Abenteuer Deutsche Bahn – Eine ganz alltägliche Panne

Das Deutschlandticket sollte die Verkehrswende bringen. Doch das wird immer teurer, die Bahn immer unzuverlässiger. Nutzer sollten sich auf Zugausfälle, eine sinnlose App und ahnungslose Bahnangestellte einstellen. Eine kleine Anekdote wirft einen Blick auf das alltägliche Chaos.

Von Susan Bonath

Wo sich Privatiers ungeniert die Taschen vollmachen, während der Staat die „kleinen Leute“ mit Schuldenbremse und Sozialabbau drangsaliert, bleiben Gemeinwohl und Umweltschutz – hehre Versprechen hin oder her – auf der Strecke. So wie immer öfter die Deutsche Bahn: In dem Maße, wie ihre Nutzung immer teurer und für viele unerschwinglicher wird, wird sie maroder und unzuverlässiger.

Teuer, marode, unzuverlässig

Bahnfahren ist in Deutschland mittlerweile ein richtiges Abenteuer. Ankommen oder nicht, ist hier die Frage. Seit ich stolze Besitzerin des sogenannten Deutschlandtickets bin, dessen Monatspreis ab Januar von 49 auf 58 Euro steigen wird, und dieses nun zum Kostenvorteil (und für die Umwelt selbstverständlich) nutzen will, stelle ich mir die Frage regelmäßig – und plane eventuelle Notlösungen zur Sicherheit mit ein.

Ich könnte viele Geschichten über das deutsche Bahndesaster erzählen, zum Beispiel eine von 20 Zentimetern Schnee, die 2018 deutschlandweit den Schienenverkehr nahezu lahm legten und mich in einem kleinen Nest namens Stumsdorf irgendwo bei Halle in Sachsen-Anhalt stranden ließen. Aber ich beschränke mich auf eine ganz aktuelle kleine Anekdote, die völlig genügt, um den Zustand des öffentlichen Bahnverkehrs in Deutschland zu beschreiben.

Vorwärts trotz Spontanausfall

Kürzlich plante ich die Teilnahme an einer Demonstration ganz in meiner Nähe. Ich musste dafür nur schlappe 30 Kilometer bis zur sachsen-anhaltinischen Landeshauptstadt Magdeburg überwinden. Zum Glück gibt es in meiner Kreisstadt einen Bahnhof, von welchem aus jede Stunde ein Zug in diese Richtung fährt, oftmals sogar schneller, als man es mit dem Auto schaffen kann – oder besser gesagt: fahren soll.

Kein großes Ding, ich guckte in die App der Deutschen Bahn, wie man das heutzutage macht. Die zeigte kein Problem an – anders dann die Anzeige direkt am Gleis: Zugausfall. Wegen eines „Notfalls“, ergänzte eine Ansage. Da ich wusste, dass ab und an auch Busse in die Landeshauptstadt fahren, beruhigte ich eine ältere Dame, die unbedingt zu ihrer Tochter wollte. Ich dirigierte sie zum Busbahnhof und sagte: „Wir gucken mal, ob da was fährt.“ Und optimistisch dachte ich: Vorwärts immer, rückwärts nimmer.

Tatsächlich landeten wir vor einem völlig überfüllten Kleinbus ohne Anzeige. „Abellio hat mich angeheuert, ich fahr‘ jetzt mal den Schienenersatzverkehr“, erklärte die Fahrerin. Zum Glück hatten wir gefragt – wir sprangen rein, der Bus fuhr los, und wir kamen sogar an, wenn auch eine halbe Stunde später als geplant. Erstaunlich, dachte ich bei mir. Doch das ist erst der Anfang der Geschichte.

Die Sache mit den Stellwerken

Wann die Züge wieder fahren würden, woran der Ausfall liegt und ob es notfalls für die Rückfahrt auch einen Schienenersatzverkehr gibt, wollte ich von der Fahrerin wissen. Doch Genaues konnte sie nicht sagen. Sie wisse lediglich: „Da ist jemand krank geworden, das Stellwerk ist nicht besetzt“, und verwies auf die Bahn-App. Doch die zeigte immer noch kein Problem an.

Die Geschichte mit den Stellwerken kannte ich schon, da musste ich nicht weiter fragen. Wie mir nämlich ein Lokführer vor einer Weile erklärt hatte, funktioniert jedes davon anders, manche digital, andere noch immer mit vorzeitlichen Relaisschaltungen. Für jedes Stellwerk müssen demnach extra Leute ausgebildet werden. Sie gehören, anders als Abellio freilich, der Deutschen Bahn. Wird also jemand plötzlich krank und keiner der paar Spezialisten für das bestimmte Werk kann spontan einspringen, ist die Strecke tot, dann fährt nichts mehr. Das passiert sehr häufig und überall in Deutschland, wie man aus unzähligen Medienberichten erfährt.

„Abellio ist ja nicht die Deutsche Bahn!“

Zum Glück hatte ich genügend Zeit eingeplant. Mit einem weiteren verunsicherten Schienenersatzverkehr-Fahrgast wollte ich vom Schalter der Bahnauskunft wissen: Wie werden wir am Abend zurück nach Hause kommen? Die Angestellte blickte angestrengt in ihren Computer, zuckte schließlich mit den Schultern. Sie könne nur erkennen, dass da bereits zwei Züge ausgefallen sind. Sie wisse auch nicht, ob Abellio weiter Busse zur Verfügung stellt. „Abellio ist ja nicht die Deutsche Bahn, das kann ich also gar nicht wissen.“

Mit anderen Worten: Die Bahnhöfe samt Auskunft betreibt in Deutschland die Deutsche Bahn AG. Auf den Schienen fahren aber etliche andere private Bahnunternehmen, darunter wie bei uns Abellio. Und weil Abellio nicht die Bahn ist, wie gesagt, weiß man am Auskunftsschalter auf dem Bahnhof auch nicht, was bei Abellio gerade los ist. Das muss wohl irgendetwas mit dem „unsichtbaren Händchen“ des „freien Marktes“ zu tun haben – Planwirtschaft ist ja bekanntlich „böser Sozialismus“, wie es von oben so schön heißt.

Ich blieb gelassen, ging erst mal zu der Demo, das Wetter war gut und sogar die Polizei ganz gut gelaunt. Doch später am Abend am Bahnhof dann die Erkenntnis: Die Züge fahren immer noch nicht. Ich lief erneut zum Auskunftsschalter, da hieß es: „Gucken Sie mal hinten am Busbahnhof, ob da Schienenersatzverkehr fährt.“ Mehr könne sie leider nicht tun für mich, Abellio sei … wir wissen schon … und nicht erreichbar.

Wenn keiner was weiß

Die Busstation am Hinterausgang war eine finstere Einöde. Nur ein Fernbus hielt gerade, Passagiere mit großen Koffern stiegen ein. Die Dörfer werden nämlich an den Wochenenden kaum angefahren. So waren auch die Leuchtanzeigetafeln dunkel. Ein paar verwitterte Fahrpläne, scheinbar wahllos angepappt und sehr schwer noch zu entziffern, führten auch nicht weiter.

