AUS IHREN REDEN UND SCHRIFTEN. Fundstück von Ulrich Sander (VVN – BdA)

DAS ABC DES DEUTSCHEN MILITARISMUS

Beitrag zur Verteidigung der Demokratie

SCHRIFTENREIHE DES PRÄSIDIUMS DER VEREINIGUNGEN

DER VERFOLGTEN DES NAZIREGIMES

HEFT 3 – PREIS DM1.—

2. AUFLAGE

SEPTEMBER 1959

Auszug aus dem Dokument:

Ein Menschenleben — 12 Tage Gefängnis

WETZLING, Wolgfgang, SS-Oberfeldrichter a. D

Im Februar 1958 wurde der ehemalige SS-Obersturmbannführer und SS-Oberfeldrichter Wolfgang Wolfgang Wetzling, „wegen Totschlag an 151 Menschen zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt.

Von den Mitangeklagten erhielten der ehemalige Hauptmann und Fabrikant Ernst Moritz Klönne „wegen Beihilfe zum Totschlag von 71 Menschen ein Jahr und 6 Monate Gefängnis. Das Verfahren gegen den ehemaligen SS-Sturmbannführer und Regierungsassor Johann Miese| wurde gemäß dem Straffreiheitsgesetz von 1954 eingestellt, da keine höhere Strafe als drei Jahre Gefängnis zu erwarten war. Der kaufmännische Angestellte Bernhard Anhalt, ein ehemaliger SS-Sturmbannführer, der Gewerbeoberlehrer Helmut Gaedt, ein Hauptmann der Wehrmacht, und der Vermessungstechniker Heinz Zeuner, ehemals SS-Sturmführer, wurden freigesprochen, da für sie nach Ansicht des Gerichtes „ein Befehlsnotstand vorlag“.

Die Staatsanwaltschaft hatte für den Hauptangeklagten Wetzling lebenslänglich Zuchthaus und für die Mitangeklagten je 5 Jahre Zuchthaus beantragt.

Um die Ungeheuerichkeit dieses Urteils – das als symptomatisch für die bundesdeutsche Gerichtsbarkeit gelten kann und noch durch eine Reihe weiterer Freisprüche überführter und schwer belasteter Nationalsozialisten ergänzt werden könnte- zu ermessen, sei an das Geschehen von Warstein erinnert. Eine Illustrierte Zeitung, die sich durchaus nicht durch antinationalsozialistische Tendenzen ausgezeichnet, schrieb über diesen, im März 1945 durchgeführten Massenmord:

„Aber noch herrscht im Schulhaus Warstein noch eine bestimmte „Ordnung“, denn hier ist der Stab der SS-Division untergebracht. Er besteht aus Raketenspeziallisten aller Waffengattungen ….

Bis eines Tages durch einen unglücklichen Zufall drei russische Arbeiter auf den Schulhof des SS-Stabes geraten. Zufällig ist auch General Kammler da. Er bekommt einen Tobsuchtsanfall und schreit: ‚Dezimieren, das Pack, kräftig dezimieren!‘

Da gerät Bewegung in den Divisionsstab. Der General hat ‚dezimieren‘ gesagt. Hacken werden zusammengeknallt, Befehlsbesprechungen angesetzt. Da ist der Feldrichter der Division, SS-Obersturmbannfüherer Wetzling, er ist für die ‚juristische‘ Seite” verantwortlich.“

Wie diese „juristische Seite“ aussah, darüber gibt die Vernehmung Wetzling’s im Jahre 1958 Aufschluß:

„Ich habe nur einen Befehl ausgeführt, einen Befehl zum Schutze der. Bevölkerung… Die Bedrohung war doch wirklich zu erkennen. Der Kommandeur befürchtete Bandenbildung. Man spricht heute hier von einem Prozeß der Menschlichkeit. Was wir damals taten, war tiefe Menschlichkeit ….. .”

