage der Menschheit in den Mittelpunkt zu stellen: eine nachhaltige Friedensherstellung und -sicherung. Dies geht aber nicht ohne die Einhaltung und Stärkung des Völkerrechts, eine atomwaffenfreie Welt, aber nicht zuletzt auch nicht ohne die Berücksichtigung des Klimawandels und seiner Folgen für den globalen Frieden, Menschenrechte und Teilhabemöglichkeiten. An diesen Fragen haben wir auch im letzten Jahr nach Kräften gearbeitet. Denn wir glauben, dass sowohl im Ukrainekrieg als auch in Israel/ Palästina die Zeit des Völkerrechts, der Erarbeitung dauerhafter Lösungen geschlagen hat. Wer sich hier angesprochen fühlt, ist von Herzen eingeladen, sich in die IALANA einzubringen! Sprecht uns gern an, wenn Ihr noch nicht wisst, wie!

Veranstaltungen für Frieden und Rechtsstaatlichkeit

Das Jahr 2023 begann für uns mit einer gleichermaßen spannenden und gut besuchten Veranstaltung zur Frage „Muss Deutschland an Griechenland Reparationen zahlen? Alles erledigt oder Neustart für eine faire Regelung?“, die am 25. Januar in Berlin stattfand. Ausführlich kommentiert von MdB Gregor Gysi stellte der griechische Journalist Aris Radiopoulos, Autor einer aktuellen Forschungsarbeit zu Dokumenten des griechischen Außenministeriums und Diplomat, seine Kritik am Umgang der Bundesrepublik mit den Entschädigungsfragen im Zusammenhang mit schweren Verletzungen des humanitären Völkerrechts in Griechenland vor. Hängen geblieben (und auf youtube nachzuhören) ist u.a. der Eindruck, dass angesichts vieler völkerrechtlicher Baustellen aus pragmatischer Perspektive Griechenlandhilfen in Form vereinfachter und kostengünstigerer Kreditvergabe erfolgversprechender sind als der wiederholte Gang vor die Gerichte.

Am Vorabend unserer Mitgliederversammlung gelang es Prof. Dr. Wolfgang Däubler, in Bremen in einem mitreißenden Vortrag das insbesondere von Gerhard Baisch und Bernd Hahnfeld aus dem IALANA-Vorstand (sowie Hartmut Graßl und Angelika Hilbeck von der VDW) mitverantwortete Buch „20 Jahre Whistleblower-Preis. Was wurde aus den Preisträger:innen und ihren Enthüllungen?“ vorzustellen. Kernfragen des Buches und der aktuellen Debatte um den Schutz von Whistleblowern wurden im Anschluss daran in einer gleichermaßen packenden Podiumsdiskussion diskutiert.

Mitglieder und Aktive der IALANA organisierten auf dem Symposium zum 40-jährigen Bestehen der von der IALANA mitherausgegebenen Zeitschrift Wissenschaft und Frieden gleich mehrere Veranstaltungen. Die Sprecherin des Arbeitskreises Sanktionen Kornelia Kania sowie die AK-Mitglieder Wiebke Diehl und Helmut Lohrer stellten dort zentrale Kritikpunkte an der westlichen Sanktionspraxis aus völkerrechtlicher, wissenschaftlicher und friedenspolitischer Perspektive einem größeren Publikum vor. Unserem Vorstandsmitglied Bernd Hahnfeld gelang es, ebenfalls auf dem W&F-Symposium in einem Seminar umfassend das Thema Atomwaffen und Menschenrechte zu besprechen.

Interventionen durch geschriebene Worte

Der IALANA Vorstand brachte sich mit Stellungnahmen zu aktuellen Diskussionen ein, beispielsweise zur Lieferung von Streumunition an die Ukraine oder zur Stationierung von Atomwaffen in Belarus. Unsere Einreichungen beim Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen bezog sich auf Atomwaffen und Menschenrechte. Auch zur 2. Vertragsstaatenkonferenz des Atomwaffenverbotsvertrags reichten wir eine Stellungnahme ein.

Ferner verfasste Amela Skiljan den Artikel „Die militärischen Unterstützungsleistungen an die Ukraine im Lichte des Neutralitätsrechts“ und es wurde der Artikel „Waffenlieferungen in Kriegsgebiete. Das völkerrechtliche Neutralitätsrecht im Lichte des Grundgesetzes“ (Skiljan/Fechner) im Grundrechtereport 2023 veröffentlicht. Intensive inhaltliche Diskussionen zu Neutralitätsrecht wurden innerhalb des Vorstandes sowie in bilateralen Gesprächen – auch mit Beiratsmitgliedern – geführt.