Ich war nun wirklich sauer, denn auch die Bahn-App zeigte immer noch nicht mehr an, als dass in den zurückliegenden Stunden die Züge auf meiner Strecke ausgefallen waren. Das wusste ich aber schon. Ich lief zurück zum Schalter: „Ich möchte jetzt bitte wissen, wie ich nach Hause komme!“, sagte ich mit Nachdruck. Plötzlich erschien ein Hoffnungsschimmer am Horizont: In eineinhalb Stunden könnte wieder etwas fahren, frohlockte sie. Und empfahl mir sogar eine Alternativlösung: Sofort, über ein kleines Kaff, von dort aus weiter mit einem sogenannten Linientaxi.

So ein „Linientaxi“ ist bei uns in Sachsen-Anhalt die Vorstufe zum sogenannten „Anrufbus“: Man muss zwei Stunden vorher bei einer Hotline der jeweiligen Busgesellschaft anrufen und das Gefährt bestellen. Doch aus Erfahrung aus der Zeit, als meine Söhne noch keinen Führerschein besaßen, wusste ich: Mal kommen diese Kleinbusse, mal kommen sie nicht. „Linientaxi“ klang auch nicht viel vertrauenswürdiger. Ich bin sozusagen „Anrufbus-geschädigt“ und beschloss, ein wenig durch die Stadt zu schlendern und zu warten.

Action mit der Bahn, Stau auf den Straßen

Immerhin ging die Geschichte schließlich gut aus. Als wäre nichts gewesen, fuhr spät am Abend endlich wieder ein Zug. Ich musste niemanden anrufen und als Chauffeur anheuern. Mein vorsichtshalber für den Fall, dass alle Stränge reißen, weil in der Nacht ohnehin keine Züge in meine Richtung fahren, mitgeführtes Reisezahnputzzeug blieb unbenutzt.

Sicher, ein bisschen Action mit der Bahn in Deutschland hält wohl jung. Aber zu wichtigen Terminen sollte man wohl doch besser ein Auto benutzen – natürlich, sofern man eines besitzt. Aber bitte nicht über verstopfte Straßen und Autobahnen in Deutschland wundern – und entsprechend Zeit einplanen!

Quelle: RT DE

Hinweis: Gastbeiträge geben immer die Meinung des jeweiligen Autors wieder, nicht meine. Ich veröffentliche sie aber gerne, um eine vielfältigeres Bild zu geben. Die Leserinnen und Leser dieses Blogs sind auch in der Lage sich selbst ein Bild zu machen.

Beitragsbild: Archiv/Pixelio.de

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Kaputter, teurer, tot: Deutsche Bahn soll weiter sparen

Marode und unzuverlässig: Die Deutsche Bahn ist eine Katastrophe. Mehr investieren? Fehlanzeige. FDP-Minister Wissing will weiter sparen: Zehntausende Mitarbeiter soll das Unternehmen entlassen, weitere Strecken stilllegen und die Preise hochschrauben. Hauptsache, die Vorstandsboni fließen.

Von Susan Bonath

An kaputte Toiletten und Klimaanlagen, Standardverspätungen und spontane Zugausfälle hat sich der deutsche Bahnfahrer längst gewöhnt. Mal fehlen Lokführer, mal fahrbereite Züge, ein andermal kann die Bahn ihre veralteten Stellwerke nicht besetzen. Viele Gleise sind marode, im Winter frieren Weichen zu, aber das Personal fehlt, um solche Havarien zeitnah zu beheben. Immer wieder bleiben Züge liegen und versperren die Strecken. Wer auf dem Land kein Auto hat, ist aufgeschmissen. Das ist Alltag in Deutschland.

Der Staat müsste hier viel Geld in die Sanierung der maroden Bahn investieren. Doch das Verb „sanieren“ hat in Deutschland offensichtlich eine andere Bedeutung: weiter sparen – an Personal, Zügen und Strecken beispielsweise, dies bei gleichzeitiger Anhebung der schon jetzt horrenden Preise und wohl auch der Millionenboni der Vorstände. So jedenfalls sieht es ein geplantes „Sanierungskonzept“ vor.

Stellenabbau und Preiserhöhung

So sagte kürzlich ein nicht genannter Regierungsvertreter gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters, dass Politik und Unternehmen „weitere Kostensenkungsmaßnahmen“ planen, weil die Deutsche Bahn zuletzt 1,2 Milliarden Euro Verlust gemacht habe. Das lässt nichts Gutes erahnen.

„Eine dreijährige Umstrukturierung des gesamten Unternehmens ist in Arbeit“, führte der Politiker aus und ergänzte Erwartbares: Der zuvor angekündigte Stellenabbau reiche dafür wohl nicht aus. Im Juli war von 30.000 wegfallenden Jobs in den nächsten fünf Jahren die Rede – neun Prozent der gesamten Belegschaft.

Überdies plane die Regierung, einige Fernverbindungen zu streichen und, man konnte es erwarten, die schon jetzt überteuerten Ticketpreise insbesondere im Fernverkehr weiter zu erhöhen. So solle die Bahn den Verlust ausgleichen und wieder Gewinne erzielen. Denn es sei, so der Regierungsvertreter, zuletzt sehr viel Geld in Reparaturen des Schienennetzes geflossen. Das gelte es zu kompensieren.

Böse Streiks und „schlechtes Wetter“

Um zu wissen, dass diese Reparaturen weniger mit grundlegender Sanierung zu tun hatten als mit Notmaßnahmen, damit Züge überhaupt noch rollen konnten, muss man als regelmäßiger Fahrgast kein Experte sein. Die Gewerkschaft Deutscher Lokführer (GDL) kritisiert seit langem das marode Netz.

Doch damit nicht genug: Der anonyme Politiker führte als weitere Gründe für die finanziellen Verluste die Bahnstreiks in der jüngeren Vergangenheit ins Feld, überdies – auch das war zu erahnen – das unvermeidliche „schlechte Wetter im ersten Halbjahr“. Die Existenz von Wetter ist bekanntlich seit langem eine der beliebtesten Ausreden der Deutschen Bahn für Pleiten, Pannen und Zugausfälle.

Um es kurz zusammenzufassen: Die Bahn ist marode, kommt regelmäßig zu spät und fällt aus, weil es an Lokführern, Stellwerks- und Wartungspersonal fehlt. Und ihr „Sanierungsplan“ sieht als „Lösung“ vor, weitere zehntausende Arbeitsplätze abzubauen und weitere Verbindungen zu kappen.

Kosten runter, Rendite rauf

Dass ein Staat in öffentliche Daseinsfürsorge investieren muss, wenn er solche denn bereitstellen möchte, erschließt sich eigentlich von selbst. Doch der Markt tickt anders: Unternehmen müssen Gewinne erwirtschaften, so auch die vor 30 Jahren privatisierte Deutsche Bahn. Die Logik dahinter: Kann man die Kunden für den Maximalprofit nicht weiter auspressen, müssen die Ausgaben runter, angefangen bei den Lohnkosten.

Für die FDP ist der Markt bekanntlich alles. Bundesverkehrsminister Volker Wissing gehört dieser Partei an, entsprechend gab er gegenüber der Berliner Morgenpost Auskunft. Er sagte: „Ich habe die Bahn aufgefordert, ein Sanierungskonzept auszuarbeiten“ – dies freilich nach besagtem Plan. Die „Fortschritte“ will er vierteljährlich kontrollieren.

Minister Wissing begründete die strengen Vorgaben mit „schwachen betriebswirtschaftlichen Ergebnissen“. Mit Ausnahme der Spedition Schenker – die nicht Personen-, sondern Güterverkehr bewerkstelligt – würden alle Sparten „schwache Ergebnisse liefern“, erklärte er.