Nachdem die Befehle ausgegeben worden waren, fuhr Wetzling mit einem Dolmetscher in die Schützenhalle von Warstein und ließ den Russen erklären, wer sich freiwillig meldete, würde in ein ‚besseres‘ Lager kommen. Darauf meldeten sich 14 Männer, 56 Frauen und Kind war auch dabei. Auf diesbezügliche Fragen des Vorsitzenden antwortete der Angeklagte:

„Wetzling: ‘Das Kind habe ich erst später gesehen. Es tat mir leid. Ich wollte es umschicken, aber die Mutter wollte es unbedingt mithaben.‘

Vorsitzender: ‘Warum aber die Frauen? Die Frauen waren doch keine Gefahr für die Bevölkerung?‘

Wetzling: (erregt) „Auch die Frauen waren gewiß kommunistisch geschult, fanatisch und, wie ich aus Rußland wußte, eine Gefahr.‘“

Die Russen, die sich ‚freiwillig‘ für ein besseres Lager gemeldet hatten, wurden auf LKWs verladen und ins Langenbachtal bei Warstein gebracht. Dort mußten sie sich in Dreierreihen aufstellen und hinter ihnen nahm das Exekutionskommando im Halbkreis Aufstellung.

Als sie sich in Marsch setzten, gab Wetzling das Feuerkommando.

Zu einem bemerkenswerten Rededuell kam es während der Verhandlung zwischen dem SS-Stabsrichter Merz, heute Oberlandesgerichtsrat in Neustadt an der Weinstraße, und Wetzling:

„Merz: ‘Die Erschießungen gehörten keineswegs in die Zuständigkeit eines SS-Gerichts. Als Wetzling zu mir kam, sagte er etwa die Worte: Ich war heute Nacht dabei, wie Russen erschossen worden sind. Da habe ich ihm in höchster Erregung erwidert: Zu einer solchen Schweinerei hätte ich mich nicht hergegeben. Wir schießen hier V 2 ab und sonst nichts.

Wetzling: Als wir jenen Morgen nach der Erschießung aneinandergerieten- ich glaube, wir waren damals noch per Du,- habe ich Ihnen da nicht erklärt, daß ich nicht nur Richter bin, sondern auch Offizier sei, der Befehlen zu gehorchen habe?

Merz: Ich wäre auf keinen Fall gegangen. Sie hätten sich auch mit höheren Dienststellen in Verbindung setzen können, unsere Fernsprechverbindungen waren die besten der ganzen Wehrmacht.

Vorsitzender: Wir stellen also fest, daß bei Ihnen (zu Merz gewendet) diese Spaltung der Persönlichkeit nicht vorlag.”

Zu der bedrückendsten und bedenklichsten Einvernahme in diesem Prozeß gehört die des damaligen Transportoffiziers der Division und heutigen Oberstleutnant der Bundeswehr, Zippelius, der als Zeuge auf die Frage des Verteidigers: „Was hätten Sie getan, Herr Oberstleutnant, wenn Sie damals einen Erschießungsbefehl bekommen hätten?” die folgende Antwort gab:

„Diese Frage ist heute sehr schwer zu beantworten. Man muß sie mit den Maßstäben messen, die damals gültig waren. Ich glaube, ich hätte damals nicht anders handeln können…”

So weit ein Offizier der Bundeswehr, die es sich zum Ziel gesetzt hat, eine Armee der

„Bürger in Uniform“ zu schaffen – Der wochenlang währende Prozeß hatte mit aller Klarheit bewiesen, daß die aus fremden Ländern gegen ihren Willen Verschleppten ebenso wie viele Unzählige, sehnsüchtig auf die Stunde ihrer Befreiung warteten. Das Ende ihrer Qualen und Sehnsüchte brachten die Genickschüsse, kalt und heimtückisch befohlen und durchgeführt von Männern, die sich im Jahre 1958 bedingungslos und stolz zu diesen Morden bekennen und bei bundesdeutschen Richtern hierbei auf Verständnis stoßen.

