von Andrea Drescher
Am 8. Mai 2025 jährte sich zum 80. Mal der Tag der Befreiung von den Nazis, am 9. Mai der Tag des Sieges über die Nazis. Ich verbrachte beide Tage in Berlin im Treptower Park am sowjetischen Ehrenmal und schildere in diesem Artikel meine subjektiven Erlebnisse dieser beiden Tage – abseits aller historischen Diskussionen.
Aber vorab: Der Umgang mit den Nachfahren der Roten Armee am Tag der Befreiung und dem Tag des Sieges in Berlin war in meinen Augen unwürdig. Der 8. Mai wird vermehrt eher von Deutschen, der 9. von vormals sowjetischen, insbesondere russischen Bürgern, begangen. Aber natürlich traf man an beiden Tagen Menschen aus allen möglichen Ländern. Neben Menschen aus den verschiedensten ehemaligen Sowjetrepubliken begegnete ich Menschen aus Serbien, Griechenland, der Türkei, den USA, Frankreich sowie einem Israeli.
Unabhängig davon, wie man zum heutigen Ukraine-Krieg stehen mag, es steht außer Zweifel, dass die Rote Armee der Sowjetunion den kriegsentscheidenden Beitrag zum Sieg der Alliierten über die Nazis geleistet hat.
Wie Winston Churchill in einer Rede vom 9. August 1944 sagte, die er im britischen Parlament hielt: „On the European front, the most important development of the past year has undoubtedly been the overwhelming counter-offensive of the great armies of Russia against the mighty German army, which has destroyed and is destroying more of the armed might of our enemies—troops, planes, tanks, and guns—than all the other United Nations put together.“
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Quelle – dank Hinweis in einer Online Diskussion)
Auf Deutsch: An der europäischen Front war die wichtigste Entwicklung des vergangenen Jahres zweifellos die überwältigende Gegenoffensive der großen Armeen Russlands gegen die mächtige deutsche Armee, die mehr von der bewaffneten Macht unserer Feinde – Truppen, Flugzeuge, Panzer und Geschütze – vernichtet hat und vernichtet, als alle anderen vereinten Nationen zusammengenommen.
Es sollte daher – eigentlich – eine Selbstverständlichkeit sein, dass gerade in dem Land der Täter, das ständig „Nie wieder“ propagiert, 80 Jahre danach der Heldenmut und das Leiden der sowjetischen Völker und insbesondere der Russen ehrend anerkannt wird.
Doch weit gefehlt. Das Land der Täter – insbesondere in der Hauptstadt Berlin – geht nahezu unwürdig mit dem Andenken der Roten Armee und der enormen Leistung ihrer Soldaten um. Verboten ist alles, was auch nur im Ansatz mit dieser Zeit in Verbindung gebracht werden kann. Man geht seitens der Behörden davon aus, dass Russland durch das Zeigen irgendwelcher Symbole diese Feiertage zugunsten des Kriegs in der Ukraine instrumentalisieren wolle.
Angefangen von der russischen Fahne, russischen Marschliedern, Georgsbändern bis hin zur sowjetischen Fahne – keine Symbolik soll die Taten der Menschen ehren, die dort zu tausenden beerdigt sind.
Man lasse es sich auf der Zunge zergehen: Am sowjetischen Ehrenmal sind sowjetische Fahnen verboten. Wer sie zeigt, riskiert eine Ordnungswidrigkeit, riskiert zumindest, dass der Stein des Anstoßes eingezogen wird, wie das im vergangenen Jahr meiner Freundin Sabine passierte. Sie beging diesen Frevel und ließ sich für 2025 daher etwas Neues einfallen. Aber dazu später mehr.
Erlaubt waren vergangenes und dieses Jahr aber nicht nur die ukrainischen Flaggen, sondern auch Insignien ukrainischer patriotischer Organisationen mit dubiosen Hintergrund. Aber das schien die Polizei an beiden Tagen nicht zu stören.
„Nie wieder“ fühlt sich für mich eigentlich anders an. Aber vielleicht bin ich als Antifaschistin etwas übersensibel, wer weiß?