Neoliberales FDP-Konzept

Der FDP-Mann ist demnach der festen Überzeugung, dass mit solchen Sparmaßnahmen „gerade im Fernverkehr die Pünktlichkeit deutlich verbessert“ und „auf ein international vergleichbares Spitzenniveau gebracht“ werden könne.

Wie das trotz Stellenabbau funktionieren soll, verrät er nicht, ebenso wenig sein nächstes Ziel: Die Auslastung zu verbessern. Ob er vergessen hat, wie das 2022 für drei Monate eingeführte „Neun-Euro-Ticket“ für den Nahverkehr die Züge aus allen Nähten platzen ließ, weil es nicht genug Bahnen gab.

Vom Abbau von mehr als 30.000 Stellen soll angeblich, so beschwor der Minister, das Zugpersonal, wie Lokführer, Service- und Wartungsmitarbeiter, nicht betroffen sein, sondern lediglich die Verwaltung. Das spricht bereits für sich: Natürlich frisst ein riesig aufgeblähter Verwaltungsapparat mit jeder Menge Versorgungsposten auch jede Menge Geld. Doch letztlich schiebt Wissing die Verantwortung von sich: Über das konkrete „Wie“ solle dann doch der Bahnvorstand selbst entscheiden.

Gemeinwohl plätten

Die Berliner Morgenpost berichtet überdies von „Hinweisen, dass die Bahn den Zugverkehr auf unrentablen Strecken ausdünnen könnte“. Wissing antwortete auf eine entsprechende Nachfrage lapidar: „Niemand möchte, dass die Bahn Strecken streicht.“ Ein ungesagter Zusatz schwingt da förmlich mit: Leider ist das aber alternativlos, denn der Markt will es so.

Auch Preiserhöhungen, vor allem wohl im Personenfern- und Güterverkehr, seien laut des Berichts schon festzustehen. Grund seien unter anderem steigende Preise für Trassennutzung, so das Blatt – und wohl auch die anhaltend hohen Energiepreise durch die diesbezügliche Irrsinns-Politik der Ampel-Regierung.

Dass Erhöhungen ohnehin schon hoher Preise nicht für mehr Fahrgäste sorgen werden, weil die Zahl der Menschen, die sich das noch leisten können, weiter abnimmt, versteht sich hier von selbst. Ob Wissing und Co. vielleicht darauf spekulieren, die Deutsche Bahn bald gänzlich wegzurationalisieren? Bis dahin könnte der Vorstand dann noch so viele Millionenboni mitnehmen wie möglich.

Das jedenfalls entspräche der neoliberalen Logik: Erst einsacken, dann abstoßen. Unrentables presst man aus, dann muss es weg. Was juckt es schon die Reichen, wenn der Staat die öffentliche Daseinsfürsorge und somit das Gemeinwohl plättet.

Quelle: RT DE

Hinweis: Gastbeiträge geben immer die Meinung des jeweiligen Autors wieder, nicht meine. Ich veröffentliche sie aber gerne, um eine vielfältigeres Bild zu geben. Die Leserinnen und Leser dieses Blogs sind auch in der Lage sich selbst ein Bild zu machen.

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Neues Milliardengrab in Berlin? Geplante S-Bahn-Privatisierung entpuppt sich als Kostenfalle

Zwölf Milliarden Euro extra: Die Ausschreibung der Berliner S-Bahn ist zum teuren Vergabepoker vor Gericht geworden. Dafür löhnen werden erwartbar die Steuerzahler und Nahverkehrsnutzer. Ein Bündnis fordert vom Senat den Stopp des Projekts. Die Bahn gehöre in öffentliche Hand.

Von Susan Bonath

Bus, Bahn und vieles mehr: Kaum etwas funktioniert in Deutschland noch richtig, wird trotzdem immer teurer und geschröpfte Otto Normalbürger werden ärmer. Scheinbar in Klüngeln operierend, verteilt die Politik die Inhalte der Steuertöpfe immer dreister nach oben an bevorzugte Privatiers, um ihnen dennoch Rendite zu ermöglichen. Nicht nur Pharma- und Rüstungskonzerne profitieren davon. Der Ruin des westlichen Kapitalismus und seines politischen Managements zeigt sich auch im Kleinen.

Zum Beispiel bei der Berliner S-Bahn: Vor gut drei Jahren schrieb der Senat Teile des Berliner Verkehrsnetzes für private Betreiber aus. Moderner und kundenfreundlicher sollte es werden, so das Versprechen. Doch das als Verheißung gestartete Prestigeprojekt entpuppt sich zunehmend als Endlosbaustelle, die wie ein schwarzes Loch die öffentlichen Kassen zugunsten privaten Profits leersaugt.

Drohendes Milliardengrab

So mündete das Ausschreibungsverfahren in einem Rechtsstreit, der sich unabsehbar in die Länge zieht und immer teurer wird. Aus den einst vom Land Berlin einkalkulierten acht Milliarden sind inzwischen 20 Milliarden Euro geworden, die Kostenentwicklung bleibt nach oben offen.

Ein Bündnis aus den Vereinen „Bahn für alle“, „Eine S-Bahn für alle“ und „Gemeingut in BürgerInnenhand“ fordern nun in einer gemeinsamen Stellungnahme die Hauptstadtpolitik auf, den Vergabepoker sofort zu stoppen. Bahn-für-alle-Sprecher Carl Waßmuth erklärte:

„Wir haben von Anfang an gewarnt, dass mit der S-Bahn-Ausschreibung eine Kostenexplosion droht. Denn die privaten Bieter verlangen eine Rendite, und die Banken verlangen von den Bietern Rekordzinsen für die Wagenbeschaffung. Dafür müssen letztendlich die Fahrgäste und Steuerzahlenden blechen.“

Hehre Versprechen

Die Initiatorin des Ausverkaufs, Ex-Verkehrsenatorin Regine Günther (Grüne), hatte einst Großes verheißen: Bei „vernünftigen Preisen“ und „dauerhaft guter Qualität“ sollte das Projekt einen „effektiven Wettbewerb“ fördern. Eine neue, moderne Fahrzeugflotte sollte kommen und zunächst zwei Drittel des Berliner S-Bahnnetzes von einem anderen Anbieter als der Deutschen Bahn betrieben werden.

Für das restliche Drittel ist bis 2035 noch die Bahn-Tochter „S-Bahn Berlin GmbH“ zuständig. Dazu gehören die Ringbahn und südöstliche Zubringer. Diese verantwortet die legendäre Berliner S-Bahn-Krise, die dazu führte, dass im Sommer 2009 ein Notfahrplan eingeführt werden musste. Nur etwa ein Viertel der Züge waren damals noch einsatzbereit. Um Kosten zu sparen, hatte die Bahn bei der Wartung geschlampt.

Damit sich dies nicht wiederholen möge, wollten Günther und ihre Mitstreiter im Senat die Deutsche Bahn perspektivisch aus dem Hauptstadtnetz drängen. Doch die trat bei der Ausschreibung, begünstigt vom verlangten Gesamtpaket, neue Fahrzeuge zu liefern, diese zu warten und das Netz zu betreiben, prompt in einem Konsortium mit den Konzernen Siemens und Stadler auf den Plan. Die Privatiers sollen den neuen Fuhrpark liefern – eine öffentlich-private Partnerschaft mit einer Laufzeit von 30 Jahren.