Sehr froh und sehr stolz sind wir über die kürzlich veröffentlichte Broschüre „Richter-Blockade 1987 in Mutlangen“. Sie soll einen Beitrag zum kollektiven Gedächtnis der Friedensbewegung leisten und Mut machen für aktuelle Herausforderungen. Bernd Hahnfeld gibt uns Einblicke in die jahrelange Geschichte richterlichen Protestes gegen die Stationierung von Pershing II-Raketen und Cruise Missiles und berichtet von der Blockade, die am 12.01.1987 in Mutlangen stattfand. An jenem Tag „fanden sich bei Sonnenschein, aber minus 20 Grad zwanzig dick vermummte Kolleg:innen vor Ort ein und blockierten auf der Zufahrtskreuzung zum Raketenstandort sitzend zwei Stunden die Zufahrt zur Militärbasis in Mutlangen.“ Die Broschüre zeigt aber nicht nur den Ablauf der Aktionen, sondern auch ihre Folgen sowie die obergerichtliche Rechtsprechung zu derartigen Blockade-Aktionen. Gerhard Baisch bewertet anschließend die Richterblockade aus strafrechtlicher Sicht. Diesen Schatz an Erfahrung und Gedanken möchten wir Ihnen nicht vorenthalten.

Eine Printausgabe sollte vor Weihnachten bei Ihnen ankommen.

Für das Erreichte und für die weitere Arbeit sind wir auch weiterhin auf Ihre Unterstützung angewiesen. Wir bitten Sie herzlich, uns beim Verbreiten unserer Argumente und Expertise zu helfen, uns erneut durch Spenden finanziell zu unterstützen und uns durch Ihr Mitwirken, Ihre Gedanken und Ihre Ideen zu bereichern und breiter aufzustellen. Langfristiger und nachhaltiger Frieden braucht eine couragierte Zivilgesellschaft. Wir brauchen Frieden durch Recht, nicht das Recht des Stärkeren. Für jede kleine oder große Unterstützung sind wir Ihnen sehr dankbar. Spenden an die IALANA sind steuerrechtlich absetzbar.

Hier ist das Spendenkonto.

Wir wünschen Ihnen und Ihren Familien erholsame Feiertage und – endlich – ein friedlicheres neues Jahr!

Quelle:

Amela Skiljan und Heiner Fechner

Co-Vorsitzende IALANA Deutschland e.V.

„100 Jahre Faschismusdebatte“ von Ekkehard Lieberam – Rezension

Ich bin Jahrgang 1956 und bin 1963 eingeschult worden. Noch zu DDR-Zeiten also. In der Polytechnischen Oberschule ließ man uns eine Erziehung zum Antifaschismus angedeihen. Das Ende des Zweiten Weltkrieges lag noch nicht lange zurück. Die Wunden, welche der Krieg – bzw. die Reaktion seitens der Alliierten darauf, die gegen den Verursacher, Nazideutschland, im Land, in unserer Stadt geschlagen hatte, waren durchaus noch sichtbar. Einschusslöcher in Häuserfassaden und Bombenkrater. Der Rote Turm auf unserem Marktplatz hatte, nachdem die Turmspitze zerstört war, mit einem Dach bedeckt worden. Aber auch Menschen gehörten zum Stadtbild, die im Krieg Gliedmaßen verloren hatten. Einige dieser Leute arbeitete etwa als Aufzugführer in Kaufhäusern. Uns Kindern stellten sich Fragen. Von den Eltern erhielten wir nicht immer befriedigende Antworten.

Aber durch die Schule, im Geschichtsunterricht wurde uns schon welche zuteil.

Wir erfuhren, wie es zur faschistischen Diktatur in Deutschland gekommen war, die unser Land letztlich in einen verheerenden Krieg gegen andere Länder und Menschen geführt hatte.