Eine Freundin beschrieb es folgendermaßen: „Die Verbote waren sehr selektiv. Eine Infotafel in der Nähe des Einganges, die über die politischen Gefangenen Putins informiert hat, ist natürlich im Zusammenhang mit dem 80. Jahrestag über den Sieg gegen den Faschismus sehr wichtig und hat rein gar nichts mit der Instrumentalisierung eines Feiertages zu tun.“
Der „Hauch von Ironie“ ist hoffentlich deutlich.
Ich habe keine Statistik geführt, aber es waren an beiden Tagen nach meiner Wahrnehmung deutlich mehr Ostdeutsche als Westdeutsche vor Ort vertreten. Die Begründung dafür ist naheliegend. Während Menschen im Westen die Russen nur aus der Propaganda kannten, haben Ostdeutsche selbst eigene Erfahrungen gemacht. Bei den einen entwickelte sich daraus – mehrheitlich – wohl ein unbewusster Russenhass, bei den anderen eine mehrheitlich völlig menschliche Beziehung, mit positiven und negativen Erlebnissen. Die Entschmenschlichung der Russen, wie in den westdeutschen Medien typisch, ist den meisten Ostdeutschen fremd.
Im Osten ist auch vielen bekannt, dass im 2. Weltkrieg deutlich weniger als 500.000 US-Amerikaner dem Krieg zum Opfer fielen, während es rund 27 Millionen tote Sowjetbürger waren, die letztlich durch ihren Tod dazu beigetragen haben, dass den Nazis in Deutschland am 8. bzw. 9. Mai 1945 – zumindest bedingt – Einhalt geboten wurde.
8. Mai Tag der Befreiung – früher auch Tag der Niederlage
Der Tag begann sehr ruhig, die Polizeikontrollen an den Eingängen waren vernachlässigbar, obwohl Sabine und ich dem aktuellen Modetrend folgten: blaue Hose, weißes T-Shirt, rote Schuhe und rotes Halstuch. Lt. Sabine sind gröbere Probleme eher am 9. Mai zu erwarten, der Tag, an dem vermehrt Russen das Denkmal besuchen werden.
Ich hatte für Notfälle noch ein schwarzes T-Shirt eingepackt, für den Fall der Fälle, dass mein „Argument“, die Tricolore der Franzosen vor Ort zu repräsentieren, nicht gegriffen hätte. Schließlich gab es seitens der Berliner Polizei auch Kleidervorschriften, die diesen Modetrend nicht gestatteten. Aber die erwarteten Schwierigkeiten am Eingang blieben aus, auch wenn die Liste der Verbote deutlich erkennbar war.
Menschen kamen einzeln bzw. in sehr kleinen Gruppen und legten bei den verschiedenen Denkmälern Blumen – häufig rote Nelken – ab, um der Toten zu gedenken.
Beim Denkmal der „Mutter Heimat“ bauten verschiedene Organisationen ihre Bereiche auf, darunter die DKP und eine antifaschistische Gruppe, die mit Ansprachen und Gesang durch den Ernst-Busch-Chor für eine Art offiziellen Beginn des Tages sorgten. Ukrainische Organisationen präsentierten deutlich sichtbar ihre Sicht auf den aktuellen Ukraine-Krieg in einer Art Ausstellung sowie mit zahlreichen Rednern – obwohl es sich an diesem Tag eigentlich um ein ganz anderes Ereignis handelte.
Viele Menschen, mit denen ich sprach, waren der Meinung, dass man den aktuellen Krieg mit diesem geschichtsträchtigen Tag nicht in Verbindung bringen sollte. Es kamen überraschend viele Zeitzeugen und Kriegskinder, darunter eine 88-jährige alte Dame, die sich über die Einlasskontrollen und Fahnenverbote echauffierte. Gerade ältere Menschen wollen der Befreiung vom Hitlerfaschismus gedenken und verstanden nicht, warum sie als potentielle Verbrecher wahrgenommen werden. Sie wollen sich doch nur einfach bedanken, dass das Ende des Krieges durch die Rote Armee herbeigeführt wurde. „Ich finde es schlimm, wie sich die Bundesregierung gegenüber den Russen verhält. Für den Krieg gibt es keine Rechtfertigung, aber man muss doch trotzdem der Toten ungestört gedenken.“
Manch einer regt sich auch darüber auf, dass vor der Treppe zum Soldaten, genannt „Der Befreier“, ukrainische Kränze mit der Aufschrift „Gegen die Invasion damals und heute“ platziert wurden – direkt an der Stelle, an der am 9. Mai üblicherweise der Kranz der russischen Botschaft abgelegt wird. „Deutlicher kann man gar nicht auf den Bandera-Faschismus hinweisen“ sagt mir ein Besucher.