Teurer Rechtsstreit

Andere Bieter, bis auf den französischen Alstom-Konzern, machten sich deswegen aus dem Staub. Letzterer kann aber keinen Betreiber vorweisen. Deshalb rief Alstom 2021 die Justiz auf den Plan. Sein Argument: Die Ausschreibungsmodalitäten würden zur „Marktabschottung“ einladen. Ein Urteil ist bis heute nicht gefallen. Das Berliner Kammergericht verschob den Termin mehrfach, zuletzt auf den 23. Februar. Alstom kündigte bereits an, im Falle einer Niederlage vor den Europäischen Gerichtshof zu ziehen.

Der Rechtsstreit kann somit noch Jahre dauern, die Kosten für das Land Berlin drohen durch die Decke zu schießen. Die ursprünglich geplanten Übernahmetermine der Netze in den Jahren 2026 und 2028 sind schon jetzt obsolet, die Rede ist inzwischen von 2030 – nach hinten offen.

Es geht um viel Geld. Die einst für den Fahrzeugpool veranschlagten knapp drei Milliarden Euro haben sich inzwischen verdoppelt. Die versprochene Einsparsumme von 800 Millionen Euro, die sonst innerhalb von 15 Jahren an die Deutsche Bahn abgeflossen wären, ist also mehr als futsch. Zusätzliche sieben Milliarden Euro kommen für nicht einkalkulierte Kreditzinsen des Betreibers wegen des Endes der Nullzinszeit hinzu– eine Summe, für die Berlin die ganze S-Bahn kaufen könnte.

„Billiger ohne Privatiers“

Für einen Ankauf der Berliner S-Bahn durch das Land Berlin stattdessen spricht sich darum das Vereinsbündnis aus. Der Nahverkehr gehört nach Auffassung der Akteure „zur öffenltichen Daseinsvorsorge, ist dem Gemeinwohl verpflichtet und darf nicht gewinnorientiert sein.“

Durch den Eintritt von Siemens und Stadler in das Konsortium würde aber die S-Bahn letztlich trotz Beteiligung der halbstaatlichen S-Bahn-Gesellschaft privatisiert. Berlin müsste dann, zusätzlich zu den Kosten für Betrieb, Wartung und Rechtsstreit, auch für die Gewinne dieser Unternehmen aufkommen. Die würden zusätzlich enorme Kosten auf die Fahrgäste abwälzen.

Um das zu verhindern, hatte das Vereinsbündnis letztes Jahr 10.000 Unterschriften für einen Stopp der Ausschreibung gesammelt und an die zuständige Senatorin Bettina Jarasch (Grüne) übergeben. Diese versprach einen Ankauf der S-Bahn-Mehrheit. Passiert ist seither: nichts. Jorinde Schulz vom Verein „Gemeingut in BürgerInnenhand“ mahnt:

„Etliche gescheiterte Vergaben in Deutschland haben gezeigt, dass bürokratische Wettbewerbsverfahren zu Gerichtsprozessen oder teuren Pleiten führen. Aber es gibt eine Alternative: Würde Berlin die Bahnen selbst kaufen und über eine Beteiligung an der S-Bahn Berlin GmbH mit Brandenburg selbst betreiben, könnte das Geld gespart und in den Ausbau und den Kauf weiterer Wagen gesteckt werden.“

Neoliberaler Klüngel

Doch Gegner der Privatisierung öffentlichen Eigentums haben es besonders schwer in Zeiten des neoliberalen Ausverkaufs. Der schreitet in Deutschland seit über 30 Jahren emsig voran. Seine Verfechter wollen freilich ihr Heiligtum über die sich zuspitzenden wirtschaftlichen Krisen hinwegretten: Die Profitrate muss stimmen, auch wenn die Kaufkraft der Bevölkerung das längst nicht mehr hergibt. Daher muss alles raus, von Bus und Bahn bis hin zum letzten Krankenhaus; auf der Strecke bleibt der Sozialstaat.

In diesem Sinne, so munkeln böse Zungen, sei auch der Ausverkauf der Berliner S-Bahn von langer Hand geplant gewesen. Bereits seit etwa 2012 sollen hoch bezahlte Lobbyisten dafür hartnäckig die Hauptstadtpolitik beschwatzt haben. So ein Klüngel aus Politikern und Privatiers zum Vorteil Letzterer gehört inzwischen ja zum „demokratischen“ Geschäft – dafür blechen darf die große Mehrheit.

Quelle: RT DE

Beitragsbild: Martin Jäger via Pixelio.de

Pressemitteilung: Immer noch kein DT-Sozialticket in Sicht

Ab dem 1. Mai 2023 wird es mit dem „Deutschlandticket“ (DT) ein bundesweit einheitliches Nahverkehrs­angebot für monatlich 49 Euro geben. Der Preis kann durch Unternehmen zudem als Jobticket auf 34,30 Euro reduziert werden. Schleswig-Holstein bietet seinen Landes­beschäftigten sogar ein ebenfalls deutsch­landweit geltendes Ticket für nur 16,55 € an. Was aber fehlt, ist die gleichzeitige Einführung einer preislich abgesenkten Variante für Menschen, die von Transferleistungen oder einer schmalen Rente leben müssen. Zur Erinnerung: Laut Paritätischem Armuts­bericht 2022 hat die Armut in NRW mit einer Armutsquote von 19,2 Prozent einen neuen Höchststand erreicht. Auch die Einführung des Bürgergeldes hat an der Tatsache, dass die Regelsätze viel zu knapp bemessen sind, nichts geändert. Hier ein Beispiel: Der für „fremde Verkehrsdienstleistungen“ vorgesehene Anteil im Regel­satz bei Sozialleistungen ist bundesweit gleich und beträgt bei alleinlebenden Erwachsenen nur 40,58 Euro. In allen anderen Bedarfsstufen sogar nur anteilig, also noch weniger. Hinzu kommen Menschen, denen noch nicht einmal diese staatlichen Leistungen zugestanden werden. Nach wie vor bekommen Asylbewerbern*innen kein Bürgergeld. Leider wurde beim Deutschlandticket versäumt, eine entsprechende soziale Komponente einzubauen. Daher muss nun in jedem Bundesland eine abgestufte Ticketvariante für Einkommensschwache und Sozial­leistungsbeziehende eingeführt werden. Herr Minister Oliver Krischer hat uns in einem Brief vom 23.3.2023 versichert, dass es ihm „ein persönliches Anliegen ist, weiterhin ein sozial verträgliches Ticket anzubieten“. Die Prüfung für ein Sozialticket durch das Ministerium und die beteiligten Verkehrsverbünde dauere noch an. Es ist leider zu befürchten, dass darüber noch einige Monate ins Land gehen werden. Bis dahin kostet das Sozialticket als Monatsticket im größten Verkehrsverbund VRR weiterhin 41,20 € pro Monat und ist nur kreis- bzw. stadtweit gültig. Wir halten es für skandalös, dass Menschen mit geringem Ein­kommen für ihr minderwertiges Ticket mehr zahlen müssen als normal oder gutverdienende Bürger und Bürgerinnen, die in die Gunst eines Jobtickets kommen können. Wir haben am Mittwoch (26. April) die Fraktionen des Landtages NRW per Brief aufgefordert, sich dafür einzusetzen, dass möglichst schnell eine akzeptable Lösung für die Einführung eines bundesweit geltenden Sozialtickets gefunden wird. Nach unseren Vorstellungen sollte es nicht mehr als 29 Euro kosten und eine Mit­nahmemöglichkeit aller eigenen Kinder einschließen. Weitere Informationen finden Sie auf der Webseite des Bündnisses (s.u.). Bis zur abschließenden Klärung bitten wir die Fraktionen zudem, sich für eine Übergangslösung einzusetzen, bei der die bislang von den Verkehrsverbünden angebotenen Sozialtickets zumindest landesweit gültig werden.