Schließlich wurde uns auch nahegebracht wie und warum es zur Teilung Deutschland gekommen war. Weshalb wir in der Deutschen Demokratischen Republik geboren waren und die anderen Deutschen in Westdeutschland (wir sagten damals nicht Bundesrepublik Deutschland) lebten. Auch wurde uns bald begreiflich, dass wir DDR-Menschen nicht ohne Weiteres nach Westdeutschland reisen konnten. Höchstens Rentner, wie unsere Nachbarin, konnten das zunächst. Wenn wir auf dem Hauptbahnhof waren, guckten wir uns manchmal sogenannte Interzonenzüge – manche davon waren aluminiumfarben – der Deutschen Bundesbahn an, welche Ziele in Westberlin oder Westdeutschland ansteuerten. Für uns unerreichbar.

Die DDR hatte eine streng gesicherte Grenze. Ost- und Westberlin waren durch eine Mauer getrennt. Unser Staat bezeichnete diese Betonmauer als „Antifaschistischen Schutzwall“. Die Gründe dafür wurden uns beigebracht. Es war nicht von der Hand zu weisen, dass in Westdeutschland Nazis wieder in Amt und Würden gekommen waren, wieder Richter sein durften oder Beamte – Lehrer gar. Ein Hans Globke, der einst an der Auslegung von Hitlers Nürnberger Rassegesetzen von 1935 beteiligt gewesen war (er verfasste einen von vier Kommentaren dazu), konnte sogar zu Bundeskanzler Konrad Adenauers Staatssekretär berufen werden!Und war 14 Jahre lang einer der mächtigsten Männer der jungen Bundesrepublik – und zugleich einer der umstrittensten: Globke wurde zur Symbolfigur für die unaufgearbeitete braune Vergangenheit des Landes.

Überdies konfrontierten uns Kinder und später Jugendliche etliche Filme mit dem Faschismus. Ich gebe zu, dass uns all dies damals manchmal zu viel wurde. Diese ganze Propaganda!, schimpften manchmal die Eltern. Heute allerdings bin ich für manches sogar im Nachhinein dankbar.

Auch dafür, dass wir in der achten Klasse im Rahmen der Veranstaltungen zur Vorbereitung auf die Jugendweihe das Konzentrationslager Buchenwald (Foto Eingangstor: C. Stille) bei Weimar besuchten. Ein eindrückliches und erschütterndes Erlebnis! Uns wurde ein Film vorgeführt, den die US-Armee nach Einnahme des Lagers gedreht hatte. Er zeigte, wie Leichen in KZ-Kleidung oder nackt mit Bulldozern in große Massengräber geschoben wurden. Da verging sogar den hartgesottensten Mitschülern das Herumalbern. Später besichtigten wir das Lager. Auch die Genickschussanlage.

Das waren schlimmsten Auswüchse des Faschismus.

Wir haben das nicht vergessen.

Mindestens seit der Corona-Krise und nun wieder verstärkt in Zeiten des Ukraine-Kriegs habe ich den Eindruck, mit den Begriffen Faschismus und der Bezeichung Faschist auf bedenkliche Weise umgangen wird. Vor allem, der Diffamierung von unliebsamen Meinungen und den Menschen wegen, welche diese äußern. Wissen die so pöbelnden Menschen überhaupt, was Faschismus ist?

Etwas Klarheit kann uns eine kürzlich als Neuerscheinung im pad-Verlag herausgekommene Broschüre mit dem Titel „100 Jahre Faschismusdebatte“ von Ekkehard Lieberam verschaffen. Lieberam ist vielerlei politischer Hinsicht immer eine sichere Bank, wie ich finde.

Der pad-Verlag zur Broschüre:

«Politische Verwirrung kennzeichnet die öffentliche Debatte, was faschistisch oder antifaschistisch und demokratisch ist. In einem Beitrag bei RT Deutsch beschrieb Andreas Richter das durcheinandergewirbelte politische Koordinatensystem:


«Der derzeitige Gottseibeiuns der deutschen Politik, die AfD, wird schon aus Gewohnheit als faschistisch und Wiedergänger der NSDAP dargestellt, was erstens eine groteske Überzeichnung der Realität ausdrückt, zweitens eine Relativierung der Verbrechen der echten Nazis und eine Beleidigung der Opfer ist und drittens die zahlreichen Parallelen zur sogenannten politischen Mitte und deren problematischen Seiten und Kontinuitäten zur Vergangenheit ausblendet.« Richter konstatiert eine ,,wilde und meist sinnfreie Verwendung der Begriffe Demokratie, Faschismus und auch Sozialismus“, die „auf absurde Weise fehlinterpretiert und unbrauchbar gemacht“ würde. ,,Verteidigt wird angeblich die Demokratie, wer widerspricht, wird zum Nazi erklärt“.