Positiv fiel mir auf, dass auch jüngere Menschen teilweise mit ihren Kindern vor Ort waren. Der 8. Mai wurde vom Berliner Senat zum Feiertag erklärt, also war schul- und arbeitsfrei, aber die Mehrheit waren ältere Menschen, die den sowjetischen bzw. russischen Toten ihren Respekt erweisen wollten. Es gab doch zahlreiche junge Menschen, geschätzt zwischen 15 und 25 Jahre alt, die eigenständig vor Ort waren. Auch ihnen war es wichtig, vor Ort der Roten Armee ein Zeichen der Dankbarkeit zu setzen. Ob es sich dabei um autochtone Deutsche oder Russlanddeutsche handelte, die durch die eigene Familienhistorie viel stärker mit diesen Daten verbunden sind, kann ich nicht sicher sagen, vermute aber, dass letztere in der Mehrheit waren.
Dass Deutsche ein Zeichen setzen wollten, wurde von russischen Besuchern deutlich wertgeschätzt. Nicht nur die russische Regierung unterscheidet zwischen deutschen Menschen und deutscher Politik, auch Russen sind sich dieses Unterschiedes sehr bewusst und zeigten sich immer wieder dankbar für unsere Solidarität, die wir durch den Besuch des Ehrenmals in entsprechender Kleidung deutlich machten.
Beim „Befreier“ wurde dann sichtbar, wie sehr es die Ukrainer genossen, unter dem Schutz der deutschen Polizei zu stehen. Überall knallten uns blaugelbe Fahnen entgegen, die die NATO- und EU-Fahne einrahmten. Was ich über diesen Anblick dachte, möchte ich aus juristischen Gründen hier nicht in Worte fassen, aber nicht nur ich regte mich über dieses zweierlei Maß der Berliner Behörden auf.
Ein allgemeines Flaggenverbot wäre für alle wohl akzeptabel gewesen – aber diese einseitige Positionierung deutscher Behörden war insbesondere für die älteren Besucher unfassbar. „In der Roten Armee waren doch auch ukrainische Soldaten im Kampf gegen die Nazis im Einsatz, hier am sowjetischen Ehrenmal sind auch über tausend ukrainische Soldaten begraben. Das waren nicht alle Anhänger von Bandera oder Mitglied der SS Galizien. Wie kann man da nur die sowjetische Fahne verbieten, die alle in der Roten Armee vereint hat“, schüttelt ein alter Herr mit Tränen in den Augen den Kopf.
Die Verbote der Fahnen führte nicht nur zu kreativen Lösungen in der Bekleidung. Meine Freundin Sabine lieferte einen besonderen Stunt, der zu unserer Überraschung sogar zu einer vernünftigen Entscheidung der Berliner Polizei führte. Begleitet von mehreren Kameras von „Eingeschenkt TV“ und „Stop the war in Yemen“ hängte sie sich ganz gelassen eine blau-weiss-rot-gestreifte Fahne über den Rücken und erwartete die entsprechende Polizeireaktion, die innerhalb von Minuten erfolgte.
Sie wurde aufgefordert, die Fahne abzulegen, da diese verboten sei. Das allerdings verweigerte sie, da ihr nicht bekannt sei, dass das Tragen der niederländischen Fahne durch die Berliner Polizeibehörden untersagt worden wäre. Man sah, der Polizist war sichtlich irritiert. Er forderte sie auf, an Ort und Stelle zu verbleiben, er müsse Rücksprache mit seinen Vorgesetzten halten. Als er wieder kam, geschah das, was keiner erwartet hatte: Das Tragen der niederländischen Fahne wurde – trotz geringer Verwechslungsgefahr mit der Fahne der Krim – erlaubt. Wie uns ein zufällig anwesender Krimbewohner sagte, waren diese aber schwer zu verwechseln. Wir überzeugten uns im Internet, dass wirklich kaum eine Gemeinsamkeit bestand.