Wesel/Dortmund, 28. April 2023 Ansprechpartner (für Rückfragen): Klaus Kubernus-Perscheid, Pastor Wolf Str. 12, 46487 Wesel, klaus.kubernus@t-online.de, Tel.: 02803 8303 Heiko Holtgrave, Huckarder Str 12, 44147 Dortmund, info@akoplan.de, Tel. 0231 580 34 250 https://www.buendnis-sozialticket-nrw.de

Foto: Claus Stille

Bahnstreik ´21: ein Politikum. Mit einem Interview der Streikzeitung mit Claus Weselsky (Vorsitzender der GDL)

von Winfried Wolf

Der GDL-Streik beim Konzern Deutsche Bahn AG ist erstens sozial gerechtfertigt. Er ist zweitens für alle gewerkschaftlich Aktiven und für die Linke von enormer Bedeutung. Und er ist drittens ein Politikum.

GDL-Streik = Sozial gerechtfertigt: Entgegen den Aussagen der DB-AG-Chefs Richard Lutz, Martin Seiler und Ronald Pofalla fordert die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) exakt das, was im Frühjahr 2021 im Verdi-Tarifvertrag im Öffentlichen Dienst beschlossen wurde. Und das ist gerade mal Lohnausgleich und eine gewisse Anerkennung für das Den-Kopf-Hinhalten in der Pandemie (600 Euro Sondervergütung). Es ist allerdings rund doppelt so viel wie das, was der Bahnkonzern und die Gewerkschaft EVG im Herbst 2020 abgeschlossen haben – was auf einen deutlichen Reallohnabbau hinausläuft. 

GDL-Streik = für alle Gewerkschaften und für die gesamte Linke von Bedeutung: Die Deutsche Bahn AG will in ihrem Bereich erstmals in Deutschland das Tarifeinheitsgesetz (TEG) anwenden. Dieses wurde nicht ganz zufällig im Frühjahr 2015 im Bundestag von CDU/CSU und SPD beschlossen – am Ende des letzten großen GDL-Bahnstreiks. Das TEG läuft darauf hinaus, dass den sogenannten kleinen – und oft kämpferischen – Spartengewerkschaften (wie GDL, Marburger Bund, Cockpit) der Spielraum massiv verkleinert, wenn nicht ihre Existenz bedroht wird. In einem „Betrieb“ soll nach dem TEG nur noch ein Tarifvertrag gültig sein – und dann derjenige der relativ größten Gewerkschaft. Wobei die Definition was ein „Betrieb“ ist, ebenso offen ist, wie die Feststellung, was denn die jeweils relativ größte Gewerkschaft in diesem Betrieb sei, für Manipulationen Tür und Tor öffnet. Der im Frühjahr 2015 vereinbarte GDL-Tarifvertrag beinhaltete, dass für die Laufzeit dieses Vertrags das TEG keine Gültigkeit hat.  Anfang 2021 kündigte der Bahnkonzern an, ab sofort das TEG anzuwenden. Das wiederum bewirkte, dass die GDL inzwischen in allen Bereichen der „Produktion“  – also auch bei Stellwerkern, in den Werkstätten, auf den Bahnhöfen – um Mitglieder zu werben.

GDL-Streik = ein Politikum: Der Streik findet wenige Wochen vor der Bundestagswahl statt. Er richtet sich formal gegen den Konzern Deutsche Bahn AG. Doch Eigentümer dieses Konzerns ist der Bund, den wiederum die Bundesregierung, gestellt von CDU/CSU und SPD, vertritt. Der Dachverband der GDL ist der Deutsche Beamtenbund (dbb), der als CDU-nah gilt. Weselsky selbst ist CDU-Mitglied. Allein diese Konstellationen verdeutlichen, wie politisch dieser Streik faktisch ist, auch wenn es bei ihm um einigermaßen schlichte soziale Forderungen geht. Hinzu kommt: Die Bahn müsste im Kontext einer ernsthaften Klimapolitik eine zentrale Rolle spielen. Dennoch muten die DB AG, also die Bundesregierung, gerade den hier Beschäftigten einen erheblichen Reallohnabbau zu. Und wenn der Bahn-Eigentümer Bund bei den Bahnbeschäftigten knausert, dann hat er dort die Spendierhosen an, wo es um verkehrspolitisch zerstörerische Projekte wie Stuttgart 21 oder um größenwahnsinnige Engagements im Ausland geht. Dass die GDL auch diese Aspekte der verkehrten Verkehrspolitik thematisiert, macht den Streik zusätzlich zum Politikum.

Quelle: Streikzeitung pro GDL von Winfried Wolf

*Mit einem Interview mit Claus Weselsky (Vorsitzender der GDL)
„Tricksen, täuschen, Taschen füllen“

Geht es nach dem Bahnkonzern, so soll es für die Bahnbeschäftigten weder
Inflationsausgleich noch Corona-Prämie geben. Ein Interview der
STREIKZEITUNG mit dem Bundesvorsitzenden der GDL, *CLAUS WESELSKY.*

Frage 1:

*Die Urabstimmungsergebnisse liegen vor. Wie interpretieren Sie und der
GDL-Vorstand diese; entsprechen sie Ihren Erwartungen? Und: Was kommt in
der Abstimmung zum Ausdruck; wie ist die Stimmung an der Basis der GDL?*

Schon der hohe Rücklauf an Abstimmungsunterlagen, aber auch die
deutlichen Signale aus der Belegschaft haben im Vorfeld eine hohe
Zustimmung zum Arbeitskampf erwarten lassen. Das nun erzielte Ergebnis
von 95 Prozent übertrifft unsere Erwartungen. Es bestätigt zugleich das
herrschende Stimmungsbild unter den Eisenbahnern. Die direkt
systemrelevanten Beschäftigten sind wütend und frustriert angesichts
eines DB-Managements, das ihnen weder einen Inflationsausgleich noch
eine Corona-Prämie zugesteht, während sich die Führungskräfte im
Homeoffice weiterhin ungerührt die Taschen füllen. Sie haben im
vergangenen Jahr 2021 51 Prozent ihrer Boni erhalten, trotz miserablem
Finanzergebnis des Bahnkonzerns. Allein diese variablen Vergütungen
zusätzlich zum ohnehin schon üppigen Fixgehalt übersteigen trotz der
Halbierung immer noch das gesamte Jahresgehalt eines wertschöpfend
tätigen Eisenbahners. Das ist unanständig, unsozial und eine Verhöhnung
der Menschen, die während der Pandemie unter erschwerten Bedingungen
tagtäglich den Kopf hingehalten haben. Gemessen an der Stimmung in der
Belegschaft könnten wir schon lange im Streik sein und der Streik selbst
könnte angesichts dieser Stimmungslage gar nicht lange genug dauern.