Wie so viele andere, überführte Mörder machte sich Wetzling, jetzt Justitiar bei der Niedersächsischen Landeskrankenhilfe mit einem Monatsgehalt von DM 1400,- die antibolschewistische Konjunktur zunutze und belehrte das sich belehrenlassende Gericht, daß auch die erschossenen russischen Frauen eine „potentielle Gefahr” bedeutet hätten.

Als weiteres „Argument“ für die erfolgte Tötung von 129 Männern, 77 Frauen und 2 Kindern führte der Volljurist Wetzling aus, er sei der Überzeugung gewesen, „daß sich unter den Ausgesuchten bestimmt eine entsprechende Anzahl gefährlicher Elemente“ befunden hätte.

Das „Urteil” gegen Wetzling ist gleichbedeutend damit, daß auf der Waage der bundesdeutschen Gerechtigkeit ein Menschenleben mit 12 Tagen Gefängnis aufgewogen wird.

Und dies, obwohl der § 211 des StrGB lautet:

„1. Der Mörder wird mit lebenslänglichem Zuchthaus bestraft.

2. Mörder ist, wer aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen, heimtückisch oder grausam, oder mit gemeingefährlichen Mitteln, oder um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken, einen Menschen tötet.”

Entsprang die Untat Wetzling’s nicht der Mordlust? Sollte es etwa als mildernder Umstand betrachtet werden, daß es sich hier um eine politisch bedingte Mordlust gehandelt hat und daß seine Opfer „nur“ russische Fremdarbeiter waren? Zu der politischen Mordlust bekannte sich Wetzling nachdrücklich. So nannte er z. B. die SS eine „hervorragende Truppe” und den SS-General Hausser einen General „wie im Bilderbuch” mit einem „wunderbar aristokratischen Kopf“ und einer „ungewöhnlich korrekten und sauberen Haltung“. Die Erschießung eines jüdischen, französischen Kriegsgefangenen bezeichnete er als „aus Kriegsleidenschaft verständlich”. Die Ernennung zum SS-Richter war für ihn eine „ehrenvolle Berufung“ und die Zeit bei einer SS-Division im Osten eine „absolut stolze Zeit”.

Es muß als charakteristisch gelten, daß sich bei keinem der Angeklagten irgendeine Distanzierung von den Gedankengängen des Dritten Reiches bemerkbar machte, sondern, daß sie diese vielmehr zur Rechtfertigung der heimtückischen Morde benützten. Daß sie dies nicht ohne Erfolg taten, beweist das bereits zitierte, für die Angeklagten so verständnisvoll ausgefallene Urteil.

Eine Zeitung berichtete über den Hauptangeklagten:

„Wetzling hat ganz links auf der Anklagebank Platz genommen. Sein blauer Maßanzug sitzt makellos, das Hemd unter der gelbgemusterten Krawatte ist blütenweiß.- Der SS-Mörder mit dem blauen Maßanzug und der gelbgemusterten Krawatte sowie dem blütenweißen Hemd, das die von dem Blute der ermordeten Männer, Frauen und Kinder entstandenen Flecken verdeckt, kann als eines der antibolschewistischen Symbole der Bundesrepublik gelten und verdient kaum eine bessere Überschrift als ‚Mörder unter uns!’“

Beitragsbild: ©Claus Stille; Obelisk zum Gedenken an die 65.000 von den deutschen Faschisten  im Stalag 326 in Stukenbrock zu Tode gequälten sowjetischen Kriegsgefangenen.

Ich empfehle zwei meiner Berichte  von dort erlebten Gedenkveranstaltungen zu lesen:

Gedenken 1 Gastredner Eugen Drewermann)

Gedenken 2 (Gastredner Rolf Becker)

Hinweis: Gastbeiträge geben immer die Meinung des jeweiligen Autors wieder, nicht meine. Ich veröffentliche sie aber gerne, um eine vielfältigeres Bild zu geben. Die Leserinnen und Leser dieses Blogs sind auch in der Lage sich selbst ein Bild zu machen.

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