Dieser Kampf ging zugunsten meiner Freundin Sabine aus. „Wir müssen das System mit unseren Waffen schlagen, und wenn sie die sowjetische Fahne schon verbieten, muss man eben kreativ werden, wenn man den Toten der Roten Armee den nötigen Respekt erweisen will.“, sagt sie mit einem Grinser im Gesicht und trug die niederländische Fahne, bis wir gegen 16 Uhr das Gelände verließen.
Einer der Ukraine-Fans war offensichtlich über diese Entscheidung nicht sehr glücklich. Als wir uns dem Ausgang näherten, lief er an uns vorbei zu den dort stationierten Polizisten und zeigte auf uns bzw. Sabine – wohl in der Hoffnung, dass die Funkgeräte der Polizei so effektiv arbeiten wie die deutsche Bahn. Da hatte dieser Denunziant allerdings Pech. Die Beamten waren bereits über den Sachverhalt informiert, mein Zuruf „das ist eine niederländische Fahne und deren Tragen ist erlaubt“ wurde mit einem freundlichen Nicken seitens der Beamten quittiert und wir konnten das Gelände so unbehelligt verlassen, wie wir es betreten hatten.
Ein insgesamt sehr angenehmer Tag beim Sowjetischen Ehrenmal lag hinter uns, an dem ich auch Bekannte der Friedensbewegung, der Friedensbrücke Kriegsopferhilfe, der Druscha-Friedensfahrt sowie einige freie Journalisten getroffen habe und ein bisschen Werbung für mein Buch „Im russischen Exil“ machen konnte. Mit einer Pizza und zwei Glas Wein ließen wir den Tag in Ruhe ausklingen.
9. Mai – der Tag des Sieges
Wir gingen sehr früh in den Park, um den im Laufe des Tages vermutlich verschärften Polizeikontrollen zu entgehen. Erneut war der Durchlass – trotz unserer blau-weiß-roten Kleidung – sehr entspannt. Die Handtaschenkontrolle war eine Farce. Es wäre mir ohne weiteres möglich gewesen, Sprengstoff auf das Gelände zu schmuggeln – und das, obwohl in einer Stunde die offiziellen Vertreter der russischen und verschiedener anderer Botschaften erwartet wurden. Polizeihunde zur Sicherung und Sprengstoffkontrolle waren auf dem Gelände auch keine zu sehen.
Wir warteten bei „Mutter Heimat“, begrüßten einige Bekannte und tauschten uns aus. Überrascht war ich, dass eine Delegation der VVN mit systemkritischen Schildern auf die russischen Offiziellen zu warten schienen, denn die VVN hatte mich während der Coronajahre ob ihrer systemtragenden Positionen entsetzt.
Ich sprach einen der Bannerträger darauf an und provozierte ihn gleich mit der Frage: „Die VVN hat sich in den letzten Jahren ja seltsam entwickelt. Menschen, die sich nicht impfen lassen wollten, waren Schwurbler. Ist das die VVN, die hier steht?“
Als Antwort kam: „Auch – aber wir sind in der VVN geblieben, weil wir diese wunderbare Organisation nicht Leuten überlassen wollten, die solche Thesen vertreten. Wir mögen auch die These nicht, dass Russland ein imperialistisches Land ist. Wir wollen nicht die Narrative wiederholen, die uns die Regierenden mantramäßig vorgeben, die gänzlich außer acht lassen, was die NATO seit der Konterrevolution in der Sowjetunion getrieben hat, entgegen ihren Versprechungen, keinen Fuß breit Richtung Osten zu gehen. Inzwischen stehen wir in Regimentsstärke in Litauen, werden dort zur Besatzungsmacht und das ist elendig. Das Transparent gegen die deutschen Großmachtsträume wurde 2017 von der VVN herausgegeben – dazu stehe ich noch immer und sehe es als meine Verpflichtung. Man darf in Deutschland nie wieder Kräfte an die Spitze kommen lassen, die das Land in eine Katastrophe reiten.“
Ich erfuhr, dass der Vorstand der VVN beim letzten Bundesparteitag eine erhebliche Schlappe habe einstecken müssen, die Vorsitzenden wurden nur mit knapper Mehrheit bestätigt, da keine Alternative da war. Mein Gesprächspartner sprach sich auch deutlich gegen ein AfD-Verbot aus, nicht zuletzt, da es für richtig viel Publicity für die Partei sorgen würde. „Es ist eine Irreführung, dass man heute auf die AfD zeigt, während man selbst die Politik macht, die unsäglich ist und unser Land in die Gefahr stürzt, noch mal in eine neue Katastrophe zu rennen. Deswegen bin ich auch Unterstützer des Berliner Appells, das möchte ich deutlich gesagt haben.“ Derartige Aussagen lassen hoffen, mich zumindest.