Frage 2:

*In den Medien heißt es immer wieder: Die Forderungen der GDL seien
„unverhältnismäßig“. Der Personalvorstand der DB, Martin Seiler, spricht
gar von „rechtswidrigen Forderungen“; inhaltlich gebe es „Nullkommanull
Grund zu streiken“ (FAZ vom 9.8.2021). Dabei wird mal auf die
Corona-Krise und den Einbruch bei den Fahrgästen verwiesen. Neuerdings
werden auch die Hochwasserschäden der Deutschen Bahn ins Spiel gebracht.
Woran orientiert sich die GDL bei ihren Forderungen?*

Unsere Forderungen orientieren sich am Tarifabschluss im öffentlichen
Dienst. 1,4 Prozent Entgelterhöhung und 600 Euro Corona-Prämie 2021, 1,8
Prozent 2022 und das alles über eine Laufzeit von 28 Monaten sind
maßvoll und gerechtfertigt. Die GDL lässt nicht zu, dass die
systemrelevanten Eisenbahner mit einer Null- oder gar einer Minusrunde
abgespeist werden. Außerdem gilt es, die kleinen Betriebsrenten zu
schützen. Wir lassen sie uns nicht, wie der DB-Vorstand das fordert, als
Volumen anrechnen. Die Zusage dieser Betriebsrente ist bei der
Einstellung erfolgt und niemand hat das Recht, sie zu kürzen oder gar
einzustellen.

Frage 3:

*Der Arbeitgeber Deutsche AG stellt sich als arm wie eine Kirchenmaus
dar. Es gäbe hier keine Ressourcen zur Befriedigung der GDL-Forderungen.*

Das ist nur eine weitere Schutzbehauptung, mit der die DB vom eigenen
Versagen ablenken will. Die DB hat ihre Bilanz 2020 mit einem Minus von
5,7 Milliarden Euro nach Steuern abgeschlossen, der Umsatz sank
gegenüber dem Vorjahr um mehr als zehn Prozent auf 39,9 Milliarden Euro.
Sie behauptet, das Minus sei eine unausweichliche Folge der
Corona-Pandemie, weil deutlich weniger Fahrgäste mit der Bahn unterwegs
gewesen seien. Doch tatsächlich ist der größte Teil der Misere
hausgemacht. Die wahre Ursache für die fehlenden Milliarden sind
Leuchtturmprojekte in Deutschland wie Stuttgart 21, weltweite
Einkaufstouren, mit denen sich der DB-Vorstand schon oft verzockt hat,
wie die milliardenschwere Übernahme des Bahnkonzerns Arriva sowie ein
grotesk aufgeblähter Verwaltungsapparat. Die Abenteuerspielplätze auf
der ganzen Welt, in den Geschäftsberichten versteckt unter dem
Oberbegriff „Beteiligung/Sonstiges“, erzeugten allein in der Bilanz 2020
einen finanziellen Verlust von mehr als 1,5 Milliarden Euro. Schon mit
einem Bruchteil dieser Summe könnte man den Mitarbeitern das zukommen
lassen, was ihnen nach Verdienst gebührt. Im Übrigen ist der Eigentümer
Bund immer dann großzügig, wenn es um die Finanzierung dieser
Abenteuerspielplätze geht – und dabei noch derart großzügig und
einseitig allein die DB AG begünstigend, dass er damit immer wieder aufs
Neue eine Intervention seitens Brüssels provoziert.

Frage 4:

*Es gab in den letzten zwei Jahrzehnten mehrere – erfolgreiche –
Arbeitskämpfe der GDL. Derjenige von 2007/2008 hat nach Aussage des
damaligen Bahnchefs Hartmut Mehdorn auch dazu beigetragen, dass der
Bahnbörsengang erfreulicherweise geplatzt ist. Welche Bedeutung haben
diese vorausgegangenen Kämpfe für den aktuellen GDL-Arbeitskampf? Was
ist 2021 anders als beispielsweise 2014/2015?*

Seit wir unsere ersten eigenständigen Tarifverträge mit der DB im März
2008 abgeschlossen haben, hat sich so gut wie nichts geändert. Wir
kämpfen stark, unbestechlich und erfolgreich für bessere Entgelt- und
Arbeitsbedingungen unserer Kolleginnen und Kollegen. Dass unsere
Mitglieder das Herz am rechten Fleck haben und solidarisch sind, das
haben die Ergebnisse der Urabstimmung erneut gezeigt. Sie sind unser
größtes Pfund, ohne sie läuft gar nichts. Auch, dass die DB am liebsten
allein mit ihrer braven Hausgewerkschaft die Tarifverträge aushandeln
möchte, ist nicht neu. Hat diese sich doch immer mit niedrigeren
Abschlüssen abspeisen lassen.

Eine neue Waffe der DB ist jedoch das 2015 im Bundestag verabschiedete
Tarifeinheitsgesetz (TEG), das die DB seit Anfang 2021 erstmals zur
Anwendung bringt. Scheinheilig behauptet die DB, sie könne als
gesetzestreuer Arbeitgeber gar nicht anders, als das Tarifeinheitsgesetz
anzuwenden. Das ist reine Heuchelei. Natürlich erkennt die GDL das TEG
und seine faktischen Auswirkungen an. Doch so tendenziös, wie der
Arbeitgeber die Tarifeinheit gegen die GDL-Mitglieder richtet, ist deren
Anwendung nicht rechtens. Unter bewusster Falschauslegung der
TEG-Regelungen will sie die einzig kritische Gewerkschaft im
Eisenbahnmarkt vernichten. Das mutwillige und sachfalsche
Herunterrechnen der GDL-Betriebe im DB-Konzern auf 16 gegenüber 55
EVG-geführten Betrieben ist hierbei nur die Spitze des Eisbergs.

Frage 5:

*Mitte Juli brachte die Deutsche Bahn AG neu das Angebot – Scheinangebot
– ins Spiel, eine Absprache wie 2015 sei möglich, bei der das
Tarifeinheitsgesetz keine Anwendung findet. Auch der
Bundesverkehrsminister, Andreas Scheuer, äußerte am 8. August in der
„Welt am Sonntag“; „Gerade jetzt brauchen wir ein Miteinander“. Ist das
realistisch?*

Auch das läuft unter der Überschrift „Tricksen, Täuschen, Taschen
füllen“. Bereits im Februar 2021 haben wir mit DB-Personalvorstand
Martin Seiler die Frage einer trilateralen Vereinbarung ausgelotet. Die
EVG hatte gleich abgewunken. Trotzdem haben wir uns am 25. Februar über
mehrere Stunden die Bedingungen angehört, die uns die DB als
Tarifvertragspartei gestellt hat. Anschließend haben wir Herrn Seiler
eine klare Absage erteilt, denn ein Verzicht auf die Gestaltung der
Arbeitszeitbedingungen für das Zugpersonal und eine vertraglich fixierte
Abhängigkeit von der Zustimmung der EVG und beziehungsweise seitens der
DB AG ist gleichzusetzen mit der Abgabe unserer Tarifautonomie am
Garderobenhaken. Also war die Scheinofferte im Juli 2021 nichts anderes
als alter Wein in neuen Schläuchen. Dem Lügenbaron geht es in erster
Linie darum, in der Öffentlichkeit ein verzerrtes Bild von uns zu
erzeugen, was ihm allerdings immer schlechter gelingt.