Die vorliegende Studie 100 Jahre Faschismusdebatte leistet einen Beitrag zur notwendigen Aufarbeitung und Einsortierung.

Das Eingangskapitel nimmt Bezug auf einen von Ekkehard Lieberam am 18. August 2023 im Liebknecht-Haus in Leipzig gehaltenen Vortag unter dem Titel „Faschismus: Merkmale und Probleme“ zurück. Lieberam erinnert sich:

«Als Angehöriger des Jahrgangs 37 gehöre ich zur vorletzten Erlebnisgeneration der Nazizeit. Anfang Mai 1945, als es mit dem Nazifaschismus zu Ende ging, war ich fast acht Jahre alt. Einige Merkmale des politischen Lebens in Nazi-Deutschland sind mir dennoch in lebendiger Erinnerung: Dazu gehören Heroenkult, Antisemitismus, Bombennächte und ständige Siegesmeldungen. Auch an das Gerede von der Wunderwaffe, die bald kommen werde und an die Angst vor der Zukunft unter den einfachen Menschen, darüber, was nach dem Krieg kommt, erinnere ich mich ganz gut.


1943 war ich von Braunschweig nach Thüringen (Saalfeld) zu Tante Martha „in Sicherheit“ gebracht worden. Auch dort war „Fliegeralarm“.Wir suchten dann Schutz in einem Keller, der mit L.S.R. gekennzeichnet waren. Ich erzählte Tante Martha, dass, wie ich gehört habe, LSR nicht Luftschutzraum heiße, sondern ,,Lernt Schnell Russisch“. Sie lächelte etwas verkniffen und sagte, ich solle das nicht weitererzählen.


Aber das ist ein eigenes Thema. Auf dem Hintergrund einer historischen Faschismusanalyse geht es mir um den Faschismus zwischen 1922 und 1945, um einen tauglichen Faschismusbegriff für damals und heute, um die tatsächliche heutige Faschismusgefahr in Deutschland und anderswo sowie um aktuelle strittige Probleme der Faschismusdebatte unter Linken.

Dabei komme ich nicht umhin, auch auf die Gründe für die Revitalisierung der bürgerlichen Demokratie in den entwickelten kapitalistischen Ländern nach 1945 hinzuweisen.
Sorge macht mir der heute übliche, geradezu inflationäre, ungenaue und vieldeutige Gebrauch des Wortes Faschismus. Faschistisch ist zu einem Synonym für inhumane Gesinnung, für reaktionäres politisches Denken und Handeln geworden. Die Begriffe autoritär, rechtsextrem und faschistisch sind kaum noch zu unterscheiden. Erörterungen darüber, ob Putin,,faschistisch“ ist, haben Konjunktur.‘ Die ukrainische Kriegspropaganda spricht von ,,Putler“, wenn sie Putin meint.
Nicht zu übersehen sind Bemühungen und Erfolge der Regierenden,die eigene imperialistische Politik als antifaschistisch auszugeben. Vor allem Warnungen an alle Linken vor ,,Rechtsoffenheit“ werden „zum Nährboden für eine Unkultur permanenter Verdächtigung und Denunziation“. (S.5 ff) Verweis auf den Beitrag von Bernd Müller auf Telepolis sowie hier, ebenfalls auf einen Beitrag auf Telepolis.

Weiter: «Die führenden Politiker der Partei Die Linke, wollen, zusammen mit den anderen ,,demokratischen Parteien“, die ,,Brandmauer“ gegen die des Faschismus verdächtige Partei AfD aufrechterhalten. Sie alle aber nahmen es hin, dass Bundeskanzler Olaf Scholz seine Rede am 14. Mai 2023 zur Verleihung des Karlspreises zu Aachen an Wolodimir Selenski mit den Worten ,,Slava Ukraini“ („Ruhm der Ukraine“) beendete, Anfang der vierziger Jahre unter Stepan Bandera eine ukrainische Variante der nazifaschistischen Parolen ,,Deutschland, erwache“oder „Sieg-Heil“.