Weiter Kontroverse um Gedenkfeier in Moskau zum Sieg über Nazi-Deutschland

Gegen 9.00 Uhr trafen zunächst einige Popen der russisch-orthodoxen Kirche ein, wenig später der russische Botschafter und eine Prozession machte sich in Richtung des „Befreier“-Denkmals auf den Weg. Dieser schloss ich mich gemeinsam mit anderen Vertretern der Friedensbrücke Kriegsopferhilfe gerne an. Einer meiner Gründe anlässlich des 80. Jahrestages nach Berlin zu fahren, war es ja, dem russischen Botschafter meine Solidarität zu zeigen. Der Ausschluss Russlands von den Feierlichkeiten stellt in meinen Augen einen unfassbarer Affront dar.
Beim Denkmal waren die ukrainischen Kränze zur Seite geräumt, so dass die Kränze der verschiedenen ehemaligen sowjetischen Republiken ihren traditionellen Platz an der Vorderseite des Denkmals fanden. Auch die ukrainischen Provokateure waren – wohl dank der deutschen Polizei – an die Seiten des Platzes verwiesen und konnten die Stimmung der zahllosen Besucher nicht wirklich trüben.
Ich verbrachte sehr viel Zeit beim Kranz der Friedensbrücke Kriegsopferhilfe, einem Verein, der seit 2015 Kriegsopferhilfe im Donbass leistet. Das ist vielleicht ein Hinweis darauf, dass der Krieg gar nicht 2022 plötzlich und unerwartet ausgebrochen sein kann, wie uns seitens der Qualitätsmedien immer suggeriert wird. Wir freuten uns über die freiwilligen Spenden, da diese Hilfe weiterhin leider unverzichtbar ist. Noch werden Städte wie z.B. Gorlovka weiter heftig durch die westlichen Ukrainer beschossen. Die Menschen dort leiden jetzt 11 Jahre unter Krieg, ein Umstand, der vielen Besuchern des Denkmals sehr bewusst ist.
Es war eine friedliche und sehr freundliche Stimmung. Manchmal begann einer zu singen und dann sangen 40 oder 50 Menschen mit. Mangels russischer Sprachkompetenz beließ ich es beim Pfeifen von bekannten Liedern wie „Die Kraniche“, „Katjuscha“ und anderer traditioneller Lieder aus Russland, die nicht unter das „Musikverbot“ fielen. Jeder hatte Blumen bei sich und das überall im Gelände. Sie stapelten sich und jeder, der kam, legte noch welche dazu. Es kamen sehr sehr viele Russen zum Denkmal, mit denen man sich auch in interessante Gespräche vertiefen konnte.