Wir haben schriftlich mitgeteilt, dass die TEG-Frage nicht Gegenstand
der Tarifauseinandersetzung ist. Hier geht es um mehr Einkommen und den
Schutz der Betriebsrente. Erst nachdem wir den Tarifkonflikt erfolgreich
bewältigt haben und der Kompromiss mit der DB in neuen Tarifverträgen
für alle systemrelevanten Berufe verankert wurde, ist der Zeitpunkt für
eine echte Tarifkollision gemäß TEG gekommen. Erst dann macht es Sinn,
nochmals auszuloten, ob trilateral – also in Form einer Vereinbarung
zwischen Arbeitgeber DB, der EVG und uns – überhaupt etwas geht. Bis
dahin haben wir hoffentlich auch eine gerichtsfeste Form der
Mehrheitsfeststellung in den einzelnen Betrieben. Dann wird sich zeigen,
wer in welchen der insgesamt 174 Betriebe im Eisenbahnsystem des
Bahnkonzerns in Deutschland die größere Anzahl an Mitgliedern hat. Dabei
zählen nur Fakten, keine Wunschvorstellungen der EVG oder der DB.

Frage 6:

*Die GDL kündigte Anfang 2021 an, bei der Gewinnung von Mitgliedern sich
nicht mehr nur auf die Bereiche Lokführer und das übrige fahrende
Personal wie Zugbegleiter und Gastrobeschäftigte zu beschränken. Was
sind die Gründe für diese Neuorientierung – und welche Ergebnisse gibt
es dabei bisher?*

Schon lange wollen auch Mitarbeiter in den Werkstätten und den
Stellwerken Mitglied bei uns werden, obwohl wir bis Herbst letzten
Jahres gesagt hatten, dass wir für sie keine Tarifverträge schließen
können. Jetzt ist der beste Zeitpunkt für eine Erweiterung unseres
Organisationsbereichs, denn das direkte Personal will sich nicht länger
mit Almosen abspeisen lassen, während sich die Führungskräfte die
Taschen vollstopfen. Und die 3.000 Neumitglieder, die seit dem
vergangenen Jahr zur GDL kamen, sind dafür die beste Bestätigung. Wenn
die DB eben nur mit einer Gewerkschaft im Betrieb den Tarifvertrag
schließen will, dann sollte das schon die GDL sein.

Frage 7:

*Die STREIKZEITUNG wird in erster Linie von Leuten gemacht, die
Mitglieder in DGB-Gewerkschaften sind. Ich bin beispielsweise seit
Jahrzehnten Mitglied in Verdi (früher ÖTV; dabei immer auch Mitglied im
VS). Gleichzeitig richten wir uns mit dieser Publikation besonders an
Aktive in den DGB-Gewerkschaften und werben für Solidarität mit der GDL.
Was ist da eure Botschaft*?

Gewerkschaftsmitglieder wollen, dass ihre Interessen zielgenau von einer
starken, unbestechlichen und erfolgreichen Gewerkschaft vertreten
werden. Das geht nur mit einem hohen Organisationsgrad und standhaften,
solidarischen Mitgliedern. Diese bekommt man nicht geschenkt. Wir müssen
unseren Mitgliedern jeden Tag aufs Neue zeigen, dass wir ihre Probleme
in der Arbeitswelt kennen, sie ernst nehmen und alles tun, damit sie
bessere Entgelt- und Arbeitsbedingungen bekommen. Das Wichtigste ist:
Wir schätzen unsere Mitglieder, erfassen ihre Probleme und Nöte, setzen
diese in Tarifforderungen um und drücken diese dann auch wirklich durch.
Das schätzen sie an uns. Im Übrigen haben die vorausgegangenen
erfolgreichen Kämpfe der GDL gezeigt, dass von diesen positiven
Auswirkungen auf den gesamten Bereich der lohnabhängig Beschäftigten
ausgingen. Insofern ist unser Kampf auch ein solcher, der allen
Bahnbeschäftigten und darüber hinaus allen gewerkschaftlich Aktiven
zugutekommt. Umgekehrt ist für uns die Solidarität, die uns aus anderen
Bereichen entgegengebracht wird, wichtig und hochwillkommen.

Quelle: Für die STREIKZEITUNG: Winfried Wolf





Vorsitzender der GDL Claus Weselsky. Foto: via GDL

Das Bürgerticket, ein Beitrag zur Verkehrswende? Dr. Gregor Waluga referierte in Dortmund

Dr. Gregor Waluga. Foto: Claus Stille

Die Veranstalter Crossover Dortmund*, Attac Dortmund, DGB Dortmund-Hellweg und Nachdenktreff hatten am vergangenen Montag zu einem Vortrag von Dr. Gregor Waluga (Wuppertal Institut) in die Auslandsgesellschaft in Dortmund eingeladen.

*Crossover Dortmund besteht aus aktiven Mitgliedern aus folgenen drei Parteien in Dortmund:

Bündnis 90 / Die Grünen, Die Linke, SPD.

Hintergrund

Die Weiterentwicklung und Nutzung des ÖPNV ist ein zentraler Baustein der sich unbedingt nötig machenden Verkehrswende. Wie aber kann es gelingen das Nahverkehrsangebot massiv auszuweiten, trotzdem bezahlbar zu bleiben und mehr Menschen zu dessen Nutzung zu bewegen? Der Vortrag zum Thema: „Das BürgerTicket für den Nahverkehr“ skizzierte eine alternative Finanzierungsform des ÖPNV mit automatisch freier Nutzung des Nahverkehrs.

Zum Referenten

Dr. Gregor Waluga ist Diplom-Geograph und war Doktorand am Wuppertal Institut, Referent bei der ÖPNV Enquetekommission im Landtag NRW. Er hat beim Hamburg Institut mehrere Studien und Rechtsgutachten zu alternativen ÖPNV-Finanzierungsinstrumenten mitverfasst.

Hinweis: Gregor Walugas Diplomarbeit unter dem Titel „Zentrenerreichbarkeit mit öffentlichem Nahverkehr in Rheinland-Pfalz“ ist hier nachlesbar.

Dr. Gregor Waluga gilt als renommierter Forscher betreffs des Themas „Bürgerticket“

Für viele Studierende an deutschen Universitäten ist es geradezu unverzichtbar während Studiums, den Öffentlichen Personennahverkehr nutzen zu können. Zumal sie an vielen Unis einen Teil des Semestergebühren für den ÖPNV in der Kommune und dem Land zahlen, nutzen sie so ein Bürgerticket im Kleinen.

Gregor Waluga, ehemaliger Doktorand am Wuppertal Institut hat zum Bürgerticket seine Doktorarbeit verfasst. Er gilt als ein renommierter Forscher betreffs des Themas Bürgerticket. In Dortmund referierte er über die Relevanz des Themas, die Finanzierung und das Real-Experiment, das Grundlage seiner Arbeit war.

Ein trockener Stoff. Nicht einfach für das zahlreich im Großen Saal der Auslandsgesellschaft versammelte Publikum. Gewiss nicht bei allen Zuhörer*innen sofort zündet bzw. in jeder Hinsicht einleuchtend.

Zum Bürgerticket und dem von Dr. Waluga ins Werk gesetzten Experiment

Das Bürgerticket ist ein Ticket für Bus und Bahn in einem bestimmten Bereich, das durch möglichst alle Bürger finanziert werden soll. Um zu testen, wie die Akzeptanz dafür aussieht, hat Waluga drei Gruppen aus je 14 Personen zusammengestellt und denen mit Hilfe von WSW (Wuppertaler Stadtwerke) und VRR (Verkehrsverbund Rhein-Ruhr) Pauschaltickets für 27 Euro je Monat für die Dauer von drei Monaten angeboten. Der Untersuchungsgegenstand war den Probanden nicht bekannt

Das Ergebnis: Die Probanden haben deutlich öfter Bus und Bahn genutzt (von zehn auf 34 Prozent) und dafür das Auto stehen lassen (von 73 auf 55 Prozent) — wer ein Ticket hat, der nutzt es offenbar auch. .Nach dem Experiment ging jedoch die Nutzung in Wuppertal wieder auf den Ursprungswert zurück. Hier mehr zum Wuppertaler Experiment.