Es entwickelt sich ein gespaltenes Faschismusverständnis. Faschismus in der Ukraine wird als russische Propaganda abgetan. Und die Russische Föderation wird als faschistisch gebrandmarkt. Antifaschistische Kritik an den politischen Zuständen in der Ukraine ist unerwünscht. Antifaschismus als Kennzeichnung US-imperialistischer Weltordnungspolitik hochwillkommen. Der Inlandsgeheimdienst, Verfassungsschutz ist zum Bündnispartner sogar von Teilen der Linken geworden.«


Die historische Faschismusanalyse


Lieberam weiter: «Zum besseren Verständnis der Debatten über den historischen und den heutigen Faschismus habe ich eine recht umfangreiche Textsammlung zusammengestellt. Es geht es mir darum, die Breite und Vielgestaltigkeit der Faschismusdebatte, auch die Schwierigkeiten, Irrtümer u Probleme, in den Jahren 1923 ff. deutlich zu machen.


Die Textsammlung will dabei auf grundlegende geschichtliche Zusammenhänge und Trends hinweisen: Der Faschismus war das Resultat einer tiefen Krise des Kapitalismus in den Jahren nach 1916. Er hat zwischen 1922 und 1945 eine ganze geschichtliche Periode mitgeprägt. Er war als mächtige Militärallianz im Zweiten Weltkrieg dabei, die zivilisatorischen Errungenschaften der Memschheit zu beseitigen. Heute ist er als neofaschistisches Netzwerk in den entwickelten kapitalistischen Ländern aktiv und als „peripherer Faschismus“ besonders in politischen Krisenregionen des Kapitalismus wie Lateinamerika eine reale Gefahr für den Bestand der parlamentarischen Demokratie. Im Rahmen des von USA und NATO seit einigen Jahren verkündeten und geführten Kampfes der „westlichen Demokratien“ gegen die „autoritären Staaten“ wächst die Bereitschaft, Faschismus zu legitimieren und der Bedarf, Antifaschismus zum Instrument des „antiautoritären Kampfes zu machen.«

Unbedingt empfohlen. Die Broschüre vermag es Ordnung in per Propaganda verwirrte sowie von weitgehender Unkenntnis geprägte Köpfe zu bringen. Dass Ekkehard Lieberam uns dazu auch einen Blick in die Vergangenheit öffnet ist lobenswert. Schließlich können wir die Gegenwart ohne die Vergangenheit zu kennen nicht verstehen. Und schon gar nicht einen möglichst unfallfreien Weg in die Zukunft beschreiten.

NEUERSCHEINUNG

Ekkehard Lieberam
100 Jahre
Faschismusdebatte
pad-Verlag


Ekkehard Lieberam: 100 Jahre Faschismusdebatte

Inhalt: Vortrag: Faschismus – Merkmale und Probleme (Die historische Faschismus-Analyse / Fünf Merkmale des VII. Weltkongresses / Faschismusgefahr heute / Demokratie als ,,konservative Lebensform“ / Faschismusvorwürfe im Ukraine- Krieg) / Textsammlung: Faschismus und Faschismus-Debatten (Marxisten und Linke zum Faschismus 1923ff. / Vom VI. Zum VII.Weltkongreß der KI / Staatsnahe Faschismustheorien in der Bundesrepublik / Nazifaschismus: Selbstbekenntnis und Erkenntnisse /Rückschau marxistischer Wissenschaftler / Demokratie und Faschismus nach 1945 / ,,Antifaschismus“ und Faschismus im Ukraine-Krieg

Redaktion: Peter Rath-Sangkhakorn


98 Seiten, 6.–€ *

* Staffelpreis bei Direktbestellung ab 5 Expl:. 5 Euro/St.
pad-Verlag- Am Schlehdorn 6 – 59192 Bergkamen/

pad-Verlag@gmx.net

Beitragsfoto: Cover Broschüre

Lebenslauf von Ekkehard Lieberam

Ekkehard Lieberam, 1937 geboren in Braunschweig, Mitglied der SJD-Die Falken und der SPD. Im März 1957 wegen Einberufung zur Bundeswehr Übersiedlung in die DDR. Bis 1962 Studium der Rechtswissenschaft in Leipzig. 1971 dort Dozent für Verfassungsrecht der BRD. 1978 Akademieprofessor für Staatstheorie und Verfassungsrecht in Berlin. Ab 1987 Hochschullehrer am Institut für Internationale Studien der Karl-Marx-Universität Leipzig. 1991-1999 Mitarbeiter bzw. Referent der PDS/Linke Liste im Deutschen Bundestag.