Das hat Gründe, die eine Freundin von mir mit folgenden Worten beschrieb: „Der Umgang des russischen Volkes mit der Erinnerung an dieses Ereignis ist anders, lebendiger. Es ist eine Erinnerungskultur. Viele haben die Bilder ihrer Vorfahren bei sich, diese sind in dieser Form mit dabei, mit den Teilen der Familie, die es jetzt noch gibt. Es ist eine gute Form, ein Tag der Erinnerung. Was machen wir daraus?“
Eine junge Deutschrussin erklärte mir „Ich bin mit meiner Mutter hier, komme jedes Jahr, seitdem ich klein bin. Ich war auf einer russisch-deutschen Schule, da war es Tradition mit der Klasse her zu kommen. Wir haben hier auch immer freiwillig geholfen, z.B. Bilder anzuhängen, Tische aufzubauen usw. Für mich ist das Teil meiner Kultur. Deutsche feiern Weihnachten, ich komme gerne hierher und erinnere mich an die Urgroßeltern, die in unserer Familie gekämpft haben und gestorben sind.“
Aber auch für ältere Ostdeutsche ist dieser Tag von großer Bedeutung. Ich fragte einen älteren Herren, dem die Polizei freundlich, aber bestimmt dazu aufforderte, seine Militärmütze mit sowjetischen Anstecknadeln abzunehmen, was ihn bewegte hier zu sein. Er sagte mir mit Tränen in den Augen: „Wir sind hier um die Toten zu ehren und danke zu sagen den Menschen, die uns vom Faschismus befreit haben. Für mich ist es ein großes Problem, dass unsere Politik so einen Zirkus mit uns macht, dass wir die Gefallenen nicht so ehren dürfen, wie das in den vergangenen Jahren üblich war. Überall in der Welt gibt es nette Menschen, in Russland sowieso, aber die Politiker spielen verrückt und das ist genau das Problem. Wir müssen aufhören, solche Leute in die Regierung zu wählen, die Amerika-abhängig sind und einfach die amerikanische Politik und Kultur einbringen wollen. … Ich bin eine rote Socke wie früher, hier in der DDR geboren – dieser Staat ist einfach nicht mehr mein Vaterland.“
Sein Begleiter ergänzte: „Wir sind auch hier für unsere Kinder und Jungs, damit die niemals Krieg erleben und für Deutschland in den Krieg und schon gar nicht gegen Russland marschieren. Wir sitzen hier alle faul zu Hause rum. Und weil wir nichts tun, wir Erwachsenen, müssen unsere Kinder das ausbaden. Da müssen wir das tun, was in unserer Macht steht. Viel Macht haben wir nicht, aber das heute hier ist das Wenigste, das wir zeigen können.“
Zufälligerweise begegnete ich Egon Krenz, dem letzten Staatsratsvorsitzenden der DDR nach Erich Honecker, der die Öffnung der Mauer am 9.11.1989 mit zu verantworten hat. Er war bereit, mir für eine Frage kurz zur Verfügung zu stehen:Audio-Player
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Auf meine Frage, warum er – nachdem er ja doch nicht mehr der Allerjüngste sei – hierher gekommen ist, antwortete er: „Ich bin noch gut in der Erinnerung vom Jahr 1945, also ich bin selbst Kriegskind, habe die Befreiung erlebt. Ich weiß daher aus eigener Erfahrung, dass die Geschichte anders verlaufen ist, als das heute durch die bundesdeutsche Politik behauptet wird. Ich bin hier, um die Helden der Sowjetunion zu ehren und damit auch ein Zeichen zu setzen, dass man die Geschichte nicht verfälschen darf, dass man vor allen Dingen nicht gegen Russland sein darf, denn ohne Russland gibt es keinen Frieden. Frieden gibt es nur mit Russland.“

Diese Haltung teilen und teilten sehr viele Menschen. Als wir das Gelände erneut gegen 16 Uhr verließen, war die Schlange der Menschen, die ihre Blumen beim „Befreier“ ablegen wollten, immer noch enorm lang.
Insgesamt blieb auch der 9.5. zumindest aus meiner Sicht ein friedlicher Tag. Wir erfuhren zwar, dass manch einer am Betreten des Geländes aufgrund der Farbgestaltung seiner Kleidung gehindert worden sei, dass es die eine oder andere polizeiliche Maßnahme gegeben habe, wenn sich Menschen weigerten, Fahnen und verbotene Insignien abzugeben und dass das Verteilen der „Jungen Welt“ aufgrund des Titelbilds verboten wurde.
Aber die Polizei verhielt sich im Rahmen meiner Wahrnehmung sehr moderat. Hinter vorgehaltener Hand soll sich der eine oder andere wohl auch unzufrieden über die ungerechte Verbotsverordnung geäußert haben, mir gegenüber – mit Presse-Karte auf der Brust – wollte sich aber keiner äußern, sondern verwies mich an die Pressestelle.
Kleiner Scherz zum Abschluss des Tages: Ein Herr aus Sibirien bot mir eine Erklärung, warum die russische Fahne in Deutschland nicht erwünscht sein könnte.
красный – rot – K
голубой – blau – G
Белый – weiß – B
Die Farben stehen also für den früheren russischen Geheimdienst und der ist in Deutschland unerwünscht. Spionage ist ja nur unter Freunden in Ordnung – anders kann ich mir das jahrzehntelange Schalten und Walten der CIA in der BRD nicht erklären. Aber das ist eine andere Geschichte.
Der Beitrag von Andrea Drescher erschien zuerst auf tkp.at: hier.