Wichtigstes Ziel des Bürgertickets: Es sollen weniger Autos fahren und damit weniger CO2 ausgestoßen werden, mehr Platz in der Stadt entstehen, sowie mehr Busse und Bahnen fahren.

Laut Dr. Waluga hat sich herausgestellt: Es ist durchaus nicht so, dass die Bürger nicht für den ÖPNV zahlen wollten. Aber das Angebot müsse dafür auch besser werden. Waluga: „Um 20 Prozent mehr ÖPNV-Nutzung zu erreichen, müssen 50 Prozent mehr Busse fahren.“

Grundlage für das Bürgerticket sei eine solide Finanzierung. Bisher werde der ÖPNV z.B. in Wuppertal durch öffentliche Mittel, Querfinanzierung durch die Energiesparte der WSW und die Erlöse von Bus und Bahn finanziert. Wie und in welcher Höhe die Bürger eine der Säulen auffangen könnten, müsste diskutiert werden, so Waluga. „Administrativ ist die Umsetzung kein Problem, die Politik muss es aber wollen.“ Man müsse aber auch mehr in den ÖPNV investieren, um diese Verkehrsform interessanter zu machen. Tarifgrenzen beispielsweise stünden der heute üblichen Mobilität grundsätzlich im Wege.

Kölner Studie zum ÖPNV: Weniger Stau, mehr Arbeitsplätze, sauberere Luft und weniger Verletzte durch Busse und Bahnen als durch Pkw

Eine Kölner Studie geht von einem Plus von 5,30 Euro pro investiertem Euro in den ÖPNV aus — durch weniger Stau, mehr Arbeitsplätze, sauberere Luft und weniger Krankheiten. Vor allem gebe es weniger Verletzte durch Busse und Bahnen als durch Autos.

Auch würde ein Bürgerticket das Tarifsystem vereinfachen — ganz ohne Tarife, Waben und Geltungsbedingungen. „

Gerade gebe es eine Wechselstimmung (gewiss nicht zuletzt durch die akuelle Klimadiskussion) auch, weil viele junge Menschen nicht mehr zwingend ein Auto haben wollten. Das sei eine Chance, meinte Waluga. Eine Chance auch auf eine vernünftige Verkehrswende?

Screenshot via pdf SPD Siegen-Wittgenstein, Folie Dr. Gregor Waluga.

Grundsätzlich unterstütze er das Konzept „Bürgerticket“, sagte Waluga. „Der ÖPNV wird allein wegen des Klimaschutzes immer wichtiger.“

Von einem Nulltarif hält Dr. Gregor Waluga nichts

Führen die Menschen denn mehr mit dem Bus, wenn die Fahrt kostenlos ist?

Das Stichwort „Bürgerticket“ mag bei manch einer/einem auch impliziert haben, es ginge an diesem Abend um ein kostenloses Ticket für den Nahverkehr. Gregor Walugas Vortrag aber machte klar, dass es das nicht der Fall und auch nicht Intension seiner Doktorarbeit war. Nebenbei streute er das (angeblich) von Albert Einstein stammende Zitat ein: „Was nichts kostet, ist nichts wert.“

(Albert Einstein hat sich dieses Sprichwort am 20. Juni 1927 notiert, aber es ist wohl doch nicht korrekt, es als Einstein-Aphorismus zu bezeichnen, da das Sprichwort schon Jahrzehnte vor seiner Geburt im Jahr 1848 eine bekannte Maxime war, und zum Beispiel im Württembergischen Landtag zitiert wurde. Zwanzig Jahre später verfasste Einstein folgenden Aphorismus: „Die besten Dinge im Leben sind nicht die, die man für Geld bekommt.“) Quelle: falschzitate.blogspot)

Einem Nulltarif erteilte Waluga somit eine klare Absage: „Das Bürgerticket kostet etwas.“ Fast alle Bürger zahlen dabei einen monatlichen Beitrag und erhalten dafür eine Fahrtberechtigung für den ÖPNV. „Ein Semesterticket für alle Bürger“ sei das Bürgerticket gewissermaßen, erklärte der Experte. Grundsätzlich sei das Bürgerticket kein Zwangsticket, sondern eine Zwangsverfügbarkeit. Die Zahlung motiviere zur Nutzung.

Bürgerticket – wie finanzieren?

Im Zentrum der Diskussion um ein Bürgerticket steht die Frage nach der Finanzierung. Auf der Kostenseite stehen der Geltungsbereich, eine eventuelle Kontingentierung, mögliche Zusatzmodule oder auch der gewünschte Takt. Bei der Finanzierung müssten laut Waluga vor allem die Kompensation von Finanzierungssäulen, eine denkbare Drittnutzerfinanzierung und auch die Anzahl der Zahlungspflichtigen beachtet werden.

Auch der Geltungsbereich müsse bedacht werden. „Gilt das Ticket in der Stadt, im Verbund, im Bundesland oder deutschlandweit?“ Hier sei derzeit wohl nur eine regionale Lösung möglich, die jedoch die Akzeptanz einschränke. In jedem Fall müsse der ÖPNV ausgebaut werden, was deutliche steigende Gesamtkosten zur Folge haben werde.

Lösung Bürgerticket?

Zurzeit wird der ÖPNV aus sehr unterschiedlichen Töpfen finanziert. Das Fahrgeld macht nur etwa 43 Prozent aus, der Rest wird direkt und indirekt durch Steuern finanziert. Gleichzeitig gelte der ÖPNV, sagte Waluga, als teuer und kompliziert. Hier könne ein einfach funktionierendes Bürgerticket helfen, zeigte sich Waluga sicher.

Rechtliche Grundlagen

Dr. Gregor Waluga. Foto: Claus Stille

Ähnlich wie bei der Rundfunkgebühr könne ein für alle Bürger verpflichtender ÖPNV-Beitrag aber wohl nur dann erhoben werden, wenn diesem ein entsprechendes Angebot gegenübersteht. Bei der Rundfunkgebühr muss eine „Mindestqualität“ geboten werden. Für das Bürgerticket bedeute dies, dass Mindestbedienungsstandards festgelegt werden müssen. Nötig ist auf jeden Fall ein Infrastrukturausbau. Die Landesgesetzgebung muss angepasst werden. Waluga geht von mindestens zehn Jahren notwendigen Vorlaufs aus.

Ein Beispiel, Osnabrück betreffend: So könnten die Bürger aus vielen Landgemeinden zwar problemlos mit dem Bus ins Osnabrücker Theater fahren – kommen nach der Vorstellung aber nicht mehr nach Hause. Der Wissenschaftler sieht vor allem die Politik in der Verantwortung. Sie müsse den Mut haben, ein neues System für den ÖPNV einfach einmal auszuprobieren.

Zum selber nachlesen

Finanzierungsmöglichkeit Bürgerticket. Kosten – Nutzen – Klimaschutz

Dr.-Ing. Gregor Waluga SPD Siegen-Wittgenstein„Alternative Finanzierungsmöglichkeiten des ÖPNV“ 27. Oktober 2017, Siegen. Quelle: SPD-Fraktion Siegen-Wittgenstein